Donnerstag, 1. März 2012

Kindheit von Fidel Castro

Fidel Castro wurde in eine im Wohlstand lebende, privilegierte Landbesitzerfamilie hineingeboren. Etwa 1000 Menschen, überwiegend farbige haitianische Landarbeiter und ihre Familien, lebten in ärmlichen Verhältnissen unter dem Patronat von Fidels Vater. Die Ehefrau – Maria Luisa Argone – von Fidel Castros Vater soll nach Fidels Geburt die Familie verlassen haben. (Skierka, 2001, S, 17) Der Vater - Ángel Castro y Argiz – bekam nämlich mit der Haushälterin und Köchin Lina Ruz González – die nur halb so alt war wie er – mit Fidel bereits das dritte uneheliche Kind. Er heiratete später seine Bedienstete und bekam mit ihr weitere vier Kinder. „Sein Vater, ein verschlossener, hart arbeitender und zupackender Mann, grob und aufbrausend, streitsüchtig und keinen Widerspruch duldend, ist ein Patriarch wie aus dem Bilderbuch“ und führt „ein strenges Regiment über Haus und Hof.“ (ebd., S. 20)
Die Mutter beschreibt Skierka als den ausgleichenden Charakter in der Familie, die den Kindern die beim Vater vermisste Nähe gab. Auch Fidel Castro selbst sprach von seiner Mutter oft mit Wärme und Zuneigung, während er seinen Vater kaum erwähnte. Allerdings hatte auch seine Mutter offenbar keine Bedenken, ihren Sohn, um seine schulischen Leistungen zu fördern, früh weg zu geben. Fidel wird erst spät getauft, als er mit fünf oder sechs Jahren bei Pflegeeltern – der Familie Hibberts -in Santiago de Cuba einquartiert wird, wo er auf Grund seiner ungewöhnlich guten Leistungen privaten Schulunterricht erhält. Mit sechs oder sieben Jahren wird er dann in das streng katholisches Kolleg „La Salle“, das sein Bruder als „Gefängnis“ mit endlosem „Beten und der Furcht vor Gott“ beschreibt, in der selben Stadt eingeschult. “Offenbar sind die zeitweilig unklaren familiären Beziehungen in Verbindung mit Fidel Castros unehelicher Geburt der wahre Grund dafür, dass der Taufpate nicht zur Verfügung steht und der kleine Junge den Segen der Kirche zunächst nicht erhält.“ (ebd., S. 17) Fidel wird nach eigenen Angaben in dieser Zeit des ungetauft Seins ausgegrenzt und „Jude“ genannt. Ob seine leiblichen Eltern überhaupt bei der Taufe zugegen waren, ist nicht klar, schreibt Skierka. Castro wörtlich über diese Zeit: „Ich war weit weg von meiner Familie, von unserem Haus, von der Gegend, die ich so liebte, wo ich … mich frei fühlte. [Sie] schickten mich unversehens in die Stadt, wo ich all diese Schwierigkeiten hatte.“ (ebd., S. 22)

An die Zeit im Hause des Konsuls Hibbert hat Castro überwiegend negative Erinnerungen. „(…) es scheint, als hätte dieser es nur auf die Unterhaltszahlungen der Castros abgesehen.“ (Hagemann, 2002, S. 21) Fidels Mutter galt als streng katholisch und wollte diesen Glauben auch an ihre Kinder weitergeben. Vor diesem Hintergrund verwundert folgende Gegebenheit: „Seltsamerweise verbringt der kleine Fidel dreimal hintereinander das Drei-Königs-Fest nicht bei der Familie auf der Finca in Biran, sondern bei den Pflegeeltern in Santiago de Cuba, zu denen er ein zunehmend schwieriges Verhältnis entwickelt. (…) Der Grund, weshalb er die Weihnachtszeit und das wichtigste Fest im Jahr so oft in Folge nicht bei seiner Familie verbringt, liegt im Dunkeln. Ob er wegen des häuslichen Durcheinanders ganz bei den offenbar kinderlosen Pflegeeltern bleiben sollte? Der junge Fidel muss darunter nachhaltig gelitten haben.“ (Skierka, 2001, S. 23+24)

Die Schulleitung des Kolleg will Fidel und seine beiden Brüder schließlich wieder zu seinen Eltern zurückschicken, „weil sie sich wie Rabauken aufführen und der junge Fidel sogar einmal die Ohrfeige eines Lehrers erwidert.“ (Skierka, 2001,S. 22) Die Mutter interveniert und Fidel durfte bleiben, was auch sein erklärter Wille war. Er drohte sogar, zu Hause das Haus anzuzünden, falls ihn die Eltern aus der Schule zurück nach Hause gehen lassen würden. Schließlich wechselt er später im Alter von ca. neun Jahren auf Grund seiner Intelligenz auf das strenge und angesehene Jesuitenkolleg Dolores, das er zunächst als Tagesschüler besucht. Wieder bedeutet dies die Unterkunft bei fremden Leuten in einer neuen Gastfamilie. „Er hasste seine Gasteltern und trachtete erneut nach der Aufnahme in das Internat der Schule.“ (Hermann, 2002, S. 22) Castro fand sich „häufig eingesperrt im Hause seiner Gasteltern. Er nutzte die Zeit zum Nachdenken, zum Lesen von Comics und geschichtlichen Darstellungen, vorzugsweise solcher militärischen Inhalts.“ (ebd.) Schließlich schafft er die Trennung von der verhassten Gastfamilie und die Unterbringung im Internat Dolores. Er ist zu dieser Zeit wohl ca. zwölf Jahre alt und geht zunehmend eigene Wege. Mit dreizehn Jahren probte Fidel seinen ersten Aufstand. „Er wiedegelt die Zuckerrohrarbeiter der Finca auf und versucht einen Streik gegen seinen Vater zu organisieren. Er wirft ihm vor, seine Leute auszubeuten. Dieser ungeheuerliche, brüske Regelverstoß vor aller Augen gegen die in den hispanoamerikanischen Ländern tabuisierte Autorität des Patrons durch den Sohn führt zu einem tiefen Zerwürfnis.“ (Skierka, 2001, S. 22)

Ob Fidel Castro auch geschlagen wurde, erschließt sich aus den verwendeten Quellen nicht direkt. Es ist in meinen Augen allerdings auf Grund des Charakters des Vaters sehr wahrscheinlich, dass dieser auch körperlich übergriffig war. Zudem war Fidel gänzlich ohne Schutz fern der Familie sicherlich auch Opfer durch Gewalt von Lehrern, was sich oben auch belegen lässt, da er eine Ohrfeige eines Lehrers erwiderte. Wie das jahrelange Leben in den Gastfamilien aussah und ob dort auch offene Gewalt herrschte, deutet sich nur ansatzweise an. Über Einsperren und Streitigkeiten mit den Pflegefamilien ist einiges belegt, nichts allerdings über andere Übergriffe. Alles in allem ergibt sich das Bild eines abgeschobenen, unehelich geborenen Kindes, das schnell lernt, das es auf sich allein gestellt ist und sich durchkämpfen muss. Die sehr distanzierte Beziehung zum autoritären Vater wurde bereits angesprochen. In Anbetracht dessen, dass Fidel bereits ab ca. dem fünften oder sechsten Lebensjahr die Familie verließ, glaube ich ihm nicht wirklich die angeblich gute Beziehung zur Mutter. Spätestens ab diesem Zeitpunkt muss er sich auch von ihr verlassen und verkauft gefühlt haben. Wie sein Innenleben damals aussah bleibt natürlich Spekulation.

Fidel Castros Kindheit war alles andere als glücklich und von Geborgenheit geprägt, das kann man mit Bestimmtheit sagen . Er wollte (selbst erklärt) gegen Autoritäten, Unterdrückung und Unfreiheit kämpfen, wurde aber letztlich genau das, was er so hasst: Ein autoritärer Mann, der keinen Widerspruch duldete und sein Land von einer abgelösten Diktatur in die nächste nun von ihm geleitete führte. Tausende politische Gegner ließ er nach seiner Machtübernahme einsperren und hinrichten, „ohne Gerichtsverfahren und ohne zu prüfen, ob die bisweilen vage formulierten Vorwürfe gegen die „Konterrevolutionäre“ oder „CIA-Agenten“ der Wahrheit entsprachen, säuberte Castro seine Insel von innenpolitischen Gegnern. „ (FAZ.net, 28.08.2011) Im Jahr 1962 brachte er zudem während der Cuba-Krise zusammen mit der Sowjetunion und den USA die Welt fast zum Untergang durch einen Atomkrieg. All diese Dinge kann ein Mensch nur tun, wenn er tief gespalten ist und die eigenen Emotionen gestört sind. Fidel Castros Kindheit bietet dahingehend Antworten, woher diese Störungen ursprünglich kommen.



Quellen:

FAZ.net, 28.08.2011: Fidel Castro. Das Fossil (http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/fidel-castro-das-fossil-11126384.html)

Hagemann, A. 2002: Fidel Castro. (aus der Reihe dtv portrait) Deutscher Taschenbuchverlag, München.

Skierka, V. 2001: Fidel Castro: Eine Biographie. Kindler Verlag Berlin.

10 Kommentare:

ghostwriter hat gesagt…

Ob Fidel Castro auch geschlagen wurde scheint mir fast unbedeutend, bei so viel Vernachlässigung, Ausgrenzung und Abschiebung. Alleine die dabei entstehende Wut reicht als Erklärung für die sinnlosen (hier genannten indirekten) Wutausbrüche gegen Andere. Womöglich waren Schläge noch die intensivste Zuwendung die er von seinem Vater und seinen späteren Vaterfiguren erhalten hat.

Sven Fuchs hat gesagt…

Hallo Ghostwriter,

na neu hier? Dann herzlich Willkommen! Deinem Beitrag ist nichts weiter hinzuzufügen, ich kann ihn nur unterschreiben.

Anonym hat gesagt…

Legaler Kindsmord - Forscher fordern Tötung von Neugeborenen

http://www.focus.de/gesundheit/baby/geburt/legaler-kindsmord-forscher-plaedieren-fuer-die-toetung-von-neugeborenen_aid_719736.html+

Anonym hat gesagt…

Das meinen diese Forscher nicht ernst??

Sven Fuchs hat gesagt…

Traurig, dass der Focus das Thema und diese "Thesen" überhaupt bespricht....

ShoBeazz hat gesagt…

Zumindest einige seiner (Re)aktionen als Jugendlicher sind für mich Anzeichen dafür, daß er sich früh als sehr eigenständige Person und nicht (nur) als "Opfer" wahrnahm. Aus jemandem, der sich traut, die Schläge eines Lehrers einfach mal zurückzugeben und der mit 13 schon wesentlich ältere Arbeiter organisieren kann, hätte auch ein zweiter Allende werden können... da spielten dann wohl spätere Einflußfaktoren eine tragende Rolle (zB. die Gruppendynamik innerhalb der "Revolutionäre", v.a. nachdem sie ihr vorrangiges Ziel - den Sturz Batistas - erreicht hatten und vor der Frage "wie gehts weiter" standen).

Sven Fuchs hat gesagt…

Wenn das "wie gehts weiter" die Ermordung von tausenden Menschen beinhaltet und die Unterdrückung von hundertausenden, dann ist das nicht mehr nur eine Folge von Gruppendynamiken, realer Unterdrückung und Widerstand usw. So etwas ist nur möglich, wenn die Akteure schwer emotional gestört sind. Natürlich verhalten sich Leute wie Fidel Castro alles andere als wie ein "Opfer", sonst kommt man nicht an die Spitze eines Staates. Sie haben entschieden, dass sie eben niemals mehr Opfer sein wollen, sondern jetzt wollen sie am Zug sein, jetzt wollen sie den Ton angeben, jetzt wollen sie drauf schlagen, wenn Widerspruch kommt.

Menschen, die als Kind misshandelt wurden, müssen nicht zwangsweise ihre Eltern idealisieren. Trotzdem findet eine Spaltung und eine Identifikation statt. Fidel hat sehr viel von seinem Vater übernommen, das wird hier im Text deutlich.

ShoBeazz hat gesagt…

mhm... da zeigt sich wieder unsere unterschiedliche Herangehensweise (das ist ja nichts Schlechtes!). Ich sehe das zB eher aus einer systemtheoretischen Perspektive: auch ganz "normale" Menschen können u.U. auf eine Weise handeln, die von allen außerhalb ihrer Gruppe als extrem destruktiv wahrgenommen wird. Sicher, Menschen mit traumatischer Vergangenheit sind ggf. anfälliger dafür, und ich bin im Gegenzug übrigens kein Vertreter der These (deren Verteidiger sich immer auf das Stanford Prison-Experiment berufen, dessen massenmediale Interpretation schon Zimbardo selber überhaupt nicht paßte, soweit ich weiß), daß JEDER Mensch zwangsläufig in bestimmten Gruppensituationen gleichermaßen entgegen seiner individuellen Werte handelt... aber in meiner täglichen Arbeit habe ich so viel mit Gruppendynamiken zu tun, daß ich mir zu behaupten zutraue: die meisten Menschen unterschätzen sie. Das hieße hier: es ist gut möglich, daß weder Castro noch seine Mitstreiter von Anfang an vorhatten, eine Regierung mit derart vielen antihumanen Aspekten zu etablieren... mit der Zeit kann sich das aber in sehr kleinen Schritten hochgeschaukelt haben, und jeder dieser Schritte wurde gruppenintern wie auch von den Einzelnen jeweils gerechtfertigt, so daß er ab diesem Zeitpunkt die neue Normalität darstellte - und weitere Verschärfungen im Verhältnis nicht mehr ganz so schlimm aussahen, weswegen auch sie leicht wiede rgerechtfertigt werden konnten - und so weiter, denn es stand kein Korrektiv (zB in Form einer Opposition) zur Verfügung, das diese Dynamik hätte auflösen können.

Wie immer: sieh das bitte nicht als Kritik, sondern als weiteren, ergänzenden Blickwinkel auf ein komplexes Phänomen :-).

Anonym hat gesagt…

Hi ShoBeazz,

ich glaube auch, dass weder Fidel Castro noch Che Guevara ursprünglich mit anderen so umgehen wollten, wie sie es dann getan haben. Da hat sich sicher einiges hochgeschaukelt, wie du sagst. Aber ich glaube auch, dass gewaltsames Handeln nur denen möglich ist, die Gewalt selbst erlebt haben, und dass nur die andere unterdrücken, die in irgendeiner Form selbst unterdrückt worden sind.

Und wenn du es jetzt so erlebst, dass viele Leute in der Gruppe sich anders als sonst verhalten, denk ich mal, dass es im Grunde für diese Menschen kein so ungewöhnliches Verhalten ist. Sie haben halt gelernt, dass sie das tun müssen, was die Gruppe will, weil sie schon in der Kindheit gelernt haben, dass nicht zählt, was sie selbst denken/wollen/glauben.

Leider ist Svens These deshalb so schwer nachweisbar, weil die Gruppe von Menschen, die in ihrer Kindheit keine Gewalt erlebt hat, weder physisch noch psychisch, in unserer Gesellschaft verschwindend klein ist. Man sieht es nur den meisten als Außenstehende nicht an.
Das ist jetzt meine These.

Sven Fuchs hat gesagt…

Hallo ShoBeazz,

Kritik ist immer willkommen, wie Du weißt.

Gruppendynamiken können natürlich ihre Wirkung entfalten, genauso wie auch immer die Mitgliedschaft in einer Organisation prägt und Auswirkungen auf das Verhalten hat. Das Milgram Experiment (um das zweite bedeutende sozialpsychologische Experiment neben dem „Stanford Prison“ zu nennen ) zeigte, dass es einer gewissen Atmosphäre bedarf und schrittweisen Übertreten von Grenzen, damit die Menschen destruktiv handeln und Befehle bedingungslos ausführen. (siehe hier http://de.wikipedia.org/wiki/Milgram-Experiment) Vermutlich hätten die meisten Versuchsteilnehmer die Verabreichung von über 330 V abgelehnt, wenn sie gleich zu Beginn dazu aufgefordert worden wären. Es brauchte eine langsame Überschreitung der Grenzen und eines langsamen Wechsels in Alter Egos bzw. eines "Weckrufes des Opfers" in den Menschen.

Meine These ist, dass wirklich geliebte Kinder ein reichhaltiges Gefühlsleben entwickeln. Sie werden später bei allen möglichen Entscheidungen und Situationen dieses wertvolle "Gepäck" mit dabei haben. Sie werden dann vielleicht sogar erst mal ein Stück weit einer Bewegung wie der von Fidel Castro folgen, um gegen Unterdrückung anzugehen. Sobald sie aber emotional merken (und natürlich auch real in Situationen erleben), dass diese Bewegung auch über Leichen gehen wird, dass autoritäre Strukturen gewollt sind usw. werden sie sich abwenden und andere Wege suchen (Sie werden sich der auf sie zurollenden Gruppendynamik also bewusst entziehen, bevor sie von dieser vereinnahmt werden).

Das selbe werden vielleicht auch einige als Kind misshandelte Menschen tun, darum geht es nicht. Es geht darum, dass geliebte Kinder aus einem tiefen Gefühl heraus niemals offen destruktive Bewegungen direkt unterstützen und Menschen gezielt umbringen können, um „politische“ Ziele zu erreichen. Nur nicht-geliebte, misshandelte Kinder haben das notwendige psychische Gepäck dabei, um so handeln zu können, da sie ihre Emotionen abspalten können.