Donnerstag, 16. Juli 2015
Studie. Kindheiten von fremdenfeindlichen, teils rechtsextremen Gewalttätern.
Ich habe kürzlich eine (schon etwas ältere) Studie über fremdenfeindliche, teils rechtsextremistische Gewalttäter gefunden, die ich hier besprechen möchte: Frindte, Wolfgang / Neumann, Jörg (Hrsg.) (2002): Fremdenfeindliche Gewalttäter. Biografien und Tatverläufe. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Für die Studie wurden Daten von 91 verurteilten männlichen Straftätern erhoben, die im Strafvollzug oder Einrichtungen der Bewährungshilfe sowohl interviewt als auch schriftlich befragt wurden. Das durchschnittliche Geburtsjahr der Gewalttäter war 1978. Die Täter sind bereits frühzeitig aufgefallen, bis zum Abschluss des strafmündigen Alters von 14 Jahren hatten bereits 2/3 Polizei und 1/3 Gerichtskontakt.
In ihrer Zusammenfassung bzgl. des biografischen Verlaufs der Täter schreiben Neumann und Frindte u.a.:
„In den biografischen Erzählungen der interviewten Täter zeigt sich ganz offensichtlich die nachhaltige negative Wirkung einer gewaltbesetzten Familienkonstellation. Dies paart sich mit Fehlen einer stabilen emotionalen Beziehung zu Mutter, Vater oder einer anderen Bezugsperson. Dagegen ist die familiale Situation bestimmt durch vielfache Brüche, Beziehungsstörungen und Disharmonie.“ (S. 149) Bereits in der Schule fielen die Befragten auf, durch Leistungsversagen, Verhaltensauffälligkeiten, delinquentes Verhalten und Schulabbruch. Im Durchschnitt begann dann ab dem Alter von 14 Jahren die Gruppensozialisation in rechten Jugendcliquen. (S. 149)
Im Grunde sind somit die grundlegenden Informationen bereits benannt. Im Detail möchte ich jetzt auf die Zahlen eingehen:
30 % der Befragten lebten als Kind zu irgendeinem Zeitpunkt in einem Heim.
20 % der Befragten wurden bereits bei ihrer Geburt vom Vater verlassen. Nur 44 % lebten mit ihrem leiblichen Vater bis zum 14. Lebensjahr zusammen. Ca. 40 % lebten zu irgendeinem Zeitpunkt mit einem Stiefvater oder einem neuen Freund der Mutter zusammen.
Mutter, Vater und Stiefvater wendeten oftmals Gewalt gegen das Kind an. Leider wurde wie so oft in ähnlichen Studien versäumt, die Häufigkeit des Gewaltverhaltens (was die Folgeschäden wesentlich beeinflusst) abzufragen. Es wurde zudem auch nicht dargestellt (auch das ist in vielen ähnlichen Studien leider gängig), ob es einzelne Täter gab, die keine einzige Form von Gewalt in der Kindheit erlebt und/oder keine belastenden Erfahrungen wie Heimunterbringung oder Miterleben von Gewalt gemacht haben. Oder anders formuliert: Gibt es rechte Gewalttäter, die als Kind Liebe und Geborgenheit erfahren haben und gewaltfrei aufgewachsen sind? Die vorhandenen Daten der hier besprochenen Studie sprechen dafür, dass diese Frage mit Nein zu beantworten ist.
In der schriftlichen Befragung wurde das Gewaltverhalten von Mutter und Vater jeweils getrennt erhoben. Dabei ist den Forschenden leider ein Fehler unterlaufen. Das Gewaltverhalten der Mutter wurde versehentlich auch in die Tabelle bzgl. des Gewaltverhaltens des Vaters übernommen. Im Text auf Seite 121 wurde aber eine Prozentangabe bzgl. der schweren Gewalt durch die Väter gemacht. Zudem wurden Ergebnisse aus den mündlichen Interviews ergänzend erwähnt, so dass sich ein Bild ergibt.
Bestrafungen durch die Mutter:
- Tracht Prügel (schwere Gewalt): 30 %
- angeschrien: 58 %
- herabgesetzt: 18 %
- nicht beachtet worden: 20 %
- Ohrfeige: 37 %
- Klaps: 38 %
- Hausarrest/Verbote: 58 %
Bestrafungen durch den Vater:
- Tracht Prügel (schwere Gewalt): 54 %
Andere im Buch in Abbildung 18 (S. 121) Prozentwerte sind nicht verwertbar, weil fälschlich im Buch dargestellt bzw. versehentlich Daten von Müttern übernommen wurden.
In den mündlichen Interviews berichteten 63 % von Gewalt seitens der Mutter (davon 46 % schwere Gewalt) und 60 % von Gewalt durch den Vater (davon 80 % schwere Gewalt). Bzgl. der Stiefväter ergab sich das gleiche Verhältnis: 60 % Gewalt (davon 80% schwer)
Bedenkt man dabei, dass ca. 20 % der Befragten (18 Personen von 91) seit Geburt ohne leiblichen Vater aufwuchsen, ergibt sich real noch mal ein anderer Wert bzgl. der Betroffenheit väterlicher Gewalt. Denn diese 18 Personen werden logischer Weise angegeben haben, dass sie keine väterliche Gewalt erlebt haben, weil der Vater einfach nicht da war. Dadurch verklärt sich die Auswertung.
Nimmt man die Ergebnisse aus den Interviews (60% von 91 Befragten) dann gaben rund 55 Befragte an, väterliche Gewalt erlebt zu haben. Diese 55 Befragten muss man jetzt in Relation zu den 73 Befragten sehen, die überhaupt mit leiblichen Vätern aufgewachsen sind. Somit würde sich ergeben, dass ca. 75 % Gewalt durch leibliche Väter erlebt haben.
Zudem ergibt sich wie bei allen ähnlichen Studien das Problem der fehlenden Erinnerung (durch Abspaltung oder Verdrängen des Erlebten) , was routinemäßig Ergebnisse verzerrt. Diesen Hinweis möchte ich hier explizit einbringen, weil im hintern Teil des Buches zwei („Rolf“ und „Jochen“) der 91 Gewalttäter ausführlich dargestellt werden. „Rolf“ hat den Angaben nach mehrmals im Interview gesagt, dass er weitgehend keine Erinnerungen an die Kindheit hat. (S. 158)
Geht man jetzt gedanklich davon aus, dass in einigen Fällen vielleicht nur die Mutter Gewalt angewandt hat oder nur der Vater oder nur der Stiefvater ergibt sich bei den o.g. Werten die Vermutung, dass wenn überhaupt nur ein kleiner Bruchteil der Befragten keine Gewalt erlebt haben wird.
Den Familienalltag in der Kindheit beschrieben die Mehrzahl der befragten Gewalttäter als geprägt von Streit, Geschrei und Disharmonie. 64 % bezogen auf die Mutter, 89 % auf den Vater und ¾ auf den Stiefvater. Von einem autoritären Erziehungsstil, der kaum Möglichkeiten zu eigenen Entscheidungen ließ, erzählten im Schnitt 60 % der Befragten. 61 % der befragten Gewalttäter gaben im schriftlichen Fragebogen an, dass ihre Eltern wenig Interesse für sie gehabt hätten. Gewalt zwischen den Eltern haben 20 % miterlebt.
(alle o.g. Daten S 119-124)
Ab Seite 156 stellt Christine Wiezorek – wie oben schon kurz erwähnt – zwei Fallbeispiele ausführlich vor: Die Biografie von „Rolf“ und von „Jochen“. Mir wurde beim Lesen dieser beiden Fälle mal wieder deutlich, dass Zahlen und Rahmendaten wie oben aufgezeigt nur ein erstes Licht auf das werfen, was Kinder erleiden. Erst im biografischen Detail offenbart sich das ganze Grauen. Ich gebe nur kurz einiges wieder:
Fall „Rolf“: Unmittelbar nach seiner Geburt kam Rolf in ein Heim, da seine Mutter eine längere Haftstrafe abzusitzen hatte. Insgesamt hat Rolf eigenen Angaben zu Folge während seiner Kindheit in 9 oder 10 verschiedenen Heimen gelebt, einmal auch in einer psychiatrischen Einrichtung. Er berichtet, dass er sich weitgehend nicht an seine Kindheit erinnern kann. Dies spricht für besonders schwere und häufige Gewalt-- und Demütigungserfahrungen, die dann abgespalten werden, um psychisch zu überleben. Rolf hat noch 4 Geschwister, die jeweils einen anderen Vater haben. Konflikte in der Familie aber auch außerhalb wurden oftmals mit Gewalt gelöst. Die Mutter schlug und prügelte Rolfs Geschwister, aber auch Menschen außerhalb der Familie. Einen Mann soll die Mutter derart zusammengeschlagen haben, dass dieser danach im Rollstuhl saß. Hatte Rolf Ärger mit anderen Leuten, wurde die Mutter auch mal handgreiflich diesen Personen gegenüber. Innerhalb der Familie scheint eine generelle Gefühlskälte und Kommunikationsstörung geherrscht zu haben. Rolf scheint auch einige Zeit auf der Straße gelebt zu haben. Er wurde früh kriminell und auch suchtkrank.
Fall „Jochen“: Auch Jochen lebte einige Jahre seiner frühen Kindheit in einem Heim. Seine Mutter hatte noch zwei Töchter, die aber in einem anderen Heim untergebracht wurden. Jochen wurde also zusätzlich von seinen Geschwistern, mit denen er sich sehr verbunden fühlte, getrennt. Mit ca. 8 oder 9 Jahren kamt Jochen wieder nach Hause zu seiner Mutter, die mittlerweile einen neuen Mann gefunden hat. Dieser Mann, sein Stiefvater, war brutal gegen alle Familienmitglieder. Er schlug und prügelte auch ohne Anlass, eher aus einer Stimmung heraus. Wenn die Mutter dazwischenging und Jochen schützen wollte, erhielt sie die Schläge, was zu ihrem Rückzug führte. Der Stiefvater sei außerdem wenig zu Hause gewesen sondern eher in Kneipen und bei seinen Kumpels. Jochen floh schließlich aus seinem Elternhaus und lebte einige Zeit auf der Straße. Später kam er wieder zurück. Erneut begann eine Spirale der Gewalt in der Familie. Besonders erschüttert wurde Jochen, als seine ältere und schwangere Schwester (die er besonders liebte) mit ihrem Freund in einen anderen Ort zieht, ohne Jochen zu sagen wohin genau. Er verlor dadurch Halt und seinen Rückzugsort, den seine Schwester (und auch deren Freund) für ihn bedeuteten. Nach einem Jahr kam die Schwester allerdings alleine wieder zurück. Sie hatte sich von ihrem Freund, der sie u.a. vergewaltigt hatte, getrennt. Für Jochen brach dadurch sein Vertrauen in die Welt zusammen.
Im Alter von 14 Jahren wurde Jochen zum ersten Mal verurteilt, mit 16 erhielt er seine erste Haftstrafe. Zur Interviewzeit saß er, 22 Jahre alt, bereits seine dritte Haftstrafe ab.
Montag, 13. Juli 2015
Breiviks Vater gibt ein langes, aufschlussreiches Interview
Der Vater von Anders Behring Breivik, Jens Breivik, hat kürzlich für das Süddeutsche Zeitung Magazin (Heft 26/2015, „»Ich hätte gerufen: Erschieß mich zuerst!«) ein langes Interview gegeben. Das Bild, das wir über Anders Kindheit erhalten, wird somit immer komplexer. (Letztlich fehlt nur noch die Aussage der Schwester von Anders) Der Vater selbst fährt im Interview keine klare Linie bzgl. der Frage, warum sein Sohn zum Massenmörder wurde. Er sagt z.B. auf die Frage, ob das Böse Anders "eher wie ein Virus befallen" hätte oder ob eher "eine lange Entwicklung" dahinter stünde, dass niemand daraus schlau wurde, auch die im Prozess beauftragten Psychiater nicht.
Im Interview bestätigt er viele Details, über die vereinzelnd schon berichtet wurde. Z.B. dass er 1983 von einer Nachbarin seiner Ex-Frau angerufen wurde, weil „seltsame Dinge in dieser Wohnung“ geschähen (Streit, laute Stimmen, viel Männerbesuch und das Anders und seine Schwester oft alleine zu Hause waren, auch nachts.). Oder dass Psychologen des Jugendamtes ihn angeschrieben hatten. Nach dem Aufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtung war empfohlen worden, Anders von seiner Mutter zu trennen. Jens Breivik versuchte dann das Sorgerecht zu erstreiten, verlor aber den Prozess.
Für mich besonders interessant ist, dass Jens Breivik auch etwas über die Zeit erzählt, wo Anders noch Baby war (diese bekam er ja einige Monate mit, danach trennte er sich von seiner Frau). Anders Mutter sei kühl gewesen. „Sie war nicht fürsorglich. Als er ein Baby war, tat sie nur, was getan werden musste, wechselte die Windeln, badete ihn.“ Sie habe ihn nicht in den Arm genommen oder gesagt „Ich hab Dich lieb.“
Jens Breivik deutet auch an, dass seine Frau unbedingt ein Kind wollte, es aber alleine großziehen wollte und für sich beanspruchte. Er bestätigt auch, dass seine Ex-Frau zwei Gesichter hatte und sehr wechsellaunig war.
Aber auch Jens Breivik scheint - "Ich bin kein Gefühlsmensch."- kein besonders emotionaler Mensch zu sein und offenbart auch deutlich väterliche Erwartungen an das Kind Anders, die eher erfolgs- und leistungsbezogen sind, etwas, was Anders nie erfüllte. Er sei als Vater nie stolz auf seinen Sohn gewesen.
Etwas später sagt er: „Seine Kindheit mag traurig gewesen sein, aber keine Katastrophe.“ Was Aage Borchgrevink über Breiviks Kindheit herausgefunden hat und was sich letztlich auch im Interview mit Jens Breivik zeigt ist, dass diese Kindheit ein einziger Alptraum, eine einzige Katastrophe war! Letztlich wird Jens Breivik am Ende des Gespräches überdeutlich. Er wurde gefragt: „Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten an einen beliebigen Zeitpunkt seit Anders’ Geburt: Wohin?“ Seine Antwort: "Nach 1983. Ich würde alles unternehmen, damit er kein Terrorist wird, und sofort von Paris nach Oslo zurückziehen, in seine Nähe.“
Im Interview bestätigt er viele Details, über die vereinzelnd schon berichtet wurde. Z.B. dass er 1983 von einer Nachbarin seiner Ex-Frau angerufen wurde, weil „seltsame Dinge in dieser Wohnung“ geschähen (Streit, laute Stimmen, viel Männerbesuch und das Anders und seine Schwester oft alleine zu Hause waren, auch nachts.). Oder dass Psychologen des Jugendamtes ihn angeschrieben hatten. Nach dem Aufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtung war empfohlen worden, Anders von seiner Mutter zu trennen. Jens Breivik versuchte dann das Sorgerecht zu erstreiten, verlor aber den Prozess.
Für mich besonders interessant ist, dass Jens Breivik auch etwas über die Zeit erzählt, wo Anders noch Baby war (diese bekam er ja einige Monate mit, danach trennte er sich von seiner Frau). Anders Mutter sei kühl gewesen. „Sie war nicht fürsorglich. Als er ein Baby war, tat sie nur, was getan werden musste, wechselte die Windeln, badete ihn.“ Sie habe ihn nicht in den Arm genommen oder gesagt „Ich hab Dich lieb.“
Jens Breivik deutet auch an, dass seine Frau unbedingt ein Kind wollte, es aber alleine großziehen wollte und für sich beanspruchte. Er bestätigt auch, dass seine Ex-Frau zwei Gesichter hatte und sehr wechsellaunig war.
Aber auch Jens Breivik scheint - "Ich bin kein Gefühlsmensch."- kein besonders emotionaler Mensch zu sein und offenbart auch deutlich väterliche Erwartungen an das Kind Anders, die eher erfolgs- und leistungsbezogen sind, etwas, was Anders nie erfüllte. Er sei als Vater nie stolz auf seinen Sohn gewesen.
Etwas später sagt er: „Seine Kindheit mag traurig gewesen sein, aber keine Katastrophe.“ Was Aage Borchgrevink über Breiviks Kindheit herausgefunden hat und was sich letztlich auch im Interview mit Jens Breivik zeigt ist, dass diese Kindheit ein einziger Alptraum, eine einzige Katastrophe war! Letztlich wird Jens Breivik am Ende des Gespräches überdeutlich. Er wurde gefragt: „Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten an einen beliebigen Zeitpunkt seit Anders’ Geburt: Wohin?“ Seine Antwort: "Nach 1983. Ich würde alles unternehmen, damit er kein Terrorist wird, und sofort von Paris nach Oslo zurückziehen, in seine Nähe.“
Donnerstag, 9. Juli 2015
Studie: Zahlen über Kindesmisshandlung in 28 Ländern
Ich habe heute eine große Studie - Akmatov, MK (2011): Child abuse in 28 developing and transitional countries—results from the Multiple Indicator Cluster Surveys. International Journal of Epidemiology 40(1): 219-227 - gefunden, die vermutlich auch in bereits hier im Blog besprochenen UNICEF-Studien eingeflossen ist, sie entspricht offensichtlich zumindest den gleichen Standards. Befragt wurden Eltern/Sorgeberechtigte von 124.916 Kindern im Alter zwischen 2 und 14 Jahren in 28 Ländern. Erfasst wurde nur das Gewaltverhalten innerhalb von 4 Wochen vor der Befragung. Die Ergebnisse sagen also nichts über das Gewalterleben während der gesamten Kindheit aus, dies wird entsprechend höher sein! Es gibt eine gute Zahlenübersicht bzgl. aller 28 Länder. Die Zahlen sind nah dran an Datenübersichten, die ich bereits aus Studien von UNICEF besprochen habe. Afrikanische Länder und Länder des Nahen Ostens sind – das zeigt sich hier erneut – die gewalttätigsten Länder im Umgang mit Kindern. Es gibt auch einige Abweichungen verglichen mit der von mir hier besprochenen großen und aktuellsten UNICEF Studie „Hidden in Plain Sight“.
Ich stelle die Abweichung für folgende Länder beispielhaft vor:
Yemen
körperliche Gewalt: 86 % (UNICEF) / 81,4 % (Akmatov)
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 43 % (UNICEF) / 61 % (Akmatov)
psychische Gewalt: 92 % (UNICEF) / 92,3 % (Akmatov)
Guinea-Bissau
körperliche Gewalt: 74 % (UNICEF) / 65,2 % (Akmatov)
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 29 % (UNICEF) / 42,9 % (Akmatov)
psychische Gewalt: 68 % (UNICEF) / 66,6 % (Akmatov)
Kamerun
körperliche Gewalt: 78 % (UNICEF) / 63,2 % (Akmatov)
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 28 % (UNICEF) / 60,1 % (Akmatov)
psychische Gewalt: 87 % (UNICEF) / 86,1 % (Akmatov)
Irak
körperliche Gewalt: 63 % (UNICEF) / 66,8 % (Akmatov)
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 27 % (UNICEF) / 32,6 % (Akmatov)
psychische Gewalt: 75 % (UNICEF) /79,7 % (Akmatov)
Syrien
körperliche Gewalt: 78 % (UNICEF) / 74,2 % (Akmatov)
besonders schwere körperliche Gewalt: Ca. 24 % (UNICEF) / 28,9 % (Akmatov)
psychische Gewalt: 84 % (UNICEF) / 83,1 % (Akmatov)
Elfenbeinküste
körperliche Gewalt: 73 % (UNICEF) / 69,9 % (Akmatov)
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 23 % (UNICEF) / 36,9 % (Akmatov)
psychische Gewalt: 88 % (UNICEF) / 87,1 % (Akmatov)
Es zeigt sich, dass in der Studie von Akmatov im Vergleich zur UNICEF Studie teils starke Abweichungen bei der besonders schweren körperlichen Gewalt zu finden sind.
Diese Studie wie auch die UNICEF Studien zeigen ein extrem hohes Ausmaß der Gewalt gegen Kinder – vor allem in den Krisenregionen der Welt. Was leider bisher fehlt sind ähnliche systematische und große Übersichten bzgl. dem Gewalterleben während der gesamten Kindheit (z.B. durch Befragungen von Jugendlichen) und die Aufschlüsselungen von Häufigkeiten (täglich Gewalt erlebt, wöchentlich, einmal im Monat oder nur selten?). Sollte eine solche große Studie eines Tages kommen, wird sie vermutlich alle bisher vorhandenen Daten in den Schatten stellen.
Ich stelle die Abweichung für folgende Länder beispielhaft vor:
Yemen
körperliche Gewalt: 86 % (UNICEF) / 81,4 % (Akmatov)
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 43 % (UNICEF) / 61 % (Akmatov)
psychische Gewalt: 92 % (UNICEF) / 92,3 % (Akmatov)
Guinea-Bissau
körperliche Gewalt: 74 % (UNICEF) / 65,2 % (Akmatov)
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 29 % (UNICEF) / 42,9 % (Akmatov)
psychische Gewalt: 68 % (UNICEF) / 66,6 % (Akmatov)
Kamerun
körperliche Gewalt: 78 % (UNICEF) / 63,2 % (Akmatov)
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 28 % (UNICEF) / 60,1 % (Akmatov)
psychische Gewalt: 87 % (UNICEF) / 86,1 % (Akmatov)
Irak
körperliche Gewalt: 63 % (UNICEF) / 66,8 % (Akmatov)
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 27 % (UNICEF) / 32,6 % (Akmatov)
psychische Gewalt: 75 % (UNICEF) /79,7 % (Akmatov)
Syrien
körperliche Gewalt: 78 % (UNICEF) / 74,2 % (Akmatov)
besonders schwere körperliche Gewalt: Ca. 24 % (UNICEF) / 28,9 % (Akmatov)
psychische Gewalt: 84 % (UNICEF) / 83,1 % (Akmatov)
Elfenbeinküste
körperliche Gewalt: 73 % (UNICEF) / 69,9 % (Akmatov)
besonders schwere körperliche Gewalt: ca. 23 % (UNICEF) / 36,9 % (Akmatov)
psychische Gewalt: 88 % (UNICEF) / 87,1 % (Akmatov)
Es zeigt sich, dass in der Studie von Akmatov im Vergleich zur UNICEF Studie teils starke Abweichungen bei der besonders schweren körperlichen Gewalt zu finden sind.
Diese Studie wie auch die UNICEF Studien zeigen ein extrem hohes Ausmaß der Gewalt gegen Kinder – vor allem in den Krisenregionen der Welt. Was leider bisher fehlt sind ähnliche systematische und große Übersichten bzgl. dem Gewalterleben während der gesamten Kindheit (z.B. durch Befragungen von Jugendlichen) und die Aufschlüsselungen von Häufigkeiten (täglich Gewalt erlebt, wöchentlich, einmal im Monat oder nur selten?). Sollte eine solche große Studie eines Tages kommen, wird sie vermutlich alle bisher vorhandenen Daten in den Schatten stellen.
Dienstag, 23. Juni 2015
Die emotionale Beschneidung der britischen Eliten in Internaten
Im ZDF Auslandsjournal gab es am 07.01.2015 einen Bericht unter dem Titel „Kindheit im Internat“. Der Beitrag ist derzeit noch online in der Mediathek einsehbar.
U.a. Sam Barber kommt in dem Bericht zu Wort. Der Erwachsene hat starke Probleme in seinem Leben, fühlt sich u.a. bindungsunfähig. Mit acht Jahren kam er ins Internat, für ihn der schlimmste Tag in seinem Leben. Sam fühlte sich nicht beschützt und sicher im Internat, einem Ort, an dem Angst herrschte, wie er sagt. “Irgendwann hört man dann auf zu weinen. Das ist der schlimmste Moment. Wenn man mit dem Fühlen aufhört und sagt: Alles in Ordnung, ich habe mich dran gewöhnt.“
Bereits fünf Jahre alte Kinder werden in Großbritannien in Internate geschickt. Mehr als 80.000 britische Kinder leben weit Weg von zu Hause in solchen privaten Einrichtungen. Und diese Orte verstehen sich meist als Elite-Schmieden, die dortigen Kinder sollen später Karriere machen und die britische Gesellschaft führen.
Der Psychotherapeut und Psychohistoriker Nick Duffel äußert sich im Auslandsjournal wie folgt:
„Wer das durchlebt, muss einen Teil seiner Persönlichkeit verleugnen. Die Gefühlswelt, Spontanität, Sexualität, dadurch gibt es Defizite bei der emotionalen Intelligenz. Und die meisten unserer Minister waren in solchen Internaten. Dabei braucht die Welt heute Politiker, die gemeinschaftlich Kompromisse finden können.“
Duffel hat über das Thema Bücher geschrieben. Das aktuellste heißt “Wounded Leaders: the Psychohistory of British Elitism and the Entitlement Illusion”. Auf seiner Homepage gibt es einiges darüber zu lesen und auch Videobeiträge, die aufschlussreich sind. (Einen Blogeintrag von Duffel möchte ich hervorheben. Darin beschreibt er, dass sich die britischen Internate natürlich verbessert haben, Gewalt, Demütigungen und Isolation haben deutlich abgenommen. Es bliebe aber immer das Trauma, von den Eltern getrennt zu werden. Darum geht es! Und ich möchte persönlich anmerken, dass die heutige Machtelite in dieser Region noch Kindheiten in Internaten verbracht hat, wo die Rahmenbedingungen noch nicht so aussahen wie heute.)
Ich finde seine Denkansätze wichtig und interessant. Letztlich geht es um die Frage, was für Menschen wir an der Macht und in Führungspositionen wollen? Ich habe mich hier im Blog schon häufig in der Hinsicht geäußert, dass Machtpositionen sehr reizvoll gerade für die Menschen sind, die als Kind schwere Ohnmachtserfahrungen gemacht haben. Dadurch verstärken sich destruktive gesellschaftliche Prozesse, weil die Führenden – so meine Vermutung – überproportional häufig emotional beschädigt zu sein scheinen. Die britische Gesellschaft scheint dies sowohl historisch als auch immer noch aktuell systematisiert und institutionalisiert zu haben. Kinder werden früh emotional beschnitten, in dem sie aus den Elternhäusern entfernt und dann in Eliteschulen auf die Führung des Landes getrimmt werden. Das ganze wird ihnen sowohl durch die Eltern, die Internatslehrkräfte als auch durch die Gesellschaft als "Wohlwollen" verkauft, wie immer wollen alle nur „das Beste für das Kind“…
Hinweis: In meinem Blog habe ich mich mit den Auswirkungen von Internatszeiten auf Politiker bereits an Hand des Beispieles von Tony Blair befasst.
U.a. Sam Barber kommt in dem Bericht zu Wort. Der Erwachsene hat starke Probleme in seinem Leben, fühlt sich u.a. bindungsunfähig. Mit acht Jahren kam er ins Internat, für ihn der schlimmste Tag in seinem Leben. Sam fühlte sich nicht beschützt und sicher im Internat, einem Ort, an dem Angst herrschte, wie er sagt. “Irgendwann hört man dann auf zu weinen. Das ist der schlimmste Moment. Wenn man mit dem Fühlen aufhört und sagt: Alles in Ordnung, ich habe mich dran gewöhnt.“
Bereits fünf Jahre alte Kinder werden in Großbritannien in Internate geschickt. Mehr als 80.000 britische Kinder leben weit Weg von zu Hause in solchen privaten Einrichtungen. Und diese Orte verstehen sich meist als Elite-Schmieden, die dortigen Kinder sollen später Karriere machen und die britische Gesellschaft führen.
Der Psychotherapeut und Psychohistoriker Nick Duffel äußert sich im Auslandsjournal wie folgt:
„Wer das durchlebt, muss einen Teil seiner Persönlichkeit verleugnen. Die Gefühlswelt, Spontanität, Sexualität, dadurch gibt es Defizite bei der emotionalen Intelligenz. Und die meisten unserer Minister waren in solchen Internaten. Dabei braucht die Welt heute Politiker, die gemeinschaftlich Kompromisse finden können.“
Duffel hat über das Thema Bücher geschrieben. Das aktuellste heißt “Wounded Leaders: the Psychohistory of British Elitism and the Entitlement Illusion”. Auf seiner Homepage gibt es einiges darüber zu lesen und auch Videobeiträge, die aufschlussreich sind. (Einen Blogeintrag von Duffel möchte ich hervorheben. Darin beschreibt er, dass sich die britischen Internate natürlich verbessert haben, Gewalt, Demütigungen und Isolation haben deutlich abgenommen. Es bliebe aber immer das Trauma, von den Eltern getrennt zu werden. Darum geht es! Und ich möchte persönlich anmerken, dass die heutige Machtelite in dieser Region noch Kindheiten in Internaten verbracht hat, wo die Rahmenbedingungen noch nicht so aussahen wie heute.)
Ich finde seine Denkansätze wichtig und interessant. Letztlich geht es um die Frage, was für Menschen wir an der Macht und in Führungspositionen wollen? Ich habe mich hier im Blog schon häufig in der Hinsicht geäußert, dass Machtpositionen sehr reizvoll gerade für die Menschen sind, die als Kind schwere Ohnmachtserfahrungen gemacht haben. Dadurch verstärken sich destruktive gesellschaftliche Prozesse, weil die Führenden – so meine Vermutung – überproportional häufig emotional beschädigt zu sein scheinen. Die britische Gesellschaft scheint dies sowohl historisch als auch immer noch aktuell systematisiert und institutionalisiert zu haben. Kinder werden früh emotional beschnitten, in dem sie aus den Elternhäusern entfernt und dann in Eliteschulen auf die Führung des Landes getrimmt werden. Das ganze wird ihnen sowohl durch die Eltern, die Internatslehrkräfte als auch durch die Gesellschaft als "Wohlwollen" verkauft, wie immer wollen alle nur „das Beste für das Kind“…
Hinweis: In meinem Blog habe ich mich mit den Auswirkungen von Internatszeiten auf Politiker bereits an Hand des Beispieles von Tony Blair befasst.
Donnerstag, 18. Juni 2015
Fall Tugce. Die Mutter von Sanel M.
Nach dem Gerichtsurteil gegen Sanel M., der wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu drei Jahren Jugendhaft verurteilt wurde, bespuckte dessen Mutter draußen ein Foto der toten Tugce Albayrak. Freundinnen und Verwandte von Tugce hatten vor dem Gerichtssaal eine kleine Gedenkstätte errichtet, auch mit Fotos der Toten. Diese Szene wurde in vielen Medien besprochen. Ich verweise an dieser Stelle auf einen Bericht der BILD, weil neben Angehörigen von Tugce auch ein Reporter dieser Zeitung die "Spuckszene" beobachtet hatte.
Neben all der Aufregung um das Verhalten der Mutter fehlt ein weiterer Gedanke: Was ist das für ein Mensch, diese Mutter von Sanel M., und wie erzog sie eigentlich ihren Sohn, als dieser noch klein war?
Es gibt manche destruktive Verhaltensweisen von Menschen, die man entschuldigen kann. Weil sie unüberlegt waren, weil sie aus Schlafmangel/Stress entstanden, im Eifer des Gefechts usw. Nachdem der eigene Sohn den Tod eines anderen Menschen verschuldet hat und abgeurteilt wird auf das Bild der Toten zu spucken gehört für mich zu den Momenten, die nicht entschuldbar sind und die vor allem auch die Grundpersönlichkeit eines Menschen offenbaren. Für mich hat die Mutter des Angeklagten am Ende des Prozesses für alle Welt noch einmal offenbart, warum junge Menschen kriminell und gewalttätig werden: Weil sie in einer kalten Familienatmosphäre aufwachsen.
Neben all der Aufregung um das Verhalten der Mutter fehlt ein weiterer Gedanke: Was ist das für ein Mensch, diese Mutter von Sanel M., und wie erzog sie eigentlich ihren Sohn, als dieser noch klein war?
Es gibt manche destruktive Verhaltensweisen von Menschen, die man entschuldigen kann. Weil sie unüberlegt waren, weil sie aus Schlafmangel/Stress entstanden, im Eifer des Gefechts usw. Nachdem der eigene Sohn den Tod eines anderen Menschen verschuldet hat und abgeurteilt wird auf das Bild der Toten zu spucken gehört für mich zu den Momenten, die nicht entschuldbar sind und die vor allem auch die Grundpersönlichkeit eines Menschen offenbaren. Für mich hat die Mutter des Angeklagten am Ende des Prozesses für alle Welt noch einmal offenbart, warum junge Menschen kriminell und gewalttätig werden: Weil sie in einer kalten Familienatmosphäre aufwachsen.
Montag, 1. Juni 2015
Serienmörder Carl Panzram: „Ich hasse die gesamte verdammte Menschheit, mich eingeschlossen.“
Ich bin aktuell durch den Artikel „History's Most Sadistic Serial Killer“ (OZY, 23.05.2015 – von Melissa Pandika) auf den Serienmörder Carl Panzram aufmerksam geworden. Neben den Schilderungen über seine Kindheit hat mich vor allem folgender Satz von Panzram dazu bewegt, etwas über ihn zu schreiben:
„I hate the whole damned human race including myself.“
Selbsthass ist die Grundlage von Hass, der sich gegen Menschen richtet. Ohne Selbsthass (das Gegenteil davon wäre Selbstliebe) wären extreme Taten nicht denkbar und nicht machbar. Auf Arno Gruen (der in all seinen Büchern auf diesen Selbsthass und die Ursachen dafür in der Kindheit eindrücklich hingewiesen hat) bin ich als junger Student durch ein einziges Zitat in einem Buch aufmerksam geworden, das sinngemäß so ging: Hass hat seine Ursache im Selbsthass. Nachdem ich diesen Satz gelesen hatte, musste ich Gruens Bücher lesen und es gingen bei mir manche Lichter an. Dazu kommt in diesem Fall noch der Bruch mit der Menschheit. Was dann übrig bleibt ist einfach nur noch Zerstörung. Menschen wie Carl Panzram sind zu anderen Zeiten, an anderen Orten die KZ- Kommandanten, Terroristenführer, Kriegsverbrecher, Sklaventreiber, Folterknechte usw.
Carl Panzram (geboren 1891) hat Anfang des 20. Jahrhunderts 23 Menschen getötet und ca. 1.000 Vergewaltigungen begangen. Dazu kommen Einbrüche, Diebstahl usw. Für all seine Taten empfand er keine Reue. (“For all of these things, I am not the least bit sorry.”)
In dem o.g. Artikel wird seine Kindheit erst ab dem Alter von 8 Jahren nachgezeichnet. Denn ab diesem Zeitpunkt verließ der Vater die Familie. Kurz darauf landete Panzram auf Grund von Einbrüchen in einer Anstalt für straffällig gewordene Jugendliche. Laut OZY wurde er dort "in Sadismus geschult", er wurde misshandelt und vergewaltigt. Laut Wikipedia soll Panzram angegeben haben, dass er bereits am Tag seiner Ankunft dort von dem Anstaltsleiter sexuell missbraucht worden ist.
Nachdem er auf freien Fuß kam, verbrachte er Jahre als Straßenjunge, zog auf Zügen durchs Land. Auf einer dieser Reisen wurde er durch mehrere Männer vergewaltigt. Er kommentiert dies rückblickend so: Dieses Ereignis hinterließ „a sadder, sicker but wiser boy“. Welche „Weisheit“ hinterlässt eine Gruppenvergewaltigung? Wohl die, dass Hass (in seiner Erfahrungswelt) die Welt regiert. Auch als junger Mann erlebte er überall nur Gewalt. Er wurde inhaftiert, dort gedemütigt und misshandelt.
In dem Artikel erfährt man wie schon erwähnt wenig über sein Elternhaus. Für mich steht fest, dass er nicht erst ab dem Alter von 8 Jahren – als sein Vater die Familie verließ - Gewalt erlebte. Carl war zu dieser Zeit ja bereits schwer kriminell. Auf Wikipedia (siehe Link oben) erfährt man etwas mehr. Carl hatte fünf Brüder und eine Schwester. Er musste bereits in jungen Jahren auf der Farm seiner Eltern arbeiten und scheint keine Zuwendung bekommen zu haben. Seine Brüder verprügelten ihn oft, einmal – als er einen Einbruch begangen hatte – wurde er von seinen Brüdern fast totgeprügelt. Woher kommt denn wohl diese schwere Gewalt der Brüder? Es ist nur logisch, dass im Hause Panzram Mutter und Vater Gewalt gegen die Kinder angewendet haben werden, wahrscheinlich auch in besonders schwerer Form.
Es ist nicht vorstellbar, dass jemand zum Serienmörder wird, der nicht schon seit frühster Kindheit Gewalt und Hass erlebt hat. Alle Indizien deuten darauf hin. Letztlich zeugt ein Ereignis, das im OZY Artikel beschrieben wird, davon, dass Carl Panzram lebenslang keine positiven menschlichen Erfahrungen gemacht hat. Nachdem er als junger Mann im Gefängnis durch Wärter schwer misshandelt worden war, hatte ein anderer Wärter Mitleid. Er gab Panzram eine Dollarnot, damit dieser sich Zigaretten und etwas zu Essen kaufen konnte. John Borowski, der sich viel mit Panzrams Leben befasst hat, kommentierte dies laut OZY so: “No one had ever been kind to him in his life”. Offensichtlich außer dieser einen Positiverfahrung. Manchmal wird aus Menschen, die so viel Hass erfahren haben, jemand, der sich rächt. Wir sollten nicht so tun, als ob grausame Taten nicht deutliche Ursachen haben. Man muss nur hinsehen wollen.
„I hate the whole damned human race including myself.“
Selbsthass ist die Grundlage von Hass, der sich gegen Menschen richtet. Ohne Selbsthass (das Gegenteil davon wäre Selbstliebe) wären extreme Taten nicht denkbar und nicht machbar. Auf Arno Gruen (der in all seinen Büchern auf diesen Selbsthass und die Ursachen dafür in der Kindheit eindrücklich hingewiesen hat) bin ich als junger Student durch ein einziges Zitat in einem Buch aufmerksam geworden, das sinngemäß so ging: Hass hat seine Ursache im Selbsthass. Nachdem ich diesen Satz gelesen hatte, musste ich Gruens Bücher lesen und es gingen bei mir manche Lichter an. Dazu kommt in diesem Fall noch der Bruch mit der Menschheit. Was dann übrig bleibt ist einfach nur noch Zerstörung. Menschen wie Carl Panzram sind zu anderen Zeiten, an anderen Orten die KZ- Kommandanten, Terroristenführer, Kriegsverbrecher, Sklaventreiber, Folterknechte usw.
Carl Panzram (geboren 1891) hat Anfang des 20. Jahrhunderts 23 Menschen getötet und ca. 1.000 Vergewaltigungen begangen. Dazu kommen Einbrüche, Diebstahl usw. Für all seine Taten empfand er keine Reue. (“For all of these things, I am not the least bit sorry.”)
In dem o.g. Artikel wird seine Kindheit erst ab dem Alter von 8 Jahren nachgezeichnet. Denn ab diesem Zeitpunkt verließ der Vater die Familie. Kurz darauf landete Panzram auf Grund von Einbrüchen in einer Anstalt für straffällig gewordene Jugendliche. Laut OZY wurde er dort "in Sadismus geschult", er wurde misshandelt und vergewaltigt. Laut Wikipedia soll Panzram angegeben haben, dass er bereits am Tag seiner Ankunft dort von dem Anstaltsleiter sexuell missbraucht worden ist.
Nachdem er auf freien Fuß kam, verbrachte er Jahre als Straßenjunge, zog auf Zügen durchs Land. Auf einer dieser Reisen wurde er durch mehrere Männer vergewaltigt. Er kommentiert dies rückblickend so: Dieses Ereignis hinterließ „a sadder, sicker but wiser boy“. Welche „Weisheit“ hinterlässt eine Gruppenvergewaltigung? Wohl die, dass Hass (in seiner Erfahrungswelt) die Welt regiert. Auch als junger Mann erlebte er überall nur Gewalt. Er wurde inhaftiert, dort gedemütigt und misshandelt.
In dem Artikel erfährt man wie schon erwähnt wenig über sein Elternhaus. Für mich steht fest, dass er nicht erst ab dem Alter von 8 Jahren – als sein Vater die Familie verließ - Gewalt erlebte. Carl war zu dieser Zeit ja bereits schwer kriminell. Auf Wikipedia (siehe Link oben) erfährt man etwas mehr. Carl hatte fünf Brüder und eine Schwester. Er musste bereits in jungen Jahren auf der Farm seiner Eltern arbeiten und scheint keine Zuwendung bekommen zu haben. Seine Brüder verprügelten ihn oft, einmal – als er einen Einbruch begangen hatte – wurde er von seinen Brüdern fast totgeprügelt. Woher kommt denn wohl diese schwere Gewalt der Brüder? Es ist nur logisch, dass im Hause Panzram Mutter und Vater Gewalt gegen die Kinder angewendet haben werden, wahrscheinlich auch in besonders schwerer Form.
Es ist nicht vorstellbar, dass jemand zum Serienmörder wird, der nicht schon seit frühster Kindheit Gewalt und Hass erlebt hat. Alle Indizien deuten darauf hin. Letztlich zeugt ein Ereignis, das im OZY Artikel beschrieben wird, davon, dass Carl Panzram lebenslang keine positiven menschlichen Erfahrungen gemacht hat. Nachdem er als junger Mann im Gefängnis durch Wärter schwer misshandelt worden war, hatte ein anderer Wärter Mitleid. Er gab Panzram eine Dollarnot, damit dieser sich Zigaretten und etwas zu Essen kaufen konnte. John Borowski, der sich viel mit Panzrams Leben befasst hat, kommentierte dies laut OZY so: “No one had ever been kind to him in his life”. Offensichtlich außer dieser einen Positiverfahrung. Manchmal wird aus Menschen, die so viel Hass erfahren haben, jemand, der sich rächt. Wir sollten nicht so tun, als ob grausame Taten nicht deutliche Ursachen haben. Man muss nur hinsehen wollen.
Donnerstag, 28. Mai 2015
Wie häufig und in welchen Schweregraden erleben Kinder in Deutschland körperliche Elterngewalt?
Auf Anfrage habe ich per Email Daten bzgl. der Häufigkeiten von abgefragten Gewalterfahrungen bzgl. der von mir kürzlich besprochenen KFN-Studie „ Repräsentativbefragung zu Viktimisierungserfahrungen in Deutschland.“ erhalten (Wiederum aufgeteilt nach Gewaltverhalten von Vätern und Müttern). Diese Daten fehlten in der veröffentlichten Studie. Sie sind besonders wichtig, weil sowohl die erlittene Form der Gewalt (leicht, mittel, schwer, besonders schwer?) als auch die Häufigkeit (selten, manchmal, häufig, sehr häufig?) stark die Folgeschäden mit beeinflussen. Ich hatte bei der Besprechung der Studie bereits beschrieben, dass diese Studie bahnbrechende Entwicklungen belegt: Nie war Kindheit in Deutschland gewaltfreier als heute, jede neue Generation erlebt wiederum noch weniger Gewalt.
Die körperliche Gewalt wird dabei vor allem „selten“ bis „manchmal“ erlebt. Auch diese erlebte Gewalt hat natürlich Folgen, aber tendenziell weit weniger, als wenn Kinder „häufig“ oder „sehr häufig“ Gewalt erleben. Die in der Studie als leichtere Gewalt definierten Gewaltformen (Items 1. bis 3.) wurden von 0,3 % bis 2,3 % der Väter und Mütter „häufig“ oder „sehr häufig“ angewandt. Die schwereren bis sehr schweren Gewaltformen wurden deutlich von unter 1 % der Väter und Mütter „häufig“ oder „sehr häufig“ angewandt. (siehe dazu ausführlich die Zahlen unten)
Man kann auch zusammenfassen: Je schwerer die Gewaltform und je häufiger diese erlitten wurde, desto weniger Kinder sind betroffen; bis letztlich in einen Bereich von 0,037 % (der kleinste erfasste Wert in der Studie bzgl. einer schweren und „sehr häufig“ erlebten Gewaltform).
Diese Zahlen sind auch bedeutsam im internationalen Vergleich. Man könnte jetzt diese Studie nehmen und sagen „48,6 % der Deutschen im Alter zwischen 16 und 40 Jahren (zum Zeitpunkt der Befragung) haben körperliche Elterngewalt erlebt“ Dieser Satz wäre richtig. Wenn jetzt einer käme und sagt: „Ja aber diese Zahl ist ja nicht Lichtjahre weit weg von Zahlen aus anderen Regionen, immerhin ist fast jeder Zweite betroffen, deswegen kann man nicht ableiten, dass Gewalterfahrungen in der Kindheit massiven Einfluss auf soziale und politische Prozesse nehmen.“, dann irrt dieser Jemand komplett! Denn diese 48,6 % (oder gar die noch höheren 74,9 % , die in der Vergleichsstudie - Wetzels 1997, S. 146 - aus den 90er Jahren angaben, körperliche Elterngewalt erlitten zu haben, bezogen auf die Gesamtbevölkerung ) erleben nun mal weit aus weniger schwere Gewaltformen und dazu noch weit aus seltener, als das in anderen Teilen der Welt aussieht. (Beispiele siehe hier oder hier) Das Ausmaß, die Häufigkeiten und auch die Schwere der Gewalt sind in manchen Teilen der Welt unvorstellbar hoch und das besonders in den Krisenregionen.
Hier nun die Daten aus der Email / 11.428 Befragte
1 ... mit einem Gegenstand nach mir geworfen.
Väter
selten 3,9 %
manchmal 1,5 %
häufig 0,4 %
sehr häufig 0,4 %
Mütter
selten 4,3 %
manchmal 1,1%
häufig 0,3 %
sehr häufig 0,4%
2 ... mich hart angepackt oder gestoßen.
Väter
selten 13,1%
manchmal 5 %
häufig 1,6 %
sehr häufig 0,8 %
Mütter
selten 11 %
manchmal 3,5 %
häufig 1 %
sehr häufig 0,7 %
3 ... mir eine runtergehauen.
Väter
selten 21,1 %
manchmal 7,5 %
häufig 2,3 %
sehr häufig 1,3 %
Mütter
selten 21,2 %
manchmal 6,9 %
häufig 2 %
sehr häufig 0,9 %
4 ... mich mit Faust geschlagen, getreten oder mich gebissen.
Väter
selten 1,5 %
manchmal 0,9 %
häufig 0,5 %
sehr häufig 0,5 %
Mütter
selten 1,3 %
manchmal 0,6 %
häufig 0,3 %
sehr häufig 0,3 %
5 ... mich mit einem Gegenstand geschlagen oder zu schlagen versucht.
Väter
selten 3,3 %
manchmal 1,5 %
häufig 0,7 %
sehr häufig 0,6 %
Mütter
selten 4 %
manchmal 1,9 %
häufig 0,6 %
sehr häufig 0,6 %
6 ... mich geprügelt, zusammengeschlagen.
Väter
selten 1,8 %
manchmal 0,8 %
häufig 0,6 %
sehr häufig 0,5 %
Mütter
selten 1,3 %
manchmal 0,8 %
häufig 0,3 %
sehr häufig 0,4 %
Die Items der besonders schweren Gewalttaten wie.„mich gewürgt“ , „mir absichtlich Verbrennungen oder Verbrühungen zugefügt.“, „mich mit einer Waffe, z. B. einem Messer oder einer Schusswaffe, bedroht.“ oder „eine Waffe, z. B. ein Messer oder eine Schusswaffe, gegen mich eingesetzt“ führe ich hier der Übersicht halber und auch auf Grund der niedrigen Prozentwerte nicht auf. Die Werte liegen beim Würgen (max. ca. 0,5 % „selten“ bis min. 0,059 % „sehr häufig“) etwas höher als bei den anderen besonders schweren Gewalttaten (max. ca. 0,3 % „selten“ bis min. 0,037 % „sehr häufig“)
Die körperliche Gewalt wird dabei vor allem „selten“ bis „manchmal“ erlebt. Auch diese erlebte Gewalt hat natürlich Folgen, aber tendenziell weit weniger, als wenn Kinder „häufig“ oder „sehr häufig“ Gewalt erleben. Die in der Studie als leichtere Gewalt definierten Gewaltformen (Items 1. bis 3.) wurden von 0,3 % bis 2,3 % der Väter und Mütter „häufig“ oder „sehr häufig“ angewandt. Die schwereren bis sehr schweren Gewaltformen wurden deutlich von unter 1 % der Väter und Mütter „häufig“ oder „sehr häufig“ angewandt. (siehe dazu ausführlich die Zahlen unten)
Man kann auch zusammenfassen: Je schwerer die Gewaltform und je häufiger diese erlitten wurde, desto weniger Kinder sind betroffen; bis letztlich in einen Bereich von 0,037 % (der kleinste erfasste Wert in der Studie bzgl. einer schweren und „sehr häufig“ erlebten Gewaltform).
Diese Zahlen sind auch bedeutsam im internationalen Vergleich. Man könnte jetzt diese Studie nehmen und sagen „48,6 % der Deutschen im Alter zwischen 16 und 40 Jahren (zum Zeitpunkt der Befragung) haben körperliche Elterngewalt erlebt“ Dieser Satz wäre richtig. Wenn jetzt einer käme und sagt: „Ja aber diese Zahl ist ja nicht Lichtjahre weit weg von Zahlen aus anderen Regionen, immerhin ist fast jeder Zweite betroffen, deswegen kann man nicht ableiten, dass Gewalterfahrungen in der Kindheit massiven Einfluss auf soziale und politische Prozesse nehmen.“, dann irrt dieser Jemand komplett! Denn diese 48,6 % (oder gar die noch höheren 74,9 % , die in der Vergleichsstudie - Wetzels 1997, S. 146 - aus den 90er Jahren angaben, körperliche Elterngewalt erlitten zu haben, bezogen auf die Gesamtbevölkerung ) erleben nun mal weit aus weniger schwere Gewaltformen und dazu noch weit aus seltener, als das in anderen Teilen der Welt aussieht. (Beispiele siehe hier oder hier) Das Ausmaß, die Häufigkeiten und auch die Schwere der Gewalt sind in manchen Teilen der Welt unvorstellbar hoch und das besonders in den Krisenregionen.
Hier nun die Daten aus der Email / 11.428 Befragte
1 ... mit einem Gegenstand nach mir geworfen.
Väter
selten 3,9 %
manchmal 1,5 %
häufig 0,4 %
sehr häufig 0,4 %
Mütter
selten 4,3 %
manchmal 1,1%
häufig 0,3 %
sehr häufig 0,4%
2 ... mich hart angepackt oder gestoßen.
Väter
selten 13,1%
manchmal 5 %
häufig 1,6 %
sehr häufig 0,8 %
Mütter
selten 11 %
manchmal 3,5 %
häufig 1 %
sehr häufig 0,7 %
3 ... mir eine runtergehauen.
Väter
selten 21,1 %
manchmal 7,5 %
häufig 2,3 %
sehr häufig 1,3 %
Mütter
selten 21,2 %
manchmal 6,9 %
häufig 2 %
sehr häufig 0,9 %
4 ... mich mit Faust geschlagen, getreten oder mich gebissen.
Väter
selten 1,5 %
manchmal 0,9 %
häufig 0,5 %
sehr häufig 0,5 %
Mütter
selten 1,3 %
manchmal 0,6 %
häufig 0,3 %
sehr häufig 0,3 %
5 ... mich mit einem Gegenstand geschlagen oder zu schlagen versucht.
Väter
selten 3,3 %
manchmal 1,5 %
häufig 0,7 %
sehr häufig 0,6 %
Mütter
selten 4 %
manchmal 1,9 %
häufig 0,6 %
sehr häufig 0,6 %
6 ... mich geprügelt, zusammengeschlagen.
Väter
selten 1,8 %
manchmal 0,8 %
häufig 0,6 %
sehr häufig 0,5 %
Mütter
selten 1,3 %
manchmal 0,8 %
häufig 0,3 %
sehr häufig 0,4 %
Die Items der besonders schweren Gewalttaten wie.„mich gewürgt“ , „mir absichtlich Verbrennungen oder Verbrühungen zugefügt.“, „mich mit einer Waffe, z. B. einem Messer oder einer Schusswaffe, bedroht.“ oder „eine Waffe, z. B. ein Messer oder eine Schusswaffe, gegen mich eingesetzt“ führe ich hier der Übersicht halber und auch auf Grund der niedrigen Prozentwerte nicht auf. Die Werte liegen beim Würgen (max. ca. 0,5 % „selten“ bis min. 0,059 % „sehr häufig“) etwas höher als bei den anderen besonders schweren Gewalttaten (max. ca. 0,3 % „selten“ bis min. 0,037 % „sehr häufig“)
Gewalt gegen Kinder nimmt zu - zumindest laut den Medien
Der Journalist Stefan Niggermeier schrieb Ende 2008 einen kurzen Beitrag unter den Titel „Die Medien sind für mehr getötete Kinder“. Auslöser für seinen Beitrag waren in den Medien verbreitete Falschmeldungen über die (angeblich) gestiegene Zahl von Kindestötungen.
Letzte Woche wurde die Kriminalitätsstatistik vorgestellt und in diversen Medienbeiträgen aufgegriffen. Spätestens seit den Missbrauchs- und Misshandlungsfällen in Heimen und kirchlichen Einrichtungen wird in Deutschland überall über Kindesmisshandlung gesprochen. Und das ist auch gut so! Mir scheint es nur so zu sein, dass die richtige Mitte im Umgang mit dem Thema fehlt. Vor allem fehlt noch ein wirklich aufgeklärtes Bild in der Öffentlichkeit über die Geschichte der Kindheit, die Entwicklungstrends (belegt durch diverse Dunkelfeldstudien) hier in Deutschland und vor allem auch das Wissen um das Ausmaß der Gewalt gegen Kinder in der ganzen Welt.
Folgt man zumindest der Mehrheit der aktuellen Berichterstattung, dann müssen mit dem Thema weniger vertraute Leser und Leserinnen zu dem Schluss kommen, dass es in Deutschland immer mehr Gewalt gegen Kinder gibt oder dass es zumindest nicht besser wird. Hier und da wird zwar in manchen Beiträgen erwähnt, dass die Anzeigebereitschaft womöglich gestiegen sei, gedeckelt wird dieser Hinweis aber u.a. durch den Aufbau der Artikel, die Überschriften oder die Hinweise auf das Dunkelfeld. Kein einziger Artikel griff aktuelle Zahlen des KFN auf, was sich ja geradezu anbot, weil dort aktuell die größte deutsche Studie zu dem Thema überhaupt durchgeführt und veröffentlicht worden ist. (siehe meinen Beitrag „Aktuelle KFN Studie über Gewalt gegen Kinder in Deutschland: Auf dem Weg zur gewaltfreien Gesellschaft“)
Wie auch immer. Hier nun einige Medienbeiträge, die mir aufgefallen sind (dazu kamen Beiträge im Radio, die ich hörte und die ähnlich formuliert waren) und die oft alleine schon durch die Überschriften und Untertitel klar machen, dass die historische Entwicklung der Gewalt gegen Kinder nicht gesehen wurde.
„Misshandelt und missbraucht“ – Jeden Tag werden 40 Kinder Opfer von sexueller Gewalt – Fachleute sind entsetzt http://www.svz.de/nachrichten/deutschland-welt/panorama/misshandelt-und-missbraucht-id9750051.html
„Gewalt gegen Kinder nimmt dramatisch zu“
http://www.bild.de/politik/inland/kindesmissbrauch/gewalt-gegen-kinder-nimmt-zu-41000496.bild.html
„Kriminalbericht legt erschreckende Zahlen offen“
http://www.n24.de/n24/Mediathek/videos/d/6664776/kriminalbericht-legt-erschreckende-zahlen-offen.html
"Kinder weiterhin Opfer von Gewalt"
http://www.dw.de/kinder-weiterhin-opfer-von-gewalt/a-18461683
"Schockierende Statistik. Auch Sie kennen vermutlich ein Kind, das missbraucht wird"
http://www.focus.de/politik/deutschland/schockierende-statistik-auch-sie-kennen-vermutlich-ein-kind-das-missbraucht-wird_id_4691843.html
"Zahl der misshandelten Kinder nimmt zu"
http://www.sueddeutsche.de/panorama/gewalt-gegen-kinder-zahl-der-misshandelten-kinder-nimmt-zu-1.2485615
"Misshandlung von Kindern nimmt zu"
http://www.deutschlandfunk.de/polizeiliche-kriminalstatistik-misshandlung-von-kindern.1818.de.html?dram:article_id=320246
"Erschreckende Bilanz - 2014 ist die Zahl der misshandelten Kinder gestiegen"
http://www.lokalkompass.de/luenen/ratgeber/erschreckende-bilanz-2014-ist-die-zahl-der-misshandelten-kinder-gestiegen-d553178.html
"Kindesmisshandlung ist eine chronische Krankheit" Die Zahl der Kindesmisshandlungen steigt stärker, als von der Polizei berichtet, sagt der Rechtsmediziner Michael Tsokos. Immerhin wird jetzt mehr hingesehen
http://www.zeit.de/gesellschaft/familie/2015-05/kindesmisshandlung-statistik-gewalt-tsokos
Eine große Ausnahme war ein Bericht in der Tagesschau, der auf Grund der selben Ausgangsdaten (Kindestötungen und Anzeigen wegen sexueller Gewalt gegen Kinder sanken nämlich) zu folgendem Titel kommt:
Gewalt gegen Kinder in Deutschland nimmt ab. "Jedes betroffene Kind ist eines zu viel"
http://www.tagesschau.de/inland/kindesmisshandlung-103.html
Letzte Woche wurde die Kriminalitätsstatistik vorgestellt und in diversen Medienbeiträgen aufgegriffen. Spätestens seit den Missbrauchs- und Misshandlungsfällen in Heimen und kirchlichen Einrichtungen wird in Deutschland überall über Kindesmisshandlung gesprochen. Und das ist auch gut so! Mir scheint es nur so zu sein, dass die richtige Mitte im Umgang mit dem Thema fehlt. Vor allem fehlt noch ein wirklich aufgeklärtes Bild in der Öffentlichkeit über die Geschichte der Kindheit, die Entwicklungstrends (belegt durch diverse Dunkelfeldstudien) hier in Deutschland und vor allem auch das Wissen um das Ausmaß der Gewalt gegen Kinder in der ganzen Welt.
Folgt man zumindest der Mehrheit der aktuellen Berichterstattung, dann müssen mit dem Thema weniger vertraute Leser und Leserinnen zu dem Schluss kommen, dass es in Deutschland immer mehr Gewalt gegen Kinder gibt oder dass es zumindest nicht besser wird. Hier und da wird zwar in manchen Beiträgen erwähnt, dass die Anzeigebereitschaft womöglich gestiegen sei, gedeckelt wird dieser Hinweis aber u.a. durch den Aufbau der Artikel, die Überschriften oder die Hinweise auf das Dunkelfeld. Kein einziger Artikel griff aktuelle Zahlen des KFN auf, was sich ja geradezu anbot, weil dort aktuell die größte deutsche Studie zu dem Thema überhaupt durchgeführt und veröffentlicht worden ist. (siehe meinen Beitrag „Aktuelle KFN Studie über Gewalt gegen Kinder in Deutschland: Auf dem Weg zur gewaltfreien Gesellschaft“)
Wie auch immer. Hier nun einige Medienbeiträge, die mir aufgefallen sind (dazu kamen Beiträge im Radio, die ich hörte und die ähnlich formuliert waren) und die oft alleine schon durch die Überschriften und Untertitel klar machen, dass die historische Entwicklung der Gewalt gegen Kinder nicht gesehen wurde.
„Misshandelt und missbraucht“ – Jeden Tag werden 40 Kinder Opfer von sexueller Gewalt – Fachleute sind entsetzt http://www.svz.de/nachrichten/deutschland-welt/panorama/misshandelt-und-missbraucht-id9750051.html
„Gewalt gegen Kinder nimmt dramatisch zu“
http://www.bild.de/politik/inland/kindesmissbrauch/gewalt-gegen-kinder-nimmt-zu-41000496.bild.html
„Kriminalbericht legt erschreckende Zahlen offen“
http://www.n24.de/n24/Mediathek/videos/d/6664776/kriminalbericht-legt-erschreckende-zahlen-offen.html
"Kinder weiterhin Opfer von Gewalt"
http://www.dw.de/kinder-weiterhin-opfer-von-gewalt/a-18461683
"Schockierende Statistik. Auch Sie kennen vermutlich ein Kind, das missbraucht wird"
http://www.focus.de/politik/deutschland/schockierende-statistik-auch-sie-kennen-vermutlich-ein-kind-das-missbraucht-wird_id_4691843.html
"Zahl der misshandelten Kinder nimmt zu"
http://www.sueddeutsche.de/panorama/gewalt-gegen-kinder-zahl-der-misshandelten-kinder-nimmt-zu-1.2485615
"Misshandlung von Kindern nimmt zu"
http://www.deutschlandfunk.de/polizeiliche-kriminalstatistik-misshandlung-von-kindern.1818.de.html?dram:article_id=320246
"Erschreckende Bilanz - 2014 ist die Zahl der misshandelten Kinder gestiegen"
http://www.lokalkompass.de/luenen/ratgeber/erschreckende-bilanz-2014-ist-die-zahl-der-misshandelten-kinder-gestiegen-d553178.html
"Kindesmisshandlung ist eine chronische Krankheit" Die Zahl der Kindesmisshandlungen steigt stärker, als von der Polizei berichtet, sagt der Rechtsmediziner Michael Tsokos. Immerhin wird jetzt mehr hingesehen
http://www.zeit.de/gesellschaft/familie/2015-05/kindesmisshandlung-statistik-gewalt-tsokos
Eine große Ausnahme war ein Bericht in der Tagesschau, der auf Grund der selben Ausgangsdaten (Kindestötungen und Anzeigen wegen sexueller Gewalt gegen Kinder sanken nämlich) zu folgendem Titel kommt:
Gewalt gegen Kinder in Deutschland nimmt ab. "Jedes betroffene Kind ist eines zu viel"
http://www.tagesschau.de/inland/kindesmisshandlung-103.html
Montag, 11. Mai 2015
Doku "Das radikal Böse"
Kürzlich hat das ZDF den Dokumentarfilm „Das radikal Böse“ von Stefan Ruzowitzky gezeigt. (leider ist der Film bereits nicht mehr in der ZDF-Mediathek) Ruzowitzky ist studierter Historiker, hat sich in seinem Film aber sehr viel auf psychologische, vor allem auch gruppenpsychologische Thesen bzgl. der Ursachen des Holocaust eingelassen.
Ich möchte den Inhalt des Filmes gar nicht ausführlich besprechen. Der Film zeigt viele interessante Facetten und real wirkende menschliche Gruppenprozesse, deren Wirkungskraft ich gar nicht bestreiten möchte. Erstaunlich ist aber folgendes:
In dem Film kommen einige ausgesuchte Experten ausführlich zu Wort. Darunter auch der Psychiater Robert Jay Lifton, der ab den 1960er Jahren die Psychohistorie mit begründet hat. Lifton, von dem ich keine Arbeiten kenne, hat allem Anschein nach eine andere Herangehensweise an das Thema, als Lloyd deMause. Grundsätzlich bestand aber schon die Wahrscheinlichkeit, dass Stefan Ruzowitzky durch die Beschäftigung mit Lifton auch auf die Psychohistorie nach deMause gestoßen sein könnte. Ich weiß es nicht. Wie auch immer, wie immer fehlte in einer solchen öffentlichkeitswirksamen Doku die Besprechung von Kindheitseinflüssen. Ich warte immer noch auf den Tag, wo sich ein Regisseur ähnlich ernsthaft und ausführlich an die Ursachen extremer Gewalt macht und endlich einmal die Kindheitseinflüsse aufnimmt! Eine Doku, die Thesen von Arno Gruen, Alice Miller und Lloyd deMause ernsthaft aufgenommen hat, ist mir bisher nicht bekannt.
Für mich war „Das radikal Böse“ aber in einem Punkt doch noch interessant. Ich bin hin und wieder schon auf Berichte über Feldpostbriefe gestoßen, wo Kriegsverbrecher nach Hause schrieben.
Einen dieser Briefe habe ich schon in meinem Arbeitspapier erwähnt. Am 10. Oktober 1941 schrieb Walter Mattner an seine Frau in der Heimat über die Tötung von Juden:
„Bei den ersten Wagen hat mir etwas die Hand gezittert, als ich geschossen habe, aber man gewöhnt das: Beim zehnten Wagen zielte ich schon ruhig und schoss sicher auf die vielen Frauen, Kinder und Säuglinge. Eingedenk dessen, dass ich auch zwei Säuglinge daheim habe, mit denen es diese Horden genau so, wenn nicht zehnmal ärger machen würden. (...)“
In „Das radikal Böse“ werden etliche ähnliche Briefe (darunter auch der oben erwähnte) zitiert, die die Täter nach Hause schickten. Die Täter des Holocaust waren ja mehrheitlich vor allem eines: Männlich. Die gezeigten Briefe belegen etwas, worüber ich in der Besprechung des Holocaust bisher keine direkte Forschung gefunden habe. Nämlich, dass die Ehemänner offensichtlich nicht davon ausgingen, dass ihre Frauen irgendein Problem mit dem Massenmorden haben würden. Sie schrieben locker drauf los, wie aus dem Urlaub.
Die Ehefrauen zu Hause haben keine Juden ermordet, aber sie stimmten dem Morden offensichtlich ohne jedes Gewissen zu , sonst hätten diese Männer keine so offenen Briefe schreiben können. „Das radikal Böse“ zeigt also ganz nebenbei etwas über verdeckte weibliche Täterschaft. Ein eigenes, interessantes und oft unbeachtetes Themenfeld. .
Ich möchte den Inhalt des Filmes gar nicht ausführlich besprechen. Der Film zeigt viele interessante Facetten und real wirkende menschliche Gruppenprozesse, deren Wirkungskraft ich gar nicht bestreiten möchte. Erstaunlich ist aber folgendes:
In dem Film kommen einige ausgesuchte Experten ausführlich zu Wort. Darunter auch der Psychiater Robert Jay Lifton, der ab den 1960er Jahren die Psychohistorie mit begründet hat. Lifton, von dem ich keine Arbeiten kenne, hat allem Anschein nach eine andere Herangehensweise an das Thema, als Lloyd deMause. Grundsätzlich bestand aber schon die Wahrscheinlichkeit, dass Stefan Ruzowitzky durch die Beschäftigung mit Lifton auch auf die Psychohistorie nach deMause gestoßen sein könnte. Ich weiß es nicht. Wie auch immer, wie immer fehlte in einer solchen öffentlichkeitswirksamen Doku die Besprechung von Kindheitseinflüssen. Ich warte immer noch auf den Tag, wo sich ein Regisseur ähnlich ernsthaft und ausführlich an die Ursachen extremer Gewalt macht und endlich einmal die Kindheitseinflüsse aufnimmt! Eine Doku, die Thesen von Arno Gruen, Alice Miller und Lloyd deMause ernsthaft aufgenommen hat, ist mir bisher nicht bekannt.
Für mich war „Das radikal Böse“ aber in einem Punkt doch noch interessant. Ich bin hin und wieder schon auf Berichte über Feldpostbriefe gestoßen, wo Kriegsverbrecher nach Hause schrieben.
Einen dieser Briefe habe ich schon in meinem Arbeitspapier erwähnt. Am 10. Oktober 1941 schrieb Walter Mattner an seine Frau in der Heimat über die Tötung von Juden:
„Bei den ersten Wagen hat mir etwas die Hand gezittert, als ich geschossen habe, aber man gewöhnt das: Beim zehnten Wagen zielte ich schon ruhig und schoss sicher auf die vielen Frauen, Kinder und Säuglinge. Eingedenk dessen, dass ich auch zwei Säuglinge daheim habe, mit denen es diese Horden genau so, wenn nicht zehnmal ärger machen würden. (...)“
In „Das radikal Böse“ werden etliche ähnliche Briefe (darunter auch der oben erwähnte) zitiert, die die Täter nach Hause schickten. Die Täter des Holocaust waren ja mehrheitlich vor allem eines: Männlich. Die gezeigten Briefe belegen etwas, worüber ich in der Besprechung des Holocaust bisher keine direkte Forschung gefunden habe. Nämlich, dass die Ehemänner offensichtlich nicht davon ausgingen, dass ihre Frauen irgendein Problem mit dem Massenmorden haben würden. Sie schrieben locker drauf los, wie aus dem Urlaub.
Die Ehefrauen zu Hause haben keine Juden ermordet, aber sie stimmten dem Morden offensichtlich ohne jedes Gewissen zu , sonst hätten diese Männer keine so offenen Briefe schreiben können. „Das radikal Böse“ zeigt also ganz nebenbei etwas über verdeckte weibliche Täterschaft. Ein eigenes, interessantes und oft unbeachtetes Themenfeld. .
Dienstag, 14. April 2015
Aktuelle KFN Studie über Gewalt gegen Kinder in Deutschland: Auf dem Weg zur gewaltfreien Gesellschaft
Endlich habe ich die Zeit gefunden, eine der größten Befragungen in Deutschland zu Opfererfahrungen etwas auszuwerten: Hellmann, D. F. (2014): Repräsentativbefragung zu Viktimisierungserfahrungen in Deutschland. (Forschungsbericht Nr. 122). Hannover: KFN
2011 wurden in Deutschland repräsentativ 11.428 Menschen im Alter von 16 bis 40 Jahren (Geburtsjahrgänge ca. 1971 – 1995) befragt. (wobei türkisch und russisch stämmige Menschen repräsentativ mit enthalten sind) Für mich sind natürlich die Ergebnisse bzgl. der Gewalterfahrungen in der Kindheit am Bedeutsamsten.
Ergebnisse bzgl. körperlicher Elterngewalt:
16 bis 40 Jahre alt (Durschnitt der gesamten Stichprobe)
51,4 % keinerlei körperliche Gewalt
35,7 % mindestens einmal leichte Gewalt erlebt
13 % schwere Gewalt
Männer erlebten insgesamt etwas mehr körperliche Gewalt als Frauen. 54,2 % der Frauen sind in der Kindheit gewaltfrei aufgewachsen, dagegen 48,6 % der Männer.
Schaut man sich die einzelnen Altersgruppen an, fällt der Rückgang der Gewalt besonders auf!
16- bis 20-Jährige (Geburtsjahrgänge ca. 1991 – 1995) 61,7 % erlebten keinerlei körperliche Elterngewalt
21- bis 30-Jährige (Geburtsjahrgänge ca. 1981 -1990): 53,6 % erlebten keinerlei körperliche Elterngewalt
31- bis 40-Jährige(Geburtsjahrgänge ca. 1971 -1980): 44,9 % erlebten keinerlei körperliche Elterngewalt
16 bis 20-Jährige: 29,8 % mindestens einmal leichte Gewalt erlebt
21- bis 30-Jährige: 34,8 % mindestens einmal leichte Gewalt erlebt
31- bis 40-Jährige: 39 % mindestens einmal leichte Gewalt erlebt
16 bis 20-Jährige: 8,5 %, mindestens einmal schwere Gewalt erlebt
21- bis 30-Jährige: 11,7 % mindestens einmal schwere Gewalt erlebt
31- bis 40-Jährige: 16,2 % mindestens einmal schwere Gewalt erlebt
(S. 82+83)
In der Studie nicht enthalten waren Schweregrade und Häufigkeiten des Gewalterlebens. Diese sind allerdings abgefragt worden und mir auf Anfrage per Email vom KFN mitgeteilt worden. Siehe entsprechende Daten hier: "Wie häufig und in welchen Schweregraden erleben Kinder in Deutschland körperliche Elterngewalt?" Die Daten zeigen, dass die meiste körperliche Gewalt "selten" gefolgt von "manchmal" erlebt wurde. "Häufige" oder "sehr häufige" Gewalterfahrungen wurden deutlich seltener angegeben.
Ergänzende Auswertung innerhalb der Studie bzgl. eigenem Gewaltverhalten gegen Kinder
1.586 Befragte lebten mit Kindern (eigenes, Pflegekinder etc.) unter 18 Jahren in einem Haushalt und beantworteten Fragen zu eigenem Gewaltverhalten gegen das eigene Kind. Sie waren im Schnitt bei der Befragung ca. 33 Jahre alt (Geburtsdatum im Schnitt ca. 1978)
21,4 % berichten, dass sie mindestens einmal leichte Gewalt (z.B. „mit einem Gegenstand nach dem Kind geworfen“, „das Kind hart angepackt oder es gestoßen“ oder „dem Kind eine runtergehauen“ ) gegen das eigene Kind angewendet hatten. 1,3 % hatten schwere Gewalt (angefangen bei „das Kind mit der Faust geschlagen, getreten oder gebissen“ bis hin zu „das Kind geprügelt, zusammengeschlagen“) gegen das eigene Kind angewendet. (S. 157)
Diese Zahlen bedeuten auch, dass ca. 78 % der jungen Eltern ihre Kinder bis zum Zeitpunkt der Befragung niemals körperlich angegangen sind. Dies würde auch dem allgemeinen oben festgestellten starken Trend des Gewaltrückgangs entsprechen. Leider wurde in der Studie nicht angegeben, wie alt die Kinder der Befragten im Schnitt sind. Aufgrund des Altersschnitts der befragten Eltern ist davon auszugehen, dass die Kinder aus den Geburtsjahrgängen ab dem Jahr 2000 stammen. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass wir auf eine Gesellschaft zusteuern, in der bald fast keine Kinder mehr körperliche Elterngewalt erleben werden!
In der Studie wurde ebenfalls ein starker Rückgang des sexuellen Missbrauchs (mit Körperkontakt) von Kindern festgestellt. (darüber hatte schon einmal berichtet) :
16- bis 20-Jährige Frauen (Geburtsjahrgänge ca. 1991 – 1995) 3 %
21- bis 30-Jährige Frauen (Geburtsjahrgänge ca. 1981 -1990): 7,2 %
31- bis 40-JährigeFrauen (Geburtsjahrgänge ca. 1971 -1980): 9,5 %
16- bis 20-Jährige Männer (Geburtsjahrgänge ca. 1991 – 1995) 0,9 %
21- bis 30-Jährige Männer (Geburtsjahrgänge ca. 1981 -1990): 1,4 %
31- bis 40-Jährige Männer (Geburtsjahrgänge ca. 1971 -1980): 1,8%
(S. 104)
Auch in diesem Gewaltfeld steuert die deutsche Gesellschaft also letztlich auf einen Wert in Richtung 0 % zu!
Das Erstaunliche ist, dass diese Studie in manchen Medien zwar kurz besprochen wurde, keiner traut sich allerdings in Jubelstürme auszubrechen. Dabei sind diese Zahlen eine echte Sensation! Sie sind bahnbrechend, vor allem wenn man um die Geschichte der Kindheit weiß. Ich werde die o.g. Zahlen zur körperlichen Gewalt in Kürze auch in meinen Text „Gewalt gegen Kinder in Deutschland in Zahlen. 1910 bis Heute“ aufnehmen.
2011 wurden in Deutschland repräsentativ 11.428 Menschen im Alter von 16 bis 40 Jahren (Geburtsjahrgänge ca. 1971 – 1995) befragt. (wobei türkisch und russisch stämmige Menschen repräsentativ mit enthalten sind) Für mich sind natürlich die Ergebnisse bzgl. der Gewalterfahrungen in der Kindheit am Bedeutsamsten.
Ergebnisse bzgl. körperlicher Elterngewalt:
16 bis 40 Jahre alt (Durschnitt der gesamten Stichprobe)
51,4 % keinerlei körperliche Gewalt
35,7 % mindestens einmal leichte Gewalt erlebt
13 % schwere Gewalt
Männer erlebten insgesamt etwas mehr körperliche Gewalt als Frauen. 54,2 % der Frauen sind in der Kindheit gewaltfrei aufgewachsen, dagegen 48,6 % der Männer.
Schaut man sich die einzelnen Altersgruppen an, fällt der Rückgang der Gewalt besonders auf!
16- bis 20-Jährige (Geburtsjahrgänge ca. 1991 – 1995) 61,7 % erlebten keinerlei körperliche Elterngewalt
21- bis 30-Jährige (Geburtsjahrgänge ca. 1981 -1990): 53,6 % erlebten keinerlei körperliche Elterngewalt
31- bis 40-Jährige(Geburtsjahrgänge ca. 1971 -1980): 44,9 % erlebten keinerlei körperliche Elterngewalt
16 bis 20-Jährige: 29,8 % mindestens einmal leichte Gewalt erlebt
21- bis 30-Jährige: 34,8 % mindestens einmal leichte Gewalt erlebt
31- bis 40-Jährige: 39 % mindestens einmal leichte Gewalt erlebt
16 bis 20-Jährige: 8,5 %, mindestens einmal schwere Gewalt erlebt
21- bis 30-Jährige: 11,7 % mindestens einmal schwere Gewalt erlebt
31- bis 40-Jährige: 16,2 % mindestens einmal schwere Gewalt erlebt
(S. 82+83)
In der Studie nicht enthalten waren Schweregrade und Häufigkeiten des Gewalterlebens. Diese sind allerdings abgefragt worden und mir auf Anfrage per Email vom KFN mitgeteilt worden. Siehe entsprechende Daten hier: "Wie häufig und in welchen Schweregraden erleben Kinder in Deutschland körperliche Elterngewalt?" Die Daten zeigen, dass die meiste körperliche Gewalt "selten" gefolgt von "manchmal" erlebt wurde. "Häufige" oder "sehr häufige" Gewalterfahrungen wurden deutlich seltener angegeben.
Ergänzende Auswertung innerhalb der Studie bzgl. eigenem Gewaltverhalten gegen Kinder
1.586 Befragte lebten mit Kindern (eigenes, Pflegekinder etc.) unter 18 Jahren in einem Haushalt und beantworteten Fragen zu eigenem Gewaltverhalten gegen das eigene Kind. Sie waren im Schnitt bei der Befragung ca. 33 Jahre alt (Geburtsdatum im Schnitt ca. 1978)
21,4 % berichten, dass sie mindestens einmal leichte Gewalt (z.B. „mit einem Gegenstand nach dem Kind geworfen“, „das Kind hart angepackt oder es gestoßen“ oder „dem Kind eine runtergehauen“ ) gegen das eigene Kind angewendet hatten. 1,3 % hatten schwere Gewalt (angefangen bei „das Kind mit der Faust geschlagen, getreten oder gebissen“ bis hin zu „das Kind geprügelt, zusammengeschlagen“) gegen das eigene Kind angewendet. (S. 157)
Diese Zahlen bedeuten auch, dass ca. 78 % der jungen Eltern ihre Kinder bis zum Zeitpunkt der Befragung niemals körperlich angegangen sind. Dies würde auch dem allgemeinen oben festgestellten starken Trend des Gewaltrückgangs entsprechen. Leider wurde in der Studie nicht angegeben, wie alt die Kinder der Befragten im Schnitt sind. Aufgrund des Altersschnitts der befragten Eltern ist davon auszugehen, dass die Kinder aus den Geburtsjahrgängen ab dem Jahr 2000 stammen. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass wir auf eine Gesellschaft zusteuern, in der bald fast keine Kinder mehr körperliche Elterngewalt erleben werden!
In der Studie wurde ebenfalls ein starker Rückgang des sexuellen Missbrauchs (mit Körperkontakt) von Kindern festgestellt. (darüber hatte schon einmal berichtet) :
16- bis 20-Jährige Frauen (Geburtsjahrgänge ca. 1991 – 1995) 3 %
21- bis 30-Jährige Frauen (Geburtsjahrgänge ca. 1981 -1990): 7,2 %
31- bis 40-JährigeFrauen (Geburtsjahrgänge ca. 1971 -1980): 9,5 %
16- bis 20-Jährige Männer (Geburtsjahrgänge ca. 1991 – 1995) 0,9 %
21- bis 30-Jährige Männer (Geburtsjahrgänge ca. 1981 -1990): 1,4 %
31- bis 40-Jährige Männer (Geburtsjahrgänge ca. 1971 -1980): 1,8%
(S. 104)
Auch in diesem Gewaltfeld steuert die deutsche Gesellschaft also letztlich auf einen Wert in Richtung 0 % zu!
Das Erstaunliche ist, dass diese Studie in manchen Medien zwar kurz besprochen wurde, keiner traut sich allerdings in Jubelstürme auszubrechen. Dabei sind diese Zahlen eine echte Sensation! Sie sind bahnbrechend, vor allem wenn man um die Geschichte der Kindheit weiß. Ich werde die o.g. Zahlen zur körperlichen Gewalt in Kürze auch in meinen Text „Gewalt gegen Kinder in Deutschland in Zahlen. 1910 bis Heute“ aufnehmen.
Donnerstag, 26. Februar 2015
Kindheit von Charles Manson
Charles Manson steht in der medialen Wahrnehmung für das Böse an sich.
Ich habe mir online einige Interviews mit ihm und auch zwei Dokumentationen angesehen. Und ich muss sagen, dass ich ihn in keinster Weise beeindruckend oder charismatisch finde. Ich erinnere mich, dass ich früher als Jugendlicher oft Gänsehaut bekam, wenn ich auszugsweise die hasserfüllten Reden von Adolf Hitler im Fernsehen hörte. Dieses unverfrorene, direkte böse Reden bewirkte ein wie auch immer gelagertes inneres Entsetzen und Erschüttert sein und irgendwie auch Angst vor so etwas wie „dem Bösen“. Hitlers Reden berühren mich schon lange nicht mehr. Ebenso die Reden von Charles Manson. Beide machen mir vor allem keine Angst vor „dem Bösen“. Das ist es glaube ich, was mich früher beunruhigte. Das so etwas wie „das Böse“ existieren könnte, etwas, das irgendwie von Außen – in einem quasi religiösem Sinne- in die Menschen kommen könnte. Wenn ich heute Menschen wie Hitler und Manson reden höre, dann sehe ich einfach nur Leere. Armselige Leere. Nichts, was irgendwie beeindruckend oder beängstigend sein könnte. Angst muss man nur haben, wenn solche leeren oder auch innerlich tote Menschen plötzlich Menschen um sich gruppieren und zu Macht kommen. Manson war ein solcher Mensch, der zu Macht kam und dadurch Unheil anrichten konnte. Und sein Größenwahn war ähnlich ausgeprägt wie der von Hitler. Nach Mansons damaligen „Helter Skelter Theorie“ wäre nämlich er nach einem Rassenkrieg zum alleinigen Führer der USA aufgestiegen.
„Das Böse“ in ihm war allerdings hausgemacht, d.h. durch leibhaftige Menschen selbst reproduziert. Seine Kindheit erinnert an die unvorstellbaren, alptraumhaften Kindheiten von denen auch Gilligan und Pincus in ihren Arbeiten mit und über grausame Mörder berichtet haben. Es gab keine Liebe, keine Hilfe, keine Hoffnung; nur Hass, Gewalt und Dunkelheit, von Geburt an. Manson selbst sieht diese Zusammenhänge sehr deutlich (dazu unten ein Zitat).
Ich habe das Buch „Charles Manson. Meine letzten Worte“ von der Journalistin Michal Welles (2011 im Hannibal Verlag, Höfen erschienen) als Online-Kindle Buch durchgearbeitet. Welles hat Manson über einem Zeitraum von 20 Jahren immer wieder in der Haft besucht und mit ihm gesprochen. In ihrem Buch lässt sie ihm viel Raum, um zu Wort zu kommen. Seine Kindheit erklärt vieles und entschuldigt dennoch nichts.
Seine Mutter sei ständig betrunken gewesen, erinnert sich Manson an seine Kindheit. (Kapitel „Über Mich“, Position 974) Sie selbst floh erstmals im Altern von 15 Jahren von ihrem zu Hause und wurde zur Kriminellen mit häufigen Inhaftierungszeiten. (Als Charles geboren wurde, war seine Mutter – laut Wikipedia – gerade 16 Jahre alt.) Sie wollte später unbedingt verhindern, dass Charles bei ihren Eltern (seinen Großeltern) aufwuchs und setzte sich dafür ein, dass er in ein Heim kam (was letztlich klar macht, aus welch schlimmen Verhältnissen sie selbst kam.) „Sie konnte ja nicht ahnen, dass für Jungen, die unter staatlicher Obhut standen, das Bett in der Hölle gemacht ist.“, so Manson wörtlich dazu. (Kapitel „Über Mich“, Position 974) Er berichtet daraufhin über seine Heimunterbringung bei einer christlichen Organisation, über die heiligen Väter und Nonnen, „die mich windelweich prügelten und dabei behaupteten, es sei nur zu meinem Besten.“ (ebd.) Manson stand nach eigenen Angaben mit 11 Jahren alleine auf der Straße. Er überlebte u.a. durch kriminelle Taten. Mit 13 Jahren kam er dann, nachdem er festgenommen worden war, in ein Erziehungsheim, floh, wurde wieder festgenommen, kam in ein anderes Heim usw. (Kapitel „Über Mich“, Position 992)
„Den ersten Knacks bekam ich gleich zu Anfang, nachdem man mich in ein Heim gesteckt hatte. Ich war erst sechs, als mich ein Junge von vielleicht 14 Jahren missbrauchte. Anschließend beschimpfte er mich und erzählte jedem, was für ein süßes Mädchen ich gewesen war. Es war einfach niemand da, zu dem ich hätte gehen können. Es gab keine Hilfe.“ (Kapitel „Keine Tränen mehr“, Position 1043-1061)
„Wenn Du kapierst, dass deine eigene Mutter dich nicht lieben kann, dann verändert es dich und deine Stellung in der Welt.“ (Kapitel „Erinnerungen an ganz, ganz früher“, Position 1118)
Manson berichtet, wie seine Mutter war, wenn sie getrunken hatte (was oft vorkam). Sie fing an, ihn zu beschimpfen und ihn zu verprügeln. „Sie verfolgte mich durch die schmierige Küche (…) brüllte meinen Namen und schrie, sie würde mir mein dreckiges Maul stopfen und mein armseliges Dasein beenden, wenn sie mich erwischen würde. `Dann wirst Du anderen Leuten nicht mehr das Leben schwer machen können. Du elende kleine Ratte.` So ging das immer und immer weiter. Wenn ich heulte, hasste sie mich nur noch mehr. `Hör auf, wie ein kleines Mädchen rumzuflennen. Was bist du nur für ein Weichei!` Sie schrie und brüllte und verfolgte mich durch die ganze Wohnung. (…) Und schau mich heute an. Wo ich bin. Wer ich geworden bin. Für wen ihr mich alle haltet, und wieso ihr nicht wollt, dass ich je wieder aus dem Knast rauskomme. Der geheime Fluch, der all das in Gang setzte, wurde damals in dieser dreckigen Wohnung ausgesprochen, als ich mein Vertrauen in die Welt verlor und keinerlei Hoffnung mehr hatte, dass man mich wirklich und wahrhaftig lieben würde.“ (Kapitel „Erinnerungen an ganz, ganz früher“, Position 1137) Nach diesen Ausführungen schwenkt er wieder zu seinen Heimaufenthalten und den Demütigungen und Bestrafungen (er benutzt auch das Wort „Folter“) , denen er dort ausgesetzt war. Er wäre im Alter von 10 Jahren in einem christlichen Heim zum Teufel erklärt worden. „Ich floh aus dieser Anstalt, nachdem man mich fast totgeprügelt hatte, weil ich vorm Essen nicht gebetet hatte.“ (ebd.) Manson berichtet dann, wie er einmal im Alter von 11 Jahren eine gute Nonne auf der Straße traf, die ihn kurz aufnahm. Sie wollte etwas von ihm und seinem Leben erfahren. Er fasst zusammen: „Als ich ihr erzählte, ich sei schon seit 11 Jahren auf der Flucht davor, gehasst, abgelehnt und bestraft zu werden, und auf den Straßen sei es selbst an einem solchen Tag (Anmerkung: es war kalt und nass zu der Zeit) wärmer als dort, wo ich herkam, da traten Tränen in ihre alten, müden, braunen Augen.“ Charles Manson hat mit diesem Satz im Grunde die ganze Hölle seiner Kindheit von Geburt an auf den Punkt gebracht.
Seinen Vater hat Charles Manson nie kennengelernt. Der Freund, mit dem seine Mutter gerade bei seiner Geburt zusammen war, gab ihm seinen Nachnamen: Manson. Dieser war nie da und gab ihm nie das Gefühl, in ihm einen Vater zu haben, so Manson. (Kapitel „Vater“, Position 1201)
Ich halte es für enorm wichtig, Kindheitsgeschichten von Mördern und Massenmördern nicht einfach nur kurz mit Worten wie "unglückliche Kindheit" oder "geprügeltes Kind" zu kennzeichnen (was oft in Medien geschieht). Ihre Taten werden erst richtig zu erklären sein, wenn man sich die Details anschaut, das ganze Ausmaß der Leidensgeschichte.
An einer Stelle erklärt Manson übrigens seinen Erfolg als Sektenguru. „Alle von diesen jungen Leuten, die bei uns landeten, hatten etwas in sich, was an ihnen nagte, ihnen die Ruhe und das Selbstvertrauen untergrub und ihr eigentliches Ich zerstörte. Und ich, der ewige Knacki, das Straßenkind, das schon im Kleinkindalter getürmt war, der Sünder seit dem Tag seiner Geburt, ich stand da und erklärte ihnen, dass mit ihnen alles in Ordnung war. Das allein war schon ein Schock. Als ich ihnen dann noch zu sagen wagte, dass ihre Eltern falsch gehandelt und nicht das Recht gehabt hatten, ihnen die Seelen zu stehlen, entstand daraus die geheime Mischung, aus der meine Macht erwuchs.“( Kapitel „Vater“, Position 1218) Die von ihm gegründete Gemeinschaft oder Sekte nannte sich auch "The Family" oder "The Manson Family". Führer und Gefolgschaft vereinte offensichtlich ihre destruktive Kindheitsgeschichte, ihre Suche nach Halt/Anerkennung und ihre Rachefantasien.
Dienstag, 17. Februar 2015
Papst befürwortet im Prinzip Gewalt gegen Kinder und verrät dabei viel über sich selbst.
Am 04.02.2015 hat sich Papst Franziskus in seiner wöchentlichen Generalaudienz im Prinzip für Körperstrafen gegen Kinder ausgesprochen. Sein entscheidender Satz lautete:
"Einmal habe ich einen Vater bei einem Treffen mit Ehepaaren sagen hören: 'Ich muss manchmal meine Kinder ein bisschen schlagen, aber nie ins Gesicht, um sie nicht zu demütigen'." "Wie schön!", erklärte Franziskus. "Er weiß um den Sinn der Würde. Er muss sie bestrafen, aber tut es gerecht und geht dann weiter." (siehe z.B. ZEIT-Online) Seine Äußerungen kann mensch auch als Video auf youtube sehen. Als der Papst mit den Worten „Wie schön!“ beginnt, hebt er belehrend und unterstreichend die rechte Hand (Daumen und Zeigefinger verbindend) und gleitet in ein Lächeln ab, als er auf die „Gerechtigkeit“ der Strafe zu sprechen kommt. Ich fand seine Aussage und Gesten sehr authentisch. Sprich: Er glaubt wirklich, dass Körperstrafen „gerecht“ und „würdevoll“ sein können und Sinn machen, um Kinder väterlich zu „korrigieren“ (Dass Väter ihre Kinder mit „Bestimmtheit korrigieren“ sollen, sagte er vorher in seiner Rede.)
Dazu habe ich (passend zur kirchlichen Tradition) dreifaltige Anmerkungen:
1. Die Reaktionen in den deutschen Medien und auch in Kommentarbereichen entsprechender Artikel über die Papstaussage sind eindeutig kritisch. Gewalt gegen Kinder kann niemals würdevoll sein und ist falsch, das ist die überwiegende Reaktion. Ist das nicht großartig? Noch vor 15-20 Jahren hätte es kaum derart breite kritische Anmerkungen in den Medien bzgl. der Papstaussage gegeben.
2. Viele befürchten, dass der Papst durch seine Äußerungen Gewalt in der Erziehung befördern könnte. Das glaube ich weniger. Er stützt eher die, die sowieso schon schlagen. Eltern brauchen keine päpstlichen Belehrungen, um Schläge auszuteilen. Sie kommen alleine darauf, weil sie nur das weitergeben, was sie selbst als Kind erlitten haben.
Anders wäre es gewesen, wenn er sich eindeutig gegen jegliche Gewalt in der Erziehung gestellt hätte. Da hätte manch gläubiger Katholik vielleicht Denkanstöße mit nach Hause bekommen.
3. Das besonders Erschreckende an seinen Äußerungen ist etwas, dass in den Medien nicht angesprochen wurde. Die o.g. Papstaussage lässt die starke Vermutung zu, dass Franziskus selbst als Kind geschlagen wurde. „Auf Nachfrage verteidigte Vatikan-Vertreter Thomas Rosica die Thesen des Papstes.“, schreibt die ZEIT. „Wer habe nicht schon einmal sein Kind gezüchtigt oder sei von den Eltern gezüchtigt worden, schrieb Rosica in einer E-Mail. Der Papst habe nicht über Gewalt oder Grausamkeit gegenüber Kindern gesprochen, sondern vielmehr darüber, jemandem zu Wachstum und Reife zu verhelfen.“ Der Papst-Sprecher Rosica spricht im Grunde also aus, was ich vermute. Wer sei nicht schon einmal als Kind geschlagen worden?, antwortet er, wohl auch im Namen des heiligen Vaters Franziskus. (Rein statistisch ist es eh extrem wahrscheinlich, dass er als Kind geschlagen wurde. Er ist Jahrgang 1936 und stammt zudem aus Südamerika, wo das Schlagen von Kindern auch heute noch sehr weit verbreitet ist)
Nun möchte ich nicht schreiben, dass es grundsätzlich erschreckend ist, dass ein – vermutlich – als Kind Geschlagener so eine mächtige Position wie die des Papstes inne hat (Natürlich sind die Mächtigen in der Welt eh den gleichen Erziehungspraktiken ausgesetzt gewesen, wie das Volk) Erschreckend ist, dass dieser mächtige Mensch offensichtlich weiterhin mit dem Aggressor identifiziert ist (wobei es da unterschiedlich starke Ausprägungen gibt) Wo elterliches Gewaltverhalten mit einem Lächeln unterstrichen wird und Gewalt mit positiven Begriffen wie „Würde“ und „Gerechtigkeit“ verbunden wird, da stimmt etwas nicht in dem emotionalen Zugang zur Welt, da wurde die eigene Wahrnehmung einst vernebelt und verdreht. Die Frage ist, in wie weit dies politisch-kirchliche Entscheidungen ggf. mit prägt. Und eine andere grundsätzliche Frage ist auch, in wie weit eine Organisation wie die katholische Kirche - mit ihren festen Hierarchien, ihren festen Strukturen und Erklärungen von Welt – in besonderem Maße Menschen anzieht, die durch ihre Kindheitserlebnisse aus der Bahn geworfen wurden und Sinn und Halt suchen. Ohne dass ich dies jetzt zwangsläufig negativ bewerte, denn ein religiöses Auffangen, dass nicht zu Gewalt und Destruktivität führt, kann ja auch nützlich sein.
Übrigens hat einzig die Pädagogin Katharina Saalfrank in einem offenen Brief an den Papst den vorgenannten Gedanken ebenfalls öffentlich gemacht (Danke an Mario für den Hinweis auf den Brief im Gästebuch!) Sie schreibt: "Im Grunde aber strafen die Erwachsenen zumeist, weil sie als Kinder selbst geschlagen wurden und unbewusst etwas selbst Erlebtes wiederholen. Würden wir uns gegenüber sitzen, so würde ich die Frage stellen, wie war es eigentlich bei Ihnen? Vermutlich haben Sie selbst Schläge erlebt und die Programmierung „es geschieht zu Deinem Besten“ hat vortrefflich funktioniert." (siehe hier)
Dass Eltern Kindern nicht immer gerne ins Gesicht schlagen, hat übrigens oft einen ganz anderen Grund, als den, sie – angeblich - nicht „in ihrer Würde zu verletzten“. Schläge ins Gesicht hinterlassen sichtbare Spuren für Nachbarn, Lehrer und Umfeld und das könnte im Zweifel Konflikte hervorrufen.
Anmerkung:
Im Kommentarbereich des o.g. ZEIT-Artikels hat übrigens jemand im Kommentar Nr. 3 folgendes geschrieben:
"Ich bin froh darüber, dass mich mein Vater damals als ich mit 11 Jahren angenfangen habe aus meinen elterlichen Portmonee Geld zu stibitzen mir einpaar gescheurt hat. Oder meine Mutter als ich mehrere 6er hintereinander nach Hause gebracht habe nur wegen Faulheit. Es hatte seine nachhaltige Wirkung.
Alles was ich heute bin oder erreicht habe, habe ich meinen Eltern zu verdanken. Meinen Eltern war ich halt nicht einfach egal wie bei anderen Eltern es so oft der Fall ist.
Es gibt halt einfach schwierige Kinder wo einfache Strafen wie Hausarrest oder einfaches reden nicht wirklich hilft. Bei mir war das auch nicht anders. Und nicht jede Eltern sind irgendwelche pseudo Psychologen."
Solche Kommentare finden sich vereinzelnd fast immer unter solchen Themenartikeln. Erschreckend ist dabei, wie deutlich zu sehen ist, wie das einst geschlagene Kind die Sicht der Eltern übernahm und sich unterwarf. Es ist das eigentlich ver-rückte, dass Erwachsene ihren Eltern rückblickend dankbar für Schläge sind. Ach, was hätte der Papst wohl dazu gesagt?
"Einmal habe ich einen Vater bei einem Treffen mit Ehepaaren sagen hören: 'Ich muss manchmal meine Kinder ein bisschen schlagen, aber nie ins Gesicht, um sie nicht zu demütigen'." "Wie schön!", erklärte Franziskus. "Er weiß um den Sinn der Würde. Er muss sie bestrafen, aber tut es gerecht und geht dann weiter." (siehe z.B. ZEIT-Online) Seine Äußerungen kann mensch auch als Video auf youtube sehen. Als der Papst mit den Worten „Wie schön!“ beginnt, hebt er belehrend und unterstreichend die rechte Hand (Daumen und Zeigefinger verbindend) und gleitet in ein Lächeln ab, als er auf die „Gerechtigkeit“ der Strafe zu sprechen kommt. Ich fand seine Aussage und Gesten sehr authentisch. Sprich: Er glaubt wirklich, dass Körperstrafen „gerecht“ und „würdevoll“ sein können und Sinn machen, um Kinder väterlich zu „korrigieren“ (Dass Väter ihre Kinder mit „Bestimmtheit korrigieren“ sollen, sagte er vorher in seiner Rede.)
Dazu habe ich (passend zur kirchlichen Tradition) dreifaltige Anmerkungen:
1. Die Reaktionen in den deutschen Medien und auch in Kommentarbereichen entsprechender Artikel über die Papstaussage sind eindeutig kritisch. Gewalt gegen Kinder kann niemals würdevoll sein und ist falsch, das ist die überwiegende Reaktion. Ist das nicht großartig? Noch vor 15-20 Jahren hätte es kaum derart breite kritische Anmerkungen in den Medien bzgl. der Papstaussage gegeben.
2. Viele befürchten, dass der Papst durch seine Äußerungen Gewalt in der Erziehung befördern könnte. Das glaube ich weniger. Er stützt eher die, die sowieso schon schlagen. Eltern brauchen keine päpstlichen Belehrungen, um Schläge auszuteilen. Sie kommen alleine darauf, weil sie nur das weitergeben, was sie selbst als Kind erlitten haben.
Anders wäre es gewesen, wenn er sich eindeutig gegen jegliche Gewalt in der Erziehung gestellt hätte. Da hätte manch gläubiger Katholik vielleicht Denkanstöße mit nach Hause bekommen.
3. Das besonders Erschreckende an seinen Äußerungen ist etwas, dass in den Medien nicht angesprochen wurde. Die o.g. Papstaussage lässt die starke Vermutung zu, dass Franziskus selbst als Kind geschlagen wurde. „Auf Nachfrage verteidigte Vatikan-Vertreter Thomas Rosica die Thesen des Papstes.“, schreibt die ZEIT. „Wer habe nicht schon einmal sein Kind gezüchtigt oder sei von den Eltern gezüchtigt worden, schrieb Rosica in einer E-Mail. Der Papst habe nicht über Gewalt oder Grausamkeit gegenüber Kindern gesprochen, sondern vielmehr darüber, jemandem zu Wachstum und Reife zu verhelfen.“ Der Papst-Sprecher Rosica spricht im Grunde also aus, was ich vermute. Wer sei nicht schon einmal als Kind geschlagen worden?, antwortet er, wohl auch im Namen des heiligen Vaters Franziskus. (Rein statistisch ist es eh extrem wahrscheinlich, dass er als Kind geschlagen wurde. Er ist Jahrgang 1936 und stammt zudem aus Südamerika, wo das Schlagen von Kindern auch heute noch sehr weit verbreitet ist)
Nun möchte ich nicht schreiben, dass es grundsätzlich erschreckend ist, dass ein – vermutlich – als Kind Geschlagener so eine mächtige Position wie die des Papstes inne hat (Natürlich sind die Mächtigen in der Welt eh den gleichen Erziehungspraktiken ausgesetzt gewesen, wie das Volk) Erschreckend ist, dass dieser mächtige Mensch offensichtlich weiterhin mit dem Aggressor identifiziert ist (wobei es da unterschiedlich starke Ausprägungen gibt) Wo elterliches Gewaltverhalten mit einem Lächeln unterstrichen wird und Gewalt mit positiven Begriffen wie „Würde“ und „Gerechtigkeit“ verbunden wird, da stimmt etwas nicht in dem emotionalen Zugang zur Welt, da wurde die eigene Wahrnehmung einst vernebelt und verdreht. Die Frage ist, in wie weit dies politisch-kirchliche Entscheidungen ggf. mit prägt. Und eine andere grundsätzliche Frage ist auch, in wie weit eine Organisation wie die katholische Kirche - mit ihren festen Hierarchien, ihren festen Strukturen und Erklärungen von Welt – in besonderem Maße Menschen anzieht, die durch ihre Kindheitserlebnisse aus der Bahn geworfen wurden und Sinn und Halt suchen. Ohne dass ich dies jetzt zwangsläufig negativ bewerte, denn ein religiöses Auffangen, dass nicht zu Gewalt und Destruktivität führt, kann ja auch nützlich sein.
Übrigens hat einzig die Pädagogin Katharina Saalfrank in einem offenen Brief an den Papst den vorgenannten Gedanken ebenfalls öffentlich gemacht (Danke an Mario für den Hinweis auf den Brief im Gästebuch!) Sie schreibt: "Im Grunde aber strafen die Erwachsenen zumeist, weil sie als Kinder selbst geschlagen wurden und unbewusst etwas selbst Erlebtes wiederholen. Würden wir uns gegenüber sitzen, so würde ich die Frage stellen, wie war es eigentlich bei Ihnen? Vermutlich haben Sie selbst Schläge erlebt und die Programmierung „es geschieht zu Deinem Besten“ hat vortrefflich funktioniert." (siehe hier)
Dass Eltern Kindern nicht immer gerne ins Gesicht schlagen, hat übrigens oft einen ganz anderen Grund, als den, sie – angeblich - nicht „in ihrer Würde zu verletzten“. Schläge ins Gesicht hinterlassen sichtbare Spuren für Nachbarn, Lehrer und Umfeld und das könnte im Zweifel Konflikte hervorrufen.
Anmerkung:
Im Kommentarbereich des o.g. ZEIT-Artikels hat übrigens jemand im Kommentar Nr. 3 folgendes geschrieben:
"Ich bin froh darüber, dass mich mein Vater damals als ich mit 11 Jahren angenfangen habe aus meinen elterlichen Portmonee Geld zu stibitzen mir einpaar gescheurt hat. Oder meine Mutter als ich mehrere 6er hintereinander nach Hause gebracht habe nur wegen Faulheit. Es hatte seine nachhaltige Wirkung.
Alles was ich heute bin oder erreicht habe, habe ich meinen Eltern zu verdanken. Meinen Eltern war ich halt nicht einfach egal wie bei anderen Eltern es so oft der Fall ist.
Es gibt halt einfach schwierige Kinder wo einfache Strafen wie Hausarrest oder einfaches reden nicht wirklich hilft. Bei mir war das auch nicht anders. Und nicht jede Eltern sind irgendwelche pseudo Psychologen."
Solche Kommentare finden sich vereinzelnd fast immer unter solchen Themenartikeln. Erschreckend ist dabei, wie deutlich zu sehen ist, wie das einst geschlagene Kind die Sicht der Eltern übernahm und sich unterwarf. Es ist das eigentlich ver-rückte, dass Erwachsene ihren Eltern rückblickend dankbar für Schläge sind. Ach, was hätte der Papst wohl dazu gesagt?
Montag, 26. Januar 2015
Studie: Den meisten Kindern in Deutschland geht es wirklich gut
Entgegen aller dunklen Themen in diesem Blog bleibe ich Optimist, was die weitere Entwicklung der Kindheiten angeht. Deutschland scheint da ein richtiges Zugpferd und Vorbild zu sein, das legen viele hier im Blog besprochene Daten nahe, wie auch eine aktuelle Studie.
Für die Zeitschrift Eltern wurden - jeweils in eigenen Studien und Befragungen - Eltern (1.006)und Kinder
(727 Kinder von 6 bis 12 Jahren) in Deutschland repräsentativ befragt. (Eltern, 12.01.2015, „Eltern 2015 – wie geht es uns? Und unseren Kindern?“)
77 % der Kinder meinen, dass sich ihre Eltern sehr gut verstehen und sich lieben.
Über 90 % der Kinder fühlen sich von ihren Eltern so geliebt, wie sie sind; fühlen sich bei ihren Eltern immer sicher und wohl und empfinden ihre Eltern als die besten Eltern, die sie sich vorstellen können.
93 % der Kinder finden es schön auf der Welt zu sein und 83 % meinen, dass es ihnen richtig gut geht.
Die Studie zeigt auch: Die Eltern sind gestresst und haben hohe Ansprüche an sich (höhere, als früher). Doch sind nicht die positiven Rückmeldungen der Kinder auch mal ein Eigenlob wert? Diese Frage steht so sinngemäß am Ende der Studie und dort steht auch: "Großartige Eltern, glückliche Kinder." Dem kann ich nur zustimmen.
Für die Zeitschrift Eltern wurden - jeweils in eigenen Studien und Befragungen - Eltern (1.006)und Kinder
(727 Kinder von 6 bis 12 Jahren) in Deutschland repräsentativ befragt. (Eltern, 12.01.2015, „Eltern 2015 – wie geht es uns? Und unseren Kindern?“)
77 % der Kinder meinen, dass sich ihre Eltern sehr gut verstehen und sich lieben.
Über 90 % der Kinder fühlen sich von ihren Eltern so geliebt, wie sie sind; fühlen sich bei ihren Eltern immer sicher und wohl und empfinden ihre Eltern als die besten Eltern, die sie sich vorstellen können.
93 % der Kinder finden es schön auf der Welt zu sein und 83 % meinen, dass es ihnen richtig gut geht.
Die Studie zeigt auch: Die Eltern sind gestresst und haben hohe Ansprüche an sich (höhere, als früher). Doch sind nicht die positiven Rückmeldungen der Kinder auch mal ein Eigenlob wert? Diese Frage steht so sinngemäß am Ende der Studie und dort steht auch: "Großartige Eltern, glückliche Kinder." Dem kann ich nur zustimmen.
Samstag, 24. Januar 2015
Anschlag auf Charlie Hebdo. Die Kindheit der Täter
Ich hatte kürzlich in einem Beitrag darauf hingewiesen, dass die beiden Brüder Chérif und Saïd Kouachi, die für den Terroranschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" verantwortlich sind, in einem Heim aufgewachsen sind. Den alten Beitrag lösche ich hiermit, da u.a. der SPIEGEL (Nr. 4 / 17.01.2015) mit einem Titelthema zu dem Anschlag etwas ausführlichere Informationen über Kindheit und Jugend recherchiert hat.
Der entsprechende SPIEGEL Artikel trägt den Titel „Das waren gute Kinder“ (S. 77-84; der Artikel ist auch online in englisch hier zu lesen) Eine ehemalige Erzieherin in dem Kinderheim hatte diesen (Titel-)Satz bzgl. ihrer früheren Schützlinge zu Protokoll gegeben.
Ich hatte mich in dem nun gelöschten Beitrag rein auf die Heimunterbringung konzentriert, da es in diversen Medien hieß, beide Brüder wären in sehr früher Kindheit nach dem Tod beider Eltern ins Heim gekommen. Der SPIEGEL zeigt da jetzt ein anderes Bild. Der Vater der Brüder starb 1990 an Krebs. Chérif ist zu dem Zeitpunkt ca. 8, sein Bruder Saïd ca. 10 Jahre alt. „(…) die Mutter bekam noch eine weitere Tochter mit einem anderen Mann. Sie fühlte sich überfordert mit den vielen Kindern, erzählt der Heimleiter. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Schulnoten der Brüder schlechter, sie wirkten verwahrlost. Das Pariser Jugendamt schickt die vier ältesten Geschwister in das Kinderheim nach Treignac, wo sie am 03. Oktober 1994 ankamen.“ (DER SPIEGEL, 17.01.2015, S. 78) Chérif ist 11 Jahre alt bei seiner Heimunterbringung, sein Bruder Saïd ist gerade 14 Jahre alt geworden. Die Mutter telefonierte laut SPIEGEL regelmäßig mit den Kindern, kam aber nie zu Besuch. Ca. drei Monate nach der Heimunterbringung stirbt die Mutter Anfang 1995.
Es gibt Berichte, dass sich die Mutter der Brüder nach dem Tod des Vaters prostituierte, um die Kinder durchbringen zu können. Die Brüder hätten ihre Mutter eines Tages tot in der Wohnung gefunden. Von einer Überdosis Drogen ist die Rede und von Selbstmord. (vgl. The National, 18.01.2015, “From orphans to terrorists: journey of the Kouachi brothers” und The Telegraph, 19.01.2015, “Charlie Hebdo killers 'traumatised by mother's suicide' ”; beide Artikel berufen sich wohl auf den Artikel “L’enfance misérable des frères Kouachi” vom 15.01.2015 auf “reporterre”, den ich leider weitgehend nicht verstehe, da ich kein französisch kann. Durch googel kann man ihn allerdings übersetzen lassen und erhält zumindest einen Eindruck. Der Titel sagt schon vieles (übersetzt): "Die unglückliche Kindheit der Brüder Kouachi")
Im SPIEGEL werden die Abläufe anders dargestellt, die Mutter starb demnach erst nach der Heimunterbringung. Von einem möglichen Selbstmord der Mutter ließt man allerdings auch auf Wikipedia unter Berufung auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 17.01.2015.
Es gibt also noch einige Unklarheiten und Fragezeichen. Es baut sich allerdings ein Bild auf. Egal welcher o.g. Quelle und Darstellung man folgt, so oder so, diese Kindheiten waren ein Alptraum. (Was nichts entschuldigt!)
Ein Titel wie „Das waren gute Kinder“ (wie vom SPIEGEL gewählt) lenkt eher ab. Vielmehr sollten die offenen Fragen beantwortet werden. Die Spitze des Eisberges (die vorgenannten Hintergrundinfos) sind erschreckend genung, doch wie sahen die Kindheiten in der Familie Kouachi genau aus, was passierte alles im Laufe der Jahre? Gab es Gewalt als Mittel der Bestrafung? Andere Übergriffe? Geschwister der Brüder leben noch, man könnte die Fragen klären, wenn man wollte.
Eine aktuelle UNICEF Studie stellte bzgl. des Heimatlandes der Eltern der Attentäter fest, dass 88 % der aktuellen Kindergeneration in Algerien körperliche und/oder psychische Gewalt erleben. 75 % erleben körperliche Gewalt, besonders schwere körperliche Gewalt ca. 25 % und rein psychische Gewalt 84 %. Das Ganze gilt nur für das Gewalterleben innerhalb eines Monats vor der Befragung! Algerien gehört demnach zu einem der gewaltvollsten Ländern der Welt, was den Umgang mit Kindern angeht. Die Vermutung liegt - alleine aus statistischen Gründen - nahe, dass im Hause Kouachi eher ein nicht liberaler Erziehungsgeist herrschte, sondern das genaue Gegenteil davon.
Der entsprechende SPIEGEL Artikel trägt den Titel „Das waren gute Kinder“ (S. 77-84; der Artikel ist auch online in englisch hier zu lesen) Eine ehemalige Erzieherin in dem Kinderheim hatte diesen (Titel-)Satz bzgl. ihrer früheren Schützlinge zu Protokoll gegeben.
Ich hatte mich in dem nun gelöschten Beitrag rein auf die Heimunterbringung konzentriert, da es in diversen Medien hieß, beide Brüder wären in sehr früher Kindheit nach dem Tod beider Eltern ins Heim gekommen. Der SPIEGEL zeigt da jetzt ein anderes Bild. Der Vater der Brüder starb 1990 an Krebs. Chérif ist zu dem Zeitpunkt ca. 8, sein Bruder Saïd ca. 10 Jahre alt. „(…) die Mutter bekam noch eine weitere Tochter mit einem anderen Mann. Sie fühlte sich überfordert mit den vielen Kindern, erzählt der Heimleiter. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Schulnoten der Brüder schlechter, sie wirkten verwahrlost. Das Pariser Jugendamt schickt die vier ältesten Geschwister in das Kinderheim nach Treignac, wo sie am 03. Oktober 1994 ankamen.“ (DER SPIEGEL, 17.01.2015, S. 78) Chérif ist 11 Jahre alt bei seiner Heimunterbringung, sein Bruder Saïd ist gerade 14 Jahre alt geworden. Die Mutter telefonierte laut SPIEGEL regelmäßig mit den Kindern, kam aber nie zu Besuch. Ca. drei Monate nach der Heimunterbringung stirbt die Mutter Anfang 1995.
Es gibt Berichte, dass sich die Mutter der Brüder nach dem Tod des Vaters prostituierte, um die Kinder durchbringen zu können. Die Brüder hätten ihre Mutter eines Tages tot in der Wohnung gefunden. Von einer Überdosis Drogen ist die Rede und von Selbstmord. (vgl. The National, 18.01.2015, “From orphans to terrorists: journey of the Kouachi brothers” und The Telegraph, 19.01.2015, “Charlie Hebdo killers 'traumatised by mother's suicide' ”; beide Artikel berufen sich wohl auf den Artikel “L’enfance misérable des frères Kouachi” vom 15.01.2015 auf “reporterre”, den ich leider weitgehend nicht verstehe, da ich kein französisch kann. Durch googel kann man ihn allerdings übersetzen lassen und erhält zumindest einen Eindruck. Der Titel sagt schon vieles (übersetzt): "Die unglückliche Kindheit der Brüder Kouachi")
Im SPIEGEL werden die Abläufe anders dargestellt, die Mutter starb demnach erst nach der Heimunterbringung. Von einem möglichen Selbstmord der Mutter ließt man allerdings auch auf Wikipedia unter Berufung auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 17.01.2015.
Es gibt also noch einige Unklarheiten und Fragezeichen. Es baut sich allerdings ein Bild auf. Egal welcher o.g. Quelle und Darstellung man folgt, so oder so, diese Kindheiten waren ein Alptraum. (Was nichts entschuldigt!)
Ein Titel wie „Das waren gute Kinder“ (wie vom SPIEGEL gewählt) lenkt eher ab. Vielmehr sollten die offenen Fragen beantwortet werden. Die Spitze des Eisberges (die vorgenannten Hintergrundinfos) sind erschreckend genung, doch wie sahen die Kindheiten in der Familie Kouachi genau aus, was passierte alles im Laufe der Jahre? Gab es Gewalt als Mittel der Bestrafung? Andere Übergriffe? Geschwister der Brüder leben noch, man könnte die Fragen klären, wenn man wollte.
Eine aktuelle UNICEF Studie stellte bzgl. des Heimatlandes der Eltern der Attentäter fest, dass 88 % der aktuellen Kindergeneration in Algerien körperliche und/oder psychische Gewalt erleben. 75 % erleben körperliche Gewalt, besonders schwere körperliche Gewalt ca. 25 % und rein psychische Gewalt 84 %. Das Ganze gilt nur für das Gewalterleben innerhalb eines Monats vor der Befragung! Algerien gehört demnach zu einem der gewaltvollsten Ländern der Welt, was den Umgang mit Kindern angeht. Die Vermutung liegt - alleine aus statistischen Gründen - nahe, dass im Hause Kouachi eher ein nicht liberaler Erziehungsgeist herrschte, sondern das genaue Gegenteil davon.
Montag, 5. Januar 2015
Kindheiten von RAF-Terroristen
Nachträglicher Hinweis: Die Kindheiten von Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Inge Viett, Horst Mahler, Stefan Wisniewski, Peter-Jürgen Boock, Lutz Taufer und Astrid Proll habe ich in meinem Buch besprochen und dabei Infos und Quellen eingebracht, die ich zum Zeitpunkt dieses Blogbeitrages noch nicht vorliegen hatte. Irgendwann werde ich auch den Blog bzw. diesen Beitrag hier dahingehend aktualisieren.
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Gleich Anfang des Jahres 2015 hatte ich ein „Aha-Erlebnis“. Ich googelte etwas über die Kindheit von RAF Terroristen. U.a. auch über Peter-Jürgen Boock. Ich fand die Information, dass Boock im Alter von 16 Jahren von seinen Eltern in ein Kinderheim (zur damaligen Zeit sehr strenge und gewaltvolle Orte für Kinder, wie wir heute wissen) gesperrt wurde. Das Schicksal wollte es, dass Boock gerade dort die RAF-Gründer Andreas Baader und Gudrun Ensslin kennenlernte (diese engagierten sich damals für Heimkinder) bzw. diese ihn quasi aus dem Heim heraus rekrutierten. Er habe Baader geliebt, gestand Boock in einem Interview. „Da gab es einen Grad von Verlässlichkeit, wie er mir vorher in meinem Leben nicht begegnet war.“ (Kölner Stadtanzeiger, 23.04.2007, „ Boock hat nicht den besten Leumund“)
Während ich nach weiteren Informationen über Boocks Kindheit suchte (und keine fand) stieß ich - zu meinem eigenen Erstaunen - auf meinen Blog. Und zwar auf mein Nachwort zum „Grundlagentext“, in dem ich 2008 folgendes geschrieben hatte:
„Am 18.10.07 gab es auf dem Sender N-TV eine Dokumentation über den „Terror der RAF“, in der auch der Ex-Terrorist Peter-Jürgen Boock interviewt wurde. Er sagte dort aus, dass der Moment der Schleyer Entführung (damals kamen während der Entführung auch Begleiter von Schleyer ums Leben; Schleyer selbst wurde später umgebracht) und nachdem alles so „glatt gelaufen“ wäre, er sich so lebendig gefühlt habe, wie nie zuvor in seinem Leben. Wenn sich ein Mensch nur mit Hilfe von Terror „lebendig“ fühlen kann, dann sagt das viel über tiefere, emotionale Ursachen seiner Taten aus, die im Kern nichts mit politischen Zielen oder der Zeit usw. zu tun haben, wie ich meine.“
Ich hatte diese Textstelle glatt vergessen...
Nachträglich geben mir die o.g. Informationen über die Heimunterbringung von Boock Recht bzgl. meiner Gedanken aus dem Jahr 2008. Über Boocks Eltern habe ich noch nichts gefunden. Aber: Welche Eltern geben ihr Kind in ein Heim? Es muss eine Menge Destruktivität im Hause Boock geherrscht haben. So viel Destruktivität, dass sich der später Erwachsene lebendig fühlte, als ein anderer Mensch litt.
Der RAF Terrorist Stefan Wisniewski wurde ebenfalls von seinen Eltern als Jugendlicher in ein Heim gegeben. Siebenmal flüchtete er innerhalb eines Jahres, wurde aber immer wieder von der Polizei zurückgebracht. (SPIEGEL-Online, 23.04.2007, „Stefan Wisniewski: Wie aus einem Provinzler die Furie der RAF wurde“)
Ich habe mich bisher nur häppchenweise mit den Kindheiten von RAF-Terroristen befasst. In meinem Blog gibt es bisher nur einen Beitrag über die Kindheit von Inge Viett, die ebenfalls in einem Kinderheim und zwischenzeitlich auch bei Pflegeeltern lebte.
Bzgl. Ulrike Meinhof ist mir bisher nur die wichtige Info bekannt, dass ihr Vater starb, als sie fünf Jahre alt war. Sie ist vierzehn, da stirbt ihre Mutter an Krebs. Dies an sich spricht für eine sehr traumatische Kindheit. (Zudem war sie - Jahrgang 1934 - ein Kriegskind) Ich bin aber davon überzeugt, dass es noch mehr braucht, um zum Terroristen zu werden. Wie war der Umgang der Eltern (zu deren Lebzeiten) mit ihr? Gab es Vernachlässigungs- und Gewalterfahrungen in ihrer Kindheit?
Über Andreas Baader fand ich im Internet in diversen Quellen bisher nur die Info, dass er seinen Vater nie kennengelernt hat, da dieser verstarb. Er wuchs in einem Haushalt mit Mutter, Tante und Großmutter auf und soll verwöhnt worden sein. Ich zitiere nicht gerne Diplomarbeiten, aber in folgender fand ich die Info, dass er auch längere Zeit von seiner Mutter getrennt war. Die Mutter ließ Andreas nach Kriegsende bei seiner Großmutter in Thüringen und versuchte in München Geld für die Familie zu verdienen. Erst 1949 - Andreas war sechs Jahre alt - zog die Familie gemeinsam nach München und Mutter und Sohn lebten - nach Jahren der Trennung - wieder zusammen. (vgl. Hofböck, Carina (2010): Die Berichterstattung über die RAF-TerroristInnen in den österreichischen Printmedien. Uni Wien, Diplomarbeit, S. 36) Seine Großmutter muss irgendwann Ende des 19. Jahrhunderts geboren worden sein. Was für einen Erziehungsstil hat sie wohl gegenüber dem Kleinkind Andreas gelebt, als sie mit diesem alleine war? Viele Fragen bleiben offen.
Es gibt mittlerweile etliche Bücher, vor allem auch Autobiografien der Terroristen selbst, über die RAF. Mir scheint, dass man in den Kindheiten dieser Leute viele Brüche finden kann. Außerdem sprechen alleine ihre Geburtsjahrgänge rein statistisch dafür, dass sie elterliche Gewalt erlebt haben.
Sofern es meine Zeit zukünftig zuläßt, werde ich ausführlich über einzelne Terroristen recherchieren und dies hier im Blog zusammentragen. Sofern die Leserschaft hier schon ergänzende Hinweise hat, bitte, ich freue mich auf Kommentare.
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Gleich Anfang des Jahres 2015 hatte ich ein „Aha-Erlebnis“. Ich googelte etwas über die Kindheit von RAF Terroristen. U.a. auch über Peter-Jürgen Boock. Ich fand die Information, dass Boock im Alter von 16 Jahren von seinen Eltern in ein Kinderheim (zur damaligen Zeit sehr strenge und gewaltvolle Orte für Kinder, wie wir heute wissen) gesperrt wurde. Das Schicksal wollte es, dass Boock gerade dort die RAF-Gründer Andreas Baader und Gudrun Ensslin kennenlernte (diese engagierten sich damals für Heimkinder) bzw. diese ihn quasi aus dem Heim heraus rekrutierten. Er habe Baader geliebt, gestand Boock in einem Interview. „Da gab es einen Grad von Verlässlichkeit, wie er mir vorher in meinem Leben nicht begegnet war.“ (Kölner Stadtanzeiger, 23.04.2007, „ Boock hat nicht den besten Leumund“)
Während ich nach weiteren Informationen über Boocks Kindheit suchte (und keine fand) stieß ich - zu meinem eigenen Erstaunen - auf meinen Blog. Und zwar auf mein Nachwort zum „Grundlagentext“, in dem ich 2008 folgendes geschrieben hatte:
„Am 18.10.07 gab es auf dem Sender N-TV eine Dokumentation über den „Terror der RAF“, in der auch der Ex-Terrorist Peter-Jürgen Boock interviewt wurde. Er sagte dort aus, dass der Moment der Schleyer Entführung (damals kamen während der Entführung auch Begleiter von Schleyer ums Leben; Schleyer selbst wurde später umgebracht) und nachdem alles so „glatt gelaufen“ wäre, er sich so lebendig gefühlt habe, wie nie zuvor in seinem Leben. Wenn sich ein Mensch nur mit Hilfe von Terror „lebendig“ fühlen kann, dann sagt das viel über tiefere, emotionale Ursachen seiner Taten aus, die im Kern nichts mit politischen Zielen oder der Zeit usw. zu tun haben, wie ich meine.“
Ich hatte diese Textstelle glatt vergessen...
Nachträglich geben mir die o.g. Informationen über die Heimunterbringung von Boock Recht bzgl. meiner Gedanken aus dem Jahr 2008. Über Boocks Eltern habe ich noch nichts gefunden. Aber: Welche Eltern geben ihr Kind in ein Heim? Es muss eine Menge Destruktivität im Hause Boock geherrscht haben. So viel Destruktivität, dass sich der später Erwachsene lebendig fühlte, als ein anderer Mensch litt.
Der RAF Terrorist Stefan Wisniewski wurde ebenfalls von seinen Eltern als Jugendlicher in ein Heim gegeben. Siebenmal flüchtete er innerhalb eines Jahres, wurde aber immer wieder von der Polizei zurückgebracht. (SPIEGEL-Online, 23.04.2007, „Stefan Wisniewski: Wie aus einem Provinzler die Furie der RAF wurde“)
Ich habe mich bisher nur häppchenweise mit den Kindheiten von RAF-Terroristen befasst. In meinem Blog gibt es bisher nur einen Beitrag über die Kindheit von Inge Viett, die ebenfalls in einem Kinderheim und zwischenzeitlich auch bei Pflegeeltern lebte.
Bzgl. Ulrike Meinhof ist mir bisher nur die wichtige Info bekannt, dass ihr Vater starb, als sie fünf Jahre alt war. Sie ist vierzehn, da stirbt ihre Mutter an Krebs. Dies an sich spricht für eine sehr traumatische Kindheit. (Zudem war sie - Jahrgang 1934 - ein Kriegskind) Ich bin aber davon überzeugt, dass es noch mehr braucht, um zum Terroristen zu werden. Wie war der Umgang der Eltern (zu deren Lebzeiten) mit ihr? Gab es Vernachlässigungs- und Gewalterfahrungen in ihrer Kindheit?
Über Andreas Baader fand ich im Internet in diversen Quellen bisher nur die Info, dass er seinen Vater nie kennengelernt hat, da dieser verstarb. Er wuchs in einem Haushalt mit Mutter, Tante und Großmutter auf und soll verwöhnt worden sein. Ich zitiere nicht gerne Diplomarbeiten, aber in folgender fand ich die Info, dass er auch längere Zeit von seiner Mutter getrennt war. Die Mutter ließ Andreas nach Kriegsende bei seiner Großmutter in Thüringen und versuchte in München Geld für die Familie zu verdienen. Erst 1949 - Andreas war sechs Jahre alt - zog die Familie gemeinsam nach München und Mutter und Sohn lebten - nach Jahren der Trennung - wieder zusammen. (vgl. Hofböck, Carina (2010): Die Berichterstattung über die RAF-TerroristInnen in den österreichischen Printmedien. Uni Wien, Diplomarbeit, S. 36) Seine Großmutter muss irgendwann Ende des 19. Jahrhunderts geboren worden sein. Was für einen Erziehungsstil hat sie wohl gegenüber dem Kleinkind Andreas gelebt, als sie mit diesem alleine war? Viele Fragen bleiben offen.
Es gibt mittlerweile etliche Bücher, vor allem auch Autobiografien der Terroristen selbst, über die RAF. Mir scheint, dass man in den Kindheiten dieser Leute viele Brüche finden kann. Außerdem sprechen alleine ihre Geburtsjahrgänge rein statistisch dafür, dass sie elterliche Gewalt erlebt haben.
Sofern es meine Zeit zukünftig zuläßt, werde ich ausführlich über einzelne Terroristen recherchieren und dies hier im Blog zusammentragen. Sofern die Leserschaft hier schon ergänzende Hinweise hat, bitte, ich freue mich auf Kommentare.
Montag, 22. Dezember 2014
IS-Terroristen: "Biografien der Vorhölle"
DER SPIEGEL hat in seiner Ausgabe Nr 49/2014 (vom 01.12.2014) unter dem Titel „Biografien der Vorhölle“ ein Interview mit dem Hamburger Kinder- und Jugendpsychiater Andreas Krüger veröffentlicht. Das Interview war äußerst erstaunlich. Erstaunlich gut. Ich kann mich im Grunde nicht wirklich erinnern, wann ich zuletzt ein so klares Statement bzgl. den Ursachen von Gewalt in einem großen deutschen Blatt gelesen habe. Noch dazu bzgl. „politischer Gewalt“, denn Krüger bezieht sich im Interview auf den Terror durch IS-Kämpfer.
Er sagte u.a. folgenden für mich bedeutsamen Satz: "Die dauerhafte Erfahrung von traumatischer Ohnmacht ist letztlich die Essenz, aus der heraus es einem Menschen erst möglich wird, sadistisch gewalttätig zu werden." Der Psychiater spricht davon, dass Kinder von Natur aus die Anlage haben, Empathie und Mitleid zu entwickeln. Dieses "natürliche Programm" käme aber zum Erliegen, wenn das Leben von Kindern (und deren wichtige Beziehungen) unerträglich ist und schwer beschädigt wird. Bzgl. den IS-Kämpfern und deren Gewaltverhalten meint er, dass i.d.R. dahinter eine "frühe, hochkomplexe Traumatisierung" stecke: "Misshandlungen, Vernachlässigung, Demütigungen, Ausgrenzung - in der Familie, der Schule, der Peergroup, einem ganzen Land." Die Erfahrungen, Konflikte friedlich zu lösen, würden schlicht fehlen.
Und jetzt mein Weihnachtswunsch für dieses und die kommenden Jahr(e): Große Medien wie der SPIEGEL sollten solche Ansätze wie genannt einmal mit ausführlichen Recherchen ergänzen. Zahlen zum Ausmaß der Gewalt gegen Kinder in Kriegsgebieten und gescheiterten Staaten, Interview mit Arno Gruen, Studien bzgl. der Kindheiten von Terroristen und Gewalttätern, bis hin zu den Kindheiten der NS-Generation. Daraus ließe sich ein mehrseitiges Titelthema gestalten und ich bin sicher: Dann wäre aber was los hier im Land!
Er sagte u.a. folgenden für mich bedeutsamen Satz: "Die dauerhafte Erfahrung von traumatischer Ohnmacht ist letztlich die Essenz, aus der heraus es einem Menschen erst möglich wird, sadistisch gewalttätig zu werden." Der Psychiater spricht davon, dass Kinder von Natur aus die Anlage haben, Empathie und Mitleid zu entwickeln. Dieses "natürliche Programm" käme aber zum Erliegen, wenn das Leben von Kindern (und deren wichtige Beziehungen) unerträglich ist und schwer beschädigt wird. Bzgl. den IS-Kämpfern und deren Gewaltverhalten meint er, dass i.d.R. dahinter eine "frühe, hochkomplexe Traumatisierung" stecke: "Misshandlungen, Vernachlässigung, Demütigungen, Ausgrenzung - in der Familie, der Schule, der Peergroup, einem ganzen Land." Die Erfahrungen, Konflikte friedlich zu lösen, würden schlicht fehlen.
Und jetzt mein Weihnachtswunsch für dieses und die kommenden Jahr(e): Große Medien wie der SPIEGEL sollten solche Ansätze wie genannt einmal mit ausführlichen Recherchen ergänzen. Zahlen zum Ausmaß der Gewalt gegen Kinder in Kriegsgebieten und gescheiterten Staaten, Interview mit Arno Gruen, Studien bzgl. der Kindheiten von Terroristen und Gewalttätern, bis hin zu den Kindheiten der NS-Generation. Daraus ließe sich ein mehrseitiges Titelthema gestalten und ich bin sicher: Dann wäre aber was los hier im Land!
Montag, 1. Dezember 2014
Forschungsprojekt im Libanon: Islamistische Terroristen hatten furchtbare Kindheiten
Die beiden Schwestern Nancy und Maya Yamout haben im Roumieh-Gefängnis von Beirut 20 verurteilte Terroristen (darunter auch Mitglieder der IS, Nusra-Front und der syrischen Qaida) innerhalb von zwei Jahren interviewt, um herauszubekommen, warum sie sich radikalisierten.
Auffällige Gemeinsamkeiten der Terroristen waren:
- Keiner kannte sich mit Religion aus. Sie hatten oberflächliche Kenntnisse über den Islam.
- „Große Ähnlichkeit gab es bei den Kindheitsgeschichten. Keiner der 20 Terroristen kam aus einem normalen Elternhaus. Ihre Väter prügelten, demütigten und instrumentalisierten sie. Der Vater eines Terroristen drückte Zigaretten auf seinem Sohn aus. Die kreisrunden Narben auf dem Arm des Häftlings zeugen immer noch davon. Ein anderer Vater war Kämpfer im libanesischen Bürgerkrieg. Für seine Kinder war er nicht da. Die mussten schon als Achtjährige mithelfen - Waffen reinigen und Leichenteile einsammeln. (…) In Terrorgruppen fanden die verstörten Jugendlichen und jungen Männer ein neues Zuhause.“ (Spiegel-Online, 01.12.2014, "Interviewreihe mit Dschihadisten: Besuch im Terroristenknast" (von Raniah Salloum) )
(Die Ergebnisse von diesem Projekt gleichen denen der BKA-Studie "Die Sicht der Anderen".)
Auffällige Gemeinsamkeiten der Terroristen waren:
- Keiner kannte sich mit Religion aus. Sie hatten oberflächliche Kenntnisse über den Islam.
- „Große Ähnlichkeit gab es bei den Kindheitsgeschichten. Keiner der 20 Terroristen kam aus einem normalen Elternhaus. Ihre Väter prügelten, demütigten und instrumentalisierten sie. Der Vater eines Terroristen drückte Zigaretten auf seinem Sohn aus. Die kreisrunden Narben auf dem Arm des Häftlings zeugen immer noch davon. Ein anderer Vater war Kämpfer im libanesischen Bürgerkrieg. Für seine Kinder war er nicht da. Die mussten schon als Achtjährige mithelfen - Waffen reinigen und Leichenteile einsammeln. (…) In Terrorgruppen fanden die verstörten Jugendlichen und jungen Männer ein neues Zuhause.“ (Spiegel-Online, 01.12.2014, "Interviewreihe mit Dschihadisten: Besuch im Terroristenknast" (von Raniah Salloum) )
(Die Ergebnisse von diesem Projekt gleichen denen der BKA-Studie "Die Sicht der Anderen".)
Samstag, 29. November 2014
Kindheit von André Stern. Oder: Der fehlende Schulbesuch war nicht der bedeutendste Faktor
Ich bin schon mal auf André Stern und dessen Kindheit durch Blogleser aufmerksam gemacht worden. Zudem tauchen Hinweise auf ihn und seine Kindheit auch hin und wieder in Onlinediskussionen bzw. Kommentaren von Medienartikeln auf, die ich hier und da verfolgt habe.
Ich habe mir dann Vorträge von André Stern - er spricht auch deutsch - online (u.a. auch auf seiner Homepage) angeschaut, um ein genaueres Bild zu bekommen. Und jetzt habe ich auch das Buch „Mein Vater mein Freund“ (Meine Ausgabe 2014, veröffentlicht im Verlag Zabert Sandmann), das André zusammen mit seinem Vater Arno Stern geschrieben hat, durchgesehen.
André Stern scheint für viele Menschen und auch Medien vor allem interessant zu sein, weil er als Kind nie zur Schule ging und offensichtlich trotzdem ein sehr intelligenter, kreativer, selbstbewusster, konstruktiver und vielseitiger Mensch geworden ist. (In Frankreich gibt es keine Schulpflicht und André blieb zu Hause bei den Eltern und empfindet dies als reines Glück.) Wobei Viele, die ihn interviewen oder gar von ihm schwärmen Tendenzen in die Richtung zeigen, dass André sich gerade weil er nicht zur Schule ging besonders gut entwickeln konnte.
Für mich persönlich ist die Tatsache, dass André nie zur Schule gegangen ist (und durch die er öffentlich bekannt wurde), nicht der wesentliche Punkt, warum ich mich für seine Biografie interessiere. Noch neugieriger war ich auf den Umgang der Eltern mit ihm. Denn André wirkt auf mich derart lebensbejahend, ungefährlich und wach, dass rein die Tatsache, dass er nie zur Schule ging, da meiner Auffassung nach nicht der entscheidende Punkt war. Liesst man das o.g. Buch, bestätigt sich schnell, dass André in keiner gewöhnlichen Familie aufgewachsen ist.
Der Vater, Arno Stern, ist Forscher, Künstler und Pädagoge und die ganze Familie scheint in einem sehr kreativen, intellektuellen Milieu gelebt zu haben. Zudem scheinen die finanziellen Mittel derart aufgestellt gewesen zu sein, dass die Eltern im Prinzip Leben und Arbeit verbinden konnten und somit für ihre Kinder beständig zu Hause da sein konnten. Leben, Arbeit und Freizeit waren eins, so ähnlich hat André das auch einmal bzgl. seines jetzigen Lebens ausgedrückt.
Insofern halte ich André Stern nicht für ein gutes Beispiel dafür, wie gut es Kindern tun könnte, nicht zur Schule zu gehen. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland wie auch in Frankreich hat alleine schon was die berufliche und finanzielle Situation angeht überhaupt nicht die Voraussetzungen, Kindern die Aufmerksamkeit, Zeit und Unterstützung zukommen zu lassen, die sie bräuchten, wenn sie nicht zur Schule gehen würden. Zudem scheinen die Eltern von André auch von ihrer Persönlichkeit (Intellekt, Empathie, Kreativität) her über Ressourcen zu verfügen, die nicht dem Schnitt entsprechen. Und sie verfügten über ein kreatives, zugewandtes Umfeld. Ein Auszug aus dem Buch: „Wir waren sehr viel unterwegs, oft mit Papa und/oder Maman, oft mit Freunden oder Familienmitgliedern, die vorbeikamen und sagten: Ich geh zu einer Ausstellung oder ins Theater oder ins Kino oder zu einer Lesung, soll ich die Kinder oder eines der Kinder mitnehmen? Und schon sehr früh haben wir angefangen, Kurse zu besuchen, die natürlich weder mit den Eltern noch zu Hause stattfanden.“ (S. 133) André bechrieb in einem Interview, was für Kurse er im Alter von 12 Jahren innerhalb einer typischen Woche besuchte. „im Malort malen, Kurse in den verschiedensten Bereichen; 2 x 3 Stunden Metalltreiben, 4 Stunden Fotografie (Technik, Labor), 2 x 2 Stunden Tanz, 2 Stunden Kampfsport (Kalarripayat), weitere Kurse in Textilkunst, Töpferei, Algebra; Lesungen im Collège de France über Ägyptologie, Mittelalter und Soziologie – und vieles mehr.“ Das ganze ohne jeden Leistungsdrang oder Stress, sondern vor allem auch auf Grund eigener Begeisterung. Ein solches Programm muss sich eine Familie erst einmal leisten können.
Ich glaube André aufs Wort, dass er eine glückliche Kindheit hatte und in einem enorm anregenden Umfeld aufgewachsen ist. Aber es wird für mich ganz klar deutlich, dass die Abwesenheit von Schule nicht DIE Voraussetzung für die gute und besonders kreative Entwicklung eines Menschen ist, weil die Sterns nun einem außergewöhnlich waren. Ich persönlich glaube eher daran, dass sich in Zukunft die Schule immer mehr verändern und den Bedürfnissen von Kindern anpassen wird. Schon heute erlebe ich durch den Schulbesuch meines Sohnes, dass Schule ganz anders und viel besser ist, als ich sie bei meinem Schuleintritt Anfang der 80er Jahre erlebt habe. Aber das nur nebenbei.
Ich möchte jetzt noch einiges aus dem o.g. Buch zusammenfassen:
André betont, dass es zu Hause bei ihm Regeln gab und diese nicht im Widerspruch zu einem Leben in Freiheit standen. „Das Gefühl der Sicherheit wurzelte in diesem Gerüst und in dem totalen Vertrauen, das wir in unsere Eltern hatten. Sie versuchten nie, uns zu überlisten oder uns etwas vorzumachen. Sie feilschten nicht. Wenn einer Nein sagte, wussten wir, dass es einen guten Grund dafür gab, selbst wenn er für uns vielleicht nicht auf Anhieb deutlich war. Ein Nein bewirkte keine Tränen und kein Toben, und unser Gehorsam war kein Akt der Unterwerfung, sondern eine natürliche Folge unseres großen, gegenseitigen Vertrauens.“ (S. 133)
Er spricht bzgl. seines Sohnes von einem Familiengefühl bestehend aus „Verbindung, Geborgenheit, Sicherheit und Freiheit“ (S. 138) und bringt damit offensichtlich das zum Ausdruck, was er selbst als Kind erlebt hat. An anderer Stelle schreibt er, dass er mit seinem Vater in "Liebe, Vertrauen und Aufmerksamkeit" (S. 119) zusammenlebe, bis heute. Und: "Vertrauen, Offenheit, Respekt, Kreativität, Miteinanderleben, Bereicherung durch Verschiedenartigkeit; das sind Dinge, die mein Vater mir vorgelebt hat." (S. 120) André schreibt auch, dass er - wenn er nicht mit seinem Vater zusammen ist - fast immer täglich mit ihm telefoniere. (S. 130) Bis heute lebt der Vater total mit seinem Sohn und interessiert sich für dessen Erlebnisse und Gedanken. .
Interessant ist auch, das bei den Sterns klassische Geschlechterrollen nicht existierten oder anders besetzt waren: „Und auch die übliche Unterteilung zwischen „männlich“ und „weiblich“ gehörte nicht zu den Paradigmen, unter denen ich aufgewachsen bin. Mein Vater war keine Versorgungsstelle für männliche Verhaltensmuster, Virilität oder Autorität, er war kein Bestrafer, kein Konfliktpartner und kein Gegenpol zu meiner Mutter, sondern genau wie sie ein unentbehrlicher Teil unserer Konstellation: Ich kann mir bis heute meinen Vater nicht ohne meine Mutter vorstellen.“ (S. 143)
Wichtig finde ich auch die Info, dass Arno Stern "ein glücklicher Sohn" (S. 113) war und seinen Vater (Andrés Großvater) offensichtlich sehr positiv erlebt hat. Hier zeigt sich die starke Wirkung der Evolution von Kindheit und wie positive Erfahrungen weitergegeben und natürlich auch weiter entwickelt und verbessert werden.
Ich möchte mich jetzt nicht in weitere Details verlieren. Es dürfte, denke ich, deutlich geworden sein, dass André Stern in einem liebevollen, sehr bindungsstarken Elternhaus aufgewachsen ist und alles darauf angelegt war, dass er sich so entwickeln konnte, wie er es wollte und wie es seiner Persönlichkeit entsprach. Und ich denke, dass dieser Mensch und seine Kindheit sehr gut in meine Reihe von Beispielen für positive Kindheiten passt.
Wie würde die Welt nur aussehen, wenn die Mehrheit der Kinder auf der Welt ähnlich engagierte und positive Eltern hätten; ähnlich auch wie die von Astrid Lindgren, die von den Geschwister Scholl oder von Reinhard Mey? Dabei sollen alle Eltern in ihrer Einzigartigkeit und ihrer Verschiedenartigkeit stehen, natürlich. Aber dieses Grundgerüst: Echte Geborgenheit, bedingungslose Liebe, starke Bindung, Freiheit und niemals Gewalt, wenn dies die Mehrheit der Eltern erfüllte (und eines Tages wird dies so weit sein) wird die Menscheit Sprünge in ihrer Entwicklung erleben, die heute noch kaum vorstellbar sind.
Ich habe mir dann Vorträge von André Stern - er spricht auch deutsch - online (u.a. auch auf seiner Homepage) angeschaut, um ein genaueres Bild zu bekommen. Und jetzt habe ich auch das Buch „Mein Vater mein Freund“ (Meine Ausgabe 2014, veröffentlicht im Verlag Zabert Sandmann), das André zusammen mit seinem Vater Arno Stern geschrieben hat, durchgesehen.
André Stern scheint für viele Menschen und auch Medien vor allem interessant zu sein, weil er als Kind nie zur Schule ging und offensichtlich trotzdem ein sehr intelligenter, kreativer, selbstbewusster, konstruktiver und vielseitiger Mensch geworden ist. (In Frankreich gibt es keine Schulpflicht und André blieb zu Hause bei den Eltern und empfindet dies als reines Glück.) Wobei Viele, die ihn interviewen oder gar von ihm schwärmen Tendenzen in die Richtung zeigen, dass André sich gerade weil er nicht zur Schule ging besonders gut entwickeln konnte.
Für mich persönlich ist die Tatsache, dass André nie zur Schule gegangen ist (und durch die er öffentlich bekannt wurde), nicht der wesentliche Punkt, warum ich mich für seine Biografie interessiere. Noch neugieriger war ich auf den Umgang der Eltern mit ihm. Denn André wirkt auf mich derart lebensbejahend, ungefährlich und wach, dass rein die Tatsache, dass er nie zur Schule ging, da meiner Auffassung nach nicht der entscheidende Punkt war. Liesst man das o.g. Buch, bestätigt sich schnell, dass André in keiner gewöhnlichen Familie aufgewachsen ist.
Der Vater, Arno Stern, ist Forscher, Künstler und Pädagoge und die ganze Familie scheint in einem sehr kreativen, intellektuellen Milieu gelebt zu haben. Zudem scheinen die finanziellen Mittel derart aufgestellt gewesen zu sein, dass die Eltern im Prinzip Leben und Arbeit verbinden konnten und somit für ihre Kinder beständig zu Hause da sein konnten. Leben, Arbeit und Freizeit waren eins, so ähnlich hat André das auch einmal bzgl. seines jetzigen Lebens ausgedrückt.
Insofern halte ich André Stern nicht für ein gutes Beispiel dafür, wie gut es Kindern tun könnte, nicht zur Schule zu gehen. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland wie auch in Frankreich hat alleine schon was die berufliche und finanzielle Situation angeht überhaupt nicht die Voraussetzungen, Kindern die Aufmerksamkeit, Zeit und Unterstützung zukommen zu lassen, die sie bräuchten, wenn sie nicht zur Schule gehen würden. Zudem scheinen die Eltern von André auch von ihrer Persönlichkeit (Intellekt, Empathie, Kreativität) her über Ressourcen zu verfügen, die nicht dem Schnitt entsprechen. Und sie verfügten über ein kreatives, zugewandtes Umfeld. Ein Auszug aus dem Buch: „Wir waren sehr viel unterwegs, oft mit Papa und/oder Maman, oft mit Freunden oder Familienmitgliedern, die vorbeikamen und sagten: Ich geh zu einer Ausstellung oder ins Theater oder ins Kino oder zu einer Lesung, soll ich die Kinder oder eines der Kinder mitnehmen? Und schon sehr früh haben wir angefangen, Kurse zu besuchen, die natürlich weder mit den Eltern noch zu Hause stattfanden.“ (S. 133) André bechrieb in einem Interview, was für Kurse er im Alter von 12 Jahren innerhalb einer typischen Woche besuchte. „im Malort malen, Kurse in den verschiedensten Bereichen; 2 x 3 Stunden Metalltreiben, 4 Stunden Fotografie (Technik, Labor), 2 x 2 Stunden Tanz, 2 Stunden Kampfsport (Kalarripayat), weitere Kurse in Textilkunst, Töpferei, Algebra; Lesungen im Collège de France über Ägyptologie, Mittelalter und Soziologie – und vieles mehr.“ Das ganze ohne jeden Leistungsdrang oder Stress, sondern vor allem auch auf Grund eigener Begeisterung. Ein solches Programm muss sich eine Familie erst einmal leisten können.
Ich glaube André aufs Wort, dass er eine glückliche Kindheit hatte und in einem enorm anregenden Umfeld aufgewachsen ist. Aber es wird für mich ganz klar deutlich, dass die Abwesenheit von Schule nicht DIE Voraussetzung für die gute und besonders kreative Entwicklung eines Menschen ist, weil die Sterns nun einem außergewöhnlich waren. Ich persönlich glaube eher daran, dass sich in Zukunft die Schule immer mehr verändern und den Bedürfnissen von Kindern anpassen wird. Schon heute erlebe ich durch den Schulbesuch meines Sohnes, dass Schule ganz anders und viel besser ist, als ich sie bei meinem Schuleintritt Anfang der 80er Jahre erlebt habe. Aber das nur nebenbei.
Ich möchte jetzt noch einiges aus dem o.g. Buch zusammenfassen:
André betont, dass es zu Hause bei ihm Regeln gab und diese nicht im Widerspruch zu einem Leben in Freiheit standen. „Das Gefühl der Sicherheit wurzelte in diesem Gerüst und in dem totalen Vertrauen, das wir in unsere Eltern hatten. Sie versuchten nie, uns zu überlisten oder uns etwas vorzumachen. Sie feilschten nicht. Wenn einer Nein sagte, wussten wir, dass es einen guten Grund dafür gab, selbst wenn er für uns vielleicht nicht auf Anhieb deutlich war. Ein Nein bewirkte keine Tränen und kein Toben, und unser Gehorsam war kein Akt der Unterwerfung, sondern eine natürliche Folge unseres großen, gegenseitigen Vertrauens.“ (S. 133)
Er spricht bzgl. seines Sohnes von einem Familiengefühl bestehend aus „Verbindung, Geborgenheit, Sicherheit und Freiheit“ (S. 138) und bringt damit offensichtlich das zum Ausdruck, was er selbst als Kind erlebt hat. An anderer Stelle schreibt er, dass er mit seinem Vater in "Liebe, Vertrauen und Aufmerksamkeit" (S. 119) zusammenlebe, bis heute. Und: "Vertrauen, Offenheit, Respekt, Kreativität, Miteinanderleben, Bereicherung durch Verschiedenartigkeit; das sind Dinge, die mein Vater mir vorgelebt hat." (S. 120) André schreibt auch, dass er - wenn er nicht mit seinem Vater zusammen ist - fast immer täglich mit ihm telefoniere. (S. 130) Bis heute lebt der Vater total mit seinem Sohn und interessiert sich für dessen Erlebnisse und Gedanken. .
Interessant ist auch, das bei den Sterns klassische Geschlechterrollen nicht existierten oder anders besetzt waren: „Und auch die übliche Unterteilung zwischen „männlich“ und „weiblich“ gehörte nicht zu den Paradigmen, unter denen ich aufgewachsen bin. Mein Vater war keine Versorgungsstelle für männliche Verhaltensmuster, Virilität oder Autorität, er war kein Bestrafer, kein Konfliktpartner und kein Gegenpol zu meiner Mutter, sondern genau wie sie ein unentbehrlicher Teil unserer Konstellation: Ich kann mir bis heute meinen Vater nicht ohne meine Mutter vorstellen.“ (S. 143)
Wichtig finde ich auch die Info, dass Arno Stern "ein glücklicher Sohn" (S. 113) war und seinen Vater (Andrés Großvater) offensichtlich sehr positiv erlebt hat. Hier zeigt sich die starke Wirkung der Evolution von Kindheit und wie positive Erfahrungen weitergegeben und natürlich auch weiter entwickelt und verbessert werden.
Ich möchte mich jetzt nicht in weitere Details verlieren. Es dürfte, denke ich, deutlich geworden sein, dass André Stern in einem liebevollen, sehr bindungsstarken Elternhaus aufgewachsen ist und alles darauf angelegt war, dass er sich so entwickeln konnte, wie er es wollte und wie es seiner Persönlichkeit entsprach. Und ich denke, dass dieser Mensch und seine Kindheit sehr gut in meine Reihe von Beispielen für positive Kindheiten passt.
Wie würde die Welt nur aussehen, wenn die Mehrheit der Kinder auf der Welt ähnlich engagierte und positive Eltern hätten; ähnlich auch wie die von Astrid Lindgren, die von den Geschwister Scholl oder von Reinhard Mey? Dabei sollen alle Eltern in ihrer Einzigartigkeit und ihrer Verschiedenartigkeit stehen, natürlich. Aber dieses Grundgerüst: Echte Geborgenheit, bedingungslose Liebe, starke Bindung, Freiheit und niemals Gewalt, wenn dies die Mehrheit der Eltern erfüllte (und eines Tages wird dies so weit sein) wird die Menscheit Sprünge in ihrer Entwicklung erleben, die heute noch kaum vorstellbar sind.
Donnerstag, 27. November 2014
Je grausamer die Taten, desto deutlicher werden ihre Ursachen
Ich habe momentan etwas wenig Zeit, um „Zwischengedanken“ in Textbeiträge umzusetzen. Für diesen Zwischengedanken nehme ich mir jetzt aber doch die Zeit.
Gestern hörte ich auf NDR Info einen Sendebeitrag anlässlich der Verleihung des Sacharow-Preises an den Arzt Denis Mukwege, der sich seit Jahren um Opfer von Vergewaltigungen im Kongo kümmert.
In dem Beitrag berichtete eine Frau aus dem Kongo von einer erlebten Vergewaltigung (wobei diesen Wort nicht ausreicht, um das zu beschreiben, was ihr angetan worden ist.). Die Frau wurde an ein Kreuz auf einem Platz gefesselt, die Beine gespreizt. Eine Menge von Menschen (wohl auch Frauen) tanzte um dieses Kreuz herum, jubelte, schrie. Währenddessen wurde sie immer wieder von diversen Männern, die gerade wollten, vergewaltigt…
Ich habe schon bei dem Thema Kindesmisshandlung lernen müssen, dass es im Grunde keine Grenze der Gewalt gibt. Immer wieder stieß ich in der Vergangenheit auf Berichte, die mich absolut fassungslos machten, weil sie alles übertrafen, was ich zuvor über Kindesmisshandlung gehört und gelesen hatte. Die o.g. Gewaltszene zwischen Erwachsenen gehört für mich zu einer Kategorie von extremer Gewalt, die im Grunde unvorstellbar ist. Unvorstellbar für Menschen, die etwas fühlen.
Trotzdem mich solche Berichte sehr erschüttern, gleichzeitig lassen sie mich nicht ohne ein Verstehen zurück (Verstehen heißt niemals entschuldigen). Und mein Verstehen steigt im Grunde mit der Steigerung von Taten und Grausamkeiten an, auch wenn es vielleicht für manchen ungewöhnlich klingt, so etwas zu lesen, weil die routinemäßige Reaktion stets ein großes Fragezeichen ist. Je grausamer menschliche Taten sind, desto deutlicher wird für mich, warum sie stattfinden können.
Nur Menschen, die innerlich absolut tot sind, können so handeln, wie die Täter in der o.g. Vergewaltigungsszene. Und jede weitere Tat mehr, entfernt sie mehr von dem, was wir „Leben“ nennen. Sie werden durch ihre weiteren Taten letztlich zu innerlichen „Superzombies“, die erst im körperlichen Tod Erlösung finden. Das bedeutet nicht, dass diese Täter nicht wie Menschen wirken können, am Imbiss etwas essen gehen, sich unterhalten, Karten spielen, einem Kind über den Kopf streicheln, über einen Witz lachen usw. Aber eines ist klar: Solche Täter fühlen gar nichts mehr, auch in ihrem privaten Leben, in Gesprächen, letztlich in jeder Sekunde ihres Lebens. Sie sind innerlich absolut kalt und erleben somit bereits die Hölle auf Erden.
In dem o.g. Bericht war die Rede von Vergewaltigungen als Kriegswaffe und dem Zugang zu Rohstoffen im Kongo. Ich glaube mittlerweile, dass eines der Grundprobleme bzgl. des Verstehens/ dem Erklären von grausamer Gewalt ist, dass viele Menschen wirklich glauben, grausame Gewalt gehöre zum angeborenen Verhaltensrepertoire von Menschen und nur die äußeren Umstände müssten entsprechend eingestellt sein, um solche Gewaltexzesse möglich zu machen...
Solchen Berichten wie o.g. gehört dagegen meiner Ansicht nach routinemäßig angehängt: Solche Täter fühlen nichts mehr, sie sind innerlich gestorben, sonst wären ihre Taten nicht möglich. Und wenn dies einmal verstanden würde, müsste die nächste Frage lauten: Ja und wie kam es denn, dass diese Menschen innerlich verstorben sind, was hat sie „getötet“? Und erst wenn diese Frage umfassend beantwortet ist, stößt man auf die eigentlichen Ursachen der Gewaltexzesse.
Warum befragen Forscher und Journalisten nicht Täter wie die aus der o.g. Szene konkreter? Die gesamte Kindheit müsste abgefragt werden; kümmerte sich jemand um das Kind, welche Gewalterfahrungen gab es, wie oft kam Gewalt vor und in welcher Form, durch welche TäterInnen? Gab es ergänzend traumatische Kriegserfahrungen, existenzielle, extreme Erfahrungen von Hunger und Elend? Wurden Menschen, vielleicht Angehörige vor den Augen des Kindes getötet? Wurde evtl. das Kind/der Jugendliche gezwungen, Anderen Gewalt anzutun usw. ? Würden diese Fragen umfassend beantwortet werden können (sofern sich die Täter konkret erinnern), würde sich auch das „Verstehen“ einstellen. Den LeserInnen dieses Blogs dürfte klar sein, von welcher Art Antwort ich ausgehe: Dem genauen Gegenteil von einem geborgenen, glücklichen Aufwachsen, sondern eher von Grausamkeiten, die jenen ähnlich sind, welche die erwachsenen Täter selbst verübten.
Kürzlich las ich aus Interesse den Wikipediabeitrag über den schottischen Freiheitskämpfer William Wallace. In dem Beitrag wird auch die Hinrichtung (am 23.08.1305) wegen Verrats am König besprochen. Ich zitiere wie folgt. „An ein Pferd angebunden musste er mehrere Stunden lang nackt durch die Straßen Londons laufen, während die Bewohner ihn mit Steinen bewarfen. Anschließend wurde Wallace zuerst fast bis zum Tode gehängt, dann noch lebend kastriert und ausgeweidet – die entfernten Körperteile und Innereien wurden vor den Augen des Verurteilten und der Zuschauer verbrannt (…).“
Vor noch längerer Zeit las ich, wie es u.a. „römische Art“ war, Gefangene hinzurichten. Der Kopf des Gefangenen wurde zwischen zwei Balken gesperrt, der Körper dann so lange ausgepeitscht, bis der Gefangene tot war. Dies tat man u.a. gerne vor den Augen von Führern unterworfener Völker.
Gewaltexzesse wie heute im Kongo waren in historischen Zeiten „normal“. Steven Pinker hat darüber ausführlich in seinem Buch „Eine neue Geschichte der Menschheit“ berichtet. Ein Beispiel aus Pinkers Buch blieb mir in Erinnerung. Ein historischer Fund von einem Folterwerkzeug zeugte von der möglichen Grausamkeit. Ein metallener Ochse wurde gefunden, in dem Menschen lebendig verbrannt worden waren. Zur Belustigung der Anwesenden kamen die Schreie dann aus dem Mund des Ochsen.
Diese drei Beispiele geben - in unserer heutigen Wortwahl -die Möglichkeiten institutioneller Gewalt wieder. Von den Regierenden gewünscht und verordnet, als normale Praxis gewollt, zur Belustigung und Erheiterung, zur Abschreckung, sicher, aber letztlich immer auch um kurz etwas zu fühlen. Denn nur „innerliche Zombies“ fühlen kurz etwas, wenn andere Menschen gequält werden. Und nur Menschen die innerlich tot sind, können solche Taten - wie schon gesagt - vollbringen. Wie innerlich tot waren denn nun also unsere Vorfahren?
Wenn man sich die Erkenntnisse der Psychohistorie anschaut, dann müssen breite Schichten der Bevölkerung in historischen Zeiten innerlich tot gewesen sein; einfach, weil sie von Geburt an ständig Gewalt und Ablehnung ausgesetzt waren. So etwas überleben die meisten Menschen nicht, zumindest nicht in ihrem Inneren. (Heute gibt es da schon andere Möglichkeiten und andere Hilfsangebote für Menschen, die grausames als Kind durchmachen mussten. Aber früher?)
Um diesen Zwischengedanken zum Thema ein Schlusswort zu geben. Wer grausame Taten verstehen will, muss sich mit den Ursachen des innerlichen, emotionalen Absterbens von Tätern befassen. Dann kann auch präventiv besser gehandelt werden. Wer sich nicht mit dem Fühlen und Nicht-Fühlen befasst, muss zwangsläufig blind bzgl. den eigentlichen Ursachen bleiben und wird stets mit einem großen Fragezeichen vor den Dingen stehen.
Gestern hörte ich auf NDR Info einen Sendebeitrag anlässlich der Verleihung des Sacharow-Preises an den Arzt Denis Mukwege, der sich seit Jahren um Opfer von Vergewaltigungen im Kongo kümmert.
In dem Beitrag berichtete eine Frau aus dem Kongo von einer erlebten Vergewaltigung (wobei diesen Wort nicht ausreicht, um das zu beschreiben, was ihr angetan worden ist.). Die Frau wurde an ein Kreuz auf einem Platz gefesselt, die Beine gespreizt. Eine Menge von Menschen (wohl auch Frauen) tanzte um dieses Kreuz herum, jubelte, schrie. Währenddessen wurde sie immer wieder von diversen Männern, die gerade wollten, vergewaltigt…
Ich habe schon bei dem Thema Kindesmisshandlung lernen müssen, dass es im Grunde keine Grenze der Gewalt gibt. Immer wieder stieß ich in der Vergangenheit auf Berichte, die mich absolut fassungslos machten, weil sie alles übertrafen, was ich zuvor über Kindesmisshandlung gehört und gelesen hatte. Die o.g. Gewaltszene zwischen Erwachsenen gehört für mich zu einer Kategorie von extremer Gewalt, die im Grunde unvorstellbar ist. Unvorstellbar für Menschen, die etwas fühlen.
Trotzdem mich solche Berichte sehr erschüttern, gleichzeitig lassen sie mich nicht ohne ein Verstehen zurück (Verstehen heißt niemals entschuldigen). Und mein Verstehen steigt im Grunde mit der Steigerung von Taten und Grausamkeiten an, auch wenn es vielleicht für manchen ungewöhnlich klingt, so etwas zu lesen, weil die routinemäßige Reaktion stets ein großes Fragezeichen ist. Je grausamer menschliche Taten sind, desto deutlicher wird für mich, warum sie stattfinden können.
Nur Menschen, die innerlich absolut tot sind, können so handeln, wie die Täter in der o.g. Vergewaltigungsszene. Und jede weitere Tat mehr, entfernt sie mehr von dem, was wir „Leben“ nennen. Sie werden durch ihre weiteren Taten letztlich zu innerlichen „Superzombies“, die erst im körperlichen Tod Erlösung finden. Das bedeutet nicht, dass diese Täter nicht wie Menschen wirken können, am Imbiss etwas essen gehen, sich unterhalten, Karten spielen, einem Kind über den Kopf streicheln, über einen Witz lachen usw. Aber eines ist klar: Solche Täter fühlen gar nichts mehr, auch in ihrem privaten Leben, in Gesprächen, letztlich in jeder Sekunde ihres Lebens. Sie sind innerlich absolut kalt und erleben somit bereits die Hölle auf Erden.
In dem o.g. Bericht war die Rede von Vergewaltigungen als Kriegswaffe und dem Zugang zu Rohstoffen im Kongo. Ich glaube mittlerweile, dass eines der Grundprobleme bzgl. des Verstehens/ dem Erklären von grausamer Gewalt ist, dass viele Menschen wirklich glauben, grausame Gewalt gehöre zum angeborenen Verhaltensrepertoire von Menschen und nur die äußeren Umstände müssten entsprechend eingestellt sein, um solche Gewaltexzesse möglich zu machen...
Solchen Berichten wie o.g. gehört dagegen meiner Ansicht nach routinemäßig angehängt: Solche Täter fühlen nichts mehr, sie sind innerlich gestorben, sonst wären ihre Taten nicht möglich. Und wenn dies einmal verstanden würde, müsste die nächste Frage lauten: Ja und wie kam es denn, dass diese Menschen innerlich verstorben sind, was hat sie „getötet“? Und erst wenn diese Frage umfassend beantwortet ist, stößt man auf die eigentlichen Ursachen der Gewaltexzesse.
Warum befragen Forscher und Journalisten nicht Täter wie die aus der o.g. Szene konkreter? Die gesamte Kindheit müsste abgefragt werden; kümmerte sich jemand um das Kind, welche Gewalterfahrungen gab es, wie oft kam Gewalt vor und in welcher Form, durch welche TäterInnen? Gab es ergänzend traumatische Kriegserfahrungen, existenzielle, extreme Erfahrungen von Hunger und Elend? Wurden Menschen, vielleicht Angehörige vor den Augen des Kindes getötet? Wurde evtl. das Kind/der Jugendliche gezwungen, Anderen Gewalt anzutun usw. ? Würden diese Fragen umfassend beantwortet werden können (sofern sich die Täter konkret erinnern), würde sich auch das „Verstehen“ einstellen. Den LeserInnen dieses Blogs dürfte klar sein, von welcher Art Antwort ich ausgehe: Dem genauen Gegenteil von einem geborgenen, glücklichen Aufwachsen, sondern eher von Grausamkeiten, die jenen ähnlich sind, welche die erwachsenen Täter selbst verübten.
Kürzlich las ich aus Interesse den Wikipediabeitrag über den schottischen Freiheitskämpfer William Wallace. In dem Beitrag wird auch die Hinrichtung (am 23.08.1305) wegen Verrats am König besprochen. Ich zitiere wie folgt. „An ein Pferd angebunden musste er mehrere Stunden lang nackt durch die Straßen Londons laufen, während die Bewohner ihn mit Steinen bewarfen. Anschließend wurde Wallace zuerst fast bis zum Tode gehängt, dann noch lebend kastriert und ausgeweidet – die entfernten Körperteile und Innereien wurden vor den Augen des Verurteilten und der Zuschauer verbrannt (…).“
Vor noch längerer Zeit las ich, wie es u.a. „römische Art“ war, Gefangene hinzurichten. Der Kopf des Gefangenen wurde zwischen zwei Balken gesperrt, der Körper dann so lange ausgepeitscht, bis der Gefangene tot war. Dies tat man u.a. gerne vor den Augen von Führern unterworfener Völker.
Gewaltexzesse wie heute im Kongo waren in historischen Zeiten „normal“. Steven Pinker hat darüber ausführlich in seinem Buch „Eine neue Geschichte der Menschheit“ berichtet. Ein Beispiel aus Pinkers Buch blieb mir in Erinnerung. Ein historischer Fund von einem Folterwerkzeug zeugte von der möglichen Grausamkeit. Ein metallener Ochse wurde gefunden, in dem Menschen lebendig verbrannt worden waren. Zur Belustigung der Anwesenden kamen die Schreie dann aus dem Mund des Ochsen.
Diese drei Beispiele geben - in unserer heutigen Wortwahl -die Möglichkeiten institutioneller Gewalt wieder. Von den Regierenden gewünscht und verordnet, als normale Praxis gewollt, zur Belustigung und Erheiterung, zur Abschreckung, sicher, aber letztlich immer auch um kurz etwas zu fühlen. Denn nur „innerliche Zombies“ fühlen kurz etwas, wenn andere Menschen gequält werden. Und nur Menschen die innerlich tot sind, können solche Taten - wie schon gesagt - vollbringen. Wie innerlich tot waren denn nun also unsere Vorfahren?
Wenn man sich die Erkenntnisse der Psychohistorie anschaut, dann müssen breite Schichten der Bevölkerung in historischen Zeiten innerlich tot gewesen sein; einfach, weil sie von Geburt an ständig Gewalt und Ablehnung ausgesetzt waren. So etwas überleben die meisten Menschen nicht, zumindest nicht in ihrem Inneren. (Heute gibt es da schon andere Möglichkeiten und andere Hilfsangebote für Menschen, die grausames als Kind durchmachen mussten. Aber früher?)
Um diesen Zwischengedanken zum Thema ein Schlusswort zu geben. Wer grausame Taten verstehen will, muss sich mit den Ursachen des innerlichen, emotionalen Absterbens von Tätern befassen. Dann kann auch präventiv besser gehandelt werden. Wer sich nicht mit dem Fühlen und Nicht-Fühlen befasst, muss zwangsläufig blind bzgl. den eigentlichen Ursachen bleiben und wird stets mit einem großen Fragezeichen vor den Dingen stehen.
Mittwoch, 22. Oktober 2014
Vater von Malala Yousafzai: "Ich habe ihre Flügel nicht abgeschnitten."
Gestern sah ich online die Sendung von Markus Lanz vom 08.10.2014. In der Sendung wurde ein aufgezeichnetes Gespräch mit Malala Yousafzai und ihren Vater gezeigt. Lanz hat sich leider in dem Gespräch weitgehend mehr für das Attentat auf Malala interessiert, als für andere wichtige Dinge... Die Sendung ergab allerding trotzdem einen wichtigen Höhepunkt!
Nachdem (um die 20. Minute herum) in dem Gespräch kurz auf die extrem schwierige Situation von Frauen und Mädchen in Pakistan eingegangen wurde, sagte der Vater von Malala folgende zentralen Sätze:
„Viele Menschen fragen mich, wie hast Du Deine Tochter erzogen? Was Besonderes hast Du mit Deiner Tochter gemacht? Und dann sage ich immer, die sollten mich fragen, was ich nicht getan habe. Ich habe gar nichts Besonderes gemacht. Das Einzige, was ich nicht getan habe, ist, dass ich sie nicht gestutzt habe, nicht eingesperrt habe. Ich habe ihre Flügel nicht abgeschnitten. Der Himmel ist die Grenze und sie darf fliegen, sie soll fliegen, bis zu den Sternen, wenn sie möchte. Aber nur sie darf das und soll das entscheiden.„ Diese Worte bekommen ihr Gewicht ergänzend auch, wenn mann darum weiß, wie Väter und Männer in Pakistan im Allgemeinen mit Frauen und Mädchen umgehen.
Ergänzend bietet die Biografie (Yousafzai, M. / Lamb, C. (2013). Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen wollten, weil es für das Recht auf Bildung kämpft. München: Droemer Verlag.) von Malala Einblicke in diese außergewöhnliche Familie. Ihr Vater war bei ihrer Geburt – entgegen der Tradition in seinem Umfeld - glücklich über die Geburt seiner Tochter. (Yousafzai / Lamb 2013, S. 19+20) Ihre Eltern bekamen insgesamt drei Kinder, auch dies war ungewöhnlich, wie Malala berichtet. In ihrem Umfeld bekamen die meisten Familien zwischen 7 und 8 Kinder. (ebd., S. 28) (Entsprechend waren vermutlich wohl auch mehr Kapazitäten da, um diese Kinder zu versorgen und ihnen Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.)
Auch das Verhältnis zwischen Vater und Mutter war außergewöhnlich. Der Vater besprach alles mit seiner Frau, auch Probleme. „Die meisten Paschtunen tun so etwas nie, denn es gilt als Schwäche, Probleme mit seiner Frau zu besprechen.“ (ebd., S. 30)
Und Malala ergänzt: „(…) ich sehe, dass meine Eltern glücklich sind und viel lachen. Die Menschen, die uns kennen, meinen, wir seien eine nette Familie.“ (ebd.)
Der Vater hat offensichtlich ein sehr modernes Frauenbild, dass komplett entgegen den Traditionen steht. Malala hat nach eigenen Aussagen im Buch schon sehr früh beschlossen, nicht den traditionellen Weg für Mädchen/Frauen zu gehen, der ihre Bindung an Haus, männliche Verwandte und Kinder vorsieht und nur Jungen/Männern alle Freiheiten lässt. Dazu zitiert sie ihren Vater: „Malala wird frei wie ein Vogel sein.“ (ebd., S. 34)
Allerdings war auch in Malalas Familie hauptsächlich die Mutter für die Kindererziehung zuständig, während der Vater oft abwesend war. (ebd., S. 31)
Insgesamt betrachtet ist der politische, freiheitliche Weg von Malala kein Zufall. Er begründet sich aus den liberalen Erziehungsansichten und Menschenbildern in ihrer Familie.
Malala Yousafzai wird oft mit einem Satz aus ihrer Rede vor der UN zitiert: „Ein Kind, eine Lehrkraft, ein Stift und ein Buch können die Welt verändern.“ Der Satz ist richtig und wichtig. Nachdem ich die Sendung von Lanz gesehen habe, muss man die Dinge zusammenfügen. Ihr berühmter Satz müsste – gerade auf Grund ihres eigenen familiären Hintergrundes – ergänzt werden um den Satz: „Eltern, die ihren Kindern nicht die Flügel stutzen, können die Welt verändern.“
(In Pakistan ist es übrigens legal, Kinder in den Familien und auch in der Schule zu schlagen. Einzelne Studien zeigen, dass die große Mehrheit der Kinder vor Ort von Gewalt betroffen ist. Siehe dazu u.a. hier)
Nachdem (um die 20. Minute herum) in dem Gespräch kurz auf die extrem schwierige Situation von Frauen und Mädchen in Pakistan eingegangen wurde, sagte der Vater von Malala folgende zentralen Sätze:
„Viele Menschen fragen mich, wie hast Du Deine Tochter erzogen? Was Besonderes hast Du mit Deiner Tochter gemacht? Und dann sage ich immer, die sollten mich fragen, was ich nicht getan habe. Ich habe gar nichts Besonderes gemacht. Das Einzige, was ich nicht getan habe, ist, dass ich sie nicht gestutzt habe, nicht eingesperrt habe. Ich habe ihre Flügel nicht abgeschnitten. Der Himmel ist die Grenze und sie darf fliegen, sie soll fliegen, bis zu den Sternen, wenn sie möchte. Aber nur sie darf das und soll das entscheiden.„ Diese Worte bekommen ihr Gewicht ergänzend auch, wenn mann darum weiß, wie Väter und Männer in Pakistan im Allgemeinen mit Frauen und Mädchen umgehen.
Ergänzend bietet die Biografie (Yousafzai, M. / Lamb, C. (2013). Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen wollten, weil es für das Recht auf Bildung kämpft. München: Droemer Verlag.) von Malala Einblicke in diese außergewöhnliche Familie. Ihr Vater war bei ihrer Geburt – entgegen der Tradition in seinem Umfeld - glücklich über die Geburt seiner Tochter. (Yousafzai / Lamb 2013, S. 19+20) Ihre Eltern bekamen insgesamt drei Kinder, auch dies war ungewöhnlich, wie Malala berichtet. In ihrem Umfeld bekamen die meisten Familien zwischen 7 und 8 Kinder. (ebd., S. 28) (Entsprechend waren vermutlich wohl auch mehr Kapazitäten da, um diese Kinder zu versorgen und ihnen Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.)
Auch das Verhältnis zwischen Vater und Mutter war außergewöhnlich. Der Vater besprach alles mit seiner Frau, auch Probleme. „Die meisten Paschtunen tun so etwas nie, denn es gilt als Schwäche, Probleme mit seiner Frau zu besprechen.“ (ebd., S. 30)
Und Malala ergänzt: „(…) ich sehe, dass meine Eltern glücklich sind und viel lachen. Die Menschen, die uns kennen, meinen, wir seien eine nette Familie.“ (ebd.)
Der Vater hat offensichtlich ein sehr modernes Frauenbild, dass komplett entgegen den Traditionen steht. Malala hat nach eigenen Aussagen im Buch schon sehr früh beschlossen, nicht den traditionellen Weg für Mädchen/Frauen zu gehen, der ihre Bindung an Haus, männliche Verwandte und Kinder vorsieht und nur Jungen/Männern alle Freiheiten lässt. Dazu zitiert sie ihren Vater: „Malala wird frei wie ein Vogel sein.“ (ebd., S. 34)
Allerdings war auch in Malalas Familie hauptsächlich die Mutter für die Kindererziehung zuständig, während der Vater oft abwesend war. (ebd., S. 31)
Insgesamt betrachtet ist der politische, freiheitliche Weg von Malala kein Zufall. Er begründet sich aus den liberalen Erziehungsansichten und Menschenbildern in ihrer Familie.
Malala Yousafzai wird oft mit einem Satz aus ihrer Rede vor der UN zitiert: „Ein Kind, eine Lehrkraft, ein Stift und ein Buch können die Welt verändern.“ Der Satz ist richtig und wichtig. Nachdem ich die Sendung von Lanz gesehen habe, muss man die Dinge zusammenfügen. Ihr berühmter Satz müsste – gerade auf Grund ihres eigenen familiären Hintergrundes – ergänzt werden um den Satz: „Eltern, die ihren Kindern nicht die Flügel stutzen, können die Welt verändern.“
(In Pakistan ist es übrigens legal, Kinder in den Familien und auch in der Schule zu schlagen. Einzelne Studien zeigen, dass die große Mehrheit der Kinder vor Ort von Gewalt betroffen ist. Siehe dazu u.a. hier)
Samstag, 27. September 2014
Das Märchen von der schlechten Kindheit in Deutschland
Heute habe ich mit Freude einen Artikel entdeckt, der mir aus dem Herzen spricht: "Wir sind keine Sorgenkinder!", ZEIT-Online, 26.09.2014. Wider der öffentlichen Wahrnehmung wird endlich mal umfassend auf die sehr positiven Entwicklungen von Kindheit in Deutschland hingewiesen. Das Buch "Die Modernisierung der Seele", das diesem Artikel u.a. zu Grunde liegt, ist ganz oben auf meiner Wunschliste von zu lesenden Büchern. Ich will aus dem Artikel gar nicht zitieren. Mensch lese ihn einfach selbst. Nur soviel: Alle Pessimisten und Kritiker von Kindheit in Deutschland stehen auf sehr dünnem Eis, denn nie zuvor war Kindheit besser, glücklicher und gewaltloser als heute.
Freitag, 19. September 2014
Breiviks Vater veröffentlicht ein Buch
Breiviks Vater hat ein Buch veröffentlicht (übersetzter Titel "Meine Schuld? Die Geschichte eines Vaters") und seine Sicht auf die Dinge geschildert. In den (Online-)Medien wurde das Buch hier und da erwähnt. Am ausführlichsten war wohl ein Bericht bei Welt-Online ("Breiviks Vater bricht sein Schweigen").
An Hand des Berichtes zeichnet sich ab, dass Breiviks Vater bestätigt, was Aage Borchgrevink in seinem Buch ausgeführt hat. "Das war ganz neu für mich. Ich konnte nicht glauben, was da stand.", wird der Vater zitiert, als er von dem psychiatrischen Gutachten erfuhr (siehe Hintergründe in dem vorgenannten Link) Der 79-jährige Ex-Diplomat berichtet, laut Welt-Online, in dem Buch "vor allem aus einem dysfunktionalen Familienleben, das seinen Sohn prägte."
Ich habe heute auch ein Interview mit Aage Borchgrevink gefunden, in dem er in etwas mehr als 5 Minuten die Dinge klar und rational (und dabei auch emotional anwesend und klar) auf den Punkt bringt. Ich finde die Art und Weise wie der Autor die Dinge so klar und kurz beschreibt sehr eindrucksvoll. Letztlich ist es eben ein ganz logischer und rationaler Prozess, die Ursachen von Terror von Anfang an zu denken. Und am Anfang war nun einmal Erziehung/Kindheit. Das Interview steht bereits seit Ende 2013 online und ist bisher keine 900 mal angeklickt worden. Dass diese Kindheits-Hintergründe so wenig Beachtung finden, ist tragisch und fahrlässig zu gleich...
An Hand des Berichtes zeichnet sich ab, dass Breiviks Vater bestätigt, was Aage Borchgrevink in seinem Buch ausgeführt hat. "Das war ganz neu für mich. Ich konnte nicht glauben, was da stand.", wird der Vater zitiert, als er von dem psychiatrischen Gutachten erfuhr (siehe Hintergründe in dem vorgenannten Link) Der 79-jährige Ex-Diplomat berichtet, laut Welt-Online, in dem Buch "vor allem aus einem dysfunktionalen Familienleben, das seinen Sohn prägte."
Ich habe heute auch ein Interview mit Aage Borchgrevink gefunden, in dem er in etwas mehr als 5 Minuten die Dinge klar und rational (und dabei auch emotional anwesend und klar) auf den Punkt bringt. Ich finde die Art und Weise wie der Autor die Dinge so klar und kurz beschreibt sehr eindrucksvoll. Letztlich ist es eben ein ganz logischer und rationaler Prozess, die Ursachen von Terror von Anfang an zu denken. Und am Anfang war nun einmal Erziehung/Kindheit. Das Interview steht bereits seit Ende 2013 online und ist bisher keine 900 mal angeklickt worden. Dass diese Kindheits-Hintergründe so wenig Beachtung finden, ist tragisch und fahrlässig zu gleich...
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