Freitag, 29. April 2022

Kindheit von Katharina II., die Große (Russland, 1729-1796)

Katharina II., die Große wurde am 02.05.1729 geboren (Geburtsname: Sophie Auguste Friederike). Auch ihre Kindheit umfasste, ähnlich wie bei den anderen Zaren, die ich bisher analysiert habe, viele Belastungen.

Erzieherische Qualitäten besaß Katharinas Mutter nach dem Zeugnis ihrer Tochter kaum. Sie hatte sich ebenso wie ihr Gemahl als erstes Kind einen Sohn gewünscht und war sehr enttäuscht, als es ein Mädchen war. `Meine Mutter wäre bei meiner Geburt fast gestorben und schwebte noch lange nachher zwischen Tod und Leben`. Sie `kümmerte sich nicht viel um mich. Sie schenkte anderthalb Jahre nach mir einem Sohn das Leben, den sie abgöttisch liebte. Ich war nur geduldet und wurde oft hart und heftig gescholten, und nicht immer gerecht, ich fühlte das, ohne mir jedoch über meine Empfindungen schon ganz klar zu sein`“ (Donnert 1998, S. 15). 

Dass ihre Mutter bei der Geburt fast starb, könnte ergänzend auch ein Hinweis auf Belastungen für den Säugling sein. Wie die Geburt genau ablief, wird nicht beschrieben. Katharinas Mutter - Johanna Elisabeth, geb. 24.10.1712 – war zum Zeitpunkt von Katharinas Geburt nur sechzehn Jahre alt! Aus heutiger Sicht würden wir von einer „Teenager-Schwangerschaft“ sprechen, die oftmals mit Risken verbunden ist. Dass die Jugendliche, die im Alter von fünfzehn Jahren (zwangs-)verheiratete worden ist, kaum Muttergefühle entwickeln konnte, ist nachvollziehbar. 

Die Entfremdung von Mutter und Kind wurde in den hohen Gesellschaftsschichten der damaligen Zeit allerdings auch routinemäßig durch die Strukturen und Traditionen betrieben. Für den Säugling war selbstverständlich eine Amme zuständig, „die junge Frau eines Soldaten“ (Cronin 2006, S. 15). Die Mutter konnte und sollte sich nach der Geburt anderen Dingen zuwenden. 

Katharina selbst hat in ihren Aufzeichnungen den schwedischen Diplomaten Gyllenborg zitiert, der ihre Mutter bzgl. der Vernachlässigung gegenüber der Tochter mahnend etwas auf den Weg gab:
Er sah, dass meine Mutter mich nicht sehr beachtete und sagte eines Tages zu ihr: `Madame, Sie kennen dieses Kind nicht (…) ich bitte Sie darum, sich mehr mit dem Mädchen zu beschäftigen als bisher. Ihre Tochter verdient das in jeder Hinsicht`“ (Donnert 1998, S. 19). 

Zum Mutterersatz wurde Katharinas Erzieherin: „Sichtliche Zuneigung brachte die kindliche Sophie, die wohl kaum wirkliche Mutterliebe erfahren haben dürfte, ihrer Erzieherin, der Französin Mademoiselle Cardel entgegen, der sie mit dem vierten Lebensjahr anvertraut wurde“ (Donnert 1998, S. 16).
Aber auch andere Erzieher waren für das Kind zuständig, darunter war der Pfarrer Wagner.
Den Kirchenmann Wagner hat Katharina in weniger guter Erinnerung behalten: als einen langweiligen Pedanten, deutschen Griesgram und gestrengen Pastor, der langatmige Ermahnungen verteilte, seine Schülerin mit Abfragen schikanierte und dabei nie eine Chance hatte, diese von seinen Ansichten zu überzeugen. (…) Anders als die französische Gouvernante hatte sich Wagner sogar erlaubt, die nicht selten störrische Prinzessin zu züchtigen“ (Donnert 1998, S. 17). Das Kind erlebte also auch Körperstrafen.
Dies wird auch von einer anderen Quelle bestätigt: „Kaplan Wagner war ein strenger Zuchtmeister, der lange Stellen in der Heiligen Schrift rot unterstrich und sie Sophie auswendig lernen ließ. Wenn sie ein Wort verfehlte, schlug er sie“ (Cronin 2008, S. 16f.). Auch Drohungen mit Körperstrafen gehörten zu Wagners Erziehungsmitteln dazu (Cronin 2008, S. 18). 

Von ihrem Kinderzimmer aus konnte Katharina die Orgel der Kirche hören. „Abends dachte sie über Pastor Wagners grimmige Ermahnungen nach, über das Jüngste Gericht und die mühevolle Aufgabe, für die Erlösung zu arbeiten. Dazu dröhnte die Orgel; es war zu viel für ein kleines Mädchen, und oft brach sie in Tränen aus“ (Cronin 2008, S. 17). Zur Hilfe kam ihr manches Mal ihre französische Gouvernante, ein gewisser Ausgleich im Angesicht des Leids. 

Als Katharina sieben Jahre alt war, starb ihre jüngere Schwester Auguste Christine Charlotte; als Katharina dreizehn Jahre alt war, starb ihr jüngerer Bruder Wilhelm Christian Friedrich; als sie sechszehn Jahre alt war, starb ihre jüngste Schwester Elisabeth Ulrike im Alter von drei Jahren. Am Leben blieb nur ihr Bruder Friedrich August. Wie sie mit dem Tod dieser drei Geschwister umgegangen ist, konnte ich den Quellen nicht entnehmen. Es wird auf jeden Fall eine schwere Belastung für sie gewesen sein. 

Ab dem Alter von sieben Jahren kam für Katharina auch noch schwere gesundheitliche Probleme hinzu. Sie bekam zunächst einen schweren Husten und lag nur auf der linken Seite. Als sie wieder aufstehen konnte, waren ihre Wirbelsäule und Schulter schief. „Schließlich entschloss man sich, den Stettiner Henker, der sich auf die Behandlung solcher Fälle verstand, heranzuziehen“ (Donnert 1998, S. 15). Sie bekam eine Art Schnürbrust an, die sie Tag und Nacht für anderthalb Jahre nicht ablegen durfte. Erst als sie zehn oder elf Jahre alt war, war sie dieses lästige „Gerüst“ endgültig los. Ein anderer Biograf beschreibt es so: „Mit diesem käferartigen Panzer auf dem Leib schleppte sich die arme Sophie monatelang durch das Schloss, ohne dass eine nennenswerte Besserung erfolgte. Es war eine Lehre in Demut und Geduld" (Cronin 2008, S. 19). 

Als Katharina vierzehn Jahre alt war, wurde beschlossen, sie mit dem späteren Zaren Peter III. zu verheiraten (die Heirat fand allerdings erst statt, als Katharina sechszehn Jahre alt war).  Sie musste nun die Reise nach Russland antreten. Während ihrer Reise traf sie in Stettin noch kurz ihren Vater: „Es war das letzte Mal, dass ich ihn sah“ (Donnert 1998, S. 24).
Der Vater und sein Umgang mit seiner Tochter wird in den Quellen im Grunde nicht erwähnt. An einer Stelle zeigt sich allerdings, dass auch er streng gewesen sein wird: „Sophie war streng erzogen worden. Sie pflegte ihre Briefe an den Vater mit Sätzen zu beenden, die mehr waren als bloße Floskeln: `Bis an das Ende meines Lebens, mein Herr, werde ich Sie hochachten und verehren, und ich verbleibe als Euer Durchlaucht demütige, gehorsame und ergebene Tochter und Dienerin`“ (Cronin 2008, S. 44).

Es zeigen sich diverse Belastungen in der Kindheit der Zarin, die nicht ohne Folgen geblieben sein werden. 


Quellen:

Cronin, V. (2008). Katharina die Große. Piper Verlag, München.

Donnert, E. (1998). Katharina II. die Grosse (1729-1796). Kaiserin des Russischen Reiches. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt. 



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