Dienstag, 27. Juli 2021

Überblick über meine Veröffentlichungen

Ich habe jetzt einmal meine bisherigen Veröffentlichungen (wird laufend aktualisiert) außerhalb meines Blogs sortiert. Außerdem hänge ich dieser Liste Texte an, in denen mein Buch besprochen wurde. 

Meine bisherigen Veröffentlichungen außerhalb meines Blogs: 

Fuchs, Sven (2012): Als Kind geliebte Menschen fangen keine Kriege an: Plädoyer für einen offenen Blick auf die Kindheitsursprünge von Kriegen. Arbeitspapiere zur Internationalen Politik und Außenpolitik. Nr. 4/2012. Lehrstuhl Internationale Politik, Universität zu Köln. S. 1–48.

Fuchs, Sven (2015): Joachim Bauer: Schmerzgrenze. Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt (Rezension). In: Janus, L., Kurth, W., Reiß, H. J. & Egloff, G. (Hrsg.): Verantwortung für unsere Gefühle. Die emotionale Dimension der Aufklärung. (Jahrbuch für psychohistorische Forschung Band 16) Mattes Verlag, Heidelberg, S. 412-416.

Fuchs, Sven (2016): Als Kind geliebte Menschen fangen keine Kriege an. In: Reiß, H. J., Heinzel, R. & Kurth, W. (Hrsg.): SEIN und HABEN – Was uns bewegt (Jahrbuch für psychohistorische Forschung Band 17). Mattes Verlag, Heidelberg, S. 187-222. 

Fuchs, Sven (2019a): Die Kindheit ist politisch! Kriege, Terror, Extremismus, Diktaturen und Gewalt als Folge destruktiver Kindheitserfahrungen. Mattes Verlag, Heidelberg. 

Fuchs, Sven (2019b): Gewaltrückgang gegenüber Kindern als wichtiges Thema psychohistorischer Forschung. In: Janus, L., Egloff, G., Reiß, H. J. & Kurth, W. (Hrsg.): Die weiblich-mütterliche Dimension und die kindheitliche Dimension im individuellen Leben und im Laufe der Menschheitsgeschichte (Jahrbuch für psychohistorische Forschung Band 20). Mattes Verlag, Heidelberg, S. 283-298. 

Fuchs, Sven (2020a): Die Kindheitsursprünge von (politischer) Gewalt und Friedlosigkeit. Dynamische Psychiatrie (Internationale Zeitschrift für Psychotherapie, Psychoanalyse und Psychiatrie), Vol. 53, Heft 2-3, S. 98-118. 

Fuchs, Sven (2020b): Gewalt gegen Kinder betrifft uns alle. Eltern-Kind-Magazin „für uns“. Stiftung Zu-Wendung für Kinder.

Fuchs, Sven & Petschauer, Peter W. (2020): The Abusive and Troubled Childhood of Donald Trump. Clio's Psyche. Volume 27, Number 1, S. 37-41.

Fuchs, Sven (2021a): Die Kindheit ist politisch! Kindesmisshandlung und -vernachlässigung. Interdisziplinäre Fachzeitschrift für Prävention und Intervention (DGfPI), Jahrgang 24, Heft 1, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, S. 80-85. 

Fuchs, Sven (2021b): Kindheitsursprünge von politischer Gewalt und Extremismus. Oder: Die Kindheit ist politisch! In: Reiß, H. J., Janus, L., Dietzel-Wolf, D. & Kurth, W. (Hrsg.): Kindheit ist politisch – Die Bedeutung der frühen Kindheit für die Konflikt- und Handlungsfähigkeit in der Gesellschaft (Jahrbuch für psychohistorische Forschung Band 21), Mattes Verlag, Heidelberg, S. 11-80

Fuchs, Sven (2021c): Kindheit in Afghanistan und der nie enden wollende Krieg und Terror. In: Reiß, H. J., Janus, L., Dietzel-Wolf, D. & Kurth, W. (Hrsg.): Kindheit ist politisch – Die Bedeutung der frühen Kindheit für die Konflikt- und Handlungsfähigkeit in der Gesellschaft (Jahrbuch für psychohistorische Forschung Band 21), Mattes Verlag, Heidelberg, S. 103-116.

Fuchs, Sven (2023): Kindheitsursprünge von politischer Gewalt und Extremismus. In: Heinzelmann, C. & Marks, E. (Hrsg.): Prävention orientiert! ... planen ... schulen ... austauschen ... (Ausgewählte Beiträge des 26. Deutschen Präventionstages). Forum Verlag, Godesberg. S. 243-308. 

Fuchs, Sven (2024): Die Kindheit ist politisch! Kindheit von Extremisten und politischen Gewalttätern. In: Vogt, R. (Hrsg.): Transgenerationale Gewalt: Weshalb unbehandelte Traumata in familiäre Tyrannei und sozialen Extremismus münden können. Lehmanns Media, Berlin. S. 49-88. 


Vorträge:

Fuchs, Sven (2021, 06. März): "Kindheit ist politisch!" auf der 35. Jahrestagung der Gesellschaft für Psychohistorie und Politische Psychologie (GPPP) (online)

Fuchs, Sven (2021, 10. Mai): "Kindheitsursprünge von politischer Gewalt und Extremismus" beim 26. Deutschen Präventionstag in Köln (online)

Fuchs, Sven (2021, 20. November):  “The Childhood Origins of Political Violence and Extremism" Psychohistory Forum Meeting, USA (online)

Fuchs, Sven (2022, 18. März): “The Childhood Origins of Political Violence and Extremism" (Online-Vortrag für das Projekt "No Violence for Kids Canada")

Fuchs, Sven (2022, 10. September): Die Kindheit ist Politisch. Vortrag beim Kongress für Kinder- und Jugendmedizin in Düsseldorf  (im Rahmen des Symposium-DGSPJ: "Kinderschutz - Aggression - Gewalt - Trauma") 

Fuchs, Sven (2022, 29.10.). Vortrag vor FamilienberaterInnen zum Buch: Die Kindheit ist politisch. (24. familylab Supervision/kollegiale Reflexion in Stuttgart)

Fuchs, Sven (2023, 12.05.). Die Kindheit ist politisch! (14. Jahrestagung Deutsche Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin, kurz DGKiM)

Fuchs, Sven (2023, 24.06.), Die Kindheit ist politisch! Kindheiten von Extremisten und politischen Gewalttätern.  (Trauma-Kongress: "Methodenvielfalt in der Psychotraumatologie und die Wurzeln der Gewaltintrojekte" in Leipzig, Veranstalter: Trauma-Institut-Leipzig an der Akademie für Ganzheitliche Psychotherapie & Akademie für Ganzheitliche Psychotherapie)


Bisherige (Fach-)Rezensionen meines Buches oder deutliche Hinweise durch Fachleute darauf:

  • Dr. med. Ludwig Janus: Die Kindheit ist politisch! In: "Gewalt und Trauma: Direkte und transgenerationale Folgen" (Jahrbuch für psychohistorische Forschung Band 19, 2018)
  • Der Traumaexperte Prof. Dr. Franz Ruppert hat mein Buch sehr positiv am Ende eines Podcast-Interviews gewürdigt: Psycho trifft Coach#13 - Trauma (13.05.2019)
  • Ingeborg Salomon: "Entsetzlich wahr" (Rhein-Nekar-Zeitung vom 17.05.2019)
  • Dr. Erika Butzmann: "Gewalt - von Anfang an" (Stiftung Zu-Wendung für Kinder vom 30.05.2019) + ergänzend ein kurzes Interview mit mir
  • Caroline Fetscher: "Das Paradies sieht anders aus" (Der Tagesspiegel, 02.06.2019) + "Sind Diktatoren auch das Produkt einer traumatischen Kindheit?" (Der Tagesspiegel-Online, 04.06.2019)
  • Prof. Dr. Gertrud Hardtmann: Sven Fuchs: Die Kindheit ist politisch! (für socialnet, 26.09.2019)
  • Der Kriminologe Prof. Dr. Christian Pfeiffer hat keine Rezension verfasst, ich möchte aber erwähnen, dass er in seinem Buch "Gegen die Gewalt: Warum Liebe und Gerechtigkeit unsere besten Waffen sind" (04.11.2019) mein Buch als "wichtiges Buch" bezeichnet und auch kurz etwas zum Inhalt meiner Arbeit ausgeführt hat. Auf eine solche Würdigung eines deutschlandweit bekannten Experten bin ich schon etwas stolz ;-).
  • Die Journalistin Dr. Sabine Schmidt hat am 10.01.2020 unter dem Titel "Kein Herz für Kinder" eine Rezension verfasst. 
  • Peter W. Petschauer: Destructive Childhood Experiences and the Penchant for Authoritarians. In: Clio’s Psyche, Volume 26, Number 2, Winter 2020 
    (Abstract: The author is inspired by Sven Fuchs’ new book about the sad tale of the history of childhood and its current state. In 17 chapters, the author takes the reader from the brutality of tribal societies to the misery of childrearing in most current societies and the abuse most authoritarian figures experienced in the distant and recent past.)
  • Josef Pfaffenlehner hat im SIAK-Journal - Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (02/2020) eine Rezension meines Buches veröffentlicht (S. 104f.). 
Darüber hinaus wurde mein Buch mittlerweile von mehreren AutorInnen in ihren Büchern verarbeitet (siehe eine Übersicht bei Googel Books)

Montag, 26. Juli 2021

Die Kindheit von Viktor Orbán

Viktor Orbán: Ein Stürmer in der Politikvon Igor Janke (Schenk Verlag, Passau, 2014) ist meine Quelle für einige wenige, aber aufschlussreiche Informationen über die Kindheit des autoritär regierenden, ungarischen Präsidenten. 

Der Biograf betont, dass die Familie am Rand ihres Dorfes wohnte, was gleichzusetzen war mit ihrer niedrigen gesellschaftlichen Position. Das Leben war hart. Es gab kein fließend Wasser. Die Kinder mussten vor allem viel arbeiten und mithelfen. So war das Leben damals für Kinder in vielen Dörfern. Eine schwere Belastung kam aber hinzu: „Der Vater erzog seine Kinder mit harter Hand. Wenn Viktor aufbegehrte, und das kam häufig vor, rutschte dem Vater schnell die Hand aus. Sie hatten kein sonderlich gutes Verhältnis. Für Viktor war sein Großvater Mihály Orbán die Autorität. Von ihm erbte er zahlreiche Charakterzüge“ (Janke 2014, S. 30). 

Die selbst erlittene Gewalt durch den Vater scheint den Jungen auch geprägt zu haben, was den Umgang mit Menschen in seinem Umfeld anging: „Orbán sagt, dass in seiner Familie immer auch die körperliche Kraft zählte. Mit ihr konnte sich der Junge vom Dorfrand, mangels besserer Argumente, Respekt unter den anderen Jungs verschaffen. Er betont, dass ihm im Dorf die körperliche Kraft die Unabhängigkeit sicherte“ (ebd., S. 31). Zusammenstößen sei er nie aus dem Weg gegangen. Darunter fielen offensichtlich auch Prügeleien, wenn man den weiteren Schilderungen des Biografen folgt. Viktor habe es nicht ertragen können, dass jemand über ihn herrschte und die Spielregeln bestimmte. Er wollte bestimmen, das zeigte sich seit seiner frühen Jugend. 

Entsprechend begehrte er auch auf, als er auf ein Internat geschickt wurde, was auch eine Trennung von der Familie bedeutete. „Er lebte im Internat, wo er sich ausgesprochen unwohl fühlte. (...) war er nun in einem geschlossenen, engen Raum eingezwängt, wo ihm bisher unbekannte Regeln Fesseln anlegten. Er wollte ihnen nicht Folge leisten, oft geriet er in Konflikte. Nach einer Prügelei verwies man ihn des Internats“ (ebd., S. 36). Er wohnte danach wieder bei seinen Eltern. Was er ggf. an Belastungen im Internat erlitten hat, wird nicht weiter ausgeführt.
Mit 18 musste er zur Armee. Seine bisherigen Lektionen, sich mit Gewalt und Körperkraft durchsetzen zu können, zogen sich hier fort. „Viktor war oft in Schlägereien verwickelt. Die älteren Soldaten gingen brutal mit den Rekruten um“ (ebd., S. 43). Er habe nur überlebt, weil er stark gewesen wäre und Risiken auf sich nahm, wird er von Janke zitiert. Nur so habe er sich Respekt verschaffen können. 

Über die Prägungen durch seine Mutter erfährt man erstaunlich wenig in der Biografie. Seine Mutter, die Pädagogin war, scheint den Eigen- und Freiheitssinn ihres Sohnes sehr gestützt zu haben und ermunterte ihn, für seine Ziele einzustehen.

Dieser kurze Abriss und Eindruck über seine jungen Jahre macht sehr deutlich, auf welchem Grund der heutige Präsident steht. Verbindungen bzgl. seines politischen Verhaltens sind sicher nicht auszuschließen bzw. erscheinen mir als sehr wahrscheinlich.  


Freitag, 23. Juli 2021

Wie schneiden Deutschland und die USA in internationalen Rankings ab, wenn es um Kinder geht?

Mittlerweile existieren einige Rankings bzgl. dem allgemeinen oder auch speziellen Wohlergehen von Kindern in der Welt. 

In diesem Beitrag möchte ich die Platzierungen für Deutschland vorstellen. In einigen dieser Rankings wird gesondert auf das besonders schlechte Abschneiden der USA im Vergleich zu anderen hoch entwickelten, reichen Ländern hingewiesen. Dieser Umstand ist in der Tat derart auffällig, dass ich auch die Platzierung der USA hier aufführe. Es zeigt sich, dass Deutschland meist in einem guten oberen Feld landet, wenn es um Vergleichsdaten geht. Die hierzulande oft verbreitetet Unart, das Land bzgl. des Umgangs mit Kindern schlecht zu reden, kann rein statistisch nicht bestätigt werden. Das bedeutet nicht, dass hierzulande alles gut ist. Es bedeutet vor allem, dass es in den meisten anderen Ländern schlechter ist. 

Wohlergehen von Kindern in reichen Ländern (2013) 
(UNICEF Office of Research 2013):

Deutschland: Platz 6 von 29 reichen Ländern 

USA: Platz 26 von 29 reichen Ländern 


Wohlergehen von Kindern in reichen Ländern (2020) 
(UNICEF Office of Research – Innocenti 2020):

Deutschland: Platz 14 von 38 reichen Ländern

USA: Platz 36 von 38 reichen Ländern 


Stand bzgl. des Erreichens der Sustainable Development Goals (SDGs) bzw. der globalen UN-Agenda mit Blick auf 9 für Kinder relevante Bereiche 
(UNICEF Office of Research 2017):

Deutschland: Position 2 von 41 reicheren Ländern

USA: Position 37 von 41 reicheren Ländern 


Familienfreundlichkeit (Chzhen et al. 2019)

Deutschland: Platz 6 von 31 aller komplett in die Wertung einbezogenen Vergleichsländer bezogen auf Familienfreundlichkeit

USA: letzter Platz bzgl. bezahlter Schutzzeit für Mütter und Väter weil: „The United States is the only OECD country without nationwide, statutory, paid maternity leave, paternity leave or parental leave. Some states offer paid parental leave insurance programmes to eligible workers“ (Chzhen et al. 2019, S. 7). Allerdings wurden die USA nicht ins Gesamtranking einbezogen, weil für zwei andere Punkte Vergleichsdaten fehlten. 


End of Childhood Index 2020 (Vergleich bzgl. Orten auf der Welt, wo es am schlimmsten ist, ein Kind zu sein) (Save the Children 2020):

Deutschland: Platz 25 von 180 Ländern

USA: Platz 43 (gleichauf mit China und Montenegro) von 180 Ländern (was international verglichen nicht schlecht ist, im Text wird allerdings explizit betont, dass die USA fast hinter allen fortschrittlichen Ländern im Ranking zurückliegen) 

„Girls’ Opportunity Index 2016 (bezogen auf die Lebenssituation von Mädchen/jungen Frauen) (Save the Children (2016):

Deutschland: Platz 12 von 144 Ländern

USA: Platz 32 von 144 Ländern 


Quellen:

Chzhen, Y., Gromada, A. & Rees, G. (2019): Are the world’s richest countries family friendly? Policy in the OECD and EU. UNICEF Office of Research, Florence. 

Save the Children (2016): Every Last Girl: Free to live, free to learn, free from harm. London.

Save the Children (2020): The Hardest Place To Be A Child. Global Childhood Report 2020. Save the Children, Connecticut.

UNICEF Office of Research (2013): Child Well-being in Rich Countries: A comparative overview. Innocenti Report Card 11, UNICEF Office of Research, Florence. 

UNICEF Office of Research (2017): Building the Future: Children and the Sustainable Development Goals in Rich Countries. Innocenti Report Card 14, UNICEF Office of Research – Innocenti, Florence. h

UNICEF Office of Research – Innocenti (2020): Worlds of Influence: Understanding what shapes child well-being in rich countries. Innocenti Report Card 16, UNICEF Office of Research – Innocenti, Florence.


Die Kindheit des Massenmörders und Rechtsextremisten Dylan Roof

Die Kindheit des Massenmörders und Rechtsextremisten Dylan Roof (Anschlag in Charleston, USA) scheint sehr destruktiv gewesen zu sein. Mit ihm und seiner Kindheit hatte ich mich schon früh befasst, komme aber erst jetzt dazu, etwas über ihn zu schreiben.
Court documents and nearly two dozen interviews show Roof's early childhood was troubled and confused as well, as he grew up in an unstable, broken home amid allegations of marital abuse and infidelity“ (ctvnews.ca, 27.06.2015, Charleston shooting suspect's life was a troubled road to radicialization).
Seine Eltern trennten sich vor seiner Geburt. Lebensmittelpunkt blieb offensichtlich sein Vater, der ca. 4 Jahre nach Dylans Geburt erneut heiratete und bei dem Dylan weitgehend aufwuchs. Der Vater war berufsbedingt oft abwesend. Die neue Stiefmutter wurde von seinem Vater verbal und körperlich schwer misshandelt und stark kontrolliert. Sie verließ den Vater, als Dylan ca. 14 Jahre alt war (Bates, D., 19.06.2015, Charleston killer Dylann Roof grew up in a fractured home where his 'violent' father beat his stepmother and hired a private detective to follow her when they split, she claims in court papers; Smith, J. (2019): Home Grown: How Domestic Violence Turns Men Into Terrorists. Riverrun, London. Kindle E-Book Edition., Kapitel: „From Children to Perpetrators“, Position 1664f.)  

Das Miterleben von häuslicher Gewalt ist eine schwere, traumatische Belastung für Kinder. Die Wahrscheinlichkeit ist außerdem sehr hoch, dass es weitere Belastungen gab, die von dem (nachweisbar) gewalttätigen Vater ausgingen. Ich frage mich auch, um der Vater evtl. Gewalt gegen die schwanger Mutter von Dylan angewendet hat (was die Trennung vor der Geburt mit erklären könnte)? Dieser Punkt sollte im Blick bleiben und würde eine frühe Belastung des Fötus bedeuten. Die Stiefmutter hat sich laut eigenen Angaben viel um die Kinder gekümmert. Wie der Alltag mit ihr wirklich aussah, erschließt sich für mich nicht. 


Donnerstag, 22. Juli 2021

10 Jahre Oslo und Utøya - Gedenken wir auch dem Kind, das Breivik einst war.

Heute jährt sich die terroristische Mordserie von Anders Behring Breivik zum 10. Mal. Der Fall Breivik wird mich bzgl. meiner Arbeit an dem Thema wohl nie mehr loslassen. 

Sein Fall beinhaltet im Grunde alles, was die Analyse der Ursachen von Gewalt so schwierig macht. Gleichzeitig zeigt der Fall in einer unvergleichbaren Klarheit auf, wo die Ursachen liegen. Deswegen bezeichne ich diesen Fall stets als Lehrstück für die Gewalt-/Extremismusforschung. Die genannten Widersprüche sind schnell erklärt:

Der Fall zeigt zunächst klassische Schwierigkeiten auf, wenn es um die tieferen Ursachen geht. Breivik selbst und seine Familie schwiegen sich über seine Kindheit aus. Breivik behauptete gar in seinem Manifest, dass es überhaupt keine Probleme in seiner Kindheit gab und dass er eher zu viele Freiheiten hatte. Sein seit dem Säuglingsalter von ihm getrennt lebender Vater konnte nicht viel berichten, weil er schlicht nicht da war. Sprich wir wüssten heute vermutlich nur, dass Anders ein Trennungskind war, wenn da nicht ein für so einen Fall wohl einmaliger, besonderer Umstand gewesen wäre. Denn der damals 4-Jährige Anders wurde zusammen mit seiner alleinerziehenden Mutter für 3 Wochen in einer psychiatrischen Einrichtung (SSBU) aufgenommen und analysiert. Wann hat es so einen Umstand je bei einem Massenmörder gegeben? 

Das Ergebnis der psychiatrischen Untersuchungsreihe war eindeutig: Dieses Kind erlebte einen reinen Alptraum an Gewalt, Vernachlässigung und emotionaler Misshandlung durch und an Hass-Liebe erinnernde Bindung an seine Mutter, die, dem Gutachten nach, vermutlich an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung litt und selbst als Kind schwerst belastet wurde. „In einem Moment konnte sie sanft und nett zu ihm sein, im nächsten schrie sie ihn an. Ihre Abweisung fiel bisweilen brutal aus. Die Ärzte hörten sie schreien: `Ich wünschte, Du wärst tot!`“, schreibt Åsne Seierstad über Anders Mutter in dem Buch „Einer von uns: Die Geschichte eines Massenmörders“. Was gibt es schlimmeres, als wenn die eigene Mutter, die einen geboren hat, einem sagt, sie wünsche, man wäre tot? Für ein Kind, das so etwas einmal gehört hat (und Anders hat dies bestimmt nicht nur einmal zu hören bekommen, wenn sich die Mutter schon in einer Kontrollsituation wie in der Psychiatrie derart offen auslässt), stirbt etwas in dieser Welt. Und dies ist nur eine von vielen belegten Verhaltensweisen gegenüber dem Kind. Einen Ausgleich gab es nicht, denn Anders war seiner alleinerziehenden Mutter komplett ausgeliefert. 

Irgendwann, wenn zu viel zusammenkommt, hilft es Kindern nur noch, innerlich abzuschalten und das „Licht“ auszustellen. Wer nicht mehr fühlt, kann auch nicht mehr verletzt werden und in der Folge irgendwie im Alltag funktionieren und überleben: allerdings als Gefühlszombie (was ich nicht selten so oder so ähnlich durch Menschen gehört und von ihnen gelesen habe, die schwer in der Kindheit misshandelt wurden). 

Das psychiatrische Team forderte nach der Begutachtung die umgehende Trennung von Mutter und Sohn. Eine Pflegefamilie wurde als Option eingebracht. Auch erhielt der Vater das Gutachten und versuchte daraufhin das Sorgerecht zu erstreiten, scheiterte aber. (Nach den Taten ihres Sohnes wurde die Mutter befragt und gab falsche Angaben zu den damaligen Abläufen. Sie sagte u.a. aus, dass es keinerlei Befürchtungen bzgl. Anders Entwicklungen als Kind gab und dass die Begutachtung des SSBU ein Resultat des Sorgerechtsstreites mit ihrem EX-Mann war, obwohl es genau umgekehrt war.) Das Kind blieb bei der Mutter, bei der Anders auch noch bis vor seinen Taten gelebt hatte, weil er beruflich gescheitert war. Was wäre gewesen, wenn die Trennung zwischen Mutter und Sohn geglückt wäre? Diese Frage habe ich mir oft gestellt. Nun ist sein Vater laut Medienberichten nicht gerade ein herausragend empathischer Mensch, aber die Vermutung liegt nahe, dass dem Kind einiges an belastenden Erfahrungen erspart geblieben wäre, wenn es eine Rettung aus dieser destruktiven Mutterbeziehung gegeben hätte. Vielleicht hätte der wohlhabende und über die Erlebnisse seines Sohnes informierte Vater auch eine Psychotherapie für seinen Sohn möglich gemacht? All dies bleibt Spekulation, die Dinge liefen anders. 

Wie viele Massenmörder, Terroristen und Diktatoren gab und gibt es, über die wir ebenfalls keine Informationen über deren Kindheit erhalten? Manchmal gibt es sogar die gegenteilige Lage, wenn Nachbarn, die frühere Lehrerin oder Verwandte berichten, dass dies doch behütete Kinder gewesen waren. Viele Beobachter stehen dann mit offenem Mund vor den Taten der Täter und fragen ungläubig, wie ein solch normaler Mensch zu seinen Taten fähig sein konnte. 

Der Fall Breivik mahnt uns FÜR IMMER zur Vorsicht, zum Hinterfragen und zur Skepsis. Kindesmisshandlung umgibt der Mantel des Schweigens, des Verdrängens, des Ausblendens, der Scham, der Ausblendung von Realitäten und der Ohnmacht. Genau deswegen ist das Dunkelfeld so groß, weil viele Menschen gar nicht wahrnehmen können, was hinter den häuslichen Fassaden passiert. Oftmals können die Betroffenen selbst nicht wahrnehmen, was sie erleiden, was ein Schutzmechanismus ist. Dabei gibt es in jedem Ort, in jeder noch so kleinen Gemeinde Kinder, die auch heute noch von ihren Eltern geradezu gefoltert werden. Diese Kinder gehen zur Schule, sie lächeln, sie lassen sich nichts anmerken, aber es gibt sie. Anders Behring Breivik war eines von ihnen. 

Neben der Schwierigkeit, die Wahrheit über die Kindheitshintergründe herauszubekommen, gibt es die nächste Hürde: Auch die Gesellschaft will diese Zusammenhänge oftmals nicht wahrhaben und wahrnehmen. Politisch Aktive (Intellektuelle, Antifaschisten, Linke oder wie auch immer man diese „Stempel“ für Menschen nennen mag) treibt die Sorge um, dass der politische Rahmen, der politische Nährboden aus dem Blick geraten könnte, wenn solche Taten durch Kindheitshintergründe erklärt würden. Dabei verstehe ich deren Sorge im Grunde nicht, denn der Rahmen bleibt weiter ein wichtiger Teil der Ursachenkette. Das Gleiche gilt für Feministinnen. Toxische Männlichkeitsnormen und kulturelle „Angebote“ für Männer, mit ihren Ohnmachtserfahrungen umzugehen und sie ggf. in eine mörderische Machtdemonstration umzuwandeln, bleiben weiter bestehen und zu kritisieren, auch wenn man Kindheitshintergründe als gewichtig benennt.
Dazu kommen die ganzen Menschen, die selbst als Kind misshandelt wurden. Ihr eigenes Leben bieten sie als Argument dafür dar, dass Breiviks Kindheit ja wohl kaum mit der Tat in einen Zusammenhang gebracht werden könnte, weil sie – wie so viele andere Menschen – ja nun mal nicht massenmordend durch die Welt laufen würden. 

Im Kopf des Massenmörders“ heißt ein Artikel von Ulrich Sonnenberg. Die destruktive Kindheit von Breivik bespricht der Autor im Ansatz, aber deutlich. Und er schreibt: „Allerdings ist die Welt voll von schwierigen Kindheiten – einige gehen unter, andere schaffen es, niemand tötet deshalb eigenhändig neunundsechzig Menschen nacheinander. Die Welt ist voller Menschen mit narzisstischen Zügen – ich selbst bin einer von ihnen –, und sie ist voller Menschen, die keinerlei Empathie mit anderen empfinden. Und die Welt ist voller Menschen, die Breiviks extreme politische Ansichten teilen, ohne dass sie aus diesem Grund Kinder und Jugendliche umbringen. Breiviks Kindheit erklärt nichts, sein Charakter erklärt nichts, seine politischen Standpunkte erklären nichts.“
Im Artikelverlauf hebt der Autor dann zwei Fragen hervor: „Wie war es möglich? Wie konnte es geschehen?“ Die Antworten darauf lagen vor seinen Augen, aber er wollte nicht zugreifen, er wollte sie nicht wahrhaben. Wer Breiviks extrem traumatische Kindheit ausblendet, wird niemals Antworten bekommen! Davon bin ich zutiefst überzeugt und dies gilt auch für andere Täter seines Kalibers. 

Seine Taten waren nur möglich, sie konnten nur geschehen, weil hier ein Mensch derart als Kind malträtiert wurde, dass er nichts mehr fühlt. Wer innerlich (emotional) tot ist, der kann anderen Menschen auch viel antun. „Kann“ nicht „muss“! Das ist genau der feine Unterschied. Noch eine Frage stelle ich mir – neben der Frage, was passiert wäre, hätte man diesem Kind frühzeitig geholfen - stets bei solchen Fällen: Wäre ein als Kind geliebter, gewaltfrei und weitgehend unbelastet aufgewachsener Mensch jemals zu solchen Taten fähig? Meine Antwort: Nein! Genau darum geht es. Es geht nicht darum, auf all die Menschen zu schauen, die solche Taten NICHT begehen, obwohl sie auf Grund ihrer traumatischen Erlebnisse und von ihrem inneren Hass her dafür prädestiniert wären. Es geht bei solchen Fällen um die simple Frage, was wäre, wenn diese traumatischen Erfahrungen gar nicht gemacht worden wären?

Seit fast 20 Jahren befasse ich mich mit den Ursachen von Gewalt. Ich fand etliche Studien und Biografien, die sich mit Tätern und deren Kindheit befasst haben. Was Autoren wie Ulrich Sonnenberg und viele Andere ausblenden ist, dass es trotz der Schwierigkeiten bei der Aufdeckung von Kindheitshintergründen sehr viel empirisches Material gibt, das ich u.a. in meinem Blog und in meinem Buch zusammengetragen habe. 

Der Neurobiologe und Hirnforscher Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth sagte bereits 2011 über Breivik:  „Über seine Jugend weiß ich nichts, aber ich bin sicher, dass sich bei genauer Analyse Faktoren der genannten Art finden.“ (Wie Recht er hatte!) Mit „genannter Art“ meint er genetische Vorbelastungen gepaart mit frühkindlichen Traumatisierungen durch Misshandlung, sexuellen Missbrauch und Vernachlässigung. Das ist etwas, was viele Experten, die sich mit Kindheit und Gewalt befassen, heute sagen würden. Unter „genannter Art“ würde ich ergänzend auch immer die Kategorie Geschlecht verstehen, denn es sind vorzugsweise Männer, die solche und ähnliche Taten begehen. Frauen begnügen sich i.d.R. eher damit, etwas provokant formuliert, z.B. ihren Nachwuchs zu misshandeln (oder sich selbst zu verletzten), um eigene Frustrationen und Kindheitserfahrungen im Außen wiederaufzuführen (so wie es auch die Mutter von Anders tat). Sie suchen nicht durch Massenmorde die öffentliche Bühne, um zu zeigen, wie „großartig“ und „mächtig“ sie doch sind, um ihr zerrissenes Ich aufzuwerten. Solche Gewaltakte sind und bleiben i.d.R. Männersache und das muss auch benannt werden.   

Ulrich Sonnenberg (sorry, aber sein Zitat bot sich nun Mal als Vorlage an…) wirft, wie so viele andere auch, keinen umfassenden Blick auf die Forschungslage. Zusammenhänge zwischen destruktiven Kindheitserfahrungen und Gewaltverhalten/Kriminalität sind in der wissenschaftlichen Literatur mittlerweile derart deutlich belegt, dass es objektiv überhaupt keinen Sinn macht, diese zu negieren.

Wenn ich an die Taten von Anders Behring Breivik denke, wenn ich der Opfer gedenke, wie heute zum 10. Jahrestag, dann denke ich immer auch an das Kind Anders (nicht an den erwachsenen Täter, der mir vom tiefsten Herzen her komplett egal ist!). Dem Gedenken an das verlorene, misshandelte Kind, das er war, sind wir, davon bin ich überzeugt, seinen Opfern schuldig. Das Gedenken an dieses Kind entschuldigt nichts! Dieses Gedenken steht im Zeichen der Prävention. Denn was sonst sind wir den Opfern schuldig, wenn nicht, dass wir alles Menschenmögliche tun, um solche und ähnliche Taten zukünftig zu verhindern? 


In my opinion, however, the most important lesson from this tragedy is not about integration policy, the Internet, ideology or the police`s operating methods and resources (…). It is about child and family welfare policy. (…) The banality of evil in the case Breivik is the significance of childhood trauma in the hatred of a grown man. Countering hatred, radicalization und terrorism is also a matter of preventing children from being abused by their parents – a banal insight, perhaps, possibly so banal that it has been overlooked.
(Der Autor Aage Borchgrevink in seinem Buch "A Norwegian Tragedy: Anders Behring Breivik and the Massacre on Utøya" über seine veränderte Sichtweise auf das Massaker von Utøya, nachdem er die Ereignisse und vor allem auch die traumatische Kindheit von Anders Breivik umfassend analysiert hat.)