Dienstag, 18. Juni 2019

Oliner & Oliner: Die Kindheit von JudenretterInnen


In meinem Blog hatte ich bereits 2012 von der Studie von Eva Fogelman berichtet, die bei der Mehrheit der von ihr untersuchten Judenretter und Judenretterinnen eine auffällig positive Kindheit finden konnte. Fogelman sieht diese Kindheitserfahrungen in einem direkten Zusammenhang zum helfenden Verhalten dieser Menschen während der NS-Zeit.

Es gibt eine weitere Studie zu diesem Thema, die ich bisher nur in meinem Buch besprochen habe. Die Ergebnisse halte ich für so bedeutungsvoll, dass ich diese auch im Internet unbedingt kurz vorstellen möchte.

Oliner & Oliner (1992) haben 406 Judenretter und -retterinnen aus verschiedenen europäischen Ländern befragt und die Daten mit 126 Nicht-Rettern (von denen allerdings 52 bekundeten, dass sie gegen die Nazis agiert oder Juden geholfen hätten, was allerdings nicht überprüfbar war), die zur gleichen Zeit in den gleichen Regionen gelebt hatten, verglichen. Die Kindheiten und Familien der Judenretter unterschieden sich signifikant von den Kindheiten und Familien der Nicht-Retter. So wurde z.B. nur in 1,4 % der Familien der Judenretter der Gehorsam betont, bei den Nicht-Rettern waren es 8,5 %. In 70,3 % der Familien der Retter wurden ethische Werte betont, bei den Nicht-Rettern waren es dagegen 55,9 %. 78,4 % der Retter hatten einen starken familiären Zusammenhalt erlebt, dagegen 55,7 % der Nicht-Retter. 32 % der Retter und 40 % der Nicht-Retter berichteten von Körperstrafen in der Familie. Auffällig dabei ist, dass die Körperstrafen in den Familien der Retter eher keine Erziehungsroutine waren, sondern selten oder manchmal vorkamen und häufig den Strafen Belehrungen und Begründungen vorausgingen oder manchmal – den Fallbeispielen folgend - sogar Entschuldigungen folgten. Bei den Nicht-Rettern zeigten sich mehr regelmäßige Strafen und weniger oder keine Begründungen (Oliner & Oliner 1992, S. 2, 3, 162, 179-182 + Tabellen 6.7, 7.1, 7.11 im Anhang).  Ich bin mir sicher, dass die Besonderheiten in den Familien der meisten Retter noch deutlicher zu Tage getreten wären, wenn man als Vergleichsgruppe überzeugte Nazis und Judenhasser gewählt hätte.

Die genannten Ergebnisse sind umso aussagekräftiger, wenn man sich erneut klar macht, dass diese Generation oft mit schwarzer Pädagogik überzogen wurde. Wenn die Mehrheit der Judenretter gerade nicht der Mehrheit was Kindheitshintergründe angeht entsprach, so spricht dies für alles andere als einen Zufall.



Verwendete Quelle:

Oliner, S. P. & Oliner, P. M. (1992): Altruistic Personality: Rescuers Of Jews In Nazi Europe. The Free Press, New York. Kindle E-Book Version.





Siehe ergänzend auch:
Die Kindheit von Sophie Scholl
- Die Kindheit von JudenretterInnen (Studie von Eva Fogelman)

3 Kommentare:

Bianca W hat gesagt…

https://m.tagesspiegel.de/kultur/erziehung-und-gewalt-sind-diktatoren-auch-das-produkt-einer-traumatischen-kindheit/24411064.html?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

Bianca W hat gesagt…

https://m.tagesspiegel.de/kultur/erziehung-und-gewalt-sind-diktatoren-auch-das-produkt-einer-traumatischen-kindheit/24411064.html

Sven Fuchs hat gesagt…

Hallo Bianca,

danke für den doppelten Hinweis auf die Rezi meines Buches ;-).
Frau Fetscher hatte nicht viel Platz, hat das aber ganz wunderbar gemacht.