Samstag, 24. April 2010

Der Golfkrieg als emotionale Störung

Nachfolgende Gedanken und Textauszüge ergänzen das, was ich in den letzten Beiträgen in diesem Blog geschrieben habe. Diese Dinge sollten einer breiteren Öffentlichkeit vor Augen geführt werden, gerade auch, weil wir uns derzeit immer noch im Krieg befinden:

Ende des Jahres 1989 brach der sogenannte Ostblock endgültig zusammen. Die Welt atmete scheinbar auf, Freiheit für alle war das erreichbare Ziel.
Amerika fühlte sich allerdings nach dem Fall der Berliner Mauer schrecklich, sagt Lloyd deMause:
“ „Die Demokratie gewinnt“, schrieb The New York Times am 3. März 1990, „Das Wettrüsten ist vorbei. Die Schurken sind jetzt freundlich … der so lange begehrte Jackpot gehört jetzt Amerika. Warum also fühlt sich das nicht besser an?“ Überall tauchten Vorhersagen von Niederlagen, Konjunkturrückgang und dem Ende des amerikanischen Traums auf. Die Medien fragten sich, trotz der Tatsache des erreichten Weltfriedens und der expandierenden Wirtschaft Amerikas, warum die „Menschen unglaublich depressiv“ (The New York Times) wären. „In den vergangenen Monaten lag ein deutlicher Geruch von Zusammenbruch und Untergang über der Stadt“ (New York Post). Irgendeine Katastrophe ist im Kommen.“ (Washington Post). Ohne Feind von außen, in den man unsere Ängste projizieren hätte können, hatte Amerika nur eine Chance, die Gefühle der Depression loszuwerden: eine opferartige ökonomische Rezession herbeizuführen, die uns und unsere Familien für unseren Frieden und Wohlstand bestrafen würde. Ein Grund für die Wahl von Bush war sein oft wiederholtes Statement: „Wir müssen alle Opfer bringen.“ (deMause, 2005, S. 21)
In der Tat rutschte die amerikanische Wirtschaft 1990 in eine Rezession. “Es gab nur einen Weg, um keine längere ökonomische Rezession zur Heilung unserer nationalen Depression brauchen zu müssen: Man könnte einen Feind in Übersee erfinden, den man für unsere „Gier“ beschuldigen und dann bestrafen könnte, anstatt uns selbst zu sehr zu bestrafen.“ (ebd., S. 24)
DeMause zeigt in seinen weiteren Ausführungen, dass der zweite Golfkrieg zunächst mit medialen Bildern von Paranoia, Mord und sogar Selbstmord (unbewusst) vorbereitete wurde. Ihm fiel vor allem auch die häufige Darstellung von Kindern und Jugendlichen auf, die geopfert wurden. Kinder wurden in Magazinen und politischen Cartoons gezeigt, die erstochen, erschossen, stranguliert wurden, die auf einen elektrischen Stuhl gesetzt werden sollten und von Klippen gestoßen wurden. Diese Bilder waren derart vorherrschend, dass deMause vier Monate bevor der Irak in Kuwait einmarschierte einen Artikel veröffentlichte, in dem er eindringlich davor warnte, Amerika wäre auf dem Weg, ein neues militärisches Wagnis zu beginnen, um Menschen zu opfern.

„Wenn ein unter schweren Depressionen leidender Patient ohne Bezug zu konkreten Ereignissen in seinem jetztigen Leben eine psychiatrische Klinik aufsucht und erzählt, er hätte Selbstmordgedanken und Träume von Kindern, denen weh getan wird, vermutet der Kliniker die Diagnose eines posttraumatischen Stresssyndroms (PTSS). Das trifft vor allem dann zu, wenn – wie Amerika im Jahr 1990 – der Patient extreme Stimmungsschwankungen, häufige Panikattacken, übertriebe Zukunftsängste, manische Episoden von hektischen Geldausgaben und Kreditaufnahmen, Drogenmissbrauch, Gefühle des Realitätsverlustes und Trennung durchlebt hat. Da dies alles Symtome von PTSS sind, könnte eine der ersten Fragen des Pschiaters sein, ob der Patient Flashbacks von Kindheitstraumata erlebt hat, ob er insbesondere eindringliche Bilder von leid zufügenden Elternfiguren vor sich hat, speziell solche von grausamen oder vernachlässigenden Müttern. Sind diese Gruppenfantasien weit verbreitet – wie meistens im Vorfeld von Kriegen – ist das ein Hinweis auf eine Rückkehr zu frühen Traumata, ein Beweis dafür, dass die Nation eine Krise eines PTSS-Typs durchläuft, eine, gegen die man sich nur wehren kann, wenn man ihre Ängst Feinden aufbürdet.“ (ebd. S. 27)

DeMause zeigt nachvollziehbar und quellenbasiert auf, wie Amerika die Jahre zuvor Saddam Hussein aufgerüstet, aufgebaut und geradezu Saddams Überfall auf Kuwait (mit) provoziert hatte. (ebd., S. 29ff) Am 25. Juli als sich die Irak-Kuwait Krise zuspitzte und gar zu eskalieren drohte, kam die amerikanische Botschafterin April Glaspie nach Bagdad, um über die Krisenlage zu diskutieren. Die Iraker veröffentlichten später das Protokoll des Treffens. Zu Saddams Ankündigung, er werde evtl. Kuwait überfallen sagte sie: „Wir haben keine Meinung zu innerarabischen Konflikten, wie zu ihrem Konflikt mit Kuwait.“ (vgl. Kahn, 2005, S. 203) Dies kam einem Freibrief gleich. Auch Mansur Khan (2005) beschreibt ausführlich in seiner Doktorarbeit, wie die USA diesen Krieg provozierten und förderten. Er schreibt: „Über eine Warnung der US Regierung gegenüber dem Irak schrieben die Autoren Biswas und Murphy: „It is clear that some serious warnung to Iraq by the U.S. that an invasion of Kuwait would meet with U.S. military opposition would have deterred Hussein.“ Eine Regierung, die wirklich besorgt wäre, dass Saddam Hussein Kuwait überfallen würde, hätte wohl daher kaum darauf verzichtet, eine klare Warnung an den Irak und Saddam Hussein zu senden, da sie damit rechnen konnten, dass eine solche den Irak davon abschrecken würde, Kuwait anzugreifen. Eine solche gab es aber nicht, viel mehr könnte man ohne jegliche Übertreibung davon reden, dass die Bush Regierung statt dessen Saddam Hussein ermutigt hatte, Kuwait zu überfallen, was auch letztendlich der Fall war.“ (ebd., S. 191)

Dies sind nur einige Auszüge. Ich will und kann hier nicht alle Abläufe darstellen, dies haben auch andere schon sehr gründlich getan, wer mag kann im Internet dazu weiter recherchieren. Fest steht: Die USA wollten den Konflikt und Krieg mit dem Irak, sie wurden nicht in die Irak-Kuwait-Krise „hineingezogen“, sondern sie zogen die Fäden von Anfang an. Kahn meint, dass dies vor allem aus einem weltweiten Hegemoniestreben heraus geschah. Ich sehe dies anders.
Von Anfang an waren Kinder der emotionale Fokus des Golfkrieges. Mit Beginn des Golfkrieges verschwanden gleichzeitig die politischen Bilder in den Medien von schrecklichen amerikanischen Müttern und Kindesopfern, schreibt deMause. Dafür wurde jetzt Saddam Hussein zur „Schreckensmami“, dargestellt als Kindesmissbraucher, der gerne Kinder tötet. (deMause, 2005, S. 32ff)
Bush sprach öffentlich sogar von der „Vergewaltigung Kuwaits durch den Irak“. (vgl. Kahn, 2005, S. 227) „Aber die wahrscheinlich groteskeste Lüge, die die Bush Regierung produzierte, war eine Geschichte über irakische Greueltaten im besetzten Kuwait. Im Oktober 1990, bezeugte eine weinende Teenagerin in dem House Human Rights Caucus, daß sie Zeugin gewesen wäre, als irakische Soldaten fünfzehn Babys aus ihren Brutkästen holten, um sie dann auf dem Boden des Krankenhauses sterben zulassen. Später stellte sich im New York Times Op-Ed Teil (Januar 6, 1992) heraus dass, das Mädchen die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA war, und das ihre Geschichte frei erfunden war.“ (ebd. 228) Die gleiche Geschichte wiederholte sie am 27. November 1990 vor dem UN-Sicherheitsrat. Die Brutkästengeschichte half ungemein bei der Mobilisation für die US Militäraktion. Bush erwähnte die Geschichte, so Kahn, sechs mal in einem Monat und acht mal in 44 Tagen.
„Keiner von denen, die diese Aussage hörten“, schreibt deMause zu der Brutkästengeschichte, „und keiner von den Hunderten von Reportern, welche die Geschichte schluckten, dachten daran, irgendein Detail von ihr nachzugehen, da sie die unbewussten Fantasien der Nation bestätigte. (…) wie brauchten Geschichten vom Kindesmissbrauch. Wir waren dabei, unsere Kindheitstraumata wiederaufzuführen, so wie posttraumatische Stresspatienten häufig ihren Kindern oder sich selbst Leid zufügen, damit sie sich vorübergehend von ihrer inneren Not Erleichterung verschaffen können. Wir mussten daher unsere Fantasien von schrecklichen Mamis und leidenden Kindern objektivieren, um für den Eintritt in den Krieg vorbereitet zu sein.“ (deMause, 2005, S. 32f)

Parallel fühlte sich Amerika „wiederbelebt“ durch den Krieg, man hatte wieder einen Feind, „Gut“ und „Böse“ waren wieder klar getrennt. The New Republic schrieb: „Saddam Hussein tat der Welt mit der Invasion Kuwaits einen Gefallen“. „Danke, Saddam, Wir brauchen das.“ übertitelte ein anderer Reporter seine Kolumne über die irakische Invasion. (ebd., S. 32)
Im Golfkrieg flog die Airforce 43 Tage lang pausenlose Einsätze, bis die Armee zum Einsatz kam, aber schon vor deren Einsatz war der Krieg längst entschieden. In nur drei Wochen wurde mit einer Sprengkraft bombardiert, die alle Bombardments des 2. Weltkrieg übertraf, dabei wurden ca. 250.000 Irakis getötet (vgl. Kahn, 2005, S. 308) 70 % der abgeworfenen Bomben verfehlten ihre Ziele und trafen Zivilisten. (deMause, 2005, S. 35) DeMause zitiert Ramsey Clark und geht davon aus, dass allein in den 43 Tagen ca. 500.000 Kinder umkamen. (ebd. S. 37)
Auch in der Folge des Irakkrieges starben vor allem Zivilisten (je nach Schätzung zwischen 500.000 und 1.500.000), insbesondere starben Kinder, durch Bomben oder auf Grund mangelnder Ernährung und Epedemien, die USA hatte durch ihre Angriffe gerade auch Bewässerungskanäle und Lebensmittel erzeugende Anlagen zerstört und zudem ein wirksames Embargo verhängt. Das Bayrische Landesministerium für politische Bildung schreibt: „Seit 1991 sind nach Schätzungen internationaler humanitärer Organisationen rund 1,5 Millionen Iraker, darunter über 550 000 Kinder unter fünf Jahren, den Folgen dieser Wirtschaftssanktionen zum Opfer gefallen - durch Mangelernährung und unzureichende medizinische Versorgung. Das entspricht rund sieben Prozent der irakischen Bevölkerung.“ (http://www.km.bayern.de/blz/web/irak/golfkriege.html)
Das Embargo wird als das unerbittlichste und destruktivste in der Geschichte beschrieben, die Auswirkungen waren schlimmer als die des Krieges. „Das BIP (Bruttoinlandsprodukt) war 1993 auf fast das Niveau von 1960 abgesackt. Damit war fast ein Halbes Jahrhundert an ökonomischem Wachstum und Verbesserungen des Lebensstandards der irakischen Bevölkerung zu Nichte gemacht.“ (Kahn, 2005, S. 303f)

Die Stimmung in Amerika wurde durch das menschliche Blutbad allerdings wiedebelebt, so deMause. Die Popularitätswerte des Präsidenten stiegen auf 91 Prozent, die höchsten, die ein amerikanischer Machthaber jemals hatte. Die Börsenwerte schnellten in die Höhe. Leitartikel im ganzen Land gratulierten dem Präsidenten zu seinem „Sieg über das Böse“. Wir alle erinnern uns an die Bilder von heimkehrenden US-Truppen, die von Menschenmassen und Blumen empfangen und bejubelt wurden. Die Truppen hatten ihren Soll erfüllt. Bush ließ Saddam an der Macht, er ahnte offensichtlich, dass Amerika später einen zuverlässigen Feind brauchen würde. Im März 2003 begann die erneute Invasion im Irak, diesmal durch George W. Bush Junior... Laut einer Studie starben seit Beginn der militärischen Intervention im März 2003 bis zum Juli 2006 mehr als 600.000 Iraker durch direkte Gewalteinwirkung wie Bomben und Schüsse, weitere 50.000 kamen durch andere, kriegsbedingte Missstände wie Wassermangel, fehlende Elektrizität und Seuchen ums Leben. (http://www.zeit.de/online/2006/41/irak-opfer-studie, siehe auch http://www.sueddeutsche.de/politik/205/362027/text/) Ein andere Studie kommt zu dem Schluss, dass zwischen März 2003 und Juni 2006 zwischen 104.000 und 223.000 Iraker ums Leben kamen. (http://www.sueddeutsche.de/politik/704/429457/text/) Wieviele Opfer der bürgerkriegsähnlichen Zustände oder durch US-Soldaten wurden, ist den Berichten nicht zu entnehmen. Dass US-Soldaten häufig Zivilisten töten, ist u.a. einem Bericht im Focus zu entnehmen: Viele ehemalige Soldaten berichten über den Krieg im Irak. "Dutzende der Interviewten wurden Zeugen, wie ihre Kameraden irakische Zivilisten niederschossen, darunter auch Kinder (...) sie beschreiben die Gräueltaten als alltäglich – nur werden die Vorfälle in der Regel nicht gemeldet und werden auch fast nie bestraft. (...) Veteranen beschreiben in „The Nation“, dass US-Soldaten rücksichtslos um sich feuern, sobald sie das Militärgelände verlassen. Einige schossen demnach Löcher in Benzinkanister, die am Wegesrand verkauft werden, um dann Granaten in die Benzinpfützen zu werfen. Andere eröffnen das Feuer auf Kinder – unter den Augen der Iraker." (http://www.focus.de/politik/ausland/tid-6860/irak-krieg_aid_66751.html)
Deutliche Ergebnisse zeigt eine Studie amerikanischer und irakischer Gesundheitsexperten, die die Fachzeitschrift der britischen Ärzte, „The Lancet“, veröffentlichte. Demnach seien seit März 2003 bis Ende 2004 schätzungsweise 100.000 Zivilisten umgekommen sind. Die meisten Opfer seien Frauen und Kinder. Sie seien vor allem bei Luftangriffen der Amerikaner und ihrer Verbündeten umgekommen, erklärt das Team der Wissenschaftler unter der Leitung von Les Roberts von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public. (http://www.tagesspiegel.de/politik/studie-100000-tote-durch-irakkrieg/558630.html)

Es scheint in der Tat so zu sein, dass das Elend der Menschen, dass tote Kinder und eine Reduzierung von Wirtschaftskraft die eigentlichen Ergebnisse und zugleich Ziele von Kriegen sind. Wir müssen anfangen, uns mehr mit diesen Dingen auseinanderzusetzen und die „emotionalen Störungen“ der Nationen zu bearbeiten.

Der Teil aus „Das emotionale Leben der Nationen“ über den Golfkrieg ist komplett in englisch (Chapter 2--"The Gulf War as a Mental Disorder") unter http://www.psychohistory.com/htm/eln02_gulf.html zu lesen. Für alle, die obige Dinge ausführlich nachlesen möchten.



Verwendete Quellen:

deMause, L.2005: Das emotionale Leben der Nationen. Drava Verlag, Klagenfurt/Celovec.

Khan, M. 2005: Der zweite Golfkrieg (1990-1991): Verteidigung des Völkerrechts oder hegemoniales Bestreben? Eine Kriegsursachenforschung. Dissertation am Fachbereich der Politikwissenschaften der Universität Kassel. (https://kobra.bibliothek.uni-kassel.de/bitstream/urn:nbn:de:hebis:34-2006051211576/1/Mansur_Diss1.pdf)

Freitag, 23. April 2010

Alice Miller ist gestorben

Die Kindheitsforscherin Alice Miller starb am 12. April im Alter von 87 Jahren, wie der Suhrkamp Verlag erst kürzlich mitteilte. Ihre Bücher sind Bestseller und wurden in 30 Sprachen übersetzt.

Der Tod von Alice Miller wird - so glaube ich - allerdings nicht das bewirken, was sie sich seit Jahrzehnten wünscht: Ein umfassendes gesellschaftliches Bewusstsein dafür, dass das, was Kindern jeden Tag millionenfach an Leid (vor allem durch ihre Eltern) zugefügt wird, sich in deren späteren Leben enorm destruktiv auswirkt und vor allem auch auf der gesellschaftlichen, politischen Bühne wiederaufgeführt wird, in Form von Krieg, Terror, politischen Konflikten usw. usf.

Die Medien hätten jetzt die Chance, das Wissen, was Miller hinterlässt, umfassend aufzubereiten, es zu diskutieren und es zu verbreiten. Gerade in der heutigen Zeit, wo Krieg durch westliche Länder wieder auflebt, sollte dies Thema sein. Ich bin nicht sicher, ob die Medienschaffenden den Mut und den Willen, vielleicht mehr noch die Emphatie dazu haben werden. Wir werden sehen.

Donnerstag, 22. April 2010

Hat Angela Merkel Angst vor imaginären Feinden?

In ihrer heutigen Regierungserklärung zitierte Angela Merkel den früheren SPD-Verteidigungsminister Peter Struck: „Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt". Sie habe bisher keine treffendere Zusammenfassung gehört, als diesen Satz, sagte sie. "Dieses Mandat ist über jeden vernünftigen völkerrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben." (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,690503,00.html)
und die Soldaten in Afghanistan lebten in ständiger Angst um ihr Leben, "damit wir in Deutschland nicht in Angst leben müssen". (http://www.angela-merkel.de/page/102_457.htm) dies war der Schlusssatz ihrer Rede, dem sie offenbar eine besondere Bedeutung beimessen wollte.

Warum hat unsere Staatschefin Angst vor Menschen, die auf der anderen Seite der Welt leben und i.d.R. sicherlich nicht mal wissen, wo Deutschland überhaupt liegt? Nun, nachdem deutsche Truppen vor Ort sind, wissen es jetzt vielleicht ein paar Leute mehr. Angst vor einem imaginären Feind… das macht mich sehr nachdenklich, dies von Frau Merkel zu hören.

Gestern erschien in der ZEIT-Online auch ein Artikel über einen traumatisierten, deutschen Soldat.
„In Afghanistan überlebte er 2002 knapp die Explosion einer Rakete, als eine Entschärfung durch Sprengmeister misslang. Fünf Kameraden, drei Dänen und zwei Deutsche, zerfetzte die Detonation. In seinen Flashbacks, den Tagalpträumen, sieht Robert Sedlatzek-Müller immer wieder die Bilder vom Explosionsort bei Kabul. (…) Verwandte und Freunde wussten nichts von Razzien in Dörfern oder Hausdurchsuchungen, um Taliban zu finden. Was Sedlatzek-Müller und andere Elitesoldaten in Afghanistan machten, ahnte in Deutschland kaum einer. Brunnen bohren, Mädchenschulen aufbauen, das verbanden seine Bekannten mit der Mission am Hindukusch.“ (http://www.zeit.de/politik/deutschland/2010-04/Veteranen_traumatisiert)

Es ist nur ein Nebensatz in diesem Artikel, „Razzien in Dörfern oder Hausdurchsuchungen, um Taliban zu finden“. Mal ehrlich, das Bild in der Öffentlichkeit von den deutschen Soldaten ist doch ein anderes. Razzien übernehmen die Amerikaner (mir all ihren schrecklichen „Nebenwirkungen“ und „Kollateralschäden“), wir Deutschen unterstützen den zivilen Aufbau, ist doch klar. Der oben zitierte Soldat spricht über das, was er in Afghanistan machte. Auch Deutsche verbreiten also Schrecken und Terror in afghanischen Dörfern. Woran erkennt man denn einen Taliban, wenn man nachts ein Haus einer Familie in irgendeinem verarmten Dorf durchsucht, Frau Merkel? Haben sie wirklich Angst vor afghanischen Familien, denken sie, dass diese die Mittel haben, in Deutschland ihren geliebten Bundestag oder andere Einrichtungen anzugreifen? Und wenn es 1-2 Terroristen aus diesem Land wirklich gelingen würde, dies zu tun, wollen sie dann die Truppen in Afghanistan aufstocken, um Rache zu nehmen? Und woran erkennen sie dann, dass ihre Rache die „Richtigen“ trifft?

Gregor Gysi warnte in der Diskussion vor einem Fiasko. "Man kann mittels Krieg Terrorismus nicht bekämpfen, man erzeugt nur neuen." und nachdem Gysi auf die mangelhafte psychologische Unterstützung von SoldatInnen hinwies rief Dr. Martin Lindner (FDP) ihm zu: "Sie brauchen auch einen (Psychiater)!" "Sie können mich ruhig als geistig gestört betrachten, aber das sagt etwas über Ihr Niveau, nicht über mein Niveau.", antwortete Gysi. (http://www.linksfraktion.de/rede.php?artikel=1310122181)
Als verrückt gilt der, der gegen Krieg ist, das durchzieht den Lauf der Geschichte und dies sagt in der Tat viel über die emotionalen Zustände in der Welt aus. Glücklicherweise werden die Menschen Stück für Stück immer emphatischer, eben weil sich die Emphatie gegenüber Kindern weiterentwickelt. Deutschland wird es irgendwann schaffen, sich auch ohne Krieg und militärische Aufrüstung sicher und ohne Angst zu fühlen, da bin ich sicher.

Gysi berichtet u.a. auch folgende Erfolgsstory des Krieges: "Die UNO berichtete, dass nach fast neun Jahren Krieg neben einigen Fortschritten Folgendes festzustellen ist: Die Zahl der Menschen, die in Afghanistan in Armut lebt, ist von 33 auf 42 Prozent gestiegen. Unterernährt sind nicht mehr 30 Prozent, sondern 39 Prozent der Afghaninnen und Afghanen. Zugang zu sanitären Einrichtungen haben nicht mehr 12 Prozent der Bevölkerung, sondern nur noch 5,2 Prozent der Bevölkerung. In Slums leben nicht mehr 2,4 Millionen, sondern 4,5 Millionen Menschen. All das belegen die Zahlen der UNO. Von den Jugendlichen sind nicht mehr nur 26 Prozent, sondern 47 Prozent arbeitslos. Mohnfelder zur Gewinnung von Rauschgift umfassen nicht mehr 131000, sondern 193000 Hektar."

Frau Merkel sollte sich übrigens mal u.a. anhören, was aktuell Daniel Ellsberg zum Afghanistan Krieg zu sagen hat. Ellsberg hatte während des Vietnam Krieges geheime Dokumente veröffentlicht, die mit dazu beitrugen, dass dieser Krieg beendet wurde. "Das beste Instrument unserer Feinde, neue Kämpfer zu rekrutieren," sei damals wie heute "die Präsenz ausländischer Truppen", sagte Ellsberg mahnend.(http://www.jungewelt.de/2010/04-01/036.php) Auch damals brachten Truppenaufstockungen immer mehr Gewalt und keine Lösung.

Mittwoch, 21. April 2010

Irakkrieg: Das Märchen vom Krieg ums Öl

„Kein Blut für Öl!“ war der Slogan, der im zweiten Golfkrieg 1990/1991 galt und der auch nach dem dritten Golfkrieg ab 2003 oft zu hören war. Die USA führten in Wahrheit Krieg gegen den Irak – so wird behauptet - , weil es im Grunde um Öl ginge. Die Benennung von zweckrationalen, ökonomischen Beweggründen für den Krieg erfreuen sich weiter Verbreitung.

Wenn es um ökonomische Gesichtspunkte geht, muss man sich zu allererst die Zahlen anschauen:
Im Jahr 2003 – dem Jahr, in dem der Krieg begann – importierte die USA insgesamt ca. 4.476.501.000 Barrel Rohöl und Ölprodukte. Nur 175.663.000 Barrel kamen dabei aus dem Irak, was einem Anteil von 3,92 % ausmacht. (http://www.eia.doe.gov/; eigene Berechnung auf Grundlage der vorliegenden Daten) Bezieht man mit ein, dass die USA 2003 auch 2.073.454.000 Barrel selbst förderten und herstellten, dann macht der Anteil der Importe aus dem Irak gegenüber der Gesamtmenge, die der USA zur Verfügung standen, gerade einmal 2,68 % aus.
Ab 2003 war der Irak von den Truppen der „Koalition der Willigen“ besetzt, Saddam wurde gestürzt. Doch was geschah in der Folge mit den Ölimporten? Folgt man der These vom Ölkrieg, müsste doch eine Ausbeutung der Ölfelder seitens der USA einsetzen. Schaut man sich die Importe zwischen 2004 und 2009 an, dann hält sich der Anteil an der Gesamtimportmenge allerdings wacker um die 4 % (wie im Jahr 2003). In den Vorjahren zwischen 1999 und 2001 lagen die Importe in absoluten Zahlen (Im Mittelwert um die 260.000.000 Barrel ) sogar etwas höher als in den Jahren nach dem Krieg. Der Irak ist und war was das ÖL angeht für die USA offensichtlich von geringerer Bedeutung.
In einem Artikel in der Zeitschrift „Internationale Politik“ vom März 2003 (http://www.dgap.org/fi/europa/transatlantische_beziehungen/publikationen/view/d2f8c9f8ceb211daa2e819156dc160fb60fb.html) wurde darauf hingewiesen, dass weltweit etwa 77,4 Millionen Barrel Rohöl pro Tag (B/T) produziert werden, davon produziert der Irak etwa 2,0 (also ca. 2,58 %) Millionen B/T. Auch diese Zahl zeigt, dass die Ölproduktion des Irak nicht eine dominierende Rolle spielt und ein Ausfall der Rohöllieferungen keine Bedrohung der Weltwirtschaft darstellen würde. Es ist ganz im Gegenteil vielmehr so, dass die ökonomische Abhängigkeit des Iraks vom Ölexport um ein Vielfaches höher ist, als die des Westens von Ölimporten aus diesem Land. Die wichtigsten Exportgüter des Iraks sind Erdöl und Erdgas. Mehr als 90 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus deren Ausfuhr. (http://www.wp-irak.de/index.php/wirtschaft/export) Ein Ausfuhrstopp hat fatale Folgen für den Irak, was das frühere Embargo zeigte.
Wenn der Irak 2 Mio Barrel pro Tag produziert, dann sind das im Jahr 730 Mio Barrel. Davon gingen in den letzten Jahren ca. 200 Mio Barrel pro Jahr an die USA, was einen Anteil von ca 27 % des irakischen Rohöls ausmacht. Wer ist hier also von wem abhängig?


Man kann über die USA viel sagen und schreiben, das Land ist allerdings faktisch eine Demokratie und wir leben nicht mehr im Mittelalter. Es ist klar, dass ein „Raubbeutefeldzug“ durch die USA nicht möglich wäre. Man stelle sich das Szenario vor: Die USA besetzten unter einem Vorwand den Irak, erbeuten alle Ölfelder, steigern die Produktion und liefern das Öl prompt und ohne dafür zu bezahlen als „Kriegsgewinn“ in ihr Heimatland… Dies entspricht nicht der heutigen Realität. Ein Artikel in der ZEIT-Online zeigt, wie aktuell die Regeln des Marktes gelten, wenn es um Öl im Irak geht. Bei der Versteigerung von Ausbeutungsrechten hatten die Chinesen die Nase vorn, einfach weil sie das bessere Angebot machten. „Die irakische Regierung kann es sich derzeit gar nicht leisten, die Alliierten bei Ölverträgen zu bevorzugen. Die Stimmung in der Bevölkerung ist zu antiamerikanisch.“, schreibt die ZEIT. (http://www.zeit.de/2010/12/Irak-China-USA)
Das Öl scheint also auf Grund der Faktenlage im Grunde nicht eine entscheidende Rolle in dem Konflikt zu spielen. Der Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz hat die Kosten des Irakkriegs hochgerechnet und ist auf eine Summe von 3 Billionen US-Dollar gekommen. (http://www.zeit.de/online/2008/09/stiglitz-irakkrieg-kosten?page=1) Der Ökonom stellt auch fest, dass der Irakkrieg die Ökonomie der USA eher verlangsamen werde.
Warum „investieren“ die USA 3 Billionen Dollar (Mit dieser Summe könnte man z.B. auf einen Schlag die gesamte Staatsverschuldung Deutschlands tilgen und hätte dann immer noch richtig viel Geld übrig) in einen Krieg, der ihnen keine Rendite einbringt, der die eigene Wirtschaft schwächt und das Ansehen der USA in der Welt schwer beschädigt hat (was ggf. auch wirtschaftlich negative Effekte nach sich ziehen könnte)? Diese Frage sollen mir mal all die vielen KriegsursachenforschrInnen und JournalistInnen beantworten, die Krieg als eine zweckrationale, ökonomische Handlung deuten.

Wissenschaftler skizzieren erstmals in einem detaillierten Konzept namens "Solar Grand Plan", wie die USA bis 2050 mit Solarstrom versorgt werden kann - der Bau von Mega-Sonnenkraftwerken sei keineswegs unrealistisch, schreibt SPIEGEL-Online. Dafür müssten große Landflächen mit Solarmodulen und thermischen Parabolrinnenanlagen überdeckt und eine Haupttrasse für den Transport von Gleichstrom errichtet werden. Die nötige Technologie gibt es, und sie ist anwendungsreif. Mit dem Konzept ließe sich im Jahr 2050 rund 70 Prozent des Strombedarfs und 35 Prozent des Gesamtenergiebedarfs einschließlich Transport- und Verkehrswesen der USA aus Solarenergie erzeugen. Um das bis 2050 zu realisieren, müsste die Regierung in den kommenden 40 Jahren 420 Milliarden US-Dollar investieren. (http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,539315,00.html) Diese Summe stellt nur einen Bruchteil der Irakkriegskosten dar. Die USA hätten ihre Unabhängigkeit vom Öl rasant ausbauen können, wenn sie logisch gehandelt hätte.

Ich selbst glaube, dass man die Dinge so sehen muss, wie sie sind. Der Irakkrieg macht rational und erst recht ökonomisch keinen Sinn. Seine tieferen Gründe müssen also emotionaler Natur sein.

siehe ergänzend: 

- Irakkrieg: Das Märchen vom Krieg ums Öl- Teil 2

- Der Golfkrieg als emotionale Störung

Freitag, 9. April 2010

Afghanistan-Krieg. Das Märchen von den ökonomischen Ursachen

Mein aktueller Beitrag zum Töten von Zivilisten hat mich noch mal motiviert, etwas zum Afghanistan-Krieg zu schreiben.

Die Nato hat selbsterklärt militärisch in Afghanistan interveniert, weil al-Qaida von dort aus die Attentate des 11. September plante. Dieser offizielle Kriegsgrund ist derart absurd und geradezu peinlich, dass es erstaunlich ist, wie offen er genannt wurde. Um es mal überspitzt zu formulieren: Die Nato hätte sich dann ja auch in Hamburg-Harburg - einem sozialen Brennpunkt - etwas in die Stadtteilpolitik einmischen müssen – Bomben über Harburg wären gegenüber einem Verbündeten ja nicht angemessen - , wohnte und plante doch der Attentäter Mohammed Atta von dort aus… Realistischer: Die Welt ist ziemlich groß, überall gibt es Orte, wo kaum Kontrolle und Demokratie herrscht. Al-Qaida wird den Terror planen und durchführen, wenn nicht aus Afghanistan, dann halt aus einem anderen Ort heraus (derzeit wohl vor allem aus Pakistan). Einen souveränen Staat - mit derzeit 100.000 Soldaten -zu besetzen, weil eine relativ kleine Gruppe (aktuell wurde vom US Geheimdienst geschätzt, dass derzeit noch ca. 100 al-Qaida Kämpfer in Afghanistan sind, abcnews) aus diesem heraus Terror plante, das kann man sich gar nicht ausdenken, so etwas passiert nur in der Realität. Wohlgemerkt: Al-Qaida verfügt ja nicht über Langstreckenraketen oder ähnliches, mit denen die USA aus Afghanistan beschossen wurde. Sie bauten dort auch keine Armee auf, mit der sie die USA besetzen wollten. (beides hätte allerdings auch keine unmittelbare Gefahr für die USA dargestellt, liegt Afghanistan doch am anderen Ende der Welt) Rein die Planung und Organisation fand dort statt (wird uns zumindest gesagt). Selbst die Ausbildung für die Terroranschläge vom 11. September fand ja im Grunde in westlichen Ländern statt, in Form von Pilotenlehrgängen… Vergessen wir das also mit al-Qaida als Kriegsgrund, dummes Zeug.

Die meisten Diskussionen sind davon bestimmt und viele würden wohl der These zustimmen, dass die „geheimen“ Ursachen des Afghanistan Krieges militärstrategischer und mehr noch wirtschaftlicher Natur sind. Es ginge um Ressourcen und Märkte, vor allem um Pipelines, Öl und Erdgas. Auf Grund der geographischen Lage sei es vor allem für die USA zudem wichtig, militärisch vor Ort präsent zu sein. Manch einer schreibt gar, es ginge um die Sicherung des Opium-Anbaus, weil West-Menschen ja gerne mal was nehmen…?! Das klingt grundsätzlich erst mal logisch, also die ersten beiden Punkte. Geld verdienen wollen ist ja auch nichts Schlechtes.

Grundinfo: Das Pentagon bezifferte die Ausgaben speziell zum Afghanistan-Einsatz der US-Armee auf 78,1 Milliarden Dollar – für sechs Jahre Krieg seit 2001. (vgl. stern.de, 12.10.2007, Einsatzkosten Afghanistan "Dingos, Drohnen und Auslandszulagen") – Stand 2007.
Im US-amerikanischen Etat für das Jahr 2010 sind schon alleine 65 Milliarden Dollar für Afghanistan eingeplant, im Etatjahr 2009 waren es 47 Milliarden Dollar für den Afghanistankrieg. (diepresse.com,08.05.2009, „US-Militärkosten: Afghanistan erstmals teurer als Irak“)
(Und Deutschland wird für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr alleine im Jahr 2010 voraussichtlich 785 Millionen Euro ausgeben. (DIE ZEIT, 25.11.2009, „Kosten für Afghanistan-Einsatz steigen enorm an“) )

Ich gehe an solche Sachen mit einem ganz einfachen Gedanken heran. 78,1 Milliarden für 2001-2007, 2008 habe ich nicht gefunden, schätze also mal auf Grund der Zahl 2009 auf ca. 30 Milliarden, plus 2009 47 Mrd. + 2010 65 Mrd. = 220 Milliarden US Dollar für den Krieg. Dazu kommen die Milliarden der amerikanischen Verbündeten.
Das afghanische Pro-Kopf Bruttoinlandsprodukt (Stand 2008) beträgt 758 US-Dollar, zudem ist das Land für seine Korruptionsstruktur bekannt.

Wenn ich US-Präsident wäre, der mit allen möglichen Leuten aus der Ölindustrie verbandelt ist usw., wenn ich Hunger nach Geld hätte und zudem ein wenig kriminelle Energie, ich würde ein paar Milliarden nehmen (aber nicht annähernd 220 Mrd.) und die wichtigen Leute in Afghanistan „schmieren“ …äh beschenken. Man, mit so viel Geld könnte ich jeden Warlord kaufen und meinen Freund nennen. (Schmiergeldzahlungen im Ausland waren bis vor gar nicht all zu langer Zeit zumindest in Deutschland sogar steuerlich absetzbar. Könnte man ohne diese doch in vielen Ländern nicht wirtschaftlich aktiv sein...) Und dann würde ich Handel treiben, Pipelines bauen usw. Ich würde viel Geld verdienen, die Afghanen würden viel Geld verdienen, wir hätten keinen Krieg, keiner meiner Leute müsste sterben, wenn mir jemand mit meiner Pipeline Probleme macht, rufe ich meine Freunde die Warlords an, meine nächste Wiederwahl wäre nicht bedroht, weil ich mein Land durch einen Krieg ruiniere, alles wäre ganz toll. Zu Hause würde ich Dollarnoten rauchen und mit den Ölbossen essen gehen.
Afghanistan hat ca. 25 Millionen Einwohner. Wenn ich denn unbedingt 220 Mrd. ausgeben möchte, hätte ich natürlich auch jeden einzelnen Afghanen mit 8.800 US-Dollar beschenken können. Das entspräche dem 11-12fachen Pro-Kopf Bruttoinlandsprodukt. Ich glaube, dann hätte ich 25 Millionen Freunde.

Aber was machte George W. Bush und was führt Obama fort? Sie führen Krieg, töten Menschen, verbreiten Chaos und Schrecken, bomben das Land in die Steinzeit, ruinieren ihren demokratischen Ruf und ihre Wirtschaft, schaffen einen Konfliktherd in Afghanistan, wie er vor der Invasion nicht bestand und sie werden so wohl nie Geld mit Öl vor Ort machen, weil jetzt alles noch viel unsicherer ist und sein wird. Die beteiligten westlichen Länder sind aktuell auf dem besten Wege, sich 25 Millionen Feinde zu machen. Sehr schlechte Voraussetzungen für wirtschaftlichen Erfolg....

Meine Gedanken scheinen sehr simpel, vielleicht ist dies dem ein oder anderen zu naiv, drum herum mag es noch viel dafür oder dagegen zu sagen geben. Der Kern des Ganzen, das Offensichtliche scheint mir allerdings wirklich simpel. Der Einsatz macht rational einfach keinen Sinn, seine tieferen Ursachen müssen also emotionaler Natur sein!

Man könnte jetzt auf den Gedanken kommen, dass die politischen Entscheidungsträger einfach dumm sind, wenn sie dergleichen destruktive, undurchdachte Feldzüge starten, die ihnen ein großes Minus einbringen. Das glaube ich allerdings nicht. Diese Leute sind relativ intelligent. Doch wenn es um Krieg geht, schaltet der Verstand offensichtlich ab. Auch die amerikanischen Soldaten, die ein Dutzend Zivilisten töteten (siehe vorherigen Beitrag), obwohl diese offensichtlich keine Gefahr waren, dachten nicht nach. Sie wollten einfach töten, Punkt. Genauso scheint es auch im Großen zu sein. Die PolitikerInnen wollen Afghanen töten, sie brauchen ein Feindbild, deshalb sind die Truppen vor Ort. Und die PolikerInnen werden dabei eifrig vom Volk gestützt, aus dem die SoldatenInnen und WählerInnen stammen.
Niemand würde dies in eine Kamera sagen, die meisten denken wohl wirklich, sie handeln, um Mädchenschulen in Afghanistan zu gründen und freie Wahlen zu ermöglichen. Der Wunsch zu töten und einen Feind zu haben ist sicherlich auch innerlich sehr verdeckt, aber er ist da. Ich glaube den PolitikernInnen sogar ein wenig, dass sie erschüttert sind, wenn Zivilisten starben. Wer schon mal mit psychisch Kranken zu tun hatte, wird es vielleicht kennen. Diese Menschen laufen immer wieder in die gleiche Sackgasse, treten in die gleichen Fettnäpfchen, immer und immer wieder. Sie suchen sich wieder einen Partner, der sie schlägt, sie bringen sich wieder in Situationen, die ihr Leben in einen Alptraum verwandeln, Glück wird unmöglich, weil sie wirklich alles tun, damit ihr Leben eine Katastrophe wird. Trotzdem leiden sie darunter, wollen es anders, können rational Ziele formulieren, wie es anders gehen könnte, schaffen es aber nicht ohne fremde Hilfe und Therapie. Auch Kriege sind Wünsche, sie sind gewollt, trotzdem der Verstand immer wieder sagt: "Nein, das wollen wir nicht." Trotzdem tun wir alles, um in einen Krieg zu geraten. Warum dies so ist, das ist Thema dieses Blogs.

Ich verweise an dieser Stelle auf einige Beiträge:

„Lösungen für Afghanistan“
„Die Irrationalität des Krieges“
Oder ergänzend auch „Nahostkonflikt: Krieg in Gaza – eine Ursachensuche“
"Kindheit von George W. Bush"
"Barack Obama, Friedensnobelpreis & imaginäre Feinde"

Innerer Tod und das Töten. Oder: Wie US-Soldaten Zivilisten umbringen

Ein Dutzend Zivilisten starben am 12. Juli 2007 im Feuer zweier Apache-Helikopter der Amerikaner, unter den Opfern waren zwei Reporter von Reuters, auch zwei Kinder wurden bei dem Angriff verletzt. Die Reporter hatten Kameras bei sich, die von den Amerikanern für Raketenwerfer gehalten wurden. Die US-Armee vertuschte den Vorfall. Schockierende Bilder - die diesen Montag veröffentlich wurden - werden in einem Video unter http://www.collateralmurder.com/ gezeigt.

Die Soldaten eröffnen das Feuer (einer von Ihnen trägt den Codenamen "Crazyhorse"). Die meisten der Gruppe sind sofort tot. „Alles klar, hahaha, ich hab ihn erwischt“, sagte der Schütze, nachdem er einen Flüchtigen erschossen hatte. „Da unten kriecht noch einer, wir schießen nochmal“
"oh ja, Schau diese toten Bastarde", ist einer der US-Soldaten zu hören. "Hübsch", antwortet ein anderer. "Gut geschossen." „Danke“ kommt als Antwort.

Ein Mann kriecht verletzt am Boden und wird von den Soldaten per Zielfernrohr beobachtet. „Alles was du tun musst, ist eine Waffe aufzuheben“, hofft einer der Männer, der unbedingt weiterschießen möchte. Den Bildern nach ist klar zu sehen, dass der Verletzte keine Gefahr mehr sein könnte. Dann kommt ein Wagen mit Leuten. Diese wollen dem Verletzten helfen und ihn in den Wagen schaffen. Ein Soldat bittet mehrmals darum, schießen zu dürfen. Auch diese Leute wirken deutlich nicht als eine Gefahr. Schließlich eröffnen die Soldaten erneut das Feuer.
Sie umfliegen den Platz und zählen die Toten. Sie schauen per Nahaufnahme auf den zerstörten Wagen, „Schau dir das an. Durchs Fenster.“ „Ha Ha“, lacht einer und zählt 4 bis 5 Tote in dem Wagen.

Bodentruppen erreichen wenig später den Platz und finden die toten Zivilisten und 2 verletze Kinder. "Ist ja ihre eigene Schuld, wenn sie ihre Kinder mit in die Schlacht nehmen.", „Stimmt“ antwortet der andere Soldat...


Die Gefühllosigkeit von Soldaten im Krieg wird hier erschreckend anschaulich. Auch die Lust und Freude am Töten wird deutlich. Diese Gefühllosigkeit und der „Killerinstinkt“ wird gerade auch in der US-Grundausbildung von Soldaten gezielt erzeugt. Diese Ausbildung baut nach meinen Darstellungen auf eine Kindheit auf, die bereits von Gewalt geprägt war und in der der spaltende Umgang mit sich und der Welt grundlegend erlernt wurde. Dadurch suchen diese Menschen nach Feinden, die sie für eigens erlebte traumatische Gewalt bestrafen können. Im Krieg können sie dies tun, ohne Gefahr zu laufen, dafür belangt zu werden.
Diese Menschen sind jeden Tag mit ihren hoch modernen und effizienten Waffen in Afghanistan und im Irak im "Namen der Freiheit der westlichen Welt" unterwegs. Das obige Video wurde wahrscheinlich nur veröffentlich und erhält so viel Aufmerksamkeit , weil auch zwei Reporter starben. Was alles passiert dort jeden Tag, ohne dass die Weltöffentlichkeit davon erfährt?


Weitere Kommentare zu dem Fall unter:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,687427,00.html
http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-04/us-armee-luegen?page=2

Donnerstag, 1. April 2010

Ja aber...

Meinen Text über Francos scheinbar glückliche Kindheit habe ich auch in einem Forum einer Zeitung gepostet. Ich bekam genau einen Kommentar, den ich allerdings interessant finde.

Im ersten Satz wurde mir zugestimmt. „Geliebte Kinder werden jeder Machtausübung misstrauen.“ Dann wurde aber auf so etwas wie eine „Besitzliebe“ gegenüber Kindern hingewiesen, die sich ja auch destruktiv auf die Entwicklung auswirken dürfte. „Die desolate unglückliche Kindheit muss nicht allein unbedingt Lehrstube künftiger Diktatoren sein“, heißt es dann im nächsten Satz und ergänzend wird auf ganz unterschiedliche, verschiedene Erziehungsstile hingewiesen. Dann wieder Zustimmung in der Form, dass man zwei mal schlucken musste beim Lesen des Textes und dann Erleichterung empfand, als ich den Spannungsbogen auflöste (also als ich klar machte, Franco war doch kein geliebtes Kind). Der letzte Satz weist dann wieder darauf hin, dass „noch eine ganze Menge anderer Faktoren eine (vielleicht größere) Rolle als die Erfahrungen der Kindheit“ spielen, damit jemand zum Diktator wird.
Dieses hin und her in Reaktionen auf das Thema ist mir schon öfter aufgefallen. Meistens jedoch erhält man gar keine Reaktion. Der obige Kommentator ist insofern schon eine Ausnahme, da er sich überhaupt äußert. Und trotzdem wirkt dieses „Es stimmt, nein es stimmt nicht, es stimmt, nein es stimmt nicht“ in seinen Worten. Dabei fällt auch ein Widerspruch besonders auf. Mit einem „Aber“ wird auf eine mögliche „Besitzliebe“ hingewiesen, um meinem Text etwas entgegenzusetzen. Dabei ist eine „Besitzliebe“ eben gerade keine Liebe, sondern bedeutet für ein Kind bereits eine Entwertung und psychische Gewalt. Das Verhätscheln von Kindern (auf diese „Liebe“ wollte der Autor denke ich u.a. hinaus) zeigt keine Liebe, sondern die Unfähigkeit der Erziehungsperson, sich in die eigentlichen Bedürfnisse von Kindern hineinzuversetzen und diese als eigene Person wahrzunehmen.

Das „ich musste zwei mal schlucken“ war Ziel meines Textes. Instinktiv wissen wir, dass eine liebevolle, geborgene Kindheit und späteres brutales Gewaltverhalten nicht zusammenpasst. Dieser Instinkt wird heute wissenschaftlich immer wieder bestätigt. Trotzdem wollen wir es irgendwie nicht wahrhaben. Und dies hat sicher immer auch etwas mit eigenen Verletzungen zu tun.

Reaktionen auf meinen Grundlagentext bekam ich in der Vergangenheit fast keine. Über 3 Jahre steht der Text schon online (zwei davon auf meiner alten Homepage) und die Online-Statistik zeigt mir, dass er oft gelesen wurde und wird. Vor ca. einem Jahr, als ich meine alte Homepage schloss, schrieb ich einfach mal alle möglichen Organisationen und Vereinigungen an, die mit dem Thema zu tun hatten. Friedensbüros, Kriegsgegner, Menschenrechtler usw. usf. und wies auf meinen Grundlagentext hin. Ein Kriegsursachenforscher fand das Kapitel über historische Persönlichkeiten und deren destruktive Kindheit aufschlussreich, ein Vertreter von Kriegsdienstverweigerern fand den Text unbedingt erhaltenswert und wichtig. Ansonsten herrschte Schweigen, keine Reaktion.
Nun könnte es daran liegen, dass ich Spinnkram schreibe. Dann verstehe ich die Nicht-Reaktion. Ich bin allerdings vom Typ her Realist und bei klarem Verstand. Was ich schrieb ist kein Spinnkram, sondern macht erschreckend Sinn. Sinn macht auch dieser Blog, solange, bis sich das Thema in dieser Art der Bearbeitung breiter Aufmerksamkeit erfreut. Dies alles ist eine Frage von Zeit. Ich bin vom Charakter allerdings sehr ungeduldig. Was mich manchmal etwas verzweifeln lässt. Nun, in einigen Jahren oder ein paar Jahrzehnten wird es immer weniger Skeptiker geben und es werden die wesentlichen psychohistorischen Kriegsursachen gesehen und verstanden werden. Alleine weil die Kindererziehungspraxis rasant fortschreitet, werden zukünftige Generationen mit weit aus weniger Angst und inneren Schrecken auf das Thema schauen können.

Samstag, 27. März 2010

Francisco Franco. Geliebte Kinder werden zu Diktatoren

Wer war Francisco Franco? Genauer, was trieb diesen Tyrannen an? Mindestens 30.000 politische Gefangene wurden unter Francos Regime zwischen 1939 und 1945 nach Informationen des SPIEGEL in Spanien hingerichtet. Über eine Viertelmillion Republikaner wurde eingekerkert und gefoltert, eine halbe Million musste ins Exil fliehen. Noch 1946 befand Franco: "Es gibt keine Erlösung ohne Blut" (DER SPIEGEL 51/1992: "Brutale Lächerlichkeit"). 
Wie ein Mensch dazu kommt, solche Verbrechen zu begehen, zeigen neuste Enthüllungen über Francos Kindheit, die seine persönliche Entwicklung offensichtlich stark bestimmte. Franco wuchs mit vier Geschwistern in einer liberalen Familie auf. Sein Vater Nicolás Franco und dessen Frau Pilar führten eine liebevolle Ehe. Bei den Francos herrschte gegenseitiger Respekt. Jedem Familienmitglied wurde große Bewegungsfreiheit und Ausdrucksfähigkeit zugestanden. Keines der Kinder wurde geschlagen oder gedemütigt. Innerhalb der Familie gab es oft lebhafte, vielseitige und gefühlsbetonte Kommunikation. Auch das Zusammengehörigkeitsgefühl war allgemein sehr stark bei den Francos. In einer solch großen Familie blieb es auch nicht aus, dass Aufgaben des Alltags an die Kinder delegiert wurden. Schon früh lernte Franco so schon die Übernahme von Verantwortung. Franco selbst sagte einmal rückblickend gegenüber seinem offiziellen Biografen: „Es war schön, Kind dieser Eltern zu sein.“ Und im nächsten Satz berichtete er von den „tollen Gute-Nacht-Geschichten“, die ihm seine Mutter als Kind oft vorgelesen hatte.
Willkür, Brutalität und Gefühlskälte kennzeichneten den späteren Diktator Spaniens, der sich im Militär schnell nach oben gearbeitet und nach dem blutigen Bürgerkrieg die Macht übernommen hatte. Offensichtlich führt Liebe und Geborgenheit in der Kindheit zu politischen Wahn und Terror! Geliebte Kinder werden zu Diktatoren. Liebe Leserin, lieber Leser, ich kann dich beruhigen und du wirst schon ahnen, dass ich die Wahrheit hier etwas verdreht habe. Verzeihe mir, falls ich dir einen Schrecken eingejagt haben sollte. Francisco Francos Kindheit war ein Albtraum! Sie war beherrscht von Gewalt, Wutausbrüchen des Vaters gegen Kinder und Frau, Hohn und Spott, Trunksucht, Ehebruch, Trennung der Eltern, Vernachlässigung, emotionalen Missbrauch und dem krankheitsbedingten Tod von seiner kleinen Schwester Paz. (siehe dazu und auch zur Kindheit anderer Diktatoren hier http://kriegsursachen.blogspot.com/2008/10/31-ein-kurzer-abriss-ber-diktatoren-und.html)

Seit einigen Jahren befasse ich mich u.a. mit der Kindheit von Diktatoren und Kriegstreibern. Bei keinem einzigen fand ich eine liebevolle Kindheit. Ob Wilhelm II, Napoleon Bonaparte, Mussolini, Ceauşescu, Slobodan Milosevic, Hitler, Stalin, Saddam Hussein oder George W. Bush (um einige zu nennen), sie alle zeichnet eines aus: Sie hatten eine traurige Kindheit, die von erheblicher Gewalt und Entbehrungen bestimmt war. „Zu einfach, diese Erklärungen sind zu vereinfacht!“, magst du jetzt denken. Erinnere dich daran, was du beim Lesen meiner kleinen Schwindelei oben gedacht und gefühlt hast. Glaubst du ernsthaft, dass geliebte Kinder zu Diktatoren werden?

Freitag, 26. März 2010

Kriegsheimkehrer: Militarisierung des Zivilen

"Schätzungsweise 300.000 US-Veteranen leiden an PTBS. (Anmerkung: Posttraumatischer Belastungsstörung) (...) Im Jahr 2009 starben mehr US-Soldaten durch Suizid (334) als auf dem Schlachtfeld im Irak (149). Schon 2008 stellten Militärärzte fest, dass jeden Monat 1000 Veteranen versuchen, sich das Leben zu nehmen. Weit über 100 Ex-Kämpfer aus dem Irak und aus Afghanistan sind durchgedreht und haben Menschen getötet; ein Drittel der Opfer waren Freundinnen, Ehefrauen oder andere Familienmitglieder."
(SPIEGEL-Online, 25.03.2010, "Dämonen im Kopf")

siehe zu diesem Thema in diesem blog: "(demoralisierte) Soldaten und ihre Familien"

Dienstag, 23. März 2010

katholische Kirche, Kindesmissbrauch & eigene emotionale Verstrickungen

Kindesmissbrauch und Kirche. Merkwürdiges geht da vor in den Medien. Wie so oft, wenn es um das Thema Kindesmissbrauch geht. In den letzten Wochen flutete eine Welle von Artikeln und medialen Beiträgen durch die Öffentlichkeit, oftmals mit sehr viel Wortgewalt. Worum geht es? „Heilige“ katholische Kirchenmitglieder missbrauchten und missbrauchen Kinder. Und die Kirche verdrängte, wehrte ab, schwieg, schützte Täter. Das erhitzt zu Recht die Gemüter.

Was bei der Diskussion vordergründig auffällt ist das Thema Sex und Zölibat. Und genau das hat hier so gar überhaupt nichts zu suchen! In jedem vernünftigen Fachbuch über Kindesmissbrauch steht: „Kindesmissbrauch ist eine sexuelle Form von Gewalt“. Oder wie es einmal eine Betroffene ausdrückte: "Vergewaltigung ist nicht Sex; denn wenn Dir einer mit 'ner Bratpfanne eines überzieht, würdest Du das auch nicht als Kochen bezeichnen." Sehr deutliche Worte findet auch der amerikanische Psychoanalytiker Robert J. Stoller in seinem Buch mit dem bereits alles sagenden Titel: „Perversion: Die erotische Form von Hass“. Die „Pädophilen“ lieben also keine Kinder, wie diese Bezeichnung an sich es vermittelt, sondern sie hassen Kinder, sie wollen sie zerstören, sie entmenschlichen, sie demütigen, ihr Leid und ihre Angst sehen. Kindesmissbrauch als „Sex“ oder „Liebe“ zu bezeichnen ist übrigens wortgleich die Sprache der Täter, eine Sprache, die die Wahrnehmung der Opfer oft auf Dauer verzerrt, da sie selbst die Handlungen nicht einordnen können, sind sie doch Kinder, wenn es geschieht. Diese Sprache findet sich jetzt leider all zu oft in der Besprechung des Themas wieder.

Die Wurzeln dieses Hasses liegen wiederum in der Kindheit der Täter selbst, schreibt Stoller. Prof. Dr. med. Peter Riedesser - der leider verstorbene, ehemalige Inhaber des Lehrstuhls für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie und Direktor der Klinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf - sagte während einer Rede am 09.10.2000. „Die misshandelnden Eltern von heute sind die misshandelten Kinder von gestern, die traumatisierten Kinder von heute sind die potentiellen Täter von morgen.“ (http://www.uke.de/kliniken/kinderpsychiatrie/index_4899.php) Auch andere Kindheitsforscher wie die Bestsellerautoren Alice Miller, Arno Gruen oder Lloyd deMause weisen seit Jahren auf diese Zusammenhänge hin. Also gilt auch: Die missbrauchenden Priester sind die missbrauchten Kinder von gestern. Nicht das Zölibat oder die „Liebe“ zu Kindern treiben sie, es ist der angestaute (oft abgespaltene) Hass aus ihrer eigenen Kindheit, der sich an den Kindern von heute entlädt und wiederaufgeführt wird.

Mich stört diese Vermischung von Sex und Gewalt in den Medien, einfach weil diese Vermischung falsch ist, viel von Unaufgeklärtheit zeugt und auch die Blindheit der Gesellschaft bzgl. dieses Themas an sich deutlich macht. Mich stört noch viel mehr, dass kaum jemand die tieferen Ursachen solcher Taten in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert. Man hält sich mit Oberflächlichkeiten auf, lenkt den Blick auf Dinge, die nebensächlich sind und in ein paar Wochen wird ja sowieso wieder alles in Vergessenheit geraten (ähnliches findet regelmäßig nach Amokläufen statt).
Der SPIEGEL hat aktuell 250 Verdachtsfälle sexueller Übergriffe durch Geistliche in Deutschland dokumentiert. (http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,684769,00.html) Die Dokumentation beginnt dabei Ende der 60er Jahre. Der Vatikan hat nach eigenen Angaben seit 2001 von rund 3000 Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche aus den vergangenen 50 Jahren erfahren, schreibt die Süddeutsche Zeitung. (http://www.sueddeutsche.de/politik/682/505869/text/3/) Diese Zahl gilt wohlgemerkt nicht für Deutschland, sondern für die gesamte katholische Kirche.

Mir scheint im Angesicht dieser „relativ“ niedrigen Zahlen die ganze Diskussion mächtig überladen und überhitzt zu sein. Natürlich wird es hinter diesen Zahlen ein erheblich größeres Dunkelfeld geben. Natürlich sollte den Opfern zugehört und beigestanden werden. Das alles ist keine Frage.
Fest steht jedenfalls nach dem aktuellen Forschungsstand, dass der sexuelle Missbrauch ein sehr weit verbreitetes Phänomen ist, das in allen Gesellschaftsschichten vorkommt. Die Vermutung liegt demnach nahe, dass auf dem Sonderfeld „Missbrauch in der Kirche“ viel in der Öffentlichkeit ausagiert wird, was eigentlich mit eigenen Kindheitserfahrungen zusammenhängt. Denn die bisherigen Zahlen rechtfertigen keine groß angelegte, wochenlange Medienkampagne, welche somit emotionale Gründe haben muss.

Gewalt gegen Kinder speziell innerhalb von Familien ist das größte Gewaltproblem weltweit, noch vor Kriegen und allem anderen. Doch trotz dieser Tatsache gab es in der Vergangenheit keine wochenlange ausführliche Berichterstattung mit Titelthemen und Schlagzeilen, die sich diesem Problem in seiner ganzen Dimension und Vielschichtigkeit annahm. Zu tief scheint die Angst davor, die eigenen Eltern anzuklagen. Zu viele Wunden wollen vergessen und nicht angerührt werden. Wenn dann aber über Missbrauch in der Kirche gesprochen wird, kann man seine Emotionen für ein kleines Zeitfenster lang heraus lassen. Das öffentliche Entsetzten und Schimpfen, das Anklagen, teils die Hysterie um den Missbrauch in der Kirche hat viel mit dem zu tun, was wir als Kind selbst an Leid erfahren haben, davon bin ich überzeugt. Dies verschafft uns kurzweilig eine Erleichterung, ohne etwas auf uns selbst beziehen zu müssen und ohne den Deckel zu weit zu öffnen, der auf dem inneren, emotionalen Abgrund liegt.
Es wird Zeit, dass über Kindesmissbrauch, Kindesmisshandlung und Kindesvernachlässigung ausführlich und vernünftig in den Medien gesprochen wird. Es wird Zeit, diese Dinge nicht in einem Außenfeld (z.B. irgendwo im Vatikan) fest zu machen, sondern auf uns selbst zu schauen. Dies könnte vielleicht helfen, eine ganze Menge in Bewegung zu setzen. Ein hysterischer Zeigefinger auf die „scheinheilige“ Kirche ist dagegen wenig hilfreich.

Donnerstag, 25. Februar 2010

Kindheit von Francisco Franco

Ich habe die Schilderungen im Grundlagentext um die traumatische Kindheit von Francisco Franco ergänzt:

Die Kindheit von Spaniens Diktator Francisco Franco ist ebenfalls ein Lehrstück dafür, wie missachtete Kinder sich später an der Gesellschaft rächen können. Francisco Franco entstammte einer Familie mit langer militärischer Tradition, schon der Großvater war ein hochrangiger Militär. Sein Vater - Nicolás Franco – war ein Marineoffizier, der sich auch zu Hause wie „ein General aufführte“, autoritär und tyrannisch war. (vgl. Preston, 1995, S. 3ff) Seine Kinder und auch seine Frau wurden oft Opfer seiner Wutausbrüche. Seine Tochter berichtete später, dass er seine Söhne schlug, hielt sich aber über das Ausmass der Gewalt bedeckt. Zu Hause war der Vater oft abwesend, traf sich außerhalb zum Kartenspielen, für Trinkgelage und mit anderen Frauen. Besonders sein zweitgeborener Sohn Francisco war Ziel seiner Ablehnung. Der dünne, schweigsame Junge enttäuschte seit frühester Kindheit die Vorstellungen des Vaters. Auf ihn angesprochen sprach er zuerst von seinem Sohn Nicolas, manchmal auch von Ramon, Francisco war nur „mein anderer Sohn“. (ebd.)
Don Nicolas verachtete seinen zweiten Sohn auch noch, als der den Bürgerkrieg gewonnen hatte: "Paquito als Staatschef! Paquito als Caudillo! Dass ich nicht lache!" (DER SPIEGEL, 14.12.1992)
Francos Mutter war vor allem bemüht, die religiös-bürgerliche Fassade nach Außen aufrecht zu erhalten und ihr Unglück zu verdecken. Nach dem krankheitsbedingten Tod ihrer kleinen Tochter Paz im Jahr 1903 war sie zudem am Boden zerstört. (Über die Auswirkungen dieser Tragödie auf die anderen Familienmitglieder wird in den Quellen nichts beschrieben) Alle Schilderungen von dem Biografen Paul Preston und auch vom SPIEGEL deuten darauf hin, dass der kleine Francisco seine Mutter trösten und stützen musste. Er begleitete seine Mutter Pilar täglich zur Kirche, wo sie Trost im Gebet suchte. Als ihr Ehemann die Familie im Jahr 1907 – da war Francisco 14 Jahre alt – endgültig verließ, trug sie ab sofort nur noch schwarze Kleider. Es scheint so, schreibt Preston, dass dieser Aufbau eines Schutzschildes vor dem Unglück seiner Mutter auf Kosten der emotionalen Entwicklung von Francisco ging und er eine kalte, innere Leere ausbildete. (vgl. Preston, 1995, S. 4) Francisco war ein einsames, unglückliches und in sich gekehrtes Kind, das zudem älter schien, als es eigentlich war. Er war brav und folgsam.
Die Schilderungen über seine Mutterbeziehung lassen letztlich den Schluss zu, dass er emotional von dieser missbraucht und als Trostpflaster gebraucht wurde. Als Person mit eigenen Bedürfnissen scheint er nicht gesehen worden zu sein.
Die Mutter hatte ihren Kindern außerdem – trotz oder gerade wegen dieser Verhältnisse - den eisernen Willen eingepflanzt "aufzusteigen, Ruhm zu erlangen, und sei es unter höchsten Opfern und Anstrengungen", schreibt DER SPIEGEL.
Die Anerkennung seines Vaters konnte Francisco nie erreichen. Gleichzeitig idealisierte er diesen, kreierte das Bild eines Helden, bestritt später, dass es Probleme zwischen seinem Vater und seiner Mutter und auch den Kindern gegeben hatte und ließ seinen Vater nach dessen Tod prachtvoll beerdigen. (vgl. Preston, 1995, S. 5)
Vaterersatz und Selbstbestätigung suchte Francisco beim Militär, wo er mit vollem Einsatz in jungen Jahren begann. Auch hier erlebte er allerdings zunächst Demütigungen auf Grund seiner kleinen Größe und wurde auch das Ziel von grausamen Initiationsritualen durch seine Kameraden, auf die er mit Gewalt reagierte. (vgl. Preston, 1995, S. 9ff) Spott hatte er auch schon als Kind von Spielkameraden und seinen Geschwistern erfahren, die den schmächtigen, kränkelnden Jungen "cerillita" (Zündhölzchen) nannten.
Aus diesem Jungen wurde später der große General und Diktator Spaniens (El Caudillo - der „Anführer“). Im Militär hatte er sich schnell nach oben gearbeitet und nach dem Bürgerkrieg die Macht übernommen. Im Bürgerkrieg - an dem Franco maßgeblich beteiligt war - kamen von 1936 bis 1939 auf beiden Seiten mehr als 600.000 Menschen ums Leben. (vgl. SPIEGEL-Online, 01.09.2003)
Mindestens 30.000 politische Gefangene wurden unter Francos Regime zwischen 1939 und 1945 hingerichtet, schreibt DER SPIEGEL. Über eine Viertelmillion Republikaner wurde eingekerkert und gefoltert, eine halbe Million musste ins Exil fliehen. Noch 1946 befand Franco: "Es gibt keine Erlösung ohne Blut." Todesurteile unterzeichnete er, "ohne dass mir die Hand zitterte". (vgl. DER SPIEGEL, 14.12.1992)

Quellen:

DER SPIEGEL, 14.12.1992: „Spanien. Brutale Lächerlichkeit“ (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13682558.html)

SPIEGEL-Online, 01.09.2003: "Wo Franco 5000 Opfer verscharren ließ" (http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,263915,00.html)

Preston, P. 1995: Franco. A Biography. Fontana Press, London.

Freitag, 19. Februar 2010

Amoklauf in Ludwigshafen. Motiv: Elternhass!

„Bewaffnet mit einer Schreckschusspistole und einem Kampfmesser stürmte Florian K. in seine frühere Berufsschule, tötete einen Lehrer. Sein Motiv: Wut über schlechte Noten.“, so der SPIEGEL.

Viele andere Medien schreiben ähnliches. Überall steht das Motiv „unangemessen schlechte Noten“. Dazu bleiben den JournalistInnen Fragezeichen, die sie dann ausformulieren. „Was tun? Hätte man die Tat vorhersehen können?“

Warum steht über den Artikeln eigentlich nicht „Motiv Elternhass“?
Ohne Elternhass – Eltern ließen einst ihren Hass an ihren Kindern aus, die Kinder aber durften das an Ihnen verübte Verbrechen nicht fühlen und führen ihren Hass wiederum auf der gesellschaftlichen Bühne auf, in dem sie sich an Sündenböcken rächen – gibt es keinen Amoklauf. Geliebte Kinder laufen nicht amok. Geliebte Kinder wollen auch nicht sterben, im Gegensatz zu den Amokläufern, die ihren eigenen Tod herbeisehnen. Und da so viele Kinder "Elternhass" erleben, ist Sicherheit eine Illusion, wird es auch zukünftig Amokläufe geben. Die nachhaltigste Prävention ist somit Kinderschutz und Kinderfürsorge.
Die Parallelen zum Blick auf die Ursachen von Krieg sind offensichtlich. Hier schreiben die ForscherInnen „Motiv Wirtschaftsnot“, „Motiv Ressourcenknappheit“, „Motiv Waffenlobby“ usw. usf. Die tieferen Ursachen wollen auch hier nicht gesehen werden. Geliebte Kinder produzieren keine Waffen und sie führen auch keine Kriege.


Zusätzlich möchte ich auf den Text "Gedanken zum Amoklauf" auf der Homepage von Alice Miller hinweisen. Ich habe lange keine Schilderungen über erfahrenes Kindheitsleid gelesen, die mich so erschüttert haben. JournalistInnen sollten solche Dinge lesen, bevor sie über Ursachen von Amokläufen schreiben. Sie könnten einiges lernen.
Wenn man mit Betroffenen von schweren Kindheitstraumatisierungen spricht, erfährt man oft von "früheren Gedanken, mal jemanden umzubringen". Ich selbst habe in der Vergangenheit immer wieder davon gehört und auch gelesen. Die meisten setzen dies nicht in die Tat um, sondern richten die Gewalt gegen sich selbst. In Kriegszeiten sieht das dann allerdings anders aus und der Hass darf legitim außen ausgelebt werden.

Samstag, 13. Februar 2010

Zum Tod von Prof. Dr. med. Peter Riedesser

Per Zufall habe ich gerade erfahren, dass Herr Prof. Dr. med. Peter Riedesser im September 2008 im Alter von 63 Jahren verstorben ist. Ich hatte das Vergnügen, als Student einige Vorlesungen von ihm in Hamburg zu hören, was mir viele Erkenntnisse gebracht hat. Herr Riedesser war speziell, im guten Sinne, sowohl als Mensch als auch auf Grund seines Engagements. Er hatte insbesondere Leidenschaft, Spaß an seiner Arbeit und war sehr kreativ, was seine Vorlesungen anging. Für uns Studierende war ein solcher Dozent ein Glücksfall.

Das Abendblatt schrieb über ihn:
"Peter Riedesser war ein Anstifter. Leidenschaftlich stritt der Mediziner für die Kinder, die durch Kriege, Unfälle, Katastrophen oder Gewalterfahrungen seelisch verletzt worden waren. Er besaß die Gabe, Menschen mit seiner Begeisterung anzustecken."


Ich habe mir erlaubt eine längere Passage aus seiner Rede "Welche Kinder will das Land? Thesen zu Kindheit, Beziehungskultur und Demokratie" (Vortrag Hanse-Merkur, 09.10.2000) hier zu kopieren. Eindrucksvoll und mit klaren Worten benennt er die Dinge, um die es mir in diesem Blog geht:

"Was Eltern intuitiv schon immer wussten, ist heute auch durch die tägliche klinische Erfahrung und wissenschaftliche Studien bewiesen: Kinder brauchen von der Säuglingszeit an ein Nest von konstanten Bezugspersonen, die kontinuierlich und verlässlich eine ganze Kindheit lang zur Verfügung stehen und das Fundament und die Struktur für eine stabile Entwicklung bilden. Auf diesem Urvertrauen aufbauend, entwickeln sich Beziehungsfähigkeit und Beziehungsfreude zu anderen Menschen, die Fähigkeit zur Einfühlung und eine stabile Überzeugung vom Wert der eigenen Persönlichkeit. Kinder hingegen, die durch Vernachlässigung, traumatisierende Trennungen, Misshandlung und dauernde kritische Herabsetzung in Familie und Schule in zentralen Entwicklungslinien beschädigt worden sind, geraten in Gefahr, langfristige Folgeschäden zu entwickeln: Diese können psychische Erkrankungen sein bis hin zu Dorgenmissbrauch und Suizidalität. Es kann aber auch geschehen, dass Kinder, die sich eine Kindheit lang als Opfer von offener und subtiler Gewalt fühlen, eines Tages aus unbewussten oder bewussten Gefühlen der Rache der "Gesellschaft" das zurückgeben, was ihnen an frühen Verletzungen angetan worden ist. Oft geschieht dies ohne Gefühle der Schuld, da die Rache ja "berechtigt" ist. Dies kann zu den üblichen kriminellen Karrieren führen, aber auch zu politischem Terrorismus und Vandalismus. Die rechtsradikalen "Glatzen" sind mit ihren destruk-tiven Aktivitäten gegen ausländische und jüdische Mitbürger nicht vom Himmel gefallen, sondern es sind die psychisch verletzten, vernachlässigten, in den Hass abgeglittenen Kinder von gestern. Die vielen Hunderttausend beschädigten, vernachlässigten Kinder von heute sind in Gefahr, die rechtsradikalen "Glatzen", Drogenabhängigen und Delinquenten von morgen zu werden und die erlittenen Traumatisierungen eines Tages an die nächste Generation, nämlich ihre eigenen Kinder, weiterzugeben. Die misshandelnden Eltern von heute sind die misshandelten Kinder von gestern, die traumatisierten Kinder von heute sind die potentiellen Täter von morgen.
Wenn dies so ist, hat es gewaltige Konsequenzen für unser präventives Denken und Handeln; denn jetzt ist es nicht nur ein Gebot der Humanität, dass Kinder gut behandelt werden und nicht geschla-gen, in ihrem Selbstvertrauen nicht beschädigt, in ihrem Bedürfnis nach Verlässlichkeit und Kontinuität nicht enttäuscht, nicht vernachlässigt und nicht Opfer seelischer oder körperlicher Gewalt. Vielmehr ist es auch eine politische und ökonomische Notwendigkeit, das destruktive Potential in unserer Gesellschaft konsequent zu senken. Wenn dies nicht geschieht, bedeutet dies nicht nur eine Zunahme psychischer Erkrankungen und Gewalt in Schulen und Freizeitbereich, sondern auch eine Zunahme von rechtsradikalem Terrorismus, Vandalismus und emotionaler Verführbarkeit zum Militarismus."

Donnerstag, 11. Februar 2010

"Persönlichkeit und Politik" & blinde Flecken

Kürzlich habe ich den Bericht über die Kindheit von Ronald Reagan erweitert. Bei meinen Recherchen fiel mir eine Textstelle in dem Buch „Persönlichkeit und Politik“ von dem Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Hartmann (lehrt derzeit an der UNI der Bundeswehr in Hamburg) auf.

Der Vater war ehrgeizig und zog mit der Familie um, wenn er eine besser bezahlte Arbeit gefunden hatte. Reagans Kindheit spielte sich in der Stadt Dixon im ländlichen Illinois ab. Auch dort wechselte die Familie häufig den Wohnsitz, um die Miete nach den mageren Einkünften zu strecken . Reagans Vater hatte ein Alkoholproblem, das die Mutter vor den beiden Söhnen lange verbergen konnte. (…) Die beiden Kinder wurden liebevoll erzogen. Dieser Hintergrund tat auch beim späteren Politiker noch seine Wirkung. (…)“ (Hartmann, 2007, S. 203)

Die Politik hat eine Blindstelle. Sie klammert die Persönlichkeit aus.“, so fängt Hartmann die Einleitung seines Buches an. Diese „Blindstelle“ versucht der Autor zu füllen, in dem er die Biografien verschiedener PolitikerInnen in Zusammenhang mit deren politischer Laufbahn bringt.
Am Beispiel von Ronald Reagan fällt auf, dass der Autor hier selbst blind gegenüber der destruktiven Kindheit zu sein scheint und somit seinem erklärten Ziel nicht gerecht wird. Die häufigen Umzüge werden dem Ehrgeiz des Vaters und Mietkosten zugeschrieben (die Umzüge wären dann ja weitergedacht nur zum „Wohle der Familie“), die Mutter hätte den Alkoholismus verbergen können und die Kinder seien liebevoll erzogen worden. Diese Liebe und eigene Erfahrungen von Armut hätten dann auch das spätere politische Leben Reagans geprägt. Wenn er später als Gouverneur oder Präsident von Menschen in Not erfuhr, dann half er ihnen, so Hartmann. Aus den eigenen Erfahrungen heraus, in denen Hilfsbedürftigen auch ohne Staat Hilfe zu Teil wurde, sei die Auffassung des späteren Reagan zu verstehen, es bedürfe keines sozialpolitisch aktiven Staates. (vgl., ebd.)
Meine Ausführungen über Reagans Kindheit zeigen ein ganz anderes Bild. Ebenso denke ich, dass Reagans „Kein Staat Politik“ gerade auf Kosten der Schwachen ging und (unbewusst gezielt) Wachstum reduzierte, das aber nur nebenbei.
Mir ist dieses „es geschah zum Wohle der Kinder“ und „es waren liebevolle Eltern“ immer wieder bei Recherchen zu destruktiven, politischen Persönlichkeiten und Diktatoren aufgefallen. Man kann wirklich sagen, dass die meisten Biografen, Historiker und Sozialwissenschaftler blind gegenüber dem Leid sind, das die untersuchten Personen in ihrer Kindheit erfuhren. Das Beispiel von Hartmann ist eines von vielen. Es ragt dabei etwas heraus, weil der Autor ja gerade in seinem Buch gezielt eine Brücke von der Psychologie/Biografieforschung zur Politik schlagen wollte. Um so erstaunlicher ist es, dass hier bei dem Blick auf Reagan derartig viele blinde Flecken und Umdeutungen zu finden sind.


Hartmann, J. 2007: Persönlichkeit und Politik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.

Mittwoch, 3. Februar 2010

Kindheit von Kaiser Wilhelm II.

Ich habe die Schilderungen im Grundlagentext über die traumatische Kindheit von Wilhelm II. ergänzt (siehe kursive Schrift):


Wilhelm II – der letzte deutsche Kaiser – vertraute dem Fürsten Eulenburg einst folgendes an: „Der Kaiser erinnert sich mit Bitterkeit an die bei ihm angewandten Erziehungsmethoden, vor allem an die mangelnde Liebe der Mutter und die verfehlten Experimente seines Erziehers. »Er wollte aus mir sein Ideal eines Fürsten machen (...) So kommt es, dass ich absolut nichts empfinde, wo andere leiden (...) Es fehlt mir etwas, das andere haben. Alle Lyrik in mir ist tot.«“ (Gruen, 2002a, S. 44) Auch viele damalige Beobachter – darunter auch die eigene Mutter, Schwester und der Vater – nannten als hervorstechendes Merkmal von Wilhelms Charakter seine „eisige Herzenskälte“ und „Gefühllosigkeit“. (vgl. Röhl, 2001, S. 400) Kornbichler (2007) bezeichnet Wilhelm II als seelisch schwer gestörten Menschen, der zudem an einem starken Minderwertigkeitskomplex litt. „Beim Prinzen Wilhelm fand das statt, was die Psychoanalytiker als Identifikation mit dem Aggressor bezeichnen. Zunächst Opfer der zwangsmoralischen Disziplinierung und soldatischen Indoktrinierung seitens seiner Erzieher, identifizierte er sich nach und nach mit dieser aggressiven Lebensform; so wurde aus dem Opfer im Laufe der Jahre ein Täter.“ (Kornbichler, 2007, S. 165) Kornbichler zitiert einen Bericht, der einen Einblick in die Art der Erziehung bei Hofe gibt. Der Prinzenerzieher Hinzpeter trat im Herbst 1866 seinen Posten an, „und für den kleinen Prinzen begann jetzt – zusätzlich zu den täglichen Elektrisierungen, den gymnastischen Übungen mit der Armstreckmaschine, dem regelmäßigen Anschnallen eines aufgeschlitzten frisch geschlachteten Tieres – die denkbar härteste Erziehung durch einen Hauslehrer, der von vornherein auf die uneingeschränkte Gewalt über die Seele seines Zöglings bestanden hatte. Mit siebeneinhalb Jahren wurde Prinz Wilhelm in die erbarmungslosen Hände eines schrulligen, "spartanischen Idealisten" ohne Gemüt übergeben.“ (ebd., S.161) "Freudlos wie das Wesen dieses pedantischen und herben Mannes", erinnert sich später der Kaiser, so "freudlos die Jugendzeit". (GEOEPOCHE, 2003/04) Bei seiner Geburt war Wilhelm scheintot und hatte zudem schwere Probleme mit dem linken Arm, der kürzer war, als der rechte und lahm war. Den "unbrauchbaren Arm" hat seine Mutter ihm zeitlebens übel genommen und dem Sohn ihre Liebe entzogen. Auch der Vater, Kronprinz Friedrich, hat seine Unzufriedenheit am Sohn ausgelassen, hat ihn missachtet, ihn vor Zeugen "unreif" geschimpft und "urteilslos". (vgl. ebd.) Sein Arm war auch der "Grund" für bereits oben angedeutete Quälerein. GEOEPOCHE beschreibt weitere Details: Operationen, "Fixierungs-Gestelle", Fesselung des rechten Arms, um den linken zur Aktivität zu ermuntern und "animalische Bäder" der lahmen Extremität im Blut frisch geschlachteter Hasen. Diese Zeit - die "medizinische Behandlung" ging über 12 Jahre lang - muss für den kleinen Wilhelm der reine Horror gewesen sein. (siehe dazu auch Röhl, 2001, S. 63ff)
Wilhelms Mutter hatte – folgt man den Ausführungen von Röhl - zudem etwas überfürsorgliches und aufdringliches, forderte stets Liebe von Ihrem Sohn und deutete schon früh viele seiner Reaktionen und Verhaltensweisen als Ablehnung ihr gegenüber. Röhl schreibt an einer Stelle aufschlussreich: „Was die Kronprinzessin nicht erkennen konnte, war, dass (…) sie selbst das eigentliche Problem im psychischen Leben Wilhelms darstellte. So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte ihn, so wie er war, nicht akzeptieren. (…) Gerade weil sie so viel von ihm erwartete, hielt sie mit ihrer Kritik nicht zurück. Wilhelm aber, der diese Kritik als Ablehnung auffassen musste, stand vor der Wahl, sich selbst aufzugeben oder sich von der Mutter abzuwenden.“ (Röhl, 2001, S. 401) Wilhelm brach dann schließlich ab dem jugendlichen Alter zusehends den Kontakt zu seinen Eltern ab.
Den reinen Horror brachte Wilhelm II. seinerseits später über Europa, als er den ersten Weltkrieg entflammte. Schon früh hatte er im Militär etwas gesucht, was er als Kind nicht finden konnte: Beim 1. Garderegiment in Potsdam fand der Prinz jene "Familie", die "ich bis dahin hatte entbehren müssen". (vgl. GEOEPOCHE, 2003/04)

Kindheit von Ronald Reagan

Ich habe die Schilderungen im Grundlagentext über die traumatische Kindheit von Ronald Reagan ergänzt (siehe kursive Schrift):

DeMause schreibt, dass die Kindheit vom amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan „ein Alptraum von Vernachlässigung und Missbrauch“ war. (deMause, 2005, S. 19)
Ronald Reagans Vater war ein gewalttätiger Mann und Alkoholiker. Er trat den jungen Ronald mit seinem Stiefel und pflegte ihn und seinen Bruder des Öfteren zu "verkloppen". Der Vater wurde später von seinem Sohn beschrieben als jemand, der „ein Leben in fast andauernder Wut und Frustration“ geführt habe. Selbst aus den wenigen Erinnerungen in den verstreuten Äußerungen über seinen Vater wird deutlich, dass Ronalds Verhältnis zu ihm erfüllt war von Augenblicken des Terrors und gleichzeitig einem Verlangen nach Nähe. (vgl. deMause, 1984, S. 59)
Der Alkoholismus seines Vaters war auch der Hauptgrund für häufige Orts- und Stellungswechsel, die Familie zog ständig um, mitunter schliefen sie alle im Auto. Wochenlang ging Ronalds Vater auf Zechtour, der Junge erinnert sich an seine Ängste während der Abwesenheit des Vaters und die dann folgenden "lauten Stimmen in der Nacht". Als Elfjähriger kam er einmal nach Hause und fand seinen Vater "sinnlos betrunken auf dem Rücken liegend auf der Veranda". Er musste diesen großen, schnarchenden Koloss ins Bett verfrachten. Im Rückblick bezeichnete Reagan seine Kindheit als "eine jener seltenen Huckleberry-Finn-Tom-Sawyer-Idyllen“. Die Schattenseiten schien er vollkommen verdrängt zu haben. (vgl. DER SPIEGEL, 26.10.1981) Seine Autobiographie nannte Reagan übrigens „Wo ist der Rest von mir?“ (Where's the Rest of Me?), um, wie er in der Einleitung sagte, anzuzeigen, dass er den größten Teil seines Lebens mit dem Gefühl verbracht hatte, es fehle ihm etwas, ein Teil von ihm. (vgl. deMause, 1984, S. 55) Diese Zerrissenheit, inneres Fremdsein und das Gefühl „nicht ganz zu sein“ ist typisch für als Kind traumatisierte Menschen. (Im weiteren Textverlauf wird Arno Gruen dazu noch zu Wort kommen)
Das Resultat war laut deMause eine Kindheit der Phobien und Ängste bis zum Grad der Hysterie und verschüttete Gefühle der Wut. „Als Erwachsener fand Ronald Reagan Gefallen daran, eine geladene Pistole zu tragen, er zog auch Selbstmord in Erwägung, wurde davon nur durch das defensive Manöver abgehalten, in die Politik zu gehen und ein Anti-Kommunisten-Krieger (pers. Anmerk.: Die Sowjetunion war für Reagan das "Reich des Bösen") zu werden, gegen imaginäre „Feinde“ ins Feld zu ziehen, die er für die Gefühle, welche er in sich selbst verleugnete, verfolgte.“ (deMause, 2005, S. 19)

Dienstag, 15. Dezember 2009

Kindheit von Friedrich II. (Preußen)

Den Grundlagentext - Kapitel 3.1. - habe ich um die Kindheit von Friedrich II. ergänzt:

Friedrich II. (der Große) – König von Preußen – hatte einen jähzornigen, tyrannischen, aufs Militärische fixierten Vater. Die Kindheit und Jugend Friedrichs war von einer militärischen Erziehung mit Drill, körperlichen Züchtigungen und seelischen Verletzungen geprägt. (vgl. WDR, Planet Wissen, 01.06.2009) Der junge Friedrich interessierte sich mehr für Musik, Literatur und Sprachen als für das Soldatentum, was dem Willen seines Vaters komplett entgegenlief. Heimlich spielte er Flöte, las französische Romane und lernte Latein. Wenn der Vater davon Wind bekam, setzte es Prügel, oft vor den Augen von Offizieren und Dienstboten. Friedrich versuchte sich immer mehr der Kontrolle des Vaters zu entziehen. Um dem jähzornigen Vater zu entkommen, beschloss der Thronfolger schließlich 1730 die Flucht. Doch die Pläne flogen auf, Friedrich wurde als Deserteur verhaftet und in Festungshaft genommen. Sein Vater verhängte die Todesstrafe über Friedrichs besten Freund, Hans Hermann von Katte, der in die Fluchtpläne eingeweiht war. Bei der Hinrichtung musste der Kronprinz zusehen. (vgl. ZDF, 11.11.2008) In der Folge beugte sich Friedrich II. nun dem Befehl seines Vaters und heiratete auf dessen Wunsch Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern, an der Friedrich keinerlei Interesse hatte. Als späterer König führte Friedrich II. häufig, ja fast ununterbrochen Krieg.
Die Geschichte von Friedrich II. hat insofern ein ganz besondere Tragik, wenn man sich die Entwicklungen vor Augen hält, die er selbst in dem Gedicht „An Jordan“ vom 10. Juni 1742 beschrieb:
"Als ich geboren ward, ward ich der Kunst geboren, (…)
Und für des Herrschers Hochmut schien dies Herz verloren,
Das voller Mitleid war und kindlich unbewußt.
Die ganze Welt war mir ein Garten duft'ger Blumen, (…)
Da riß das Schicksal mich aufs große Welttheater,
In der Tragödie »Krieg« ward mir der Heldenpart" (http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=4921&kapitel=5&cHash=cc813bd4d4chap005#gb_found)

Freitag, 11. Dezember 2009

Barack Obama, Friedensnobelpreis & imaginäre „Feinde“

Barack Obama hat gestern in Oslo den Friedensnobelpreis entgegengenommen und klar gemacht: "Die Instrumente des Krieges müssen eine Rolle spielen bei der Bewahrung des Friedens". Eine bessere Gelegenheit, als bei der Verleihung dieses noblen Preises, hätte es wohl kaum für eine solche „Klarstellung“ geben können...
Die USA werden also auch weiterhin gegen imaginäre „Feinde“ (Obama dazu: "Das Böse existiert in der Welt") ins Feld ziehen, in Afghanistan sind bald 100.000 US-Soldaten ("Einige werden töten, einige werden getötet", stellte Obama in seiner Rede fest.) dabei, „Terroristen“ zu töten, die sonst – vom anderen Ende der Welt, aus einem zerstörten, ärmlichen Land heraus - die Sicherheit der USA bedrohen würden... "ein Konflikt, den Amerika nicht gesucht hat", wie Obama sagte, was für die Bevölkerung Afghanistans wie reiner Hohn klingen muss.

Folgenden Satz seiner Rede fand ich auch sehr aufschlussreich: "In den Kriegen von heute sterben mehr Zivilisten als Soldaten; sie säen die Saat künftiger Konflikte, schwächen die Volkswirtschaften, brechen Zivilgesellschaften entzwei, vermehren die Zahl der Flüchtlinge und versetzen Kinder in Angst und Schrecken." Da Obama gerade 30.000 neue Soldaten nach Afghanistan gesendet hat, ist dieser Satz eigentlich die Botschaft an das US-Volk: "Wir werden Zivilisten töten, wir werden Kinder in Angst und Schrecken versetzen, wir werden die Wirtschaft schwächen und Wachstum reduzieren und wir werden durch unsere Kriegssaat dafür sorgen, dass es auch Morgen kriegerische Konflikte geben wird, damit wir weiterhin Menschen außerhalb der USA opfern können." Das scheint weiterhin der "heimliche" Auftrag einer Mehrheit in den USA an ihre Regierung zu sein, damit das eigene Opfersein verdeckt bleibt. Und auch ein Obama - der ohne Zweifel anders ist als sein Vorgänger Bush - scheint diesen "Auftrag" zu spüren und zu erfüllen. Obama selbst nannte keine klaren Zielvorgaben für den Einsatz in Afghanistan: „Ich habe heute keine endgültige Lösung für das Problem Krieg dabei“. Aber er versprach - das durchzog seine Rede - Opfer: "Frieden erfordert Verantwortung. Frieden erfordert Opfer."


Ein Offener Brief von Michael Moore an Barack Obama vom 30. November 2009 sagt eigentlich alles wichtige, was es dazu noch zu sagen gibt.

(einige Auszüge aus Obamas Rede: http://www.sueddeutsche.de/politik/910/497218/text/ und http://www.handelsblatt.com/politik/international/dokumentation-obamas-rede-zum-nobelpreis-in-auszuegen;2497385)

Mittwoch, 2. Dezember 2009

Schweinegrippewahn und Waffenexport & Co. als Fortschritt

Noch vor ca. 65 Jahren war Deutschland eine Nation, die dem Wahn verfallen war, überall von "Feinden" umringt zu sein, die getötet werden müssen. Was damals passierte ist bekannt. Auch die Zeit davor stand unter dem Banner von Wahn, Kriegslust und Tötungsfantasien.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in Deutschland auch noch 89 % aller Kinder geschlagen, über die Hälfte mit Ruten, Peitschen oder Stöcken. (vgl. deMause, 2005, S. 146ff) DeMause meint: „(...) wenn man festhält, dass die deutsche Kindheit um 1900 ein Alptraum von Mord, Vernachlässigung, prügeln und Folter von unschuldigen, hilflosen menschlichen Wesen war, dann ist die Wiederaufführung dieses Alptraums vier Jahrzehnte später im Holocaust und im Zweiten Weltkrieg letztlich zu verstehen.“ (deMause, 2005, S. 140)

Aktuelle Zahlen zeigen zwar immer noch ein erschreckend hohes Ausmass an Gewalt und Vernachlässigung, doch der Vergleich zur deutschen Kindheit um 1900 macht den enormen Fortschritt der Kindererziehungspraxis hierzulande deutlich. Viele Eltern scheinen außerdem immer mehr Abstand von körperlicher Gewalt zu nehmen und diese ggf. durch psychische Gewalt zu ersetzen. (vgl. dazu z.B. Bundesministerium der Justiz (Prof. Dr. Bussmann), 2005, S. 18 http://www.bmj.bund.de/files/-/1375/Bussmann%20Report.pdf) Entsprechend stabil ist mittlerweile die Demokratie in Deutschland.

Doch wie schon gesagt erleben noch immer viel zu viele Kinder Gewalt und Erniedrigungen. Dies muss seinen Ausdruck auf der gesellschaftlichen Bühne finden. Da keine Mehrheit mehr (schwere) Misshandlungen erlebt, wird ein so gewaltiger Gruppenwahn wie in den 40er Jahren nicht mehr möglich sein. Die Angst vor Feinden, Wahn und die Gewalt gegen Andere wird sich somit andere, verdecktere Ausdrucksformen suchen.

Ein Beispiel dafür ist in meinen Augen aktuell die panische Angst vor der „Schweinegrippe“. Der Monitor Bericht vom 19.11.2009 „Horrorszenarien. Die Schweinegrippe und die Medien“ (http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2009/1119/grippe.php5) machte deutlich, wie wenig begründet diese Panik ist:

- 27 Tote wurden in Deutschland bisher gemeldet

- In der Ukraine wurde das H1N1-Virus bisher bei 17 Toten nachgewiesen, statt wie in den Medien berichtetet bei 70.

- In Mexico gab es - bei einer Gesamtbevölkerung von 110 Millionen - 63 Tote, bei denen das Virus nachgewiesen wurde.

- In Australien starben 189 Menschen nachgewiesener maßen an der „Schweinegrippe“. Interessant ist hier, dass normalerweise in Australien 2.000 bis 3.000 Todesfälle wegen der saisonalen Grippe zu verzeichenn sind. Die Schweinegrippe hat das saisonale Grippe-Virus dort fast vollständig verdrängt, mit dem Ergebnis, dass jetzt weit weniger Menschen sterben. Insofern wird auch in den kommenden Jahren mit deutlich weniger Toten gerechnet, als in den 22 Jahren davor.

Als Fazit des Berichtes lässt sich feststellen: Wir haben weltweit eine hohe Anzahl von Fällen. Und wir haben eine relativ niedrige Anzahl von Todesfällen. Trotzdem sind die Medien seit Monaten voll von Horror-Berichten und das fern ab jeder Realität und Verhältnismäßigkeit. Durch den Tod bedroht sein von etwas, das von außen kommt, vor dem wir panische Angst haben und dem wir entgegnen müssen, ohne dass diese massive Angst irgendwie rational begründet ist, das alles deutet auf unbewusste Gruppenfantasien hin, die mit destruktiven Kindheitserfahrungen zusammenhängen können. Angst vor Vernichtung durch einen „Feind“ (in diesem Fall so etwas wie die „Schweinegrippe“) deckelt eigene innere existentielle Ängste und Erinnerungen an eigene Gewalterfahrungen in der Kindheit. Irgendwie muss die Angst ihren Ausdruck finden, damit man nicht verrückt wird. „Ahhh die Schweinegrippe wird uns alle umbringen, wussten wir doch, dass wir jederzeit real bedroht sind. „ So etwas entlastet ungemein und lenkt ab, wenn alte Panik und Todesangst aus der Kindheit ins Bewusstsein zu rücken droht. Die deutsche Regierung erfüllte dabei vorbildhaft ihre Rolle als „emotionaler Repräsentant“, in dem sie nicht gegen die Panik wirkte und für Realitätssinn warb, sondern sich gleich kollektiv impfen ließ.
Die Schweinegrippe-Panik ist dabei natürlich ein Ausdruck von Fortschritt, denn niemand wird durch diese Panik real getötet.

Ein ganz anderes Beispiel:

Deutschland ist der dritt größte Waffenexporteur in der Welt. Deutsche Kaufleute exportieren 2007 Waffen im Wert von fast neun Milliarden Euro. So manche Lieferung landet am Ende in Krisengebieten. (http://www.zeit.de/2009/15/Ruestung-Deutschland) Wir exportieren so zu sagen den Tod. Das ist eine traurige und nicht hinnehmbare Situation, natürlich.

Und: Die deutsche Wirtschaft mischt kräftig mit in der Welt und das manches mal mit großer destruktiver Wirkung. Die Deutsche Bank bot beispielsweise Finanzierungsleistungen für autoritäre Staaten, Unternehmen, die wiederholt in Umweltskandale und Menschenrechtsverletzungen verstrickt sind, Korruption fördern oder mit Militärdiktaturen kooperieren. Ebenso stützte sie Rüstungs- und Atomkonzerne. (vgl. dazu z.B. http://www.urgewald.de und http://www.greenpeace-magazin.de/index.php?id=5643)
Deutsche Bank und Daimler-Chrysler waren auch die wichtigsten Partner von Saparmurad Nijasow, dem Diktator Turkmenistan bis zu seinem Tod 2006. (http://www.handelsblatt.com/politik/international/der-bizarrste-diktator-der-welt-ist-tot;1190834 und http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=1572)

Solche Beispiele ließen sich fortführen. Diese Dinge sind weiterhin nur möglich, da immer noch ein großer Teil der Menschen in Deutschland als Kind Gewalt und/oder Vernachlässigung erfährt und somit u.a. die Empathiefähigkeit verloren geht. Aber: Sie sind eben auch Ausdruck von Fortschritt! (Wir erinnern uns nochmal, was vor 65 Jahren war…) Die Kindererziehung hierzulande ist weitgenug entwickelt, so dass wir als Nation nicht mehr fähig sind, mit eigenen Händen und vor unserer Haustür einander umzubringen. Dazu sind wir als Nation mittlerweile zu emphatisch und weniger „Wahnanfällig“ geworden. Panik vor Krankheiten, indirekter Tod durch Waffenexport, Auslandseinsätze von Berufssoldaten irgendwo weit weg in der Welt usw. das sind Dinge, vor denen wir irgendwie noch den Blick fernhalten können, die uns nicht unbedingt berühren. Wenn die Menschen allerdings über diese Dinge aufgeklärt werden, sind sie eben auch kurzzeitig emphatisch mit den Opfern, leider noch nicht langfristig. Irgendwann wird die Zeit kommen, soweit die Fortschritte in der Kindererziehungspraxis so weiter gehen, wo Deutschland seine Waffenexporte einstellt und die Wirtschaft weit verantwortlicher handelt, als bisher. Da bin ich sicher.

Samstag, 14. November 2009

Goldhagens "Schlimmer als Krieg"

Kürzlich erschien das Buch „Schlimmer als Krieg: Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist“ von Daniel Jonah Goldhagen. Das Buch findet derzeit viel Aufmerksamkeit.

Ich möchte etwas zu dem Buch schreiben, übrigens ohne es gelesen zu haben. Ich halte mich dabei an einige Rezensionen und an Interviews mit Goldhagen, um dann einige Dinge herauszustellen und zu kritisieren. Denn mir geht es nicht wirklich um dieses Buch, sondern um die Bearbeitung von so etwas wie Krieg und Massenmord, die oftmals ohne den Blick auf die Psychohistorie und die Bedeutung von Kindheitserfahrungen und Emotionen erfolgt.

Zunächst einige wesentliche Aussagen von Goldhagen:

„Goldhagen kommt zu dem Ergebnis, dass Völkermorde nicht etwa Massenhysterie sind und auch keineswegs spontan und unkontrolliert entstehen. Völkermorde sind immer das Ergebnis bewusster Entscheidungen. Politische Führer beschließen, dass Töten vieler Menschen erforderlich ist und schaffen das Klima, diese Entscheidung umzusetzen. Ein solches Klima zu schaffen, das bedeutet zum Beispiel, den Opfern das Mensch-Sein abzusprechen und sie als Bedrohung darzustellen. Ganz normale Bürger machen dann willentlich mit und töten ihre Nachbarn. Und die, die das Töten verhindern könnten, entscheiden sich, nichts zu tun, wegzuschauen.“
http://daserste.ndr.de/reportageunddokumentation/voelkermord100.html

"Massenmord und Genozid beginnen in Gesellschaften, weil Machthaber die Entscheidung treffen zu einer eliminatorischen Politik, um ihre Ziele zu verfolgen", sagt der Historiker.
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4837132,00.html

Völkermord ist niemals ein spontaner, nicht kontrollierbarer Ausbruch von Hass, sondern immer von einigen wenigen Politikern geplant, vorbereitet und gesteuert. Völkermord hat immer ein politisches Ziel. Völkermord geschieht immer mit persönlicher Leidenschaft, aus eigenem Hass und weit mehr Grausamkeit, als zur Tötung eigentlich geboten wäre. Goldhagen verneint einen anonymen Prozess des Mordens, er nennt Mord Handarbeit und betont die Notwendigkeit der individuellen Entscheidung dazu für jeden Täter.
http://community.zeit.de/user/damevonwelt/beitrag/2009/10/19/schlimmer-als-krieg

Fast alle modernen Völkermorde, schreibt Goldhagen, würden von den Führern anti-demokratischer Regime in Gang gesetzt - mit dem klaren Ziel, bestimmte ethnische, politische oder religiöse Gruppen zu vernichten. Und fast alle Vernichtungsprogramme würden von einer bereitwilligen Bevölkerung eifrig ausgeführt. (…) Völkermord ist keine von Gott gesandte Geißel, auch keine irrationale Eruption eines anthropologisch verwurzelten Hasses, sondern ein politisches Programm - gespeist und angetrieben von sorgsam gezüchteten Ressentiments.
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/andruck/1053692/

Die Entscheidung zur Elimination „geht aus dem Willen zu töten und aus dem Prozess hervor, der diesen Willen in einen festen Entschluss verwandelt, die Tat auch auszuführen. Er ist daher die hinreichende Erklärung dafür, warum diese Menschen Massenmord begehen und zu Eliminierungsmaßnahmen greifen.“
http://www.zeit.de/2009/43/L-P-Goldhagen

Völkermorde werden von politischen Führern – einer kleinen Gruppe von Leuten – aufgrund einer bewussten Entscheidung in einem klar erkennbaren Moment entfesselt. Der Genozid ist ebenso wie der Krieg eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Es geht also darum, die Entscheidung zum Völkermord für politische Führer sehr teuer zu machen.
http://www.welt.de/die-welt/kultur/literatur/article4957689/Bringen-wir-die-Dikatoren-um-den-Schlaf.html


Goldhagens Sicht auf die Ursachen von Massenmord sind eigentlich nichts wirklich Neues. Er beschreibt die Führung, die bewusste politische Entscheidungen treffen („Fortführung der Politik mit anderen Mitteln“) würde und das willige Volk, das das Töten leidenschaftlich ausführt. Punkt.

Mir fehlt an dieser typischen Herangehensweise an das Thema die Frage nach dem tieferen Warum, nach der eigentlichen Motivation? Wo kommen all diese mörderischen Impulse her? Wieso „verschwindet“ das Mitgefühl, das doch uns Menschen ausmacht, wenn die Führer zum Morden aufrufen? Wieso wollen die Mörder ihre Opfer leiden sehen? Warum macht ihnen das Töten entweder Spaß und/oder sie fühlen einfach gar nichts dabei? Warum gibt es Menschen, die sich dem Morden entziehen, die lieber fliehen oder evtl. selbst sterben, als ihre Nachbarn zu töten? Warum nutzen die Menschen in bestimmten Regionen nicht andere Wege der Konfliktlösung als Krieg? Usw. usf.
Das scheinen Fragen zu sein, die sich Goldhagen (wie auch so viele andere HistorikerInnen) nicht wirklich zu stellen scheint (,obwohl er dies sicher anders sehen würde). Er beobachtet, stellt fest, erklärt Umstände und Entscheidungen, rationalisiert, das wars.

„Die Beweislage ist eindeutig: Die Mörder taten sehr oft mehr, als ihnen befohlen wurde, und oft wurde ihnen auch gar nichts befohlen, weil nicht einmal Aufseher da waren.“ http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-67153530.html Goldhagen sieht den Grund für dieses Handeln im Glauben der Mörder daran, dass sie im Recht sind bzw. in der Ideologie und nicht etwa im Gruppendruck. Entsprechend wichtig findet er die ideologische Sprache: „Sprache ist das Fundament des Massenmords. Was wir über die Welt wissen, über andere Volksgruppen, über Fremde, wird transportiert über Rede, Worte, Sprache eben. Massenmorde werden von Menschen durchgeführt, die andere Menschen für Untermenschen oder für eine große Gefahr halten. Sie nutzen Sprache, um die Opfer zu entmenschlichen oder zu dämonisieren.“ (ebd.)
Diese Ansicht würde übersetzt bedeuten, dass Menschen grundsätzlich eine Art leeres Glas im Kopf haben, das man nur mit Ideologie füllen braucht, um dann – sofern nicht eine funktionierende Demokratie und das Gewaltmonopol das ganze unterbinden – das Morden zu ermöglichen. Eine Beobachtung, die im Prinzip z.B. auch ein Arno Gruen teilt, wenn er in seinen Arbeiten die „Nicht-Identität“ oder das „falsche Selbst“ von Menschen beschreibt. Und auch ein Lloyd deMause beschreibt die Bedeutung von Sprache und Reden, mit Hilfe derer die Massen mobilisiert werden. Beide letzt genannten beschreiben aber auch die tieferen Ursprünge. Warum haben viele Menschen keine feste Identität sondern sind zersplittert? Warum lassen sich Menschen durch ihre Führer in „soziale Trance“ versetzen? Traumatische Erfahrungen in der Kindheit sind die Antworten. Kaum ein Historiker stellt überhaupt die richtigen Fragen, um eine Antwort in diese Richtung überhaupt zu ermöglichen. Schon erstaunlich. Letztlich wird die Analyse dadurch selbst entmenschlicht, da Menschen als Maschinen betrachtet werden, nicht als menschliche Wesen mit Gefühlen oder eben auch ausgelöschten Gefühlen.
Das Bild vom "leeren Glas" ist - das ist mir hier noch mal wichtig - eigentlich nicht wirklich passend. Ich sehe die Situation - wie schon im Grundlagentext beschrieben - eher so, dass die traumatischen Kindheitserfahrungen das Dynamit in der Welt sind, das unter bestimmten Umständen durch Zündfunken (meinetwegen auch so etwas wie eine gezielte Verbreitung von einer Ideologie) zur Explosion gebracht werden kann.


Das besondere an Goldhagens Recherchen ist allerdings, dass er sich auch an die Orte des Grauens begeben hat, dass er mit Opfern und Tätern sprach, Massengräber besuchte, an der Exhumierung von Toten teilnahm usw. "Leute in Stücke hacken ist leichter, als einen Baum fällen", erzählt der Mörder Elie Ngarambe in einer ruandischen Strafkolonie dem Autor Goldhagen, "man hackt mit der Machete, der Mensch fällt hin, man hackt weiter, er ist in Stücken, und man geht weiter." (http://daserste.ndr.de/reportageunddokumentation/voelkermord100.html)
Solche Aussagen direkt von dem Mörder zu bekommen, scheinen bei Goldhagen auch keine Fragen nach tieferen Ursachen aufgeworfen zu haben. Menschen leben nicht in einer Demokratie, die Führer zetteln Massenmord an, die Menschen führen diesen aus, fertig. ("Das sind Tiere, wurde uns gesagt, die müsst ihr töten, sonst töten sie euch", erzählte einer der verurteilten Mörder dem Autor Daniel Goldhagen im Interview. http://www.abendblatt.de/kultur-live/article1233880/Ein-Protest-gegen-das-Wegsehen-Daniel-Goldhagens-Film-ueber-Voelkermord.html )
Und er geht sogar noch weiter: Man solle einmal überlegen, wie es wäre, "einen Mann eigenhändig zu töten, abzuschlachten, mit der Machete zu zerhacken. Oder eine Frau. Oder ein Kind. Sie schlagen zu. Schlagen noch einmal zu. Schlagen wieder und wieder auf ihn ein. Stellen Sie sich vor, Sie hören, wie der Mensch, den Sie gerade umbringen, bettelt, um Gnade fleht, um sein Leben. Stellen Sie sich vor, Sie hören die Schreie Ihres Opfers, während Sie auf es einschlagen, es ,zerschlitzen', wieder auf es einhacken und immer wieder, oder die Schreie eines Jungen, wenn Sie auf seinen achtjährigen Leib einhacken". Menschen täten so etwas nur, folgert Goldhagen, wenn sie es wollten, keinerlei Strafverfolgung fürchteten und staatliche Führer dies anordneten. (vgl. http://www.taz.de/1/debatte/theorie/artikel/1/das-einmaleins-der-genozide) Und wieder ein Punkt.

???????? So viele Fragezeichen, wie mir hier kommen, kann ich gar nicht aufschreiben. Es ist fast schon ein Wunder, wenn man sich nicht die Frage stellt, ob dieser Mensch, der ohne weiteres „Leute in Stücke hacken kann“ nicht eine schwere emotionale Störung hat. (Bei kriminellen Einzeltätern wird diese Sicht nicht so sehr abgewehrt, wohl aber, wenn aus Einzelnen Massen werden) Und dann müsste man fragen: Wie ist diese Störung eigentlich entstanden? Und da es sich um Massenmord handelt, was ist mit all den anderen? Wie sieht denn der Alltag in Ruanda aus? Was bedeutet Kindheit in diesem Land? Was für sonstige Traumatisierungen erlebt der Bevölkerungsdurchschnitt? Was führte zu einer so gewaltigen Gruppenfantasie, die ihren Weg schließlich in die grausame Realität des Massenmordes fand?

Was u.a. daran hindert, hier weiter nachzuschauen, ist die mögliche Erkenntnis, dass ganze Bevölkerungsteile unter emotionalen Störungen auf Grund erlittener Gewalterfahrungen in der Kindheit leiden können. Diese Störungen haben viele im Alltag „im Griff“ und fallen dadurch – auch den Historikern - nicht unbedingt auf. So etwas wie Krieg und Massenmord ist schließlich geradezu ein Aufruf an die Menschen, ihre Kontrolle fallen zu lassen und außer Kontrolle zu geraten.
Nochmal Goldhagen: Die Mörder „ lachen, sie verhöhnen ihre Opfer. Die Überlebenden erzählen wieder und wieder von der Fröhlichkeit der Mörder. Das scheint ein universelles Kennzeichen aller Genozide zu sein, ebenso wie die Grausamkeit. Die Mörder wollen ihre Opfer leiden sehen.“ (http://www.morgenpost.de/politik/article1194974/Der-politische-Islam-hat-eine-totalitaere-Vision.html)
Eine deutlichere emotionale Motivation kann man gar nicht vor Augen bekommen! Trotzdem spielen Emotionen keine Rolle, verweist Goldhagen auf die Rationalität des Massenmordes, der gerade auf Grund dieser Rationalität vorhersehbar sei und man hier präventiv rechtzeitig agieren müsse. Unverständlich ist auch, dass Goldhagen den Massenmord rein von Oben beleuchtet. Politische Führer würden diesen anzetteln, erst dann führe das Volk diesen aus. Dabei kommt er doch selbst zu dem Schluss, „Völkermord geschieht immer mit persönlicher Leidenschaft, aus eigenem Hass und weit mehr Grausamkeit, als zur Tötung eigentlich geboten wäre.“ Die Psychhistorie sieht es genau anders herum: Die Menschen, das Volk bilden gemeinsame Gruppenfantasien (abhängig von dominierenden Erziehungsstilen) aus, die dann von ihren Führer in die Realität umgesetzt werden. Die Führer sind nach diesem Verständnis emotional Delegierte, die die (unterbewussten) Stimmungen im Land erfassen und ausführen (müssen). Krieg und Massenmord entspringt nach dieser These also im Grunde immer vom Volk selbst.
„Es geht um ein breiteres politisches Phänomen, den Wunsch von politischen Führern, sich Gruppen zu entledigen, die sie hassen, fürchten oder als Hindernis für ihre Ziele betrachten. Dazu wenden sie verschiedene Mittel an: Zwangsübertritte, Verhinderung von Fortpflanzung, das Einsperren in Lagern, Vertreibung und schließlich Massenmord. Der Genozid ist nur ein Instrument in diesem Repertoire, und wann immer er geschieht, werden auch die anderen Methoden angewandt. Das Motiv ist, Menschen zu eliminieren. Das Töten ist bloß ein technisches Mittel. (…) Was wir ändern können, ist, die Kosten-Nutzen-Rechnung von potenziellen Völkermördern zu verändern. Diese Leute sind nicht verrückt, sonst wären sie nicht dort, wo sie sind, sondern sie kalkulieren kühl. Sie müssen wissen, dass sich eine eliminatorische Politik nicht auszahlt, dass sie einen hohen Preis bezahlen werden.“ (http://derstandard.at/fs/1256743529820/STANDARD-Interview-Die-Uno-schuetzt-genozidale-Moerder)
„Das Motiv ist, Menschen zu eliminieren“ Die Handlung an sich wird zum Motiv…? Eine solche Aussage wirkt geradezu naiv.
Unter „verrückt“ versteht Goldhagen wohl jemanden, der nicht in der Lage wäre, Führer eines Volkes zu sein. Auch diese Sicht ist klassisch. Wenn ich von „emotionalen Störungen“ schreibe, dann meine ich nicht Menschen, die „grüne Wesen“ sehen, nicht richtig sprechen können, verwirrt sind, sich gegen den Kopf schlagen usw. Diese sind die Ausnahme. Normalerweise können Menschen – trotz schwerer traumatischer Erfahrungen – im Alltag einigermaßen und scheinbar normal funktionieren. Was ist so schwer daran, Führer und Volk, die Massenmord ausüben, als „gestört“ zu analysieren? Wissen wir doch grundsätzlich auch um die Menschlichkeit, die Mitleidensfähigkeit, das Glücklichsein und die Beziehungsfähigkeit von Menschen. Es gibt diese Fähigkeit von Menschen, Kriege aus einem starken inneren Gefühl heraus abzulehnen. Alleine schon, weil es diese „gesunden“ Menschen gibt, kann man auch die Kriegsführenden als „gestört“ ansehen.

Goldhagen fordert in seinem Buch schließlich absurde Dinge, um das Morden in den Griff zu bekommen. Nämlich: Ganz einfach Morden, bis das Morden aufhört… („Die Streitkräfte der sudanesischen Regierung sollten bombardiert werden. Ganz einfach. Solange bis sie mit den Übergriffen auf die Bevölkerung in Darfur aufhören.“ http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4837132,00.html, „Sie müssen wissen, dass sie beobachtet, verfolgt, bestraft und unter Umständen selbst getötet werden, sollten sie zu Tätern werden.“ http://www.randomhouse.de/webarticle/webarticle.jsp?aid=18954 oder er fordert Kopfgelder auf die führenden Kräfte des Massenmordes) Dies muss nicht weiter kommentiert werden. Wer so denkt, macht deutlich, dass er für ein tieferes Verstehen von Kriegen nicht offen ist.

Und wieder einmal geht es mir darum, an die klasssichen KriegsusrachenforscherInnen zu appellieren: Vergesst nicht, dass wir Menschen sind, wir haben eine Psyche, Emotionen (inkl. der Fähigkeit, diese unter bestimmten Vorbedingungen abzuspalten) und so etwas wie ein Unterbewusstsein. Ohne die Analyse um diese Dinge zu ergänzen, wird Krieg nicht komplex zu erklären sein.