Die ehemalige RAF-Terroristin Margrit Schiller hat 2007 ihre Autobiografie veröffentlicht:
Es war ein harter Kampf um meine Erinnerung. Ein Lebensbericht aus der RAF (Konkret Literatur Verlag, Hamburg).
Auch ihr Bericht über Kindheit und Jugend reiht sich bzgl. destruktiver Erfahrungen ein in die Berichte der anderen RAF-Terroristen, die ich kürzlich vorgestellt habe.
„Nachdem ich mein Abitur gemacht hatte, zog ich von zu Hause aus, weil ich es dort nicht mehr aushielt. Mein Vater war Major beim MAD, dem Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr. Er hatte immer versucht, mich mit Drohungen einzuschüchtern und in allem zu kontrollieren. Er nahm mir die Luft zum Atmen“ (S. 19)
Als Kind habe sie immer auf ihre Geschwister aufpassen müssen. Als sie auszog, verweigerten ihre Eltern jegliche Unterstützung. Wenn sie Hunger habe, könne sie ja nach Hause kommen.
„Mit meiner Mutter hatte ich heftige Diskussionen, weil ich ihr Lebenskonzept nicht übernehmen wollte. (…) Meine Kindheit war bedrückend und beengend gewesen. Ich verließ mein Elternhaus mit dem dumpfen Gefühl, verstümmelt worden zu sein. Ich wollte auf keinen Fall so leben, so werden wie meine Eltern. (…) Seit ich nicht mehr zu Hause wohnte und mein Leben selbst in die Hand nehmen konnte, versuchte ich, die Trauer abzuschütteln, die mich über die Jahre begleitet hatte“ (S. 21f).
„Ich fühlte mich sehr einsam. Das war mein grundlegendes Lebensgefühl, seit ich denken konnte. Ich kannte es nur so, dass sich jeder allein durchs Leben kämpfen musste“ (S. 24).
Als sie sich mit ca. neun Jahren in einen Jungen verliebte und ihre Mutter dies mitbekam, versuchte diese zunächst mit Verboten einzuwirken. „Als ihr das nicht gelang, prügelte sie mich grün und blau. Vorher schickte sie meine jüngere Schwester zum Spielen auf die Straße, verlangte, dass ich mich auszog und schlug mich dann so lange mit Stricknadeln, bis ich an Rücken und Beinen blaue Striemen hatte. Am nächsten Tag in der Schule fragte mich jeder danach. Ich schämte mich und sagte nichts. Bis zu diesen Schlägen war ich ein frühentwickeltes Mädchen gewesen. Jetzt kehrte sich meine Entwicklung völlig um, ich blieb noch jahrelang ganz kindlich. Jahre später merkte ich, dass mein Vater starke sexuelle Gefühle mir gegenüber empfand, auch wenn er mich nie körperlich missbrauchte. Aber die Art und Heftigkeit seiner Emotionen waren mir immer bedrohlich. (…) Für ihn war ich sein Besitz, und er war während meiner gesamten Jugend eifersüchtig auf jedes männliche Wesen, mit dem ich auch nur den geringsten Kontakt hatte“ (S. 31f). Als sie ihren ersten Freund hatte, schlug der Vater ihr vor den Augen des Freundes ins Gesicht.
Auch in einem Radiobeitrag (SWR2 (2015, 13. Nov.): Untergrund.Gefängnis.Exil von Margot Overath) hat Margrit Schiller auf die erlittene körperliche Gewalt durch Vater und Mutter hingewiesen. Außerdem sei sie die ersten 10 Jahre ihres Lebens in einem Barackenlager aufgewachsen. Ihre Eltern waren nach dem Krieg Vertriebene und hatten damals kaum Geld.
In ihrem Buch berichtet Schiller auch, wie sie über einen Freund Kontakt zur RAF bekam. Schon vorher hatte sie sich politisiert. Jetzt wurde sie um Hilfe für Leute gebeten, die „Schwierigkeiten mit der Polizei hätten“ (S. 35). Dies habe sie neugierig gemacht und auch angezogen, so Schiller. Sie hatte eine deutliche Ahnung, um was für Leute es ging. Erst wurde sie um ihren Pass gebeten. Danach um ihre Wohnung, aus der sie sich dann zunächst ausquartierte. Und dann traf sie schließlich auf die RAF: „Als ich in meine Wohnung kam, saßen dort Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe“ (S. 39).
Im Fall von Margrit Schiller sieht man sehr gut, wie einiges zusammenkommen muss, damit ein Mensch zum Terroristen wird. Ihr Kindheitstrauma war das Fundament. Die politisierte Umgebung (auch an ihrer UNI) und Zeit wirkten stark auf diesen jungen Menschen. Durch mehr oder weniger Zufälle kam sie in Kontakt mit der RAF. Danach geriet sie in eine Dynamik, der sie sich nicht mehr entziehen konnte oder wollte. Am Ende landete sie im Gefängnis.
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