Freitag, 25. November 2011

Psychogramm eines Nazitäters und die Probleme von Historikern

Historiker haben es nicht leicht, wenn es um die genaue Erfassung von Kindheiten geht. Erst kürzlich habe ich den Historiker Robert Gerwarth angeschrieben, weil dieser in seiner aktuellen Biografie über den NS-Täter Reinhard Heydrich nur sehr wenig über dessen Kindheit und die familiäre Atmosphäre im Hause Heydrich berichtete (berichten konnte). Freundlicherweise erhielt ich eine Antwort des Autors. Es gäbe leider keine Hinweise auf einen gewalttätigen Familienhintergrund im Hause Heydrich, so Gerwarth u.a. in seiner Antwort. Da die Informationslage bzgl. Heydrichs Kindheit sehr dünn ist, werden wir wohl kaum Gewissheit über das bekommen, wie dessen Kindheit wirklich war. Für mich ist klar, dass der Massenmörder Reinhard Heydrich als Kind psychischen und/oder physischem Terror ausgesetzt gewesen sein muss, seine Taten sprechen eine zu deutliche Sprache. Anders als z.B. bei Hitler, wird sich dies wohl nicht stichhaltig belegen lassen.

Aufschlussreich in diesem Zusammenhang finde ich einen Beitrag von Ute Althaus: „Krieg im Kinderzimmer. Psychogramm eines Nazitäters.“ In: Galler, F. / Janus, L. / Kurth, W. 2006: Fundamentalismus und gesellschaftliche Destruktivität. Jahrbuch für psychohistorische Forschung. Band 6. Mattes Verlag, Heidelberg.
Althaus befasst sich mit der Kindheit ihres Vaters, der als begeisterter Nazi zum Kampfkommandanten aufstieg und nach dem Krieg zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Er hatte in Ansbach/Bayern kurz vor Ende des Krieges einen Studenten höchst persönlich gehängt, weil dieser zum Widerstand gegen die Nazis aufgerufen hatte (Der Täter selbst sah sich als „Herr über Leben und Tod“ und an Pflichten gebunden, wie er in seiner Verteidigungsschrift darlegte). Diese Analyse der eigenen Familiengeschichte untermalt die Autorin mit interessanten Auszügen aus Erziehungsratgebern, die um das Jahr 1900 geläufig waren. Ihr Vater, Ernst, wurde 1895 geboren, die Zeit, so Althaus, die man mit der „Schwarzen Pädagogik“ verbindet.
In den vielen Briefen (vor, während und nach dem Krieg) ihres Vaters entdeckt die Tochter ein wesentliches Gefühl, das dieser ausdrückt: Wut und Hass. Sie schreibt: „Eine bedingungslose Liebe, die nicht an Leistung gebunden ist und die Eigenständigkeit des Kindes respektiert (…) hat Ernst in seinem Elternhaus nicht kennen gelernt. Liebevolle, weiche Gefühle werden eher entwertet.“
Ernst selbst idealisierte seine Eltern weitgehend. Über den Vater schreibt er u.a.: „Ja, Väterchen, du bist ein treuer sorgender Hausvater gewesen. Hab Dank, du rastloser Sämann, hab Dank“ Auch dort, wo die Dornen wachsen und die Steine liegen und die Körner nicht auf Grund fielen, hat sie ausgeworfen seine Liebe.“
Was hätte der Historiker über die Kindheit dieses Mannes geschrieben, wenn er z.B. diesen letzt genannten Brief ausgewertet hätte, ohne auf Daten rückgreifen zu können, die einer Tochter zur Verfügung stehen? Vielleicht hätte hier gestanden: Ernst wuchs in einer normalen Umgebung auf und schrieb liebevoll über seinen Vater.
Diese Idealisierung destruktiver Eltern ist ein bekanntes psychisches Phänomen und dient dem Selbstschutz des Kindes. Forschende haben es dadurch nicht gerade leicht, die Realitäten von Kindheiten zu erfassen. Ich selbst erinnere mich an einen Mann, der Anfang der 30er Jahre geboren wurde. Ich wusste durch Dritte von ihm, dass er schwer von seinem Vater misshandelt worden war. In einem Gespräch sagte er einmal über seine Eltern: „Ich bin immer viel von meinen Eltern kritisiert worden.“ Diese Generation hat eingeimpft bekommen, sich nicht über erfahrenes Leid zu beschweren. Aus schweren Misshandlungen wird so im Selbstbericht „Kritiküben“.

Zusammenfassend schreibt Althaus:
Als Gleicher unter Gleichen wird ihm ein Platz in der Volksgemeinschaft versprochen, um den Preis, dass er sich dieser Bewegung mit Haut und Haar verschreiben muss. Der Volkskörper sei alles, der Einzelne nichts. Auch hier sind Ernsts Eigenständigkeit und Individualität nicht gefragt. Das sind für ihn vertraute Töne seiner Kindheit und lösen bei ihm die entsprechenden Reaktionen dem Führer gegenüber, wie seinem Vater gegenüber, aus: er klammert sich an den, der ihm seine Eigenständigkeit und Würde abspricht, und verherrlicht dessen vermeintliche Stärke. Für diese Selbstaufgabe wird ihm bei den Nazis im Unterschied zu seiner Familie Macht versprochen. Gleichzeitig bekommt er einen Focus und eine Legitimation für seine Wut und seinen Hass geliefert.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Das sind ja alles ganz nette Theorien...

Aber wie sieht es mit der Meta-Ebene aus?

Haben wir einen freien Willen? Warum identifzieren wir uns mit unseren Kindheitserfahrungen? Warum leiden wir darunter und verdrängen?
Gibt es überhaupt ein Ich? Hat Bewusstsein einen Körper hervor gebracht oder der Körper das Bewusstsein?

Sven Fuchs hat gesagt…

Ich habe demnächst vor, nochmal die untere Ebene "Kindheit" etwas mit dem großen Ganzen "Gesellschaft" zu verknüpfen.

Deine Fragen beantworten sich doch im Grunde von selbst. Freien Willen und Identität gibt es natürlich, der Wille wird brüchig, die Identität zerissen, wenn Kinder früh gebrochen werden, statt sie liebevoll aufzubauen. Menschen, die Liebe und Geborgenheit als Kind erlebt haben, identifizieren sich natürlich mit ihrer Kindheit, aber ohne darunter zu leiden. Und natürlich bilden diese Menschen auch ein starkes Ich aus.

Unterbewusstsein an sich entsteht zwangsläufig aus destruktiven Erfahrungen, die bewusst nicht ertragbar sind. Wo keine destruktiven Erfahrungen sind, gibt es auch kein wie auch immer daherkommendes destruktiv wirkendes Unterbewusstsein, das den Menschen "lenkt", statt das er selbst die Fäden in der Hand hält.

borderline44 hat gesagt…

@Anonym -verstehe ich Dich richtig: Du fühlst Dich fremdgesteuert? Nun, dann lies doch einfach mal bei Kritik und Abwehr: http://kriegsursachen.blogspot.com/2011/11/kritik-und-abwehr.html -da findest Du die Antworten auf Deine Fragen. Das Gehirn eines Menschen entwickelt sich in den ersten wichtigen drei Lebensjahren. In dieser Zeit können wir zwar noch nicht sprechen, aber der Körper nimmt dennoch alles wahr. -schließlich leben wir. Der Körper ist das innere Kind, das Kind, das wir einmal waren, von Geburt an (-hat alles gespeichert, mit seinem Körpergedächtnis - Haut - Gehirn, etc. auch die Gesundheit - Gene - keine Zigarette wird vergessen ... ). -er (der Körper - unserer Körper) kann uns mit seinen Gefühlen unsere wahre Geschichte erzählen. -wir brauchen nur den Mut hinzuhören.

Sich seiner selbst bewusst zu sein, bedeutet ja gerade das: die Sprache des Körpers (seine Empfindungen zu verstehen und zuordnen zu können) zu verstehen, sich zu verstehen und zu wissen warum man - Mensch - geworden ist, wie Mensch ist.

Wenn wir uns unser Selbst bewusst sind - werden - dann werden wir uns auch als Ich empfinden und bewusst/er handeln, anstelle fremdgesteuert - so wie die Eltern der Kindheit uns erzogen haben - dann werden wir das nicht mehr nachlabern - vor allem die Dogmen - sondern aus userem eigenen reichen Erfahrungsschatz schöpfen- und handeln können. So funktioniert Evolution. Dazu braucht es aber den Mut zur Wahrhaftigkeit und zur Annahme der eigenen Gefühle von Trauer und Wut. Ignoranz wird Evolution langfristig nicht überleben -das fremdgesteuert sein.

MfG borderline44