Dienstag, 19. Januar 2021

Kindheit des Metallica-Sängers James Hetfield und das Selbstbild "Stück-Scheiße"

Der Metallica-Sänger James Hetfield (als Jugendlicher war ich Fan der Band und ein Metallica-Konzert war das zweite Konzert, das ich bis dahin in meinem Leben gesehen hatte) ist für mich ein Paradebeispiel bezogen auf die vielfältigen, destruktiven Wirkungsmöglichkeiten von destruktiven Kindheitserfahrungen. 

In einem SPIEGEL-Interview („Ein böses Tonband in meinem Kopf“) sprach er relativ offen über seine mentalen Probleme und seine Kindheit. James Hetfield wuchs in einer strengen, christlich-fundamentalistischen Familie auf. Seine Familie war für ihn "kein sicherer Ort" und er fühlte sich als Kind unsichtbar. In seiner Kindheit erlebte er „alle möglichen Bestrafungen“, über die Details mag er nicht reden. Als James 13 war, verließ der Vater die Familie. Mit 16 starb seine Mutter. 

An einer Stelle im Interview werden die fatalen Folgen dieser Kindheit überdeutlich:
Das Problem ist, ich habe eine Persönlichkeit, die mir unablässig erzählt, ich sei ein Stück Scheiße. Nur wenn ich auf der Bühne stehe, passiert das Gegenteil. Da werde ich vom Stück Scheiße zum King Scheiße. Es ist ein ständiges Kippen.“

„Stück-Dreck“, „Stück-Scheiße“, „Nichts-Wert“, „Abschaum“, „Abfall“…. Das sind Botschaften, die misshandelte und gedemütigte Kinder routinemäßig direkt oder indirekt in sich aufnehmen. Ich betone dabei das Wort „routinemäßig“: Ab einem gewissen Ausmaß der Demütigungen, Herabwürdigungen, Beschämungen und Misshandlungen ist das ein Selbstbild, was sehr sehr viele Kinder entwickeln und ja, auch im Erwachsenenalter beibehalten.

Viele Menschen würden es nicht glauben, wie viele ihrer Nachbarn, Bekannte, Freunde, aber auch viele prominente Persönlichkeiten, die nach außen hin selbstsicher wirken und das Leben scheinbar stets in die Hand nehmen, in ihrer Tiefe Hetfields Satz schlummern haben: „Ich habe eine Persönlichkeit, die mir unablässig erzählt, ich sei ein Stück Scheiße“. 

Hetfield packte seine Wut in seine harte Musik und in Suchtverhalten. Er wurde nicht zum Massenmörder, Terroristen oder Diktator, wie so viele einst gedemütigte Kinder es ebenfalls NICHT werden. Würden alle einst gedemütigten Kinder ihre Wut und ihren (Selbst)Hass offen ausleben, oh Gott, das mag man sich nicht vorstellen. 

Hetfield hatte seinen eigenen Weg. Er bringt seine ihm eigene Genetik mit, sein Umfeld, sein Milieu, sein Geschlecht, seine Chancen, sein musikalisches Talent, seine zufälligen Begegnungen (z.B. mit dem Drummer der Band Lars Ulrich). Ein anderer Mensch, der in ähnlichen Umständen aufwuchs, wird vielleicht in der Tat zum christlichen Extremisten. Die meisten Menschen mit solchen Kindheitsgeschichten entwickeln allerdings psychische Probleme und/oder geben sich der Selbstzerstörung hin. 

Immer wieder versuche ich durch solche Beispiele darzustellen (und der klassischen Kritik bezogen auf Kindheitseinflüsse nach dem Motto Nicht alle misshandelten Kinder werden zu Terroristen und Massenmördern, deswegen kann Kindheit keine Ursache für solches Verhalten sein zu entgegen) , dass destruktive Kindheiten IMMER destruktiv wirken, in viele erdenkliche Richtungen, die durch diverse Einflüsse moderiert werden. Durch Psychotherapien, aber auch durch Begegnungen mit Menschen, die echte Wärme und einen Ausgleich bieten, können die Folgen abgemildert werden.

Lebenswege wie der von Hetfield zeigen deutlich, wie sich destruktive Kindheitserfahrungen später ausdrücken können. Das Gleiche gilt für Menschen, die sich in einer Menschengruppe in die Luft sprengen oder die zum Kriegsherrn werden. Für Letztere gilt, dass diese ausgelebte Destruktivität nicht möglich gewesen wäre, hätten sie eine liebevolle, gewaltfreie Kindheit erlebt. Genauso wäre Hetfield wohl kein Alkoholiker geworden und vermutlich sogar auch kein berühmter Songwriter, der sich in der Musik verliert. Am Ende des SPIEGEL-Interviews brachte er die Folgen seiner Kindheit auf den Punkt: „Diese Probleme sind ein Brunnen voller Benzin, aus dem ich schöpfe. Großartiges Songmaterial. Hoher Preis.“ 


3 Kommentare:

Michael Thomas Kumpmann hat gesagt…

Irgendwie interessant. Du bist Argumentationstechnisch einmal zwischen Kognitionstherapie. (Wo negative Gedanken geheilt werden sollen. Siehe hier https://deprese.euzona.cz/de-index.php . Insbesondere die Punkte 5 - 8 und 14 sind hier sehr relevant.)

Und Psychoanalyse/Traumatheorie. Beide Gruppen in der Psychologie sind sich aber oft spinnefeind. Vielleicht kannst Du da was zur "Versöhnung" leisten.

Sven Fuchs hat gesagt…

Michael,

ich denke nicht in "psychologischen Schulen". Manches interessiert mich auch einfach nicht. Freud an sich ist mir persönlich derart unsympathisch, dass ich nicht vor habe, jemals direkt etwas von ihm zu lesen. Trotzdem erkenne ich seine Leistungen an, ohne ihn wäre die Psychotherapie nicht so und so schnell entwickelt worden, wie es geschehen ist.

Na gut, so man will bin ich sehr von der Psychohistorie nach deMause überzeugt, aber auch nicht bezogen auf alles, was er so geschrieben hat. Ich nehme mir das heraus, was ich sinnvoll und logisch finde.

Viele Grüße

Anonym hat gesagt…

Truman Capote befasste sich mit einem Mörder, lernte ihn kennen und freundete sich in gewisser Weise mit ihm an, weil er über die Tat schreiben wollte. Capote, der eine schlimme Kindheit gehabt hatte, erkannte, wie ähnlich Percys (des Mörders) Leben zu seinem eigenen war - und auch Percy hatte ein Talent (er konnte gut zeichnen, soweit ich weiß). Capote sagte, es wäre, als ob sie im selben Haus aufgewachsen wären, aber Percy ging zur Hintertür raus, Truman vorn. Das ist eine sehr reflektierte Aussage, finde ich.

Ute