Freitag, 14. Januar 2022

Trauma-Täter und der Gehirntumor meines Nazi-Großvaters

In diesem Beitrag geht es mir um die Sicht von Menschen (dabei auch vor allem von Menschen, die zum Opfer wurden oder die Angehörige von Opfern sind) auf Täter und Täterinnen. Dem möchte ich einige Gedanken des Psychologieprofessors und Psychotherapeuten Franz Ruppert (*siehe unten eine ergänzende kritische Anmerkung bzgl. Rupperts Wirken in der Corona-Pandemie) voranstellen:

Trauma-Täter zu sein ist, wenn es einmal geschehen ist, ein bleibendes Faktum. Wenn jemand einen anderen Menschen Schaden zufügt, der nicht gutzumachen und sozial inakzeptabel ist, so ist das nicht nur für sein Opfer, sondern auch für ihn als Täter eine traumatisierende Lebenserfahrung. Sie führt zu einer bleibenden Beschädigung der Psyche. Denn aus dem Faktum des Trauma-Täterseins folgt: Solange seine Psyche gesund funktioniert, und einen Rest gesunder Psyche hat auch jeder Täter, hat ein Täter angesichts der Realität seiner Tat ein nagendes schlechtes Gewissen. Er macht sich selbst schwere Schuldgefühle, es steigen massive Schamgefühle in ihm hoch und er hat Angst vor sozialer Ächtung. Das sind auf Dauer nicht aushaltbare emotionale Spannungszustände. Daher müssen solche Gefühle aus dem Bewusstsein eines Trauma-Täters ausgegrenzt und abgespalten werden. D.h., auch Trauma-Täter sind – wie ihre Opfer – nach einer Tat gezwungen, sich psychisch zu spalten, um innerlich zu überleben. Dies umso mehr, wenn sie weiter mit ihrem Opfer oder deren Angehörigen in einer (Zwangs-)Gemeinschaft zusammen sind“ (Ruppert, Franz (2021): Die Täter-Opfer-Dynamik. In: Reiß, H. J., Janus, L., Dietzel-Wolf, D. & Kurth, W. (Hrsg.): Kindheit ist politisch – Die Bedeutung der frühen Kindheit für die Konflikt- und Handlungsfähigkeit in der Gesellschaft (Jahrbuch für psychohistorische Forschung Band 21), Mattes Verlag, Heidelberg, S. 376) 

Das Wortpaar „Trauma-Täter“ finde ich sehr passend! Es beschreibt nach meinem Verständnis zwei Seiten: 

1. Die Täter waren (meist) vorher selbst Opfer, die Grundlage für eigene Täterschaft. 

2. Durch ihre eigene Taten werden Täter und Täterinnen ebenfalls traumatisiert. 

Meine Anmerkungen dazu: 

Je mehr Taten ein Mensch begeht, desto mehr muss er innerlich abwehren. Logisch! In der Folge wird ein solcher Mensch emotional immer „kälter“ bzw. spürt nichts mehr. Nach außen können teils große Gefühlsausbrüche gespielt/inszeniert werden, was der innerlichen Realität allerdings nicht entspricht. 

Mir geht es hier wie anfangs gesagt aber gar nicht so sehr um die Täter, sondern darum, dass viele Opfer meiner Beobachtung nach oftmals an den Tätern emotional „hängen“ bleiben. Die Taten sind unfassbar und haben so viel Leid erzeugt, ob nun das eigene Leid oder das Beobachtete. Menschen neigen dazu, von den Tätern eine Regung zu fordern, eine Erklärung, bestenfalls eine ernst gemeinte Entschuldigung, eine empathische Reaktion, etwas Menschliches, irgendetwas! Die Erfahrung zeigt, dass solche Reaktionen kaum zu erwarten sind. Im Gegenteil: Täter wie z.B. Anders Breivik bedauern noch im Gerichtssaal, dass sie nicht noch mehr Menschen getötet haben. Oder sie steigern sich in diverse Abwehrhaltungen hinein („Es waren nur Befehle, ich selbst bin das Opfer“).  

Noch verstrickter wird es, wenn die Täter (Frauen sind mitgemeint!) aus der eigenen Familie kommen. Die Opfer sind emotional gebunden und fordern noch weit mehr eine Reaktion des Täters ein, sofern sie es irgendwann schaffen, diesen zu konfrontieren. Die Erfahrung zeigt, dass die Reaktionen oder besser Nicht-Reaktionen der Täter oft nur erneute Verletzungen verursachen. Opfer sollten ihre eigene Heilung und ihren eigenen weiteren Lebensweg nicht von der Reaktion der Täter abhängig machen! 

Was aber hilft, davon bin ich überzeugt, ist, die innere Dynamik von Tätern zu verstehen. Denn dies löst Menschen von ihren Fragen und ihrem Warten auf Reaktionen. Wenn also erstens Täter oftmals selbst Opfer waren (was an sich eine innere Spaltung begünstigt) und zweitens durch ihre Taten erneut traumatisiert werden und sich dadurch noch mehr innerlich von ihrem eigenen „Ich“ abspalten müssen, dann bräuchte es wohl etliche Jahre an Psychotherapie, starken Willen und schmerzhafter Arbeit an sich selbst, damit solche Menschen zu wirklich emotionalen Reaktionen gegenüber den Opfern fähig wären. Damit sie wirklich nachfühlen und sich ernsthaft für ihre Taten schämen und entschuldigen könnten. 

Ich bin davon überzeugt, dass ab einem gewissen Grad der eigenen Täterschaft Menschen auch bzgl. menschlicher Regungen „verloren“ sind. Sie werden es in ihrem Leben nicht mehr schaffen, aus der inneren Kälte herauszutreten (im Grunde die größte Strafe für einen Menschen, der nur dieses eine Leben hat!). Menschen wie Anders Breivik z.B. haben so viele Menschen getötet, wenn er selbst dies wirklich innerlich nachfühlen könnte, was er getan hat, er würde innerlich gesprengt werden und müsste sich wohl selbst töten (Breivik strahlt es an sich auch wie ein Paradebeispiel aus: dieser Mann ist emotional absolut tot!). Das Gleiche gilt aber natürlich auch für den Täter-Vater oder die Täterin-Mutter, die jahrelang die eigenen Kinder terrorisiert haben. 

Ich möchte nicht alle Aussöhnungsprozesse und auch Therapieangebote für Täter in Abrede stellen. Bitte versteht mich nicht falsch! Jeder kleine Erfolg bzgl. Trauma-Tätern ist ein Erfolg. Und ja, sie sind und bleiben auch immer Menschen. Mir geht es schlicht darum, dass wir nicht all zu viel von Trauma-Tätern erwarten dürfen. Diese Erwartungen und auch viele Fragen an die Täter sind Fakt und auch verständlich. Ich für meinen Teil konzentriere mich lieber auf die Prävention: Opfererfahrungen verhindern und frühzeitige Aufarbeitung von Opfererfahrungen IST Täterprävention. 

Franz Ruppert hat über Trauma-Täter auch folgendes geschrieben: 

Weil sie kein eigenes Ich haben und mit sich selbst nichts anfangen können, brauchen Trauma-Täter weiterhin die Beziehung zu ihren Opfern und können diese nicht in Ruhe lassen. (…) Ohne ihre (potentiellen) Opfer sind Trauma-Täter selbst nichts! Eine leere Hülle! Wenn man bedenkt, wie viele Trauma-Opfer sich ihr Leben lang unablässig Gedanken über die Trauma-Täter machen, so muss diese Erkenntnis für sie absolut erschütternd und ernüchternd sein: Der Trauma-Täter besteht in Wahrheit innerlich aus nichts! Alles an ihm ist nur Fassade.“ (ebd., S. 380). Besser kann man es kaum zusammenfassen. 

Mein Großvater väterlicherseits war ein Nazi und bei der SS. Außerdem war er als Vater kalt und teils auch grausam. Er hatte auch seine menschlichen Seiten (Franz Ruppert würde von dem „gesunden Teil der Psyche“ sprechen, der immer bleibt). Aber er hatte auch bis zum Ende diese „innerliche Kälte“, aus der er nicht heraustreten konnte. Vor seinem Tod traf ich ihn ein letztes Mal im Krankenhaus. In seinen Augen sah ich Angst. Trauma-Täter gehen nicht in Frieden aus dieser Welt. Das ist tragisch, aber so ist es. 

Mein Großvater starb an einem Gehirntumor. Auch wenn es sicher keine empirischen Belege dafür gibt, dass Nazis häufiger an einem Tumor sterben, als andere Menschen: Für mich steht fest, dass dieser Gehirntumor auch ein Ausdruck dessen war, wie er sein Leben gelebt, was für Entscheidungen er getroffen und welche Taten er begangen hat. Als mein Großvater starb, hat mich das kaum berührt. Er war kein Mensch, dem man sich emotional nahe fühlen konnte...


* Ich schätze die Expertise von Franz Ruppert bzgl. Traumafolgen sehr, deswegen zitiere ich ihn hier! Mir ist bewusst, dass Ruppert bzgl. der Corona-Pandemie eine Haltung gezeigt hat, die eine deutliche Tendenz für Verschwörungsglaube zeigt. Seine Haltung zeigte er sehr offen auf entsprechenden Portalen wie KenFM oder Rubikon. Ich distanziere mich von solchem Gedankengut! Solange Ruppert nicht in eine verfassungsfeindliche Richtung abdriftet, greife ich allerdings trotzdem auf seine Expertise bzgl. Traumatisierungen zurück. 

7 Kommentare:

Michael Kumpmann hat gesagt…

Trauma Täter müssen nicht zwingend ein schlechtes Gewissen haben. Irgendwo bei Funk haben sie mal was über Mobbing gezeigt, wo eine Schülerin eine Andere beinahe in den Suizid getrieben hätte. Die Täterin reagierte, als man sie auf das Opfer ansprach nur mit "Wer soll das überhaupt sein?" Die wusste nicht mal mehr, dass sie es gemacht hat, oder wer das Opfer war.

Michael Kumpmann hat gesagt…

Dieses Stalker Benehmen, was der Psychologe da anspricht, das ist mir bei so einigen auch aufgefallen. Es gibt ab und zu immer wieder Leute, die in nem Streit anfangen, jemandem richtig nachzustellen. Selbst wenn man sonst nichts miteinander zu tun hat. Das Thema ist schon längst abgeschlossen, aber solche Personen erbringen Wochen oder Monate damit, Kommunikationsmöglichkeiten zu finden, und einem Beleidigungen oder Drohungen zu schicken. Dass man immer wieder auf solche Leute trifft, find ich seltsam.

Möglicherweise läuft das auf Hegels Herr/Knecht Dialektik raus. Der Täter sucht beim Opfer um Anerkennung. Auf ne eigenartige, kranke Weise.

Anonym hat gesagt…

Bezüglich des Gehirntumors Ihres Grossvaters musste ich an Gabor Matès "Wenn der Körper nein sagt" denken. Vereinfacht gesagt, berichtet dieser von folgendem Muster: Krebserkrankung bei emotionaler Unterdrückung (supression) und Herzinfarkt, Schlaganfall etc. bei Jähzorn (acting out). Interessant ist allerdings, dass beide Formen von Angst motiviert sind. Echte Aggression sieht nämlich anders aus.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle aber noch einen blasphemischen Gedanken... ich weiss ja nicht welche Taten Ihr Grossvater verübt hat, aber Sie, und ich nehme auch an andere Mitglieder Ihrer Familie, hätten es wohl kaum gutgeheissen, wenn Ihr Opa z.B. mit der Erschiessung von Bolschewiken oder was auch immer geprahlt hätte. Das macht dann aber die innere Unterdrückung notwendig, um die emotionale Bindung nicht zu gefährden. Was aber wenn Hitler gewonnen hätte? Was wenn Ihr Grossvater dann 'ein Held' gewesen wäre und für das Töten von Feinden bewundert worden wäre? Wie wäre dann sein Leben verlaufen und wie zu Ende gegangen?

Sven Fuchs hat gesagt…

Ja, interessanter Gedanke.

1. Mein Großvater hat bis zum Ende geschwiegen und seiner Frau gesagt, er hätte "damals nichts gemacht". (Sie hat ihm nicht geglaubt, zeigte mir ihr Blick, als sie dies einmal berichtet hat) Nun, er war bei der SS und auch im Osten eingesetzt. Ich gehe davon aus, dass er ein Mörder war.

2. Es gab genügend Gesellschaften, die Gewalt gegen bestimmmte Gruppen/Menschen guthießen (inkl. Stammeskulturen). Jetzt kommt es auf das Menschenbild an. Wenn wir davon ausgehen, dass zu jedem Menschen ein psychisch gesunder Kern gehört, dem "klar ist", dass Grausamkeiten gegen andere Menschen falsch sind, dann müsste eigenes Gewaltverhalten immer durch die Unterdrückung der eigenen Gefühle begegnet werden. Dann wäre es auch schädlich, Grausamkeiten begangen zu haben, wenn Hitler gewonnen hätte.
Aber: Natürlich zielt Dein Gedanke auch in eine logisch nachvollziehende Richtung: Irgendwie wäre es für die Täter auch leichter gewesen, wenn sie gewonnen hätten. Sicher.

Anonym hat gesagt…

Kennen Sie "Ich beneide jeden, der lebt" von Oswald Spengler? Seiner Zeit eine sehr wichtige Figur der extremen Rechten, spricht dieser Klartext über eine lieblose Kindheit und Familie.

Anonym hat gesagt…

"Solange Ruppert nicht in eine verfassungsfeindliche Richtung abdriftet, greife ich allerdings trotzdem auf seine Expertise bzgl. Traumatisierungen zurück".

Hierzu hätte ich eine Frage : Ruppert nutzt ja seine Traumatheorie als Vorlage um die Schädlichkeit der Coronamaßnahmen zu untermauern. Ist es dann überhaupt möglich beides voneinander zu trennen ? Ernst Mach bezweifelte seinerzeits die Existenz von Atomen und war trotzdem anerkannter Physiker. Ebenso könnte es bei Ruppert sein und sich letztendlich seine Traumatheorie als falsch herausstellen.

Sven Fuchs hat gesagt…

Meine Antwort:

Ruppert hat selbst beschrieben, dass er traumatische Erfahrungen gemacht hat, die ihn prägten.