Erneut habe ich eine interessante Arbeit durchgesehen:
Sutterlüty, F. (2003): Gewaltkarrieren: Jugendliche im Kreislauf von Gewalt und Missachtung. Campus Verlag, Frankfurt am Main (2. Auflage).
Der Autor hat Gespräche mit 18 gewalttätigen Jugendlichen (15 männlich, 3 weiblich) im Alter zwischen 15 und 21 Jahren geführt. Destruktive Kindheitserfahrungen kamen offensichtlich derart deutlich ins Blickfeld, dass Sutterlüty fast 100 Seiten unter dem Obertitel „Gewalt und Missachtung in der Familie“ dazu aufführt. An einer Stelle schreibt er zusammenfassend:
„Die interviewten Jugendlichen, die wiederholt als Gewalttäter in Erscheinung treten, wurden ausnahmslos – meist über einen längeren Zeitraum hinweg und bereits in frühen Phasen ihrer familiären Sozialisation – Opfer familiärer Gewalt und gewaltbelasteter Familienverhältnisse. Sie sind in Familienverhältnissen aufgewachsen, die man als einen dauerhaften Gewaltzusammenhang bezeichnen kann. Wenn man den Erzählungen der Jugendlichen folgt, fällt auf, dass Vorkommnisse von Gewalt in ihren Familien durchweg mit Erfahrungen der Ohnmacht verbunden waren“ (S. 150f.).
Die Details der Studie kann ich hier nicht besprechen. Für diesen Beitrag möchte ich gezielt die Biografien von drei rechten Jugendlichen hervorheben.
Fall „Kai“ (S. 48 +286f.):
Kai war aktives Mitglied in der rechten Skinheadszene und hat in der Zeit zwischen seinem 16. und 18. Lebensjahr diverse Gewalttaten begangen. Auffällig bei Kai war besonders seine Faszination für Gewalt und Grausamkeiten. Kais Kindheit wird nicht ausführlich geschildert, aber die kurzen Details zeugen von einer sehr destruktiven Kindheit. Sein Vater war gewalttätig und schlug die Kinder. Innerhalb der Familie scheint es vor allem auch unter den vielen Geschwistern massive Konflikte gegeben zu haben. So wird deutlich, dass Kai seine drei jüngeren Geschwister ablehnte und wünschte, sie wären nie geboren worden. Ergänzend belasteten ihn Missachtungs- und Ausgrenzungserfahrungen, die vor allem seine Mutter zu erleiden hatte.
Fall „Kilian“ (S. 151-155):
Kilian war aktives Mitglied in der rechten Skinheadszene in Ostberlin. Sein Vater trank oft Alkohol und wurde dann auch gewalttätig. Die väterliche Gewalt richtetet sich dann auch gegen Kilians Mutter. Kilian selbst wurde aber nicht vom Vater, sondern von seiner Mutter geschlagen. Die Mutter schlug außerdem Killians Schwester und Kilian wurde Zeuge dieser Gewalt. Die mütterliche Gewalt gegen Kilian kam häufig vor, wurde teils mit Gegenständen ausgeführt und hinterließ auch Verletzungen bis hin zu Blutungen. Der Vater schützte seinen Sohn nicht vor dieser Gewalt. Kilians Eltern trennten sich, als Kilian ca. 11 Jahre alt war. Danach sah er seinen Vater kaum noch. In der Familie gab es zudem sehr viele Verbote und offensichtlich eine allgemein autoritäre Erziehung.
Fall „Olaf“ (S. 159-163):
Olaf war Teil einer rechtsextremen Gruppe in Ostdeutschland. Der Vater war sehr kontrollierend und schlug seinen Sohn regelmäßig, ja fast täglich. Der Vater sei außerdem jeden Tag betrunken nach Hause gekommen. Die Mutter schützte ihren Sohn nicht und war offensichtlich selbst den Aggressionen ihres Mannes ausgesetzt. Irgendwann hätten ihm die Schläge des Vaters nichts mehr ausgemacht bzw. er hätte nichts mehr gespürt (Anmerkung: was für eine psychische Spaltung spricht).
Demnächst werde ich in einem gesonderten Beitrag alle von mir gefundenen bzw. besprochenen Studien zum Thema „Kindheit von Rechtsextremisten" zusammenführen. Die empirische Datenlage ist geradezu überwältigend. Es ist vor diesem Hintergrund nicht zu verstehen, dass nicht in allen großen Debatten (und auch Veröffentlichungen von Fachbüchern) über die Ursachen von Rechtsextremismus das Thema Kindheit zentral besprochen wird.
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