Mittwoch, 11. September 2019
Terror von Links - Kindheit von Till Meyer
Ich habe im Nachgang zu meinem Buch und dem Kapitel über Terroristen weitere Einzelfälle recherchiert, die ich hier demnächst vorstellen werde. Beginnen wir heute mit Till Meyer, ehemaliges Mitglied der terroristischen „Bewegung 2. Juni“ und Teil des bewaffneten Kampfes.
Die nachfolgenden Informationen habe ich aus dem Buch:
Meyer, Till (2008): Staatsfeind. Erinnerungen. Rotbuch Verlag, Berlin.
Der Vater starb im Krieg ca. Anfang 1945 als Tíll noch ein Baby war. Die Mutter musste in der Folge für sechs Kinder alleine aufkommen und war damit von morgens bis abends beschäftigt, wie Till Meyer ausführt. Alle Kinder waren in der Kriegs- und Nachkriegszeit stark unterernährt. „In meiner Erinnerung spielten sich die ersten sechs Jahre meines Lebens zwischen Entbehrung und Hunger ab, mit Lebertran, Leibchen und langen, kratzigen Strümpfen, zwischen Langeweile zu Hause und aufregenden Entdeckungstouren auf den Straßen und in den Ruinen. (…) An Beachtung und Liebe fehlte es mir nicht. Trotz ihrer großen Belastung hatte ich immer die besondere Zuwendung und Aufmerksamkeit meiner Mutter. Vielleicht, weil ich der Jüngste war“ (S. 230).
Ich setze hinter diesem gezeichneten positiven Bild seiner Mutter gewisse Fragezeichen. Denn Meyer selbst hat zuvor in seinem Buch beschrieben, dass seine Mutter extrem gefordert war und kaum Zeit hatte. Er selbst berichtet aber auch an zwei Stellen über strenge Erziehungsmaßnahmen seiner Mutter. Dies lässt das idealisierte Bild deutlich bröckeln. „Den Spitznamen Brüller hatte ich mir eingehandelt, weil ich abends nie freiwillig nach oben in die Wohnung wollte und aus freien Stücken nicht aus den Ruinen herauskam. Wann immer man mir beim Spielen etwas verweigerte oder gar verbot, fing ich tränenlos, doch lauthals an zu brüllen. Und zwar so lange, bis man meinem Willen nachgab oder aber meine Mutter mit einer schallenden Ohrfeige dem Gebrüll ein Ende setzte. Die Nachbarn kannten das Ritual“ (S. 231). Und: „Ich lernte nicht und machte keine Schularbeiten, sondern träumte mich durch einsame Abenteuer in weiter Wildnis. (…) Ich verweigerte mich hartnäckig. Alles büffeln unter den Fittichen meiner Mutter und die vielen Ohrfeigen, die ich wegen meiner Lernunwilligkeit verpasst bekam, halfen nicht“ (S. 235). In beiden Berichten zeigt sich, dass die Gewalt der Mutter häufig vorkam!
Till Meyer hasste die Schule, wohl auch wegen der strengen Methoden. „In den Schulen herrschte zu jener Zeit strikte Disziplin und penible Ordnung. Vorlautes Dazwischensprechen, Kaugummi kauen, Tuscheln oder Abschreiben vom Nachbarn bestraften die Lehrer nicht selten durch einen heftigen Schlag mit dem Lineal auf die Handflächen des Schülers. Auch Ohrfeigen setzte es zuweilen. Mildere Strafen waren Nachsitzen, ellenlange Strafarbeiten oder mit dem Gesicht zur Wand In-der-Ecke-Stehen“ (S. 233). Auch in der Schule gab es also keinen Schutz vor Übergriffen durch Erwachsene.
Und so sollte es auch in der Lehre weitergehen. Till wollte Seemann werden und landete mit 15 Jahren auf einem Frachter. Sein Traum wurde schnell zerstört. Man beutete ihn aus und verstieß gegen alle möglichen Jugendarbeitsschutzgesetze. Der Kapitän war nicht nur sein Lehrherr, sondern auch Erziehungsberechtigter. Einmal in der tiefen Nacht, als Till am Ruder war, nickte er ein und das Schiff machte eine starke Linkskurve. Die Mannschaft war in der Folge aus den Betten gefallen. „Im Schlafanzug, ein Stück Tau, den sogenannten Tampen in der Hand, jachtete der Kapitän den Niedergang rauf: `Du Scheiß Berliner bist eingepennt!`, und noch bevor er das Schiff wieder auf Kurs brachte, schlug er wie von Sinnen mit dem Tauende auf mich ein. Noch ein Tritt, `verschwinde von der Brücke`, und ich war weg“ (S. 84). Till brach dann die Lehre ab.
In Hamburg wurde Till dann Teil einer „Halbstarkenclique“: „Wo immer sich unsere Clique an den verschiedenen Straßenecken des Viertels versammelte, gab es Ärger mit den Bürgern und bald auch mit der Polizei. (…) Wir waren laut, aggressiv und fühlten uns wie `King Elvis` persönlich. Unter den Jungarbeitern herrschte eine harte Sprache und ein aggressives Klima. Streitigkeiten, auch innerhalb der Clique, meistens wegen Nichtigkeiten, wurden vielfach mit den Fäusten ausgetragen“ (S. 88).
Da er die Berufsschule als Jugendlicher dauerhaft schwänzte, wurde er eines Tages von der Polizei zur Schule gebracht. In der Pause floh er erneut aus der Schule. Dies brachte ihn damals vor den Richter. Er wurde zu drei Wochen Jugendarresthaft verurteilt. Über seine Zeit im Arrest schreibt er: „Ich fühlte mich einsam und hoffnungslos. Du bist dem hier schutzlos ausgeliefert. Das hältst du nicht durch. Es hatte etwas von Endgültigkeit. Hier kommst du nie mehr raus. Ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Stundenlang weinte ich lautlos vor mich hin“ (S. 108).
Später politisierte und radikalisierte sich Till Meyer im Zuge der 68er Bewegung und fand schließlich zum Terrorismus.
Die Kindheits- und Jugendgeschichte von Till Meyer ist auch ein Zeitzeugenbericht für eine allgemeine „Kultur der Gewalt“, die in der Nachkriegszeit in Deutschland herrschte. Eltern schlugen und demütigen ihre Kinder, Lehrer schlugen und demütigten die Kinder, Lehrherren schlugen und demütigten die Kinder. Und selbst das Justizsystem war gnadenlos (siehe die Inhaftierung des jugendlichen Till). Es wundert mich überhaupt nicht, dass aus dieser Gewaltkultur eine teils erheblich gewaltbereite und im Extrem eben auch terroristische Generation heranwuchs. Was nichts entschuldigt, aber einiges erklärt.
Für sich alleine genommen zeigt der Lebensbericht von Meyer eine sehr traumatische Kindheit und Jugend auf. Sicher ging es vielen Kindern damals ähnlich. Das ist aber nicht der Punkt! Es geht nicht darum, dass aus solchen Verhältnissen automatisch Terroristen hervorgehen. Es geht darum, dass diese Verhältnisse das Fundament für Terrorismus und Extremismus sein können. Und es geht darum, dass dieser Fall – mal wieder – zeigt, dass als Kind gewaltfrei und liebevoll behandelte Menschen nicht zu Terroristen werden.
Der Kindheitsbericht von Till Meyer zeigt mir persönlich aber auch, wie viel sich mittlerweile verändert hat. Elterliche Gewalt gegen Kinder ist heute hierzulande verboten und Nachbarn, die dies mitbekommen, halten nicht mehr so oft still wie damals. Lehrer dürfen schon lange keine Kinder mehr schlagen. Lehrherren würde man heute vor Gericht bringen, wenn sie ein Kind so misshandeln, wie dies Till geschah. Und einem jungen Dauerschulverweigerer würde man nicht drei Wochen wegsperren und demütigen, sondern ihm Sozialarbeiter an die Seite stellen. Ich will damit nicht sagen, dass heute alles gut ist! Aber mir ist nach der Lektüre des o.g. Buches noch einmal überdeutlich bewusst geworden, dass all diese genannten Veränderungen und Verbesserungen eben auch Extremismusprävention sind (ohne dass dies wohl das eigentliche Ziel war).
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2 Kommentare:
Lieber Herr Fuchs!
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Möglicherweise wissen Sie schon von "SYSTEMSPRENGER" als unmittelbar bevorstehendes
Kino-Event. Falls es Ihrem von mir sehr geschätzten Interesse entgegenkommen sollte,
möchte ich Sie auf diesem für mich nicht leicht gangbaren Weg darauf aufmerksam
machen und verweise - mit freundlichen Grüßen - zur gefälligen Kenntnisnahme
auf folgende Internetadresse: www.systemsprenger-film.de
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Ihrer Aufmerksamkeit dankend
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(Evamaria van Lilith)
Nein, von dem Film wusste ich noch nichts. Danke für den Hinweis! Ich habe den Trailer schon gesehen, sehr erschreckend... aber auch sehr wichtig, dies filmisch darzustellen.
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