Ich habe einen sehr interessanten Text gefunden, in dem systematisch die familiären Hintergründe von 7 ehemaligen Rechtsextremisten bzw. rechten Akteuren beleuchtet werden. Solche Texte findet man höchst selten! Destruktive Kindheitserfahrungen fallen mehrheitlich sehr ins Auge, sind aber nicht bei allen Akteuren eindeutig nachweisbar.
Meine Quelle: Gary, S. & Kaufmann, F. (Hrsg.) (2020): Biografien (extrem) rechter Aussteiger*innen und ihr Einsatz in pädagogischen Settings. Ein Werkstattbericht 2.0. CJD Hamburg.
Heidi Benneckenstein (Ex-Neonazi) (über sie hatte ich auch schon einen Blogbeitrag verfasst):
in die rechtsextreme Szene hineingeboren; Trennung der Eltern, als sie 9 Jahre alt war; autoritärer Erziehungsstil des Vaters und väterliche Gewalt gegen die Kinder; Erziehung im Sinne von Leistungs- und Wettkampfsgedanken; „Verlierer“ wurden mit Ausgrenzung bestraft
Maximilian Kelm (Ex-Neonazi): im Grunde keine Infos über seine Kindheit.
Johannes Kneifel (ehemaliger rechter und gewalttätiger Skinhead):
Aufwachen in widrigen Verhältnissen; Mutter leidet an Multipler Sklerose und ist bereits in Kneifels früher Kindheit stark eingeschränkt; Vater ist seit einem Unfall in seiner Jugend nahezu blind; beide Elternteile sind arbeitslos; prekäre ökonomische Umständen; Kneifel empfand Scham über die familiäre Situation; durch die Einschränkungen seiner Eltern bekam er nicht die elterliche Aufmerksamkeit, die er brauchte; die Eltern setzen kaum Grenzen und vermeiden Konflikte; elterliche Wertschätzung erhält er wenig; Johannes fühlt sich als Außenseiter und hat Schwierigkeiten, Freunde zu finden; mit 13 Jahren plagen ihn Selbstmordgedanken; die älteren Schwester meldet irgendwann die Familie beim Jugendamt, welches in der Folge auch familiäre Defizite feststellt; der 14-jährige Johannes wird zunächst in eine Jugendpsychiatrie eingewiesen, danach kommt er in ein Internat.
Philip Schlaffer (Ex-Rechtsextremist):
„Das Verhältnis zu seiner Familie in der Jugendzeit, insbesondere zu seinem Vater, beschreibt er als angespannt“ (S. 44). Als Bruch in seinem Leben empfindet er den Umzug der Familie nach England und später wieder zurück nach Deutschland; später auf einer Gemeinschaftsschule fühlt er sich als Außenseiter; keine Details über Kindheit und Erziehungsstil der Eltern. Er betont in seinen Videos, dass er eine „normale“ Familie hatte, eine“ glückliche Kindheit“. Dies widerspricht den vorherigen Feststellungen. Bereits im Alter von 14 Jahren begann sein Einstieg in die rechte Szene.
Franziska Schreiber (ehemals AfD-Mitglied):
in Dresden in einem „bunten, linken Haushalt“ aufgewachsen (S. 58); kein Details über ihre Kindheit.
Christian E. Weißgerber (Ex-Neonazi):
Mutter floh auf Grund der Gewalttätigkeit ihres Mannes aus der Familie; Gewalt des alleinerziehenden Vaters bestimmte die Familie und richtete sich gegen die Kinder; Schwester holte sich Hilfe beim Jugendamt und wurde aus der Familie geholt; Christian blieb aus Mitleid beim Vater und war weiter der Gewalt ausgesetzt.
Timo F. (Ex-Neonazi; Infos aus einem autobiografischen Roman):
„Seine Biographie ist geprägt von Gewalt, Beziehungsabbrüchen, dysfunktionalen Familienstrukturen (auf verschiedenen Ebenen) und dem beständigen und sich aus den genannten Faktoren speisenden (und selten erfüllten) Wunsch nach Zugehörigkeit, Sicherheit und Anerkennung“ (S. 82). Zitat aus dem Buch: „Ich fühlte mich unendlich alleine auf der Welt. Ein störender Fremdkörper in ihrer kleinen glücklichen Familie. Wie diese fetten Brummer, die immer so lästig um einen herumschwirrten und bei denen man froh war, wenn sie irgendwann tot auf der Fensterbank lagen. Ich war der Brummer“ (S. 82). Mutter wechselt häufig die Partner und die Familie zieht häufig um. Timos Urgroßvater (bei dem die Mutter einen Großteil ihrer Kinderund Jugendzeit verbracht hat) war ehemalige Angehörigen der (Waffen-)SS und blieb von der Einstellung her auch ein Nazi. Prägung durch diese Einflüsse; auch Timos Mutter war rechts eingestellt.
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