Donnerstag, 1. März 2012

Kindheit von Fidel Castro

Fidel Castro wurde in eine im Wohlstand lebende, privilegierte Landbesitzerfamilie hineingeboren. Etwa 1000 Menschen, überwiegend farbige haitianische Landarbeiter und ihre Familien, lebten in ärmlichen Verhältnissen unter dem Patronat von Fidels Vater. Die Ehefrau – Maria Luisa Argone – von Fidel Castros Vater soll nach Fidels Geburt die Familie verlassen haben. (Skierka, 2001, S, 17) Der Vater - Ángel Castro y Argiz – bekam nämlich mit der Haushälterin und Köchin Lina Ruz González – die nur halb so alt war wie er – mit Fidel bereits das dritte uneheliche Kind. Er heiratete später seine Bedienstete und bekam mit ihr weitere vier Kinder. „Sein Vater, ein verschlossener, hart arbeitender und zupackender Mann, grob und aufbrausend, streitsüchtig und keinen Widerspruch duldend, ist ein Patriarch wie aus dem Bilderbuch“ und führt „ein strenges Regiment über Haus und Hof.“ (ebd., S. 20)
Die Mutter beschreibt Skierka als den ausgleichenden Charakter in der Familie, die den Kindern die beim Vater vermisste Nähe gab. Auch Fidel Castro selbst sprach von seiner Mutter oft mit Wärme und Zuneigung, während er seinen Vater kaum erwähnte. Allerdings hatte auch seine Mutter offenbar keine Bedenken, ihren Sohn, um seine schulischen Leistungen zu fördern, früh weg zu geben. Fidel wird erst spät getauft, als er mit fünf oder sechs Jahren bei Pflegeeltern – der Familie Hibberts -in Santiago de Cuba einquartiert wird, wo er auf Grund seiner ungewöhnlich guten Leistungen privaten Schulunterricht erhält. Mit sechs oder sieben Jahren wird er dann in das streng katholisches Kolleg „La Salle“, das sein Bruder als „Gefängnis“ mit endlosem „Beten und der Furcht vor Gott“ beschreibt, in der selben Stadt eingeschult. “Offenbar sind die zeitweilig unklaren familiären Beziehungen in Verbindung mit Fidel Castros unehelicher Geburt der wahre Grund dafür, dass der Taufpate nicht zur Verfügung steht und der kleine Junge den Segen der Kirche zunächst nicht erhält.“ (ebd., S. 17) Fidel wird nach eigenen Angaben in dieser Zeit des ungetauft Seins ausgegrenzt und „Jude“ genannt. Ob seine leiblichen Eltern überhaupt bei der Taufe zugegen waren, ist nicht klar, schreibt Skierka. Castro wörtlich über diese Zeit: „Ich war weit weg von meiner Familie, von unserem Haus, von der Gegend, die ich so liebte, wo ich … mich frei fühlte. [Sie] schickten mich unversehens in die Stadt, wo ich all diese Schwierigkeiten hatte.“ (ebd., S. 22)

An die Zeit im Hause des Konsuls Hibbert hat Castro überwiegend negative Erinnerungen. „(…) es scheint, als hätte dieser es nur auf die Unterhaltszahlungen der Castros abgesehen.“ (Hagemann, 2002, S. 21) Fidels Mutter galt als streng katholisch und wollte diesen Glauben auch an ihre Kinder weitergeben. Vor diesem Hintergrund verwundert folgende Gegebenheit: „Seltsamerweise verbringt der kleine Fidel dreimal hintereinander das Drei-Königs-Fest nicht bei der Familie auf der Finca in Biran, sondern bei den Pflegeeltern in Santiago de Cuba, zu denen er ein zunehmend schwieriges Verhältnis entwickelt. (…) Der Grund, weshalb er die Weihnachtszeit und das wichtigste Fest im Jahr so oft in Folge nicht bei seiner Familie verbringt, liegt im Dunkeln. Ob er wegen des häuslichen Durcheinanders ganz bei den offenbar kinderlosen Pflegeeltern bleiben sollte? Der junge Fidel muss darunter nachhaltig gelitten haben.“ (Skierka, 2001, S. 23+24)

Die Schulleitung des Kolleg will Fidel und seine beiden Brüder schließlich wieder zu seinen Eltern zurückschicken, „weil sie sich wie Rabauken aufführen und der junge Fidel sogar einmal die Ohrfeige eines Lehrers erwidert.“ (Skierka, 2001,S. 22) Die Mutter interveniert und Fidel durfte bleiben, was auch sein erklärter Wille war. Er drohte sogar, zu Hause das Haus anzuzünden, falls ihn die Eltern aus der Schule zurück nach Hause gehen lassen würden. Schließlich wechselt er später im Alter von ca. neun Jahren auf Grund seiner Intelligenz auf das strenge und angesehene Jesuitenkolleg Dolores, das er zunächst als Tagesschüler besucht. Wieder bedeutet dies die Unterkunft bei fremden Leuten in einer neuen Gastfamilie. „Er hasste seine Gasteltern und trachtete erneut nach der Aufnahme in das Internat der Schule.“ (Hermann, 2002, S. 22) Castro fand sich „häufig eingesperrt im Hause seiner Gasteltern. Er nutzte die Zeit zum Nachdenken, zum Lesen von Comics und geschichtlichen Darstellungen, vorzugsweise solcher militärischen Inhalts.“ (ebd.) Schließlich schafft er die Trennung von der verhassten Gastfamilie und die Unterbringung im Internat Dolores. Er ist zu dieser Zeit wohl ca. zwölf Jahre alt und geht zunehmend eigene Wege. Mit dreizehn Jahren probte Fidel seinen ersten Aufstand. „Er wiedegelt die Zuckerrohrarbeiter der Finca auf und versucht einen Streik gegen seinen Vater zu organisieren. Er wirft ihm vor, seine Leute auszubeuten. Dieser ungeheuerliche, brüske Regelverstoß vor aller Augen gegen die in den hispanoamerikanischen Ländern tabuisierte Autorität des Patrons durch den Sohn führt zu einem tiefen Zerwürfnis.“ (Skierka, 2001, S. 22)

Ob Fidel Castro auch geschlagen wurde, erschließt sich aus den verwendeten Quellen nicht direkt. Es ist in meinen Augen allerdings auf Grund des Charakters des Vaters sehr wahrscheinlich, dass dieser auch körperlich übergriffig war. Zudem war Fidel gänzlich ohne Schutz fern der Familie sicherlich auch Opfer durch Gewalt von Lehrern, was sich oben auch belegen lässt, da er eine Ohrfeige eines Lehrers erwiderte. Wie das jahrelange Leben in den Gastfamilien aussah und ob dort auch offene Gewalt herrschte, deutet sich nur ansatzweise an. Über Einsperren und Streitigkeiten mit den Pflegefamilien ist einiges belegt, nichts allerdings über andere Übergriffe. Alles in allem ergibt sich das Bild eines abgeschobenen, unehelich geborenen Kindes, das schnell lernt, das es auf sich allein gestellt ist und sich durchkämpfen muss. Die sehr distanzierte Beziehung zum autoritären Vater wurde bereits angesprochen. In Anbetracht dessen, dass Fidel bereits ab ca. dem fünften oder sechsten Lebensjahr die Familie verließ, glaube ich ihm nicht wirklich die angeblich gute Beziehung zur Mutter. Spätestens ab diesem Zeitpunkt muss er sich auch von ihr verlassen und verkauft gefühlt haben. Wie sein Innenleben damals aussah bleibt natürlich Spekulation.

Fidel Castros Kindheit war alles andere als glücklich und von Geborgenheit geprägt, das kann man mit Bestimmtheit sagen . Er wollte (selbst erklärt) gegen Autoritäten, Unterdrückung und Unfreiheit kämpfen, wurde aber letztlich genau das, was er so hasst: Ein autoritärer Mann, der keinen Widerspruch duldete und sein Land von einer abgelösten Diktatur in die nächste nun von ihm geleitete führte. Tausende politische Gegner ließ er nach seiner Machtübernahme einsperren und hinrichten, „ohne Gerichtsverfahren und ohne zu prüfen, ob die bisweilen vage formulierten Vorwürfe gegen die „Konterrevolutionäre“ oder „CIA-Agenten“ der Wahrheit entsprachen, säuberte Castro seine Insel von innenpolitischen Gegnern. „ (FAZ.net, 28.08.2011) Im Jahr 1962 brachte er zudem während der Cuba-Krise zusammen mit der Sowjetunion und den USA die Welt fast zum Untergang durch einen Atomkrieg. All diese Dinge kann ein Mensch nur tun, wenn er tief gespalten ist und die eigenen Emotionen gestört sind. Fidel Castros Kindheit bietet dahingehend Antworten, woher diese Störungen ursprünglich kommen.



Quellen:

FAZ.net, 28.08.2011: Fidel Castro. Das Fossil (http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/fidel-castro-das-fossil-11126384.html)

Hagemann, A. 2002: Fidel Castro. (aus der Reihe dtv portrait) Deutscher Taschenbuchverlag, München.

Skierka, V. 2001: Fidel Castro: Eine Biographie. Kindler Verlag Berlin.

Dienstag, 21. Februar 2012

Kindererziehung in Namibia - Ein Erfahrungsbericht

Ich möchte auf einen sehr interessanten Erfahrungsbericht der Familie Spühler hinweisen.: „Kindererziehung auf afrikanisch“. Die Familie war zwischen 2007 und 2009 in Namibia und hat ihre persönlichen Beobachtungen bzgl. der dortigen Kindererziehungspraxis aufgeschrieben (insofern ist der Bericht natürlich subjektiv, aber trozdem sehr aufschlussreich, wie ich finde). Dass die Kindheiten in vielen Teilen Afrikas sehr gewaltvoll sind, habe ich bereits hier nachweisen können (das selbe bestätigen auch die Spühlers: "Das traurigste Thema ist die Gewalt, die die meisten Kinder hier tagtäglich erleben, ob zuhause oder in der Schule."). Solche Erfahrungsberichte machen zusätzlich deutlich, dass auch der allgemeine Umgang mit Kindern vor Ort vom Grundsatz her von Vernachlässigung geprägt sein kann. Die Spühlers berichten über den Satz einer Nachbarin: "Kinder soll man sehen, aber nicht hören." Und tatsächlich hörten Sie in ihrer Gegend fast nie Kinderlärm.
Aber auch ("negative") Gefühlsausdrücke von Kindern sind nicht erwünscht:
"Kinder – sobald sie den Windeln entwachsen sind - sollen z.B. nicht weinen. Auch in der Kindergruppe wird verlegen weggeschaut, wenn ein Kind weint und das betreffende Kind tut auch alles, um seine Tränen zu verbergen. Negative Gefühle sollen nicht gezeigt werden. So sah ich einmal ein wohl ca. 10-jähriges Mädchen eine halbe Stunde lang in einer Gartenecke gegenüber sitzen, völlig zusammengekauert und offensichtlich total betrübt. Verwandte und Freunde waren im selben Garten, aber niemand ging zu ihr hin. Bis sie sich aufraffte und – mit möglichst „normalem“ Gesicht wieder zurück zur Familie ging." Dies gilt vor allem für Kinder ab 1,5 Jahren. Aber auch Babys sollen ruhig sein und werden - wenn sie zu viel schreien - in einen Raum gebracht, wo sie alleine sind. "So lernen die Kinder schnell, dass es sich nicht lohnt, geräuschmässig aufzufallen." (eine Praxis, die auch hier in Europa lange üblich war.) "Sich mit Kindern aktiv beschäftigen oder sich gar mit ihnen unterhalten, das ist unbekannt."
Besonders erhellend und auch erschreckend fand ich den Hinweis, dass eine Bekannte keine Antwort auf die Frage wusste, was man denn auf afrikaans sagt, wenn man ein Kind loben möchte. Sie antwortete u.a.: "geh und spiel weiter" und "weine nicht, Mami hat dich doch nicht geschlagen."

Leider gibt es nur wenig Informationen über den Alltag von Kindern in Afrika und die Sicht auf Kindheit (zumindest habe ich dazu bisher wenig gefunden). Wer zusätzlich Infos hat, möge im Kommentarbereich gerne darauf verweisen.

Sonntag, 19. Februar 2012

Die Geisterwelt der Simatalu als Folge von Kindesmisshandlung?

Heute Morgen sah ich auf ARTE die Doku „Geheimnisvolle Völker – Die Geister der Simatalu“. Der Stamm der Simatalu lebt auf der Insel Siberut vor der Küste Sumatras. „Die Angehörigen dieses Stammes glauben, dass ihre Körper von Waldgeistern bewohnt werden. Sie versuchen stets sicherzustellen, dass die Geister sich bei ihnen wohlfühlen. Durch Tanz, Gesang und gute Lebensführung verhindern sie, dass die Geister sie verlassen - denn das hätte Krankheit oder Tod zur Folge. Auf diese Weise leben die Simatalu im Einklang mit ihrer Umwelt, was für sie bedeutet, die Regeln der Natur ebenso zu respektieren wie die Regeln ihrer Gesellschaft.“ steht bei ARTE in der Filmbeschreibung.

Der ARTE Text wie auch der Film stellt diesen Stamm weitgehend als eine große harmonische Gemeinschaft dar, wie es klassisch für die idealisierende Beobachtung von Stämmen und Urvölkern ist. In der Tat haben die Simatalu stets Angst diverse Geister zu erzürnen und in der Doku erfährt man auch von einer schweren Familienfehde, weil ein Schwein einst nicht gerecht geteilt worden war. Vor allem die erst genannte Beobachtung lässt vermuten, dass die zu besänftigenden Geister etwas mit verfolgenden und strafenden Eltern zu tun haben könnten. Viele Beobachter glauben an die naturverbundene Harmonie solcher Völker und an so etwas wie „Kultur“, wenn es um Geister und ähnlichen Glauben geht. Kaum jemand schaut, in wie weit dieser Geisterglaube etwas mit real erlebten Kindheitsalbträumen zu tun haben könnte, die sich in der Symbolik einer Geisterwelt wideraufführen.

DeMause hat viel darüber geschrieben, dass sich bei den Stämmen und Urvölkern die heftigsten Formen von Kindesmisshandlung finden lassen. Erst wenn man darum weiss, kann man auch erkenntnisreich mit einer psychologischen Lupe an solche Kulturen herantreten. Mir ist es mit solchen Dokus bisher oft so ergangen, dass sich nebenbei auch in den Berichten selbst deutliche Anzeichen von Kindesmisshandlung finden lassen, ohne dass dies besonders hervorgehoben würde. So war es auch mit dieser Doku.

Man erfährt, dass den Frauen bei den Simatalu als Mädchen die Zähne angespitzt wurden, was als „Kultur“ verstanden wird. Eine Frau berichtet darüber. Ihr Vater habe ihr als Mädchen einen ganz Tag lang mit einer Machete die Zähne gefeilt und angespitzt (natürlich ohne Betäubung), was sehr schmerzhaft war und der Schmerz hätte auch noch einen Monat lang angehalten. Dazu erfährt man in der Doku von Kinderehen, ein Mädchen wurde z.B. mit fünfzehn Jahren mit einem älteren Mann aus einem Nachbarstamm verheiratet. Solche Verhaltensweisen haben wenig mit „Kultur“ zu tun, sondern mehr mit der rücksichtlosen Verletzung von Mädchen. Jemand, der mitfühlen kann, jemand, der ein liebevolles Verhältnis zu seinen Kindern hat, würde diesen nicht die Zähne einen Tag lang mit einer Machete bearbeiten können. (Vermutlich werden die Mädchen dabei auch noch festgehalten, denn ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Kind diese schmerzhafte Prozedur einfach so still haltend stundenlang mit sich machen lässt). Allem Anschein nach wird den Mädchen (wie auch bei uns, wenn es um misshandelnde Eltern geht) klar gemacht, dass dieser schmerzhafte, traumatische Akt "zu ihrem Besten" geschieht, dass sie so Schönheitsideal erfüllen und als Frauen später ansehnlich sind.

In dem Film erfährt man übrigens auch, dass die Hälfte der Kinder vor Erreichen des fünften Lebensjahres sterben. Neben der fehlenden medizinischen Versorgung muss man auch annehmen, dass diese hohe Kindersterblichkeit auch etwas mit dem Verhalten der Betreuungspersonen zu tun haben wird. Auch sexueller Missbrauch wird angesprochen. "Wisst ihr schon das Neuste", fragt eine Frau im Gespräch mit anderen. Ein Mädchen ist im Schlaf von einem Mann sexuell belästigt worden. Danach tauschen sich die Frauen aus. Entweder ist der Ehemann verpflicht, seine Frauen vor Übergriffen zu schützen oder es werden hohe Schadensersatzforderungen erhoben, wenn er sie nicht schützen konnte...

Donnerstag, 16. Februar 2012

Kindheit von John F. Kennedy

 (aktualisiert am 15.11.2013)


Der Vater Joseph P. Kennedy galt als „schwieriger wie umstrittener Mann, ein Tyrann, zerfressen von Ehrgeiz und Machtanspruch.“ (Pergande, 2011, S. 13) Der Selfmade-Millionär drillte seine Kinder zudem auf Erfolg, nur das zählte für ihn. Verlierer duldete er nicht. Und natürlich sollte einer seiner Söhne US-Präsident werden. (vgl. GEO Epoche, 12/2009) Joseph wörtlich: „Wir wollen keine Verlierer unter uns haben. In dieser Familie wollen wir nur Gewinner.“ (Pergande, 2011, S. 16)
Joseph war seiner Frau praktisch immer untreu und diese tat ihr Leben lang so, als wisse sie nichts davon. (vgl. Pergande, 2011, S. 14). Revuemädchen, Prostituierte, die Frauen von Geschäftspartnern, überall suchte Joseph Sex und er fasste sogar Freundinnen seiner Töchter an und befummelte sie. (vgl. Geoepoche, 12/2009, S. 28) „Joseph P- Kennedys Söhne lernen, Frauen als Leistungsbeweise in einer steten Jagd nach Bestätigung zu sehen.“ (ebd.) Und so jagte auch John F. (genannt auch „Jack“) den Frauen hinterher. „Sekretärinnen und Stewardessen, Models, Sportlerinnen, „Namen“ aus dem Filmgeschäft: Im Grunde ist es ihm egal. Seine beinahe mechanische Eroberungsobsession übertrifft wohl noch die seines Vaters, auch in der Fixierung auf Selbstbestätigung statt Genuss. (…) Hinter dem Charisma ist nichts als Leere: John F. Kennedy vermag Menschen so routiniert zu verführen, weil sie ihn im Grunde nicht interessieren.“ (ebd., 32+33)
Aber auch Prostituierte gehörten für ihn dazu, was "seinen Personenschutz oft in Bedrängnis bringt, da unbekannte Frauen (...) ohne Sicherheitsüberprüfung in sein Hotelzimmer oder seine New Yorker Privatsuite geleitet werden." (welt.de, 25.06.2013)

John F. war zeitlebens von schweren Krankheiten und Beschwerden geplagt. Schon in seiner Jugend hatte er Scharlach, Keuchhusten, Masern, Astma, Windpocken, Gelbsucht, Magengeschwüre und wiederholte Anfälle von Bronchitis. (vgl. Schild, 1997, S. 12) Die Liste weiterer Beschwerden ist lang und einen frühen Tod hielt er für wahrscheinlich. Einem Freund erklärte John F. einmal, dass er für den Moment lebe. „Er behandele jeden Tag, als wenn es sein letzter sei und suche deshalb ständiges Vergnügen.“ (ebd., S. 13)
(Heute sind sich viele Beobachter einig darüber, dass JFK niemals Präsident geworden wäre, wenn sein Gesundheitszustand öffentlich bekannt geworden wäre.)

Auf den Charakter des Vaters bin ich oben bereits kurz eingegangen. DeMause berichtet auch von körperliche Gewalt. Joseph P. Kennedy schlug die Köpfe der Kinder gegen eine Wand. Aber auch die Mutter verprügelte John F. mit einem Kleiderbügel und einem Gürtel. (vgl. deMause, 2011) Die Mutter schrieb in ihren Erinnerungen:
„Ich glaube, es gehört zu den legendären Vorstellungen, die man sich von einem Präsidenten macht, dass man glaubt, er besäße außergewöhnliche Qualitäten und habe sich als Kind durch unfehlbare Tugendhaftigkeit ausgezeichnet. Ich kann bestätigen, dass dies bei Jack nicht so war (…) oder irgendeinem der anderen Kinder. Wenn sie es verdient hatten, dann war, glaube ich, ein ordentlicher Klaps eine der wirksamsten Methoden ihnen eine Lektion zu erteilen.“ (Pergande, 2011, S. 15) „Meine Mutter ist ein Nichts“ sagte John F. einmal über seine Mutter Rose. (Geoepoche, 12/2009, S. 27ff) „Während seiner Kindheit und Jugend sei sie entweder in Paris einkaufen gewesen oder habe in irgendeiner Kirche auf den Knien gelegen; sei sie doch einmal zu Hause gewesen, habe er sie nie zärtlich erlebt. Sie ist eine offenbar kalte, bigotte, verschwednungssüchtige Person, obsessiv auf soziale Reputation bedacht.“ (ebd.) Jacqueline Kennedy sagte einmal über die Beziehung der Mutter zu John F.: „Seine Mutter liebte ihn nicht wirklich ... Sie liebte es, den Leuten zu erzählen, dass sie die Tochter des Bürgermeisters von Boston war und die Frau des Botschafters ... Sie liebte ihn nicht.“ (Pergande, 2011, S. 16)
JFKs Schwester Jean Kennedy-Smith berichtete noch im hohen Alter über die Strafformen in der Familie: "Unsere Mutter war streng. Wenn wir ungehörig waren, sperrte sie uns in ihren Kleiderschrank. Einmal saß ich schon eine ganze Weile drinnen, ich hatte ihre Schuhe und ihre Kleider längst durchgezählt, als die Tür aufging und Teddy dazu kam. Sie hatte mich einfach vergessen. Also saßen wir zusammen im Dunkeln und unterhielten uns darüber, was für eine gemeine Mutter wir haben." (SPIEGEL-Online, 15.11.2013)

John F. Kennedy ist wohl gerade uns Deutschen durch seinen Satz „Ich bin ein Berliner“ ein Symbol und genießt wohl auch im Rückblick hierzulande viel Sympathie. Er war aber auch ein Präsident, der durch die Operation in der Schweinebucht auf Cuba ein hohes Risiko einging und eine mögliche Eskalation des Konfliktes in Kauf nahm. Kennedy war während der späteren Cuba Krise (Stationierung von nuklearen Waffen auf Cuba) bereit, einen Atomkrieg zu führen und rechnete mit 200 Millionen toten Amerikanern (vgl. deMause 2011). Die gefährlichsten zwei Wochen der Menschheitsgeschichte im Jahr 1962 gingen glücklicherweise friedlich aus. Wäre der Konflikt tatsächlich eskaliert, wäre Kennedy zusammen mit dem sowjetischen Führer Chruschtschow bei den wenigen überlebenden Menschen des Atomkrieges als Symbol des absoluten Untergangs in Erinnerung geblieben…
Außerdem hatte Kennedy bereits in seinem Wahlkampf im Jahr 1959 die Notwendigkeit betont, Amerikas Anwesenheit in Berlin notfalls mit einem Atomkrieg zu verteidigen: "Unsere Position in Europa ist einen Atomkrieg wert, denn wenn wir aus Berlin vertrieben werden, werden wir aus Deutschland vertrieben. Und wenn wir aus Europa vertrieben werden, werden wir aus Asien und Afrika vertrieben, und dann sind wir als Nächste dran. (...) Wir müssen unsere Bereitschaft signalisieren, die ultimative Waffe einzusetzen." (welt.de, 25.06.2013)

Kennedy war trotz anderer öffentlicher Bekundungen alles andere als ein Friedensbringer. Er ordnete gleich nach Amtsantritt eine Überprüfung der amerikanischen Verteidigungsstrategie und eine Erhöhung der Militärausgaben an. „Die USA begann die größte Aufrüstungsaktion ihrer Geschichte in Friedenszeiten: In den ersten drei Monaten seiner Amtszeit beantragte Kennedy eine Erhöhung des Verteidigungshaushaltes um sechs Milliarden Dollar. (…) Insgesamt wurde das Militärbudget unter Kennedy von 47 auf knapp 60 Milliarden Dollar pro Jahr gesteigert.“ (Schild, 1997, S. 80) Auch das militärische Engagement in Vietnam nahm unter Kennedy größere Dimensionen an. Er lieferte Waffen nach Vietnam, befahl US-Militärpiloten Entlaubungsmittel über den Dschungel zu versprühen und steigerte die Zahl der „Militärberater“, die heimlich immer mehr wie reguläre Soldaten operierten, bis Ende 1963 auf 16.000. (vgl. GEO Epoche, 12/2009) Ende 1961 stimmte Kennedy auch dem Einsatz von Napalm zu. (vgl. Ausstellung des Deutschen Historischen Museums über Kennedy Ende 2003) Unter Kennedy verstrickten sich die USA immer mehr in den Vietnam Krieg.

DeMause (2005, S. 13ff; siehe auch online in englisch hier) vertritt die These, dass die amerikanische Nation damals emotional für einen Krieg bereit war und mit Wut reagierte, als die Cuba Krise ohne jeden Krieg endete. Ihre Wut richtete sich sodann gegen ihren eigenen Führer. In Reden und politischen Cartoons bauten sich Mordfantasien gegen Kennedy auf. DeMause weist parallel dazu auch nach, dass Kennedy selbst die tödliche Gefahr für sich vorausahnte und Warnungen nach Dallas zu reisen ignorierte. Kennedy habe, so deMause, unbewusst die Märtyrerrolle angenommen.
Als die Cuba Krise mit einer Erklärung der Russen bzgl. des Abzugs der Raketen am 28.10.1962 endete, sagte Kennedy am Abend des selben Tages zu seinem Bruder: „Ich sollte ins Theater gehen.“ „Ein finsterer Scherz, der auf das Ende des legendären US-Präsidenten Abraham Lincoln anspielt. Der hatte knapp 100 Jahre zuvor unter unendlichen Opfern den Amerikanischen Bürgerkrieg gewonnen. Und war endgültig zum Mythos geworden, als er kurz nach seinem Sieg in einem Theater von einem Attentäter ermordet wurde.“ (GEO EPOCHE 12/2009, S. 114)


Quellen:

deMause, L.2005: Das emotionale Leben der Nationen. Drava Verlag, Klagenfurt/Celovec.

deMause L. 2011: Global Wars to Restore U.S. Masculinity. In: The Journal of Psychohistory (Hrsg. deMause, L.), Volume 28, No 4. New York, 290-312 (Text ist auch online: http://www.psychohistory.com/originsofwar/11_globalWars.html)

GEO Epoche 12/2009, Nr. 40: John F. Kennedy.

Pergande, F. 2011: John F. Kennedy. Vom mächtigsten Mann der Welt zum Mythos. Bucher Verlag, München.

Schild, G. 1997: John F. Kennedy. Mensch und Mythos. Muster-Schmidt Verlag. Göttingen – Zürich.

SPIEGEL-Online, 15.11.2013, "Treffen mit Kennedy-Schwester Jean: Mein Bruder JFK" (von Karin Assmann)

welt.de, 25.06.2013,  "JFK brauchte Sex, Drogen und spielte mit der Bombe" (von Alan Posener)

Dienstag, 7. Februar 2012

Kurzer Austausch mit Steven Pinker über sein Buch

Ich habe kürzlich Steven Pinker (nachdem ich sein Buch "Eine neue Geschichte der Menschheit" hier besprochen habe) angeschrieben und ihn gefragt, warum er, obwohl er in seinem Buch auf etlichen Seiten den Rückgang der Gewalt gegen Kinder beschrieben hat und er die Arbeit von Lloyd deMause kennt, diesen Gewaltrückgang nicht in einen Zusammenhang mit dem allgemeinen Gewaltrückgang gebracht hat.

Seine erste Antwort war kurz und knapp ein Satz. Er wäre skeptisch bzgl. des Einflusses der Kindererziehung auf die Persönlichkeit und das Verhalten. Für die Begründung verwies er auf das „Kindheits Kapitel“ in seinem Buch „Das unbeschriebene Blatt: Die moderne Leugnung der menschlichen Natur“. Das Buch kenne ich nicht, aber soweit ich gelesen habe, stehen dort biologische Einflüsse bzw. die Gene im Mittelpunkt. Insofern ist mir klar, worauf Pinker hinaus will.

Ich habe ihn dann nochmal direkt gefragt, ob er wirklich glaubt, dass Kindesmisshandlung keinen Einfluss auf die Persönlichkeit und das Verhalten hat. Und wies dabei auch nochmal darauf hin, dass die Kindesmisshandlung oftmals nichts anderes als Folter war, wenn man historisch zurückschaut, so wie er es auch in seinem Buch tat. Ich konnte mir auch nicht verkneifen zu fragen, ob er glaubt, dass wirklich geliebte Kinder, die keinerlei Elterngewalt erlebt haben, später zu Folterknechten, Massenmördern oder Diktatoren werden könnten.

Er antwortete dann etwas ausführlicher. Ja, er glaubt, dass geliebte Kinder zu den genannten Täterkreisen werden können. Und ja es sei möglich, dass extreme Formen (diese Formulierung von „extrem“ war ihm hier wohl wichtig) der Kindesmisshandlung das Leben der Betroffenen beschädigen. Es gäbe aber eine große Bandbreite an Kindererziehungspraxis, inkl. von Formen, die man als brutal (harsh) und grausam (cruel) bezeichnen könnte. Im nächsten Satz wies er dann auf sein Buch hin. Früher wurde die Mehrheit der Kinder täglich geschlagen oder verprügelt, doch die meisten davon wären nicht zu gewalttätigen Psychopathen geworden. Am Ende verwies er dann wieder auf sein Buch „Das unbeschriebene Blatt“.


Ich bin kein Mensch, der den Einfluss der Gene und Biologie bestreitet. Ganz im Gegenteil glaube ich, dass jeder Mensch von Anfang an mit einem ganz eigenen Temperament, biologischen einigermaßen dehnbaren aber eben doch festen Grenzen der Intelligenzentfaltung usw. auf die Welt kommt. Es macht insofern z.B. auch einen Unterschied, ob ein „von Natur aus“ sehr temperametvolles, aktives Kind mit einer hohen angeborenen Intelligenz misshandelt wird oder ob ein eher passiveres Kind misshandelt wird. Die Folgen werden bei beiden entsprechend unterschiedlich sein.

Es ist für mich einfach erstaunlich ja geradezu schockierend, wie jemand, der auf wirklich etlichen Seiten in seinem Buch fast schon im Stile eines Psychohistorikers die historischen, routinemäßigen Gewaltexzesse gegen Kinder beschreibt, der nachweist, dass Kinder weniger wert waren als Tiere, der zudem den Rückgang der Gewalt gegen Kinder und die stetige Etablierung und Erweiterung von Kinderrechten ausführlich behandelt (und der insofern Tief in die Materie eingetaucht ist) , der gelernter Psychologe ist und auch noch die Arbeiten von deMause kennt einen Zusammenhang bzgl. des allgemeinen Gewaltrückganges und des Zivilisationsprozesses nicht nur gedanklich in seinem Buch ausspart, sondern diesen Zusammenhang sogar abstreitet. Der kurze Emailaustausch zeigte mir, dass man von Pinker keine Einsichten in dieser Hinsicht erwarten darf. Dabei ging es mir gar nicht darum, dass er nun „alles auf die Kindheit“ schieben sollte. Es ging mir darum, dass er diesen Einfluss von Kindheit einbezieht, gerne auch neben all den anderen wichtigen Dingen und Einflussfaktoren.
Pinkers Argumentation ist außerdem unlogisch. Historisch wurden Kinder mehrheitlich täglich geprügelt und geschlagen, seien aber nicht zu gewalttätigen Psychopathen geworden. Wenn man sein Buch liest, über die Folter, Kriege und allgemeinen Gewaltorgien, die er ausführlich beschreibt, die zudem „ganz normal“ waren, dann fragt man sich, wie er zu dem Schluss kommt, dass die historischen Menschen mehrheitlich keine "gewalttätigen Psychopathen" waren?
Nun, damit muss man sich wohl abfinden… Pinkers Buch ist trotzdem wertvoll, da es durch seine vielen Datensammlungen und Fakten besticht, die die Geschichte der Gewalt beleuchten und in einem neuen Licht erscheinen lassen.

Dienstag, 31. Januar 2012

Osama Bin Laden schlug seine eigenen Kinder

Omar Bin Laden, der Sohn von Osama Bin Laden, berichtete in einem Interview Ende 2009 über seine Kindheit. “There were lots of kids, so it could be noisy. But when my father was around, we were quiet and obedient. My childhood was mainly sad and lonely because of my father's passion for supporting the Afghan people against the Russians. I rarely had time with him and he was afraid for our safety, so we had to play indoors. “ und “(…) my father was stern and did not hesitate to use his cane“ (übersetzt: mein Vater war streng und zögerte nicht, seinen Rohrstock zu benutzen) Im gleichen Satz fügte der Sohn allerdings auch noch gleich seine Idealisierung des Vaters an, was klassisch ist. Auch ein ZDF-Bericht enthüllt die familiäre Gewalt: "Er war kein Mann, der Gefühle zeigte", erinnert sich Omar. "Nichts weckte väterliche Wärme in ihm. Mein provokantes Verhalten führte dazu, dass der Rohrstock zu seinem Markenzeichen wurde. Er begann, mich und meine Brüder beim geringsten Vergehen mit dem Stock zu züchtigen."
"Der Terrorfürst behandelte seine Söhne nicht anders als seine Kämpfer, setzte sie Gefahren und Härten aus und schlug sie bei kleinsten Vergehen derart brutal, dass manchmal der Rohrstock zerbrach." schrieb das Hamburger Abendblatt über Osama Bin Ladens Umgang mit seinen Kindern. Der endgültige Bruch zwischen Omar Bin Laden und seinem Vater kam, so das Abendblatt, als Bin Laden senior seine Söhne dazu aufforderte, sich für Selbstmordmissionen zu melden. Er ermutigte sie, sich für al-Qaida in die Luft zu sprengen...

Dass Osama Bin Laden Gewalt gegen seine Kinder anwandte, sie vernachlässigte und sie in seiner Gegenwart „leise und unterwürfig“ sein sollten, verrät viel über das, was Osama Bin Laden als Kind selbst erlebt haben dürfte. Ich finde es immer wieder bezeichnend, dass sich bzgl. solcher Massenmörder stets alles andere als ein liebevoller Umgang mit den eigenen Kindern und auch keine eigene liebevolle Kindheit nachweisen lässt. Denn: Geliebte Kinder werden nicht zu Massenmördern.

Freitag, 27. Januar 2012

Wortgewalt in den deutschen Medien

Dass in der Sprache aber auch in medialen Bildern kindliche Gewalterfahrungen auftauchen, ist nicht nur logisch, sondern auch Bestandteil psychohistorischer Forschung. Bereits der Heraklit Spruch „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ oder Saddam Husseins berühmter Satz von der „Mutter aller Schlachten“ sagt viel über die Hintergründe. Noch Mitte der 60er Jahre galten Schläge bei 80 bis 85 Prozent aller deutschen Eltern als notwendiges Erziehungsmittel. Jedes dritte Kind wurde sogar mit einem Stock verprügelt. (DER SPIEGEL, 22.04.1964) Aktuellere Zahlen zeigen ein etwas besseres Bild, aber trotzdem ist Gewalt gegen Kinder immer noch Alltag in Deutschland. In den deutschen Medien ist die Sprache entsprechend voll mit Andeutungen oder direkten Wörtern, die sich auf kindliche Gewalterfahrungen beziehen und gleichsam unreflektiert für alle möglichen politischen Ereignisse genutzt werden. Die Sendung „Menschen bei Maischberger“ vom 02.11.2010 lief beispielsweise unter dem Titel „Aufschwung XXL: Warum verprügeln wir Schwarz-Gelb?".
"Mutti Merkel" und ihr Prügelknabe„ titelte der Stern am 23.06.2008 und im Textverlauf heißt es, dass „die CDU-Familie immer häufiger“ diesen Spitznamen verwendet. Wer statt der Autorität „Mutti Merkel“ stellvertretend verprügelt wird erfährt man auch: „Allzu gerne prügeln unzufriedene CDU-Politiker auf CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla ein, wenn sie sich offene Kritik an Angela Merkel nicht trauen.

Viele Medien nutzen gleich die Titel, um ihre „Prügelsprache“ unterzubringen. Einige Beispiele:

"Prügel für CDU-Reformkonzepte" („Rheinische Post-Online“, 03.12.2003)

„Politische Prügel für die CDU“ (titelte die RP-Online erneut am 13.03.2008)

„Prügel für die SPD“ (mal wieder RP-Online, 06.01.2011)

„Prügel von den Partnern für CDU und SPD“ (titelte Welt-Online, 04.05.2008)

„Verbale Prügel für die Grünen“ (Welt-Online, 25.11.2010)

„CDU im Umfragetief, Merkel abgewatscht“ (bz-berlin.de, 08.07.2011)

„CDU wird herb abgewatscht“ (Südwest Presse, 28.03.2011)

„Fraktionswahl. Steinbach von eigenen Leuten abgewatscht“ (Zeit-Online, 28.09.2010)

„SPD-Parteitag. Wird Scharping abgewatscht?“ (faz.net, 19.11.2001)

"Ohrfeige für CDU und FDP. Sellering hat die Wahl" (n-tv, 04.11.2011)

"Wulff-Affäre. Gabriels Ohrfeige und ihr Nebeneffekt" (Stuttgarter Zeitung, 10.01.2012)

"Südwest-SPD. Basis-Ohrfeige für Spitzenkandidat Schmid" (SPIEGEL-Online, 16.10.2010)

„Hat Merkel die Prügel verdient?“ (Bild.de, 22.05.2010)

„Rösler bricht das Tabu – und bezieht Prügel“ (Focus, 13.09.2011)

„Lafontaine bezieht weiter Prügel“ (Focus, 14.08.2004)

„Eine schallende Ohrfeige für Friedrich“ (Frankfurter Allgemeine, 07.12.2011)

„Prügel für den Buchhalter" (Anmerk. gemeint war die Finanzpolitik von Hans Eichel) (Focus, 08.09.2003)

„Westerwelle steckt von allen Seiten Prügel ein“ (Focus, 29.08.2011)

„Über diese Prügel darf sich die SPD nicht wundern“ (Grafschafter Nachrichten, 30.09.2009)

„Kritik an Bundesregierung. Koalition bezieht Prügel aus eigenen Reihen.“ (Handelsblatt, 02.01.2010)

„SPD bezieht Prügel für Hartz-IV-Vorschläge“ (Handelsblatt, 16.03.2010)

„Bartsch: Weniger Prügel für die SPD“ (Sueddeutsche.de, 03.03.2008)

„Vor NRW-Wahl. Union und SPD prügeln sich wegen Hilfe für Athen“ (Financial Times Deutschland, 28.04.2010)

„Verbale Prügel für Ratsherr Pepmeyer“ (Flensburger Tagesblatt, 24.11.2011)

"Hardliner Koch. Jetzt gibt's was hinter die Löffel Selbst aus der CDU hagelt es Kritik. Und Joschka Fischer prügelt mit." (Berliner Kurier, 15.01.2008)

Aber auch manche Politiker selbst nutzen die „Prügelsprache“:
Ich bin am Anfang fürchterlich verdroschen worden - sprachlich (…)“ (Gerhard Schröder über seine Anfänge in der Politik. Vgl. sueddeustche.de, 13.05.2005)
Guido Westerwelle im Interview für die Stuttgarter Zeitung: „Beiden ist von Karlsruhe der Hintern versohlt worden.“ Er bezog sich damit auf Merkel und Steinbrück und auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes.
Klaus Ernst (DIE LINKE) am 15.12.2011 im Bundestag: "Vor Weihnachten gibt es den Nikolaus, und der Nikolaus hat eine Rute. Ich sage Ihnen: Wenn Sie dem Nikolaus begegnet wären, hätte er Ihnen wegen Ihrer Rentenpolitik so lange den Hintern versohlt, dass Sie bis Weihnachten nicht mehr sitzen könnten. (Beifall bei der LINKEN)"

Auch in Sportberichten, Wirtschaftsnachrichten usw. findet sich ein ähnlicher Sprachstil, wenn man denn danach sucht. Kurzum: Auch wenn diese "wortgewaltigen" Beispiele sicher nicht den Alltag in den Medien bestimmen, sie tauchen immer mal wieder auf. Spannend wäre es, einmal die Mediensprache historisch auszuwerten. Wie oft und in welcher Form tauchten in den 50er und 60er Jahren in den deutschen Medien symbolisch, direkt oder in Bildern kindliche Gewalterfahrungen auf, wie sah das ganze gar in den 20er und 30er Jahren aus? Ein solches Projekt wäre glatt eine Doktorarbeit wert, die vielleicht einmal jemand verfasst.

Donnerstag, 26. Januar 2012

Von der Kindheit des "Terminators" und berühmter Boxer

Irgendwo muss erfahrene Gewalt in der Kindheit hin, sie verpufft nicht einfach, wenn sie nicht therapeutisch aufgearbeitet wird. Und sie verpufft erst recht nicht, wenn die Gewalt häufig erlebt wurde und heftig in ihrer Form war. Menschen sind sehr komplex und entsprechend vielseitig sind die Ausdrucksformen von erlittener Gewalt. Ein Gewalttäter zu werden, ist eine Sache. Andere werden z.B. Bodybuilder und „Terminatoren" auf der Leinwand oder Boxer, wo legal Gewalt ausgeübt werden kann. Letztlich eine kreative Möglichkeit, so man will, auch wenn sie mir nicht wirklich konstruktiv vorkommt.

Zufällig bin ich auf Berichte über die Kindheit von Arnold Schwarzenegger und den Klitschkobrüdern gestoßen. Ich befasse mich eher beiläufig mit Kindheiten von Prominenten, obwohl man da sicherlich viel zu schreiben könnte. Ich finde es immer wieder erhellend, dass Charaktere, die bereits durch ihr Verhalten sehr viel über ihre Kindheit erzählen, auch nachweisbar Gewalt erfahren haben.

Wladimir Klitschko über seine Kindheit: „Als ich mal was ganz Schlimmes getan hatte, wusste ich, dass mir der Po versohlt wird. Also dachte ich: Wenn der Vater abends kommt, wird es hart. Aber ich dachte auch: Wenn die Mutter das schon geklärt hat, wird Vater gnädig sein. Dann habe ich den Gürtel aus einer Hose meines Vaters genommen und bin damit zur Mutter gegangen. Ich sagte ihr, dass ich etwas Schlimmes gemacht habe, und dass es nicht richtig war. Ich gab ihr den Gürtel in die Hand, guckte in ihre Augen und sagte: So, und jetzt schlag zu. Und dann habe ich ihr noch mit Tränen in den Augen gesagt: Komm, schlag! Mach es! Und dann ist unsere Mutter eingeknickt.“ (Tagesspiegel Online, 15.06.2011)

Arniold Schwarzenegger: „Ich wurde an den Haaren gezogen. Ich wurde mit einem Gürtel verprügelt. (…)Damals wurde der Willen von vielen Kindern gebrochen. Das war die österreichisch-deutsche Mentalität.“ Immer, wenn er geschlagen worden sei, so im Artikel weiter, habe er sich gesagt: „Hier bleibe ich nicht mehr lange. Ich will will hier weg. Ich will reich sein. Ich will jemand werden.“ (schwaebische.de, 05.08.2004)

Mittwoch, 25. Januar 2012

Steven Pinker: "Eine neue Geschichte der Menschheit" und die alte Blindheit

Der Evolutionspsychologe Steven Pinker hat kürzlich umfassend in seinem Buch „Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit“ (erschienen 2011) dargelegt, dass diverse Formen von Gewalt (inkl. Krieg) und die Opferraten pro 100.000 Einwohner seit Menschengedenken stetig abnahmen und wir uns derzeit in der friedlichsten Epoche der Menschheit befinden. Dieses Buch spricht mir in dieser Hinsicht voll aus dem Herzen, denn auch ich fühle mich mit dem Blick auf die Geschichte sehr gut und sicher in der Zeit, in der ich lebe. Wir befinden uns in der Tat in einem evolutionären Prozess, der alle Bereiche der Gesellschaft immer menschlicher und gewaltloser werden lässt und der sich zudem immer mehr zu beschleunigen scheint. Diese belegte Beobachtung straft viele gängige Thesen Lügen, die z.B. in einem kapitalistischen System den Ursprung von ständiger Kriegsbereitschaft und einem vermeintlichen Anstieg der Gewalt sehen oder die darlegen, dass das einfache Leben der Urvölker und Stämme ein friedvolles Ideal war und wir Opfer unserer modernen Zivilisation und Technik wären.

Bzgl. der Erklärung von Gewalt und Gewaltrückgang teile ich die Sicht des Autors allerding weniger. Pinker beschreibt fünf „innere Dämonen“ (wie er es nennt) des Menschen: Räuberische oder ausbeuterische Gewalt (als Mittel zum Zweck), Herrschaftsstreben, Rache, Sadismus und Ideologie. Dagegen stellt er vier „bessere Engel“, die die Gewalt zurückdrängen: Empathie, Selbstbeherrschung, Moralgefühl und Vernunft. Mit seiner Wortwahl von „Dämonen“, die durch „Engel“ bekämpft werden müssten macht der Autor ein ganz schönes bildliches Fass auf. Pinker stellte zudem dem Kapitel „Der Prozess der Zivilisation“ ein Zitat von Sigmund Freud voran: „Es ist unmöglich zu übersehen, in welchem Ausmaß die Kultur auf Triebverzicht aufgebaut ist“ (S. 106) Auch wenn Pinker gleich zu Anfang sagt, dass ein innerer natürlicher Tötungsdrang oder Blutdurst, der sich von Zeit zu Zeit entladen müsse, aus wissenschaftlicher Sicht nicht belegbar ist (S. 17), geht er wohl doch von einer gewissen natürlichen Disposition zur Gewalt aus, die durch äußere Rahmen aber eben auch durch die vier „Engel“ eingedämmt werden kann. Seinem Kapitel über die „inneren Dämonen“ setzt er während der Einleitung voran: „Ich möchte (…) „Sie zunächst davon überzeugen, dass die meisten von uns – auch Sie, verehrter Leser – zur Gewaltausübung verdrahtet sind, auch wenn wir aller Wahrscheinlichkeit nach nie die Gelegenheit haben werden, diese Verdrahtung zu nutzen.“ (S. 714) und er schiebt gleich nach: „Ein typisches Kleinkind tritt, beißt, schlägt und rauft zumindest manchmal, und im weiteren Verlauf der Kindheit geht die Häufigkeit der körperlichen Aggression dann nach und nach zurück. Tremblay merkt dazu an: „Babys bringen sich gegenseitig nicht um, weil wir ihnen keine Messer und Pistolen geben. Die Frage … die wir seit 30 Jahren zu beantworten versuchen, lautet: Wie lernen Kinder, aggressiv zu sein? (Aber) das ist die falsche Frage. Die richtige lautet: Wie lernen sie, nicht aggressiv zu sein?“ “ (S. 714)

Ich glaube, jeder, der schon mal mit Kleinkindern zu tun hatte, weiß darum, dass diese aggressiv auftreten können bzw. auch gezielt Grenzen überschreiten, um sich auszuprobieren. In der Tat lernen sie soziales Verhalten, wenn ihnen dann Grenzen aufgezeigt werden. Das ist ein ganz natürlicher Prozess. Es gibt aber einen Unterschied zwischen Aggression und Gewalt, ja gar gezielter Grausamkeit. (Sehr gut hat diesen Unterschied z.B. Joachim Bauer in seinem Buch „Schmerzgrenze. Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt“ herausgearbeitet.) Ich selbst würde einem Kleinkind auch kein Messer in die Hand drücken, weil dieses einfach nicht die Gefahr für sich und andere abschätzen kann. Es ist aber fatal, wenn man einem Kleinkind eine mörderische Aggression unterstellt, so wie sich das in den zitierten Zeilen andeutet. Kleinkinder neigen nicht natürlicherweise zu einer Freude am Leid anderer. Ich habe ganz im Gegenteil oft beobachtet, wie Kleinkinder andere trösten, wenn diese durch ihr verschulden oder das anderer zu Schaden kamen.

Aggression gehört in der Tat zur „menschlichen Verdrahtung“ und ist lebenswichtig, u.a. auch in Situationen, in denen Menschen direkt (existenziell) bedroht werden oder einfach auch, um anderen deutlich zu machen: „Du überschreitest gerade meine Grenze!“ Gewalt, Folter, Mord, Sadismus, Vergewaltigung, Genozid, Krieg, Kindesmisshandlung usw. all die Themen, die Pinker in seinem Buch abhandelt, sind aber etwas Eigenes und stehen auf einer ganz anderen Ebene, als „natürliches Aggressionspotential“. Natürlich bedarf es für Gewalt und Grausamkeit der „Hardware“, den Möglichkeiten, diese überhaupt auszuüben. Aber diese Hardware scheint mir ursächlich weit weniger relevant für Gewalt. Pinker schreibt dagegen: „Das meiste, was Menschen anderen Menschen antun, entspringt Motiven, die jeder normale Mensch in sich trägt. Daraus folgt, dass der Rückgang der Gewalt von Menschen ausgeht, die diese Motive seltener, in geringerem Umfang oder unter weniger Voraussetzungen in die Tat umsetzen. Die besseren Engel, die diese Dämonen unterwerfen, sind Thema des nächsten Kapitels. Aber schon wenn wir diese Dämonen identifizieren, vollziehen wir wahrscheinlich den ersten Schritt, um sie unter Kontrolle zu bringen.“ (S. 844f) Das erinnert wieder etwas an Freud und den eingangs zitierten Satz, nachdem Kultur die Triebe zähmt…

Obwohl sich Pinker mit allen möglichen Fragen und Ursachenmodellen für Gewaltverhalten aber auch Gewaltrückgang befasst, schreibt er letztlich resümierend: „(…) ich bin der Ansicht, dass die vielen Datenbestände, denen zufolge die Gewalt in Wellenlinien nach unten geht, ein bedenkenswertes Rätsel darstellen.“ (ebd.: 1030)
Mit einer wesentlichen Ursache von Gewalt hat er sich aber nicht befasst und man darf dreimal raten, welche das war: Kindliche Gewalterfahrungen. Warum er diesen Erfahrungen wenig Platz einräumt, wird an einer Stelle des Buches deutlich: (…) „Serienmörder kommen nicht durch eine erkennbare Veränderung, eine Schädigung des Gehirns oder Kindheitserlebnisse zu ihrer Nebenbeschäftigung. (Sie sind zwar in ihrer Kindheit häufig Opfer von sexuellem Missbrauch und körperlicher Misshandlung geworden, aber das gilt auch für Millionen andere Menschen, die nicht zu Serienmördern heranwachsen)“ (S. 813) Dieser Einwand ist klassisch und negiert komplett den möglichen Einfluss von kindlichen Gewalterfahrungen. Also braucht man dann auch nicht weiter darüber zu reden… Klassisch ist auch, dass sich Forschende nicht fragen, ob eine geliebtes, nicht-misshandeltes Kind später je zum Serienmörder und ähnlichem wurde.

Pinker selbst beschreibt auf etlichen Seiten den historischen Rückgang von Kindesmord, Prügelstrafen, Misshandlungen und Schikanen gegenüber Kindern, allerdings ohne daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. (614ff) Und das, obwohl er fünf Bücher bzw. Texte von Lloyd deMause verwendet hat, er nach eigenen Angaben auch deMause persönlich kontaktiert hat, um sich Anregungen für sein Buch zu holen, Pinker einmal ein Zitat (ebd.: 816) anbringt, dass in der Quelle gleich vor dem Kapitel „Die historische Evolution der Kindererziehung und die Abnahme menschlicher Gewalt“ (vgl. deMause 2005: 162) steht und er deMause folgend folterähnliche Erziehungspraktiken bei japanischen Kindern beschreibt und dann in Klammern (!) anmerkt: „(DeMause, der nicht nur Psychohistoriker, sondern auch Psychoanalytiker ist, verfügt also über viel Material, mit dem er die Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges erklären konnte.)“ (Pinker 2011, S. 636) Pinker klammert diese Erkenntnisse von deMause ein und dadurch wiederum aus. Für den Forschungsbereich Psychohistorie ist dagegen die sich historisch stetig verbessernde Kindererziehungspraxis der wesentliche Motor der Evolution von Psyche und Gesellschaft, von Fortschritt und Gewaltrückgang. (vgl. deMause 2005: 162ff; 179ff; 278ff) Es ist fast ausgeschlossen, dass Pinker nichts darüber erfahren hat. Nun ist es jedem Forschenden freigestellt, Dinge anders zu sehen und zu interpretieren. Pinker hat die psychohistorischen Thesen aber mit keinem Wort besprochen und kritisiert, so wie er dies mit anderen Ansätzen getan hat. Er hat sie einfach unter den Tisch fallen lassen.

Insofern fasse ich zusammen: Das Buch ist sehr bedeutend bzgl. der umfassenden und anschaulichen Datensammlung zum allgemeinen Rückgang menschlicher Gewalt und sollte in der Tat dazu anregen, die Zukunft optimistisch zu sehen. Das Buch beantwortet trotz seiner 1033 Seiten aber keine wesentlichen Fragen bzgl. der Ursachen von Gewalt und Gewaltrückgang. Letzteres ist für Pinker ein Rätsel und es wird ein Rätsel bleiben, wenn man sich blind macht gegenüber den gesellschaftlichen Auswirkungen, die eine sich stetig verbessernde Kindererziehungspraxis mit sich bringt. Pinker schreibt abschließend: „Der Rückgang der Gewalt dürfte die bedeutsamste und am wenigsten gewürdigte Entwicklung in der Geschichte unserer Spezies sein.“ (S. 1027) Ich würde es so formulieren: „Der stetige (allerdings ungleichzeitige) Rückgang der Gewalt gegen Kinder und der nachfolgende Rückgang anderer Formen von Gewalt und Destruktivität und auch die nachfolgende Evolution von Psyche und Gesellschaft dürften die bedeutsamsten und am wenigsten gewürdigten Entwicklungen in der Geschichte unserer Spezies sein.“

siehe ergänzend auch: Kurzer Email-Austausch mit Steven Pinker

Montag, 23. Januar 2012

Über mich und diesen Blog + Datenschutzerklärung


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(Meine Datenschutzerklärung siehe am Ende des Textes!)

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Überblick über meine bisherigen Veröffentlichungen außerhalb des Blogs und über (Fach-)Rezensionen meines Buches

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Über mich und diesen Blog:

Bereits seit Ende 2008 existiert dieser Blog. Intensiv befasse ich mich allerdings bereits seit ca. 2002 mit dem Thema Kindesmisshandlung-/missbrauch und den entsprechenden Folgen. Während meiner Studienzeit habe ich sogar am Fachbereich Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg ein studentisches Seminar ins Lebens gerufen (also ein Seminar, das - unter Schirrmherrschaft einer Dozentin - nur von Studenten geleitet wird), in dem wir einige Semester zukünftige Pädagogen und Pädagoginnen schwerpunktmäßig über das Thema Sexueller Missbrauch und teils auch Kindesmisshandlung aufgeklärt haben. Damals war dieses Thema kein Bestandteil der pädagogischen Ausbildung, was ich als Lücke empfand.

Ursprünglich war der Blog von mir dazu gedacht, meinen „Grundlagentext“ (der mittlerweile übrigens stark veraltet und auch formal nicht perfekt ist), den ich 2003 in einem politischen Seminar über die Kriegsursachen an der UNI Hamburg als Hausarbeit geschrieben und dann Stück für Stück in meiner Freizeit weiterentwickelt habe, öffentlich zugänglich zu erhalten. Das Ganze wurde allerdings im Laufe der Zeit mehr, als ein Ausläufer meines „Grundlagentextes“.

Bereits meine mündliche Abiturprüfung 1996 habe ich selbstgewählt über Hitler und Stalin gehalten, ohne allerdings damals den Einfluss von Kindheit auf politisches Verhalten erkannt zu haben. Der bedeutsame Einfluss von Kindheit auf die Politik und Gewaltverhalten ist mir erst später aus einem Mix von Begegnungen (sowohl privat als auch u.a. während meiner Zivildienstzeit in einer Hamburger Drogentherapieeinrichtung) mit Menschen, die schwere Gewalterfahrungen erlitten haben und der Lektüre von Alice Miller und Arno Gruen klar geworden. Zudem war ich damals (ca. 2002) zutiefst schockiert, als mir erstmals das Ausmaß der Gewalt gegen Kinder in Deutschland an Hand von Studien bewusst wurde. Mit der Zeit habe ich verstanden, verstehen müssen, dass das, was wir aktuell an Gewalt gegen Kinder in Deutschland feststellen, ein Teil eines langen "psycho-evolutionären" Prozesses ist und das Kindheit noch nie so gewaltfrei in Deutschland war, wie heute. Dem ersten Schock folgte also ein quasi ein "historischer" Schock, indem ich mich mit der Kindheit in früheren Zeiten befasste. Von beidem habe ich mich mittlerweile ganz gut erholt und blicke heute mit mehr Ruhe auf die Dinge.

Merkwürdigerweise bin ich sehr spät (ca. Ende 2007) auf den Forschungsbereich Psychohistorie gestoßen, obwohl ich Miller und Gruen bereits kannte und auch über die historische Entwicklung der Kindheit in dem Buch „Hört ihr die Kinder weinen: Eine psychogenetische Geschichte der Kindheit“ von dem Psychohistoriker Lloyd deMause gelesen hatte. Ich dachte, gut, mehr zum Thema gibt es wohl kaum zu entdecken. Dann bekam ich das Buch „Das emotionale Leben der Nationen“ in die Hände und konnte meinen Augen kaum trauen, dass deMause eine komplette Theorie über die (emotionalen) Motivationen in der Geschichte verfasst hatte. Es gibt wirklich noch sehr viel mehr bzgl. des Themas zu entdecken, als ich ursprünglich dachte. DeMause hat vieles bei mir angestoßen. U.a. besonders wichtig finde ich seine Auffassung darüber, dass Kriege vor allem auch selbstmörderisch und selbstdestruktiv sind und sie unterbewusst der Reduzierung von Wohlstand und Wachstum dienen. Die komplexen (selbst-)destruktiven Folgen von Kriegen sind demnach das eigentliche Ziel. Mit dieser Sicht ergibt sich ein ganz anderes Bild und ein ganz anderer Zugang zu Krieg und Terror.

Ich habe zwischen 2001 und 2004 über drei Jahre Soziologie (und auch etwas Politik und Psychologie) studiert und wollte eigentlich Gewaltforscher werden. Während des Studiums merkte ich für mich allerdings immer mehr, dass mich komplexe Gesellschaftstheorien zwar gedanklich anregten, aber mir keine grundlegenden Antworten bzgl. der Ursachen von Gewalt und destruktivem Verhalten gaben. Im Hauptstudium ergriff ich dann im Jahr 2004 eine einmalige Gelegenheit, mich beruflich selbstständig zu machen, was eine gute Entscheidung war. Insofern habe ich beruflich nichts mit dem Thema des Blogs zu tun und das ist auch gut so für mich. Ich bin selbstständiger Kaufmann (gelernter Industriekaufmann) bzw. Unternehmer. Diese kaufmännische Basis fließt auch in meine Arbeit hier ein, da ich einen Hang zu Zahlen habe. Wenn man in der Wirtschaft Entscheidungen treffen muss, schaut man sich zunächst die Daten und die Zahlen an. Ähnlich gehe ich stets auch beim Thema Gewalt gegen Kinder vor, indem ich Länder oder gesellschaftliche/politische Entwicklungen entsprechend entlang der Zahlen über das Ausmaß von Kindesmisshandlung analysiere.

Ich betreibe diesen Blog also eher aus Berufung.  Meine  Herangehensweise an das Thema entspricht weitgehend auch dem, was unter "Psychohistorie" (englisch: Psychohistory) bekannt ist. Ich selbst bin Mitglied der Gesellschaft für Psychohistorie und Politische Psychologie (GPPP) und habe auch schon Beiträge für die Jahrbücher für psychohistorische Forschung verfasst.

Ich habe lange überlegt, ob ich an dieser Stelle etwas über meinen Großvater berichten soll. Mein Großvater väterlicherseits war ein überzeugter Nazi und bei der SS.. Später kam er in russische Kriegsgefangenschaft. Sein Sohn, mein Vater, lag lebenslang im Streit mit ihm. Ich habe dies hier erst nachträglich eingefügt. Mein Zögern kommt daher, weil ich diese Familiengeschichte nicht - bzgl. meiner Arbeit hier - überbewerten möchte. Die o.g. Erfahrungen haben mich weit mehr geprägt, was meine Entwicklung hin zu diesem Blog angeht. Trotzdem steht natürlich auch fest, dass dieser NS-Großvater schon in meiner Jugend große Fragezeichen nach dem Warum? der NS-Zeit ausgelöst hat. Diese Geschichte gehört zu mir und meiner Familie und auch zu der Geschichte dieses Blogs. Insofern will ich sie - etwas verspätet - auch hier erwähnen. Zu diesem Thema gehört auch mein Beitrag "Die Kinder der NS-Täter und die Kindheit der NS-Täter".

Über meine eigene Kindheit kann ich sagen, dass ich keinerlei körperliche und sexuelle Gewalt erlebt habe. Ich erinnere mich allerdings daran, dass meine Mutter mir bestimmt 10 mal erzählt hat, sie hätte mir als ich ca. zwei Jahre alt war und weggelaufen sei, unter Schock als sie mich wiedergefunden hatte einen leichten Klaps auf den Windelpo gegeben. Sie schaute mich dann immer etwas fragend an, nach dem Motto: „Hoffentlich hat dir das nicht geschadet?“ Bei uns zu Hause gab es auch keine Strafen für irgendetwas, was ich mal falsch gemacht hatte. Ich bekam zudem sehr viele Freiheiten, durfte in der ganzen Wohnung spielen, mein Zimmer so nutzen (inkl. bemalen der Wände), wie ich es wollte, Freunde jederzeit mitbringen, draußen stundenlang unterwegs sein usw. Da meine Eltern selbstständig waren, waren sie für mich zu Hause auch immer erreichbar. Allerdings gab es auch deutliche Schatten, vor allem sehr heftige emotionale Spannungen und Streitigkeiten zwischen meinen Eltern und emotionale Probleme in der Familie. Dies hat mich nachhaltig geprägt und es hat mir auf jeden Fall geschadet. Ich weiß genau, warum ich in diesem Thema so viel gegraben habe. Was anfänglich sicher aus einer gewissen eigenen Betroffenheit heraus begann, ist mittlerweile zu einem Ziel geworden, das über persönlichen Erkenntnisgewinn hinausgeht: Gewalt gegen Kinder zu verhindern, ist für mich mehr, als ein reiner Akt der Menschlichkeit gegenüber konkreten Personen, es ist auch ein Akt der Sicherung einer friedlichen Zukunft für die nächsten Generationen, für meine Kinder und die später Ihrigen. Ich finde es zudem unerträglich, dass weite Teile der Öffentlichkeit immer mit einem hilflosen „Warum?“ vor grausamen aktuellen oder vergangenen Taten stehen, obwohl wir heute über enorm viel Wissen über die tieferen Ursachen der Gewalt verfügen.

Die Ziele dieses Blogs sind insofern ganz eindeutig:

1. Aufklärung über die weite Verbreitung der Gewalt gegen Kinder

2. Aufklärung über die Auswirkungen destruktiver Kindheiten auf späteres Verhalten (vor allem auch auf politisches Verhalten). Dabei auch Schaffung von einem Bewusstsein dafür, wie sich öffentlich in Bildern und Sprache (vor allem auch in den Medien) gewaltvolle Kindheiten wiederaufführen.

3. Motivation zu mehr Forschung und auch Berichterstattung in den Medien zu dem Thema

4. Motivation zu viel mehr gezieltem Kinderschutz, vor allem auch in den Krisenregionen dieser Welt. Würden z.B. westliche Rüstungsausgaben in den weltweiten Kinderschutz investiert, hätten wir innerhalb von 20-30 Jahren kriegerische Konflikte und andere Gewaltakte stark eingedämmt.


Positionierung

Ich bin trotz aller deutlichen Worte immer dafür, Menschen nach ihrem Verhalten zu beurteilen. Ich habe schon diverse absurde Vorschläge gelesen, z.B. von einem psychologischem Zwangstest für Politiker (wo man sich dann außerdem auch fragen muss, wie viel Macht einzelnen Gutachtern zukommt) oder auch die Forderung, Eltern von Gewalttätern quasi in Sippenhaft zu nehmen, da diese deren Verhalten verursacht hätten. Ich glaube dagegen vor allem an die Wirkung von Prävention in Form von Kinderschutz. Und ich glaube an die Eigenverantwortung der Menschen für ihre Taten. Ein als Kind gefolterter Mensch darf in seiner Fantasie alles Mögliche wünschen, Folter und Tod, Massenmord, was weiß ich alles. Es ist nur zu verständlich, wenn Menschen, die schwere Gewalt als Kind erlitten haben, Rache- und Hassfantasien entwickeln. Jeder Mensch kann aber in der heutigen Zeit um Hilfe bitten, wenn er seine Fantasien los werden will oder wenn diese gar drohen, in die Realität umgesetzt zu werden. Wer Verbrechen real begeht, gehört dafür juristisch zur Verantwortung gezogen, egal wie seine Kindheit aussah. (Dieses Thema habe ich auch in dem Beitrag "Fallbeispiel Beate Zschäpe: Opfer vom Opfer = kein Täter?" besprochen)

Entwicklung und Qualität des Blogs

Da der Blog bereits seit dem Jahr 2008 besteht, spiegeln die Beiträge auch etwas meine persönliche Entwicklung wider. Mir ist z.B. bewusst, dass frühere Texte von mir manchmal formal nicht perfekt sind (z.B. Zitierweise, manche Rechtschreibfehler usw.). Manche Verlinkungen sind auch nicht mehr aktuell. Ich habe nicht die Zeit, alles neu zu überarbeiten. Manchmal lese ich auch Beiträge von "früher" und denke mir: "Da musste wohl was raus!" Insofern stehe ich zu meinen Fehlern ;-). Manchmal denke ich aber auch, dass ich früher etwas mehr "emotionale Fahrt" hatte, was nicht immer schlecht sein muss. Manche frühere Texte von mir überraschen mich heute noch selbst. Je mehr die Zeit fortgeschritten ist, desto weniger Beiträge habe ich im Schnitt produziert. Dafür sind neuere Beiträge überlegter und ausgewählter. Und sie folgen eher eine Systematik, einem Gesamtbild, das sich im Inhaltsverzeichnis widerspiegelt.

Distanzierung / Missbrauch meiner Texte für (destruktive) politische Zwecke

Ich bin gegen einen Missbrauch der von mir gesammelten Daten und Zahlen. Leider wurden in der Vergangenheit Texte von mir in rechten Kreisen besprochen und für ein Trommeln gegen Geflüchtete genutzt. Ich distanziere mich deutlich von diesen Seiten und habe dazu einen eigenen Beitrag verfasst: Gegen rechte Besucher, AfD & Co., aber für reife Persönlichkeiten!


Datenschutzerklärung:


Dies ist ein werbefreier, privater Blog, der zum Ziel hat, Menschen über relevante Informationen rund um das Thema Kindesmisshandlung und deren Folgen zu informieren.

Kontakt mit mir / Onlinekommentare

Wer mir eine Email schreibt, muss damit rechnen, dass ich ihm/ihr antworte :-). Während des Kontaktes/Austausches wird die entsprechende Emailadresse + der angegebene Name
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Samstag, 21. Januar 2012

Alexander der Große und schwärmerische Historiker

Heute Morgen sah ich für ca. 15 Minuten in den Dokumentarfilm „Alexander der Große. Kriegsheld und Lebemann“ von Helen Fitzwilliam auf Phoenix rein. Über die Kindheit dieses grausamen Kriegsherren hatte ich früher bereits versucht etwas herauszufinden, doch es ist nicht viel darüber überliefert worden. Die enorme Brutalität dieses Mannes, seine Launenhaftigkeit und Trunksucht sollten bereits Indizien dafür sein, dass dieser Feldherr emotional schwer gestört war. Aufschlussreich fand ich, dass Alexander seinen Getreuen General Kleitos mit einem Speer bei einem Festgelage eigenhändig umbrachte, nachdem dieser nach Alexanders Monologen über seine Erfolge sinngemäß sagte, dass dies nur aufgrund der Leistungen seines Vaters Philipp II. möglich war.

Wahrscheinlich werden wir wohl nie wirklich erfahren, wie die Kindheit Alexanders aussah. Was mir in der Doku besonders auffiel ist (und das ist der Grund für diesen Beitrag), dass manche interviewten Historiker geradezu schwärmrisch über Alexander sprachen. Alexander überkehrte z.B. einst den Hindukusch, um in Baktrien einzufallen. In der Doku beschrieb ein Historiker die unmöglichen und lebensgefährlichen Bedingungen, die dieses Vorhaben mit sich brachte. Dann glänzten die Augen des Historikers: Doch nur „Alexander der Große“ (betont nach oben ausgesprochen) konnte eine solche Leistung vollbringen, sagte er in etwa. (Historiker übersehen oftmals, dass viele Feldherren im Grunde sterben wollen, dass sie selbstmörderisch handeln. Friedrich der Große kämpfte oft direkt neben seinen Soldaten und es ist nur seinem Glück zu verdanken, dass er im Kampf nicht starb. Hitler legte sich mit den größten Ländern der Welt an und konnte nur scheitern. Für diese beiden sind sehr gewaltvolle Kindheitserfahrungen belegt, die eine Todessehnsucht mit sich bringen. Kriege sind letztlich auch selbstmörderisch.) Ein Militärhistoriker von der US-Akademie „West Point“ erwähnte in der Doku die enorme Grausamkeit Alexanders, doch militärisch habe er letztlich alles richtig gemacht, sagte er nüchtern.

Ich frage mich, ob solche Historiker überhaupt den emotionalen Störungen und Kindheiten der von ihnen untersuchten Feldherren nachgehen wollen und können? Wer mit solcher Bewunderung über diese „militärischen Leistungen“ spricht, wird kaum einen Blick dafür haben.

Mittwoch, 11. Januar 2012

Zwischenmeldung: Entwicklung des Blogs

Derzeit habe ich immer öfter tägliche Besucherzahlen von um die 200, was ca. 6.000 Besucher pro Monat bedeutet, sofern dieser Trend anhält. Diese Zahlen sind sicherlich auch der extrem guten Googel-Positionierung zu verdanken, die dieser Blog hat. Mittlerweile dürften die meisten Menschen, die entsprechende Suchbegriffe bzgl. Krieg, Kriegsursachen, Kindheit und/oder Gewalt gegen Kinder eingeben, auf diesen Blog aufmerksam werden. Bei vielen Suchbegriffen wird der Blog innerhalb der ersten 10 Googel Treffer angezeigt.

Mich freut diese Entwicklung natürlich, auch wenn sie etwas den Druck bzw. die Motivation erhöht, hier anspruchsvolle Texte abzuliefern. Ich selbst sehe meine Möglichkeiten dabei begrenzt, da ich das ganze hier „hobbymäßig“ betreibe. Im Grunde ist vieles, was ich schreibe, auch eher als Anregung gedacht, sich vertiefend mit dem Thema zu befassen und bzgl. Medienleuten und Wissenschaftlern als Ansporn gemeint, dazu mehr zu veröffentlichen und zu forschen. Auch wenn ich relativ selten Rückmeldungen bekomme, ich denke, dass ich einen kleinen Teil dazu beitragen kann, dass Gewaltverhalten besser verstanden wird. Wenn dem dann auch Prävention folgt, ist sehr viel erreicht. Für eine bessere Welt.

Donnerstag, 29. Dezember 2011

"Handbuch Kriegstheorien". Ein Kommentar

Ende 2011 erschien das wissenschaftliche Grundlagenbuch „Handbuch Kriegstheorien“ herausgegeben von Thomas Jäger und Rasmus Beckmann. „Dieses Handbuch bietet erstmals einen umfassenden und systematischen Zugang zu den Theorien des Krieges.“, heißt es u.a. in der Buchbeschreibung. Entsprechend werden im ersten Teil des Buches diverse Kriegstheorien vorgestellt. Im zweiten Teil erfährt man etwas über die „Klassiker der Kriegstheorien“ und im dritten Teil geht es um „Empirische Fallstudien zu Kriegstheorien“. (Das Inhaltsverzeichnis und Buchauszüge kann man bei googel books einsehen.)

Ich habe mir das Buch gleich gekauft, da es eine grundlegende Übersicht über die Forschungsbereiche und gängigen Denkansätze zum Thema Krieg bietet, was mir persönlich sehr hilfreich ist. Das vorweg als positive Kritik.

War ich nun erstaunt oder nicht, dass ich nicht einen einzigen Ansatz in dem Buch gefunden habe, der sich in dem Kontext von Krieg mit den Folgen von Kindesmisshandlung und – vernachlässigung bzw. mit psychohistorischen Thesen befasst? Ich war im Grunde nicht wirklich erstaunt oder vielleicht doch ein wenig. Denn ich hätte zumindest in den beiden kriegstheoretischen Texten „Psychologische Kriegstheorien: Psychoanalytische Konstruktionen zum Thema Krieg“ von Gerhard Vinnai und/oder in dem Text „Sozialpsychologie des Krieges: Der Krieg als Massenpsychose und die Rolle der militärisch-männlichen Kampfbereitschaft“ von Rolf Pohl und Marco Roock innerhalb der Texte ein oder zweit Absätze zu dem Thema erwartet. Aber Fehlanzeige, das Thema wird in diesem Grundlagenwerk komplett ausgeklammert.

Aber schauen wir uns die beiden o.g. Texte doch einmal genauer an. Glücklicherweise ist der gesamte Text von Gerhard Vinnai auch online zu lesen, was eine Besprechung noch mal erleichtert. Vinnai schreibt: „Die besondere kulturelle Bedeutung des Tötungstabus verweist auf die ungeheure Macht der Aggressivität, die es bannen soll und die im Krieg offen zum Ausdruck kommt.“ (S. 37) Danach geht er kurz auf Freud und den Aggressionstrieb ein, der sich im Krieg Bahn brechen würde. „Die Annahme einer allgemein vorhandenen aggressiven Triebausstattung, die sich im Krieg Geltung verschafft, hat einiges für sich.“, schreibt der Autor weiter, hängt aber noch an „Sie verführt aber leicht dazu, dass die vielfältigen Formen, die Aggressivität im Krieg annehmen kann, zu wenig beachtet werden.“ Danach leitet er dann dazu ein, die Aggressivität von Zivilisten und Soldaten zu unterscheiden, da letztere durch das soldatische Training eine spezifische Gestalt erhält. U.a. hat Joachim Bauer in seinem Buch "Schmerzgrenze" dargelegt, dass die Grundannahme, der Mensch verfüge über einen natürlichen „Aggressionstrieb“ (einer natürlichen „Lust an der Gewalt“), ein durch heutige Forschungen belegtes unhaltbares Konzept darstellt. Forschende, die bei der Erklärung von Gewalt auf einen „natürlichen Aggressionstrieb“ zurückgreifen, machen sich außerdem zwangsläufig blind gegenüber anderen Erklärungsmöglichkeiten.

Das Militär leistet durch Ausbildung und technische Entwicklungen, so Vinnai, einen Beitrag dazu, Aggressivität freizusetzen bzw. Aggressionshemmungen abzubauen. (vgl. S 37f) Der Autor geht hier erneut von einer latenten, natürlichen Aggression aus, die entweder durch äußere Einflüsse gedeckelt oder befördert wird. Für mich ist das ganz alte Schule vor allem auch geprägt durch (in meinen Augen veraltete) Ansätze der Psychoanalyse. In diesem Zusammenhang verknüpft er auch Männlichkeit mit Krieg, beschreibt, wie Männlichkeitsvorstellungen und –Konstruktionen die Kriegsbereitschaft fördern. Er schreibt u.a.: „Die militärische Ausbildung verbindet Männlichkeit mit Gewaltbereitschaft. Die starken sexuellen Regungen junger Männer können während der militärischen Ausbildung mit der Bereitschaft zu destruktiven Handlungen verknüpft werden. Junge Männer können mit Hilfe der soldatischen Ausbildung dazu gebracht werden, ihre sexuelle Potenz mit militärischer Kampfbereitschaft zu verschweißen.“ Wieder wird hier etwas natürliches (sexuelle Regungen) ursächlich mit Aggression und nachfolgend Gewalt verknüpft.
Geradezu als haarsträubend empfand ich folgende Textstelle: „Da kein Lebendiger bisher seinen Tod überlebt hat und ihn deshalb aus eigenem Erleben nicht kennt, bleibt der Tod immer eine Art schwarzes Loch, auf das vielerlei projiziert werden kann. (…) Das Unbewusste glaubt nicht an den Tod, was das Bewusstsein dazu drängt, ihn zu verleugnen. Die Unfähigkeit, den eigenen Tod wirklich zu akzeptieren, begünstigt die Zustimmung zu Kriegen und das Heldentum im Kriege. Es fördert eine Einstellung, die insgeheim darauf setzt, dass einem im Krieg - trotz aller Gefahren – nichts passieren kann, dass allenfalls andere ihm zum Opfer fallen.“ (S. 38)
Menschen ziehen also mit Freude in den Krieg, weil sie nicht bewusst wissen und fühlen, dass sie sterben werden? Dem kann ich nur vehement widersprechen. Jedes Kind und jeder Erwachsener weiß, dass im Krieg Menschen sterben. Der bereitwillige Gang in den Krieg ist somit vielmehr Ausdruck eines Opferrituals, ein Ausdruck immer auch von Selbstzerstörung und eines kollektiven Selbstmordens. Aus dem Unterbewussten - das sich zentral aus unerträglichen Erfahrungen und vor allem kindlichen, abgespaltenen Gewalterfahrungen speist – entstammt diese Destruktivität. Das Fühlen ist ausgeschaltet und der Tod wird billigend in Kauf genommen, da die eigene seelische Lage derart unerträglich ist, dass man gerne in den Tod geht und sich dort ein Paradies oder eine Heldenverehrung der noch Lebenden herbeisehnt.
Weitestgehend nachvollziehbar und positiv fand ich schließlich den letzten Teil der Ausführungen im Text, den Vinnai „Krieg ohne Ende“ nennt. Hier geht es um die Fortwirkungen von Kriegstraumatisierungen und die Notwendigkeit von Trauer, damit sich die destruktiven Folgen abmildern. Leider verharrt der Autor auch hier wieder in einseitigen Verknüpfungen, was folgender Satz deutlich macht: „Der Zweite Weltkrieg und der Holocaust sind nur vor dem Hintergrund des Ersten wirklich zu verstehen.“ (S. 43) Ja und vor welchem Hintergrund ist dann der erste Weltkrieg zu verstehen?
Insgesamt bringt der Text von Vinnai keine neuen Erkenntnisse. Er vertritt mit seinen Denkansätzen die „Psychologische Kriegstheorie“ in diesem Buch und ist dabei weit davon entfernt, auf die Auswirkungen der historisch routinemäßigen Misshandlung von Kindern einzugehen. Zudem vertritt er veraltete Ansätze zum Aggressionstrieb.

Sehr viel aufschlussreicher ist dagegen der sozialpsychologische Text von Pohl und Roock in dem Band. Sie machen nachvollziehbar klar, wie im Militär eine Sozialisation zum Töten stattfindet und eine paranoide Kampfhaltung generiert wird. Sie schreiben von durch militärischen Drill erzeugten Abspaltungen von Gefühlen wie Hass, Wut und Angst, die dann auf den Feind projiziert werden. Die Autoren gehen auf die Irrationalität des Krieges ein und analysieren diesen als Massenpsychose. Allerdings klammern auch sie kindliche Gewalterfahrungen komplett aus, obwohl die psychischen Prozesse genau die Selben sind, wie in der militärischen Ausbildung. Vielmehr deutet sich im Text an, dass die Autoren eine „psychotische Reaktionsbereitschaft“ auch als etwas quasi „natürliches“ begreifen. Sie schreiben: „Elemente psychotischer Reaktionsbereitschaften gehören zum Kernbestand auch halbwegs normaler Persönlichkeiten, ihrer Wahrnehmungsorganisation und ihres Affekthaushaltes. In Zeiten ausweglos erscheinender Konflikte und zugespitzter innerer und äußerer Krisen kann auf diese Spaltungs- und Projektionsmechanismen zurückgegriffen werden und die Menschen bedienen sich regressiv einer „primitiven“ Weltsicht, die anscheinend nur unzureichend überwunden worden ist.“ (s. 47) Meine These ist dagegen, dass Menschen unter bestimmten Bedingungen auf Spaltungs- und Projektionsmechanismen zurückgreifen, die ihnen als Kind in Anbetracht vor allem elterlicher Gewalt das Überleben sicherten.

Fazit

Dieses Handbuch bietet erstmals einen umfassenden und systematischen Zugang zu den Theorien des Krieges.“, steht wie schon gesagt in der Buchbeschreibung. Das „Handbuch Kriegstheorien“ wird mich sicher noch eine Zeit beschäftigen, da mich viele Texte gedanklich anregen. Allerdings trifft die o.g. Beschreibung nicht zu. Das Ausklammern von kindlichen Gewalterfahrungen bzw. psychohistorischen Thesen in einem solchen Grundlagenwerk aus dem Jahr 2011 ist bezeichnend. Fast alle Kriegsursachenforscher, aber auch die Öffentlichkeit an sich sind weiterhin nicht bereit, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Um so klarer wird mir, trotz manchmal einer gewissen Müdigkeit, dass mein Blog hier weiterhin wichtig ist, um Anstöße zu leisten. Die Psychohistorie kann nicht alles erklären. Die Welt ist komplex. Die Psychohistorie verdient es aber, genannt und besprochen zu werden. Meine Hoffnung ist, dass in einem Zeitraum von vielleicht 5-10 Jahren kriegstheoretische Handbücher aber auch Medienberichte über Krieg mit einer gewissen Selbstverständlichkeit auf diesen Forschungsbereich eingehen werden.
Nebenbei bemerkt habe ich die Herausgeber des Buches angeschrieben und gefragt, ob sie den Bereich Psychohistorie einfach nicht kennen oder ob sie ihn ablehnen. Für letzteren Fall habe ich um entsprechende Argumentation gebeten. Ersterer Fall wird zumindest nach meinem Anschreiben nicht mehr zutreffen.

Nachtrag: Siehe Ergebnis meines Anschreibens hier

Freitag, 16. Dezember 2011

Emotionale Gruppenprozesse: Feinde und Bedrohungen in Gestalt von Kraken und Meeresbestien









1. Bild: Vietnam Cartoon von Gib Crockett, veröffentlicht im Washington Star am 27.04.1965 während des Vietnam Krieges. Der Kopf des Kraken ist der von Ho Chi Minh.

2. Bild: Veröffentlicht in "Palestinian daily Al Hayat Al Jadida" auf Grund des Todes der Söhne von Saddam Hussein Uday and Qusay, die durch US-Truppen getötet wurden.

3. Bild: John Bull and his Friends - A Serio-Comic Map of Europe (1900)

4. Bild: Der chinesische Kommunismus als Krake. Veröffentlicht im November 1950 im  New Zealand Herald



Die Darstellung von gefährlichen Frauen ist im Zusammenhang von Krieg - so Lloyd deMause - derart häufig, „(…) dass ein Außerirdischer bei einem Besuch auf unserem Planeten fälschlicherweise daraus schließen könnte, das Weibliche wäre das kriegslüsterne Geschlecht. Von Athene bis Freyja, von Marianne bis Britannia sind furchterregende Frauen als Kriegsgöttinnen dargestellt worden, verschlingend, vergewaltigend und ihre Kinder zerfetzend.“ (deMause, 2005, S. 50) Lloyd deMause fand bei seinen Sammlungen von Cartoons und anderen Bildern über Kriegsfeinde heraus, dass ein Bild noch verbreiteter war, als dass von einer gefährlichen Frau/Mutter. „Es war das einer Meeresbestie, oftmals mit vielen Köpfen und Armen dargestellt, ein Drache, eine Hydra, eine große und giftige Schlange oder ein Oktopus, der der Nation drohte, ihr Blut zu vergiften.“ (ebd., S. 54; siehe auch in englisch online hier) Die tieferen Ursprünge für dieses Bild sieht deMause in dem, was er „fötales Drama“ nennt. Wenn die Mutter, raucht, Drogen nimmt, verletzt ist (eigene Anmerkung: Oder auch Gewalt durch den Partner erlebt) oder starke Ängste hat, entfernt die Plazenta die Giftstoffe nicht aus dem fötalen Blut, das folglich verunreinigt und ohne Sauerstoff ist. „Unter diesen stressvollen Bedingungen erlebt der hilflose Fötus eine erstickende Giftige Plazenta, das Urbild für alle späteren Hassbeziehungen, inklusive der mordenden Mutter, des kastrierenden Vaters und der gefährlichen Feinde.“ (ebd., S. 55) Die Darstellungen von Feinden als Meeresbestien und Kraken etc. sind für deMause Ausdruck des fötalen Kampfes gegen die giftige Plazenta.
So ungewohnt solche Überlegungen für viele sein mögen, es ist wahrscheinlich und wissenschaftlich immer mehr im Blickpunkt (deMause beschreibt ab Seite 56 auch Ergebnisse aus der Fötalpsychologie), dass sich entsprechende belastende Faktoren während der Schwangerschaft sowohl auf den Fötus als auch auf das spätere Kind und den Erwachsenen auswirken können. Dass diese frühen Erfahrungen eher im Symbolischen und Bildlichen ihren Ausdruck finden, ist ebenso naheliegend, da sie natürlich nicht konkret erinnert werden können.

Trotzdem teile ich die Auffassung von deMause nur bedingt. Zunächst einmal glaube ich, dass Kinder grundsätzlich in der Lage sind, entsprechende Belastungen im Mutterleib später auszugleichen und sich trotzdem gut entwickeln können. Werden sie liebevoll empfangen und versorgt, werden sie später kaum das Bedürfnis haben, andere Menschen zu opfern und Angstszenarien vor Vergiftungen durch Fremde und Feinde zu entwerfen. Mütter können nicht immer auch dem Fötus ein optimales Aufwachsen ermöglichen, auch wenn sie dies eigentlich wollen. Kriegs- und Gewalterfahrungen kommen von außen, ebenso Umweltgifte, Hunger, Schicksalsschläge oder Unfälle etc. Solche Mütter können dem geborenen Kind trotzdem Liebe und Geborgenheit schenken und seine Entwicklung fördern, wenn sie dem Kind gegenüber positiv eingestellt sind. Handlungen wie Rauchen, Alkohol- und Drogenkonsum während der Schwangerschaft, ggf. auch die Beziehung zu einem misshandelnden Ehemann sprechen dagegen bereits dafür, dass die Mutter entsprechend destruktiv strukturiert ist. Es ist insofern wahrscheinlicher, dass auch das geborene Kind in entsprechend destruktiven Verhältnissen aufwächst. Die späteren Angstbilder kommen dann eben nicht nur auf Grund des „fötalen Dramas“ zu Tage, sondern auch auf Grund realer Gewalt- und/oder Vernachlässigungserfahrungen.
Ein Beispiel: Die Mutter von Saddam Hussein versuchte diesen während der Schwangerschaft abzutreiben und lehnte ihr ungeborenes Kind ab. Der Fötus erlebte entsprechend das „fötale Drama“. Doch auch die Kindheit des geborenen Saddam war von extremer Destruktivität und Gewalt geprägt und das über Jahre (siehe ausführlich hier). Solche Menschen entwickeln ihren Hass auf Feinde und ihre Ängste auf Grund einer Vielzahl von gewaltvollen Erfahrungen, die sich dann auch symbolisch ausdrücken (Stichwort z.B. Saddams bildlicher Ausspruch „Mutter aller Schlachten“). Im Grunde weiß deMause ja auch darum und beschreibt an anderen Stellen immer wieder deutlich den Einfluss kindlicher Gewalterfahrungen auf das spätere Verhalten des Erwachsenen. Doch mir geht es in diesem Text eben besonders um symbolische Angstbilder. Diese beschreibt deMause leider zu einseitig im Zusammenhang mit fötalen Erfahrungen, wie ich finde.

Meine These ist, dass die hier behandelnden Angstbilder vor allem mit der klassischen Kombination „abwesender und wenn anwesend destruktiver und strafender Vater“ auf der einen Seite und einer „anwesenden, das Kind vereinnahmenden, emotional missbrauchenden, vor allem auch die Söhne als Partnerersatz und als Hoffnungsträger/Delegierter für eigene Entbehrungen und geschlechtsspezifische, kulturell determinierte Grenzen der eigenen Entfaltungsmöglichkeiten gebrauchende , ggf. auch offen gewalttätigen Mutter“ (Nachtrag: Bzgl. Letzterem zeigen Studien, dass Mütter sehr oft auch körperlich gewalttätig gegen Kinder sind) zusammenhängen. Destruktive Väter tragen ihre Gewalt oftmals und „traditionell“ offen aus, brüllen, schlagen, sind abwesend. Destruktive Mütter agieren oftmals und „traditionell“ verdeckter, schleichender, psychologischer, eben wie eine Schlange oder eine Krake, die langsam ihr Opfer umschlingt. Die Bilder von kriegerischen Frauen/Müttern und vor allem die verschlingenden, umschlingenden, vergiftenden Kraken- und Schlangenwesen in Kriegs- und Vorkriegszeiten oder grundsätzlich in Bezug auf Gefahren und Feinde sprechen dafür, dass hier bildlich vor allem der (meist) emotionale mütterliche Missbrauch seinen Ausdruck findet, (gepaart natürlich mit dem abwesenden Vater, der seinen wesentlichen Teil beiträgt) Zu diesen Belastungen mag dann auch das „fötale Drama“ seine ergänzende Wirkung entfalten und so eine kritische Masse bilden. In früheren Zeiten wie auch in der heutigen Zeit waren und sind zudem Karikaturisten meist Männer. Es sind vor allem männliche (Angst)Fantasiebilder, die wir im historischen Rückblick sehen können. Wenn in diesen Bildern verschlingende, gefährliche Frauen und Meeresbestien auftauchen, dann spricht dies einmal mehr dafür, dass eine destruktive, missbrauchende Mutter eine wichtige Rolle bei der Entstehung dieser Bilder spielt.

Ich habe in diesem Blog bereits zwei Beiträge zu solchen möglichen Zusammenhängen geschrieben: „Medusas Söhne“ und „Medusas Kinder in der Antike“. Das Schlangenmoster Medusa, deren Blick zu Stein werden lässt und die in der Psychoanalyse eindeutig als Mutterfigur ausgemacht wurde, sprach früher, wie auch heute noch vor allem Männer an, die wohl in der o.g. Konstellation aufgewachsen sind.

Ein Paradebespiel für entsprechende Angstbilder ist auch Russland, das in der Geschichte häufig als eine gefährliche Krake dargestellt wurde. Russland wird historisch sowohl von sich selbst als auch von anderen Nationen als „Mütterchen Russland“ personifiziert und hat in der Fantasie der Menschen somit eine feste Familienrolle eingenommen. In einem englischen Blog habe ich eine Auflistung einiger solcher Bilder von Russland gefunden, die für sich spricht: http://bigthink.com/ideas/39146?page=all
Aber der gefährliche Krake taucht auch in vielen anderen Kontexten auf. Wenn man im Internet recherchiert, findet man bei entsprechenden Stichwörtern schnell Bilder, die z.B. die Juden/Israel als verschlingende Krake darstellen oder man findet den Iran als Krake, der seine Nachbarn umschlingt. Ebenso findet man Unternehmen wie z.B. Goldman Sachs als Krake dargestellt. Aber auch die EURO-Krise ließ den Kraken wieder auftauchen, er findet sich die Welt umschlingend zusammen mit Euro Zeichen und Griechenlandfahne wieder. Eine arabische Karikatur zeigt den Terrorismus als Krake, der die Welt umschlingt. Usw. usf. Darstellungen von Feinden und Bedrohungen als Krakenmonster findet man letztlich in allen möglichen Kontexten. Eine eindrucksvolle Sammlung von entsprechenden historischen Bildern fand ich hier: http://vulgararmy.com/. (Man kann dort auch nach Jahreszahlen entsprechende Bilder suchen)
Derzeit tauchen gar Schlangen und Kraken in Zusammenhang mit der EURO Krise in der SZ auf. Siehe hier und hier.
Kommentiert wurden beide Karikaturen unter der Rubrik „Nachrichten vom Niedergang der politischen Karikatur“ (hier und hier) von zwei Bloggern, von denen einer u.a. Kinderpsychiater ist. Ja, einen Kinderpsychiater wie wohl auch viele andere Menschen werden solche Bilder heute in Deutschland kaum noch ansprechen. Missbrauch und Gewalt gegen Kinder gehen hierzulande immer mehr zurück. Wahrscheinlich werden auch die Karikaturen von Bestien zukünftig ins Reich der Märchen und Fabeln zurückkehren müssen und kaum noch einen Platz in den modernen Medien finden.

Historisch bleiben die Meeresbestien weiterhin interessant, ebenso aktuell, wenn es um Nationen geht, in denen weiterhin eine große Mehrheit der Kinder missbraucht und misshandelt wird. Die ganzen bekannten psychohistorischen Analysemethoden von Bildern und Cartoons stellen den Teil dieser Forschungen dar, der mich persönlich beim erstmaligen Durchlesen am meisten irritiert hat. Ich war zwar offen für neues, dachte aber im ersten Moment: „Was soll der Quatsch denn jetzt? „ Da werden haufenweise Cartoons und politische Bilder gesammelt und die emotionale Lage der Nation analysiert, teils sogar Zukunftsprognosen daraus abgeleitet. Je mehr ich allerdings dazu gelesen habe und vor allem je mehr ich selbst den Blick offen habe, für emotionale Aussagen von Bildern und Mediendarstellungen und je mehr ich auch historische Bilder angesehen habe, desto mehr bestätigt sich für mich, dass diese Methoden durchaus kein Quatsch sind, sondern Sinn machen. Bzgl. einzelnen Patienten ist es heute durchaus anerkannt, wenn Träume und Bilder therapeutisch analysiert und durchgearbeitet werden, um der Person zu helfen und Prozesse bewusst zu machen. Eine Gesellschaft besteht logischerweise auch aus Menschen, alle haben ihre Emotionen und ihre Psyche. Und natürlich landen auch hier Bilder, Träume und Fantasien auf der gesellschaftlichen Bühne. Dieser Beitrag soll die hier Lesenden mit diesem ganzen „Quatsch“ konfrontieren. Und vielleicht wird der ein oder andere auch zukünftig feststellen, dass ungewohnte Ideen und Methoden manchmal auch neue Erkenntnisse bringen.