Vor einiger Zeit erschütterte ein Bericht über den Tod eines Mädchens die Öffentlichkeit. Die zwei Jahre alte Lea-Sofie war von dem Freund der Mutter so schwer misshandelt worden, dass sie verstarb (nach Medienberichten war dies wohl nicht das erste Mal, dass das Kind misshandelt wurde). Ihre Mutter ließ ihre Tochter nach den Misshandlungen drei Tage in der Wohnung gegen den Tod kämpfen und unternahm nichts. Mutter und Freund lebten während des Todeskampfes des Kleinkindes so weiter, als ob nichts geschehen wäre. Die Leiche des Mädchens legten sie dann entkleidet in einen Park, um ein Sexualdelikt vorzutäuschen. Beide sind jetzt zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Der Autor eines SPIEGEL Artikels über den Fall, Jörg Diehl, hat auch auf die Ursachen hingewiesen, die hinter dieser Tat stehen.
Der Freund der Mutter war „arbeitslos, perspektivlos, ständig betrunken“, schreibt der Autor. Als er wieder einmal betrunken war und die kleine Lea-Sofie einen Schreikrampf bekam, rastete er aus. „Wie er als Kind geprügelt worden war, so prügelte jetzt er. Er schlug Lea-Sofie mit der Faust ins Gesicht, riss sie an den Haaren hoch, schlug wieder zu, insgesamt fünfmal. Das Mädchen erlitt dabei schwerste Gehirnverletzungen.“ Über die Kindheit des Täters wird weiter berichtete, dass er bereits als Grundschüler mit einem Messer auf seine Mutter losging und dann in ein Heim kam.
Die Mutter von Lea-Sofie hatte ebenfalls eine sehr traumatische Kindheit. „Aufgewachsen mit einem brutalen Vater, der sie missbrauchte, und einer alkoholkranken Mutter habe Franziska M. "extreme Bindungssehnsüchte, deutliche Abhängigkeitstendenzen und eine erhebliche Hinnahmebereitschaft" entwickelt, so ein Psychiater vor Gericht.“ Sie habe sich in schwierigen Situationen schon immer „weggebeamt“, was vor Gericht als „dissoziatives Verhalten“ bezeichnet wurde.
Die Hintergründe der Tat sind somit eindeutig belegt. Natürlich haben solche Täter-Eltern selbst eine traumatische Kindheit erlebt. Anders sind solche Taten nicht erklärbar.
Der Autor hat in der Titel Überschrift folgendes geschrieben: „Eine Frage bleibt: Wie ist so etwas möglich?“ Diese Frage ist der Grund für diesen Beitrag. Meine Frage ist, warum trauen wir uns eigentlich nur selten, in der Öffentlichkeit deutliche Worte zu finden und deutlich zu kommentieren? Warum sagen wir nicht: „Diese Tat war unvorstellbar grausam, aber sie ist auch erklärbar“? Warum schreibt man nicht sinngemäß: „Natürlich waren diese Eltern schwer traumatisiert und dadurch emotional gestört, ohne dieses Grundgerüst wäre eine solche Tat nicht möglich.“?
Der Autor hätte in der Überschrift ja auch nur schreiben können: „Wie ist so etwas möglich?“ Sein Artikel an sich erklärt im Grunde sehr gut die Ursachen solcher Taten. Aber dieses „Eine Frage bleibt“, stört mich einfach. Denn im Grunde bleibt keine Frage. Das Verhalten der Eltern ist erklärbar, aber trotzdem nicht zu entschuldigen. Dass beide zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden, finde ich gerechtfertigt. Wenn beide wieder frei kommen, sollte unbedingt verhindert werden, dass wieder ein Kind in ihre Hände gerät.
Deutliche Worte bzgl. solcher Taten wären auch immer ein Aufruf zur Prävention. Als Kind schwer traumatisierte Menschen, die später Kinder haben, sollten gezielt Hilfsangebote bekommen. Man kann von schwer misshandelten Menschen nicht erwarten, dass sie von alleine zu besonders liebevollen Eltern werden.
Der Anwalt der Mutter formuliert in einen Interview, dass wir alle diese Tat im Grunde nicht verstehen können. Verstehen müssen wir dies in der Tat nicht. „Verstehen“ hat ja auch etwas mit Verständnis zu tun, etwas mit „wäre ich in Deiner Situation, hätte ich vielleicht ähnlich gehandelt“. Nein, verstehen kann mensch diese Tat nicht! Aber sie kann erklärt werden. Das ist ein feiner aber bedeutender Unterschied in der Wortwahl. Nur wer emotional schwer gestört ist und nichts fühlt, kann so handeln. Für Menschen, die fühlen können, sind solche Taten nicht zu verstehen und sie müssen auch nicht verstanden werden. Aber wir sollten nicht so tun, als ob sich solche und andere (auch „politisch“ motivierte) Taten nicht erklären lassen.
Dienstag, 28. Mai 2013
Freitag, 24. Mai 2013
Studie. Gewalt gegen Kinder hat in Ostdeutschland drastisch abgenommen.
Für die Studie "Partner 4" wurden im Jahr 2012 862 Jugendliche im Alter von 16 bis 18 Jahren in Ostdeutschland repräsentativ befragt. Ergebnis u.a.: 77 % gaben an, noch nie von ihren Eltern geschlagen worden zu sein. (Leipziger Volkszeitung, 23.05.2013) Das sind fast "schwedische Verhältnisse". Sie sind noch besser als die vom KFN für Gesamtdeutschland ermittelten (siehe hier).
Wenn sich dieser Trend fortsetzt und sich auch in Bereichen wie z.B. der Kindesvernachlässigung vollzieht, dann sieht die Zukunft für Deutschland mehr als rosig aus. Die Deutschen werden immer weniger psychischen Balast mit sich herumtragen und innerlich immer mehr wachsen. Dieses innere Wachstum wird ein ungeheurer Motor für die Weiterentwicklung dieser Gesellschaft sein.
Zukünftig werden sich Forschende immer mehr fragen müssen, warum wir immer friedlicher, komplexer und demokratischer werden und warum Entwicklungen hierzulande konstruktiv verlaufen. Wer sich mit der Entwicklung von Kindheit befasst, kann schon jetzt Antworten bieten.
Wenn sich dieser Trend fortsetzt und sich auch in Bereichen wie z.B. der Kindesvernachlässigung vollzieht, dann sieht die Zukunft für Deutschland mehr als rosig aus. Die Deutschen werden immer weniger psychischen Balast mit sich herumtragen und innerlich immer mehr wachsen. Dieses innere Wachstum wird ein ungeheurer Motor für die Weiterentwicklung dieser Gesellschaft sein.
Zukünftig werden sich Forschende immer mehr fragen müssen, warum wir immer friedlicher, komplexer und demokratischer werden und warum Entwicklungen hierzulande konstruktiv verlaufen. Wer sich mit der Entwicklung von Kindheit befasst, kann schon jetzt Antworten bieten.
Mittwoch, 8. Mai 2013
Beate Zschäpe. "Wenn sie ein Mensch ist, wird sie das nicht ertragen."
Vor einiger Zeit hörte ich im Deutschlandfunk ein Interview mit einer Angehörigen eines NSU-Opfers. Sie sagte, dass im Gerichtssaal sehr viele Angehörige der Opfer sitzen werden . Und dann sagte sie einen sehr bewegenden Satz: „Wenn sie ein Mensch ist, wird sie das nicht ertragen.“
Keiner wird bestreiten wollen, dass Zschäpe ein Mensch ist. Die Angehörige brachte etwas anderes auf den Punkt. Es geht um die Frage, ob Beate Zschäpe etwas fühlen kann. Denn das Fühlen macht ja gerade unser Menschsein aus. In dem Satz der Angehörigen schwingt die Hoffnung mit, dass diese Täterin etwas fühlen kann, dass sie die Schuld spüren kann, die sie auf sich geladen hat und dass sie auch den Schmerz der Angehörigen nachfühlen kann.
Doch kann ein Mensch, der derartige Taten durchführt oder direkt unterstützt, wirklich Emotionen an sich heran lassen oder etwas fühlen? Ich glaube, dass die Hoffnung dieser Angehörigen nicht erfüllt werden wird. Denn das Nicht-Fühlen oder das sich in einen abgespaltenen Part seiner Psyche begeben können ist ja gerade DIE Voraussetzung dafür, derartige Taten durchführen zu können.
Einige Auszüge aus Beates Kindheit erklären auch, woher diese Fühllosigkeit kommt. Von einer unstetigen Kindheit mit vielen Umzügen wird berichtet. Das wichtigste Detail fand ich hier:
„Von Beginn ihres Lebens an wurde Beate Zschäpe das Gefühl vermittelt, nicht gewollt zu sein. Als ihre Mutter im Januar 1975 das Mädchen zur Welt bringt, ist sie überrascht. Von der Schwangerschaft hatte sie bis dato nichts bemerkt, mit einem Verdacht auf Nierenkoliken hatte sie sich ins Krankenhaus einliefern lassen. (…) Zwei Wochen nach der Geburt geht die Mutter zurück nach Rumänien und lässt das Kind in Jena bei der Oma zurück.“ (Deutsche Welle, 11.04.2013, Autor: Arne Lichtenberg)
Die Fötalpsychologie steckt noch in den Kinderschuhen. Nach allem was ich weiß (und vor allem bei Lloyd deMause über das „Fötale Drama“ gelesen habe) und fühle, dürfte es für das werdende Kind den reinen Terror bedeuten, wenn die schwangere Mutter dieses überhaupt nicht bemerkt und es ausblendet.
Zunächst kümmert sich also die Oma um Beate, die allerdings von ihr – so die Deutsche Welle - bereit im Alter von drei Monaten in eine Kinderkrippe gegeben wird. Als Beate ein halbes Jahr alt ist, nimmt der deutsche Freund ihrer Mutter das Kind zu sich. „Mit dem Mann war die Mutter erst kurz vor Beates Geburt zusammengekommen.“ Auch diese Beziehung der Mutter geht später kaputt. Letztere gibt Beate immer wieder zur Oma. Einen richtigen Vater hat Beate nie gehabt und der von ihrer Mutter benannte biologische Vater stritt stets ab, der Vater zu sein.
Fassen wir also diese kurzen Infos zusammen:
- Beate wurde als Säugling über 9 Monate lang ignoriert (Beziehnungs-Bruch 1)
- 2 Wochen nach der Geburt von der Mutter zur Oma weggegeben (Bruch 2)
- von der Oma bereits mit 3 Monate in eine Krippe gegeben (Bruch 3)
- mit 6 Monaten zu einem Freund der Mutter gegeben (Bruch 4)
- nach dem Scheitern der Beziehung (Bruch 5) wieder alleine zur Mutter,
- die wiederum Beate häufig bei der Oma unterbrachte (Bruch 6)
- der biologische Vater stritt stets ab, der Vater zu sein (Bruch 7)
Beziehungsmäßig ist dies für einen Säugling und ein Kind ein ziemlich zerbrochenes Leben.
Wie das Leben bei der Mutter aussah, wird durch folgendes Zitat etwas mehr beleuchtet: „Auch die weiteren Partner von Zschäpes Mutter hätten offenbar „keine dezidierte Vaterrolle eingenommen“, steht im Gutachten. Und mit der zeitweise arbeitslosen Mutter gab es schwere Probleme. Annerose Zschäpe war mit der Erziehung überfordert und trank.“ (Tagesspiegel, 03.05.2013, Autoren: Frank Jansen und Christian Tretbar)
Zu den ganzen Brüchen kam also noch eine überforderte und sich betrinkende Mutter dazu. (Die Frage ist dabei, in wie weit die den Fötus ignorierende Mutter auch während der Schwangerschaft Alkohol getrunken haben könnte, mit allen bekannten möglichen Negativwirkungen auf den Fötus.) Was sich im Detail alles an Konflikten, Demütigungen, ggf. auch handfester Gewalt im Hause Zschäpe abgespielt hat, bleibt Spekulation. Zumindest wird an Hand der Oberflächendaten mehr als deutlich, dass dies eine sehr traurige Kindheit war. Ich vermute, dass die Kindheiten der beiden Mittäter, die sich selbst getötet haben, sogar noch schlimmer aussahen. Denn sie waren es ja, die die NSU-Morde direkt ausführten.
Keiner wird bestreiten wollen, dass Zschäpe ein Mensch ist. Die Angehörige brachte etwas anderes auf den Punkt. Es geht um die Frage, ob Beate Zschäpe etwas fühlen kann. Denn das Fühlen macht ja gerade unser Menschsein aus. In dem Satz der Angehörigen schwingt die Hoffnung mit, dass diese Täterin etwas fühlen kann, dass sie die Schuld spüren kann, die sie auf sich geladen hat und dass sie auch den Schmerz der Angehörigen nachfühlen kann.
Doch kann ein Mensch, der derartige Taten durchführt oder direkt unterstützt, wirklich Emotionen an sich heran lassen oder etwas fühlen? Ich glaube, dass die Hoffnung dieser Angehörigen nicht erfüllt werden wird. Denn das Nicht-Fühlen oder das sich in einen abgespaltenen Part seiner Psyche begeben können ist ja gerade DIE Voraussetzung dafür, derartige Taten durchführen zu können.
Einige Auszüge aus Beates Kindheit erklären auch, woher diese Fühllosigkeit kommt. Von einer unstetigen Kindheit mit vielen Umzügen wird berichtet. Das wichtigste Detail fand ich hier:
„Von Beginn ihres Lebens an wurde Beate Zschäpe das Gefühl vermittelt, nicht gewollt zu sein. Als ihre Mutter im Januar 1975 das Mädchen zur Welt bringt, ist sie überrascht. Von der Schwangerschaft hatte sie bis dato nichts bemerkt, mit einem Verdacht auf Nierenkoliken hatte sie sich ins Krankenhaus einliefern lassen. (…) Zwei Wochen nach der Geburt geht die Mutter zurück nach Rumänien und lässt das Kind in Jena bei der Oma zurück.“ (Deutsche Welle, 11.04.2013, Autor: Arne Lichtenberg)
Die Fötalpsychologie steckt noch in den Kinderschuhen. Nach allem was ich weiß (und vor allem bei Lloyd deMause über das „Fötale Drama“ gelesen habe) und fühle, dürfte es für das werdende Kind den reinen Terror bedeuten, wenn die schwangere Mutter dieses überhaupt nicht bemerkt und es ausblendet.
Zunächst kümmert sich also die Oma um Beate, die allerdings von ihr – so die Deutsche Welle - bereit im Alter von drei Monaten in eine Kinderkrippe gegeben wird. Als Beate ein halbes Jahr alt ist, nimmt der deutsche Freund ihrer Mutter das Kind zu sich. „Mit dem Mann war die Mutter erst kurz vor Beates Geburt zusammengekommen.“ Auch diese Beziehung der Mutter geht später kaputt. Letztere gibt Beate immer wieder zur Oma. Einen richtigen Vater hat Beate nie gehabt und der von ihrer Mutter benannte biologische Vater stritt stets ab, der Vater zu sein.
Fassen wir also diese kurzen Infos zusammen:
- Beate wurde als Säugling über 9 Monate lang ignoriert (Beziehnungs-Bruch 1)
- 2 Wochen nach der Geburt von der Mutter zur Oma weggegeben (Bruch 2)
- von der Oma bereits mit 3 Monate in eine Krippe gegeben (Bruch 3)
- mit 6 Monaten zu einem Freund der Mutter gegeben (Bruch 4)
- nach dem Scheitern der Beziehung (Bruch 5) wieder alleine zur Mutter,
- die wiederum Beate häufig bei der Oma unterbrachte (Bruch 6)
- der biologische Vater stritt stets ab, der Vater zu sein (Bruch 7)
Beziehungsmäßig ist dies für einen Säugling und ein Kind ein ziemlich zerbrochenes Leben.
Wie das Leben bei der Mutter aussah, wird durch folgendes Zitat etwas mehr beleuchtet: „Auch die weiteren Partner von Zschäpes Mutter hätten offenbar „keine dezidierte Vaterrolle eingenommen“, steht im Gutachten. Und mit der zeitweise arbeitslosen Mutter gab es schwere Probleme. Annerose Zschäpe war mit der Erziehung überfordert und trank.“ (Tagesspiegel, 03.05.2013, Autoren: Frank Jansen und Christian Tretbar)
Zu den ganzen Brüchen kam also noch eine überforderte und sich betrinkende Mutter dazu. (Die Frage ist dabei, in wie weit die den Fötus ignorierende Mutter auch während der Schwangerschaft Alkohol getrunken haben könnte, mit allen bekannten möglichen Negativwirkungen auf den Fötus.) Was sich im Detail alles an Konflikten, Demütigungen, ggf. auch handfester Gewalt im Hause Zschäpe abgespielt hat, bleibt Spekulation. Zumindest wird an Hand der Oberflächendaten mehr als deutlich, dass dies eine sehr traurige Kindheit war. Ich vermute, dass die Kindheiten der beiden Mittäter, die sich selbst getötet haben, sogar noch schlimmer aussahen. Denn sie waren es ja, die die NSU-Morde direkt ausführten.
Montag, 29. April 2013
Der Fall Josef Fritzl und die psychiatrische Gutachterin
Ich habe kürzlich ein Interview mit Dr. Heidi Kastner - der psychiatrischen Gutachterin im Fall Josef Fritzl, der u.a. seine Tochter 24 Jahre im Keller eingesperrt und unzählige Male vergewaltigt hatte – gelesen.
Auf die Frage: "Ich bin zur Vergewaltigung geboren", soll Josef Fritzl gesagt haben. Frau Dr. Kastner, steckt Abnormität in den Genen oder was macht Menschen zu grausamen Verbrechern?“ antwortete sie u.a.:
„Ich denke, jeder Mensch ist im Wesentlichen das Produkt seiner genetischen Veranlagung, seiner Biografie und seines Umfeldes. (...) In welchem Ausmaß welcher Faktor zum Tragen kommt, kann man bei keinem mit Sicherheit feststellen. (…)“
An anderer Stelle sagt sie: „Ich habe nicht die Grundhaltung, dass der Mensch an sich ein nur gutes Wesen ist und dass etwas grob fehlgelaufen sein muss, wenn einer böse handelt. Ich denke vielmehr, dass jeder die Veranlagung zu allem hat. Und dieses „alles“ ist ein breites Spektrum.“
Auf die Kindheit des Täters geht sie in diesem Interview überhaupt nicht ein, sondern belässt es bei diesen wagen Andeutungen.
In einem anderen Interview wurde Kastner noch deutlicher:
Frage: "Der berühmte FBI-Profiler John Douglas erklärte, dass alle psychiatrisch relevanten Verbrechen auf einer kaputten Kindheit beruhen."
Kastner: "Das stimmt nicht. Alle Erklärungen, die so einfältig daherkommen, sind mir eigentlich ein Gräuel."
Auf die Frage "Wie schwierig war Fritzls Kindheit?" geht Kastner nur auf die Kindheit seiner Mutter ein.
Dies alles verwundert, da sich Frau Kastner vor Gericht anders und deutlicher geäußert hat.
Der Focus berichtet unter Bezug auf Kastner: „Nachdem Fritzls Mutter geschieden war, bekam sie mit einem neuen Mann ein Kind. Fritzl selbst hatte sich als Alibikind bezeichnet, die Gutachterin nannte es Beweiskind: Die Mutter wollte nach der Demütigung der ersten Ehe beweisen, dass sie nicht unfruchtbar war – mehr Interesse hatte sie nicht an einem Kind, sie verabscheute es sogar. Die Mutter blieb Josef Fritzl gegenüber völlig kalt, sie erkannte nicht, wenn es ihm schlecht ging oder er litt. „Die einzigen Emotionen, die der Angeklagte in seiner Kindheit kannte, waren Angst und Ungewissheit“, sagte Kastner. Als Junge von sieben oder acht Jahren ließ ihn die Mutter allein zu Hause, und er wusste nicht, ob sie zurückkehren würde.“
Im Belfast Telegraph (03.05.2008) finden sich weitere Informationen. Brutale Misshandlungen durch seine Mutter erlebte Josef Fritzl beinahe täglich. Die Informationen stammen von einem Interview mit Fritzls Schwester. Sie sagte, dass die Mutter einen explosiven Charakter hatte und ihre Kinder durch Gewalt zu kontrollieren versuchte. Josef wuchs ohne Vater auf, seine Mutter erzog ihn mit ihren Fäusten, so die Schwester, und misshandelte ihn so sehr, dass er grün und blau aussah.
Diese Informationen über seine Kindheit sind wichtig. Sie belegen mal wieder, dass extrem grausame Täter durch ihre Tat an sich bereits Zeugnis darüber ablegen, was ihnen selbst angetan wurde. Es ist nicht vorstellbar, dass jemand wie Fritzl liebevoll oder „nur“ gelegentlich mit Gewalt erzogen wurde. Fast 365 Tage im Jahr erlebte er Terror und schwere Misshandlungen durch seine Mutter. Damit gehört er zu einer Minderheit von unter 1 % der Bevölkerung. Von diesen 1 % werden natürlich nicht alle zu einem „Fitzl“ oder ähnlichem Täter. Aber Taten wie seine, können nur auf Grund dieses Fundaments geschehen. Dass die Gutachterin dazu keine deutlichen Worte findet, ist nachlässig, um es milde auszudrücken. Mehr noch, sie verdreht sogar die Analyse, indem sie sagt, dass nicht unbedingt etwas "grob fehlgelaufen sein muss", damit ein Mensch "böse" wird. Aber diese Nachlässigkeit ist sehr oft Standard, wenn es um Aussagen von Psychiatern geht, die bzgl. der Tätergenese befragt werden. Die Psychiater tragen durch diese Blindheit oder durch das Vermeiden deutlicher Worte zur Kindheit mit dazu bei, dass die tieferen Ursachen der Gewalt gesellschaftlich nicht gesehen werden.
Auf die Frage: "Ich bin zur Vergewaltigung geboren", soll Josef Fritzl gesagt haben. Frau Dr. Kastner, steckt Abnormität in den Genen oder was macht Menschen zu grausamen Verbrechern?“ antwortete sie u.a.:
„Ich denke, jeder Mensch ist im Wesentlichen das Produkt seiner genetischen Veranlagung, seiner Biografie und seines Umfeldes. (...) In welchem Ausmaß welcher Faktor zum Tragen kommt, kann man bei keinem mit Sicherheit feststellen. (…)“
An anderer Stelle sagt sie: „Ich habe nicht die Grundhaltung, dass der Mensch an sich ein nur gutes Wesen ist und dass etwas grob fehlgelaufen sein muss, wenn einer böse handelt. Ich denke vielmehr, dass jeder die Veranlagung zu allem hat. Und dieses „alles“ ist ein breites Spektrum.“
Auf die Kindheit des Täters geht sie in diesem Interview überhaupt nicht ein, sondern belässt es bei diesen wagen Andeutungen.
In einem anderen Interview wurde Kastner noch deutlicher:
Frage: "Der berühmte FBI-Profiler John Douglas erklärte, dass alle psychiatrisch relevanten Verbrechen auf einer kaputten Kindheit beruhen."
Kastner: "Das stimmt nicht. Alle Erklärungen, die so einfältig daherkommen, sind mir eigentlich ein Gräuel."
Auf die Frage "Wie schwierig war Fritzls Kindheit?" geht Kastner nur auf die Kindheit seiner Mutter ein.
Dies alles verwundert, da sich Frau Kastner vor Gericht anders und deutlicher geäußert hat.
Der Focus berichtet unter Bezug auf Kastner: „Nachdem Fritzls Mutter geschieden war, bekam sie mit einem neuen Mann ein Kind. Fritzl selbst hatte sich als Alibikind bezeichnet, die Gutachterin nannte es Beweiskind: Die Mutter wollte nach der Demütigung der ersten Ehe beweisen, dass sie nicht unfruchtbar war – mehr Interesse hatte sie nicht an einem Kind, sie verabscheute es sogar. Die Mutter blieb Josef Fritzl gegenüber völlig kalt, sie erkannte nicht, wenn es ihm schlecht ging oder er litt. „Die einzigen Emotionen, die der Angeklagte in seiner Kindheit kannte, waren Angst und Ungewissheit“, sagte Kastner. Als Junge von sieben oder acht Jahren ließ ihn die Mutter allein zu Hause, und er wusste nicht, ob sie zurückkehren würde.“
Im Belfast Telegraph (03.05.2008) finden sich weitere Informationen. Brutale Misshandlungen durch seine Mutter erlebte Josef Fritzl beinahe täglich. Die Informationen stammen von einem Interview mit Fritzls Schwester. Sie sagte, dass die Mutter einen explosiven Charakter hatte und ihre Kinder durch Gewalt zu kontrollieren versuchte. Josef wuchs ohne Vater auf, seine Mutter erzog ihn mit ihren Fäusten, so die Schwester, und misshandelte ihn so sehr, dass er grün und blau aussah.
Diese Informationen über seine Kindheit sind wichtig. Sie belegen mal wieder, dass extrem grausame Täter durch ihre Tat an sich bereits Zeugnis darüber ablegen, was ihnen selbst angetan wurde. Es ist nicht vorstellbar, dass jemand wie Fritzl liebevoll oder „nur“ gelegentlich mit Gewalt erzogen wurde. Fast 365 Tage im Jahr erlebte er Terror und schwere Misshandlungen durch seine Mutter. Damit gehört er zu einer Minderheit von unter 1 % der Bevölkerung. Von diesen 1 % werden natürlich nicht alle zu einem „Fitzl“ oder ähnlichem Täter. Aber Taten wie seine, können nur auf Grund dieses Fundaments geschehen. Dass die Gutachterin dazu keine deutlichen Worte findet, ist nachlässig, um es milde auszudrücken. Mehr noch, sie verdreht sogar die Analyse, indem sie sagt, dass nicht unbedingt etwas "grob fehlgelaufen sein muss", damit ein Mensch "böse" wird. Aber diese Nachlässigkeit ist sehr oft Standard, wenn es um Aussagen von Psychiatern geht, die bzgl. der Tätergenese befragt werden. Die Psychiater tragen durch diese Blindheit oder durch das Vermeiden deutlicher Worte zur Kindheit mit dazu bei, dass die tieferen Ursachen der Gewalt gesellschaftlich nicht gesehen werden.
Freitag, 12. April 2013
"Babydiktator" Kim Jong-un, Kindheit in Korea und Kriegsrhetorik
(Mit freundlicher Erlaubnis von (c) Harm Bengen (www.harmbengen.de), Titel des Bildes "An den Tisch")
In den letzten Wochen waren die Medien täglich voll mit Bildern von dem nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un. Wie es eine Diktatur will, werden nur Fotos in die Öffentlichkeit gebracht, die das Regime auch so befürwortet bzw. die man nach außen hin präsentieren will. Zu sehen war i.d.R. Kim Jong-un in schwarzem Mantel, umringt von uniformierten Getreuen, Generälen, Militärs und Beratern, die ihm meist irgendetwas militärisches zeigten. Man bekam das Bild eines politischen Führers, der sich (meist interessiert und gut gelaunt) informiert, zu dem seine Getreuen stehen und der sich Kompetenz aneignet oder auch bereits auszustrahlen versucht. Zudem bekam man das Bild eines Führers, der kriegsbereit ist. Dieses inszenierte Bild passt nicht zu dem, was der Diktator an sich verkörpert. Er ist jung, sehr jung, eher etwas dick, hat fast kindliche Züge, strahlt kaum Autorität aus. Seine Berater - auf den Fotos - dagegen sind oftmals über 60 Jahre alt und sehr erfahren in Politik und Militär. Die Badische Zeitung brachte die emotionale Wirkung unter dem Titel "Zwischen Witzfigur und Schreckgestalt: Kim Jong-un" auch in Worten auf den Punkt:
"Babyface: Wie alt Kim Jong-un ist, steht nicht genau fest. Sein Geburtsjahr wurde von Nordkorea erst mit 1983, später mit 1982 angegeben. Danach wäre er jetzt mindestens 30. Doch er hat – wie der berühmte Gangster "Babyface Nelson" – das Aussehen eines kleinen, dicken Kindes, mit kurzen Gliedmaßen und Pausbacken. Schon das macht es schwer, in ihm mehr als einen Jungen zu sehen, der mit Raketenattrappen spielt. Und doch scheint er – jetzt oder bald – Macht über einsatzfähige Nuklearsprengköpfe zu haben. Weiß er, was er in den Händen hält? Kann man mit so einem unheimlichen Kind reden?"
Dieses Bild wurde auch von vielen Cartoonisten und Karikaturisten aufgenommen und zwar in einer sehr abfälligen Art. Nach nur ca. 45 Minuten Recherche fand ich etliche Bilder, die den Diktator als Baby, Kleinkind oder impotenten Liebhaber darstellen – meist in der englisch sprachigen Presse oder auf englischen Internetseiten. Der Grundtenor der Bilder: Was für ein Waschlappen! Der will wohl Krieg spielen und hat von nichts Ahnung! (siehe weiter unten entsprechende Links) Dieser Druck wird sicher auch bei Kim Jong-un ankommen, natürlich nicht nur durch Cartoons, sondern vor allem durch allgemeine Berichterstattung im Ausland, aber ganz sicher auch auf die eine oder andere Art und Weise aus den eigenen Reihen in Nordkorea.
An dieser Stelle sollte man sich einen Satz des Gefängnispsychiaters James Gilligan vor Augen führen: „The most dangerous men on earth are those who are afraid that they are wimps.” Frei übersetzt: Die gefährlichsten Menschen der Welt sind die, die Angst davor haben, als “Warmduscher” angesehen zu werden. Gefährlich werden diese Menschen deshalb, weil sie als Kind massiv in ihrer Würde verletzt wurden, weil sie keine Liebe erfahren haben und später, als Erwachsene, auf äußere Ablehnung, Demütigungen oder als demütigend empfundene Äußerungen gewalttätig reagieren. Dazu kommen mögliche Gruppenprozesse. Denn den Nordkoreanern wird auferlegt, ihren Führer zu lieben und zu verehren. Wird er beleidigt und verlacht, so trifft dies auch die „Volksseele“ und dies wohl um so mehr, je mehr ebenfalls sehr verletzende und demütigende Erfahrungen in der Kindheit gemacht wurden.
Über die Kindheit von Kim Jong-un konnte ich bisher nicht viel finden. Aber jedem wird klar sein, dass sein Vater nicht gerade ein mitfühlender Mensch gewesen ist, sondern ein Mensch, der Andere knechtet und unterdrückt. Warum sollte er zu seinem Sohn anders oder besonders liebevoll gewesen sein? Über die Kindheiten in Nordkorea konnte ich ebenfalls nicht viel finden, allerdings gibt es einige Daten über Südkorea. Es ist wahrscheinlich, dass diese nicht nur auch für den Norden gelten, sondern dass Kindheit im Norden noch weit aus schlimmer sein wird, als im demokratischen Süden.
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Die Studie „Kim D-H (2000): Children’s Experience of Violence in China and Korea: A Transcultural Study. Child Abuse & Neglect, 18: 155–166” brachte folgende Ergebnisse: Familiäre Gewalt erlebten innerhalb eines Jahres vor der Befragung 68.9% der Kinder in Südkorea. 62 % wurden zudem von Lehrkräften geschlagen.
Die selbe Untersuchung ergab auch, dass in Südkorea 90 % der Eltern körperliche Bestrafungen ihrer Kinder für notwendig halten. (zitiert nach UNICEF, 2006b, S. 52ff)
Eine Studie, in der SchülerInnen direkt befragt wurden, ergab, dass 51,3 % der südkoreanischen Kinder schwere körperliche Gewalt durch ihre Eltern erlebt haben. (Kim DH et al. Children’s experience of violence in China and Korea: a transcultural study. Child Abuse & Neglect, 2000, 24:1163–1173; zitiert nach WHO, 2002, S. 63)
Eine Elternbefragung ergab, dass zwei Drittel aller südkoreanischen Eltern ihre Kinder schlagen; 45% gaben dabei schwerere Gewaltformen an (vgl. Hahm H, Guterman N. (2001):The emerging problem of physical child abuse in South Korea. Child Maltreatment, 6:169–179; zitiert nach WHO, 2002, S. 62).
Eine Befragung von 152 südkoreanischen Kindern ergab, dass 97,4 % körperliche Gewalt in ihrer Familie erleben. Und 93,6 % erlebten körperliche Bestrafungen in der Schule. (Beazley, H. et al (2006): What Children Say: Results of comparative research on the physical and emotional punishment of children in Southeast Asia and Pacific. Save the Children Sweden (Hrsg,). Stockholm. S. 136)
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Das Ausmaß der Gewalt gegen Kinder in Korea ist extrem hoch, zudem sind auch die schweren Gewaltformen nicht selten, sondern betreffen ca. jedes zweite Kind! Wie immer muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass dies relativ aktuelle Zahlen sind. Die Machtmenschen und ranghohen Militärs und Politiker in Korea, die heute über 50 Jahre alt sind, werden vermutlich noch weit aus mehr von Gewalt betroffen gewesen sein, als die späteren Generationen. Zudem sagen Zahlen zur körperlichen Gewalt immer auch etwas zum sonstigen Umgang mit Kindern aus. Wer Kinder misshandelt, der demütigt auch, der hört nicht auf die Bedürfnisse der Kinder, der kann nicht bedingungslos lieben, der ist als Elternteil emotional unreif.
Die emotionale Situation in Korea ist entsprechend brisant. Freund-Feindschemata werden in Krisenzeiten vor allem von den einst geschlagenen Kindern reaktiviert. Aber auch von westlicher Seite drohen destruktive Kindheiten den Eskalationsprozess zu beschleunigen. Kim Jong-un wird – das zeigen die politischen Cartoons – im englischsprachigen Westen zum Teil als launisches Baby/Kleinkind wahrgenommen, das sich „nicht benehmen“ kann. Der nächste Gedanke wäre dann (vor allem wenn als Kind selbst keine friedlichen Konfliktlösungen gelernt wurden), dass dieses "widerspenstige, ungehorsame Kind" eine Lektion und Strafe verdient hat. (Ein interessanter Cartoon aus dem Jahr 2011 zeigt, wie die UN als strafender Vater auftritt, bereit den kleinen Kim Jong-il - der verstorbene Vater von Kim Jong-un - mit einer UN-Rute zu züchtigen. Die Fantasie, dass Nordkorea ein trotziges Kleinkind ist, das körperliche Züchtigung verdient, scheint also schon länger im Raum zu sein.) Wenn sich diese beiden emotionale Prozesse verdichten – also ein sich beschämt, gedemütigt und bevormundet fühlendes Nordkorea, was alte Kindheitstraumata hervorzuholen droht und ein auf Strafe und Sanktionen pochender Westen (wobei Kindheit in den USA und natürlich auch in China ebenfalls sehr gewaltvoll ist), der den ungezogenen „Babydiktator“ endlich in seine Schranken weist – dann droht der Konflikt in der Tat kriegerisch zu werden. Die meisten Kommentatoren wundern sich auch über das Agieren des kleinen und vollkommen unterlegenen Nordkorea. Sie vergessen dabei, dass das politische Agieren in einem Land, in dem eine riesige Mehrheit als Kind von den Eltern verletzt wird, vor allem emotional gelenkt oder besser gesagt emotional gestört ist. Das kann auch bedeuten, dass man sich selbst ohne Weiteres zu opfern bereit ist, alleine aus dem Grund, dass man die Beschämungen von Außen und den drohenden inneren Zusammenbruch (weil misshandelte Menschen oftmals keine feste, sichere Identität aufbauen können) unerträglich findet. „Lieber tot, als beschämt und vor dem eigenen inneren Nichts stehend.“ Dies ist die aktuelle Gefahr in Korea! Die Prozesse sind also nicht nur durch Logik zu lösen, sondern man muss auch oder besser gesagt viel mehr die emotionale Lage der Beteiligten berücksichtigen. Das bedeutet, dass Politik Berater braucht, die sich mit emotionalen Prozessen bei Menschen auskennen. Das bedeutet u.a. auch, man muss Nordkorea ernster nehmen, emphatisch auf sie zugehen und das Land und seinen jungen Führer nicht beschämen. Akut Selbstmord gefährdete Menschen schreit man nicht aus der Ferne an und droht ihnen, was ihnen alles passieren wird, wenn sie nicht gehorchen.
Einige Cartoons über Kim Jong-un:
Kim Jong-un als...
impotenter Liebhaber (Daily News)
als impotenter Liebhaber
als Mann, der eine Unterhose mit Raketen bedruckt trägt und sich dadurch potent fühlt
als impotenter Liebhaber mit kleinem Penis
(auf dem SPIEGEL Titelbild der Ausgabe 15/2013 sitzt der Diktator auf einer Atomrakete, so dass die Rakete wie ein Phallussymbol wirkt. Auch hier die Andeutung, dass seine Kriegsdrohungen etwas mit der Angst zu tun haben, nicht potent und kompetent zu wirken.)
als Kind, das mit seiner Playstation Krieg spielt
als Comic-Kind, der eine Rakete in der Hand hält und ausruft: „Respect my Autoritah!“
als Jugendlicher, der mit echten Raketen wie mit Feuerwerkskörpern hantiert
als Kleinkind, das beim Anblick von Raketen ausruft: "Toys!" (Spielzeug!):
als Kleinkind mit Teddy, der eine Rakete zu Weihnachten bekommt
als Baby, das mit Totenköpfen in einem Zimmer sitzt
als Baby, das mit Atomraketen spielt
als Baby, dass eine Atomrakete als Saugflasche benutzt
als Baby, das den roten Knopf drückt
als Baby mit Windel
als Baby mit Raketenrassel
als Kleinkind, das an seinem Schreibtisch vor zwei roten Knöpfen sitzt. Ein Mann im Anzug sagt: "Sei vorsichtig. Mit dem einen Knopf rufst Du Deine Mutti an. Mit dem anderen löst Du einen nuklearen Feuersturm aus."
als großes Baby. Überschrift: Das größte Baby der Welt. Es ruft. "Waaaaah! Beachtet mich oder ich werde Los Angeles auslöschen!" In der Hand hält er eine Rakate. (veröffentlich in der Los Angeles Times).
als Baby, das mit einem Hammer auf eine Atomrakete hauen möchte. (veröffentlicht in der Denver Post)
Als Baby mit Rakete als Rassel (veröffentlicht bei topnewstoday)
als Baby mit Rakate
als Baby mit Rakete
als trotziges Kleinkind, das an den Tisch zitiert wird (siehe auch Bild eingangs des Blogbeitrages)
als Kleinkind-Cowboy mit großem Kopf, das aus seinem Kinder-Buggy ("Made in China") aussteigt und eine Rakete als Pistole hat.
als Schüler, der zur Strafe in der Ecke sitzen muss. Auf dem Rücken ein Schild: "Spielt nicht gut mit Anderen zusammen."
Nachtrag:
Der Kabarettist Andreas Rebers in der ca. 33. Minute von „Neues aus der Anstalt“ im ZDF, Sendung vom 28.05.2013: „Warum sind alle gegen Gewalt? Ich meine Nordkorea, dass da mal einer hinfährt, und dieses dicke kommunistische Kind einfach mal nach allen Regeln der Kunst verprügelt mit einer Dachlatte den Arsch durchwalgt (längere Pause weil das Publiukum lacht und applaudiert) bis er heult und sagt „bitte, bitte hört auf, ich will es auch nie wieder tun" und dann kommen diese Tugendbolde und sagen „Gewalt ist keine Lösung“, na gut, gibt es eben Krieg.„
Mittwoch, 10. April 2013
Neue UNICEF Vergleichsstudie - Gewalt gegen Kinder wurde ausgeblendet
Die neue vergleichende „UNICEF-Studie zur Lage der Kinder in Industrieländern“ ist veröffentlicht worden. Deutschland belegt insgesamt
den Rang 6. Nicht weiter verwunderlich ist, dass die USA wieder sehr schlecht
abgeschnitten haben, sie belegen Platz 26 von 29.
Die Macher der Studie haben angemerkt, dass sie keine Daten
zur Kindesmisshandlung- und –vernachlässigung aufnehmen konnten, weil es keine
vergleichbaren Daten gibt. Außerdem sei es schwierig, eine einheitliche Definition
zu finden, was denn alles unter Gewalt zu verstehen sei. (siehe Seite 15 im Bericht)
Interessant ist, dass UNICEF es in einer 2010 veröffentlichten Studie geschafft hat, das Ausmaß der Gewalt gegen Kinder für
diverse Schwellen- und Entwicklungsländer zu erfassen. Es wurden klare
Definitionen aufgestellt und vergleichbare Daten gesammelt. Das selbe schaffte
UNICEF auch in einer 2009 veröffentlichten Studie.
Warum gelingt dies außerhalb des eigenen Lebenszirkels (denn
UNICEF wird ja weitgehend aus den Industrienationen heraus finanziert und
organisiert) und nicht in dem eigenen?
Eine für Kinder sehr bedeutsame Lebenssituation wurde also
erneut in der o.g. Vergleichsstudie ausgelassen. Dies stellt einen wesentlichen
Mangel dar, der unbedingt bis zur nächsten Vergleichsstudie behoben werden
sollte. Denn wie kann man die Lebenssituation und das gefühlte Glück von Kindern
erfassen, wenn man sich nicht mit der Gewalt befasst, die immer noch eine
Mehrheit auch in vielen Industrienationen in den Familien erlebt?
Samstag, 9. Februar 2013
Kindheit von Rudolf Heß
Rudolf Heß in einem Brief an seine Eltern vom 24.04.1925, in dem er sich und seine starke Anbindung an Hitler erklärte. „(…) Ich habe mich ja seinerzeit so gefreut, als nach dem November 23 (Anmerkung: Gemeint ist der 23.11.1923, als die NSDAP reichsweit verboten wurde), da fast alle wankten, Ihr unerschüttert zum Tribunen (Anmerkung: Gemeint ist Adolf Hitler) standet … Und lieber Gott, im Grunde seid Ihr ja eigentlich selbst daran schuld, dass ich so geworden bin und also so handeln muss …“ (Pätzold und Weißbecker, 2007: S. 444)
Die Kindheit von Rudolf Hess ergänzt das Bild, dass ich bisher über einzelne NS-Täter gezeichnet habe. Dazu im Text unten mehr. Allerdings ergänzt auch die Arbeit der Historiker Manfred Weißbecker (Jahrgang 1935) und Kurt Pätzold (Jahrgang 1930) das Bild, das ich immer wieder bei meinen Recherchen über die Kindheit diverser Diktatoren und ähnlicher Akteure fand. Die destruktive Kindheit wird zwar von den Historikern wahrgenommen und erwähnt, aber erstens nicht weitgehend ausgeführt und zweitens dementsprechend so kommentiert, dass ihr kaum Bedeutung beigemessen wird. Zunächst beginnen die Autoren ihre Schilderungen über die Familienatmosphäre so: Die Kinder „wuchsen in wohlhabenden Verhältnissen und sorglos auf; später wird Heß einmal den Eltern danken: »Wir haben eine freudenreiche und glänzende Jugend gehabt, wie man sie sich schöner und abwechslungsreicher nicht vorstellen kann.«“ (Pätzold und Weißbecker, 2007: S. 15) Diese Beschreibung einer „sorglosen“ Kindheit mag stimmen, wenn es um die finanziellen Verhältnisse und den Status der Familie ging, denn diese waren dank lukrativer Geschäfte in Ägypten (wo die Familie die ersten Lebensjahre von Rudolf ihren Hauptwohnsitz hatte) sehr gut. Die emotionale Situation war allerdings alles andere als sorglos, was auch die beiden Autoren kurz beschreiben.“Das Geschäft diktiert den Ablauf der Tage und wohl auch den Umgangston im Hause. Äußerste Pünktlichkeit, penible Ordnung und uneingeschränkte Disziplin galten als höchste Werte des patriarchalisch herrschenden Vaters, eines typischen Angehörigen stramm national gesinnter Schichten des deutschen Bürgertums.“ (ebd.: S. 17)
Aber gleich danach merken Sie an: „In der historischen Literatur ist immer wieder auf die Strenge des Vaters verwiesen worden. Spätere Entwicklungen und Verhaltensweisen des »Führer-Stellvertreters» sollen damit verstehbar werden. Psychoanalytische Deutungen dieser Art treffen gewiss zu, sie reichen jedoch keineswegs aus, alle Ursachen und die wesentlichsten Rahmenbedingungen der Sozialisation von Rudolf Heß zu erhellen. Mitunter verdecken sie andere, wichtigere Umstände und Faktoren.“ (ebd.: S. 17) Dann kritisieren sie auch noch die Quellenlage. Vieles sei aus den Erinnerungen von Rudolf Heß selbst überliefert, als er bereits an der Spitze der NSDAP stand oder aus seiner Zeit im Gefängnis. (wo ich mich frage, warum denn diese Erinnerungen keine Gültigkeit haben sollten?). Zudem kritisieren sie „manches, was von Autor zu Autor übernommen worden ist (…)“ (ebd.: S. 17), ohne zu erwähnen, welche Autoren sie meinen und was „manches“ bedeutet. Zumindest haben auch Pätzold und Weißbecker die Strenge des Vaters wahrgenommen, in dem sie oben die Werte des „patriarchalisch herrschenden Vaters“ beschreiben und etwas weiter im Text - nebenbei -von dem „oft als tyrannisch geschilderten Vater“ (ebd.: S. 21) berichten. Diesen Widerwillen gegenüber Kindheitseinflüssen auf politisches Verhalten und deren entsprechend geringer Gewichtung habe ich derart oft in Büchern von Historikern wahrgenommen, dass dies fast schon eine gesonderte, systematische Analyse Wert wäre.
Deutlichere Worte fand allerdings der Historiker Rainer F. Schmidt (Jahrgang 1955). „Alle Psychiater, die sich in späteren Jahren mit dem Charakter und der Persönlichkeitsstruktur von Rudolf Heß, mit seiner Fixierung auf Hitler und die Kommandowelt des Totalitären beschäftigen, stimmen darin überein, dass der Schlüssel für diese Disposition in der Phase der primären Sozialisation, in der Jugend mit einem strengen und übermächtigen Vater zu suchen ist.“ (Schmidt, 1997: S. 37) Schmidt berichtet über die Familie Heß: „Zum prägenden Faktor seiner frühen Jahre wurde eben jener strenge, polternde und keinen Widerspruch duldende Vater, der nach Rudolfs eigenen Worten »bleichen Schrecken bei seiner Brut« verbreitete.“ (ebd.: S. 38) Der ganze Tagesablauf der Familie war auf die Ansprüche des Vaters abgestimmt. „(…) von den vollzählig versammelten Familienmitgliedern erdreistete sich niemand, ein Wort zu sprechen, solange der Vater nicht geruhte, das Gespräch zu eröffnen. Er war es, der das Lachen der spielenden Kinder zum Verstummen brachte, wenn er das Haus betrat (…)“ (ebd.: S. 38,39) Der Vater zwang seinen Sohn auch - trotz anderer Befähigungen und Interessen- in den Kaufmannsberuf. Schmidt zitiert Heß wörtlich im Rückblick auf eine Szene: „Als eines Tages der liebe Vater feierlich die ernste Frage an mich stellte, was ich werden wollte – in dem Ton, bei dem allein uns schon das Blut zu gerinnen drohte …, da kam es mir gar nicht in den Sinn, etwas anderes zu stottern als «Kaufmann».“ (ebd.: S. 39)
Schmidt ergänzt danach, dass immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass viele führende Nationalsozialsten aus strengen Elternhäusern stammten und Hitler wiederum von den „Erziehungsschäden einer Epoche profitierte, die ihre pädagogischen Leitbilder von den Kasernenhöfen holte und ihre Söhne in den Härtekategorien von Kadetten aufzog“ (ebd..: S. 39; hier zitiert er Joachim Fest). Eine erstaunliche (weil relativ seltene) Aussage, deren Wahrheitsgehalt ich mich anschließe, sie trifft aber nicht meine Wahrnehmung bzgl. der Geschichtswissenschaft, dies diese Zusammenhänge oft unter den Tisch kehrt. (Zudem ist das Wort „streng“ wohl etwas verharmlosend, wenn man um die Realität der Kindheit im Deutschen Reich um 1900 weiß.) Rudolf Heß, so Schmidt weiter, „der unsäglich unter der tyrannischen Natur seines Vaters (…) litt, die immer wieder seinen Willen brach und die Basis schuf für die Anfälligkeit gegenüber und die Suche nach einem «Ersatzvater», entsprach exakt diesem Typus.“ (ebd.: S. 39)
Es bleibt unserer Vorstellungskraft überlassen, was sich alles an Gewalt, Gewaltformen und Gewaltandrohung im Hause Heß abgespielt hat. Wenn schon der Tonfall des Vaters das Blut des Sohnes gerinnen ließ, wie dieser es bildlich ausdrückte und der Vater „blanken Schrecken“ bei den Kindern verbreitete, was geschah dann eigentlich, wenn der Vater offen Strafen ausführte oder sich Launen hingab? Die Historiker lassen diese Frage offen. Ich halte es nach den o.g. Schilderungen für sehr sehr wahrscheinlich, dass Rudolfs Vater auch direkt körperliche Gewalt anwandte, sein Charakter und die Sitte der Zeit legen dies sehr nahe.
Es ist bezeichnend, dass man über die Mütter solcher historischen Persönlichkeiten meist weitaus weniger erfährt, als über die Väter. Dabei sind es ja vor allem die Mütter, die historisch die wesentlichen Erziehungsaufgaben übernahmen. Man kann sich auf Grund von zwei Zeugnissen und etwas Vorstellungskraft ausmalen, dass Rudolfs Mutter keine besonders mitfühlende Person/Mutter war. Von der Mutter erfuhr Rudolf während seiner Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg direkten Zuspruch. Sie schrieb. „Wäre ich ein Mann in der Blüte der Jahre, ich würde auch mit Begeisterung für mein Vaterland kämpfen. Ich will versuchen, wenn auch nicht als Soldat, so doch für das Wohl der Zurückgebliebenen meine Kraft mit zu verwenden.“ (Pätzold und Weißbecker, 2007: S.22) Mit dieser Einstellung entsprach sie sicherlich den meisten Müttern der Zeit. Doch waren das herzliche, mitfühlende Mütter, die derart kriegsbegeistert waren? Noch deutlicher wird es an anderer Stelle. Bei beiden Heß Eltern kam Unmut auf, weil ihr Sohn im Ersten Weltkrieg anfänglich Reservist war und nicht sofort auf eines der umkämpften Schlachtfelder kam. „Klara Heß zeigte sich sechs Wochen nach Kriegsbeginn furchtbar enttäuscht, dass ihr Sohn immer noch «zurückgehalten» werde, seine «junge Kraft für die Freiheit des teuren Vaterlandes einzusetzen»“ (ebd.: S. 23) Und sie beteuerte: „Wir geben Dich dem Vaterland, kommst Du uns lebend zurück, so sehen wir dieses Glück als ein Geschenk Gottes an.“ (ebd.: S. 23) Was ist das für eine Mutter (und wie sah ihr Umgang früher ihren Kindern gegenüber aus), die derart bereitwillig ihren Sohn in den wahrscheinlichen Tod laufen lässt; die ihren Sohn geradezu zu opfern bereit ist?
Arno Gruen hat unter dem Zwischen-Titel „Der reduzierte Mensch“ (Gruen, 2002: S. 164) u.a. Rudolf Heß als Paradebeispiel für einen Menschen ausgewählt, der innerlich leer ist, „eines Ich ohne eigenes Selbst (…); eines Menschen, der keine eigene Identität entwickeln konnte und deshalb jemanden sucht, dem er sich bedingungslos unterwerfen kann. (…) Ein solcher Mensch ist völlig gefangen und völlig beherrscht von dem Diktat des Gehorsams, der ihm auferlegt wurde.“ (ebd.: S. 177,178) Diese innere „Fremdsein“ brachte Heß auch selbst deutlich zum Ausdruck. „Wenige Tage vor dem ersten Putsch der deutschen Faschisten bekante er, wie es um seine Gemütsverfassung stand. Er kenne sich nicht mehr aus in sich, so klagte er im Oktober 1923. Er meinte, sich als eine «eigentümliche Mischung» sehen zu müssen, woraus Spannungen entstünden, die ihm das Leben zeitweise so schwer machten. (…) «ich kenn` mich nicht aus mit mir. Sind`s moderne Kulturnerven in ihren Extremen, ist´s etwas Ungehobenes, das vorerst vergeblich nach einem Ausweg sucht, ich weiß es nicht»“ (Pätzold und Weißbecker, 2007: S.13,14)
Mir ist bzgl. Heß ergänzen aufgefallen, dass dieser grundsätzlich sehr selbstmordgefährdet war. Alleine schon sein begeisterter freiwilliger Kriegseintritt im Ersten Weltkrieg ist ein Zeichen dafür. Freudig zog er in die Todeszone, wie so viele Deutsche dieser Zeit. In einem Gedicht, in dem Heß seine Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg beschreibt, findet sich folgende erhellende und im Grunde alles sagende Stelle.
„(…) He, Franzmann, das ist böser Morgengruß!
Ihr dort müsst sterben, dass wir leben können,
wir selbst und unser ganzes armes Volk (…).“ (Pätzold und Weißbecker, 2007: S. 437)
Oder auch ein anderer Ausschnitt aus dieser Zeit: „Die Landschaft weiß von Schnee, Sternhimmel funkelt. … Brennende Ortschaften! Packend schön, Krieg!“ (Schmidt, 1997: S. 40)
Diese „Leben suchen“ im Tod (sowohl des Eigenen als auch des Anderen) ist etwas, das Arno Gruen in seinen Bücher oft beschrieben hat. Es ist die Suche des innerlich nicht Lebendigen, identitätslosen Menschen nach Leben und Fühlen, in einer pervertierten Form. Dies ist auch etwas, dass Mörder/Serienmörder beschrieben haben. (siehe hier und hier)
Nach dem Waffenstillstand und der Niederlage des Deutschen Reiches fühlte sich Heß im „schwersten Augenblicke“ seines Lebens. „An den Frieden darf man nicht denken.“ schrieb er nach Hause.„ (Schmidt, 1997: S. 42,43) Rachefantasien hielten ihn aufrecht, so scheint es. Denn zunächst dachte er nach dem Friedensschluss an Selbstmord. „Und das Leiden der Mehrheit der Guten der Heimat soll umsonst gewesen sein? … Nein, wär´s umsonst gewesen, bereute ich heute noch, dass ich am Tag, da die ungeheuerlichen Waffenstillstandsbedingungen und ihre Annahme bekannt wurden, ich mir nicht eine Kugel durchs Hirn jagte. Ich tat es damals nicht in der einzigen Hoffnung: Du kannst noch irgendwie dein Teilchen beitragen zur Wendung des Schicksals.“ (ebd.: S. 43)
Am 15. Oktober 1941 begeht Heß in britischer Haft einen Selbstmordversuch. Er leidet in der Folgezeit an Nervenkrankheiten. Am 17. August 1987 begeht Heß am Ende seiner Tage im Gefängnis in Spandau Selbstmord (Deutsches Historisches Museum, 2009) Auf Wikipedia sind weitere drei Selbstmordversuche beschrieben, die Quellen dafür kann ich allerdings hier nicht weiter nachverfolgen.
Heß, der keine eigene Identität besaß und der in der Folge von (Selbst-)Hass durchzogen war, suchte den Tod, den eigenen, wie auch den von Millionen anderer Menschen.
Zum Abschluss noch eine persönliche Anmerkung. Wenn ich mir Fotos von Heß anschaue, dann springt mich die „innere Leblosigkeit“ dieses Mannes geradezu an. Tief verborgene, schattige Augenpartie, ungemein gerade und nichts-sagende Gesichtszüge, ein flacher Mund, leere Augen und Kälte. Der Gefängnis-Psychiater James Gilligan hat die von ihm untersuchten Mörder als „Untote“ bezeichnet, innerlich tot, körperlich am Leben. Rudolf Heß passt genau in diese Kategorie Mensch.
Quellen:
Deutsches Historisches Museum (2009): Biographie: Rudolf Heß. 1894-1987.
.
Gruen, Arno (2002): Der Fremde in uns. München. Deutscher Taschenbuch Verlag.
Pätzold, Kurt und Weißbecker, Manfred (2007): Rudolf Heß. Der Mann an Hitlers Seite. Leibzig. Militzke Verlag.
Schmidt, Rainer F. (1997): Rudolf Heß. "Botengang eines Toren"?, Der Flug nach Großbritannien vom 10. Mai 1941. Düsseldorf. ECON Verlag.
Die Kindheit von Rudolf Hess ergänzt das Bild, dass ich bisher über einzelne NS-Täter gezeichnet habe. Dazu im Text unten mehr. Allerdings ergänzt auch die Arbeit der Historiker Manfred Weißbecker (Jahrgang 1935) und Kurt Pätzold (Jahrgang 1930) das Bild, das ich immer wieder bei meinen Recherchen über die Kindheit diverser Diktatoren und ähnlicher Akteure fand. Die destruktive Kindheit wird zwar von den Historikern wahrgenommen und erwähnt, aber erstens nicht weitgehend ausgeführt und zweitens dementsprechend so kommentiert, dass ihr kaum Bedeutung beigemessen wird. Zunächst beginnen die Autoren ihre Schilderungen über die Familienatmosphäre so: Die Kinder „wuchsen in wohlhabenden Verhältnissen und sorglos auf; später wird Heß einmal den Eltern danken: »Wir haben eine freudenreiche und glänzende Jugend gehabt, wie man sie sich schöner und abwechslungsreicher nicht vorstellen kann.«“ (Pätzold und Weißbecker, 2007: S. 15) Diese Beschreibung einer „sorglosen“ Kindheit mag stimmen, wenn es um die finanziellen Verhältnisse und den Status der Familie ging, denn diese waren dank lukrativer Geschäfte in Ägypten (wo die Familie die ersten Lebensjahre von Rudolf ihren Hauptwohnsitz hatte) sehr gut. Die emotionale Situation war allerdings alles andere als sorglos, was auch die beiden Autoren kurz beschreiben.“Das Geschäft diktiert den Ablauf der Tage und wohl auch den Umgangston im Hause. Äußerste Pünktlichkeit, penible Ordnung und uneingeschränkte Disziplin galten als höchste Werte des patriarchalisch herrschenden Vaters, eines typischen Angehörigen stramm national gesinnter Schichten des deutschen Bürgertums.“ (ebd.: S. 17)
Aber gleich danach merken Sie an: „In der historischen Literatur ist immer wieder auf die Strenge des Vaters verwiesen worden. Spätere Entwicklungen und Verhaltensweisen des »Führer-Stellvertreters» sollen damit verstehbar werden. Psychoanalytische Deutungen dieser Art treffen gewiss zu, sie reichen jedoch keineswegs aus, alle Ursachen und die wesentlichsten Rahmenbedingungen der Sozialisation von Rudolf Heß zu erhellen. Mitunter verdecken sie andere, wichtigere Umstände und Faktoren.“ (ebd.: S. 17) Dann kritisieren sie auch noch die Quellenlage. Vieles sei aus den Erinnerungen von Rudolf Heß selbst überliefert, als er bereits an der Spitze der NSDAP stand oder aus seiner Zeit im Gefängnis. (wo ich mich frage, warum denn diese Erinnerungen keine Gültigkeit haben sollten?). Zudem kritisieren sie „manches, was von Autor zu Autor übernommen worden ist (…)“ (ebd.: S. 17), ohne zu erwähnen, welche Autoren sie meinen und was „manches“ bedeutet. Zumindest haben auch Pätzold und Weißbecker die Strenge des Vaters wahrgenommen, in dem sie oben die Werte des „patriarchalisch herrschenden Vaters“ beschreiben und etwas weiter im Text - nebenbei -von dem „oft als tyrannisch geschilderten Vater“ (ebd.: S. 21) berichten. Diesen Widerwillen gegenüber Kindheitseinflüssen auf politisches Verhalten und deren entsprechend geringer Gewichtung habe ich derart oft in Büchern von Historikern wahrgenommen, dass dies fast schon eine gesonderte, systematische Analyse Wert wäre.
Deutlichere Worte fand allerdings der Historiker Rainer F. Schmidt (Jahrgang 1955). „Alle Psychiater, die sich in späteren Jahren mit dem Charakter und der Persönlichkeitsstruktur von Rudolf Heß, mit seiner Fixierung auf Hitler und die Kommandowelt des Totalitären beschäftigen, stimmen darin überein, dass der Schlüssel für diese Disposition in der Phase der primären Sozialisation, in der Jugend mit einem strengen und übermächtigen Vater zu suchen ist.“ (Schmidt, 1997: S. 37) Schmidt berichtet über die Familie Heß: „Zum prägenden Faktor seiner frühen Jahre wurde eben jener strenge, polternde und keinen Widerspruch duldende Vater, der nach Rudolfs eigenen Worten »bleichen Schrecken bei seiner Brut« verbreitete.“ (ebd.: S. 38) Der ganze Tagesablauf der Familie war auf die Ansprüche des Vaters abgestimmt. „(…) von den vollzählig versammelten Familienmitgliedern erdreistete sich niemand, ein Wort zu sprechen, solange der Vater nicht geruhte, das Gespräch zu eröffnen. Er war es, der das Lachen der spielenden Kinder zum Verstummen brachte, wenn er das Haus betrat (…)“ (ebd.: S. 38,39) Der Vater zwang seinen Sohn auch - trotz anderer Befähigungen und Interessen- in den Kaufmannsberuf. Schmidt zitiert Heß wörtlich im Rückblick auf eine Szene: „Als eines Tages der liebe Vater feierlich die ernste Frage an mich stellte, was ich werden wollte – in dem Ton, bei dem allein uns schon das Blut zu gerinnen drohte …, da kam es mir gar nicht in den Sinn, etwas anderes zu stottern als «Kaufmann».“ (ebd.: S. 39)
Schmidt ergänzt danach, dass immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass viele führende Nationalsozialsten aus strengen Elternhäusern stammten und Hitler wiederum von den „Erziehungsschäden einer Epoche profitierte, die ihre pädagogischen Leitbilder von den Kasernenhöfen holte und ihre Söhne in den Härtekategorien von Kadetten aufzog“ (ebd..: S. 39; hier zitiert er Joachim Fest). Eine erstaunliche (weil relativ seltene) Aussage, deren Wahrheitsgehalt ich mich anschließe, sie trifft aber nicht meine Wahrnehmung bzgl. der Geschichtswissenschaft, dies diese Zusammenhänge oft unter den Tisch kehrt. (Zudem ist das Wort „streng“ wohl etwas verharmlosend, wenn man um die Realität der Kindheit im Deutschen Reich um 1900 weiß.) Rudolf Heß, so Schmidt weiter, „der unsäglich unter der tyrannischen Natur seines Vaters (…) litt, die immer wieder seinen Willen brach und die Basis schuf für die Anfälligkeit gegenüber und die Suche nach einem «Ersatzvater», entsprach exakt diesem Typus.“ (ebd.: S. 39)
Es bleibt unserer Vorstellungskraft überlassen, was sich alles an Gewalt, Gewaltformen und Gewaltandrohung im Hause Heß abgespielt hat. Wenn schon der Tonfall des Vaters das Blut des Sohnes gerinnen ließ, wie dieser es bildlich ausdrückte und der Vater „blanken Schrecken“ bei den Kindern verbreitete, was geschah dann eigentlich, wenn der Vater offen Strafen ausführte oder sich Launen hingab? Die Historiker lassen diese Frage offen. Ich halte es nach den o.g. Schilderungen für sehr sehr wahrscheinlich, dass Rudolfs Vater auch direkt körperliche Gewalt anwandte, sein Charakter und die Sitte der Zeit legen dies sehr nahe.
Es ist bezeichnend, dass man über die Mütter solcher historischen Persönlichkeiten meist weitaus weniger erfährt, als über die Väter. Dabei sind es ja vor allem die Mütter, die historisch die wesentlichen Erziehungsaufgaben übernahmen. Man kann sich auf Grund von zwei Zeugnissen und etwas Vorstellungskraft ausmalen, dass Rudolfs Mutter keine besonders mitfühlende Person/Mutter war. Von der Mutter erfuhr Rudolf während seiner Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg direkten Zuspruch. Sie schrieb. „Wäre ich ein Mann in der Blüte der Jahre, ich würde auch mit Begeisterung für mein Vaterland kämpfen. Ich will versuchen, wenn auch nicht als Soldat, so doch für das Wohl der Zurückgebliebenen meine Kraft mit zu verwenden.“ (Pätzold und Weißbecker, 2007: S.22) Mit dieser Einstellung entsprach sie sicherlich den meisten Müttern der Zeit. Doch waren das herzliche, mitfühlende Mütter, die derart kriegsbegeistert waren? Noch deutlicher wird es an anderer Stelle. Bei beiden Heß Eltern kam Unmut auf, weil ihr Sohn im Ersten Weltkrieg anfänglich Reservist war und nicht sofort auf eines der umkämpften Schlachtfelder kam. „Klara Heß zeigte sich sechs Wochen nach Kriegsbeginn furchtbar enttäuscht, dass ihr Sohn immer noch «zurückgehalten» werde, seine «junge Kraft für die Freiheit des teuren Vaterlandes einzusetzen»“ (ebd.: S. 23) Und sie beteuerte: „Wir geben Dich dem Vaterland, kommst Du uns lebend zurück, so sehen wir dieses Glück als ein Geschenk Gottes an.“ (ebd.: S. 23) Was ist das für eine Mutter (und wie sah ihr Umgang früher ihren Kindern gegenüber aus), die derart bereitwillig ihren Sohn in den wahrscheinlichen Tod laufen lässt; die ihren Sohn geradezu zu opfern bereit ist?
Arno Gruen hat unter dem Zwischen-Titel „Der reduzierte Mensch“ (Gruen, 2002: S. 164) u.a. Rudolf Heß als Paradebeispiel für einen Menschen ausgewählt, der innerlich leer ist, „eines Ich ohne eigenes Selbst (…); eines Menschen, der keine eigene Identität entwickeln konnte und deshalb jemanden sucht, dem er sich bedingungslos unterwerfen kann. (…) Ein solcher Mensch ist völlig gefangen und völlig beherrscht von dem Diktat des Gehorsams, der ihm auferlegt wurde.“ (ebd.: S. 177,178) Diese innere „Fremdsein“ brachte Heß auch selbst deutlich zum Ausdruck. „Wenige Tage vor dem ersten Putsch der deutschen Faschisten bekante er, wie es um seine Gemütsverfassung stand. Er kenne sich nicht mehr aus in sich, so klagte er im Oktober 1923. Er meinte, sich als eine «eigentümliche Mischung» sehen zu müssen, woraus Spannungen entstünden, die ihm das Leben zeitweise so schwer machten. (…) «ich kenn` mich nicht aus mit mir. Sind`s moderne Kulturnerven in ihren Extremen, ist´s etwas Ungehobenes, das vorerst vergeblich nach einem Ausweg sucht, ich weiß es nicht»“ (Pätzold und Weißbecker, 2007: S.13,14)
Mir ist bzgl. Heß ergänzen aufgefallen, dass dieser grundsätzlich sehr selbstmordgefährdet war. Alleine schon sein begeisterter freiwilliger Kriegseintritt im Ersten Weltkrieg ist ein Zeichen dafür. Freudig zog er in die Todeszone, wie so viele Deutsche dieser Zeit. In einem Gedicht, in dem Heß seine Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg beschreibt, findet sich folgende erhellende und im Grunde alles sagende Stelle.
„(…) He, Franzmann, das ist böser Morgengruß!
Ihr dort müsst sterben, dass wir leben können,
wir selbst und unser ganzes armes Volk (…).“ (Pätzold und Weißbecker, 2007: S. 437)
Oder auch ein anderer Ausschnitt aus dieser Zeit: „Die Landschaft weiß von Schnee, Sternhimmel funkelt. … Brennende Ortschaften! Packend schön, Krieg!“ (Schmidt, 1997: S. 40)
Diese „Leben suchen“ im Tod (sowohl des Eigenen als auch des Anderen) ist etwas, das Arno Gruen in seinen Bücher oft beschrieben hat. Es ist die Suche des innerlich nicht Lebendigen, identitätslosen Menschen nach Leben und Fühlen, in einer pervertierten Form. Dies ist auch etwas, dass Mörder/Serienmörder beschrieben haben. (siehe hier und hier)
Nach dem Waffenstillstand und der Niederlage des Deutschen Reiches fühlte sich Heß im „schwersten Augenblicke“ seines Lebens. „An den Frieden darf man nicht denken.“ schrieb er nach Hause.„ (Schmidt, 1997: S. 42,43) Rachefantasien hielten ihn aufrecht, so scheint es. Denn zunächst dachte er nach dem Friedensschluss an Selbstmord. „Und das Leiden der Mehrheit der Guten der Heimat soll umsonst gewesen sein? … Nein, wär´s umsonst gewesen, bereute ich heute noch, dass ich am Tag, da die ungeheuerlichen Waffenstillstandsbedingungen und ihre Annahme bekannt wurden, ich mir nicht eine Kugel durchs Hirn jagte. Ich tat es damals nicht in der einzigen Hoffnung: Du kannst noch irgendwie dein Teilchen beitragen zur Wendung des Schicksals.“ (ebd.: S. 43)
Am 15. Oktober 1941 begeht Heß in britischer Haft einen Selbstmordversuch. Er leidet in der Folgezeit an Nervenkrankheiten. Am 17. August 1987 begeht Heß am Ende seiner Tage im Gefängnis in Spandau Selbstmord (Deutsches Historisches Museum, 2009) Auf Wikipedia sind weitere drei Selbstmordversuche beschrieben, die Quellen dafür kann ich allerdings hier nicht weiter nachverfolgen.
Heß, der keine eigene Identität besaß und der in der Folge von (Selbst-)Hass durchzogen war, suchte den Tod, den eigenen, wie auch den von Millionen anderer Menschen.
Zum Abschluss noch eine persönliche Anmerkung. Wenn ich mir Fotos von Heß anschaue, dann springt mich die „innere Leblosigkeit“ dieses Mannes geradezu an. Tief verborgene, schattige Augenpartie, ungemein gerade und nichts-sagende Gesichtszüge, ein flacher Mund, leere Augen und Kälte. Der Gefängnis-Psychiater James Gilligan hat die von ihm untersuchten Mörder als „Untote“ bezeichnet, innerlich tot, körperlich am Leben. Rudolf Heß passt genau in diese Kategorie Mensch.
Quellen:
Deutsches Historisches Museum (2009): Biographie: Rudolf Heß. 1894-1987.
.
Gruen, Arno (2002): Der Fremde in uns. München. Deutscher Taschenbuch Verlag.
Pätzold, Kurt und Weißbecker, Manfred (2007): Rudolf Heß. Der Mann an Hitlers Seite. Leibzig. Militzke Verlag.
Schmidt, Rainer F. (1997): Rudolf Heß. "Botengang eines Toren"?, Der Flug nach Großbritannien vom 10. Mai 1941. Düsseldorf. ECON Verlag.
Donnerstag, 31. Januar 2013
Ägypten. Die Ursachen der gescheiterten Revolution liegen im Verborgenen
(Bild: Graffiti in Ägypten. Präsident Mursi als Krake. Ein Anzeichen dafür, dass auch beim aktuellen Handeln der Opposition emotionale Prozesse im Hintergrund wirken. Mehr zu der Bedeutung derartiger Bilder siehe hier)
Am 01.02.2011 zitierte ich eine Studie aus dem Jahr 1998, die ergab, dass in Ägypten 26 % der Kinder auf Grund von Misshandlungen über Knochenbrüche, Bewusstlosigkeit oder eine bleibende Behinderung berichteten. Ich fragte, ob eine Nation, die zu einem erheblichen Anteil aus einst schwer misshandelten Kindern besteht, eine friedliche Revolution schaffen und eine echte Demokratie aufbauen kann. Grundsätzlich ist vieles möglich. Aber: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Wege einer derart in der Tiefe traumatisierten Nation friedlich verlaufen, sind nicht wirklich hoch. Dies möchte ich jetzt weitgehender kommentieren. Aber vorher noch ein paar ergänzende Zahlen:
Laut UNICEF (2009 – „Progress for Children. A Report Card on Child Protection“) erlebten in Prozent der ägyptischen Kinder (2- bis 14-Jährige) psychische und/oder körperliche Gewalt (wobei die Mehrheit beides erlebte) 92 %. 68 % erlebten körperliche und psychische Gewalt, 22 % nur psychische Gewalt und 2 % nur körperliche Gewalt. (S. 8) 40 % der Kinder erlebten besondes schwere Formen der körperlichen Gewalt. Dazu zählten Schläge ins Gesicht, an den Kopf oder auf die Ohren, wiederholt oder besonders hart ausgeführt. (S. 29)
Weitaus mehr in die Tiefe ging die Studie „International Variations in Harsh Child Disciplin“, veröffentlicht 2010 in dem Journal Pediatrics. Diese zeigt, das Kinder in Ägypten häufig u.a. besonders brutale/schwere Formen körperliche Gewalt erleben, nämlich insgesamt 28 % (darunter fielen: Schütteln von Kindern unter 2 Jahren = 12 %, Verbrennungen zufügen = 2,2 %, zusammenschlagen/durchprügeln = 24 %, würgen = 0,8 %, Luft zum Atmen nehmen = 0,6 %, Tritte = 5,4 %) Werden Schläge mit einem Gegenstand mit eingerechnet (was – so die Forscher - auch als schwere Gewalt bezeichnet werden kann) dann erleben sogar insgesamt 46 % der Kinder schwere körperliche Gewalt. Leichtere Formen von körperlicher Gewalt erleben 81 % der Kinder. Besonders schwere Formen von psychischer Gewalt erleben 64 % aller Kinder, leichtere Formen 77 %.
Schaut man gesondert auf die Datenauswertung bzgl. der verschiedenen Altersgruppen, ergibt sich zusätzlich ein ergänzend erschreckendes Bild. Die besonders sensible Gruppe der unter 2 Jahre alten Kinder erlebt bereits zu 14 % schwere Formen Körperlicher Gewalt (diese Zahl gilt sowohl ohne die Verwendung von Gegenständen laut o.g. Definition wie auch mit Gegenständen), also ca. jedes 7. Kind! Ebenfalls 14 % dieser Gruppe erlebt besonders schwere Formen psychischer Gewalt.
Die o.g. Zahl von 46 % (inkl. Körperstrafen mit einem Gegenstand) ist ein Durchschnittswert, der sich u.a. daraus ergibt, dass die unter 2 Jahre alten Kinder weniger schwere Formen erleben. Um so erschreckender ist es, dass zwei Altersgruppen deutlich über 46 % schwere körperliche Gewalt erleben; die 2-6 Jahre alten Kinder zu 50 % und die 7-11 Jährigen zu sogar 58 %. Die 12-17 Jährigen zu 45 %. Wenn man also die gesamte Lebensspanne der Kinder betrachtet, wird weit aus häufiger schwere Gewalt erlebt, als der Durchschnittswert von 46 % ausweist.
Für die Studie wurden Mütter zu dem Bestrafungsverhalten beider Elternteile innerhalb eines Jahres vor der Befragung befragt. D.h. das erstens evtl. manche Mütter das reale Ausmaß der Gewalt nicht genau angegeben haben und dass zweitens Gewalterfahrungen, die vor über einem Jahr stattgefunden haben (z.B. bei befragten Müttern, die ältere Kinder hatten, bei denen erfahrungsgemäß die Gewalt etwas abnimmt, da vor allem jüngere bis mittlere Kinder Gewalt erfahren), nicht erfasst wurden. Insofern ist davon auszugehen, das rückblickende Befragungen von Erwachsenen zu eigenen Opfererfahrungen sogar noch einmal höhere Raten ergeben würden, als die oben ermittelten.
Eine andere Studie (die ich hier ausführlich besprochen habe), hat auch die Häufigkeit des Gewalthandelns von Müttern abgefragt. Insgesamt werden dieser Studie folgend 76,3 % der ägyptischen Kinder durch Mütter körperlich bestraft. 2,8 % der Kinder werden mehr als einmal pro Tag körperlich bestraft, 3,5% einmal täglich und 39 % ein oder zweimal die Woche. Insgesamt werden also fast die Hälfte der Kinder (45,5 %) regelmäßig und oft geschlagen!
Eine große Studie (ausführlich hier von mir besprochen), die in Kairo und Alexandria durchgeführt wurde, ergab falgendes Bild: Ca. 81 % der Kinder wurden zu Hause und 91 % in der Schule geschlagen. 27 % der Kinder, die arbeiten mussten, berichteten auch dort geschlagen worden zu sein. 90 % der Kinder erlebten emotionale Bestrafungen/Gewalt zu Hause und 70 % in der Schule, ebenso 50 % der arbeitenden Kinder an ihrem Arbeitsplatz. 40 % der Schulkinder zeigten Anzeichen für eine Entfremdung von ihren Familien.
51 % der Pflegepersonen (Haushaltsbefragung) berichteten, dass die Kinder in der Woche vor der Befragung geschlagen worden sind, 76 % berichteten von Schlägen innerhalb eines Monats vor der Befragung und 81 % von Schlägen innerhalb eines Jahres.
Schaut man gesondert auf die Altersstufe der 5-8Jährigen, dann werden ganze 94,7 % in irgendeiner Form körperlich bestraft/geschlagen (also deutlich mehr als der Durchschnittswert von 81 %).
51 % dieser Altersgruppe wird mit einem harten Gegenstand wie Gürtel oder Stock geschlagen. 46,5 % wird ins Gesicht geschlagen, 21,3 % werden niedergeschlagen. 7,2 % mit einem Messer verletzt, 5,9 % verbrannt u.a.
Außerdem sind Kinder auch in der Schule nicht sicher (was auch die vorgenannte Studie zeigte). In Ägypten werden 80 % der Jungen und 67 % der Mädchen in der Schule von Lehrern geschlagen. (Prohibiting all corporal punishment in schools: Global Report 2011, S. 7)
Für eine Studie zum Gewaltaufkommen gegen Frauen in Ägypten wurde vorhandene Literatur ausgewertet. Beispielsweise ergab eine Studie aus dem Jahr 1995, für die 6.566 Frauen befragt worden sind, dass 35 % körperliche Gewalt durch ihren Ehemann erlebt haben. Eine andere Studie aus dem Jahr 2005 (mit 5.613 Frauen) ergab, dass 36 % emotionale, körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch ihren Ehemann erlebt haben. 34 % berichten über körperliche und/oder sexuelle Gewalterfahrungen (emotionale Gewalt weggelassen). (Somach, Susan D. & AbouZeid, Gihan (2009): EGYPT VIOLENCE AGAINST WOMEN STUDY. LITERATURE REVIEW OF VIOLENCE AGAINST WOMEN. S. 9+10) Sofern Kinder diese Gewalt miterleben, hat auch dies psychische Folgen für die Kinder.
Dies alles sind zudem wohlgemerkt relativ aktuelle Zahlen. Die älteren Generationen (die heute u.a. Machtpositionen in Ägypten inne halten) werden sehr wahrscheinlich sogar noch mehr Gewalt erfahren haben, als die Jüngere.
Dazu kommen erschütternde Daten über die Genitalienverstümmelung. 91 % der ägyptischen 15-49 jahre alten Frauen haben diese traumatische Prozedur als Kind erlitten. (UNICEF, Jan 2013)
Die Mehrheit der Ägypter ist - den genannten Zahlen folgend - als Kind im Elternhaus traumatisiert worden, eine enorm große Zahl auch besonders schwer.
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Leider bestätigen aktuelle Berichte, dass Ägypten heute sogar weit aus schlechter aufgestellt zu sein scheint, als vor der Revolution. Wenn die Entwicklungen so weiter gehen, besteht sogar die Gefahr eines Bürgerkrieges. Solche Entwicklungen sind vorhersehbar, wenn man sich mit den Kindheiten vor Ort befasst. Statt planlos den Sturz von Diktatoren zu stützen, wie der Westen dies tat, teils sogar militärisch wie in Libyen, muss man sich vorher die Frage stellen, ob die Bevölkerung vor Ort emotional überhaupt reif für echte demokratische Prozesse ist.
Schwer misshandelte Menschen klammern sich oftmals an äußere Strukturen, Rahmen und Rollenmodelle, die ihnen Sicherheit und Stabilität geben. Arno Gruen hat sehr viel dazu geschrieben (Stichwort „Nicht-Identität“). Er schrieb auch in seinem Buch „Verratene Liebe – Falsche Götter“ (2003): „Solange der gesellschaftliche Rahmen hält – das heißt, solange man seine eigene Identität, seine Bedeutung, durch äußere Strukturen aufrechtzuerhalten in der Lage ist -, kann die innere Malaise des nicht-autonomen Selbst gezügelt werden. Da diese Menschen aber keine komplexe Sicht ihrer Lage ertragen, sind sie auch die ersten, die die Strukturen gefährden, wenn diese ins Wanken geraten, wenn zum Beispiel die Gesellschaft von Arbeitslosigkeit und dem Verfall ihrer Regeln bedroht ist. Solche Menschen haben nicht die inneren Kräfte, etwas Neues aufzubauen, weil ihnen ein empathischer Kern fehlt.“ (S. 57,58)
Bei Extremisten, so Gruen, dreht sich immer alles um Symbole der Identität wie Rasse, Nationalismus, Religion und Freiheit. „Nie geht es um die aktuelle Analyse der Bedrohung. Wenn der gesellschaftliche Rahmen zerbricht, bleiben Menschen, die für ihren Selbstwert und ihre Bedeutung davon abhängig sind, ohne Halt. Sie sind jetzt dem inneren Hass ausgeliefert. Dieser Hass richtet sich auf alles, was an die eigene verschmähte Lebendigkeit erinnert.“ (S. 59) Und ganz besonders wichtig und erhellend: „Das Bedürfnis nach Strukturen ist kennzeichnend für Menschen, die kein eigenes Selbst haben. Autoritäre Strukturen verleihen ihnen das Gefühl einer Identität, und daher gibt ihnen, solange die Autorität autoritär bleibt, solch ein Gefüge persönliche Bedeutung und Sicherheit. Es ist das Auseinanderbrechen dieser Strukturen, das die angestaute Wut zum Ausbruch bringt. Die Rebellion, die dadurch ausgelöst wird, hat nicht Freiheit zum Ziel, sondern sie will sich neuen Autoritäten/Strukturen ergeben. Diese erneute Unterwerfung, getrieben von der Angst vor Identitätsauflösung und innerem Hass, ist Erlösung. Die neue Unterwerfung ist eigentlich die alte Unterwerfung (…). Die Ketten der früheren Anpassung an das Schlechte, das man für gut hielt, weil seine Autorität einem ein Sicherheitsgefühl gab, können gesprengt werden. Aber für den Erfolg jeder Revolution, Reform und Erneuerung muss die menschliche Abspaltung vom seelischen Inneren berücksichtigt werden. “ (S. 65,66)
Diese Abspaltung erfolgt im Kern in der Kindheit, indem Eltern ihre Kinder angreifen, ihre Bedürfnisse nicht sehen und ihnen nicht ermöglichen, ein eigenes Selbst aufzubauen. In einer Atmosphäre der familiären Gewalt und Kälte bleibt Kindern nichts anderes übrig, als sich von sich selbst zu entfremden, als ihre Gefühle und ihre Lebendigkeit zu begraben, da es unerträglich wäre, der realen Situation offen und fühlend ins Auge zu schauen. Auch später ist die eigene Wahrnehmung oftmals getrübt, da die Eltern idealisiert bleiben. Helfen würde – bestenfalls in einem therapeutischen Prozess- eine Aufarbeitung des Erlebten, ein Trauern um das Verpasste, ein realer Blick des Erwachsenen auf das Kind, das er einst war und auf die Eltern, die ihm gegenüberstanden und natürlich ein Zurückerobern von Gefühlen. Doch gerade in der arabischen Welt gelten sehr strenge Familienregeln. Die Ehre der Eltern darf nicht angekratzt werden. Dies wird es den Menschen vor Ort doppelt erschweren, ihre Eltern anzuklagen bzw. sie zu kritisieren und sich der Realität der eigenen Kindheit zu stellen.
Wer die Entwicklungen in der arabischen Welt verfolgt, sollte sich aktuell auch noch einmal mit dem auseinandersetzen, was Lloyd deMause „Wachstumspanik“ nennt. (Ich habe das hier – etwas weiter unten im Text – etwas ausgeführt) Denn in der Tat hatten die diversen Revolutionen – so mein Eindruck aus den Berichten der Tagespresse – bisher nur negative Folgen für die Menschen und die sozialen und ökonomischen Entwicklungen bzw. für das Wachstum und den Fortschritt.
Um Ägypten (und auch anderen Ländern dieser Region) echte Freiheit zu ermöglichen, muss in dem Land ein gut durchdachtes Kinderschutzprogramm ins Leben gerufen werden, das die ganze Gesellschaft durchdringt. Da derzeit islamistische Kräfte die Wege zu dominieren scheinen, ist Ägypten wohl weiter davon entfernt, als vor der Revolution. Denn die Islamisten setzten i.d.R. auf alte Werte (die ihnen Sicherheit und Halt geben), was vor allem die Unterdrückung von Frauen (und somit den Müttern) und Kindern bedeutet.
Nachtrag: Im Kapitel „Wer seine Kinder liebt, der züchtigt sie“ des Buches „Deutschland misshandelt seine Kinder“ (2014 erschienen) beschreiben die beiden Rechtsmediziner Michael Tsokos und Saskia Guddat folgende Begebenheit:
"Am Institut für Rechtsmedizin der Charité werden häufig ägyptische Gastärzte geschult. Wenn sie unsere Vorträge über Kindesmisshandlung hören, zeigen sich viele von ihnen verwundert, dass Körperstrafen in Deutschland als Mittel der Kindererziehung verboten sind. «Bei uns darf man seine Kinder ja auch nicht totschlagen», sagte einmal ein ägyptischer junger Arzt zu uns. «Aber wie erzieht ihr eure Kinder denn, wenn ihr sie nicht schlagt?» und ein Kollege von ihm fügt hinzu: «Das ist doch schließlich mein Kind, das ich schlage, nicht das Kind meines Nachbar.» "
Siehe ergänzend: "Das Fundament des Bürgerkrieges in Syrien"
Freitag, 25. Januar 2013
Kindheit und mögliche Lebenswege: Willi Voss
Willi Voss arbeitete einst eng mit der PLO zusammen; er war "Komplize palästinischer Terroristen", wie der SPIEGEL schreibt. In die Enge getrieben wechselte er zur CIA und verriet wichtige Informationen u.a. über geplante Anschläge der PLO. Heute schreibt der 68jährige u.a. Bücher, früher auch Drehbücher u.a. für den „Tatort“ und auch ein Buch über sein Leben, was der Auslöser für den SPIEGEL Bericht war. Daher der SPIEGEL (31.12.2012; Nr. 1/2013) Artikel-Titel: „Ein Mann, drei Leben“ . Genauer gesagt waren es wohl eher vier Leben, denn vor seiner PLO Zeit war er ein Kleinkrimineller, Mitglied einer „Halbstarken-Clique“ im Ruhgebiet, worauf ein Jahr Jugendstrafe ohne Bewährung folgte. Durch Begegnungen kam er über Umwege zur PLO.
„Ich war ein verlorener Hund. Einer, der so oft getreten worden war, dass er zurückbeißen wollte, egal wie.“, wird Voss zitiert. „Hätte ich damals Andreas Baader getroffen, wäre ich vermutlich bei der Roten Armee Fraktion gelandet.“ Seine Kindheit sei von Gewalt, sexuellem Missbrauch und anderen Demütigungen geprägt gewesen, schreibt der SPIEGEL weiter. „Ich habe als Kind immer wieder Zustände absoluter Ohnmacht kennengelernt. Etwas, dass blanke Mordlust in mir ausgelöst hat, tiefste Scham und ein Gefühl, als sei ich das Wertloseste, dass es auf dieser Welt gibt.“, sagte Voss.
Ein interessantes Interview mit Voss kann mensch hier lesen, darin beschreibt er u.a., was ihn an der PLO fasziniert hat. Voss hat sich längst vom Terrorismus distanziert. Über ihn als Person weiß ich zu wenig, als dass ich mir hier weitere Anmerkungen erlauben könnte. Ich denke, dass er selbst im SPIEGEL Interview genug darüber gesagt hat, was in der Tiefe seinen Lebensweg bestimmt hat.
„Ich war ein verlorener Hund. Einer, der so oft getreten worden war, dass er zurückbeißen wollte, egal wie.“, wird Voss zitiert. „Hätte ich damals Andreas Baader getroffen, wäre ich vermutlich bei der Roten Armee Fraktion gelandet.“ Seine Kindheit sei von Gewalt, sexuellem Missbrauch und anderen Demütigungen geprägt gewesen, schreibt der SPIEGEL weiter. „Ich habe als Kind immer wieder Zustände absoluter Ohnmacht kennengelernt. Etwas, dass blanke Mordlust in mir ausgelöst hat, tiefste Scham und ein Gefühl, als sei ich das Wertloseste, dass es auf dieser Welt gibt.“, sagte Voss.
Ein interessantes Interview mit Voss kann mensch hier lesen, darin beschreibt er u.a., was ihn an der PLO fasziniert hat. Voss hat sich längst vom Terrorismus distanziert. Über ihn als Person weiß ich zu wenig, als dass ich mir hier weitere Anmerkungen erlauben könnte. Ich denke, dass er selbst im SPIEGEL Interview genug darüber gesagt hat, was in der Tiefe seinen Lebensweg bestimmt hat.
Mittwoch, 23. Januar 2013
Medien, Adam Lanza und sexuelle Gewalt in Indien
Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht in den Medien Dinge lese, die ich hier im Blog kommentieren könnte, weil sie überdeutlich die Zusammenhänge zwischen hasserfüllter Kindheit und Hass/Gewalt aufzeigen. Dies ist mir heute in einem Bericht aus Indien besonders aufgefallen (siehe unten). Auf der anderen Seite fällt allerdings auch immer wieder auf, dass ein Zusammenhang zwischen Kindheit und Gewaltverhalten ausgeschlossen wird, was der jüngste Amoklauf in den USA von Adam Lanza und entsprechende Kommentare zeigten. Sehr viele Medien zitierten sogleich eine Tante des Täters, die auf die liebevolle Erziehung der Mutter hingewiesen hatte. Kaum einer zog dies in Zweifel. In einem Artikel wurde die Familiensituation von Lanza besprochen. Am Ende hieß es: "Doch trotz aller Geschichten zieht niemand in Zweifel, dass
sie ihren Sohn Adam innig geliebt hat. Warum er zuerst sie und dann die Kinder
und Lehrerinnen an der Grundschule hinrichtete, das ist dagegen noch immer ein
Rätsel."
In der indischen Gesellschaft an sich ist Gewalt gegen Kinder sehr weit verbreitet. Dies wird allerdings kaum bis gar nicht erwähnt, wenn es darum geht, dortige Problemlagen, Konflikte und Gewaltverhältnisse zu analysieren.
Der Satz an sich ist schon verdreht. Denn in der Tat ist die eigentliche Frage, warum ein wirklich geliebtes Kind seine Mutter kaltblütig hinrichten sollte und danach Kinder in einer Grundschule erschießt? Es ist für mich immer wieder erstaunlich, dass nicht wenige Menschen wirklich glauben, dass geliebte Kinder zu solchen Taten fähig wären. Die Medien sollten da zumindest vorsichtig formulieren und nicht davon schreiben, dass Lanzas Mutter auf jeden Fall voller Liebe zu ihren Kindern war.
Das Thema sexuelle Gewalt in Indien ist ja derzeit sehr in den Medien präsent. Ein indischer Junge hat versucht, ein Mädchen zu missbrauchen. Diese konnte aber entkommen. Daraufhin zündete er sie an. "Zu Hilfe kamen ihm dabei seine Eltern. Der Grund: Die Familie des Täters
wollte verhindern, dass das Opfer Anzeige erstattet. Nun ist die junge
Frau an den Folgen ihrer schweren Verletzungen gestorben." (Welt-Online, 22.01.2013)
Diese Tragödie muss natürlich aufrütteln. Und es ist gut, dass die Medien berichten. Der beste Opferschutz ist allerdings, sich mit der Tätergenese zu befassen, ohne die Täter zu entschuldigen. Was sind das für Menschen/Eltern, die sofort bereit sind, einen Menschen anzuzünden, um ihren Sohn - den Täter - zu schützen? Sind das Eltern, die ihrem Sohn wirklich Liebe und Geborgenheit geben konnten? Die Antwort ergibt sich bereits aus ihrer Tat. Natürlich konnten sie dies nicht. Es müssen eiskalte Eltern ohne Mitgefühl gewesen sein, die vermutlich auch Gewalt gegen ihren Sohn ausgeübt haben. Der genannte Artikel enthält also bereits die Antwort auf die Frage, warum dieser Junge zum Täter werden konnte.
In der indischen Gesellschaft an sich ist Gewalt gegen Kinder sehr weit verbreitet. Dies wird allerdings kaum bis gar nicht erwähnt, wenn es darum geht, dortige Problemlagen, Konflikte und Gewaltverhältnisse zu analysieren.
Freitag, 21. Dezember 2012
Arbeitspapier über die Ursachen von Krieg.
Ich freue mich sehr, zum Ende diesen Jahres auf einen neuen Text von mir hinzuweisen, der als Arbeitspapier am Lehrstuhl für Internationale Politik der Universität zu Köln online und auch als Papier veröffentlich worden ist: Als Kind geliebte Menschen fangen keine Kriege an: Plädoyer für einen offenen Blick auf die Kindheitsursprünge von Kriegen.
Der Weg hin zu dieser Veröffentlichung ist interessant. Er begann mit meiner Kritik an dem Handbuch Kriegstheorien, in dem die Psychohistorie bzw. Zusammenhänge zwischen gewaltvollen Kindheiten und Krieg nicht besprochen wurden. Nachdem ich die beiden Herausgeber Thomas Jäger und Rasmus Beckmann angeschrieben hatte, bekam ich eine Einladung, doch einen Text zum Thema zu verfassen und einzureichen. Ich finde diese Reaktion auf meine Kritik wirklich eindrucksvoll. Eindrucksvoll, weil auf Kritik mit Entgegenkommen und Einladung reagiert wurde, weil ich kein Akademiker bin, sondern nur „Beinahe Akademiker“ und vor allem auch, weil die Erfahrung zeigt, dass auf das Thema häufig und in vielfältiger Weise mit Abwehr reagiert wird.
Mein Text fasst viele Dinge zusammen, die ich in den letzten Jahren hier im Blog besprochen habe. Wer zudem den (zentralen) Literaturangaben folgt und diese durcharbeitet, wird einen umfassenden Eindruck von dem gesamten Themenkomplex bekommen. Der Text ist somit auch eine Art Wegweiser hin zu ausführlicher Literatur.
Ich bin sehr gespannt, wie der Text aufgenommen wird und ob ich Rückmeldungen bekomme. Manch einer wird sicherlich das erste Mal durch die o.g. Veröffentlichung mit dieser Art von Ursachenverständnis von Krieg konfrontiert werden. Ich selbst bin derzeit etwas müde. Für mich ist dieses Papier kein Anfang, sondern ein Stück weit eher ein Ende. Drum herum kann man die Details ausbauen, man kann noch mehr Kindheiten von Diktatoren und Kriegsverbrechern untersuchen, noch mehr Zahlen sammeln usw., aber die Grundaussage bleibt die gleiche. Auch die Psyche der Menschen ändert sich nicht, der Einfluss von Gewalt gegen Kinder auf deren späteres Leben ändert sich nicht. Die psychischen Abläufe sind wie sie sind.
Für mich stellt sich am Ende diesen Jahres, nach der Veröffentlichung dieses Papiers und nach über 10 Jahren Beschäftigung mit dem Thema Kindesmisshandlung die Frage: Wie geht es weiter?
In der Tat habe ich noch etwas im Hinterkopf und in Planung für das kommende Jahr. Ich möchte noch die Kindheiten einiger NS-Verbrecher besprechen, Himmler, Goebbels, Hess u.a. Außerdem möchte ich noch einmal etwas dazu schreiben, warum Männer das gewalttätigere Geschlecht sind.
Wenn ich diese Texte geschrieben habe, dann plane ich, mich von dem Thema deutlich zurückzuziehen. Ich habe nicht vor, wie Alice Miller, Arno Gruen und andere dieses Thema mein Leben lang zu bearbeiten. Denn es gibt in der Tat viele andere Themen auf der Welt, die mit weit aus weniger emotionaler Anstrengung verbunden sind. Ich selbst finde, dass ich immer sicherer und immer informierter bzgl. des Themas geworden bin. Ich finde aber auch, dass ich persönlich wirklich sehr viel investiert habe in den letzten Jahren; zeitlich, emotional und teils auch finanziell. Um es deutlich zu sagen: Mir tut es gut, dies so getan zu haben. Fast 100.000 Besucher hatte dieser Blog bisher und ich denke, dass ich somit einiges bewegen und anregen konnte. Nach all den Jahren stehe ich heute allerdings an einem anderen Punkt. Mir und meiner Familie wird es gut tun, wenn ich mich ab jetzt aus dem Thema ein ganzes Stück zurückziehe. Keine Angst, der blog bleibt so erhalten, wie er ist. Die Kraft, die ich bisher aufgebracht habe, werde ich allerdings nicht mehr aufbringen. Mir wird es weiterhin gut tun, darum zu wissen, dass interessierte Menschen täglich durch diesen Blog über das bekannte Thema aufgeklärt werden können und darüberhinaus ab sofort auch noch durch ein wissenschaftliches Arbeitspapier an der UNI Köln.
Der Weg hin zu dieser Veröffentlichung ist interessant. Er begann mit meiner Kritik an dem Handbuch Kriegstheorien, in dem die Psychohistorie bzw. Zusammenhänge zwischen gewaltvollen Kindheiten und Krieg nicht besprochen wurden. Nachdem ich die beiden Herausgeber Thomas Jäger und Rasmus Beckmann angeschrieben hatte, bekam ich eine Einladung, doch einen Text zum Thema zu verfassen und einzureichen. Ich finde diese Reaktion auf meine Kritik wirklich eindrucksvoll. Eindrucksvoll, weil auf Kritik mit Entgegenkommen und Einladung reagiert wurde, weil ich kein Akademiker bin, sondern nur „Beinahe Akademiker“ und vor allem auch, weil die Erfahrung zeigt, dass auf das Thema häufig und in vielfältiger Weise mit Abwehr reagiert wird.
Mein Text fasst viele Dinge zusammen, die ich in den letzten Jahren hier im Blog besprochen habe. Wer zudem den (zentralen) Literaturangaben folgt und diese durcharbeitet, wird einen umfassenden Eindruck von dem gesamten Themenkomplex bekommen. Der Text ist somit auch eine Art Wegweiser hin zu ausführlicher Literatur.
Ich bin sehr gespannt, wie der Text aufgenommen wird und ob ich Rückmeldungen bekomme. Manch einer wird sicherlich das erste Mal durch die o.g. Veröffentlichung mit dieser Art von Ursachenverständnis von Krieg konfrontiert werden. Ich selbst bin derzeit etwas müde. Für mich ist dieses Papier kein Anfang, sondern ein Stück weit eher ein Ende. Drum herum kann man die Details ausbauen, man kann noch mehr Kindheiten von Diktatoren und Kriegsverbrechern untersuchen, noch mehr Zahlen sammeln usw., aber die Grundaussage bleibt die gleiche. Auch die Psyche der Menschen ändert sich nicht, der Einfluss von Gewalt gegen Kinder auf deren späteres Leben ändert sich nicht. Die psychischen Abläufe sind wie sie sind.
Für mich stellt sich am Ende diesen Jahres, nach der Veröffentlichung dieses Papiers und nach über 10 Jahren Beschäftigung mit dem Thema Kindesmisshandlung die Frage: Wie geht es weiter?
In der Tat habe ich noch etwas im Hinterkopf und in Planung für das kommende Jahr. Ich möchte noch die Kindheiten einiger NS-Verbrecher besprechen, Himmler, Goebbels, Hess u.a. Außerdem möchte ich noch einmal etwas dazu schreiben, warum Männer das gewalttätigere Geschlecht sind.
Wenn ich diese Texte geschrieben habe, dann plane ich, mich von dem Thema deutlich zurückzuziehen. Ich habe nicht vor, wie Alice Miller, Arno Gruen und andere dieses Thema mein Leben lang zu bearbeiten. Denn es gibt in der Tat viele andere Themen auf der Welt, die mit weit aus weniger emotionaler Anstrengung verbunden sind. Ich selbst finde, dass ich immer sicherer und immer informierter bzgl. des Themas geworden bin. Ich finde aber auch, dass ich persönlich wirklich sehr viel investiert habe in den letzten Jahren; zeitlich, emotional und teils auch finanziell. Um es deutlich zu sagen: Mir tut es gut, dies so getan zu haben. Fast 100.000 Besucher hatte dieser Blog bisher und ich denke, dass ich somit einiges bewegen und anregen konnte. Nach all den Jahren stehe ich heute allerdings an einem anderen Punkt. Mir und meiner Familie wird es gut tun, wenn ich mich ab jetzt aus dem Thema ein ganzes Stück zurückziehe. Keine Angst, der blog bleibt so erhalten, wie er ist. Die Kraft, die ich bisher aufgebracht habe, werde ich allerdings nicht mehr aufbringen. Mir wird es weiterhin gut tun, darum zu wissen, dass interessierte Menschen täglich durch diesen Blog über das bekannte Thema aufgeklärt werden können und darüberhinaus ab sofort auch noch durch ein wissenschaftliches Arbeitspapier an der UNI Köln.
Montag, 26. November 2012
Kindergesundheitsstudie: Die meisten Kinder fühlen sich glücklich.
Für eine repräsentative Studie ("Elefanten-Kindergesundheitsstudie 2011 - Große Ohren für kleine Leute") hat das PROSOZ-Institut für
Sozialforschung in Kooperation mit dem Deutschen Kinderschutzbund im Jahr 2011 fast
5.000 Kinder zwischen 7 und 9 Jahren befragt. Die Ergebnisse wurden kürzlich veröffentlicht. Für mich war vor allem folgender Teil von Interesse:
"Das subjektive, allgemeine Wohlbefinden der Kinder wurde anhand einer fünfstufigen Skala von 1=„sehr schlecht“ bis 5=„sehr gut“ abgefragt und ist, insgesamt betrachtet, gut (M=4,1). 79 % der Kinder geben an, sich meistens „gut“ oder „sehr gut“ zu fühlen, 86 % der Kinder sind „oft“ oder „sehr oft“ glücklich. Dennoch gibt es einen, wenn auch geringen, Anteil von Kindern (5 %), die sich meistens „schlecht“ oder sogar „sehr schlecht“ fühlen, 6 % der Kinder sind nach eigener Aussage „nie“ oder „selten“ glücklich. Es zeigt sich, dass die verschiedenen Angaben zum seelischen und körperlichen Wohlbefinden in engem Zusammenhang miteinander stehen: Kinder, die sich meistens gut fühlen, fühlen sich zudem eher ganz gesund (r=.39), sind häufiger glücklich (r=.29) und zeichnen sich durch ein höheres körperliches Wohlbefinden11 aus (r=.16)." /S. 27) Ergänzend noch das Mittelfeld: 16 % der Kinder fühlen sich meisten "mittelmäßig". 9 % fühlen sich "manchmal" glücklich.
3 % der Kinder fühlen sich durch Gewalterfahrungen "gestresst". Wobei hier nicht weiter ins Detail gegangen wurde und auch kein großes Augenmerk auf Gewalt bestand. Spezialisierte Gewaltstudien werden erfahrungsgemäß höhere Werte nachweisen.
Alles in allem zeigen diese ausgewählten Daten, dass es den meisten Kindern in Deutschland aktuell gut geht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die 5-6 % der Kinder, denen es besonders schlecht geht, zu Hause erheblichen Belastungen (vermutlich auch Misshandlungen und schweren Gewaltformen) ausgesetzt sein. Das Mittelfeld wird entsprechend ebenfalls belastet sein, wenn auch weniger, als die Kinder, denen es besonders schlecht geht.
Ergänzend siehe auch:
- "Geboren 2012 = weitgehend gewaltfreies Aufwachsen, zumindest in Deutschland"
- neue KFN-Gewaltstudie
"Das subjektive, allgemeine Wohlbefinden der Kinder wurde anhand einer fünfstufigen Skala von 1=„sehr schlecht“ bis 5=„sehr gut“ abgefragt und ist, insgesamt betrachtet, gut (M=4,1). 79 % der Kinder geben an, sich meistens „gut“ oder „sehr gut“ zu fühlen, 86 % der Kinder sind „oft“ oder „sehr oft“ glücklich. Dennoch gibt es einen, wenn auch geringen, Anteil von Kindern (5 %), die sich meistens „schlecht“ oder sogar „sehr schlecht“ fühlen, 6 % der Kinder sind nach eigener Aussage „nie“ oder „selten“ glücklich. Es zeigt sich, dass die verschiedenen Angaben zum seelischen und körperlichen Wohlbefinden in engem Zusammenhang miteinander stehen: Kinder, die sich meistens gut fühlen, fühlen sich zudem eher ganz gesund (r=.39), sind häufiger glücklich (r=.29) und zeichnen sich durch ein höheres körperliches Wohlbefinden11 aus (r=.16)." /S. 27) Ergänzend noch das Mittelfeld: 16 % der Kinder fühlen sich meisten "mittelmäßig". 9 % fühlen sich "manchmal" glücklich.
3 % der Kinder fühlen sich durch Gewalterfahrungen "gestresst". Wobei hier nicht weiter ins Detail gegangen wurde und auch kein großes Augenmerk auf Gewalt bestand. Spezialisierte Gewaltstudien werden erfahrungsgemäß höhere Werte nachweisen.
Alles in allem zeigen diese ausgewählten Daten, dass es den meisten Kindern in Deutschland aktuell gut geht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die 5-6 % der Kinder, denen es besonders schlecht geht, zu Hause erheblichen Belastungen (vermutlich auch Misshandlungen und schweren Gewaltformen) ausgesetzt sein. Das Mittelfeld wird entsprechend ebenfalls belastet sein, wenn auch weniger, als die Kinder, denen es besonders schlecht geht.
Ergänzend siehe auch:
- "Geboren 2012 = weitgehend gewaltfreies Aufwachsen, zumindest in Deutschland"
- neue KFN-Gewaltstudie
Donnerstag, 15. November 2012
Breivik. Als Kleinkind von der Mutter geschlagen.
Der norwegische Autor Aage Storm Borchgrevink hat wie bereits in einem Beitrag erwähnt ein Buch („En norsk tragedie“) veröffentlicht, dass Breiviks Leben und seine Kindheit nachzeichnet. Bisher ist das Buch leider nur in norwegischer Sprache erschienen, es wurde aber in den Medien besprochen. „The Telegraph“ (07.10.2012) schildert, dass Breiviks Mutter ihren Sohn bereits im Alter von vier Jahren „sexualisierte“ (vor allem in ihrer Sprache dem Kind gegenüber; Nachbarn berichteten allerdings auch, dass sie sexuelle Handlungen mitbekamen, obwohl die Kinder anwesend waren.). Außerdem schlug sie ihren kleinen Sohn und äußerte ihm vielfach gegenüber, dass sie seinen Tod wünsche. (Nebenbei bemerkt befassen sich vor allem englisch sprachige und norwegische Medien mit dem Buch von Borchgrevink und der Kindheit von Breivik. Hierzulande hat bisher nach meinem Wissen nur bild.de von dem Buch berichtet. Dies verwundert insofern wenig, da bisher nach meinen Recherchen Breiviks Kindheit in den deutschen Medien so gut wie keine Rolle gespielt hat. )
Die Info, dass Breivik auch körperliche Gewalt erfahren hat, ist für mich neu (obwohl ich dies von Anfang an vermutet habe). Laut dem Telegraph reagierte der vierjährige Breivik auf die Schläge mit der neckischen Bemerkung, dass ihm diese nicht weh täten. Dabei lächelte er. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Breivik schon in sehr frühen Jahren seine Gefühle und sein Schmerzempfinden abspalten musste.
Der Fall Breivik bestätigt in vielerlei Hinsicht meine hier oft geäußerten und auch belegten Gedanken und Thesen. Die Tat eines Menschen verrät bereits etwas über die Kindheit, die der Täter durchlitten hat. Je grausamer die Tat, desto grausamer die Kindheit. Klassisch für einen Massenmörder ist auch, dass er mehrere Formen von Gewalt erlebte (Vernachlässigung, sexuellen Missbrauch, psychische Gewalt und körperliche Gewalt + Trennung von einem Elternteil) und dass dies bereits ab der frühen Kindheit erlebt wurde.
Übrigens möchte ich noch auf etwas hinweisen, das für mich eigentlich selbstverständlich ist. Sich mit der Kindheit von Breivik zu befassen, bedeutet nicht, dass ich ihn aus seiner Verantwortung und Schuld entlasten möchte. Der erwachsene Mann und Täter Breivik ist ein gefährlicher und eiskalter Mensch, vor dem die Gesellschaft geschützt werden muss. Ich begrüße das Urteil gegen ihn, in dem klar gemacht wurde, dass man seine psychischen Auffälligkeiten sehr wohl wahrgenommen hat, ihn aber für voll zurechnungsfähig und schuldfähig hält. Nur das Kind, das dieser Mann einst war, verdient unser Mitgefühl. Seine Kindheit erklärt seinen Hass. Entschuldigen tut sie gar nichts.
- siehe ergänzend: Attentäter Breivik: Natural born Killer?
Die Info, dass Breivik auch körperliche Gewalt erfahren hat, ist für mich neu (obwohl ich dies von Anfang an vermutet habe). Laut dem Telegraph reagierte der vierjährige Breivik auf die Schläge mit der neckischen Bemerkung, dass ihm diese nicht weh täten. Dabei lächelte er. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Breivik schon in sehr frühen Jahren seine Gefühle und sein Schmerzempfinden abspalten musste.
Der Fall Breivik bestätigt in vielerlei Hinsicht meine hier oft geäußerten und auch belegten Gedanken und Thesen. Die Tat eines Menschen verrät bereits etwas über die Kindheit, die der Täter durchlitten hat. Je grausamer die Tat, desto grausamer die Kindheit. Klassisch für einen Massenmörder ist auch, dass er mehrere Formen von Gewalt erlebte (Vernachlässigung, sexuellen Missbrauch, psychische Gewalt und körperliche Gewalt + Trennung von einem Elternteil) und dass dies bereits ab der frühen Kindheit erlebt wurde.
Übrigens möchte ich noch auf etwas hinweisen, das für mich eigentlich selbstverständlich ist. Sich mit der Kindheit von Breivik zu befassen, bedeutet nicht, dass ich ihn aus seiner Verantwortung und Schuld entlasten möchte. Der erwachsene Mann und Täter Breivik ist ein gefährlicher und eiskalter Mensch, vor dem die Gesellschaft geschützt werden muss. Ich begrüße das Urteil gegen ihn, in dem klar gemacht wurde, dass man seine psychischen Auffälligkeiten sehr wohl wahrgenommen hat, ihn aber für voll zurechnungsfähig und schuldfähig hält. Nur das Kind, das dieser Mann einst war, verdient unser Mitgefühl. Seine Kindheit erklärt seinen Hass. Entschuldigen tut sie gar nichts.
- siehe ergänzend: Attentäter Breivik: Natural born Killer?
Freitag, 9. November 2012
Kindheit von Hermann Göring
Hermann Wilhelm Göring (ein führender NS-Täter) wurde am 12.01.1893 geboren.
Seine Mutter war für die Geburt extra aus der Karibik angereist, wo sich ihr
Mann und ihre weiteren Kinder aufhielten. Sechs Wochen nach der Geburt überließ
sie den Säugling einer Freundin (über deren Umgang mit dem Säugling man nichts
in der Quelle erfährt) und reiste zurück zu Mann und Kindern.
„In den folgenden drei ersten Jahren seines Lebens bekam Hermann weder sie noch seine Geschwister, noch seinen Vater zu Gesicht. Als die Eltern ihn nach der Rückkehr zu sich holten und die Mutter sich zum ersten Mal zu ihm hinabbeugte, schlug der Dreijährige ihr mit den kleinen Fäusten ins Gesicht. Es sei dies seine erste Kindheitserinnerung, erklärte Göring später im Gefängnis dem amerikanischen Gerichtspsychologen Gustave Gilbert.“ (Knopp 2007: 13) Knopp zitiert den erwachsenen Göring mit den Worten: „Das Grausamste, was einem Kind passieren kann, ist die Trennung von der Mutter in den ersten Lebensjahren.“ (ebd.)
„In den folgenden drei ersten Jahren seines Lebens bekam Hermann weder sie noch seine Geschwister, noch seinen Vater zu Gesicht. Als die Eltern ihn nach der Rückkehr zu sich holten und die Mutter sich zum ersten Mal zu ihm hinabbeugte, schlug der Dreijährige ihr mit den kleinen Fäusten ins Gesicht. Es sei dies seine erste Kindheitserinnerung, erklärte Göring später im Gefängnis dem amerikanischen Gerichtspsychologen Gustave Gilbert.“ (Knopp 2007: 13) Knopp zitiert den erwachsenen Göring mit den Worten: „Das Grausamste, was einem Kind passieren kann, ist die Trennung von der Mutter in den ersten Lebensjahren.“ (ebd.)
Hermann Göring wuchs ab seinem dritten Lebensjahr im Kreis von neun Geschwistern und Halbgeschwistern auf. Man kann sich vorstellen, dass bei einer solchen Geschwisterzahl nicht viel Zeit und Aufmerksamkeit für das einzelne Kind da war. Sein Vater war bei seiner Rückkehr nach Deutschland bereits 58 Jahre alt und nicht bei gutem Gesundheitszustand. Ab 1898 lebten die Görings in einer mittelalterlichen Burg, die ihnen von Hermanns Patenonkel Epenstein (reicher Sohn einer zum evangelischen Glauben konvertierten jüdischen Familie) kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. Das Ganze nicht ohne Hintergedanken.
„Mehr oder minder offiziell lebte Franziska Göring in den nächsten anderthalb Jahrzehnten als Geliebte Epensteins – unter stillschweigender Duldung ihres Ehemanns. Von dem tatkräftigen Kolonialbeamten, der Deutsch-Südwestafrika mit aufgebaut hatte, war wenig geblieben. Kränkelnd und vorzeitig gealtert, fand Hermanns Vater sich mit einem Schattendasein als gehörnter Ehemann an der Seite seiner jüngeren Gemahlin ab. Erst als die Liebe zwischen dem »Ritter« und dem »Burgfräulein« verebbte, kam es nach Zwistigkeiten zum schroffen Bruch. Im Streit mit dem einstigen Wohltäter verließ das Ehepaar Göring gemeinsam Burg Veldenstein und siedelte 1912 nach München über.“ (S. 18) Ein Jahr darauf starb Heinrich Göring – Hermanns Vater. Knopp schreibt, dass der kränkelnde Vater für Hermann kein Leitbild war, sondern der “prunksüchtige Lebemann Epenstein, der die ihm durch Reichtum verliehene Macht in vollen Zügen genoss“ und mit dem er bis zu dessen Tod 1934 im Kontakt blieb. (S. 18)
Hermann Göring wurde ab seinem elften Lebensjahr von seinem Vater auf ein Internat geschickt und somit erneut von seiner Familie getrennt (er verbrachte also insgesamt nur ca. acht Jahre bei seiner Familie!!), worauf er rebellisch reagierte. Nach einem Jahr mussten ihn die Eltern von der Schule nehmen und er wurde in einer Kadettenanstalt in Karlsruhe untergebracht. „Hier war er noch weiter von Veldenstein entfernt, die Erziehung noch strenger, aber es ging dabei militärisch zu. Ziel der Anstalt war, zukünftige Berufsoffiziere heranzubilden.“ (S. 19) Hermann scheint sich dort wohl gefühlt zu haben, denn er liebte alles Militärische, schreibt Knopp. „Robust und selbstbewusst, wie er war, scheinen ihn die üblichen Rohheiten des Kadettenlebens, mit denen ältere Schülerdie ihnen anvertrauten jüngeren »Schützlinge« abzurichten und nicht selten zu quälen pflegten, wenig angetan zu haben. Offenbar ohne Widerwillen ertrug er die strenge Schuldisziplin.“ (S. 20) Und in der Tat wurde Hermann zum Musterkadetten und später zum überzeugten Soldaten, der bei Kampfeinsätzen u.a. als Pilot und Fliegerass im Ersten Weltkrieg mitwirkte.
Ich teile Knopps Ansicht allerdings nicht, dass sich
Hermann als Kadett wohl fühlte. Für mich ergibt sich eher das Bild eines
Kindes/Jugendlichen, das/der gelernt hat, Schmerzen, Entbehrungen und
Demütigungen auszuhalten, zu funktionieren und entsprechende Gefühle
beiseitezuschieben (abzuspalten). Schon sechs Wochen nach seiner Geburt musste
er aushalten und drei Jahre auf seine Familie warten, die er dann mit
Aggressionen begrüßte. Hermann Göring wurde früh klar gemacht, dass er nichts
zählte, dass seine Bedürfnisse nicht zählten. Auch die merkwürdige (offene) Dreiecksbeziehung
seiner Eltern wird Spuren bei ihm hinterlassen haben. Für mich ergibt sich das
Bild einer Kindheit, die von Trennungen und Schmerzen geprägt war. Hermann
fantasierte sich – darüber berichtete auch Knopp - in eine Welt, die Macht, Heldentum
und Ritterlichkeit (auch unter Einfluss seines Patenonkels) zum Ideal hatte.
Über den alltäglichen Umgang der Eltern, ihren
Erziehungsstil, offener Gewalt als Disziplinierungsmaßnahme usw. erfährt man
nichts in der Quelle (und auch nicht im Internet). Aber: Wer etwas Fantasie hat
und sich einfühlen kann, wird an Hand o.g. Darstellungen schnell zu dem Schluss
kommen, dass Görings Eltern emotional kalte Personen waren. Was sind das für Eltern,
die ihr Neugeborenes drei Jahre bei einer Freundin unterbringen, obwohl sie
alle Möglichkeiten dazu hatten, das Kind bei sich aufzunehmen? Es sind grausame
Eltern, die sich nicht darum scheren, wie es dem Kind ergeht. Solche Eltern
sind nicht auf der einen Seite zu solchen Handlungen fähig und dann auf der
anderen Seite später herzlich und emotional zu ihren Kindern. Solche Eltern
werden auch im Erziehungsalltag die Bedürfnisse ihrer Kinder übersehen und
überhören, solche Eltern werden ihre Kälte auch im Alltag an allen möglichen
Stellen und in allen möglichen Situationen unter Beweis gestellt haben, von
denen wir nie etwas erfahren werden, weil es keine Zeugnisse davon gibt.
Verwendete Quelle:
Knopp, Guido (2007:): Göring. Eine Karriere.
Goldmann Verlag, München.
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