Meinen Beitrag "Bill Clinton. Kindheit und Kriegsführungspersönlichkeit" möchte ich noch mit ein paar Zeilen ergänzen:
Bill Clinton wurde 1999 der deutsche Medienpreis verliehen. „In der Begründung der Jury wird Clinton als Präsident beschrieben, der die globale Macht seines Landes und den Einfluss seines Amtes genutzt habe, um Unterdrückung und Missachtung von Menschenrechten als Unrecht aufzuzeigen. Als 42. Präsident der USA habe er, mehr als seine Vorgänger, die Welt als globale Gemeinschaft gesehen mit einer kollektiven Verantwortung kriegerische Konflikte zu beenden.“ http://www.deutscher-medienpreis.de/index.php?id=1999|content|index (Die prominente Jury bestand aus 20 Chefredakteuren deutscher Zeitungen, Zeitschriften und TV-Sendern)
Im Angesicht der unzähligen militärischen Operationen (siehe meinen o.g. Beitrag) während seiner Amtszeit ist diese Verleihung höchst fragwürdig. Bill Clinton führte auch das gegen den Irak verhängte Embargo nach seinem Amtsantritt strickt weiter. Das Embargo begann kurz nach Ende des Krieges im Jahr 1991. Anfang 2003 wurde Bill Clinton US-Präsident. Er ist somit hauptsächlich für den durch die Sanktionen bedingten Tod von unzähligen Menschen im Irak (darunter sehr viele Kinder) verantwortlich.
In einem Jahresbericht 2001 stellte UNCEF fest, dass zwischen 1990 und 2000 die Kindersterblichkeit im Irak um 160% anstieg, die höchste Steigerungsrate unter allen Ländern der Welt. Im Jahre 1998 war fast jedes vierte Baby, wegen Unterernährung der Mutter, auch untergewichtig. 2001 waren 22.1% der Kinder, jedes fünfte Kind, körperlich zurückgeblieben, was auf chronische Mangelernährung oder akute Unterernährung zurückzuführen ist. (AlSammawi, Faris 2006: (Dissertation) "Die UN-Sanktionen gegen Irak und deren Auswirkungen auf die Bevölkerung von 1990 bis 2003". Köln.)
Seit 1991 (per. Anmerkung: bis 2003) sind nach Schätzungen internationaler humanitärer Organisationen rund 1,5 Millionen Iraker, darunter über 550 000 Kinder unter fünf Jahren, den Folgen dieser Wirtschaftssanktionen zum Opfer gefallen - durch Mangelernährung und unzureichende medizinische Versorgung. Das entspricht rund sieben Prozent der irakischen Bevölkerung.“ (http://www.km.bayern.de/blz/web/irak/golfkriege.html) Ander Schätzungen gehen von bis zu 1,5 Million toter Kinder aus. (vgl. Büttner, C. 2004: Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten: Lebensumstände und Bewältigungsstrategien. Campus Verlag, Frankfurt/Main, S. 234) Siehe ergänzend auch: Untersuchungsberichte von UN- und anderen Hilfsorganisationen über die Auswirkungen des Embargos
Als Madeleine Albright (erste Frau im Amt der Außenministerin in den USA 1997-2001 unter Bill Clinton) am 20.05.1996 gefragt wurde, ob der Tod der vielen irakischen Kinder durch die Sanktionen, die eigentlich Saddam Hussein schwächen sollten, nötig wäre, antwortete sie: „Ich denke, es ist eine sehr schwere Wahl, aber der Preis, wir denken, es ist den Preis wert.“ (zit. nach deMause, 2005, S. 38) (Original: "This is a very hard choice, but we think the price is worth it.”) Zu diesem Zeitpunkt war sie noch US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen. Die Regierung Clinton befand sich derzeit im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl am 05.11.2006 und ihr möglicher Posten als Außenministerin wird sicherlich schon fest eingeplant gewesen sein. Sie gehörte also zum engsten Führunsstab der Regierung Clinton. Mit "wir" wird Albright vor allem auch Clinton gemeint haben. (nebenbei entlastet das "wir" von der Verantwortung...)
Ich habe bisher keine Äußerungen von Bill Clinton finden können, in denen er sein Bedauern zum Ausdruck brachte und die Iraker um Entschuldigung bat. Dieses Embargo, schrieben die US-Wissenschaftler Noam Chomsky und Edward Said, sei „keine Außenpolitik“, sondern „sanktionierter Massenmord“. (vgl. Büttner, 2004, S. 234) Und in der Tat war Bill Clinton für den massenhaften Tod von Menschen verantwortlich.
Vor den US-Präsidentschaftswahlen im Jahre 2000 führte Amy Goodman ein interessantes spontanes Interview mit Bill Clinton. Clinton wies darin alle Verantwortung bzgl. des Embargos von sich:
AMY GOODMAN: President Clinton, UN figures show that up to 5,000 children a month die in Iraq because of the sanctions against Iraq.
PRESIDENT CLINTON: (Overlap) That’s not true. That’s not true. And that’s not what they show. (…)
Anschließend gibt er Saddam Hussein die Schuld am Leid der irakischen Bevölkerung und sagt, dass Hussein mehr Geld zur Verfügung gestanden hätte, als vor dem Krieg und den Sanktionen. „He has more money today than he did before the embargo, and if they’re hungry or they are not getting medicine, it is his own fault.“
Ein Artikel in ”der Freitag” macht deutlich, dass Clinton hier nicht die Wahrheit sagte.
Hans Graf von Sponeck, der ab 1998 das Programm Oil for Food leitete und im Februar 2000 aus Protest von seinem Amt zurücktrat, hat mit detaillierten Aussagen aufgedeckt, dass die USA und Großbritannien die Weltöffentlichkeit bzgl. der Sanktionspraxis manipulierten. In der Weltöffentlichkeit wurde die Darstellung lanciert, „der irakische Diktator behindere das Oil for Food-Programm und beschaffe sich mit den entsprechenden Einnahmen neue Waffen und Paläste. Wie Hans von Sponeck belegt, wurde diese Version 1999 in einer Studie des US-Außenministeriums vertreten und dank einflussreicher US-Medien weltweit kolportiert. Gegenteilige Erklärungen, etwa von Caritas, Care und anderen NGO, wonach nicht Saddam, sondern allein die Praxis der Sanktionen die entscheidende Ursache für das Leiden der Iraker seien, wurden ebenso ignoriert wie die Reports des Beauftragten von Sponeck an den UN-Generalsekretär.“ Und „Jahrelang haben westliche Regierungen und Medien, ebenso die Öffentlichkeit (auch wir selbst), an das Märchen geglaubt, es sei Saddam Hussein, der die Gelder aus dem Programm Oil for Food für die Rüstung abzweige und dafür vorsätzlich den Tod Hunderttausender Iraker in Kauf nehme. Tatsächlich jedoch war sein Regime dank der strengen UN-Kontrollen zu einer solchen Zweckentfremdung der Gelder nie in der Lage.“
Madeleine Albright hat dagegen deutlich gemacht, dass der Tod der zivilen Bevölkerung bewusst durch die US-Regierung in Kauf genommen wurde. Bei dieser Gelegenheit krampte ich das Buch „Stupid White Men“ von Michael Moore (2002) aus dem Keller. Dessen Sprache liegt mir nicht mehr, aber folgende Passage bzgl. Clintons destruktiver Umweltpolitik möchte ich hier zitieren: Bill Clinton „hat festgestellt, dass etwas sagen praktisch das Gleiche ist wie etwas tun. Wenn man sagt, man sei für eine saubere Umwelt, dann reicht das völlig aus – man brauchte nichts weiter zu tun für eine saubere Umwelt. Man könnte sie sogar ungestraft noch stärker verschmutzen, und die meisten Menschen würden das gar nicht merken.“ (S. 266)
Und so ähnlich verhielt es sich wohl auch mit dem Irak (und auch Jugoslawien). Clinton sagte: „Ich tue das für das Volk der Iraker, für die Menschen auf dem Balkan. Wir sind die Guten. Wir sind für Frieden und Freiheit. Deshalb bombardieren wir Euch und deshalb bekommt ihr nichts zu essen.“ Bill Clinton, so scheint es, hat eine Scheinpersönlichkeit aufgebaut (siehe auch Anmerkungen zu seiner Kindheit im vorherigen Beitrag). Und die Menschen wollten es ihm glauben. Das ist das absurde Zusammenspiel vom emotional Delegierten und dem Volk. Letztlich hat er auch seit Kindheit an lernen müssen, die Augen vor Realitäten, vor eigenem Schmerz und Qualen zu verschließen. Für das Leid Anderer scheint er ebenfalls blind zu sein.
Die Auszeichnungen (davon einige in Deutschland), die Clinton erhielt, sind ein Skandal. Ebenso unverstänlich ist, dass er weiterhin salonfähig ist, diverse Ämter inne hatte und weiterhin als Redner international gefragt und hoch bezahlt ist.
Donnerstag, 12. August 2010
Montag, 9. August 2010
Bill Clinton: Kindheit und Kriegsführungspersönlichkeit
Kürzlich bin ich auf eine Chronologie aller US-Militäreinsätze und Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg bis Ende 1999 gestoßen. Ich erinnerte mich dabei an einen Satz von Lloyd deMause: Bill Clinton "hat es in seiner Amtszeit übrigens fertiggebracht, mehr Nationen zu bombardieren als jeder andere Präsident in der US-Geschichte vor ihm." ("Entschärft die menschlichen Zeitbomben", Interview mit Lloyd deMause)
Hier nun die Einsätze und Kriege während Clintons Amtszeit (wobei ihm auch ein paar wenige „vererbt“ wurden, er war vom 20. Januar 1993 bis Anfang 2001 im Amt, militärische Konflikte/Einsätze, die mit einem Datum vor dem 20. Januar 1993 aufgeführt werden, wurden von Clinton weitergeführt):
Operation "Distant Runner": Ruanda, 9. April 1994 bis 15. April 1994
Operationen "Quiet Resolve"/"Support Hope": Ruanda, 22. Juli 1994 bis 30. September 1994
Operation "Uphold/Restore Democracy": Haiti, 19. September 1994 bis 31. März 1995
Operation "United Shield": Somalia, 22. Januar 1995 bis 25. März 1995
Operation "Assured Response": Liberia, April 1996 bis August 1996
Operation "Quick Response": Zentralafrikanische Republik, Mai 1996 bis August 1996
Operation "Guardian Assistance": Zaire/Ruanda/Uganda, 15. November 1996 bis 27. Dezember 1996
Operation "Pacific Haven/Quick Transit": Irak - Guam, 15. September 1996 bis 16. Dezember 1996
Operation "Guardian Retrieval": Kongo, März 1997 bis Juni 1997
Operation "Noble Obelisk": Sierra Leone, Mai 1997 bis Juni 1997
Operation "Bevel Edge": Kambodscha, Juli 1997
Operation "Noble Response": Kenia, 21. Januar 1998 bis 25. März 1998
Operation "Shepherd Venture": Guinea-Bissau, 10. Juni 1998 bis 17. Juni 1998
Operation "Infinite Reach": Sudan/Afghanistan, 20. bis 30. August 1998
Operation "Golden Pheasant": Honduras, ab März 1988
Operation "Safe Border": Peru/Ekuador, ab 1995
Operation "Laser Strike": Südafrika, ab 1. April 1996
Operation "Steady State": Südamerika, 1994 bis April 1996
Operation "Support Justice": Südamerika, 1991 bis 1994
Operation "Wipeout": Hawaii, ab 1990
Operation "Coronet Oak": Zentral- und Südamerika, Oktober 1977 bis 17. Februar 1999
Operation "Coronet Nighthawk": Zentral- und Südamerika, ab 1991
Operation "Desert Falcon": Saudi Arabien, ab 31. März 1991
Operation "Northern Watch": Kurdistan, ab 31. Dezember 1996
Operation "Provide Comfort": Kurdistan, 5. April 1991 bis Dezember 1994
Operation "Provide Comfort II": Kurdistan, 24. Juli 1991 bis 31. Dezember 1996
Operation "Vigilant Sentine I": Kuwait, ab August 1995
Operation "Vigilant Warrior": Kuwait, Oktober 1994 bis November 1994
Operation "Desert Focus": Saudi Arabien, ab Juli 1996
Operation "Phoenix Scorpion I": Irak, ab November 1997
Operation "Phoenix Scorpion II": Irak, ab Februar 1998
Operation "Phoenix Scorpion III": Irak, ab November 1998
Operation "Phoenix Scorpion IV": Irak, ab Dezember 1998
Operation "Desert Strike": Irak, 3. September 1996; Cruise Missile-Angriffe: Irak, 26. Juni 1993, 17. Januar 1993, Bombardements: Irak, 13. Januar 1993
Operation "Desert Fox": Irak, 16. Dezember 1998 bis 20. Dezember 1998
Operation "Provide Promise": Bosnien, 3. Juli 1992 bis 31. März 1996
Operation "Decisive Enhancement": Adria, 1. Dezember 1995 bis 19. Juni 1996
Operation "Sharp Guard": Adria, 15. Juni 1993 bis Dezember 1995
Operation "Maritime Guard": Adria, 22. November 1992 bis 15. Juni 1993
Operation "Maritime Monitor": Adria, 16. Juli 1992 bis 22. November 1992
Operation "Sky Monitor": Bosnien-Herzegowina, ab 16. Oktober 1992
Operation "Deliberate Forke": Bosnien-Herzegowina, ab 20. Juni 1998
Operation "Decisive Edeavor/Decisive Edge": Bosnien-Herzegowina, Januar 1996 bis Dezember 1996
Operation "Deny Flight": Bosnien, 12. April 1993 bis 20. Dezember 1995
Operation "Able Sentry": Serbien-Mazedonien, ab 5. Juli 1994
Operation "Nomad Edeavor": Taszar, Ungarn, ab März 1996
Operation "Nomad Vigil": Albanien, 1. Juli 1995 bis 5. November 1996
Operation "Quick Lift": Kroatien, Juli 1995
Operation "Deliberate Force": Republika Srpska, 29. August 1995 bis 21. September 1995
Operation "Joint Forge": ab 20. Juni 1998
Operation "Joint Guard": Bosnien-Herzegowina, 20. Juni 1998
Operation "Joint Edeavor": Bosnien-Herzegowina, Dezember 1995 bis Dezember 1996
Operation "Determined Effort": Bosnien, Juli 1995 bis Dezember 1995
Operation "Determined Falcon": Kosovo/Albanien, 15. Juni 1998 bis 16. Juni 1998
Operation "Eagle Eye": Kosovo, 16. Oktober 1998 bis 24. März 1999
Operation "Sustain Hope/Allied Harbour": Kosovo, ab 5. April 1999
Operation "Shining Hope": Kosovo, ab 5. April 1999
Operation "Cobalt Flash": Kosovo, ab 23. März 1999
Operation "Determined Force": Kosovo, 8. Oktober 1998 bis 23. März 1999
Der größte Kampfeinsatz war dabei bekanntlich der auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens, der vor allem Folgen für die Zivilbevölkerung hatte: "In den 79 Tagen und Nächten vom 24. März bis 10. Juni 1999 flogen die NATO-Luftstreitkräfte mit zunächst 420 und schließlich 1.200 Flugzeugen insgesamt 37.465 Einsätze, bei denen sie 20.000 Raketen und Bomben auf das gesamte Territorium der Bundesrepublik Jugoslawien abfeuerten. Allein schon diese Tatsache macht deutlich, wie falsch und irreführend der Propaganda-Begriff vom ‚Kosovo-Krieg‘ ist. Bei diesem ersten Krieg gegen eine entwickelte Industrielandschaft in Europa wurden mindestens 200 Fabriken und Kraftwerke, 300 Schulen, 50 Krankenhäuser und 50 Brücken zerstört, womit die Wirtschaft Jugoslawiens etwa auf den Stand von 1900 zurückgeworfen wurde. Durch das systematische Bombardement von Betrieben der chemischen und pharmazeutischen Industrie, von Öl-Raffinerien und -Depots wurde in Jugoslawien und seinen Nachbarstaaten die größte Umwelt-Schädigung seit dem Krieg der USA gegen Vietnam verursacht." ("Kollateralschäden" oder Kriegsverbrechen? Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien und das Kriegsvölkerrecht von Ernst Woit) Darüberhinaus gibt es viele Hinweise darauf, dass große Flüchtlingsströme überhaupt erst durch die NATO-Bombardements ausgelöst wurden. (Hier sei nochmal wiederholt, dass die NATO 37.465 Kampfeinsätze flog!)
Über Bill Clintons Kindheit und seine Kriegsführungspersönlichkeit hatte ich kurz etwas hier geschrieben. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch mal deMause in seiner Schilderung über Bill Clintons Kindheit ausführlich zitieren:
„Folgt man seinem Biographen, war Clintons Familienrolle ebenfalls die eines sich aufopfernden Helden, der der "Umsorger und Beschützer der Familie" und seiner Mutter Virginia war.4 Sein alkoholischer Stiefvater war so gewalttätig seiner Mutter gegenüber, daß Clinton sich daran erinnert, wie dieser mit einem Gewehr auf seine Mutter geschossen hat, als er selber fünf Jahre alt war, und der kleine Billy "mußte zweimal echte Gewalttätigkeiten stoppen, als Roger drohte, Virginia umzubringen".5 Clintons Rolle des Familienhelden" war es natürlich, die ihn zu so einem meisterhaften Politiker machte, der fähig ist, die unbewußten emotionalen Bedürfnisse anderer zu spüren und seine eigenen Werte für die Verherrlichung, die er dadurch gewann, zu opfern. Es gab wenig Liebe in seiner Familie. Sein Stiefvater mißhandelte ihn physisch während seiner Trunkenheits-Wutanfälle, und seine Großmutter, die sich in den ersten Jahren, als die Mutter abwesend war, hauptsächlich um ihn kümmerte, hatte ein "grimmiges Wesen" und verwendete zweifellos "eine Peitsche" gegen ihn, wie sie es auch bei seiner Mutter getan hatte, als diese klein war.6
Zusätzlich zu diesem körperlichen Mißbrauch war Bill Clinton auch ein ungewünschtes Kind, dessen Mutter ihn als Kleinkind zwei Jahre lang bei ihrer Mutter ließ, während sie in eine andere Stadt zog, um eine Krankenschwestern-Ausbildung zu absolvieren, und die ihn später, während er aufwuchs, regelmaßig allein ließ und sich dem Glücksspiel widmete. "Ich wurde erzogen in der Art von Kultur, wo du ein glückliches Gesicht machst und deine Schmerzen und Qualen nicht zu erkennen gibst", sagte er.7 Der Psychotherapeut Jerome Levin verbindet Clintons suchthaften Sex mit Hunderten von Frauen unmittelbar mit seiner einsamen Kindheit.“
http://www.mattes.de/buecher/psychohistorie/978-3-930978-44-1_demause.pdf
Bill Clinton wörtlich über seinen Stiefvater: "Er war ein guter Kerl, aber er hatte dieses Alkoholproblem. Er konnte seine Dämonen nicht kontrollieren - daraus entstanden Hass und Zerstörung. Ich habe sein Handeln gehasst, ihn habe ich nicht gehasst. Die Gewalt nahm kein Ende. Irgendwann haben meine Mutter und ich erkannt, das wir uns entscheiden mussten. Wir entschieden, dies alles zu ertragen, und unser Leben so normal wie möglich fortzusetzen." (Zitiert nach einer Rezension von Clintons Biografie "Mein Leben" im Deutschlandradio)
Bill Clinton spricht - so die Rezension weiter - nach eigener Aussage über "Dämonen", die er mit ins Weiße Haus trug und auch von einem Doppelleben. Auch der stern schreibt in seiner Buchbesprechung etwas von Dämonen: "Nach einem Jahr intensiver Eheberatung und seinem Freispruch im Amtsenthebungsverfahren habe er sich dann am Ende "befreit" (von seinen "Dämonen") gefühlt." Dies sind klassische Hinweise auf abgespaltene emotionale Anteile, wie sie fast immer bei Menschen vorkommen, die solch extreme Gewalt in der Kindheit erfahren haben. Das an sich ist etwas, was nun einmal Realität im Leben von Clinton war. Wenn diese Realität nicht aufgearbeitet wird - und Clinton selbst sagt ja einiges zum Thema "Wegsehen" und Verdrängen -, dann besteht die Gefahr, dass einen die "Dämonen" von einst wieder einholen, erst recht gilt dies, wenn man der mächtigste Mann der Welt wird inkl. einer großen Militärmaschinerie hinter sich...
Wenn man sich diese o.g. Informationen vor Augen führt, hätte ich den "Demokraten" Bill Clinton auch gut im Grundlagentext unter Kapitel 3. aufführen können…
siehe ergänzend: "Bill Clinton. "Dämonen" im Kopf und sanktionierter Massenmord"
Hier nun die Einsätze und Kriege während Clintons Amtszeit (wobei ihm auch ein paar wenige „vererbt“ wurden, er war vom 20. Januar 1993 bis Anfang 2001 im Amt, militärische Konflikte/Einsätze, die mit einem Datum vor dem 20. Januar 1993 aufgeführt werden, wurden von Clinton weitergeführt):
Operation "Distant Runner": Ruanda, 9. April 1994 bis 15. April 1994
Operationen "Quiet Resolve"/"Support Hope": Ruanda, 22. Juli 1994 bis 30. September 1994
Operation "Uphold/Restore Democracy": Haiti, 19. September 1994 bis 31. März 1995
Operation "United Shield": Somalia, 22. Januar 1995 bis 25. März 1995
Operation "Assured Response": Liberia, April 1996 bis August 1996
Operation "Quick Response": Zentralafrikanische Republik, Mai 1996 bis August 1996
Operation "Guardian Assistance": Zaire/Ruanda/Uganda, 15. November 1996 bis 27. Dezember 1996
Operation "Pacific Haven/Quick Transit": Irak - Guam, 15. September 1996 bis 16. Dezember 1996
Operation "Guardian Retrieval": Kongo, März 1997 bis Juni 1997
Operation "Noble Obelisk": Sierra Leone, Mai 1997 bis Juni 1997
Operation "Bevel Edge": Kambodscha, Juli 1997
Operation "Noble Response": Kenia, 21. Januar 1998 bis 25. März 1998
Operation "Shepherd Venture": Guinea-Bissau, 10. Juni 1998 bis 17. Juni 1998
Operation "Infinite Reach": Sudan/Afghanistan, 20. bis 30. August 1998
Operation "Golden Pheasant": Honduras, ab März 1988
Operation "Safe Border": Peru/Ekuador, ab 1995
Operation "Laser Strike": Südafrika, ab 1. April 1996
Operation "Steady State": Südamerika, 1994 bis April 1996
Operation "Support Justice": Südamerika, 1991 bis 1994
Operation "Wipeout": Hawaii, ab 1990
Operation "Coronet Oak": Zentral- und Südamerika, Oktober 1977 bis 17. Februar 1999
Operation "Coronet Nighthawk": Zentral- und Südamerika, ab 1991
Operation "Desert Falcon": Saudi Arabien, ab 31. März 1991
Operation "Northern Watch": Kurdistan, ab 31. Dezember 1996
Operation "Provide Comfort": Kurdistan, 5. April 1991 bis Dezember 1994
Operation "Provide Comfort II": Kurdistan, 24. Juli 1991 bis 31. Dezember 1996
Operation "Vigilant Sentine I": Kuwait, ab August 1995
Operation "Vigilant Warrior": Kuwait, Oktober 1994 bis November 1994
Operation "Desert Focus": Saudi Arabien, ab Juli 1996
Operation "Phoenix Scorpion I": Irak, ab November 1997
Operation "Phoenix Scorpion II": Irak, ab Februar 1998
Operation "Phoenix Scorpion III": Irak, ab November 1998
Operation "Phoenix Scorpion IV": Irak, ab Dezember 1998
Operation "Desert Strike": Irak, 3. September 1996; Cruise Missile-Angriffe: Irak, 26. Juni 1993, 17. Januar 1993, Bombardements: Irak, 13. Januar 1993
Operation "Desert Fox": Irak, 16. Dezember 1998 bis 20. Dezember 1998
Operation "Provide Promise": Bosnien, 3. Juli 1992 bis 31. März 1996
Operation "Decisive Enhancement": Adria, 1. Dezember 1995 bis 19. Juni 1996
Operation "Sharp Guard": Adria, 15. Juni 1993 bis Dezember 1995
Operation "Maritime Guard": Adria, 22. November 1992 bis 15. Juni 1993
Operation "Maritime Monitor": Adria, 16. Juli 1992 bis 22. November 1992
Operation "Sky Monitor": Bosnien-Herzegowina, ab 16. Oktober 1992
Operation "Deliberate Forke": Bosnien-Herzegowina, ab 20. Juni 1998
Operation "Decisive Edeavor/Decisive Edge": Bosnien-Herzegowina, Januar 1996 bis Dezember 1996
Operation "Deny Flight": Bosnien, 12. April 1993 bis 20. Dezember 1995
Operation "Able Sentry": Serbien-Mazedonien, ab 5. Juli 1994
Operation "Nomad Edeavor": Taszar, Ungarn, ab März 1996
Operation "Nomad Vigil": Albanien, 1. Juli 1995 bis 5. November 1996
Operation "Quick Lift": Kroatien, Juli 1995
Operation "Deliberate Force": Republika Srpska, 29. August 1995 bis 21. September 1995
Operation "Joint Forge": ab 20. Juni 1998
Operation "Joint Guard": Bosnien-Herzegowina, 20. Juni 1998
Operation "Joint Edeavor": Bosnien-Herzegowina, Dezember 1995 bis Dezember 1996
Operation "Determined Effort": Bosnien, Juli 1995 bis Dezember 1995
Operation "Determined Falcon": Kosovo/Albanien, 15. Juni 1998 bis 16. Juni 1998
Operation "Eagle Eye": Kosovo, 16. Oktober 1998 bis 24. März 1999
Operation "Sustain Hope/Allied Harbour": Kosovo, ab 5. April 1999
Operation "Shining Hope": Kosovo, ab 5. April 1999
Operation "Cobalt Flash": Kosovo, ab 23. März 1999
Operation "Determined Force": Kosovo, 8. Oktober 1998 bis 23. März 1999
Der größte Kampfeinsatz war dabei bekanntlich der auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens, der vor allem Folgen für die Zivilbevölkerung hatte: "In den 79 Tagen und Nächten vom 24. März bis 10. Juni 1999 flogen die NATO-Luftstreitkräfte mit zunächst 420 und schließlich 1.200 Flugzeugen insgesamt 37.465 Einsätze, bei denen sie 20.000 Raketen und Bomben auf das gesamte Territorium der Bundesrepublik Jugoslawien abfeuerten. Allein schon diese Tatsache macht deutlich, wie falsch und irreführend der Propaganda-Begriff vom ‚Kosovo-Krieg‘ ist. Bei diesem ersten Krieg gegen eine entwickelte Industrielandschaft in Europa wurden mindestens 200 Fabriken und Kraftwerke, 300 Schulen, 50 Krankenhäuser und 50 Brücken zerstört, womit die Wirtschaft Jugoslawiens etwa auf den Stand von 1900 zurückgeworfen wurde. Durch das systematische Bombardement von Betrieben der chemischen und pharmazeutischen Industrie, von Öl-Raffinerien und -Depots wurde in Jugoslawien und seinen Nachbarstaaten die größte Umwelt-Schädigung seit dem Krieg der USA gegen Vietnam verursacht." ("Kollateralschäden" oder Kriegsverbrechen? Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien und das Kriegsvölkerrecht von Ernst Woit) Darüberhinaus gibt es viele Hinweise darauf, dass große Flüchtlingsströme überhaupt erst durch die NATO-Bombardements ausgelöst wurden. (Hier sei nochmal wiederholt, dass die NATO 37.465 Kampfeinsätze flog!)
Über Bill Clintons Kindheit und seine Kriegsführungspersönlichkeit hatte ich kurz etwas hier geschrieben. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch mal deMause in seiner Schilderung über Bill Clintons Kindheit ausführlich zitieren:
„Folgt man seinem Biographen, war Clintons Familienrolle ebenfalls die eines sich aufopfernden Helden, der der "Umsorger und Beschützer der Familie" und seiner Mutter Virginia war.4 Sein alkoholischer Stiefvater war so gewalttätig seiner Mutter gegenüber, daß Clinton sich daran erinnert, wie dieser mit einem Gewehr auf seine Mutter geschossen hat, als er selber fünf Jahre alt war, und der kleine Billy "mußte zweimal echte Gewalttätigkeiten stoppen, als Roger drohte, Virginia umzubringen".5 Clintons Rolle des Familienhelden" war es natürlich, die ihn zu so einem meisterhaften Politiker machte, der fähig ist, die unbewußten emotionalen Bedürfnisse anderer zu spüren und seine eigenen Werte für die Verherrlichung, die er dadurch gewann, zu opfern. Es gab wenig Liebe in seiner Familie. Sein Stiefvater mißhandelte ihn physisch während seiner Trunkenheits-Wutanfälle, und seine Großmutter, die sich in den ersten Jahren, als die Mutter abwesend war, hauptsächlich um ihn kümmerte, hatte ein "grimmiges Wesen" und verwendete zweifellos "eine Peitsche" gegen ihn, wie sie es auch bei seiner Mutter getan hatte, als diese klein war.6
Zusätzlich zu diesem körperlichen Mißbrauch war Bill Clinton auch ein ungewünschtes Kind, dessen Mutter ihn als Kleinkind zwei Jahre lang bei ihrer Mutter ließ, während sie in eine andere Stadt zog, um eine Krankenschwestern-Ausbildung zu absolvieren, und die ihn später, während er aufwuchs, regelmaßig allein ließ und sich dem Glücksspiel widmete. "Ich wurde erzogen in der Art von Kultur, wo du ein glückliches Gesicht machst und deine Schmerzen und Qualen nicht zu erkennen gibst", sagte er.7 Der Psychotherapeut Jerome Levin verbindet Clintons suchthaften Sex mit Hunderten von Frauen unmittelbar mit seiner einsamen Kindheit.“
http://www.mattes.de/buecher/psychohistorie/978-3-930978-44-1_demause.pdf
Bill Clinton wörtlich über seinen Stiefvater: "Er war ein guter Kerl, aber er hatte dieses Alkoholproblem. Er konnte seine Dämonen nicht kontrollieren - daraus entstanden Hass und Zerstörung. Ich habe sein Handeln gehasst, ihn habe ich nicht gehasst. Die Gewalt nahm kein Ende. Irgendwann haben meine Mutter und ich erkannt, das wir uns entscheiden mussten. Wir entschieden, dies alles zu ertragen, und unser Leben so normal wie möglich fortzusetzen." (Zitiert nach einer Rezension von Clintons Biografie "Mein Leben" im Deutschlandradio)
Bill Clinton spricht - so die Rezension weiter - nach eigener Aussage über "Dämonen", die er mit ins Weiße Haus trug und auch von einem Doppelleben. Auch der stern schreibt in seiner Buchbesprechung etwas von Dämonen: "Nach einem Jahr intensiver Eheberatung und seinem Freispruch im Amtsenthebungsverfahren habe er sich dann am Ende "befreit" (von seinen "Dämonen") gefühlt." Dies sind klassische Hinweise auf abgespaltene emotionale Anteile, wie sie fast immer bei Menschen vorkommen, die solch extreme Gewalt in der Kindheit erfahren haben. Das an sich ist etwas, was nun einmal Realität im Leben von Clinton war. Wenn diese Realität nicht aufgearbeitet wird - und Clinton selbst sagt ja einiges zum Thema "Wegsehen" und Verdrängen -, dann besteht die Gefahr, dass einen die "Dämonen" von einst wieder einholen, erst recht gilt dies, wenn man der mächtigste Mann der Welt wird inkl. einer großen Militärmaschinerie hinter sich...
Wenn man sich diese o.g. Informationen vor Augen führt, hätte ich den "Demokraten" Bill Clinton auch gut im Grundlagentext unter Kapitel 3. aufführen können…
siehe ergänzend: "Bill Clinton. "Dämonen" im Kopf und sanktionierter Massenmord"
Freitag, 6. August 2010
Afghanistan: Gewalt gegen Kinder und der (un)mögliche Frieden
„Afghanistan braucht vor allem mehr Kinderschutz und nicht mehr deutsche Soldaten!“, schrieb ich im September 2009 in dem Beitrag „Lösungen für Afghanistan“
Damals wie heute ist es schwierig, genaue Zahlen zur Gewalt gegen Kinder in diesem Land zu finden. Klassisch sind z.B. Berichte wie dieser von Amnesty International aus dem Jahr 2003. Im Kapitel 5.1 „Gewalt gegen Frauen und Mädchen innerhalb der Familie“ wird auf Grund allgemeiner Berichte und Erfahrungen von der Alltäglichkeit der häuslichen Gewalt und auch öffentlichen Gewalt berichtet, konkrete Studien fehlen aber. Ein anderes Beispiel: Die Caritas ließ 3600 Frauen in Kabul zu ihrer Lebenssituation befragen. (Studie "Women in Kabul"). Erfahrungen von Gewalt in der Kindheit und zu häuslicher Gewalt durch Ehemänner wurden bei dieser Gelegenheit nicht abgefragt.
Um so erstaunter war ich, als ich kürzlich die Diplomarbeit (Fachbereich Psychologie der Universität Konstanz) von JeanPaul Leo François Bette (2006) mit dem Titel „PTBS, häusliche Gewalt und Kinderarbeit – eine epidemiologische Untersuchung von Schulkindern in Kabul, Afghanistan“ fand.
In den Einleitungen zum Thema schreibt Bette: „700.000 Witwen und 200.000 durch Bomben und Minen verkrüppelte Väter haben keine andere Überlebensmöglichkeit als ihre Kinder. Viele arbeiten in Fabriken, in Läden oder in der Teppichindustrie. In Kabul arbeiten schätzungsweise 60.000 Kinder unter meist sehr schwierigen und unsicheren Bedingungen. Viele von ihnen werden nicht nur zur Arbeit gezwungen, sondern auch sexuell ausgebeutet.“
287 afghanische Schulkinder aus dem Dashti Barchi Distrikt in Kabul im Alter von 7 bis 14 Jahren wurden in Interviews befragt. Die Ergebnisse sind wie erwartet erschütternd:
31% der Kinder gaben an, dass ihre Mutter von ihrem Vater geschlagen würde und 4,3% der Kinder gaben an, dass auch die Mutter ihren Vater schlagen würde. 41,6% der Kinder berichteten, von ihrem Vater geschlagen zu werden und 59,9% berichteten, von ihrer Mutter geschlagen zu werden. 37,8% der Kinder wurden von ihren älteren Geschwistern geschlagen.
Fast ein Drittel aller Kinder berichtete von mehr als fünf Typen häuslicher Gewalterfahrungen. Die Typen häuslicher Gewalterfahrung, die am häufigsten berichtet wurden waren Schläge auf den Körper, die Arme oder die Beine und angeschrien, oder beleidigt zu werden.
11,4% der Kinde, gaben an, aufgrund familiärer Gewalt verletzt worden zu sein. 8,6% so schlimm, dass sie daraufhin medizinisch versorgt werden mussten. Häufig berichtet wurden dabei „blaue Augen“, Verletzungen an Kopf und Gesicht, Platzwunden und gebrochene Gliedmaßen.
58,8% der Jungen und 40,2% der Mädchen berichteten zudem über mindestens ein kriegerisches Ereignis in ihrem Leben. 20% der Jungen und 13% der Mädchen berichteten über mehr als drei kriegerische Ereignisse in ihrem Leben.
„Insgesamt erfahren Jungen nicht nur signifikant mehr verschiedene Typen häuslicher Gewalt als Mädchen, sondern geben auch signifikant mehr verschiedene Typen kriegsbedingter Gewalterfahrungen an.“, schreibt Bette in der Nachbesprechung der Arbeit.
Bette stellt in dieser Arbeit richtigerweise einen Zusammenhang zwischen erlebter kriegerischer Gewalt und häuslicher Gewalt fest. Leider wird über den umgekehrten Zusammenhang nicht diskutiert, nämlich dass häusliche Gewalt bzw. Gewalterfahrungen in der Kindheit wiederum zu kriegerischer Gewalt führen können. Aber das nur nebenbei.
Diese Arbeit zeigt neben den anderen Infos zwei interessante Aspekte, die in der westlichen Öffentlichkeit kaum besprochen wurden. Erstens die hohe Gewaltrate von weiblicher bzw. mütterlicher Gewalt gegen Kinder von 59,9 %. Hier ist zu vermuten, dass die Frauen, die in der afghanischen Gesellschaft als „Giftcontainer“ für männliche Niederlagen, Ohnmachtserfahrungen und Verletzungen herhalten müssen, wiederum ihre Kinder als „Giftcontainer“ benutzen. Niemand sonst steht unter ihnen und über niemanden sonst verfügen sie über Macht. Der Kreis der Gewalt ist somit geschlossen. In der islamischen Welt ist die Erziehung der Kinder hauptsächlich Frauensache. Wenn fast 60 % der afghanischen Kinder von ihren Müttern geschlagen werden, dann sagt das auch etwas über die sonstigen Umgangsformen mit Säuglingen, Kleinkindern und Kindern aus. Und wenn dann noch 41,6% von ihren Väter - soweit sie anwesend sind - Schläge bekommen, dann lässt sich erahnen, warum die afghanische Gesellschaft auch im Politischen so im Chaos und in Gewalt versinkt.
Zweitens sind auch Jungen vielfachen Gewalterfahrungen ausgesetzt. Trotzdem gilt im Westen hauptsächlich das Argument „Mädchenschulen“, „häusliche Gewalt gegen Mädchen“, „Mädchenunterdrückung“ usw. Diese Jungen werden irgendwann erwachsene Männer sein. Neben den Mädchen muss auch den Jungen gezielt geholfen werden, aus humanitären Gründen, aber auch, damit sie die Gewalt später nicht weitergeben und für eine demokratische Gesellschaft arbeiten. Werden ihre Ohnmachtserfahrungen ausgeblendet, wird ihnen nicht geholfen wird es auch langfristig keinen Frieden in Afghanistan geben.
Damals wie heute ist es schwierig, genaue Zahlen zur Gewalt gegen Kinder in diesem Land zu finden. Klassisch sind z.B. Berichte wie dieser von Amnesty International aus dem Jahr 2003. Im Kapitel 5.1 „Gewalt gegen Frauen und Mädchen innerhalb der Familie“ wird auf Grund allgemeiner Berichte und Erfahrungen von der Alltäglichkeit der häuslichen Gewalt und auch öffentlichen Gewalt berichtet, konkrete Studien fehlen aber. Ein anderes Beispiel: Die Caritas ließ 3600 Frauen in Kabul zu ihrer Lebenssituation befragen. (Studie "Women in Kabul"). Erfahrungen von Gewalt in der Kindheit und zu häuslicher Gewalt durch Ehemänner wurden bei dieser Gelegenheit nicht abgefragt.
Um so erstaunter war ich, als ich kürzlich die Diplomarbeit (Fachbereich Psychologie der Universität Konstanz) von JeanPaul Leo François Bette (2006) mit dem Titel „PTBS, häusliche Gewalt und Kinderarbeit – eine epidemiologische Untersuchung von Schulkindern in Kabul, Afghanistan“ fand.
In den Einleitungen zum Thema schreibt Bette: „700.000 Witwen und 200.000 durch Bomben und Minen verkrüppelte Väter haben keine andere Überlebensmöglichkeit als ihre Kinder. Viele arbeiten in Fabriken, in Läden oder in der Teppichindustrie. In Kabul arbeiten schätzungsweise 60.000 Kinder unter meist sehr schwierigen und unsicheren Bedingungen. Viele von ihnen werden nicht nur zur Arbeit gezwungen, sondern auch sexuell ausgebeutet.“
287 afghanische Schulkinder aus dem Dashti Barchi Distrikt in Kabul im Alter von 7 bis 14 Jahren wurden in Interviews befragt. Die Ergebnisse sind wie erwartet erschütternd:
31% der Kinder gaben an, dass ihre Mutter von ihrem Vater geschlagen würde und 4,3% der Kinder gaben an, dass auch die Mutter ihren Vater schlagen würde. 41,6% der Kinder berichteten, von ihrem Vater geschlagen zu werden und 59,9% berichteten, von ihrer Mutter geschlagen zu werden. 37,8% der Kinder wurden von ihren älteren Geschwistern geschlagen.
Fast ein Drittel aller Kinder berichtete von mehr als fünf Typen häuslicher Gewalterfahrungen. Die Typen häuslicher Gewalterfahrung, die am häufigsten berichtet wurden waren Schläge auf den Körper, die Arme oder die Beine und angeschrien, oder beleidigt zu werden.
11,4% der Kinde, gaben an, aufgrund familiärer Gewalt verletzt worden zu sein. 8,6% so schlimm, dass sie daraufhin medizinisch versorgt werden mussten. Häufig berichtet wurden dabei „blaue Augen“, Verletzungen an Kopf und Gesicht, Platzwunden und gebrochene Gliedmaßen.
58,8% der Jungen und 40,2% der Mädchen berichteten zudem über mindestens ein kriegerisches Ereignis in ihrem Leben. 20% der Jungen und 13% der Mädchen berichteten über mehr als drei kriegerische Ereignisse in ihrem Leben.
„Insgesamt erfahren Jungen nicht nur signifikant mehr verschiedene Typen häuslicher Gewalt als Mädchen, sondern geben auch signifikant mehr verschiedene Typen kriegsbedingter Gewalterfahrungen an.“, schreibt Bette in der Nachbesprechung der Arbeit.
Bette stellt in dieser Arbeit richtigerweise einen Zusammenhang zwischen erlebter kriegerischer Gewalt und häuslicher Gewalt fest. Leider wird über den umgekehrten Zusammenhang nicht diskutiert, nämlich dass häusliche Gewalt bzw. Gewalterfahrungen in der Kindheit wiederum zu kriegerischer Gewalt führen können. Aber das nur nebenbei.
Diese Arbeit zeigt neben den anderen Infos zwei interessante Aspekte, die in der westlichen Öffentlichkeit kaum besprochen wurden. Erstens die hohe Gewaltrate von weiblicher bzw. mütterlicher Gewalt gegen Kinder von 59,9 %. Hier ist zu vermuten, dass die Frauen, die in der afghanischen Gesellschaft als „Giftcontainer“ für männliche Niederlagen, Ohnmachtserfahrungen und Verletzungen herhalten müssen, wiederum ihre Kinder als „Giftcontainer“ benutzen. Niemand sonst steht unter ihnen und über niemanden sonst verfügen sie über Macht. Der Kreis der Gewalt ist somit geschlossen. In der islamischen Welt ist die Erziehung der Kinder hauptsächlich Frauensache. Wenn fast 60 % der afghanischen Kinder von ihren Müttern geschlagen werden, dann sagt das auch etwas über die sonstigen Umgangsformen mit Säuglingen, Kleinkindern und Kindern aus. Und wenn dann noch 41,6% von ihren Väter - soweit sie anwesend sind - Schläge bekommen, dann lässt sich erahnen, warum die afghanische Gesellschaft auch im Politischen so im Chaos und in Gewalt versinkt.
Zweitens sind auch Jungen vielfachen Gewalterfahrungen ausgesetzt. Trotzdem gilt im Westen hauptsächlich das Argument „Mädchenschulen“, „häusliche Gewalt gegen Mädchen“, „Mädchenunterdrückung“ usw. Diese Jungen werden irgendwann erwachsene Männer sein. Neben den Mädchen muss auch den Jungen gezielt geholfen werden, aus humanitären Gründen, aber auch, damit sie die Gewalt später nicht weitergeben und für eine demokratische Gesellschaft arbeiten. Werden ihre Ohnmachtserfahrungen ausgeblendet, wird ihnen nicht geholfen wird es auch langfristig keinen Frieden in Afghanistan geben.
Afghanistan. Krieg und häusliche Gewalt
Der SPIEGEL berichtet aktuell über eine junge Frau - Bibi Aisha. „Sie wurde geschlagen und geknechtet, sie floh vor der gewalttätigen Familie ihres Ehemanns. Doch der verfolgte sie und schnitt ihr Nase und Ohren ab. (…) Das "Time"-Magazin hat ein Porträt von ihr auf dem Titel gedruckt, daneben steht: "Was passiert, wenn wir Afghanistan verlassen". Kein Fragezeichen hinter dem Satz, eine Feststellung.“
Was passiert eigentlich, wenn die alleierten SoldatInnen aus dem Kriegsgebiet zurück in ihre Heimat kommen frage ich mich?
Laut einem Bericht haben in der US-amerikanischen Siedlung Killeen, in der die meisten Soldaten des anliegenden Militärstützpunktes mit ihren Familien leben (ca. 100.000 Einwohner), die Meldungen uber häusliche Gewalt seit Beginn des Afghanistankrieges um 75 % zugenommen. Verschiedene Kennziffern uber den Anstieg von Gewaltkriminalitat sind um 22 % gestiegen, in vergleichbaren Gemeinden landesweit jedoch um 7 % gesunken. Die schulischen Leistungen der Kinder haben deutlich ab- und auffälliges Verhalten deutlich zugenommen. (Dr. med. Thomas Lukowski, http://www.dr-lukowski.com/pdf/DNP2_2010_22-25.pdf)
Es ist absehbar, was auf unsere Gesellschaft zukommen wird, schreibt Dr. med. Thomas Lukowski (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie). Eine Untersuchung an insgesamt 289.328 US-amerikanischen Armeeangehorigen, die von 2002 bis 2008 im Irak oder in Afghanistan eingesetzt waren, ergab erschreckende Zahlen:
- 21,8 % (also 90 000 Menschen!) litten an einer PTBS.
- 17,4 % litten an einer Depression.
- 36,9 % litten an einer anderen psychischen Erkrankung.
- Soldaten nach Kampfeinsatz und im Alter von ca. 25 Jahren
wiesen die hochsten Raten an PTBS, Drogen- oder Alkoholmissbrauch auf.
Nahezu jeder zehnte Häftling im britischen Justizsystem ist ein ehemaliger Soldat Ihrer Majestät, schreibt der SPIEGEL. "Wenn wir Menschen auffordern, schreckliche Dinge zu tun und regelmäßig in Feuergefechten und im Nahkampf zu stehen, dann kommen wir zu dem Punkt, dass sie gegenüber Gewalt abstumpfen", sagte der Psychologe Tim Robbins dem SPIEGEL. Von 90 britischen Soldaten, die in Nordirland, Bosnien, Irak und Afghanistan gedient haben, wurden 57 später für Gewaltanwendung verurteilt, die meisten für häusliche Gewalt. In weiteren zehn Fällen ging es um Missbrauch von Kindern. Die Hälfte litt unter Depressionen und posttraumatischem Stresssyndrom. Ein gutes Drittel hatte ein Alkoholproblem. Die Ergebnisse bestätigten eine ähnliche Napo-Umfrage unter Bewährungshelfern vom vergangenen Jahr, schreibt der SPIEGEL.
Was passiert, wenn die alleierten Truppen weiterhin Krieg in Afghanistan führen? Die Caritas (Das Caritas Projekt "Windows for life" bietet psychosoziale Beratung für traumatisierte Menschen in Afghanistan) schreibt: „Das extrem patriarchalische System und die religiösen Restriktionen haben sich in der Gesellschaft verfestigt. Und so leiden die Frauen auch nach dem Ende des Talibanregimes nicht nur unter den Folgen der Unterdrückung, sondern sind noch immer extrem häufig psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt. Vor allem die häusliche Gewalt dient häufig als Ventil, über das die Männer ihre aus den Kriegsjahren stammenden Aggressionen und Ohnmachtsgefühle ablassen.„ (http://www.caritas-international.de/37041.html)
Zu den möglichen Zusammenhängen von Krieg und häuslicher Gewalt habe ich auch hier etwas geschrieben.
Der Krieg in Afghanistan dient also nicht dem Schutz vor häuslicher Gewalt (wie das Time-Magazin annimmt), er scheint diese vielmehr in erheblichem Maße mit zu verursachen, auf beiden Seiten.
Was passiert eigentlich, wenn die alleierten SoldatInnen aus dem Kriegsgebiet zurück in ihre Heimat kommen frage ich mich?
Laut einem Bericht haben in der US-amerikanischen Siedlung Killeen, in der die meisten Soldaten des anliegenden Militärstützpunktes mit ihren Familien leben (ca. 100.000 Einwohner), die Meldungen uber häusliche Gewalt seit Beginn des Afghanistankrieges um 75 % zugenommen. Verschiedene Kennziffern uber den Anstieg von Gewaltkriminalitat sind um 22 % gestiegen, in vergleichbaren Gemeinden landesweit jedoch um 7 % gesunken. Die schulischen Leistungen der Kinder haben deutlich ab- und auffälliges Verhalten deutlich zugenommen. (Dr. med. Thomas Lukowski, http://www.dr-lukowski.com/pdf/DNP2_2010_22-25.pdf)
Es ist absehbar, was auf unsere Gesellschaft zukommen wird, schreibt Dr. med. Thomas Lukowski (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie). Eine Untersuchung an insgesamt 289.328 US-amerikanischen Armeeangehorigen, die von 2002 bis 2008 im Irak oder in Afghanistan eingesetzt waren, ergab erschreckende Zahlen:
- 21,8 % (also 90 000 Menschen!) litten an einer PTBS.
- 17,4 % litten an einer Depression.
- 36,9 % litten an einer anderen psychischen Erkrankung.
- Soldaten nach Kampfeinsatz und im Alter von ca. 25 Jahren
wiesen die hochsten Raten an PTBS, Drogen- oder Alkoholmissbrauch auf.
Nahezu jeder zehnte Häftling im britischen Justizsystem ist ein ehemaliger Soldat Ihrer Majestät, schreibt der SPIEGEL. "Wenn wir Menschen auffordern, schreckliche Dinge zu tun und regelmäßig in Feuergefechten und im Nahkampf zu stehen, dann kommen wir zu dem Punkt, dass sie gegenüber Gewalt abstumpfen", sagte der Psychologe Tim Robbins dem SPIEGEL. Von 90 britischen Soldaten, die in Nordirland, Bosnien, Irak und Afghanistan gedient haben, wurden 57 später für Gewaltanwendung verurteilt, die meisten für häusliche Gewalt. In weiteren zehn Fällen ging es um Missbrauch von Kindern. Die Hälfte litt unter Depressionen und posttraumatischem Stresssyndrom. Ein gutes Drittel hatte ein Alkoholproblem. Die Ergebnisse bestätigten eine ähnliche Napo-Umfrage unter Bewährungshelfern vom vergangenen Jahr, schreibt der SPIEGEL.
Was passiert, wenn die alleierten Truppen weiterhin Krieg in Afghanistan führen? Die Caritas (Das Caritas Projekt "Windows for life" bietet psychosoziale Beratung für traumatisierte Menschen in Afghanistan) schreibt: „Das extrem patriarchalische System und die religiösen Restriktionen haben sich in der Gesellschaft verfestigt. Und so leiden die Frauen auch nach dem Ende des Talibanregimes nicht nur unter den Folgen der Unterdrückung, sondern sind noch immer extrem häufig psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt. Vor allem die häusliche Gewalt dient häufig als Ventil, über das die Männer ihre aus den Kriegsjahren stammenden Aggressionen und Ohnmachtsgefühle ablassen.„ (http://www.caritas-international.de/37041.html)
Zu den möglichen Zusammenhängen von Krieg und häuslicher Gewalt habe ich auch hier etwas geschrieben.
Der Krieg in Afghanistan dient also nicht dem Schutz vor häuslicher Gewalt (wie das Time-Magazin annimmt), er scheint diese vielmehr in erheblichem Maße mit zu verursachen, auf beiden Seiten.
Freitag, 30. Juli 2010
Geheime Afganistan Militärprotokolle und das "heimliche" Ziel von Kriegen
Die meisten Menschen dürften es laut vielen aktuellen Medienberichten schon wissen. 91.731 Berichte des US-Militärs, die meisten davon als geheim eingestuft, gelangten auf die Internetplattform WikiLeaks. Sie dokumentieren die unzähligen „Zwischenfälle“ in Afghanistan. DER SPIEGEL veröffentlichte in Kooperation mit der „NEW York Times“ und dem „Guardian“ ausführlich in einer Titelstory zu dem Thema in seiner Printausgabe. (DER SPIEGEL, 26.07.2010, „Protokoll eines Krieges“, S. 70ff) Die meisten Infos aus den Berichten scheinen nicht wirklich neu zu sein. Brisant ist vielmehr, dass jetzt von jedem Internetnutzer die letzten Kriegsjahre haarklein aus erster Hand eingesehen werden können und natürlich die Fülle der Daten, die ein Gesamtbild ergeben.
Das Bild ist bekanntlich ein düsteres. Seit 2004 stiegen die Sprengstoffanschläge, Kampfhandlungen und Todesopfer rasant an. Von „Erfolgen“ (also der Befriedung des Landes) keine Spur, wie es eigentlich fast immer aussieht, wenn das Militär für Frieden Verantwortung übernehmen soll.
Die Sprengstoffanschläge stiegen kontinuierlich von im Jahr 2004 weit unter 200 (laut SPIEGEL Grafik beruhend auf den Protokollauswertung des US-Militärs) auf 3.300 Anschläge im Jahr 2009. Insgesamt starben zwischen 2004 und 2009 4.459 Menschen (die meisten davon Zivilisten, gefolgt von afghanischen Sicherheitskräften und dann alliierten Soldaten) durch Anschläge. Dazu kommen etliche Verwundete.
Leider berichtet der SPIEGEL nicht über genaue Opferzahlen durch Angriffe seitens der Amerikaner bzw. der Alliierten. Es wird nur etwas von tausenden Toten auf Seiten der Taliban geschrieben. Allerdings wird über die Anzahl von Kampfhandlungen berichtet. Laut SPIEGEL Grafik – von mir ca. errechneter Wert – gab es zwischen 2004 und 2009 ca. 28.000 Kampfhandlungen. Im Jahr 2004 lagen die Kampfhandlungen noch unter 1.000. 2009 verzeichnen die US-Militärdaten exakt 11.695 Kampfhandlungen, also fast 12 mal (!!) so viele wie 2004.
Wie viele Tote gab es bei diesen 28.000 Kämpfen auf der afghanischen Seite? Wie viele Zivilisten kamen dabei um, wie viele „Aufständische“ (ein unmögliches Wort…), wie viele als „Aufständische“ definierte? Bei einem Toten pro Kampfhandlung (was wohl der unwahrscheinlichste Durschnitt wäre) wären es also 28.000. Der SPIEGEL dokumentiert einen Fall, bei dem insgesamt 7 Kinder durch einen Angriff eines US-Sonderkommandos auf eine Koranschule starben. Während einer anderen Offensive durch US-Elitekämpfer wurden in 5 Tagen 130 „Aufständische“ getötet. Wir alle erinnern uns auch an den deutschen Fall „Oberst Georg Klein“, durch einen Luftangriff auf einen Tanklaster kamen damals ca. 142 Zivilisten ums Leben. Der SPIEGEL schreibt dazu nach der Datenauswertung: „Was in Deutschland eine leidenschaftliche Diskussion über den Sinn des Bundeswehreinsatzes hervorruft, erscheint in den Militärprotokollen nur als ein Fall unter Hunderten ähnlicher Fälle.“ (S. 77)
Es dürfte klar sein, dass die Opferzahlen erheblich sind, wenn man an der Multiplikation der Zahl 28.000 „herumspielt“. Gab es im Schnitt 3 Tote pro Kampfhandlung, also insgesamt 84.000 tote Afghanen? Gab es im Schnitt 6 Tote pro Kampfhandlung, also 168.000 tote Afghanen? Oder noch mehr? Und wie viele Verwundete kommen dazu?
Mir geht auch gerade durch den Kopf, dass ein realer Taliban vielleicht ein grober, gewaltbereiter Mensch ist (und vielleicht vor der US-Invasion gar nicht wusste, wo das Land USA überhaupt liegt...), er aber auch eine soziale Einbindung in seiner Heimat hat. Er hat Verwandte, Freunde, vielleicht auch Ehefrau und Kinder. Wen wundert es da, dass der Krieg immer weiter eskaliert? Jeder tote Afghane – egal ob Talibankämpfer oder Zivilist – erzeugt noch mehr Hass und Rachegedanken. Der SPIEGEL schreibt entsprechend in einem Schlusswort, dass trotz all der toten Taliban der "Strom an neuen Fußsoldaten endlos" scheint.
Afghanistan wurde nach allem was wir wissen zum großen Opferaltar gemacht. Tausende Menschen starben, noch mehr wurden verletzt, unzählige Gebäude wurden zerstört oder beschädigt. Warum? Darum: Das Ziel von Kriegen ist die Opferung von Menschenleben und die Reduzierung von Wohlstand. Tote, Verletzte, Zerstörung, Leid, Wohlstandsreduzierung und eine stetige Eskalation der Gewalt sind die immer wieder beobachteten Ergebnisse von Kriegen, obwohl angeblich niemand diese „Ergebnisse“ will, wird doch „für den Frieden“ gekämpft, „für Sicherheit“, "Gerechtigkeit", „gegen Terror“, „für Mädchenschulen“…. Wir müssen, so meine ich, Kriege so betrachten wie sie sind. Sie bringen keinen Frieden, keine Sicherheit, keinen Wohlstand, keinen Gewinn. Sie erzeugen Opfer. Das ist das eigentliche „heimliche“ Ziel (welches wiederum viel mit dem Opfer zu tun hat, das viele Menschen einst als Kind waren). Wenn das erkannt wird, kann auch die psychohistorische Uraschenanalyse besser verstanden und vor allem sehr ernst genommen werden.
Das Bild ist bekanntlich ein düsteres. Seit 2004 stiegen die Sprengstoffanschläge, Kampfhandlungen und Todesopfer rasant an. Von „Erfolgen“ (also der Befriedung des Landes) keine Spur, wie es eigentlich fast immer aussieht, wenn das Militär für Frieden Verantwortung übernehmen soll.
Die Sprengstoffanschläge stiegen kontinuierlich von im Jahr 2004 weit unter 200 (laut SPIEGEL Grafik beruhend auf den Protokollauswertung des US-Militärs) auf 3.300 Anschläge im Jahr 2009. Insgesamt starben zwischen 2004 und 2009 4.459 Menschen (die meisten davon Zivilisten, gefolgt von afghanischen Sicherheitskräften und dann alliierten Soldaten) durch Anschläge. Dazu kommen etliche Verwundete.
Leider berichtet der SPIEGEL nicht über genaue Opferzahlen durch Angriffe seitens der Amerikaner bzw. der Alliierten. Es wird nur etwas von tausenden Toten auf Seiten der Taliban geschrieben. Allerdings wird über die Anzahl von Kampfhandlungen berichtet. Laut SPIEGEL Grafik – von mir ca. errechneter Wert – gab es zwischen 2004 und 2009 ca. 28.000 Kampfhandlungen. Im Jahr 2004 lagen die Kampfhandlungen noch unter 1.000. 2009 verzeichnen die US-Militärdaten exakt 11.695 Kampfhandlungen, also fast 12 mal (!!) so viele wie 2004.
Wie viele Tote gab es bei diesen 28.000 Kämpfen auf der afghanischen Seite? Wie viele Zivilisten kamen dabei um, wie viele „Aufständische“ (ein unmögliches Wort…), wie viele als „Aufständische“ definierte? Bei einem Toten pro Kampfhandlung (was wohl der unwahrscheinlichste Durschnitt wäre) wären es also 28.000. Der SPIEGEL dokumentiert einen Fall, bei dem insgesamt 7 Kinder durch einen Angriff eines US-Sonderkommandos auf eine Koranschule starben. Während einer anderen Offensive durch US-Elitekämpfer wurden in 5 Tagen 130 „Aufständische“ getötet. Wir alle erinnern uns auch an den deutschen Fall „Oberst Georg Klein“, durch einen Luftangriff auf einen Tanklaster kamen damals ca. 142 Zivilisten ums Leben. Der SPIEGEL schreibt dazu nach der Datenauswertung: „Was in Deutschland eine leidenschaftliche Diskussion über den Sinn des Bundeswehreinsatzes hervorruft, erscheint in den Militärprotokollen nur als ein Fall unter Hunderten ähnlicher Fälle.“ (S. 77)
Es dürfte klar sein, dass die Opferzahlen erheblich sind, wenn man an der Multiplikation der Zahl 28.000 „herumspielt“. Gab es im Schnitt 3 Tote pro Kampfhandlung, also insgesamt 84.000 tote Afghanen? Gab es im Schnitt 6 Tote pro Kampfhandlung, also 168.000 tote Afghanen? Oder noch mehr? Und wie viele Verwundete kommen dazu?
Mir geht auch gerade durch den Kopf, dass ein realer Taliban vielleicht ein grober, gewaltbereiter Mensch ist (und vielleicht vor der US-Invasion gar nicht wusste, wo das Land USA überhaupt liegt...), er aber auch eine soziale Einbindung in seiner Heimat hat. Er hat Verwandte, Freunde, vielleicht auch Ehefrau und Kinder. Wen wundert es da, dass der Krieg immer weiter eskaliert? Jeder tote Afghane – egal ob Talibankämpfer oder Zivilist – erzeugt noch mehr Hass und Rachegedanken. Der SPIEGEL schreibt entsprechend in einem Schlusswort, dass trotz all der toten Taliban der "Strom an neuen Fußsoldaten endlos" scheint.
Afghanistan wurde nach allem was wir wissen zum großen Opferaltar gemacht. Tausende Menschen starben, noch mehr wurden verletzt, unzählige Gebäude wurden zerstört oder beschädigt. Warum? Darum: Das Ziel von Kriegen ist die Opferung von Menschenleben und die Reduzierung von Wohlstand. Tote, Verletzte, Zerstörung, Leid, Wohlstandsreduzierung und eine stetige Eskalation der Gewalt sind die immer wieder beobachteten Ergebnisse von Kriegen, obwohl angeblich niemand diese „Ergebnisse“ will, wird doch „für den Frieden“ gekämpft, „für Sicherheit“, "Gerechtigkeit", „gegen Terror“, „für Mädchenschulen“…. Wir müssen, so meine ich, Kriege so betrachten wie sie sind. Sie bringen keinen Frieden, keine Sicherheit, keinen Wohlstand, keinen Gewinn. Sie erzeugen Opfer. Das ist das eigentliche „heimliche“ Ziel (welches wiederum viel mit dem Opfer zu tun hat, das viele Menschen einst als Kind waren). Wenn das erkannt wird, kann auch die psychohistorische Uraschenanalyse besser verstanden und vor allem sehr ernst genommen werden.
Dienstag, 27. Juli 2010
Intensivtäter und das Ende der Geduld
Ca. drei Wochen nach dem Tod der Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig ist ihr Buch „"Das Ende der Geduld" erschienen, wie ich gestern im Deutschlandfunk erfuhr. Folgendes Zitat aus der Sendung möchte ich hier hervorheben:
„Die Autorin beginnt mit Fallschilderungen aus ihrer Praxis als Jugendrichterin. Man liest hier über Familien von jugendlichen Straftätern, über ihre oft alkoholabhängigen Eltern, über verwahrloste Wohnungen, über Vernachlässigung, Prügel und schwere Misshandlung. Ein Beispiel aus der Kindheit eines jugendlichen Straftäters:
Die Eltern banden ihn im Badezimmer an ein Heizungsrohr, verbrannten seine Haut mit glühenden Häkelnadeln und schlugen ihn mit dem Kopf auf einen scharfkantigen Gegenstand, als er einen Gegenstand verschluckt hatte. Seine Verletzungen waren für alle anderen sichtbar. Nur ein einziges Mal wurde hierauf reagiert. Eine Sportlehrerin sah die großen Hämatome und schaltete sofort das Jugendamt ein. Der Junge kam für einen Monat in ein Heim. Er verbrachte dort die einzige Zeit seiner Kindheit, in der er nicht verprügelt wurde. Dann gelobten die Eltern Besserung, bekamen das Kind zurück, und alles ging von vorn los.
Als Juristin wollte Kirsten Heisig mit ihren Urteilen den Jugendlichen auch den Weg in ein Leben ohne Straftaten weisen. Die Richterin musste jedoch feststellen: Wenn die Kindheit eines Jungen derart von Gewalt geprägt war, wie hier skizziert, hat die Justiz es schwer, Werte zu vermitteln. Sanktionen und Hilfen kamen fast immer zu spät. Jugendhilfe und Polizei Vermieter, Erzieher, Lehrer und auch Nachbarn hätten zuvor überhaupt erst einmal hinschauen müssen.“
Gezielt beschäftige ich mich nicht mehr unbedingt mit den familiären Hintergründen von StraftäterInnen. Letztlich scheinen sie alle eines gemeinsam zu haben: Eine traurige Kindheit. Man wird auf dieser Welt keinen Intensivtäter oder auch politischen Verbrecher finden, der eine weitgehend glückliche und liebevolle Kindheit hatte. Immer scheint die Kindheit dieser Menschen von dem genauen Gegenteil geprägt zu sein: Schwere Gewalt, Vernachlässigung, Missbrauch. Das zeigen die Berichte, die ich in den letzten Jahren hier und da gelesen und gehört habe immer wieder. Jede ernst zu nehmende Analyse von Gewalttaten muss diese Hintergründe abklopfen und benennen. Dies passiert leider - trotz aller vorliegenden Erkenntnisse – oft zu wenig bis gar nicht. Vor allem in der Kriegsursachenanalyse eher gar nicht. Meine Geduld ist dabei noch lange nicht zu Ende, ich schreibe hier einfach munter weiter.
„Die Autorin beginnt mit Fallschilderungen aus ihrer Praxis als Jugendrichterin. Man liest hier über Familien von jugendlichen Straftätern, über ihre oft alkoholabhängigen Eltern, über verwahrloste Wohnungen, über Vernachlässigung, Prügel und schwere Misshandlung. Ein Beispiel aus der Kindheit eines jugendlichen Straftäters:
Die Eltern banden ihn im Badezimmer an ein Heizungsrohr, verbrannten seine Haut mit glühenden Häkelnadeln und schlugen ihn mit dem Kopf auf einen scharfkantigen Gegenstand, als er einen Gegenstand verschluckt hatte. Seine Verletzungen waren für alle anderen sichtbar. Nur ein einziges Mal wurde hierauf reagiert. Eine Sportlehrerin sah die großen Hämatome und schaltete sofort das Jugendamt ein. Der Junge kam für einen Monat in ein Heim. Er verbrachte dort die einzige Zeit seiner Kindheit, in der er nicht verprügelt wurde. Dann gelobten die Eltern Besserung, bekamen das Kind zurück, und alles ging von vorn los.
Als Juristin wollte Kirsten Heisig mit ihren Urteilen den Jugendlichen auch den Weg in ein Leben ohne Straftaten weisen. Die Richterin musste jedoch feststellen: Wenn die Kindheit eines Jungen derart von Gewalt geprägt war, wie hier skizziert, hat die Justiz es schwer, Werte zu vermitteln. Sanktionen und Hilfen kamen fast immer zu spät. Jugendhilfe und Polizei Vermieter, Erzieher, Lehrer und auch Nachbarn hätten zuvor überhaupt erst einmal hinschauen müssen.“
Gezielt beschäftige ich mich nicht mehr unbedingt mit den familiären Hintergründen von StraftäterInnen. Letztlich scheinen sie alle eines gemeinsam zu haben: Eine traurige Kindheit. Man wird auf dieser Welt keinen Intensivtäter oder auch politischen Verbrecher finden, der eine weitgehend glückliche und liebevolle Kindheit hatte. Immer scheint die Kindheit dieser Menschen von dem genauen Gegenteil geprägt zu sein: Schwere Gewalt, Vernachlässigung, Missbrauch. Das zeigen die Berichte, die ich in den letzten Jahren hier und da gelesen und gehört habe immer wieder. Jede ernst zu nehmende Analyse von Gewalttaten muss diese Hintergründe abklopfen und benennen. Dies passiert leider - trotz aller vorliegenden Erkenntnisse – oft zu wenig bis gar nicht. Vor allem in der Kriegsursachenanalyse eher gar nicht. Meine Geduld ist dabei noch lange nicht zu Ende, ich schreibe hier einfach munter weiter.
Montag, 19. Juli 2010
Aborigines. Gewalt und Missbrauch. Entzauberung eines Urvolkes?
Ausstralische Medien berichteten in der Vergangenheit (wohl beginnend ab 2004, mit einem Höhepunkt im Jahr 2006 durch die Veröffentlichung eines Berichtes durch Nanette Rogers, Staatsanwältin des Bundesstaats Northern Territory, auf dessem Gebiet viele Traditionen der Ureinwohner erhalten geblieben sind und sie in vielen Gemeinden unter sich leben. ) fast täglich über katastrophale Zustände in Aborigine-Familien: Gewalt, Vergewaltigungen und sexueller Missbrauch von Kindern.
„Im Bericht ist von endemischem Kindsmissbrauch die Rede. Rogers kritisierte, viele Verbrechen blieben nicht nur ungeahndet, sondern würden von den Tätern und Entscheidungsträgern in den Aboriginal-Gemeinden unter Hinweis auf "Traditionen der Männer" entschuldigt.“, schreibt die taz. Neu ist das Problem des Kindsmissbrauchs laut taz Bericht nicht. „Experten wiesen schon vor Jahren darauf hin, dass Sex mit Kindern, Vergewaltigungen und brutalste, nicht selten tödlich endende Gewalt gegen Frauen in vielen Aboriginal-Dörfern alltäglich sind. Fachleute sind der Meinung, der Grund liege vor allem beim Alkoholmissbrauch und der sozialen Verwahrlosung ganzer Gemeinden.“
Der Präsident der australischen Labour-Partei, Warren Mundine (er ist selbst Aborigine, der erste, der es geschafft hat, eine Spitzenposition in der Politik zu erreichen), spricht „von einem Zusammenbruch der sozialen Strukturen“ innerhalb der Aborigine Gesellschaft und darüber, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder als normal angesehen würden. (vgl. tagesschau Bericht „"Die Aborigine-Gesellschaft implodiert")
Prof. Dr. Adi Wimmer, Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für Australienstudien schreibt in einem GEO Bericht etwas von „systematischem Kindesmissbrauch“. Auch der SPIEGEL schreibt, dass Inspektoren der Regierung von systematischem Kindesmissbrauch in Gemeinden des Bundesstaats Northern Territory (wo überwiegend die als Aborigenes bezeichneten australischen Ureinwohner leben) berichteten.
Im Jahr 2007 gab es in Australien weiteres großes Aufsehen nachdem der Report “Little Children are Sacred” veröffentlich war. Auch hier wurde über weit verbreiteten sexuellen Missbrauch, aber auch über häusliche Gewalt, Drogen- und Alkoholmissbrauch usw. berichtet. 2007 intervenierte schließlich die Regierung Howard mit harten Maßnahmen. „Die Maßnahmen wurden ausgelöst durch einen schockierenden Expertenbericht über Kindesmissbrauch und Alkoholismus bei den Aborigines, den die Regierung des Northern Territory in Auftrag gegeben hatte. Der Bericht wies unter anderem darauf hin, dass bereits dreijährige Aborigine-Kinder an Geschlechtskrankheiten leiden. Die Studie geht von etwa 20 Prozent schweren Alkoholikern im Northern Territory aus.“ (Focus, "Die Entmündigung der Aborigines")
Das deutsche Auswärtige Amt schreibt dazu: „Nach dem Bekanntwerden von weitverbreitetem sexuellen Missbrauch von Kindern in zahlreichen Gemeinden des Northern Territory sah sich die Regierung Howard im Juni 2007 veranlasst, dort den nationalen Notstand zu erklären und unter Einsatz des Militärs und der Bundespolizei direkt zum Schutz der Kinder einzugreifen. Die Maßnahmen der sog. Intervention umfassten u.a. die Unterbindung des Alkohol- und Drogenhandels, den Entzug von Landrechten sowie die zwangsweise Gesundheitsuntersuchung aller Kinder. Die Intervention stieß in der Bevölkerung auf ein unterschiedliches Echo, wird jedoch überwiegend – nicht zuletzt von vielen Aborigines selbst – als notwendig angesehen. Die jetzige Regierung hat im März 2009 die bestehenden Zwangsmaßnahmen, mit geringfügigen Veränderungen, um weitere drei Jahre verlängert.“
Ein anderer Bericht schildert, dass auf die Regierungsmaßnahmen mit unterschiedlicher Kritik reagiert wurde. „Nicht nur Aborigines-Verbände laufen dagegen Sturm, auch Menschenrechtsgruppen und progressive Politiker kritisieren den Vorstoß der Regierung als untauglich und werten ihn als einen verheerenden Rückfall in gescheiterte Politikmuster im Umgang mit der wichtigsten nationalen Minderheit. „
Fakt ist, dass muss hier erwähnt werden, dass auch der Durchschnittsaustralier oft Alkoholprobleme hat (wie in anderen westlichen Kulturen auch) und sexueller Missbrauch natürlich in allen Gesellschafsschichten und – gruppen vorkommt. Insofern wäre es sicher konstruktiver und glaubwürdiger gewesen, wenn die australische Regierung parallel auch diese Probleme benannt und angegangen wäre.
Mir geht es in diesem Beitrag jetzt aber um etwas anderes, nämlich um die Entzauberung von Urvölkern. Lloyd deMause hat die Idealisierung von Kindheit bei primitiven Gesellschaften scharf kritisiert. (vgl. deMause, 2005, S. 192ff) Er zeigt insbesondere am Beispiel der Kindererziehung in Neuguinea (nahe Australien) auf, wie gewaltbeladen, missbrauchend und vernachlässigend der Umgang mit Kindern in dieser Kulturregion war und ist und wie Kindestötungen alltäglich waren. Dazu bringt er etliche Beispiele an, wo Anthropologen die Kindheit bei entsprechenden Völkern idealisieren und umdeuten, Fakten weglassen oder übersehen. Als Beispiel sei folgende Stelle zitiert, wo er sich zusammenfassend äußert: „Diese Arten von täglichen Missbräuchen, zusammen mit verschiedenen Typen von ritueller Päderastie, Folter und Verstümmelung sind so weit verbreitet, dass die Schlussfolgerung im Standardwerk der Anthropologie über kulturübergreifenden Kindesmissbrauch – „es steht so gut wie fest, dass es keinen Kindesmissbrauch in Neuguinea gibt.“ – total unerklärlich erscheint.“ (ebd., S. 205). Seine Schilderungen über die dortige Kindheit sind derart schockierend, dass es mir schwer fiel, sie in einem Stück zu lesen.
An Hand einer Quelle aus dem Jahr 1965 berichtet deMause auch, dass die australischen Aborigines früher bis zu 50 % ihrer Säuglinge umbrachten. (vgl. ebd., S. 194) Ich habe schon oft in Texten und Kommentaren über Kindestötungen bei Stämmen und Urvölkern verständnisvolle Reaktionen gelesen. Das Motto war durchgehend: „Wenn man arm ist, in der Steppe wohnt und lebt, dann ist das Leben dort sehr hart. „Überschüssige“ Kinder, schwache und gebrechliche umzubringen, kommt damit eher einer “ Fürsorge“ für das Überleben des Stammes gleich.“ De Mause berichtet aus verschiedenen Regionen, dass wenn gefragt wird, die Akteure etwas anderes berichten: Die Säuglinge wurden umgebracht, weil „Kinder zu viele Probleme bereiten“, weil „die Mütter auf ihre Ehemänner wütend waren“, weil sie „dämonische Kinder“ wären, weil das Kind „ein Hexer werden könnte“, weil „ihre Ehemänner zu einer anderen Frau gehen“, weil „sie keine Kinder haben wollten, die sie in ihren Liebschaften einschränken würden“, weil „es weiblich war“, weil „sie einen bald verlassen würden“ oder weil “sie nicht bleiben werden, um im Alter auf uns zu schauen.“ (ebd., S. 194)
Schockierendes las ich auch auf der österreichischen Homepage www.babyguide.at – „erste Anlaufstelle zum Thema Schwangerschaft, Geburt, Baby, Kind, Familie, Ernährung“:
„Bis auf kleinere Abweichungen ist das Geburtsritual bei allen Stämmen der Aboriginals gleich. Die werdende Mutter verlässt gemeinsam mit ihrer Mutter das Lager und begibt sich an einen geschützten Ort, der in der Nähe einer mit Wasser gefüllten Felsmulde liegt. Die zukünftige Großmutter hebt ein Loch im Boden aus, (…) Ist das Kind schwach oder behindert darf sie es in der Erde vergraben noch bevor es den ersten Schrei tut. Das ist sehr wichtig, denn wenn die Mutter ihr Kind einmal schreien hört, ist bereits eine Bindung zu ihm hergestellt. Meist aber gelingt die Geburt (…) Nun wird das Baby kurz kopfüber über das Feuer gehalten und im Anschluss aus rituellen Gründen mit Sand und Asche eingerieben.“
Geboren, schon mit dem möglichen Grab vor Augen (und die Mutter gebärend, mit dem Bewusstsein, dass das Kind auch gleich im Grab landen könnte), danach gehalten übers Feuer (wie auch einst im europäischen Mittelalter üblich, um „Dämonen“ vom Kind zu vertreiben, wie man in Europa damals sagte.)… ein traumatischer Start ins Leben, der auf der o.g. Familienhomepage nicht weiter kommentiert wird. Ich frage mich auch, was passiert z.B., wenn Mutter und Großmutter vielleicht gerade Streit oder andere Konflikte, in denen es um Macht geht, hatten? Was für ungeheure Macht wurde hier den Großmüttern gegeben, über Tod oder Leben innerhalb von Sekunden zu entscheiden? „Sind die Kinder aber auf der Welt“ heißt es einige Sätze weiter, „werden sie mit viel Zärtlichkeit und Liebe groß gezogen, auch die Väter kümmern sich geduldig um ihren Nachwuchs. Kleine Kinder genießen große Freiheit und werden niemals bestraft. Der Übergang von der Kindheit in das Erwachsenenalter wird mit einem speziellen Ritual gestaltet, die Initiation.“ Einer Schilderung über eine traumatische Geburt und möglicher Kindestötung folgt die Idealisierung des Urvolkes und seiner Erziehung, um dann auf die Initiation hinzuweisen, ohne zu erwähnen, dass auch diese traumatisch ist und wenig mit Liebe und Mitgefühl gemein hat.
Manche Mädchen müssen sich bei einigen australischen Stämmen einer “rituellen Operation“ unterziehen, der sogenannten „Atna-ariltha-kuma“. Vor allem erleben aber die Jungen "Initiationsrituale" (siehe dazu wikipedia), durch die sie „zum Mann werden“ und die Wochen andauern können. Dazu gehört die Entfernung der männlichen Vorhaut und später auch die vollständige oder teilweise Spaltung der Harnröhre an der Unterseite des Penis. Das ganze ohne Betäubung und mit primitiven Werkzeugen, was nicht selten zu bleibenden Schäden oder gar zum Tod führen kann. (siehe auch "Beschneidung von Jungen und Männern") Im Internet habe ich einige Bilder dazu recherchiert, die ich hier nicht zeigen möchte, weil ich sie zu heftig finde. Mehrere Männer halten die Jungen fest, während sie beschnitten werden. Die Jungen sind total ausgeliefert. Angstvoll, schmerzverzerrt sind die Gesichter der Jungen. Eigentlich schreien sie nur noch auf den Bildern, die ich fand… Ohne Zweifel ist dies eine erhebliche Gewalterfahrung in diesen frühen Jahren. "In einer abschließenden Initiationsstufe im Alter von 16 oder 17 Jahren wurde bei fast allen Völkern die Haut junger Männer und Frauen skarifiziert (das Einbringen von Ziernarben in die Haut), womit sie heiratsfähig wurden.“ (wikipedia) Ein Bild aus Papua-Neuguinea zeigt den zwangvollen Charakter dieser Prozedur.
Unter dem Deckmantel „Kultur“ und „Tradition“ verschweigen westliche Kommentatoren all zu oft, wie traumatisch so etwas für Heranwachsende ist. DeMause schreibt in diesem Zusammenhang passend: Überall werden „ältere Kinder als Strafe für ihre Individuation und Selbstständigkeit gefoltert und verstümmelt. Obwohl diese Folter von den Anthropologen Initiationsrituale genannt werden, sind sie weniger Initiationen in irgendetwas, als Bestrafungen für das Heranwachsen. Sie dramatisieren eine Reinigung von maternalen Giften, damit Jungen dann von den Männern als Projektionsfläche benutzt werden können. Die meisten von ihnen führen maternale Traumata in der einen oder anderen Weise wieder auf.“ (deMause, 2005, S. 204)
Lloyd deMause widerspricht der Annahme von AnthropologInnen, dass das Inzesttabu eine der wenigen kulturellen Allgemeinheiten von Menschen darstellt. Er zeigt vielmehr auf, wie alltäglich sexueller Missbrauch bei Urvölkern ist. „Da die Verwendung von Säuglingen und Kindern als erotische Objekte kulturübergreifend so alltäglich ist, überrascht es nicht, dass in Neuguinea auch andere Erwachsene als die Eltern üblicherweise Kinder sexuell missbrauchen. Babys im Besonderen werden behandelt, als wären sie Brüste, um daran zu saugen und den ganzen Tag zu masturbieren. (…) Die inzestuöse Verwendung von Kindern in Neuguinea und Australien dehnt sich auf die anderen melaneschen und polynesischen Inseln aus, obwohl bei komplexer werdenden Gesellschaften die Praktiken stärker ritualisiert vorkommen.“ (deMause, 2005, S. 197f) und „In vielfacher Art und Weise demonstrieren neuguinesische Eltern, dass, wenn das Kind nicht erotisch gebraucht wird, es nutzlos ist.“ (ebd., S. 200) Er schildert darauf, wie bei Urvölkern den Kindern oftmals keine Aufmerksamkeit geschenkt wird, wie sie ignoriert werden, wie kleine Kinder mit scharfen Messern spielen dürfen oder am Feuer spielen, wobei nicht wenige sich ernsthafte Verletzungen zufügen. (Ich glaube, dass viele westliche Beobachter die Realität umdeuten, indem sie angeben, dass die Kinder in Urvölkern „viele Freiheiten“ hätten, obwohl der dortige Alltag eher zeigt, dass sie einfach vernachlässigt werden. Viele Menschen aus unserer westlichen Kultur scheinen wohl „auf der Suche nach dem verlorenen Glück“ zu sein, sie wollen in den alten Kulturen etwas finden, das macht sie blind für die dortige Realität.)
Wenn wir über diverse Probleme – von Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, Verwahrlosung, Gewalt usw. - von Urvölkern wie den Aborigines in Australien sprechen, dann muss die Analyse der Ursachen selbstverständlich die historische Unterdrückung und Entrechtung und die kollektive Traumatisierung dieser Völker durch die oft mörderische Verfolgung seitens der Kolonialisten beinhalten. Aber: Die Analyse muss vor allem auch beinhalten, dass diese Völker oftmals schon immer sehr gewaltvolle „Traditionen“ gegenüber ihren Kindern auslebten, wie deMause zeigt. Der systematische sexuelle Missbrauch in der heutigen traditionellen Aborigine-Gesellschaft, scheint hier seine tiefen Wurzeln zu haben.
Die Arbeit von deMause hat mir persönlich ein ganz neues Bewusstsein für Urvölker gegeben. Viele der traditionellen Mythen und Rituale, die mit Geistern, Dämonen, Hexerei, rituellen Opfern, Tierwesen usw. zu tun haben, scheinen demnach vielmehr Ausdruck einer psychisch zersplitterten Persönlichkeit (deMause spricht in diesem Zusammenhang von der „Schizoiden Psychoklasse“) zu sein. Ich war richtig erschrocken, als ich einige Zeit nach meiner erstmaligen Lektüre von deMause im Fernsehen zwei Dokus (erinnere leider nicht mehr die Titel) über zwei südamerikanische Urvölker gesehen habe. Ich achtete plötzlich auf ganz andere Details und Verhaltensweisen der vorgestellten Völker. Und ich sah vor allem auch, wie die dort Forschenden mit leuchtenden Augen und total idealisiert von den Völkern berichteten. (In einem Moment hoben sie z.B. hervor, dass sie von der kindlichen Fröhlichkeit und Leichtigkeit der Menschen berührt waren. In einem anderen Moment kam es zwischen einer Gruppe und einem anderen Stamm fast zu kriegerischer Gewalt, die nur dadurch beendet wurde, dass ein Schwein geopfert wurde. Unter wüsten Beschimpfungen und Drohungen trennten sich dann die Gruppen) Vielleicht geht es manch einem ähnlich, der sich mit deMause befasst hat. Das würde mich interessieren. Bitte gerne Kommentare dazu.
„Im Bericht ist von endemischem Kindsmissbrauch die Rede. Rogers kritisierte, viele Verbrechen blieben nicht nur ungeahndet, sondern würden von den Tätern und Entscheidungsträgern in den Aboriginal-Gemeinden unter Hinweis auf "Traditionen der Männer" entschuldigt.“, schreibt die taz. Neu ist das Problem des Kindsmissbrauchs laut taz Bericht nicht. „Experten wiesen schon vor Jahren darauf hin, dass Sex mit Kindern, Vergewaltigungen und brutalste, nicht selten tödlich endende Gewalt gegen Frauen in vielen Aboriginal-Dörfern alltäglich sind. Fachleute sind der Meinung, der Grund liege vor allem beim Alkoholmissbrauch und der sozialen Verwahrlosung ganzer Gemeinden.“
Der Präsident der australischen Labour-Partei, Warren Mundine (er ist selbst Aborigine, der erste, der es geschafft hat, eine Spitzenposition in der Politik zu erreichen), spricht „von einem Zusammenbruch der sozialen Strukturen“ innerhalb der Aborigine Gesellschaft und darüber, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder als normal angesehen würden. (vgl. tagesschau Bericht „"Die Aborigine-Gesellschaft implodiert")
Prof. Dr. Adi Wimmer, Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für Australienstudien schreibt in einem GEO Bericht etwas von „systematischem Kindesmissbrauch“. Auch der SPIEGEL schreibt, dass Inspektoren der Regierung von systematischem Kindesmissbrauch in Gemeinden des Bundesstaats Northern Territory (wo überwiegend die als Aborigenes bezeichneten australischen Ureinwohner leben) berichteten.
Im Jahr 2007 gab es in Australien weiteres großes Aufsehen nachdem der Report “Little Children are Sacred” veröffentlich war. Auch hier wurde über weit verbreiteten sexuellen Missbrauch, aber auch über häusliche Gewalt, Drogen- und Alkoholmissbrauch usw. berichtet. 2007 intervenierte schließlich die Regierung Howard mit harten Maßnahmen. „Die Maßnahmen wurden ausgelöst durch einen schockierenden Expertenbericht über Kindesmissbrauch und Alkoholismus bei den Aborigines, den die Regierung des Northern Territory in Auftrag gegeben hatte. Der Bericht wies unter anderem darauf hin, dass bereits dreijährige Aborigine-Kinder an Geschlechtskrankheiten leiden. Die Studie geht von etwa 20 Prozent schweren Alkoholikern im Northern Territory aus.“ (Focus, "Die Entmündigung der Aborigines")
Das deutsche Auswärtige Amt schreibt dazu: „Nach dem Bekanntwerden von weitverbreitetem sexuellen Missbrauch von Kindern in zahlreichen Gemeinden des Northern Territory sah sich die Regierung Howard im Juni 2007 veranlasst, dort den nationalen Notstand zu erklären und unter Einsatz des Militärs und der Bundespolizei direkt zum Schutz der Kinder einzugreifen. Die Maßnahmen der sog. Intervention umfassten u.a. die Unterbindung des Alkohol- und Drogenhandels, den Entzug von Landrechten sowie die zwangsweise Gesundheitsuntersuchung aller Kinder. Die Intervention stieß in der Bevölkerung auf ein unterschiedliches Echo, wird jedoch überwiegend – nicht zuletzt von vielen Aborigines selbst – als notwendig angesehen. Die jetzige Regierung hat im März 2009 die bestehenden Zwangsmaßnahmen, mit geringfügigen Veränderungen, um weitere drei Jahre verlängert.“
Ein anderer Bericht schildert, dass auf die Regierungsmaßnahmen mit unterschiedlicher Kritik reagiert wurde. „Nicht nur Aborigines-Verbände laufen dagegen Sturm, auch Menschenrechtsgruppen und progressive Politiker kritisieren den Vorstoß der Regierung als untauglich und werten ihn als einen verheerenden Rückfall in gescheiterte Politikmuster im Umgang mit der wichtigsten nationalen Minderheit. „
Fakt ist, dass muss hier erwähnt werden, dass auch der Durchschnittsaustralier oft Alkoholprobleme hat (wie in anderen westlichen Kulturen auch) und sexueller Missbrauch natürlich in allen Gesellschafsschichten und – gruppen vorkommt. Insofern wäre es sicher konstruktiver und glaubwürdiger gewesen, wenn die australische Regierung parallel auch diese Probleme benannt und angegangen wäre.
Mir geht es in diesem Beitrag jetzt aber um etwas anderes, nämlich um die Entzauberung von Urvölkern. Lloyd deMause hat die Idealisierung von Kindheit bei primitiven Gesellschaften scharf kritisiert. (vgl. deMause, 2005, S. 192ff) Er zeigt insbesondere am Beispiel der Kindererziehung in Neuguinea (nahe Australien) auf, wie gewaltbeladen, missbrauchend und vernachlässigend der Umgang mit Kindern in dieser Kulturregion war und ist und wie Kindestötungen alltäglich waren. Dazu bringt er etliche Beispiele an, wo Anthropologen die Kindheit bei entsprechenden Völkern idealisieren und umdeuten, Fakten weglassen oder übersehen. Als Beispiel sei folgende Stelle zitiert, wo er sich zusammenfassend äußert: „Diese Arten von täglichen Missbräuchen, zusammen mit verschiedenen Typen von ritueller Päderastie, Folter und Verstümmelung sind so weit verbreitet, dass die Schlussfolgerung im Standardwerk der Anthropologie über kulturübergreifenden Kindesmissbrauch – „es steht so gut wie fest, dass es keinen Kindesmissbrauch in Neuguinea gibt.“ – total unerklärlich erscheint.“ (ebd., S. 205). Seine Schilderungen über die dortige Kindheit sind derart schockierend, dass es mir schwer fiel, sie in einem Stück zu lesen.
An Hand einer Quelle aus dem Jahr 1965 berichtet deMause auch, dass die australischen Aborigines früher bis zu 50 % ihrer Säuglinge umbrachten. (vgl. ebd., S. 194) Ich habe schon oft in Texten und Kommentaren über Kindestötungen bei Stämmen und Urvölkern verständnisvolle Reaktionen gelesen. Das Motto war durchgehend: „Wenn man arm ist, in der Steppe wohnt und lebt, dann ist das Leben dort sehr hart. „Überschüssige“ Kinder, schwache und gebrechliche umzubringen, kommt damit eher einer “ Fürsorge“ für das Überleben des Stammes gleich.“ De Mause berichtet aus verschiedenen Regionen, dass wenn gefragt wird, die Akteure etwas anderes berichten: Die Säuglinge wurden umgebracht, weil „Kinder zu viele Probleme bereiten“, weil „die Mütter auf ihre Ehemänner wütend waren“, weil sie „dämonische Kinder“ wären, weil das Kind „ein Hexer werden könnte“, weil „ihre Ehemänner zu einer anderen Frau gehen“, weil „sie keine Kinder haben wollten, die sie in ihren Liebschaften einschränken würden“, weil „es weiblich war“, weil „sie einen bald verlassen würden“ oder weil “sie nicht bleiben werden, um im Alter auf uns zu schauen.“ (ebd., S. 194)
Schockierendes las ich auch auf der österreichischen Homepage www.babyguide.at – „erste Anlaufstelle zum Thema Schwangerschaft, Geburt, Baby, Kind, Familie, Ernährung“:
„Bis auf kleinere Abweichungen ist das Geburtsritual bei allen Stämmen der Aboriginals gleich. Die werdende Mutter verlässt gemeinsam mit ihrer Mutter das Lager und begibt sich an einen geschützten Ort, der in der Nähe einer mit Wasser gefüllten Felsmulde liegt. Die zukünftige Großmutter hebt ein Loch im Boden aus, (…) Ist das Kind schwach oder behindert darf sie es in der Erde vergraben noch bevor es den ersten Schrei tut. Das ist sehr wichtig, denn wenn die Mutter ihr Kind einmal schreien hört, ist bereits eine Bindung zu ihm hergestellt. Meist aber gelingt die Geburt (…) Nun wird das Baby kurz kopfüber über das Feuer gehalten und im Anschluss aus rituellen Gründen mit Sand und Asche eingerieben.“
Geboren, schon mit dem möglichen Grab vor Augen (und die Mutter gebärend, mit dem Bewusstsein, dass das Kind auch gleich im Grab landen könnte), danach gehalten übers Feuer (wie auch einst im europäischen Mittelalter üblich, um „Dämonen“ vom Kind zu vertreiben, wie man in Europa damals sagte.)… ein traumatischer Start ins Leben, der auf der o.g. Familienhomepage nicht weiter kommentiert wird. Ich frage mich auch, was passiert z.B., wenn Mutter und Großmutter vielleicht gerade Streit oder andere Konflikte, in denen es um Macht geht, hatten? Was für ungeheure Macht wurde hier den Großmüttern gegeben, über Tod oder Leben innerhalb von Sekunden zu entscheiden? „Sind die Kinder aber auf der Welt“ heißt es einige Sätze weiter, „werden sie mit viel Zärtlichkeit und Liebe groß gezogen, auch die Väter kümmern sich geduldig um ihren Nachwuchs. Kleine Kinder genießen große Freiheit und werden niemals bestraft. Der Übergang von der Kindheit in das Erwachsenenalter wird mit einem speziellen Ritual gestaltet, die Initiation.“ Einer Schilderung über eine traumatische Geburt und möglicher Kindestötung folgt die Idealisierung des Urvolkes und seiner Erziehung, um dann auf die Initiation hinzuweisen, ohne zu erwähnen, dass auch diese traumatisch ist und wenig mit Liebe und Mitgefühl gemein hat.
Manche Mädchen müssen sich bei einigen australischen Stämmen einer “rituellen Operation“ unterziehen, der sogenannten „Atna-ariltha-kuma“. Vor allem erleben aber die Jungen "Initiationsrituale" (siehe dazu wikipedia), durch die sie „zum Mann werden“ und die Wochen andauern können. Dazu gehört die Entfernung der männlichen Vorhaut und später auch die vollständige oder teilweise Spaltung der Harnröhre an der Unterseite des Penis. Das ganze ohne Betäubung und mit primitiven Werkzeugen, was nicht selten zu bleibenden Schäden oder gar zum Tod führen kann. (siehe auch "Beschneidung von Jungen und Männern") Im Internet habe ich einige Bilder dazu recherchiert, die ich hier nicht zeigen möchte, weil ich sie zu heftig finde. Mehrere Männer halten die Jungen fest, während sie beschnitten werden. Die Jungen sind total ausgeliefert. Angstvoll, schmerzverzerrt sind die Gesichter der Jungen. Eigentlich schreien sie nur noch auf den Bildern, die ich fand… Ohne Zweifel ist dies eine erhebliche Gewalterfahrung in diesen frühen Jahren. "In einer abschließenden Initiationsstufe im Alter von 16 oder 17 Jahren wurde bei fast allen Völkern die Haut junger Männer und Frauen skarifiziert (das Einbringen von Ziernarben in die Haut), womit sie heiratsfähig wurden.“ (wikipedia) Ein Bild aus Papua-Neuguinea zeigt den zwangvollen Charakter dieser Prozedur.
Unter dem Deckmantel „Kultur“ und „Tradition“ verschweigen westliche Kommentatoren all zu oft, wie traumatisch so etwas für Heranwachsende ist. DeMause schreibt in diesem Zusammenhang passend: Überall werden „ältere Kinder als Strafe für ihre Individuation und Selbstständigkeit gefoltert und verstümmelt. Obwohl diese Folter von den Anthropologen Initiationsrituale genannt werden, sind sie weniger Initiationen in irgendetwas, als Bestrafungen für das Heranwachsen. Sie dramatisieren eine Reinigung von maternalen Giften, damit Jungen dann von den Männern als Projektionsfläche benutzt werden können. Die meisten von ihnen führen maternale Traumata in der einen oder anderen Weise wieder auf.“ (deMause, 2005, S. 204)
Lloyd deMause widerspricht der Annahme von AnthropologInnen, dass das Inzesttabu eine der wenigen kulturellen Allgemeinheiten von Menschen darstellt. Er zeigt vielmehr auf, wie alltäglich sexueller Missbrauch bei Urvölkern ist. „Da die Verwendung von Säuglingen und Kindern als erotische Objekte kulturübergreifend so alltäglich ist, überrascht es nicht, dass in Neuguinea auch andere Erwachsene als die Eltern üblicherweise Kinder sexuell missbrauchen. Babys im Besonderen werden behandelt, als wären sie Brüste, um daran zu saugen und den ganzen Tag zu masturbieren. (…) Die inzestuöse Verwendung von Kindern in Neuguinea und Australien dehnt sich auf die anderen melaneschen und polynesischen Inseln aus, obwohl bei komplexer werdenden Gesellschaften die Praktiken stärker ritualisiert vorkommen.“ (deMause, 2005, S. 197f) und „In vielfacher Art und Weise demonstrieren neuguinesische Eltern, dass, wenn das Kind nicht erotisch gebraucht wird, es nutzlos ist.“ (ebd., S. 200) Er schildert darauf, wie bei Urvölkern den Kindern oftmals keine Aufmerksamkeit geschenkt wird, wie sie ignoriert werden, wie kleine Kinder mit scharfen Messern spielen dürfen oder am Feuer spielen, wobei nicht wenige sich ernsthafte Verletzungen zufügen. (Ich glaube, dass viele westliche Beobachter die Realität umdeuten, indem sie angeben, dass die Kinder in Urvölkern „viele Freiheiten“ hätten, obwohl der dortige Alltag eher zeigt, dass sie einfach vernachlässigt werden. Viele Menschen aus unserer westlichen Kultur scheinen wohl „auf der Suche nach dem verlorenen Glück“ zu sein, sie wollen in den alten Kulturen etwas finden, das macht sie blind für die dortige Realität.)
Wenn wir über diverse Probleme – von Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, Verwahrlosung, Gewalt usw. - von Urvölkern wie den Aborigines in Australien sprechen, dann muss die Analyse der Ursachen selbstverständlich die historische Unterdrückung und Entrechtung und die kollektive Traumatisierung dieser Völker durch die oft mörderische Verfolgung seitens der Kolonialisten beinhalten. Aber: Die Analyse muss vor allem auch beinhalten, dass diese Völker oftmals schon immer sehr gewaltvolle „Traditionen“ gegenüber ihren Kindern auslebten, wie deMause zeigt. Der systematische sexuelle Missbrauch in der heutigen traditionellen Aborigine-Gesellschaft, scheint hier seine tiefen Wurzeln zu haben.
Die Arbeit von deMause hat mir persönlich ein ganz neues Bewusstsein für Urvölker gegeben. Viele der traditionellen Mythen und Rituale, die mit Geistern, Dämonen, Hexerei, rituellen Opfern, Tierwesen usw. zu tun haben, scheinen demnach vielmehr Ausdruck einer psychisch zersplitterten Persönlichkeit (deMause spricht in diesem Zusammenhang von der „Schizoiden Psychoklasse“) zu sein. Ich war richtig erschrocken, als ich einige Zeit nach meiner erstmaligen Lektüre von deMause im Fernsehen zwei Dokus (erinnere leider nicht mehr die Titel) über zwei südamerikanische Urvölker gesehen habe. Ich achtete plötzlich auf ganz andere Details und Verhaltensweisen der vorgestellten Völker. Und ich sah vor allem auch, wie die dort Forschenden mit leuchtenden Augen und total idealisiert von den Völkern berichteten. (In einem Moment hoben sie z.B. hervor, dass sie von der kindlichen Fröhlichkeit und Leichtigkeit der Menschen berührt waren. In einem anderen Moment kam es zwischen einer Gruppe und einem anderen Stamm fast zu kriegerischer Gewalt, die nur dadurch beendet wurde, dass ein Schwein geopfert wurde. Unter wüsten Beschimpfungen und Drohungen trennten sich dann die Gruppen) Vielleicht geht es manch einem ähnlich, der sich mit deMause befasst hat. Das würde mich interessieren. Bitte gerne Kommentare dazu.
Freitag, 9. Juli 2010
Wirtschaftswachstum: "Die Emotionen heben ab"
„Die Wirtschaft hebt ab“, titelte gestern DIE ZEIT. „Nachdem der Internationale Währungsfonds heute früh seine gerade mal zwei Monate alte Wachstumsprognose für das reale globale BIP im Jahr 2010 um 0,4 Prozentpunkte auf 4,6 Prozent angehoben hat (Vorjahresvergleich, in Kaufkraftparitäten), ebenso wie die deutsche, von 1,2 auf 1,4 Prozent, meldete die Bundesbank zur Mittagsstunde, dass die deutsche Industrieproduktion im Mai saisonbereinigt um sage und schreibe 2,6 Prozent gegenüber dem April und um 12,4 Prozent gegenüber Mai 2009 zugelegt hat.“
(siehe auch einige interessante Grafiken zum Wachstum im ZEIT Artikel.)
Panik und schiere Angst beherrschte die Ökonomie Ende 2008 und vor allem im Jahr 2009. In einem Text hatte ich bereits gedanklich angeregt, dass diese Ängste emotionale Ursachen haben könnten. Das Platzen der Blase auf dem US-Immobilienmarkt in den USA war natürlich sehr real. Banken und Geldgeber hatten unzählige faule Kredite international weiterverkauft. Keiner wusste genau, wer nun wo welche faulen Kredite im Lager hat. Die ganze Vorentwicklung in den USA brauchte allerdings vor allem eines: Die Fähigkeit, Realitäten stark zu verdrängen. Und das hat dann irgendwie doch etwas mit unserer psychischen Situation zu tun. Dazu kommt, dass es für mich weiterhin rational unverständlich ist, warum innerhalb weniger Wochen weltweit die Konsumenten ihre Nachfrage nach Produkten reduzierten, „nur weil die Banken in der Krise sind“. Wenn ich mich an das letzte Jahr erinnere, dann denke ich an ein Bombardement von schlechten Nachrichten. Alles wäre schlecht, wir wären am Boden, alles drohe zusammenzubrechen, das würde noch Jahre so bleiben, die Wirtschaftskrise von 1929 wäre Kleinkram dagegen usw. usf.
Ich persönlich fühlte mich eher genervt von diesen ständigen Nachrichten. Die Initiative krise-nein-danke.com spricht mir dabei aus dem Herzen: „Wir haben zu oft gehört, dass es uns schlecht geht - bis wir es irgendwann alle selbst geglaubt haben.“ Und so war es in der Tat! Die Krise wurde geradezu herbeigeredet. Wie erwartet – die positive Wirtschaftentwicklung hatte ich ja in meinem oben genannten Text schon erwähnt – geht es 2010 weiter kräftig nach oben. Keine jahrelange Krise, Massenarbeitslosigkeit usw. droht. Für 1 ½ Jahre wollte sich die Nation schlecht fühlen. Nun, spätestens nach der WM 2010 ist die gewollte Depression wohl vorbei. Die nächste wird irgendwann kommen, auch sie wird in der Tiefe wieder emotionale Ursachen haben. Insofern wäre es wünschenswert, wenn WirtschaftswissenschaftlerInnen sich auch mal mit psychohistorischen Thesen zu ökonomischen Phänomenen beschäftigen würden. Die Ergebnisse wären sicher aufschlussreich.
(siehe auch einige interessante Grafiken zum Wachstum im ZEIT Artikel.)
Panik und schiere Angst beherrschte die Ökonomie Ende 2008 und vor allem im Jahr 2009. In einem Text hatte ich bereits gedanklich angeregt, dass diese Ängste emotionale Ursachen haben könnten. Das Platzen der Blase auf dem US-Immobilienmarkt in den USA war natürlich sehr real. Banken und Geldgeber hatten unzählige faule Kredite international weiterverkauft. Keiner wusste genau, wer nun wo welche faulen Kredite im Lager hat. Die ganze Vorentwicklung in den USA brauchte allerdings vor allem eines: Die Fähigkeit, Realitäten stark zu verdrängen. Und das hat dann irgendwie doch etwas mit unserer psychischen Situation zu tun. Dazu kommt, dass es für mich weiterhin rational unverständlich ist, warum innerhalb weniger Wochen weltweit die Konsumenten ihre Nachfrage nach Produkten reduzierten, „nur weil die Banken in der Krise sind“. Wenn ich mich an das letzte Jahr erinnere, dann denke ich an ein Bombardement von schlechten Nachrichten. Alles wäre schlecht, wir wären am Boden, alles drohe zusammenzubrechen, das würde noch Jahre so bleiben, die Wirtschaftskrise von 1929 wäre Kleinkram dagegen usw. usf.
Ich persönlich fühlte mich eher genervt von diesen ständigen Nachrichten. Die Initiative krise-nein-danke.com spricht mir dabei aus dem Herzen: „Wir haben zu oft gehört, dass es uns schlecht geht - bis wir es irgendwann alle selbst geglaubt haben.“ Und so war es in der Tat! Die Krise wurde geradezu herbeigeredet. Wie erwartet – die positive Wirtschaftentwicklung hatte ich ja in meinem oben genannten Text schon erwähnt – geht es 2010 weiter kräftig nach oben. Keine jahrelange Krise, Massenarbeitslosigkeit usw. droht. Für 1 ½ Jahre wollte sich die Nation schlecht fühlen. Nun, spätestens nach der WM 2010 ist die gewollte Depression wohl vorbei. Die nächste wird irgendwann kommen, auch sie wird in der Tiefe wieder emotionale Ursachen haben. Insofern wäre es wünschenswert, wenn WirtschaftswissenschaftlerInnen sich auch mal mit psychohistorischen Thesen zu ökonomischen Phänomenen beschäftigen würden. Die Ergebnisse wären sicher aufschlussreich.
Donnerstag, 8. Juli 2010
mögliche Ursachen von Frauenhass
Durch meine aktuellen Gedanken zu den Maskulisten bin ich noch mal auf einen interessanten Beitrag von einem Mann in einem Forum gestoßen. Dieser suchte dort Hilfe und leidet unter seinem Frauenhass. Er hat nichts mit den Maskulisten zu tun. Trotzdem finden sich hier Parallelen, was die möglichen Ursachen des Frauenhasses angeht, wie ich finde. Aber bitte. Lest selbst:
"Die Emotionen von Frauen interessieren mich wenig bis gar nicht....Ich bin ein Trampel geworden und wenn eine Frau etwas von mir will macht mich das oft fast schon aggressiv. Ich habe eine beste Freundin und die meinte einmal ich werde zum "Göbbels" wenn ich über dieses Thema rede (falls jemand diese Metapher versteht). Ich habe mir einen zerstörerischen Frauenhass eingefangen, ausgelöst durch meine EX-Beziehung. Alle Frauen sind böse, verräterisch und hinterlistig. In meiner Wahrnehmung. Ich weiss, dass das nicht stimmt, aber das hilft mir wenig weiter. Gar nicht eigentlich. (…) Meine Mutter ist eine sehr komplizierte Person von der ich übermässige Ablehnung und Erniedrigung erfahren habe in emotionaler Hinsicht. Sie war durchaus auch liebevoll und aufopfernd, hat mich jedoch ebenso oft über die Klinge springen lassen und emotional "verbeult". Körperliche Nähe gab es auch nie seitens ihr. Ich könnte das ganze noch ausführlicher beschreiben, aber ich denke man versteht worum es geht. Ich empfinde eine Mischung aus Hass, ein wenig Liebe und Mitleid ihr gegenüber, was eine Ursache für meine jetzige Misere sein dürfte. (…)Witzig ist auch, dass die meisten meiner engen Freunde alle ähnlich destruktive Mütter hatten, das ganze sich bei denen jedoch anders äussert (Helfersyndrom, Bindungsangst etc. (...) )Ich habe gelernt, dass die Gefühle die ich Frauen gegenüber habe eigentlich woanders hingehören. Zu meiner Mutter, die ziemlich manipulativ und seelisch grausam war. Ich habe einen regelrechten Hass auf sie entwickelt. Sie hat eine Persönlichkeit wie Gollum von Herr der Ringe. (...) Das Problem ist, dass mein Vater, zu dem ich ein sehr gutes Verhältnis habe, schwer krank ist und sie ihn verprügelt, weil er sich nicht wehren kann. Mein Vater war aber auch die längste Zeit Alkoholiker, woher mit Sicherheit auch ein Grossteil meiner Vertrauensprobleme rühren."
"Die Emotionen von Frauen interessieren mich wenig bis gar nicht....Ich bin ein Trampel geworden und wenn eine Frau etwas von mir will macht mich das oft fast schon aggressiv. Ich habe eine beste Freundin und die meinte einmal ich werde zum "Göbbels" wenn ich über dieses Thema rede (falls jemand diese Metapher versteht). Ich habe mir einen zerstörerischen Frauenhass eingefangen, ausgelöst durch meine EX-Beziehung. Alle Frauen sind böse, verräterisch und hinterlistig. In meiner Wahrnehmung. Ich weiss, dass das nicht stimmt, aber das hilft mir wenig weiter. Gar nicht eigentlich. (…) Meine Mutter ist eine sehr komplizierte Person von der ich übermässige Ablehnung und Erniedrigung erfahren habe in emotionaler Hinsicht. Sie war durchaus auch liebevoll und aufopfernd, hat mich jedoch ebenso oft über die Klinge springen lassen und emotional "verbeult". Körperliche Nähe gab es auch nie seitens ihr. Ich könnte das ganze noch ausführlicher beschreiben, aber ich denke man versteht worum es geht. Ich empfinde eine Mischung aus Hass, ein wenig Liebe und Mitleid ihr gegenüber, was eine Ursache für meine jetzige Misere sein dürfte. (…)Witzig ist auch, dass die meisten meiner engen Freunde alle ähnlich destruktive Mütter hatten, das ganze sich bei denen jedoch anders äussert (Helfersyndrom, Bindungsangst etc. (...) )Ich habe gelernt, dass die Gefühle die ich Frauen gegenüber habe eigentlich woanders hingehören. Zu meiner Mutter, die ziemlich manipulativ und seelisch grausam war. Ich habe einen regelrechten Hass auf sie entwickelt. Sie hat eine Persönlichkeit wie Gollum von Herr der Ringe. (...) Das Problem ist, dass mein Vater, zu dem ich ein sehr gutes Verhältnis habe, schwer krank ist und sie ihn verprügelt, weil er sich nicht wehren kann. Mein Vater war aber auch die längste Zeit Alkoholiker, woher mit Sicherheit auch ein Grossteil meiner Vertrauensprobleme rühren."
Samstag, 26. Juni 2010
Medusas Kinder in der Antike
Durch meine Beschäftigung mit der Medusa und den Maskulisten bin ich auf eine interessante Information gestoßen. In ihrer Dissertation „Das unheimliche Sehen | Das Unheimliche sehen. Zur Psychodynamik des Blicks“ zitiert Elke Rövekamp eine Quelle (Schlesier, 1989) wie folgt: " (…) wir müssen wohl aufgrund der vorhandenen archäologischen Zeugnisse davon ausgehen, dass nichts von antiken Künstlern so häufig dargestellt wurde, wie das Medusenhaupt." (Rövekamp, 2004, S. 356) Wir finden in der Antike das Bild der Medusa „(…) an Gebäuden aller Art, an Giebeln und auf Mauern, an Tempeln, Privathäusern und Grabbauten; wir sehen es an den Rüstungen der Krieger, an Wagen, Schilden, Helmen, Harnischen, Beinschienen, Streitwagen, an Zaumzeug und Panzer der Pferde; es ist auf Wandgemälden und Mosaiken, auf Münzen und Schmuckstücken dargestellt; an den Geräten des täglichen Gebrauchs in Haus und Tempel ist es zu sehen, an Stühlen, Lampen, Kandelabern, an allen erdenklichen Gefäßen, auf Deckeln und an den Henkeln der Mischkrüge für Wein und Wasser, auf den Ölamphoren, den Schminkkästchen, den Trinkschalen." (ebd., S. 364f)
Die Medusa ist eine Erfindung aus der Antike. Ihre damalige enorme Verbreitung leuchtet mir vor allem ein, wenn man sich die Arbeiten von Lloyd deMause vor Augen führt. Er hat auf den antiken Kindererziehungsmodus „Später Infantizid“ hingewiesen. In dieser Zeit waren schwere Gewaltformen gegen Kinder, Kindesvergewaltigungen und Kindestötungen vorherrschend, entsprechend bildete sich die narzisstische Psychoklasse heraus. Der Vater war erst wirklich anwesend, wenn es um die Anleitung des älteren Kindes ging, vorher waren ihm die Kinder egal. Sicherlich war er auch brutal. Den Frauen und Müttern oblag die Kindererziehung, die wie gesagt von Gewalt geprägt war. In meinem aktuellen kurzen Text über "Medusas Söhne" habe ich die Verbindung zur Mutter gezogen. Die grausame Mutter wird im versteinernden Blick der Medusa von den Menschen wiedererkannt. Deshalb übte die Medusa zusammen mit ihrer Geschichte (vor allem auch ihrer Enthauptung durch Perseus) offensichtlich auf die antiken Menschen (dabei wohl auch vor allem die Männer) eine solche Faszination aus. Diese Erklärung scheint mir schlüssig und sie stützt deMause Annahmen über die Art und Weise der Kindererziehungspraxis in der Antike, deren psychische Folgen im Medusamythos sichtbar werden.
Donnerstag, 24. Juni 2010
Medusas Söhne. Oder: Wie Mann zum Maskulisten wird
Es ist schon ca. 7 Jahre her Jahre, wo ich mich eine Zeit intensiv mit der Männerbewegung beschäftigt habe. Diese besteht ja aus mehreren Richtungen, die ich hier gar nicht aufzählen und besprechen möchte. Mir geht es hier jetzt um den Teil dieser Bewegung, die sich „Maskulisten“ nennen und die ich radikale Maskulisten nenne.
Meine Einstellung zu diesen Leuten ist seit damals: Es ist verschwendete Lebenszeit, sich mit ihren Texten zu befassen. Mann ärgert sich einfach nur, wenn mann so viel dumpfen Kram ließt.
Diese Bewegung verbreitet zunächst einmal einige Kernthesen und Ansätze, die ich durchaus für richtig und begrüßenswert halte. Z.B. die Forderung, dass männliche Opfererfahrungen (Männer werden nämlich häufiger Opfer von Gewalt, als Frauen, außer im Bereich der sexuellen Gewalt. Allerdings - das verschweigen die Maskulisten - sind auch die Täter mehrheitlich Männer, außer, wenn es um Gewalt gegen Kinder geht, da sind die Verhältnisse bei körperlicher Gewalt ausgeglichen) mehr ins gesellschaftliche Bewusstsein gebracht werden müssen, dass es da mehr Hilfe gezielt auch für Jungen und Männer geben muss, dass Frauen häufiger als Täterinnen gegenüber Kinder auftreten, als dies allgemein wahrgenommen wird usw. usf. (Wobei Vorsicht geboten ist, wenn die Maskulisten Zahlen und Studien angeben, mann sollte sich da andere Quellen suchen.) Zusätzlich gibt es dann noch etliche andere Kernthesen der Maskulisten, die ich für höchst problematisch, verdreht und falsch halte, hier aber nicht besprechen kann.
Ihre Forderungen stehen dabei aber immer und grundsätzlich in Abgrenzung zum Feminismus und dabei speziell auch gegen die EMMA und Alice Schwarzer, die ihre Hauptfeindbilder sind. Frauen, speziell Feministinnen tauchen in den Texten der Maskulisten als deutliche Feindbilder auf, die es zu bekämpfen gilt. Der indirekte und direkte Frauenhass, der sich dort in den Texten zeigt, ist wirklich unerträglich und somit schwerlich zu lesen. Es werden also keine eigenen konstruktiven Ziele formuliert und den Frauen ihre Fortschritte und berechtigten Errungenschaften gelassen, sondern es kommt einem vor, wie auf einem Kindergeburtstag: Da ist eine Torte und die Jungs schreien und streiten darum, dass die Mädchen zu viel Torte hätten, dass sie sich verziehen sollen, weil jetzt die Zeit der Jungen ist, die Zeit, Torte zu essen. Zu diesem Kindergeburtstag gehört dann auch, dass mann sich verabredet, z.B. Mädchenpartys zu stürmen…äh feministische Internetforen zu torpedieren. Und dieser Kindergeburtstag ist denn auch der Grund dafür, warum ich dazu etwas schreiben möchte. Denn mir scheinen diese hasserfüllten, zum Teil auch sehr irrationalen Texte der Maskulisten viel mit deren Kindheit zu tun zu haben.
Damals las ich eine Homepage eines Maskulisten (die ich nicht mehr benennen könnte). Er vertrat die üblichen Gedanken, verwies auf die üblichen Links und maskulinen Bücher. Er schrieb aber auch etwas über sich und seine Kindheit. Diese war geprägt von Misshandlungen und Bestrafungen seitens seiner Mutter. Damals traute ich erst meinen Augen kaum. Die Verbindung zu seinen hasserfüllten Texten über Frauen und die eigene Misshandlungsgeschichte waren so offenkundig, dass es fast absurd schien, wie er seine Homepage betrieb und gestaltete. Verständlich wird dies, wenn mann darum weiß, dass Gefühle von misshandelten Kindern abgespalten werden. Später können sich die Männer dann ggf. noch sachlich daran erinnern, dass sie Schläge bekamen, was sie dabei fühlten, wissen sie nicht mehr. Die hasserfüllten Gefühle treiben dann aber ihr Unwesen auch weiterhin. In diesem Fall wurde der Hass komplett auf den Feminismus projiziert: „Die Feminstinnen hassen uns Männer, also müssen wir uns ihnen entgegenstellen und sie zurückdrängen.“
Damals hatte ich auch eine gewisse Zeit mit einem männerbewegten Mann zu tun. Er war kein Maskulist per Selbstdefinition, trotzdem kamen bei ihm immer wieder irrationale Gedanken und auch ein sehr verächtliches Frauenbild durch. Frauen waren für ihn grundsätzlich böse. Er selbst hatte vor allem schweren emotionalen Missbrauch und Körperstrafen seitens seiner Mutter erlebt und konnte sich an viele Details aus seiner Kindheit überhaupt nicht mehr erinnern. Das sind zwei Erfahrungen, die mann sicher nicht verallgemeinern kann. Trotzdem regen sie an, sich da weiter Gedanken zu machen und ich habe sie immer im Hinterkopf, wenn es um die Maskulisten geht.
Aus einem aktuellen Anlass heraus, habe ich dann kürzlich einfach mal wieder etwas zum Thema gegoogelt, (obwohl ich mich ja eigentlich nicht mehr mit diesen Leuten beschäftigen wollte, habe ich eine komplette Stunde dafür geopfert...). Bei den ersten Suchergebnissen fiel mir gleich das Bild der Medusa entgegen. Mehr noch, auf bekannten Homepages und Blogs der Maskulisten prangt das Bild des Perseus, in der Hand hält er den abgeschlagenen Kopf der Medusa. Manche Maskulistenblogs haben in ihrem Blognamen sogar gleich das Wort Perseus mit aufgenommen. Ein Titel eines bekannten Maskulistenbuches enthält ebenfalls das Wort Medusa. In einem entsprechenden Internetforum nutzt ein Schreiberling das Bild des Perseus als Avatar. In einem anderen Internetforum werden weibliche Gender-Professorinnen als „Medusaköpfe“ bezeichnet; eine Ehefrau, deren Mann laut Gerichtsbeschluss keinen Unterhalt zahlen braucht (wie er stolz berichtet) ist ebenfalls die „Medusa“; in einer Einladung zur „Online-Konferenz der Maskulisten“ heißt der Server "Maskulisten", das Passwort "medusa“, wie berichtet wird; ein Teil der Männerbewegung, der mit dem Feminismus sympathisiere sei blind „für die schreckliche Gestalt der Großen Mutter, der Medusa.“ bzw. dieser verfallen, da diese Männer „das Männliche“ aus ihrem Weltbild gelöscht hätten. Und folgende einzelnen Zitate möchte ich hier komplett anbringen: "Eine Sache sei noch zwingend zu erwähnen. Bei all unserem Tun und Handeln braucht man aussagekräftige und klare Symbole, mit denen sich andere identifizieren können. Perseus mit dem Haupt der Medusa wurde schon mal als Symbol vorgeschlagen, was ich ausgezeichnet fand, u.a. auch da eine gewisse Radikalität dem ganzen zu Grunde liegt: der rücksichtslosen und restlosen Auslöschung des Feminismus.“ Und „Perseus - und das abgeschlagene Haupt der Medusa. Ich träum gerade davon, daß in 5 Jahren ebensoviele Leute mit Stickern/Autoaufklebern mit diesem Symbol drauf - zu sehen sein werden, wie damals "Atomkraft-nein danke"-Sticker/Aufkleber. Vielleicht ja auch mit Schriftzug: Feminismus? Nein Danke! Oder das Symbol (Perseus und das Haupt der Medusa).“ und „Es ist psychisch fast unmöglich, das ganze Ausmaß und die Obszönität des Grauens dieser Ideologie (Anmerk. gemeint ist der Feminismus) konstant im Bewußtsein zu halten, denn sie ist derart furchtbar, daß man, der Medusa ins Antlitz blickend, zu Tode erstarrt und buchstäblich nicht mehr vor sich liegen sieht, was man sieht.“ Medusa scheint es den Maskulisten wirklich angetan zu haben.
Zum letzten Zitat möchte ich noch etwas einbringen. Es macht Sinn, hier einmal das Wort „Mutter“ einzusetzen. Das liest sich dann wie folgt:
„Es ist psychisch fast unmöglich, das ganze Ausmaß und die Obszönität des Grauens dessen, was meine Mutter mir antat, konstant im Bewußtsein zu halten, denn sie ist derart furchtbar, daß man, der eigenen Mutter ins Antlitz blickend, zu Tode erstarrt und buchstäblich nicht mehr vor sich liegen sieht, was man sieht.“ Der ganze Schrecken des inneren Kindes wird hier deutlich, der hier von dieser Person vermutlich einst real erlebt wurde und der sich jetzt in Wortsilben und Bildern wiederaufführt.
Die Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeutin Barbara Diepold beschreibt bildlich die innere Welt schwer traumatisierter Kinder. Hier fiel mir erstmals das Bild der Medusa in diesem Zusammenhang auf: „Die innere Welt traumatisierter Kinder ist so, wie Hieronymus Bosch sie gemalt und Dante sie in seinem „Inferno“ beschrieben hat, oder der Mythos der Medusa sie erzählt: Gespenster und Geister, brennendes Feuer, Eiseskälte, Leichenstarre, von Kopf bis Fuss gespaltene Menschen, deren Fragmente sich zu ganzen Menschen zusammensetzen, Menschenleere und Einsamkeit, Spiele mit Leichenteilen, Unfälle und mörderische Aggressivität“ (Diepold, B. 1998: Schwere Traumatisierungen in den ersten Lebensjahren. In: Endres, M. / Biermann, G. (Hrsg.): Traumatisierung in Kindheit und Jugend. Reinhardt Verlag, München., S. 136f) Hellhörig machte mich dann auch, dass über Adolf Hitler berichtete wird, er hätte das Bild der Medusa an seinen Wänden hängen gehabt und gesagt: „Diese Augen! Es sind die Augen meiner Mutter!“ (deMause, 2005, S. 154)
In der Psychoanalyse ist das Bild der Medusa oft ein Hinweis auf die eigene Mutter. Die Mutter kann Nahrung, Wärme und Liebe geben, aber sie kann diese auch entziehen und damit existenzielle Ängste auslösen. In einem – eigentlich gegenüber der Psychoanalyse sehr kritisch gemeinten Artikel – schreibt eine taz Autorin passend: „Die verdrängte, mächtige Mutter bleibt aber nun, wie alles Verdrängte, im Unbewussten aktiv. Als die böse Frau tritt diese Figur in Märchen und Fantasien wieder auf: von der Sphinx über Medusa und diverse Hexen- und Feenfigurenbis hin zur heutigen Form der schrecklichen Verderberin, der Emanze, die die ganze schöne Gesellschaft mit ihren unmäßigen Forderungen durcheinander bringt und die Männer - na was wohl? - am liebsten kastrieren würde.“ (vgl. http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2006/07/22/a0252)
Um die Medusa herum finden sich viele gefährliche Schlangen. „Beinhalten Träume Riesenschlangen, also Würgeschlangen, ist die Bedeutung häufig die einer "fesselnden und erdrückenden Umarmung", wie sie z.B. eine besitzdenkende, nicht loslassende Mutter ausüben kann.“ (http://www.traumdeutung-lebensberatung.de/traumsymbole-traumsymbol-schlange.html)
Die Schlangen erinnern vielleicht auch etwas an die Nabelschnur des Säuglings. Wieder etwas, was mit Mutter und Kind zu tun hat. Die Enthauptung der Medusa ist übrigens auch die Einleitung einer Geburt. Aus ihrem Hals werden ihre Kinder Pegasus und Chrysaor geboren, im Augenblick des Todes sozusagen „entbunden". Tod und Wiedergeburt ist etwas, das vor allem auch in psychohistorischen Arbeiten bzgl. kriegerischen Verhaltens behandelt wird. Durch den Tod eines anderen, „fühle ich mich wiedergeboren“. Die Ursachen dafür sehen die PsychohistorikerInnen in destruktiven, von Gewalt bestimmten Kindheitserfahrungen. „Die Feministinnen sollen sterben, damit wir leben können.“ Könnte ein Teil der Fantasie sein, die Maskulisten ausleben. Und darin ist dann auch die Rachefantasie des Kindes enthalten: "Meine Mutter muss sterben, damit ich endlich leben kann."
Auch manche Maskulisten selbst scheinen sehr klar die Mutter in der Medusa zu erkennen. Geradezu entzückt beschreibt ein Leser in seinem Kommentar einer bekannten Maskulisten Homepage: „Was ich dir sagen will: die Perseus-Figur (Brunnenfigur von B.Cellini), die du abgebildet hast, hat für mich... eine besondere Bedeutung.“ Ein Buch, das der Leser erinnert, beschreibt die antiken Mythen und „die Befreiung des Helden aus der Abhängigkeit von der Großen Mutter; die verschiedenen Stufen des Heldenkampfes, d.h. der Muttertötung oder Tötung des Drachens (…) Die Perseus-Gestalt wurde mir besonders sympathisch; und als ihre Verkörperung besonders die Brunnenfigur des Cellini.“
Ein anderer Maskulist schrieb in seinem Blog: "Vor einigen Wochen lief der Film "Clash of the Titans" in unseren Kinos an. Da die Hauptfigur kein Anderer als Perseus höchstpersönlich ist, war der Film für mich als Maskulist natürlich Pflicht. Ich war positiv überrascht. Vor allem der Kampf des Perseus gegen die Medusa ist eindrucksvoll inszeniert und übte eine starke Faszination auf mich aus." Wie emotional der Kampf des Perseus gegen die Medusa (Mutter) besetzt ist, wird hier deutlich.
Trotz etwas komplizierter Sprache finde ich auch folgendes Zitat erhellend:
„Man kann sagen, daß die Tat des Perseus darum von historischer Symbolkraft war, weil er die Macht des bösen Blicks gebrochen hat. Seligmann (1910/1922) hat die fast ubiquitäre Verbreitung des bösen Blicks beschrieben, dessen Bedrohlichkeit mit dem Sieg des Perseus natürlich nicht vorbei war, sondern bis heute anhält. Es scheint zu den kulturellen Urerfahrungen zu gehören, daß der Mensch sich dem Blick unterworfen erlebt. Die Psychoanalyse, die sich mit primären Spuren der Bildung des Selbst beschäftigt (Lacan, Kohut, Miller u.a.), hat die Bedeutung der Spiegelung des Infans durch den Anderen, also zumeist die Mutter, herausgearbeitet. Wenn Kohut vom "Glanz im Auge der Mutter" spricht, worin sich das Kind spiegelt und so, als gespiegeltes, sich identifiziert, erhellt daraus umgekehrt auch, was es heißt, einem kalten unemphatischen, nicht annehmenden Blick ausgesetzt zu sein. Ich bin primär der, der im Blick des anderen sich gegeben ist. Aufbau oder Fragmentierung des Selbst sind Funktionen der Blickqualitäten, die für den Blickunterworfenen lebenswichtig sind. Verwerfen oder Annehmen sind grundlegende Blickgebärden, in deren Matrix Subjekte sich identifizieren lernen. Natürlich ist in der Psychoanalyse mit der Verschränkung der Blicke mehr gemeint als das, was zwischen den Augen von Mutter und Kind sich abspielt. Der Blick ist Signifikant für die atmosphärische Tönung der Gesamtbeziehung. Der Blick aber, wußte man schon in der Antike, ist Träger eben von Atmosphären.“ (http://www.culture.hu-berlin.de/hb/static/archiv/volltexte/texte/natsub/sinne.html)
PsychologInnen sprechen vom „Tanz der Augen“ zwischen Eltern und Kind. Der liebevolle, anerkennende Blick ist vor allem für den Säugling von ungeheurer Bedeutung für seine Entwicklung. Fehlt dieser Blick, ist der Blick vielleicht sogar kalt und grausam, erlebt das Kind kein Echo im Blick, dann wird das schon vom Säugling als massive Bedrohung empfunden und das hat erhebliche negative Folgen für die weitere Entwicklung.
Wie aber war nun die Kindheit der radikalen Maskulisten? Haben sie den „toten, bösen Blick“ ihrer Mutter und ihres Vaters gesehen? Ich schreibe hier jetzt bewusst auch vom Vater, denn ich möchte dies nicht nur auf die Mutter reduzieren. Wenn eine Mutter kalt und ablehnend ist, dann könnte der Vater vieles ausgleichen (und umgekehrt), wenn er ein liebevolles Verhältnis zum Kind aufbaut. War der Vater dagegen emotional und physisch abwesend, dann trägt er dadurch natürlich auch seinen Teil bei. Da diese Abwesenheit sehr oft in unserer Gesellschaft vorkommt, beziehen sich die Rachegedanken der Maskulisten wohl in der Tat eher auf den Elternpart, der zumindest noch da war: Die Mutter. Hätten sie einen "ausgleichenden Vater" erlebt, würden sie wohl kaum so hassen können. Ein positives Männerbild fehlt, da kein positiver Vater und Vorbild zur Verfügung stand.
Mir scheint es wirklich so zu sein, als ob die Maskulisten im Blick der Medusa ihre destruktive Mutter wiedererkennen. Ihren Hass lassen sie jetzt – emotional blind wie sie sind - stellvertretend an den Feministinnen aus. Sie wollen blind bleiben, also kann mann ihnen nur mit Kritik und Grenzen setzten entgegnen. Für rationale Argumente sind die Maskulisten nicht zugänglich, da sie hassen wollen und den Hass brauchen. Mann sollte sich über ihren Kindergeburtstagskram allerdings nicht zu arg ärgern, gerade wenn mann auch darum weiß, dass es eben das Verhalten von emotionalen Kindern ist. Denn das ist ja genau das, was sie brauchen, eine ärgerliche, schockierte, ggf. feindliche Gegenreaktion. Insofern wünsche ich den Maskulisten, dass sie daran arbeiten, erwachsen zu werden und ihre eigene Torte backen. Viel Glück dabei! Vielleicht beschäftige ich mich dann in weiteren 7 Jahren noch mal für eine Stunde mit Euch und schaue, ob ihr da weitergekommen seid.
siehe ergänzend auch:
- Medusas Kinder in der Antike
- mögliche Ursachen von Frauenhass
P.S.
Der Ausweg aus diesem Hass wäre für die Maskulisten, dass sie sich dem „Bösen Blick“ der Mutter / des abwesenden Vaters stellen. Für das Kind von einst wäre dieser Blick (psychisch) tödlich gewesen, hätte das Kind geradeaus geschaut und bewusst gesehen, dass es nicht geliebt, sondern gehasst / abgelehnt wurde. Die damaligen Ängste kommen also in der Tat Todesängsten gleich. Wenn mann so einige Texte und Beiträge der Maskulisten liest, dann entdeckt man hinter der hasserfüllten Fassade sehr oft pure Angst vor „den Feministinnen“ (den „feministischen Monstern“), ja geradezu Todesangst. Heute könnten diese Männer der alten Angst direkt ins Angesicht schauen, ohne befürchten zu müssen, zu sterben oder zu versteinern, denn sie sind ihren Eltern nicht mehr als Kinder ausgeliefert und von diesen existenziell abhängig. Der “verspiegelte Schild“, der in der Sage Perseus vor dem direkten Blick der Medusa schützte, könnte in der heutigen Zeit ein Psychotherapeut sein, der einen geschützten Rahmen bieten kann, damit diese Männer sich dem Blick stellen können. Dass Maskulisten irgendwann diesen Weg wählen, halte ich zwar für notwendig, allerdings auch für sehr unwahrscheinlich.
Donnerstag, 17. Juni 2010
Alice Millers Sohn Martin über eine emotional schwierige Mutter und nachträgliche Gedanken
Im SPIEGEL vom 03.05.2010 („Mein Vater, ja, diesbezüglich“) ist ein interessantes Interview mit dem Sohn – Martin Miller - von der kürzlich verstorbenen Kindheitsforscherin Alice Miller zu lesen. Darin schildert er die schwierige Situation, Kind von einer so berühmten Analytikerin zu sein, die zudem über ihre eigenen Kriegstraumatisierungen nicht bis kaum sprechen konnte und emotional schwer für ihre Kinder zu erreichen war. Millers Sohn hat nach eigenen Angaben unzählige Versuche unternommen, mit seiner Mutter über ihre Erlebnisse zu sprechen, vergeblich. Er spürte emotional, dass ihr im Krieg etwas zugestoßen war, Fakten erfuhr er nicht. Martin Miller wörtlich: „Mir haben Leute immer gesagt: Eine Mutter, die so einfühlsam schreibt - da musst du eigentlich die beste Mutter gehabt haben. Eine absurde Situation. Die Leute hatten ein Bild von dieser Frau, das mit meinem nicht übereinstimmte. Es war sehr schwierig.“ und „Es ist meine persönliche Tragödie, dass ich es als Kind von Eltern der Kriegsgeneration nicht geschafft habe, eine emotionale Beziehung zu meinen Eltern aufzubauen.“ Erst kurz vor Alice Millers Tod konnte der Sohn sich ihr in einem Gespräch emotional annähern. Seine Mutter hat sich in diesem Gespräch auch bei ihm entschuldigt. Martin schildert auch, wie er Opfer seines Vaters wurde, in Form von körperlicher und psychischer Gewalt. Alice Miller war Zeugin dieser Übergriffe und intervenierte dabei auch, war aber wohl auch hilflos. Später trennte sie sich von ihrem Mann und ihr Sohn Martin ging in ein Internat.
Die SPIEGEL Journalisten äußern im Interview, dass sie auf diese Schilderungen nicht vorbereitet waren. Sie hatten offensichtlich ein anderes Bild von der Familie Miller erwartet. Ich muss gestehen, dass mich Martins Schilderungen nicht wirklich wundern. Ich habe einige Fotos von Alice Miller gesehen und mir einige ihrer selbst gemalten Bilder auf ihrer Homepage angesehen. Außerdem kenne ich einige ihrer Bücher. Sie selbst berichtete nach meiner Erinnerung auch von eigenen Psychotherapien. Insofern hat sie nicht wirklich ihr persönliches Leid verborgen. Ich fand auch schon immer, dass sie nicht glücklich wirkte. Zudem ist es nur logisch, dass gerade Menschen mit schweren eigenen traumatischen Hintergründen über das Thema schreiben. Die meisten bekannten Fachmenschen, die über Kindesmisshandlung, sexuellen Missbrauch und Vernachlässigung schreiben und veröffentlichen, sind höchst wahrscheinlich auf die ein oder andere Weise selbst betroffen. Ich vermute stark, dass Alice Miller auch als Kind Gewalt in ihrer Familie erlebt hat. Martin Miller sagt dazu nichts im Interview, insofern bleibt das ganze natürlich Spekulation. Ihre Bücher und ihre Thesen verlieren durch diese Informationen eh nicht an Bedeutung, ihr Wahrheitsgehalt bleibt bestehen.
Die anderen beiden Leitfiguren in diesem Forschungsbereich - Lloyd deMause und Arno Gruen - haben auch Gewalt als Kind erlebt. Lloyd deMause erwähnte in einem seiner Bücher, dass er selbst geschlagen worden ist. Er selbst ordnet sich in die „sozialisierte Psychoklasse“ ein, seine eigenen Kinder dagegen sieht er im helfenden Modus. Arno Gruens Biografie habe ich vor einiger Zeit kurz durchgeblättert. Ich erinnere Schilderungen über erhebliche Gewalterfahrungen und vor allem auch eine emotional sehr distanzierte Mutter, die Gruen selbst nach seinen ersten Erfolgen nicht wirklich Anerkennung für seine Leistung geben konnte. (Trotzdem entging Gruen ganz offensichtlicher der „Identifikation mit dem Aggressor“)
Der Vater der Psychoanalyse Sigmund Freud berichtete, er sei von seiner Amme als zweijähriger „sexuell verführt“ wurde. (vgl. deMause, L. 1992: Evolution der Kindheit. In: deMause, L. (Hrsg.): Hört ihr die Kinder weinen. Eine psychogenetische Geschichte der Kindheit. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M, (7. Auflage)
, S. 79ff), also sexuell missbraucht worden. In einem Brief Freuds an seinen damaligen Vertrauten Wilhelm Fließ heißt es: „Leider ist mein Vater einer von den Perversen gewesen und hat die Hysterie meines Bruders und einiger jüngerer Schwestern verschuldet.“ Ein weiteres Freud-Zitat: „Dann die Überraschung, dass in sämtlichen Fällen der Vater als pervers beschuldigt werden mußte, mein eigener nicht ausgenommen.“ (vgl. Focus, Nr. 39, 1993: "Unzucht und frühes Leid") "Pervers" war damals ein Ausdruck für sexuelle Übergriffe seitens männlicher Person. Über diese Passagen wird viel diskutiert. Ich finde, sie sprechen eine deutliche Sprache, Freuds Vater war ein Missbrauchstäter. Carl Gustav Jung - Begründer der Analytischen Psychologie – berichtete einst gegenüber Freud, dass er „als Knabe einem homosexuellen Attentat eines von mir früher verehrten Menschen unterlegen“ war, sprich sexuell missbraucht wurde. (siehe o.g. Focus Artikel)
Ich habe irgendwie im Hinterkopf den Satz für mich gebildet: Ohne Gewalt gegen Kinder und Kindesvernachlässigung gäbe es kaum noch Psychotherapie, weil es erstens kaum PatientInnen gäbe, aber auch zweitens kaum TherapeutInnen. Wer sich mit diesem Thema befasst oder auch Psychotherapeut wird, der hat dafür seine Gründe. (Auch Martin Miller ist beruflich Psychotherapeut) Das selbe gilt sicher auch für MitarbeiterInnen von entsprechenden Beratungsstellen. Eine gewisse Betroffenheit kann dabei ein guter Motor sein, eine zu große Betroffenheit birgt Risiken, wie ich finde.
Warum betreibe ich diesen Blog und warum schreibe ich so viel zu dem Thema? Die Frage stellt sich nach diesem Text natürlich automatisch. Ja, eine gewisse eigene Betroffenheit ist auch meine Grundlage. Wobei ich irgendwie auch ein Spezialfall bin. Ich habe nie elterliche körperliche Gewalt (auch keine leichten Züchtigungen oder Ohrfeigen) erlebt und ich habe nie sexuelle Gewalt erlebt. Zudem hatte ich als Kind sehr viele Freiheiten, die mir meine Eltern einräumten. Ich kannte auch keine Bestrafungen. Strafen gab es bei uns nicht. Meine Betroffenheit ist eher in der Form, dass es sehr viele stark destruktive emotionale Spannungen zwischen meinen Eltern gab und ich mittelbar Opfer davon wurde. Und ich meine letztlich, dass ich viel von dem aufarbeite, was eigentlich Sache meiner Eltern und auch Großeltern gewesen wäre. Mir ist sehr bewusst, warum ich so tief in dem Thema grabe. Ich könnte da viel zu schreiben, was mir aber zu persönlich ist, gerade fürs Internet. Für mich war die Beschäftigung mit dem Thema wichtig, natürlich auch für mich selbst. Niemand beschäftigt sich mit diesem Thema intensiv, wenn es nicht auch um die eigene Person geht.
Doch wenn es jetzt nur noch das wäre, würde ich heute damit aufhören, darüber zu schreiben. Ich tue dies weiter aus einem starken inneren Gefühl heraus, dass diese Art der Bearbeitung von gesellschaftlichen Problemen bzw. die Benennung von den tieferen Ursachen enorm wichtig für die Zukunft unseres Planeten ist. Ich tue dies, weil ich mir dadurch erhoffe, einen Teil dazu beitragen zu können, dass diese Welt besser wird. Das hört sich vielleicht geschwollen an, ist aber die Wahrheit.
(Nebenbei bemerkt habe ich beruflich nichts mit dem Thema zu tun, sondern betreibe diesen Blog als eine Art "Hobby")
Die SPIEGEL Journalisten äußern im Interview, dass sie auf diese Schilderungen nicht vorbereitet waren. Sie hatten offensichtlich ein anderes Bild von der Familie Miller erwartet. Ich muss gestehen, dass mich Martins Schilderungen nicht wirklich wundern. Ich habe einige Fotos von Alice Miller gesehen und mir einige ihrer selbst gemalten Bilder auf ihrer Homepage angesehen. Außerdem kenne ich einige ihrer Bücher. Sie selbst berichtete nach meiner Erinnerung auch von eigenen Psychotherapien. Insofern hat sie nicht wirklich ihr persönliches Leid verborgen. Ich fand auch schon immer, dass sie nicht glücklich wirkte. Zudem ist es nur logisch, dass gerade Menschen mit schweren eigenen traumatischen Hintergründen über das Thema schreiben. Die meisten bekannten Fachmenschen, die über Kindesmisshandlung, sexuellen Missbrauch und Vernachlässigung schreiben und veröffentlichen, sind höchst wahrscheinlich auf die ein oder andere Weise selbst betroffen. Ich vermute stark, dass Alice Miller auch als Kind Gewalt in ihrer Familie erlebt hat. Martin Miller sagt dazu nichts im Interview, insofern bleibt das ganze natürlich Spekulation. Ihre Bücher und ihre Thesen verlieren durch diese Informationen eh nicht an Bedeutung, ihr Wahrheitsgehalt bleibt bestehen.
Die anderen beiden Leitfiguren in diesem Forschungsbereich - Lloyd deMause und Arno Gruen - haben auch Gewalt als Kind erlebt. Lloyd deMause erwähnte in einem seiner Bücher, dass er selbst geschlagen worden ist. Er selbst ordnet sich in die „sozialisierte Psychoklasse“ ein, seine eigenen Kinder dagegen sieht er im helfenden Modus. Arno Gruens Biografie habe ich vor einiger Zeit kurz durchgeblättert. Ich erinnere Schilderungen über erhebliche Gewalterfahrungen und vor allem auch eine emotional sehr distanzierte Mutter, die Gruen selbst nach seinen ersten Erfolgen nicht wirklich Anerkennung für seine Leistung geben konnte. (Trotzdem entging Gruen ganz offensichtlicher der „Identifikation mit dem Aggressor“)
Der Vater der Psychoanalyse Sigmund Freud berichtete, er sei von seiner Amme als zweijähriger „sexuell verführt“ wurde. (vgl. deMause, L. 1992: Evolution der Kindheit. In: deMause, L. (Hrsg.): Hört ihr die Kinder weinen. Eine psychogenetische Geschichte der Kindheit. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M, (7. Auflage)
, S. 79ff), also sexuell missbraucht worden. In einem Brief Freuds an seinen damaligen Vertrauten Wilhelm Fließ heißt es: „Leider ist mein Vater einer von den Perversen gewesen und hat die Hysterie meines Bruders und einiger jüngerer Schwestern verschuldet.“ Ein weiteres Freud-Zitat: „Dann die Überraschung, dass in sämtlichen Fällen der Vater als pervers beschuldigt werden mußte, mein eigener nicht ausgenommen.“ (vgl. Focus, Nr. 39, 1993: "Unzucht und frühes Leid") "Pervers" war damals ein Ausdruck für sexuelle Übergriffe seitens männlicher Person. Über diese Passagen wird viel diskutiert. Ich finde, sie sprechen eine deutliche Sprache, Freuds Vater war ein Missbrauchstäter. Carl Gustav Jung - Begründer der Analytischen Psychologie – berichtete einst gegenüber Freud, dass er „als Knabe einem homosexuellen Attentat eines von mir früher verehrten Menschen unterlegen“ war, sprich sexuell missbraucht wurde. (siehe o.g. Focus Artikel)
Ich habe irgendwie im Hinterkopf den Satz für mich gebildet: Ohne Gewalt gegen Kinder und Kindesvernachlässigung gäbe es kaum noch Psychotherapie, weil es erstens kaum PatientInnen gäbe, aber auch zweitens kaum TherapeutInnen. Wer sich mit diesem Thema befasst oder auch Psychotherapeut wird, der hat dafür seine Gründe. (Auch Martin Miller ist beruflich Psychotherapeut) Das selbe gilt sicher auch für MitarbeiterInnen von entsprechenden Beratungsstellen. Eine gewisse Betroffenheit kann dabei ein guter Motor sein, eine zu große Betroffenheit birgt Risiken, wie ich finde.
Warum betreibe ich diesen Blog und warum schreibe ich so viel zu dem Thema? Die Frage stellt sich nach diesem Text natürlich automatisch. Ja, eine gewisse eigene Betroffenheit ist auch meine Grundlage. Wobei ich irgendwie auch ein Spezialfall bin. Ich habe nie elterliche körperliche Gewalt (auch keine leichten Züchtigungen oder Ohrfeigen) erlebt und ich habe nie sexuelle Gewalt erlebt. Zudem hatte ich als Kind sehr viele Freiheiten, die mir meine Eltern einräumten. Ich kannte auch keine Bestrafungen. Strafen gab es bei uns nicht. Meine Betroffenheit ist eher in der Form, dass es sehr viele stark destruktive emotionale Spannungen zwischen meinen Eltern gab und ich mittelbar Opfer davon wurde. Und ich meine letztlich, dass ich viel von dem aufarbeite, was eigentlich Sache meiner Eltern und auch Großeltern gewesen wäre. Mir ist sehr bewusst, warum ich so tief in dem Thema grabe. Ich könnte da viel zu schreiben, was mir aber zu persönlich ist, gerade fürs Internet. Für mich war die Beschäftigung mit dem Thema wichtig, natürlich auch für mich selbst. Niemand beschäftigt sich mit diesem Thema intensiv, wenn es nicht auch um die eigene Person geht.
Doch wenn es jetzt nur noch das wäre, würde ich heute damit aufhören, darüber zu schreiben. Ich tue dies weiter aus einem starken inneren Gefühl heraus, dass diese Art der Bearbeitung von gesellschaftlichen Problemen bzw. die Benennung von den tieferen Ursachen enorm wichtig für die Zukunft unseres Planeten ist. Ich tue dies, weil ich mir dadurch erhoffe, einen Teil dazu beitragen zu können, dass diese Welt besser wird. Das hört sich vielleicht geschwollen an, ist aber die Wahrheit.
(Nebenbei bemerkt habe ich beruflich nichts mit dem Thema zu tun, sondern betreibe diesen Blog als eine Art "Hobby")
Samstag, 5. Juni 2010
"Du weinst doch nicht?"
Auf der Suche nach aktuellen Zahlen zu weiblichen Täterinnen bei sexuellem Missbrauch bin ich auch auf einen erschütternden Bericht gestoßen. Betroffenenbericht von „Mona“:
„Das Gesicht meiner Mutter ist ganz nah. ‚Du weinst doch nicht?‘ Sie schlägt meinen Kopf auf den Boden und wiederholt freundlich: ‚Du weinst doch nicht, oder?‘ Es ging ihr nicht darum, mir das Weinen zu verbieten. Sie wollte, dass ich Schmerzen litt und nicht mehr wusste, dass es mir weh tat. Ich sollte lachen, während sie mich quälte. Ich sollte verrückt werden. Das ist ein Stück aus dem Alltag mit meiner grossen Feindin, meiner Mutter. Das ist Teil der sexuellen Ausbeutung. Vor niemandem hatte ich so maßlose Angst wie vor meiner Mutter. Sie kannte mich viel besser. Sie besaß mehr Druckmittel. Sie konnte viel weiter gehen. Sie gab mir zu essen oder verweigerte es mir. Sie wusch mich oder tauchte mir den Kopf ins Wasser. Sie brachte mich ins Bett oder sperrte mich aus der Wohnung. Darüber hinaus war sie den ganzen Tag mit mir allein. Sie konnte mich schlagen, mir Brandwunden zufügen, mich in den Schrank sperren, mich zwingen, stundenlang still zu stehen, und sie konnte mich jederzeit berühren. Sie hatte Zeit. Sie hatte Zeit, zu warten bis meine Kraft nachliess; Zeit ihre Drohungen auszukosten. Ich fühlte mich wie ein Tier auf dem Sprung. Der Tag war eine graue Masse: warten auf den Mittag, warten auf den Abend, warten auf den Morgen, warten bis jemand hereinkam, dann war ich sicher.“ http://www.dgfpi.de/tl_files/bundesverein/praevention/2004_02.pdf (Seite 9)
Ich suche solche Erfahrungsberichte schon länger nicht mehr gezielt, da es der eigenen Psyche nicht gut tut, so etwas zu oft zu lesen. Meine Erfahrung mit dem Thema Gewalt gegen Kinder ist, dass es keine Grenze an Schrecklichkeiten gibt, keinerlei Grenzen nach oben. Immer wieder bin ich in den letzten Jahren auf Berichte gestoßen, die mich sehr erschüttert haben. Die eigene Vorstellungskraft reicht nicht aus, um sich das ausdenken zu können, was die Realität an Grausamkeiten bietet. Der oben beschriebene Fall ist ein extremer Fall. Kaum jemand kann sich allerdings vorstellen, dass auch solche extremen Fälle keine Einzelfälle sind, auch heute noch, hier in Deutschland. Je weiter man den Blick in die Geschichte wagt, desto mehr „Extremfälle“ findet man in der breiten Masse der Betroffenen von Gewalt, das hat mir Lloyd deMause in seinen Beiträgen deutlich vor Augen geführt. Umso mehr verwundert es auch nicht, dass parallel dazu die politischen Grausamkeiten und der Wahnsinn sich, je weiter man in die Geschichte zurückblickt, steigert.
Ich kann mir über „Mona“ kein Bild machen, da ich diese Frau nicht kenne. Jedem muss aber klar sein, dass solche Erfahrungen tiefe Spuren hinterlassen. Mona hat offensichtlich Hilfe gesucht und spricht über ihre leidvollen Erfahrungen. Das ist der Weg, um wieder ins Leben zu finden und Destruktivität zu reduzieren. Viele suchen keine Hilfe, viele reden nicht über ihre Erfahrungen, sondern schließen diese hinter sich zu. Gerade auch in früheren Zeiten gab es so etwas wie Therapie oder psychosoziale Betreuungsangebote gar nicht. Selbst wenn die Menschen reden wollten, gab es gar keinen Rahmen dafür. Wen wundert es da, dass die Gewalterfahrungen auf anderen Bahnen wiederaufgeführt wurden und werden, z.B. in Kriegen. Das Verhalten der Menschen erzählt uns etwas über das Ausmass des Terrors, den sie einst als Kind erlebt haben müssen. (Z.B. Amokläufer, Selbstmörder, Drogenabhängige usw. usf.) Wir befinden uns letztlich immer noch in einem Prozess, in dem die Gesellschaft Stück für Stück die Augen öffnet, öffnen muss. Der unverstellte Blick ohne Scheuklappen zurück auf das, was unsere Vorfahren und wir selbst an Gewalt erfahren haben, ist notwendig, um zu verarbeiten und um Zukunft konstruktiv und friedlich zu gestalten.
Das o.g. Beispiel zeigt auch eindrucksvoll den fatalen psychischen Prozess, der durch Gewalt gegen Kinder erzeugt wird und werden soll. „Du weinst doch nicht?“, sagt die misshandelnden Mutter. Will heißen: „Du fühlst doch keinen Schmerz, wenn ich Dir Gewalt antue. Ich bin doch Deine Mutter, ich liebe Dich und Du liebst mich. Das, was ich mit Dir tue, ist keine Gewalt und Du fühlst auch keinen Schmerz.“
Kinder können solch eine Situation nur aushalten, wenn sie ihre Gefühle abspalten. Dieser Moment ist die Keimzelle der meisten menschlichen destruktiven Verhaltensweisen, die wir auf unserem Planeten vorfinden. Wir erinnern uns auch: Gewalt gegen Kinder ist das häufigste Gewaltdelikt, das in menschlichen Gesellschaften existiert.
Ich erwähnte oben, dass ich nach aktuellen Zahlen suchte. Wie würden die meisten Menschen antworten, wenn sie gefragt würden, wie viel Prozent der TäterInnen bei häuslicher Gewalt ihrer Einschätzung nach männlich und weiblich sind? Ich vermute, die meisten würden hohe Prozentzahlen bei den Männern angeben. Dabei zeigen die Zahlen, dass mindestens über 50 % der TäterInnen bei der körperlichen Kindesmisshandlung Frauen sind. Beim sexuellen Missbrauch schwanken die Zahlen zwischen 1,5 % und 30 % weibliche Täterinnen, je nachdem ob man vom Hellfeld ausgeht oder verschiedene Dunkelfeldstudien und ExpertInneneinschätzungen berücksichtigt. Die Frauenbewegung hat große und notwendige Fortschritte erzielt, was die Wahrnehmung von männlicher, häuslicher Gewalt angeht. Die Berichte, die auch weibliche Täterinnen fokussieren, häufen sich langsam in den letzten Jahren (Ein aktuelles Beispiel: "Wenn Mütter sich an ihren Kindern vergehen."). Auch hier stehen wir vor einem notwendigen Aufklärungs- und Bewusstseinsprozess. Erst wenn alles auf dem Tisch ist, kann die Gesellschaft nachhaltig verarbeiten, aufarbeiten und umfassende Präventionsarbeit leisten.
„Das Gesicht meiner Mutter ist ganz nah. ‚Du weinst doch nicht?‘ Sie schlägt meinen Kopf auf den Boden und wiederholt freundlich: ‚Du weinst doch nicht, oder?‘ Es ging ihr nicht darum, mir das Weinen zu verbieten. Sie wollte, dass ich Schmerzen litt und nicht mehr wusste, dass es mir weh tat. Ich sollte lachen, während sie mich quälte. Ich sollte verrückt werden. Das ist ein Stück aus dem Alltag mit meiner grossen Feindin, meiner Mutter. Das ist Teil der sexuellen Ausbeutung. Vor niemandem hatte ich so maßlose Angst wie vor meiner Mutter. Sie kannte mich viel besser. Sie besaß mehr Druckmittel. Sie konnte viel weiter gehen. Sie gab mir zu essen oder verweigerte es mir. Sie wusch mich oder tauchte mir den Kopf ins Wasser. Sie brachte mich ins Bett oder sperrte mich aus der Wohnung. Darüber hinaus war sie den ganzen Tag mit mir allein. Sie konnte mich schlagen, mir Brandwunden zufügen, mich in den Schrank sperren, mich zwingen, stundenlang still zu stehen, und sie konnte mich jederzeit berühren. Sie hatte Zeit. Sie hatte Zeit, zu warten bis meine Kraft nachliess; Zeit ihre Drohungen auszukosten. Ich fühlte mich wie ein Tier auf dem Sprung. Der Tag war eine graue Masse: warten auf den Mittag, warten auf den Abend, warten auf den Morgen, warten bis jemand hereinkam, dann war ich sicher.“ http://www.dgfpi.de/tl_files/bundesverein/praevention/2004_02.pdf (Seite 9)
Ich suche solche Erfahrungsberichte schon länger nicht mehr gezielt, da es der eigenen Psyche nicht gut tut, so etwas zu oft zu lesen. Meine Erfahrung mit dem Thema Gewalt gegen Kinder ist, dass es keine Grenze an Schrecklichkeiten gibt, keinerlei Grenzen nach oben. Immer wieder bin ich in den letzten Jahren auf Berichte gestoßen, die mich sehr erschüttert haben. Die eigene Vorstellungskraft reicht nicht aus, um sich das ausdenken zu können, was die Realität an Grausamkeiten bietet. Der oben beschriebene Fall ist ein extremer Fall. Kaum jemand kann sich allerdings vorstellen, dass auch solche extremen Fälle keine Einzelfälle sind, auch heute noch, hier in Deutschland. Je weiter man den Blick in die Geschichte wagt, desto mehr „Extremfälle“ findet man in der breiten Masse der Betroffenen von Gewalt, das hat mir Lloyd deMause in seinen Beiträgen deutlich vor Augen geführt. Umso mehr verwundert es auch nicht, dass parallel dazu die politischen Grausamkeiten und der Wahnsinn sich, je weiter man in die Geschichte zurückblickt, steigert.
Ich kann mir über „Mona“ kein Bild machen, da ich diese Frau nicht kenne. Jedem muss aber klar sein, dass solche Erfahrungen tiefe Spuren hinterlassen. Mona hat offensichtlich Hilfe gesucht und spricht über ihre leidvollen Erfahrungen. Das ist der Weg, um wieder ins Leben zu finden und Destruktivität zu reduzieren. Viele suchen keine Hilfe, viele reden nicht über ihre Erfahrungen, sondern schließen diese hinter sich zu. Gerade auch in früheren Zeiten gab es so etwas wie Therapie oder psychosoziale Betreuungsangebote gar nicht. Selbst wenn die Menschen reden wollten, gab es gar keinen Rahmen dafür. Wen wundert es da, dass die Gewalterfahrungen auf anderen Bahnen wiederaufgeführt wurden und werden, z.B. in Kriegen. Das Verhalten der Menschen erzählt uns etwas über das Ausmass des Terrors, den sie einst als Kind erlebt haben müssen. (Z.B. Amokläufer, Selbstmörder, Drogenabhängige usw. usf.) Wir befinden uns letztlich immer noch in einem Prozess, in dem die Gesellschaft Stück für Stück die Augen öffnet, öffnen muss. Der unverstellte Blick ohne Scheuklappen zurück auf das, was unsere Vorfahren und wir selbst an Gewalt erfahren haben, ist notwendig, um zu verarbeiten und um Zukunft konstruktiv und friedlich zu gestalten.
Das o.g. Beispiel zeigt auch eindrucksvoll den fatalen psychischen Prozess, der durch Gewalt gegen Kinder erzeugt wird und werden soll. „Du weinst doch nicht?“, sagt die misshandelnden Mutter. Will heißen: „Du fühlst doch keinen Schmerz, wenn ich Dir Gewalt antue. Ich bin doch Deine Mutter, ich liebe Dich und Du liebst mich. Das, was ich mit Dir tue, ist keine Gewalt und Du fühlst auch keinen Schmerz.“
Kinder können solch eine Situation nur aushalten, wenn sie ihre Gefühle abspalten. Dieser Moment ist die Keimzelle der meisten menschlichen destruktiven Verhaltensweisen, die wir auf unserem Planeten vorfinden. Wir erinnern uns auch: Gewalt gegen Kinder ist das häufigste Gewaltdelikt, das in menschlichen Gesellschaften existiert.
Ich erwähnte oben, dass ich nach aktuellen Zahlen suchte. Wie würden die meisten Menschen antworten, wenn sie gefragt würden, wie viel Prozent der TäterInnen bei häuslicher Gewalt ihrer Einschätzung nach männlich und weiblich sind? Ich vermute, die meisten würden hohe Prozentzahlen bei den Männern angeben. Dabei zeigen die Zahlen, dass mindestens über 50 % der TäterInnen bei der körperlichen Kindesmisshandlung Frauen sind. Beim sexuellen Missbrauch schwanken die Zahlen zwischen 1,5 % und 30 % weibliche Täterinnen, je nachdem ob man vom Hellfeld ausgeht oder verschiedene Dunkelfeldstudien und ExpertInneneinschätzungen berücksichtigt. Die Frauenbewegung hat große und notwendige Fortschritte erzielt, was die Wahrnehmung von männlicher, häuslicher Gewalt angeht. Die Berichte, die auch weibliche Täterinnen fokussieren, häufen sich langsam in den letzten Jahren (Ein aktuelles Beispiel: "Wenn Mütter sich an ihren Kindern vergehen."). Auch hier stehen wir vor einem notwendigen Aufklärungs- und Bewusstseinsprozess. Erst wenn alles auf dem Tisch ist, kann die Gesellschaft nachhaltig verarbeiten, aufarbeiten und umfassende Präventionsarbeit leisten.
Donnerstag, 3. Juni 2010
Das "goldene" Zeitalter des emotionalen Kapitalimus
Geld fühlt nichts. Der im Wirtschaftsprozess handelnde Mensch – der Homo oeconomicus – fühlt nichts, er handelt zweckrational und nutzenmaximierend sagt das klassische ökonomische Modell. Damit sollen gesellschaftliche und ökonomische Prozesse und Phänomene erklärt werden. Das individuelle Verhalten (und erst recht die Emotionen) der Akteure ist in diesem Modell nicht wirklich von Bedeutung, es geht darum zu erklären, was im Großen (z.B. „dem Markt“) stattfindet.
Ich kann das Modell gut nachvollziehen und finde es auch nützlich, um Wirtschaftsprozesse zu erklären und zu verstehen. Worum es mir hier jetzt aber geht ist ein Lob an den Kapitalismus und zwar ein echtes. Ich finde den Kapitalismus nämlich klasse! Wirklich. Es ist das Modell, was einfach am meisten Sinn macht und dem menschlichen Wesen – das gerne Handel treibt und innovativ ist - gerecht wird. Ich halte insofern auch nichts von einer grundlegenden Systemkritik und einer Abschaffung des Kapitalismus, um dann scheinbar eine bessere Welt zu erzeugen.
Was ich im Grunde für das Hauptproblem innerhalb des Systems halte, sind die Emotionen der Menschen oder auch die emotionale Leere von einem Teil der Akteure. Geld fühlt nichts, ja richtig. Aber Menschen fühlen etwas. Sollte man zumindest meinen. Mit Gefühlen verbinden wir vor allem auch Mitgefühl. Doch was passiert, wenn der am Markt teilnehmende Mensch im Extremfall gar nichts fühlt? Wenn er innerlich leer und abgestumpft ist? Wenn er eben kein Mitgefühl kennt?
Geld fühlt nichts, aber, es gibt auch Menschen, die nichts fühlen. Wenn der nicht-fühlende Mensch, der mitgefühllose Mensch kein Einzelfall ist, sondern einen erheblichen Teil der Akteure ausmacht und/oder Einzelpersonen, die über erhebliche Kapitalmengen verfügen, zu dieser Kategorie zählen, dann gibt es Probleme.
Würde der mitfühlende Mensch heute in Aktien eines Rüstungskonzerns investieren, wenn er mit einer 90 % Wahrscheinlichkeit auf Grund von Marktdaten mit einer Verdreifachung seines Kapitals rechnen könnte? Es wäre zweckrational, wenn dieser Mensch sich das Geschäft nicht entgehen lassen würde. Es wäre emotional, wenn er den Gewinn sausen lassen würde.
Und wenn der mitfühlende Mensch Morgen Opas Aktien von einem Rüstungskonzern erbt, was würde er tun? Könnte er damit Leben, Anteile an einem Unternehmen zu besitzen, das Waffen herstellt, damit Menschen getötet werden können? Wahrscheinlich nicht. Opas Aktien gehören also verkauft.
Das Rüstungskonzernbeispiel ist ein deutliches Beispiel, eines von vielen möglichen. Mit der stetigen Verbesserung der Kindererziehungspraxis wird auch der Markt immer emotionaler und mitfühlender werden. Dort wo keine Gewalt gegen Kinder angewandt wurde, mussten auch keine Gefühle abgespalten werden. In dem Moment, wo der emotionale Mensch umfassende Informationen über den Markt bekommt, wird er mit höherer Wahrscheinlichkeit auch emotionaler mit diesen Informationen umgehen, als der Akteur, dessen Gefühle verschüttet wurden. Wenn der emotionale Mensch erfährt, dass ein Produkt, das er gerne kauft, z.B. für erhebliche Umweltschäden verantwortlich ist oder durch das produzierende Unternehmen Menschrechte mit Füßen getreten werden, wird er seine Kaufentscheidung wahrscheinlich ändern. Sein maximaler Nutzen wäre dann ein menschlicher, emotionaler, nämlich sich gut bzw. nicht schlecht zu fühlen mit dem, was er mit seinem Geld tut. Der Boom der ökologisch und sozial verträglich arbeitenden Unternehmen in den letzten 30 Jahren geht meiner Meinung nach zu einem großen Teil auf die Verbesserung der Kindererziehung zurück. Mitfühlende Menschen wollen sozial verträgliche und umweltschonende Produkte. Menschen ohne Gefühle ist dies egal. Der Markt wird sich in den nächsten Jahrzehnten ökologisieren und immer sozialverträglicher werden. Ebenso verändert sich die Informationsbedeutung im Wirtschaftsprozess. Die Menschen wollen immer mehr „emotionale Infos“ über Unternehmen und Produkte. Diverse Label, Medienberichte, Internetportale und Broschüren zeigen dies.
Wenn die Fortschritte im Kinderschutz und der Erziehung (und auch in der Psychotherapie, durch die Gefühle zurückerobert werden können) so weitergehen, ist diese ökonomische-emotionale Entwicklung nicht zu stoppen. Der alte neoliberale, mitleidlose Markt wird abgelöst werden, durch den emotionalen Markt. Wir befinden uns mitten in diesem Veränderungsprozess. Insofern freue ich mich schon auf die Zukunft.
Ich kann das Modell gut nachvollziehen und finde es auch nützlich, um Wirtschaftsprozesse zu erklären und zu verstehen. Worum es mir hier jetzt aber geht ist ein Lob an den Kapitalismus und zwar ein echtes. Ich finde den Kapitalismus nämlich klasse! Wirklich. Es ist das Modell, was einfach am meisten Sinn macht und dem menschlichen Wesen – das gerne Handel treibt und innovativ ist - gerecht wird. Ich halte insofern auch nichts von einer grundlegenden Systemkritik und einer Abschaffung des Kapitalismus, um dann scheinbar eine bessere Welt zu erzeugen.
Was ich im Grunde für das Hauptproblem innerhalb des Systems halte, sind die Emotionen der Menschen oder auch die emotionale Leere von einem Teil der Akteure. Geld fühlt nichts, ja richtig. Aber Menschen fühlen etwas. Sollte man zumindest meinen. Mit Gefühlen verbinden wir vor allem auch Mitgefühl. Doch was passiert, wenn der am Markt teilnehmende Mensch im Extremfall gar nichts fühlt? Wenn er innerlich leer und abgestumpft ist? Wenn er eben kein Mitgefühl kennt?
Geld fühlt nichts, aber, es gibt auch Menschen, die nichts fühlen. Wenn der nicht-fühlende Mensch, der mitgefühllose Mensch kein Einzelfall ist, sondern einen erheblichen Teil der Akteure ausmacht und/oder Einzelpersonen, die über erhebliche Kapitalmengen verfügen, zu dieser Kategorie zählen, dann gibt es Probleme.
Würde der mitfühlende Mensch heute in Aktien eines Rüstungskonzerns investieren, wenn er mit einer 90 % Wahrscheinlichkeit auf Grund von Marktdaten mit einer Verdreifachung seines Kapitals rechnen könnte? Es wäre zweckrational, wenn dieser Mensch sich das Geschäft nicht entgehen lassen würde. Es wäre emotional, wenn er den Gewinn sausen lassen würde.
Und wenn der mitfühlende Mensch Morgen Opas Aktien von einem Rüstungskonzern erbt, was würde er tun? Könnte er damit Leben, Anteile an einem Unternehmen zu besitzen, das Waffen herstellt, damit Menschen getötet werden können? Wahrscheinlich nicht. Opas Aktien gehören also verkauft.
Das Rüstungskonzernbeispiel ist ein deutliches Beispiel, eines von vielen möglichen. Mit der stetigen Verbesserung der Kindererziehungspraxis wird auch der Markt immer emotionaler und mitfühlender werden. Dort wo keine Gewalt gegen Kinder angewandt wurde, mussten auch keine Gefühle abgespalten werden. In dem Moment, wo der emotionale Mensch umfassende Informationen über den Markt bekommt, wird er mit höherer Wahrscheinlichkeit auch emotionaler mit diesen Informationen umgehen, als der Akteur, dessen Gefühle verschüttet wurden. Wenn der emotionale Mensch erfährt, dass ein Produkt, das er gerne kauft, z.B. für erhebliche Umweltschäden verantwortlich ist oder durch das produzierende Unternehmen Menschrechte mit Füßen getreten werden, wird er seine Kaufentscheidung wahrscheinlich ändern. Sein maximaler Nutzen wäre dann ein menschlicher, emotionaler, nämlich sich gut bzw. nicht schlecht zu fühlen mit dem, was er mit seinem Geld tut. Der Boom der ökologisch und sozial verträglich arbeitenden Unternehmen in den letzten 30 Jahren geht meiner Meinung nach zu einem großen Teil auf die Verbesserung der Kindererziehung zurück. Mitfühlende Menschen wollen sozial verträgliche und umweltschonende Produkte. Menschen ohne Gefühle ist dies egal. Der Markt wird sich in den nächsten Jahrzehnten ökologisieren und immer sozialverträglicher werden. Ebenso verändert sich die Informationsbedeutung im Wirtschaftsprozess. Die Menschen wollen immer mehr „emotionale Infos“ über Unternehmen und Produkte. Diverse Label, Medienberichte, Internetportale und Broschüren zeigen dies.
Wenn die Fortschritte im Kinderschutz und der Erziehung (und auch in der Psychotherapie, durch die Gefühle zurückerobert werden können) so weitergehen, ist diese ökonomische-emotionale Entwicklung nicht zu stoppen. Der alte neoliberale, mitleidlose Markt wird abgelöst werden, durch den emotionalen Markt. Wir befinden uns mitten in diesem Veränderungsprozess. Insofern freue ich mich schon auf die Zukunft.
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