Mittwoch, 13. Januar 2021

Studie "The Racist Mind: Portraits of American Neo-Nazis and Klansmen"

Der Anfang 2020 verstorbene Psychologieprofessor Raphael S. Ezekiel hat ein außergewöhnliches Buch hinterlassen: The Racist Mind: Portraits of American Neo-Nazis and Klansmen (1996, Penguin Books).

Das Buch ist insofern außergewöhnlich, weil der Forscher sich einfach auf den Weg gemacht und mit Nazis gesprochen hat. Für Anfang der 1990er Jahre kann man dies wohl einfach erste Feldforschung nennen. Der Autor gibt in dem Buch vor allem lange Gesprächsauszüge wider. Man muss sich die Zeit nehmen und die Interviews durchlesen, um eine Systematik zu bilden. Denn das Buch ist keine klassische wissenschaftliche Arbeit mit durchdachter Methodik. Dies mag eine Schwäche der Arbeit sein. Zudem geht der Forscher auch nicht auf objektive Distanz, sondern er konfrontiert die interviewten Nazis immer wieder mit Widersprüchen, mit ihrer Ideologie (ohne die Personen, die vor ihm stehen, herabzuwürdigen) und auch seiner eigenen Sicht. Aber man merkt schnell, dass er durch seine spezielle Art der Gesprächsführung auch Vertrauen schafft, Augenhöhe, Raum, Dinge zu sagen und den Redefluss der Nazis anzuregen. Dies sehe ich als besondere Stärke des Buches, weil man viel von den Akteuren erfährt; vielleicht sogar mehr, als wenn hoch geschulte, objektive Fragesteller zu den gleichen Leuten geschickt worden wären.

Ezekiel hat drei damalige Nazi-Führungspersonen interviewt:
Tom Metzger, Dave Holland  und Richard Butler.

Metzger und Butler haben nicht viel über ihre Kindheit und Familie gesprochen. Über Metzger erfährt man nur, dass sich seine Eltern früh trennten und ein Stiefvater in sein Leben trat (S. 87). Bzgl. Butler betont Ezekiel, dass dieser nicht viel über seinen Vater sprechen wollte (S. 127). Allerdings ist sich Butler sicher, dass sein Vater Mitglied im Ku Klux Klan war. Mehr erfahren wir nicht über Familienhintergründe der beiden. 

Bzgl. Holland sieht dies etwas anders aus: Seine Mutter arbeitete in seiner Kindheit stets sehr viel und hatte zwei Jobs. Sein Vater trank ständig Alkohol (S. 106). Der Vater starb ca. 1974. Da weder Geburtsdatum von Holland, noch sein Alter zum Zeitpunkt des Interviews mitgeteilt wird, lässt sich nicht sagen, ob er zum Zeitpunkt des Todes seines Vaters noch Kind, Jugendlicher oder Erwachsener war. 

Der zentrale Teil des Buches ist der Bericht über die Nazi-Gruppe Death's Head Strike in Detroit. Die meisten der 9 Interviewten waren junge Erwachsene oder noch Jugendliche. Die oft sehr destruktiven Kindheits- und Familienhintergünde werden dabei sehr deutlich. 

Paul (lokaler Anführer der Gruppe): Der Vater war oft betrunken und geriet häufig in Streit mit seiner Ehefrau. Dabei gab es auch körperliche Übergriffe gegen Pauls Mutter. Die Nachbarn bekamen die ständigen Streitigkeiten in der Familie mit und Kinder aus der Umgebung durften Paul nicht Zuhause besuchen (S. 173).    

Terri (17 Jahre alt): Ihre Mutter war ständig weg und arbeiten. Der Vater war lange Zeit abwesend. Bereits 2 Tage nach Terris Geburt trennten sich die Eltern. Als Terri 3 Jahre alt war, ließen sich die Eltern endgültig scheiden und Terri sah ihren Vater seitdem nie wieder (S. 195). Ihr Großvater wurde zum Vaterersatz. Dabei erstaunt eine Schilderung: „We lived with my grandparents till I was six. So really, my grandfather is my main father, really. Did all the necessary, like when it came to spanking und things, he did it, and I´m his little girl“ (S. 196) Terri sieht es als „väterlich“ und „notwendig“ an, körperlich bestraft zu werden. Dies spricht für eine starke Identifikation mit dem Aggressor. Es ist schockierend, wie die Erinnerung an den großväterlichen Vaterersatz im gleichen Atemzug mit Körperstrafen gekoppelt wird. Was war da los in dieser Familie?

Terris ganze Familie sei rassistisch gewesen, berichtet sie (S. 208). Als Jugendliche fiel Terri selbst durch Gewalttaten auf und kam nach einem Gerichtsverfahren und auch gewollt durch ihre Mutter als ca. 13-Jährige in eine Art Jugendheim für Straftäterinnen, aus dem sie dann nach Florida floh (S. 203). Auch Drogen waren ein Thema. Später lebte sie wieder bei ihrer Mutter, hatte wohl aber ständig Konflikte mit ihr. Wenn die Mutter einen neuen Freund hatte, so wollte sie die eigene Tochter nicht mehr um sich haben, berichtet Terri (S. 206). Irgendwann schmiss die Mutter die Tochter raus. Terri brachte sich durch, indem sie sich an irgendwelche Männer band. Einer davon war ein Biker, der die Jugendliche misshandelte. 

William (21 Jahre): Bereits als Fötus war William sehr belastet, denn seine schwangere Mutter trank Alkohol.  Er sei deswegen auch viel zu klein bei der Geburt gewesen (S. 222). Ezekiel fasst gleich zu Beginn seinen Eindruck von William zusammen: „A badly traumatized youn man who had been taken from his alcoholic mother at an early age, a person with no firm center of his own“ (S. 212). Seine Mutter sei nie in ihrem Leben glücklich gewesen, sagt William. Sein Vater war Kriegsveteran. Seine Familie sei außerdem rassistisch gewesen. Auf Grund der Ablehnung farbiger Menschen sei die Familie häufig umgezogen, um unter Weißen zu leben. Ab dem ca. 16. Lebensjahr wurde William in der „white power“ Bewegung aktiv. 

Sein Vater war gewalttätig und schlug die Geschwister von William. Er selbst sei damals noch zu klein gewesen und sei nicht geschlagen worden (S. 218). Als William ca. 6 Jahre alt war, trennten sich seine Eltern. In der Folge sah William seinen Vater einige Jahre gar nicht und dann nur selten. Als William 7 Jahre alt war, gab es einen Gerichtsbeschluss und William kam unter Polizeizwang zu seinen Großeltern. Zunächst wurde er von der Polizei eingesperrt, weil er sich massiv gegen die Fremdunterbringung wehrte. Für William war dies offensichtlich eine traumatische Erfahrung. Ca. 4 Jahre sah William seine Mutter gar nicht mehr. Von den Großeltern kam er dann zu seiner älteren Schwester. Danach kam er zu seiner jüngeren Schwester in einen „trailer park“. Ab dem 15. Lebensjahr fing er an, Drogen zu nehmen und viel Alkohol zu trinken. Und er hatte Suizidgedanken. Als Jugendlicher lief er außerdem aus den diversen Fremdunterbringungen davon.

Raymond und Rosandra (Nazi-Pärchen): Über die Kindheiten der beiden erfährt man fast nichts. Allerdings deuten sich Belastungen und destruktive Lebensumstände an. Raymonds Vater war Kriegsveteran und Rassist. Raymonds Großvater, zu dem er eine besonders enge Beziehung hatte, war glühender Nazi und sprach mit Bewunderung über Adolf Hitler.
Ezekiel vermutet, dass Raymond sich als Kind alleine, vielleicht sogar auch verlassen gefühlt hat (S. 219).  Eine weitere schwere Belastung kam hinzu: Raymonds Bruder starb im Krieg in Vietnam (S. 244)

Auch Rosandra kam offensichtlich aus einer Nazi-Familie. Ihre Mutter bewunderte Adolf Hitler (S. 265). 

Francis (19 Jahre): Als Francis 4 Jahre alt war, erlebte er mit, wie sein 5 Jahre alter Bruder von einem Auto erfasst wurde und starb (S. 269)
Seinen Vater bezeichnet Francis als Idioten, „ass“ und „son of a bitch“ (S. 270, 279), der oft im Streit mit seiner Mutter lag. Der Vater war wohl sehr jähzornig, wenn die Kinder nicht taten, was er wollte, schmiss er Dinge nach ihnen. Außerdem zwang er die Kinder zu schweren Arbeiten. Bei Streitigkeiten flohen die Kinder oft aus einem Fenster nach draußen, als der Vater dies einmal mitbekam, verprügelte er die Kinder: „He beat all of our asses, all except for my mom`s“ (S. 279).  

Der Vater trennte sich von der Mutter, gerade als Francis im Kindesalter im Krankenhaus war und die Hälfte seiner Leber entfernt bekam.  In einer solchen Situation traf Francis die Trennung besonders. Nach der Trennung zahlte der Vater kein Geld zur Unterstützung. Die Mutter musste für 5 Kinder sorgen und arbeitete 7 Tage die Woche. 

Joey (16 Jahre): Seine Eltern trennten sich häufig. Zwei seiner Brüder starben, einer durch einen Unfall, der andere durch Suizid. Sein einer Bruder hatte Schizophrenie. Er kam eines Tages nach Hause, ging nach oben in seinen Raum und erschoss sich mit einem Gewehr. Joey hatte seinen Bruder entdeckt, überall im Raum war Blut, Gehirnteile, die Augen fehlten, der Kopf des Bruders war im Prinzip weg… (S. 286) Ein unfassbares Trauma für den Jungen! Später drehte Joey irgendwie durch, bedrohte seine Schwester und versuchte, durch Gas das Haus in die Luft zu sprengen (S. 287f). Er wurde dann – wohl in eine psychiatrische Einrichtung – eingesperrt, was er rückblickend auch gut fand.  

Eddie: „My dad was a warlord of a motorcycle gang which had two thousand chapters in the United States“ (S. 289). Sein Vater wurde dann irgendwann inhaftiert. Mehr erfährt man nicht, über Eddies Kindheit. 

Nolan (17 Jahre): Nolan hatte 6 Brüder und eine Schwester. Eine sehr große Familie, was nahelegt, dass nicht viel Zeit der Eltern für die einzelnen Kinder da gewesen sein wird. Als Nolan 2 Jahre alt war, verließ der Vater die Familie. Seitdem hat er seinen Vater nicht mehr gesehen (S. 301). Seine Mutter hat ihm erzählt, dass der Vater ein Alkoholproblem hatte. Es gab viele Streitigkeiten zwischen den Eltern in dieser Zeit und auch häusliche Gewalt gegen die Mutter. Die älteren Geschwister von Nolan sprachen nie über den Vater. Die Mutter hatte später einen Freund. Als Nolan ca. 7 oder 8 Jahre alt war, war dieser Freund betrunken und schlug Nolan (S. 302). Seine Mutter hätte daraufhin die Beziehung zu diesem Freund beendet.
Innerhalb seiner eigenen Familie, wie auch im sozialen Umfeld war Nolan isoliert, betont Ezekiel (S. 308) Es gab in der Umgebung kaum Möglichkeiten für Jugendliche. Die rassistische Gruppe bot offensichtlich ein Auffangbecken. 



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