Die meisten Menschen dürften es laut vielen aktuellen Medienberichten schon wissen. 91.731 Berichte des US-Militärs, die meisten davon als geheim eingestuft, gelangten auf die Internetplattform WikiLeaks. Sie dokumentieren die unzähligen „Zwischenfälle“ in Afghanistan. DER SPIEGEL veröffentlichte in Kooperation mit der „NEW York Times“ und dem „Guardian“ ausführlich in einer Titelstory zu dem Thema in seiner Printausgabe. (DER SPIEGEL, 26.07.2010, „Protokoll eines Krieges“, S. 70ff) Die meisten Infos aus den Berichten scheinen nicht wirklich neu zu sein. Brisant ist vielmehr, dass jetzt von jedem Internetnutzer die letzten Kriegsjahre haarklein aus erster Hand eingesehen werden können und natürlich die Fülle der Daten, die ein Gesamtbild ergeben.
Das Bild ist bekanntlich ein düsteres. Seit 2004 stiegen die Sprengstoffanschläge, Kampfhandlungen und Todesopfer rasant an. Von „Erfolgen“ (also der Befriedung des Landes) keine Spur, wie es eigentlich fast immer aussieht, wenn das Militär für Frieden Verantwortung übernehmen soll.
Die Sprengstoffanschläge stiegen kontinuierlich von im Jahr 2004 weit unter 200 (laut SPIEGEL Grafik beruhend auf den Protokollauswertung des US-Militärs) auf 3.300 Anschläge im Jahr 2009. Insgesamt starben zwischen 2004 und 2009 4.459 Menschen (die meisten davon Zivilisten, gefolgt von afghanischen Sicherheitskräften und dann alliierten Soldaten) durch Anschläge. Dazu kommen etliche Verwundete.
Leider berichtet der SPIEGEL nicht über genaue Opferzahlen durch Angriffe seitens der Amerikaner bzw. der Alliierten. Es wird nur etwas von tausenden Toten auf Seiten der Taliban geschrieben. Allerdings wird über die Anzahl von Kampfhandlungen berichtet. Laut SPIEGEL Grafik – von mir ca. errechneter Wert – gab es zwischen 2004 und 2009 ca. 28.000 Kampfhandlungen. Im Jahr 2004 lagen die Kampfhandlungen noch unter 1.000. 2009 verzeichnen die US-Militärdaten exakt 11.695 Kampfhandlungen, also fast 12 mal (!!) so viele wie 2004.
Wie viele Tote gab es bei diesen 28.000 Kämpfen auf der afghanischen Seite? Wie viele Zivilisten kamen dabei um, wie viele „Aufständische“ (ein unmögliches Wort…), wie viele als „Aufständische“ definierte? Bei einem Toten pro Kampfhandlung (was wohl der unwahrscheinlichste Durschnitt wäre) wären es also 28.000. Der SPIEGEL dokumentiert einen Fall, bei dem insgesamt 7 Kinder durch einen Angriff eines US-Sonderkommandos auf eine Koranschule starben. Während einer anderen Offensive durch US-Elitekämpfer wurden in 5 Tagen 130 „Aufständische“ getötet. Wir alle erinnern uns auch an den deutschen Fall „Oberst Georg Klein“, durch einen Luftangriff auf einen Tanklaster kamen damals ca. 142 Zivilisten ums Leben. Der SPIEGEL schreibt dazu nach der Datenauswertung: „Was in Deutschland eine leidenschaftliche Diskussion über den Sinn des Bundeswehreinsatzes hervorruft, erscheint in den Militärprotokollen nur als ein Fall unter Hunderten ähnlicher Fälle.“ (S. 77)
Es dürfte klar sein, dass die Opferzahlen erheblich sind, wenn man an der Multiplikation der Zahl 28.000 „herumspielt“. Gab es im Schnitt 3 Tote pro Kampfhandlung, also insgesamt 84.000 tote Afghanen? Gab es im Schnitt 6 Tote pro Kampfhandlung, also 168.000 tote Afghanen? Oder noch mehr? Und wie viele Verwundete kommen dazu?
Mir geht auch gerade durch den Kopf, dass ein realer Taliban vielleicht ein grober, gewaltbereiter Mensch ist (und vielleicht vor der US-Invasion gar nicht wusste, wo das Land USA überhaupt liegt...), er aber auch eine soziale Einbindung in seiner Heimat hat. Er hat Verwandte, Freunde, vielleicht auch Ehefrau und Kinder. Wen wundert es da, dass der Krieg immer weiter eskaliert? Jeder tote Afghane – egal ob Talibankämpfer oder Zivilist – erzeugt noch mehr Hass und Rachegedanken. Der SPIEGEL schreibt entsprechend in einem Schlusswort, dass trotz all der toten Taliban der "Strom an neuen Fußsoldaten endlos" scheint.
Afghanistan wurde nach allem was wir wissen zum großen Opferaltar gemacht. Tausende Menschen starben, noch mehr wurden verletzt, unzählige Gebäude wurden zerstört oder beschädigt. Warum? Darum: Das Ziel von Kriegen ist die Opferung von Menschenleben und die Reduzierung von Wohlstand. Tote, Verletzte, Zerstörung, Leid, Wohlstandsreduzierung und eine stetige Eskalation der Gewalt sind die immer wieder beobachteten Ergebnisse von Kriegen, obwohl angeblich niemand diese „Ergebnisse“ will, wird doch „für den Frieden“ gekämpft, „für Sicherheit“, "Gerechtigkeit", „gegen Terror“, „für Mädchenschulen“…. Wir müssen, so meine ich, Kriege so betrachten wie sie sind. Sie bringen keinen Frieden, keine Sicherheit, keinen Wohlstand, keinen Gewinn. Sie erzeugen Opfer. Das ist das eigentliche „heimliche“ Ziel (welches wiederum viel mit dem Opfer zu tun hat, das viele Menschen einst als Kind waren). Wenn das erkannt wird, kann auch die psychohistorische Uraschenanalyse besser verstanden und vor allem sehr ernst genommen werden.
Freitag, 30. Juli 2010
Geheime Afganistan Militärprotokolle und das "heimliche" Ziel von Kriegen
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