Kurz vor der Bundestagswahl möchte ich etwas zum Einsatz der Bundeswehr bzw. dem Krieg in Afghanistan schreiben. Es ist schon erschreckend, wie schleichend, Stück für Stück die deutsche Gesellschaft militarisiert wird bzw. wie die Öffentlichkeit mit Nachrichten von der Front gefüttert wird. Beschränkte sich die gelegentliche Nachrichtenlage zu Beginn des Einsatzes noch eher auf die Ausbildung von afghanischen Polizisten, zivilem Aufbau und großen Vorhaben im "friedlicheren" nördlichen Einsatzgebiet der Bundeswehr, so hören wir jetzt fast täglich von Schusswechseln, verletzten deutschen Soldaten, getöteten Afghanen ehhh "Aufständischen", gestiegenen Zahlen von traumatisierten deutschen Soldaten, Misstrauen der Bevölkerung gegen die Soldaten, einem Bedarf an besser - sprich auf realen Krieg - vorbereiter und entsprechend ausgestatter Bundeswehr usw. usf. Man gewöhnt sich fast schon an diese Nachrichten. Der Einsatz des deutschen Militäts wird letztlich zur Normalität.
Ich erinnere mich an einen spannenden Fernsehbericht über den Einsatz einer Frau, deren Namen ich leider nicht mehr erinnere. Sie arbeitete im Auftrag einer Hilfsorganisation für den zivilen Aufbau im ländlichen Afghanistan. Diese Frau arbeitete mit viel Empathie und Fingerspitzengefühl für die afghanische Kultur. Vor den Dorfältesten stellte sie sich z.B. behutsam als Tochter eines deutschen Vaters vor, die eigentlich nach dessen Wunsch ein Sohn hätte sein sollen. (was es den Dorfältesten erleichterte, dieser Frau zuzuhören). Bevor sie ihre Hilfsangebote offenbarte, erlangte sie zunächst das Vertrauen der Chefs im Dorf, was gleichzeitig Sicherheit bedeutete.
Zwei Eindrücke aus diesem Dorf blieben mir besonders in Erinnerung. Zunächst war es Tradition, dass wesentlich ältere Männer sehr Junge Frauen bzw. Mädchen heirateten. Dies festigte ihre Machtposition gegenüber den Frauen. (UNICEF Foto des Jahres 2007 wurde übrigens ein Brautpaar in Afghanistan, er ist 40 Jahre alt, sie 11 Jahre...) Die jungen Frauen/Mädchen waren dann routinemäßig als Mütter überfordert. Sie waren viel zu jung und unerfahren, keiner half mit Rat und Tat bei der Pflege der Säuglinge. Die deutsche Helferin berichtete entsprechend, dass trotz ausreichender Versorgung mit Lebensmitteln viele Säuglinge starben, einfach aus dem Unwissen der Mutter bzw. Eltern, wie diese zu ernähren seien.
Der zweite bei mir nachhallende Eindruck war, dass die Säuglinge in feste Tücher, straff gewickelt bewegungsunfähig und alleine für längere Zeit in einem Raum belassen wurden, um sie ruhig zu stellen. (Auf den inneren Terror, der dadurch schon bei Säuglingen entsteht, hat insbesondere der Psychohistoriker Lloyd deMause immer wieder hingewiesen) Die Helferin sagte den Vätern dieser Säuglinge, dass ihre Kinder nicht stark und kräftig werden würden, wenn sie sich nicht bewegen würden können. Das verstanden diese. Ihre Schockiertheit über diese Zustände musste sie dabei zurückhalten und eben Argumente finden, die für die Kultur des Dorfes verständlich waren.
Bisher habe ich nicht viel über die Kindheit in Afghanistan gefunden: Die Kindersterblichkeitsrate ist enorm hoch. 154,67 von 1000 Kindern starben im Jahr 2008. (vgl. index mundi, Afghanistan Kindersterblichkeit) Die Caritas gibt an, dass im Schnitt 165 von 1.000 Kindern sterben, bei oder kurz nach der Geburt. 279 von 1.000 Kindern, so zeigen die Statistiken weiter, sterben noch innerhalb der ersten fünf Lebensjahre. (http://www.caritas-international.de/10347.html)
Lloyd deMause hat kurz auf die mittelalterlichen Erziehungspraktiken in diesem Land hingewiesen. (vgl. deMause, 2005, S. 39ff) Auf Grund der enormen Gewaltbereitschaft, die in Afghanistan herrscht, ist - folgt man den Grundthesen dieses Blogs - mit einem hohen Ausmass an Gewalt und Vernachlässigung gegenüber den afghanischen Kindern zu rechnen. Nach Schätzungen von UNICEF heiratet rund die Hälfte der afghanischen Frauen, bevor sie 18 Jahre alt sind. Insofern ist allein auf Grund dieser Information auch mit einem sehr hohen Ausmass von sexuellem Missbrauch zu rechnen. Bei den Kindern müsste eine Friedenspolitik, die auf langfristige Erfolge baut, ansetzen.
(Nachträgliche Ergänzung wichtiger Zahlen über häusliche Gewalt in Afghanistan: "Afghanistan. Gewalt gegen Kinder und er(un)mögliche Frieden")
Der erste Schritt wäre, auf Grund des fehlenden Datenmaterials den üblichen Umgang mit den Kindern vor Ort gründlich zu untersuchen und zusätzlich Erwachsene repräsentativ nach ihren Kindheitserfahrungen zu befragen. Dabei wäre es auch insbesondere interessant, wie sich ggf. die Kindheit von Talibankämpfern, Nicht-Talibananhängern und Taliban-Gegnern unterscheidet. Danach müsste die internationale Staatengemeinschaft einen großflächigen Plan entwickeln, wie man den afghanischen Kindern schnellstmöglich und nachhaltig helfen kann (und zwar in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Entscheidungsträgern der Afghanen). Eine Idee wäre dabei, in Europa und Nordamerika lebende Afghanen, die fortschrittlichere Erziehungsmethoden kennengelernt und für sich übernommen haben, als HelferInnen für diesen Einsatz in ihrem Heimatland zu gewinnen. Diese könnten sicherlich auch sehr gute Vorschläge machen, wie man kulturbedingte Probleme überwinden könnte und am Besten an die Sache heran geht. Für die kommende Generation wäre dies eine Chance für einen wirklichen Schritt hin zu einer Demokratie und zu einem friedlicheren Miteinander. Afghanistan braucht vor allem mehr Kinderschutz und nicht mehr deutsche Soldaten!
Leider ist absehbar, dass dies von der Politik nicht erkannt werden wird. Dabei ist dieser Vorschlag nicht unrealistisch, stehen doch im Grunde genügend Mittel zur "Lösung des Problems" zur Verfügung. Die deutsche Beteiligung am Afghanistaneinsatz kostet die Steuerzahler für den Zeitraum von zwölf Monaten - nach offiziellen Angaben - insgesamt rund 487 Millionen Euro. Das Pentagon bezifferte die Ausgaben speziell zum Afghanistan-Einsatz der US-Armee auf 78,1 Milliarden Dollar – für sechs Jahre Krieg seit 2001. (vgl. stern.de, 12.10.2007, Einsatzkosten Afghanistan "Dingos, Drohnen und Auslandszulagen") Bei einem afghanischen Pro-Kopf Bruttoinlandsprodukt (Stand 2008) von 758 US-Dollar wird deutlich, was man alles mit dem Geld, das für den Krieg ausgegeben wurde und wird, hätte realisieren können.
Samstag, 26. September 2009
Freitag, 10. Juli 2009
Kindheit von Albert Einstein
„Von seiner Familie hatte Einstein Nestwärme, Unterstützung und Anerkennung erfahren.“ formulierte der Einstein Biograph Johannes Wickert. Für mich Grund genug, noch etwas ausführlicher auf die Familie Einstein einzugehen, die einen so außergewöhnlichen Geist hervorgebracht hat:
„Sollte man sich seine Eltern aussuchen können? Im Hinblick auf Albert Einsteins Elternhaus möchte man dies fast bejahen.“ schrieb Till Schauen für das ZDF. „Er hätte kaum ein besseres Klima für seine geistige Entwicklung finden können. Vater Hermann, ein Freidenker, äußerte sich wenig respektvoll über Dogmen und Rituale. Starres Obrigkeitsdenken, seinerzeit in den deutschen Staaten üblich, war Hermann und Pauline Einstein fremd. Sie dachten fortschrittlich und liberal, förderten Belesenheit und pflegten das gemeinschaftliche Gespräch bei Tisch (seinerzeit durchaus keine Selbstverständlichkeit) und die Musik. Albert wurde zu nichts gezwungen. Man ließ ihm Raum zum Atmen. Auf diese Formel lässt sich bringen, wie Albert Einstein sich in seinem Elternhaus gefühlt haben muss. Selbst sein verzögerter Spracherwerb, seine Anfälle von Jähzorn und die Verweigerung von sozialen Kontakten wurden geduldet - solche Verhaltensauffälligkeiten würden heute eine Einschulung deutlich erschweren. Albert wurde behutsam mit Reizen gefüttert und stimuliert, die sein Wesen formten.“ (ZDF / Till Schauen, 2005: Albert Einstein Biografie, Querdenker & Weltbürger Albert Einstein 1879 bis 1896 – Kindheit & Jugend
http://www.zdf.de/ZDFxt/module/einsteinbio/pdf/biografie_druckversion.pdf)
Der Autor hat hier gut zusammengefasst, was ich bei meiner Recherche zu Albert Einsteins Kindheit immer wieder las. In der Familie Einstein herrschte ein liberaler, freundlicher Geist, Förderung, Harmonie in der Ehe und ein liebevoller Umgang mit den Kindern. Der Vater wird als gütige Person, die Mutter als diszipliniert und fürsorglich beschrieben. Albert Einstein wurde am 14.03.1879 geboren und eine solche Familienatmosphäre war für diese Zeit wirklich etwas sehr außergewöhnliches. War doch die deutsche Kindheit um 1900 im Allgemeinen „ein Alptraum von Mord, Vernachlässigung, prügeln und Folter“ von unschuldigen, hilflosen Kindern, wie der Psychohistoriker Lloyd deMause schrieb.
„Überblickt man die biographischen Dokumente, die zu seinem Werdegang gesammelt wurden, so sind Einsteins Kindheit und Jugendzeit als glücklich, aber auch als dornig einzustufen: Er erfuhr Geborgenheit in seiner Familie, Anregung und Ermutigung; es wurde nicht – wovor er einmal warnte – zuviel erzogen. Dornig war seine Entwicklung, weil er sich schon in der Kindheit als Einspänner entpuppte – abseits stand und trabte. Aber gerade seiner früh ausgeprägten Individualität verdankt er eine sich bereits in jungen Jahren ausbildende Selbständigkeit und die Einübung eigenständigen Denkens.“ (Leseprobe: "Monographie
Albert Einstein" von Johannes Wickert, 2005.
Die Familie spielt in Alberts Lebens eine große Rolle, gerade auch, weil er in der Schule eher ein Außenseiter war. Zu Hause tauscht er sich mit Vater und Onkel über interessante Themen aus der Welt der Technik aus, die Mutter fördert dagegen seine kreativen Fähigkeiten. Zu seiner Schwester Maja hatte Albert ebenfalls ein gutes Verhältnis. (vgl. Strauch, D. 2007: Alles ist relativ. Die Lebensgeschichte des Albert Einstein. Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim, S. 13ff) Auch seine Großmutter fand ihn lieb und brav und schwärmte von den lustigen Einfällen des kleinen Albert. (PLUS LUCIS 2/96, Gedanken zur Kindheit von Albert Einstein, von Gabriele Kerber und Marie -Therese Rösner)
Seine Eltern förderten ungewöhnlich früh Alberts Entwicklung von Selbstvertrauen. Noch vor seinem vierten Lebensjahr hielten sie ihn beispielsweise dazu an, in der Nachbarschaft herumzustreifen und alleine die Straßen der Umgebung zu überqueren (freilich schauten sie ihm dabei heimlich die ersten male zu, um sich zu vergewissern, dass er vor dem Überqueren auch nach beiden Seiten schaute.) (vgl. Brian, D. 2005: Einstein. Sein Leben. Wiley-VCH, S.3)
Wen wundert es nach diesen ganzen Einblicken, dass Albert schon früh als Schüler offen die militärische Disziplin und Strenge der Lehrer verabscheute, war er doch von zu Hause einen ganz anderen Ton gewohnt. „Am schlimmsten scheint es mir zu sein, wenn eine Schule hauptsächlich mit den Mitteln von Furcht, Zwang und künstlicher Autorität arbeitet. Solche Behandlung vernichtet das gesunde Lebensgefühl, die Aufrichtigkeit und das Selbstvertrauen des Schülers. Sie erzeugt den unterwürfigen Untertan.“ (vgl. Strauch, 2007, S. 13)
Einstein zeichnet sich als Persönlichkeit durch sein Temperament, seinen Eigensinn, seine Willensstärke und Entschlossenheit, sein Genie und durch Charme und Witz aus. Er galt zudem als Pazifist und nahm bereits im Zuge des Ersten Weltkriegs an Protesten gegen den Krieg teil. Natürlich möchte ich hier nicht sagen, dass aus allen Kindern, die Geborgenheit und Förderung in der Art wie oben beschrieben erfahren, ein „Einstein“ wird. Einstein war einzigartig, wie jeder Mensch. Ich glaube aber, dass Menschen ihre naturgegebenen Potentiale am Besten unter einer freundlichen und liebevollen familiären Atmosphäre entwickeln können und dass diese Potentiale eher nicht zur vollen Entfaltung kommen, wenn Gewalt und Missbrauch das Klima beherrscht. Und ich bin fest davon überzeugt, dass Einsteins Pazifismus kein rein intellektueller war, sondern viel mehr ein emotionaler, der sich ihm tief durch sein friedliches Elternhaus eingeprägt hat. Einsteins Kindheit steht für mich (wie die von Astrid Lindgren und auch die von Alice Schwarzer, siehe letzten Beiträge) als Vorbild für eine friedlichere, menschlichere und individualisiertere Zukunft.
An Hand einige Zitate wird auch noch mal abschließend deutlich, wie sehr Albert Einsteins Sicht auf die Welt von seiner Kindheit geprägt war:
- „Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt.“
- „Wenn Sie möchten, dass Ihre Kinder intelligent werden, erzählen Sie ihnen Märchen. Wenn Sie möchten, dass sie hochintelligent werden, erzählen Sie ihnen noch mehr Märchen.“ (Das war die Antwort von Albert Einstein auf die Frage, ob Märchen für Kinder wichtig sind. Ich bin mir sicher, dass Albert als Kind etliche Märchen vorgelesen bekommen hat :-). Und vielleicht brachte diese elterliche Förderung von Fantasie ihn auch zu der Erkenntnis bzw. dem vielzitierten Satz "Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt")
„Sollte man sich seine Eltern aussuchen können? Im Hinblick auf Albert Einsteins Elternhaus möchte man dies fast bejahen.“ schrieb Till Schauen für das ZDF. „Er hätte kaum ein besseres Klima für seine geistige Entwicklung finden können. Vater Hermann, ein Freidenker, äußerte sich wenig respektvoll über Dogmen und Rituale. Starres Obrigkeitsdenken, seinerzeit in den deutschen Staaten üblich, war Hermann und Pauline Einstein fremd. Sie dachten fortschrittlich und liberal, förderten Belesenheit und pflegten das gemeinschaftliche Gespräch bei Tisch (seinerzeit durchaus keine Selbstverständlichkeit) und die Musik. Albert wurde zu nichts gezwungen. Man ließ ihm Raum zum Atmen. Auf diese Formel lässt sich bringen, wie Albert Einstein sich in seinem Elternhaus gefühlt haben muss. Selbst sein verzögerter Spracherwerb, seine Anfälle von Jähzorn und die Verweigerung von sozialen Kontakten wurden geduldet - solche Verhaltensauffälligkeiten würden heute eine Einschulung deutlich erschweren. Albert wurde behutsam mit Reizen gefüttert und stimuliert, die sein Wesen formten.“ (ZDF / Till Schauen, 2005: Albert Einstein Biografie, Querdenker & Weltbürger Albert Einstein 1879 bis 1896 – Kindheit & Jugend
http://www.zdf.de/ZDFxt/module/einsteinbio/pdf/biografie_druckversion.pdf)
Der Autor hat hier gut zusammengefasst, was ich bei meiner Recherche zu Albert Einsteins Kindheit immer wieder las. In der Familie Einstein herrschte ein liberaler, freundlicher Geist, Förderung, Harmonie in der Ehe und ein liebevoller Umgang mit den Kindern. Der Vater wird als gütige Person, die Mutter als diszipliniert und fürsorglich beschrieben. Albert Einstein wurde am 14.03.1879 geboren und eine solche Familienatmosphäre war für diese Zeit wirklich etwas sehr außergewöhnliches. War doch die deutsche Kindheit um 1900 im Allgemeinen „ein Alptraum von Mord, Vernachlässigung, prügeln und Folter“ von unschuldigen, hilflosen Kindern, wie der Psychohistoriker Lloyd deMause schrieb.
„Überblickt man die biographischen Dokumente, die zu seinem Werdegang gesammelt wurden, so sind Einsteins Kindheit und Jugendzeit als glücklich, aber auch als dornig einzustufen: Er erfuhr Geborgenheit in seiner Familie, Anregung und Ermutigung; es wurde nicht – wovor er einmal warnte – zuviel erzogen. Dornig war seine Entwicklung, weil er sich schon in der Kindheit als Einspänner entpuppte – abseits stand und trabte. Aber gerade seiner früh ausgeprägten Individualität verdankt er eine sich bereits in jungen Jahren ausbildende Selbständigkeit und die Einübung eigenständigen Denkens.“ (Leseprobe: "Monographie
Albert Einstein" von Johannes Wickert, 2005.
Die Familie spielt in Alberts Lebens eine große Rolle, gerade auch, weil er in der Schule eher ein Außenseiter war. Zu Hause tauscht er sich mit Vater und Onkel über interessante Themen aus der Welt der Technik aus, die Mutter fördert dagegen seine kreativen Fähigkeiten. Zu seiner Schwester Maja hatte Albert ebenfalls ein gutes Verhältnis. (vgl. Strauch, D. 2007: Alles ist relativ. Die Lebensgeschichte des Albert Einstein. Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim, S. 13ff) Auch seine Großmutter fand ihn lieb und brav und schwärmte von den lustigen Einfällen des kleinen Albert. (PLUS LUCIS 2/96, Gedanken zur Kindheit von Albert Einstein, von Gabriele Kerber und Marie -Therese Rösner)
Seine Eltern förderten ungewöhnlich früh Alberts Entwicklung von Selbstvertrauen. Noch vor seinem vierten Lebensjahr hielten sie ihn beispielsweise dazu an, in der Nachbarschaft herumzustreifen und alleine die Straßen der Umgebung zu überqueren (freilich schauten sie ihm dabei heimlich die ersten male zu, um sich zu vergewissern, dass er vor dem Überqueren auch nach beiden Seiten schaute.) (vgl. Brian, D. 2005: Einstein. Sein Leben. Wiley-VCH, S.3)
Wen wundert es nach diesen ganzen Einblicken, dass Albert schon früh als Schüler offen die militärische Disziplin und Strenge der Lehrer verabscheute, war er doch von zu Hause einen ganz anderen Ton gewohnt. „Am schlimmsten scheint es mir zu sein, wenn eine Schule hauptsächlich mit den Mitteln von Furcht, Zwang und künstlicher Autorität arbeitet. Solche Behandlung vernichtet das gesunde Lebensgefühl, die Aufrichtigkeit und das Selbstvertrauen des Schülers. Sie erzeugt den unterwürfigen Untertan.“ (vgl. Strauch, 2007, S. 13)
Einstein zeichnet sich als Persönlichkeit durch sein Temperament, seinen Eigensinn, seine Willensstärke und Entschlossenheit, sein Genie und durch Charme und Witz aus. Er galt zudem als Pazifist und nahm bereits im Zuge des Ersten Weltkriegs an Protesten gegen den Krieg teil. Natürlich möchte ich hier nicht sagen, dass aus allen Kindern, die Geborgenheit und Förderung in der Art wie oben beschrieben erfahren, ein „Einstein“ wird. Einstein war einzigartig, wie jeder Mensch. Ich glaube aber, dass Menschen ihre naturgegebenen Potentiale am Besten unter einer freundlichen und liebevollen familiären Atmosphäre entwickeln können und dass diese Potentiale eher nicht zur vollen Entfaltung kommen, wenn Gewalt und Missbrauch das Klima beherrscht. Und ich bin fest davon überzeugt, dass Einsteins Pazifismus kein rein intellektueller war, sondern viel mehr ein emotionaler, der sich ihm tief durch sein friedliches Elternhaus eingeprägt hat. Einsteins Kindheit steht für mich (wie die von Astrid Lindgren und auch die von Alice Schwarzer, siehe letzten Beiträge) als Vorbild für eine friedlichere, menschlichere und individualisiertere Zukunft.
An Hand einige Zitate wird auch noch mal abschließend deutlich, wie sehr Albert Einsteins Sicht auf die Welt von seiner Kindheit geprägt war:
- „Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt.“
- „Wenn Sie möchten, dass Ihre Kinder intelligent werden, erzählen Sie ihnen Märchen. Wenn Sie möchten, dass sie hochintelligent werden, erzählen Sie ihnen noch mehr Märchen.“ (Das war die Antwort von Albert Einstein auf die Frage, ob Märchen für Kinder wichtig sind. Ich bin mir sicher, dass Albert als Kind etliche Märchen vorgelesen bekommen hat :-). Und vielleicht brachte diese elterliche Förderung von Fantasie ihn auch zu der Erkenntnis bzw. dem vielzitierten Satz "Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt")
Freitag, 12. Juni 2009
Interview mit "Beinahe-Amokläufer"
In der aktuellen EMMA wird als Titelthema ein junger Mann (Pseudonym „Sven“) vorgestellt, der ganz offen über seine früheren Amokfantasien spricht. Vermittelt wurde der Kontakt über den Kriminologen Prof. Dr. Pfeiffer. Das Interview mit „Sven“ wird von der EMMA genutzt, um ihre These vom Zusammenhang von Frauenhass/männlicher Sozialisation und Amokläufen zu stützen. Ich fand die Einblicke in „Svens“ Kindheit und die Folgen daraus wesentlich aufschlussreicher.
Svens Kindheitserfahrungen/Familiensituation (Zusammenfassung auf Grundlage des Interviews):
Eltern sind beide Alkoholiker und überfordert, die Mutter hat psychische Probleme und starke Stimmungsschwankungen („von supernett bis extrem autoritär“), Mutter „delegierte“ körperliche Gewalt an den Vater (ist hier also auch beteiligt!), der Vater hat „ordentlich geprügelt“ und war sonst in der Familie eher abwesend, Mutter übte totale Isolation und Kontrolle über die Kinder aus (kein Kindergartenbesuch, kein Fussballverein, keine Klassenfahrten wurden erlaubt, weil “da hätten wir ja darüber reden können, was bei uns zu Hause so los war“), keine Bekundungen von Liebe (außer als Sven schon erwachsen war, wo ihm seine Mutter das erste mal in seinem Leben sagte, dass sie stolz auf ihn sei und ihn liebe)
Kurz gesagt: Diese Kindheit war wirklich ein Albtraum! (Es freut mich nebenbei bemerkt für „Sven“, dass er trotz allem und wohl auch dank einer längeren Therapie heute seinen Weg zum Leben und auch einen Weg im Umgang mit seinen Eltern gefunden hat.)
Berichtete Folgen: Hass auf die Mutter (als Sven noch klein war), unerträgliche Gefühle, wenn sie ihn in den Arm nehmen möchte, später dann Hass auf den Vater und Verachtung für diesen, totaler Hass auf die ganze Gesellschaft, Hass auf seine religiöse Erziehung, Selbstmordgedanken („Es wäre ja langweilig, sich vor den Zug zu werfen, das sieht doch keiner.“), Zwangsstörungen, Zählzwang, Kontrollzwänge, Angst aus dem Haus zu gehen, Angst vor dem ganzen Leben, Depressionen, Außenseiterrolle in der Schule, konkrete Amokfantasien.
Ich habe sicherlich keinen gesamten Überblick über alle Medienberichte. Zumindest innerhalb der Beiträge, die ich in den letzten Wochen zum Thema Amoklauf gesehen und gehört habe, war der Faktor Kindesmisshandlung kein Thema. Und das ist in der Tat erstaunlich bei so naheliegenden ursächlichen Faktoren (und jetzt auch dem Beispiel “Sven“). Und vor allem wäre der präventive Ansatz dann auch ein ganz anderer, aufwendigerer, grundlegenderer.
Besonders interessant – gerade auch für diesen Blog – fand ich folgende Stelle im Interview:
Frage der EMMA: Sie sind nach dem Abitur zur Bundeswehr gegangen?
“Sven“: Da kam ich gut klar! Das war so eine ganz archaische Sache. Ich wurde total gefordert, bekam auch schon mal Tadel, aber auch Lob. Wir hatte alle Uniformen an, waren alle gleich. Unser einziges Feindbild waren die Vorgesetzten, untereinander haben wir total zusammengehalten. In dieser Zeit hatte ich auch nicht mehr diese Amokfantasien.
(EMMA Mai/Juni 2009, „Amokläufer”, S. 21)
Das Militär zieht Menschen mit einer problematischen Sozialisation systematisch an, so meine These im Grundlagentext, die hier erneut belegt wird. Uniformität, Kameradschaft, Leistungsdruck, Unterordnung, Legitimität von Gewalt und insbesondere Feindbilder lenken von eigenen inneren Problemen und Konflikten ab. Ich fand es sehr aufschlussreich, dass „Svens“ Amokfantasien seine Schulzeit über da waren, aber während seiner Bundeswehrzeit verschwanden. Als „Giftcontainer“ dienten jetzt einfach neue Hassobjekte.
Siehe ergänzend zu diesem Beitrag auch "Amoklauf von Winnenden und die Medien"
Svens Kindheitserfahrungen/Familiensituation (Zusammenfassung auf Grundlage des Interviews):
Eltern sind beide Alkoholiker und überfordert, die Mutter hat psychische Probleme und starke Stimmungsschwankungen („von supernett bis extrem autoritär“), Mutter „delegierte“ körperliche Gewalt an den Vater (ist hier also auch beteiligt!), der Vater hat „ordentlich geprügelt“ und war sonst in der Familie eher abwesend, Mutter übte totale Isolation und Kontrolle über die Kinder aus (kein Kindergartenbesuch, kein Fussballverein, keine Klassenfahrten wurden erlaubt, weil “da hätten wir ja darüber reden können, was bei uns zu Hause so los war“), keine Bekundungen von Liebe (außer als Sven schon erwachsen war, wo ihm seine Mutter das erste mal in seinem Leben sagte, dass sie stolz auf ihn sei und ihn liebe)
Kurz gesagt: Diese Kindheit war wirklich ein Albtraum! (Es freut mich nebenbei bemerkt für „Sven“, dass er trotz allem und wohl auch dank einer längeren Therapie heute seinen Weg zum Leben und auch einen Weg im Umgang mit seinen Eltern gefunden hat.)
Berichtete Folgen: Hass auf die Mutter (als Sven noch klein war), unerträgliche Gefühle, wenn sie ihn in den Arm nehmen möchte, später dann Hass auf den Vater und Verachtung für diesen, totaler Hass auf die ganze Gesellschaft, Hass auf seine religiöse Erziehung, Selbstmordgedanken („Es wäre ja langweilig, sich vor den Zug zu werfen, das sieht doch keiner.“), Zwangsstörungen, Zählzwang, Kontrollzwänge, Angst aus dem Haus zu gehen, Angst vor dem ganzen Leben, Depressionen, Außenseiterrolle in der Schule, konkrete Amokfantasien.
Ich habe sicherlich keinen gesamten Überblick über alle Medienberichte. Zumindest innerhalb der Beiträge, die ich in den letzten Wochen zum Thema Amoklauf gesehen und gehört habe, war der Faktor Kindesmisshandlung kein Thema. Und das ist in der Tat erstaunlich bei so naheliegenden ursächlichen Faktoren (und jetzt auch dem Beispiel “Sven“). Und vor allem wäre der präventive Ansatz dann auch ein ganz anderer, aufwendigerer, grundlegenderer.
Besonders interessant – gerade auch für diesen Blog – fand ich folgende Stelle im Interview:
Frage der EMMA: Sie sind nach dem Abitur zur Bundeswehr gegangen?
“Sven“: Da kam ich gut klar! Das war so eine ganz archaische Sache. Ich wurde total gefordert, bekam auch schon mal Tadel, aber auch Lob. Wir hatte alle Uniformen an, waren alle gleich. Unser einziges Feindbild waren die Vorgesetzten, untereinander haben wir total zusammengehalten. In dieser Zeit hatte ich auch nicht mehr diese Amokfantasien.
(EMMA Mai/Juni 2009, „Amokläufer”, S. 21)
Das Militär zieht Menschen mit einer problematischen Sozialisation systematisch an, so meine These im Grundlagentext, die hier erneut belegt wird. Uniformität, Kameradschaft, Leistungsdruck, Unterordnung, Legitimität von Gewalt und insbesondere Feindbilder lenken von eigenen inneren Problemen und Konflikten ab. Ich fand es sehr aufschlussreich, dass „Svens“ Amokfantasien seine Schulzeit über da waren, aber während seiner Bundeswehrzeit verschwanden. Als „Giftcontainer“ dienten jetzt einfach neue Hassobjekte.
Siehe ergänzend zu diesem Beitrag auch "Amoklauf von Winnenden und die Medien"
Mittwoch, 10. Juni 2009
Info zur Schließung meiner alten Homepage
Ab 10. Juni 2009 ist meine alte Homepage offline!
Mit dem Gedanken, die Page zu schließen, hatte ich schon längere Zeit gespielt. Ich muss gestehen, dass ich dabei hin und her gerissen war, weil in den zusammengestellten Informationen sehr viel Zeit und Arbeit steckt und es für andere Menschen sicherlich weiter hilfreich wäre, auf diese zugreifen zu können. Für mich persönlich ist die Homepage nicht mehr hilfreich, sondern eher eine Last. Aktualisierungen kosten Zeit und Kraft. Außerdem trage ich durch den ständigen Onlineauftritt auch eine ständige Verantwortung, auch das kostet Kraft. Schließlich hatte ich pro Tag bis zu 200 Besucher auf die Homepage und bei Googel eine extrem gute Treffersortierung bei entsprechenden Stichworten. Ich kann mich außerdem nicht mehr wirklich mit dem Projekt identifizieren, das ich genau genommen hauptsächlich in den Jahren 2002/2003 vorangetrieben und danach nur phasenweise ergänzt habe. Es macht für mich dadurch nun durchaus Sinn, dieses Kapitel zu beenden.
Viele Menschen haben lesend den Weg der Homepage in den letzten Jahren begleitet und mir viel positives Feedback gegeben, dafür möchte ich mich herzlich bedanken!. Ich denke, dass ich in dieser Zeit einiges bewegen konnte, sowohl bei mir, als auch bei anderen Menschen, was mich natürlich sehr freut.
Der Text „(destruktive) Kindheitserfahrungen im Kontext von Krieg“ ist der für mich derzeit wichtigste aus dem alten Projekt. In dem Text steckt viel Arbeit und Zeit und ich möchte ihn unbedingt in diesem extra eingerichteten Blog erhalten und auch ergänzen:. http://kriegsursachen.blogspot.com/
Mich interessiert jetzt mehr die Politik bzw. die politischen Konsequenzen der Gewalt gegen Kinder. Dies erfordert für mich einen neuen Raum in Form eines Blogs, der mir mehr Freiheit für meine Gedanken gibt, als eine feststehende Homepage. Vorteil ist dabei für mich eindeutig auch die zeitliche Kennzeichnung von Beiträgen und die „Lockerheit“ eines Blogs. Der Grundlagentext zu diesem speziellen Thema hinterließ bei mir noch viele aufgestaute Gedanken, die ich hier noch mal aufgeschrieben habe. Das meiste ist allerdings gesagt und ich werde nur noch hier und da mal ein paar Gedanken aufschreiben.
Was den Erhalt anderer wichtiger Texte angeht, bin ich bemüht, diese einem großen Onlineprojekt zu übertragen. Ob dies alles so klappt, wie ich mir das vorstelle und wann dies genau sein wird, kann ich leider noch nicht genau sagen. Ich werde innerhalb dieses Textes ganz unten auf jeden Fall eine aktualisierte Mitteilung hinterlassen, wenn alles über die Bühne gegangen ist. Weiterhin bin ich auf Anfrage gerne bereit, Texte, die Euch noch bekannt und wichtig sind, zur Veröffentlichung auf anderen Homepages freizugeben.
Ein Projekt hat bereits den Text über die „Gewalt gegen Kinder in der Geschichte“ übernommen – siehe hier: http://gewalt-im-jhh.de/Blick_uber_den_Tellerrand/Die_Gewalt_gegen_Kinder_in_der_Geschichte.doc
Viele Grüße
Mit dem Gedanken, die Page zu schließen, hatte ich schon längere Zeit gespielt. Ich muss gestehen, dass ich dabei hin und her gerissen war, weil in den zusammengestellten Informationen sehr viel Zeit und Arbeit steckt und es für andere Menschen sicherlich weiter hilfreich wäre, auf diese zugreifen zu können. Für mich persönlich ist die Homepage nicht mehr hilfreich, sondern eher eine Last. Aktualisierungen kosten Zeit und Kraft. Außerdem trage ich durch den ständigen Onlineauftritt auch eine ständige Verantwortung, auch das kostet Kraft. Schließlich hatte ich pro Tag bis zu 200 Besucher auf die Homepage und bei Googel eine extrem gute Treffersortierung bei entsprechenden Stichworten. Ich kann mich außerdem nicht mehr wirklich mit dem Projekt identifizieren, das ich genau genommen hauptsächlich in den Jahren 2002/2003 vorangetrieben und danach nur phasenweise ergänzt habe. Es macht für mich dadurch nun durchaus Sinn, dieses Kapitel zu beenden.
Viele Menschen haben lesend den Weg der Homepage in den letzten Jahren begleitet und mir viel positives Feedback gegeben, dafür möchte ich mich herzlich bedanken!. Ich denke, dass ich in dieser Zeit einiges bewegen konnte, sowohl bei mir, als auch bei anderen Menschen, was mich natürlich sehr freut.
Der Text „(destruktive) Kindheitserfahrungen im Kontext von Krieg“ ist der für mich derzeit wichtigste aus dem alten Projekt. In dem Text steckt viel Arbeit und Zeit und ich möchte ihn unbedingt in diesem extra eingerichteten Blog erhalten und auch ergänzen:. http://kriegsursachen.blogspot.com/
Mich interessiert jetzt mehr die Politik bzw. die politischen Konsequenzen der Gewalt gegen Kinder. Dies erfordert für mich einen neuen Raum in Form eines Blogs, der mir mehr Freiheit für meine Gedanken gibt, als eine feststehende Homepage. Vorteil ist dabei für mich eindeutig auch die zeitliche Kennzeichnung von Beiträgen und die „Lockerheit“ eines Blogs. Der Grundlagentext zu diesem speziellen Thema hinterließ bei mir noch viele aufgestaute Gedanken, die ich hier noch mal aufgeschrieben habe. Das meiste ist allerdings gesagt und ich werde nur noch hier und da mal ein paar Gedanken aufschreiben.
Was den Erhalt anderer wichtiger Texte angeht, bin ich bemüht, diese einem großen Onlineprojekt zu übertragen. Ob dies alles so klappt, wie ich mir das vorstelle und wann dies genau sein wird, kann ich leider noch nicht genau sagen. Ich werde innerhalb dieses Textes ganz unten auf jeden Fall eine aktualisierte Mitteilung hinterlassen, wenn alles über die Bühne gegangen ist. Weiterhin bin ich auf Anfrage gerne bereit, Texte, die Euch noch bekannt und wichtig sind, zur Veröffentlichung auf anderen Homepages freizugeben.
Ein Projekt hat bereits den Text über die „Gewalt gegen Kinder in der Geschichte“ übernommen – siehe hier: http://gewalt-im-jhh.de/Blick_uber_den_Tellerrand/Die_Gewalt_gegen_Kinder_in_der_Geschichte.doc
Viele Grüße
Donnerstag, 4. Juni 2009
Kindheit von Astrid Lindgren
"Es gibt kein anderes Kind, das mich inspirieren kann, als das Kind, das ich selbst einmal gewesen bin." (Astrid Lindgren)
Wenn man im Internet über biografisches und über die Kindheit von Astrid Lindgren recherchiert, steht immer etwas von Liebe, Glück und Geborgenheit in der Kindheit und von der gegenseitigen Liebe ihrer Eltern, die ein Leben lang währte, am Anfang der Berichte. Lindgren selbst betonte immer wieder, wie glücklich ihre Kindheit gewesen ist, und war fest davon überzeugt, dass diese glückliche Kindheit und die glückliche Ehe ihrer Eltern der Hauptgrund für ihren Erfolg waren. Zusätzlich wird auch darauf hingewiesen, dass ihre Eltern zwar viele Freiheiten erlaubten, aber auch konsequent Grenzen setzten und einen festen Rahmen vorgaben. Für damalige Verhältnisse – Lindgren wurde 1907 geboren – war dies ein Erziehungsstil, der seiner Zeit weit voraus war. Ebenso ungewöhnlich war damals sicherlich auch das besondere Verhältnis von Astrids Vater - Samuel August Ericsson – zu seinen Kindern (denn Männer entdeckten historisch gesehen nur sehr langsam ihre Vaterrolle). Er verteilte seine Liebe großzügig an die Kinder, erzählte Geschichten, herzte die Kinder, wann immer er Gelegenheit dazu fand. Aber lassen wir am Besten Astrid Lindgren selbst zu Wort kommen:
„Gunnar, Astrid, Stina und Ingegerd, so hießen die Ericssonskinder auf Näs. Es war schön, dort Kind zu sein, und schön, Kind von Samuel August und Hanna zu sein. Warum war es schön? Darüber habe ich oft nachgedacht, und ich glaube, ich weiß es. Zweierlei hatten wir, das unsere Kindheit zu dem gemacht hat, was sie gewesen ist – Geborgenheit und Freiheit. Wir fühlten uns geborgen bei diesen Eltern, die einander so zugetan waren und stets Zeit für uns hatten, wenn wir sie brauchten, uns im Übrigen aber frei und unbeschwert auf dem wunderbaren Spielplatz, den wir in dem Näs unserer Kindheit besaßen, herumtollen ließen. (…) Unsere Kindheit war ungewöhnlich frei von Rügen und Schelte. (...) Hannas Art der Kindererziehung war, so finde ich, recht großzügig. Dass man zu gehorchen hatte, war selbstverständlich, aber sie stellte nie unnötige und unerfüllbare Forderungen. So verlangte sie beispielsweise nicht, dass man unbedingt pünktlich zu den Mahlzeiten erschien . kam man zu spät, musste man sich selber etwas aus der Speisekammer holen. Ohne Vorhaltungen. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass sie uns je Vorwürfe gemacht hätte, wenn wir mit zerrissenen oder beschmutzen Kleidern nach Hause kamen. Wahrscheinlich hielt sie solche Pannen, die im Eifer des Spiels passieren konnten. Für das gute Recht eines Kindes. Sie zeterte nicht über Missgeschicke, für die man nichts konnte. Wie zum Beispiel damals, als unsere jüngste Schwester auf den Küchentisch krabbelte und dabei die große Schüssel voll Blutgrütze umkippte. Kein Wort verlor Hanna darüber, sie wusch ihr blutverschmiertes Töchterchen, zog ihm sauberer Sachen an und gab uns zum Mittagsessen statt Blutgrütze etwas anderes. Diese Freiheit zu haben hieß aber keineswegs, ständig frei zu haben. Dass wir zur Arbeit angehalten wurden, war die natürlichste Sache von der Welt. (...)" (Lindgren, A. 1977: Das entschwundene Land. Friedrich Oettinger Verlag, Hamburg. S. 34ff)
Als Lindgrens Mutter gestorben war, fuhr ihr Vater fort sie zu lieben und von ihr zu sprechen. „Er tat es noch, als er 94 Jahre alt war und heiter und zufrieden in seinem Bett in dem Pflegeheim lag (…). »Du, Kind, eine solche Mutter, wie du gehabt hast!«, sagte er, als ich ihn zum letzten Mal besuchte. Ja, ganz gewiss habe ich das! Und einen solchen Vater! Mit einem so treu liebenden Herzen, einem bis in den Tod liebenden Herzen! (…) Ich kann sie beide vor mir sehen. Dort oben in den himmlischen Wohnungen. (…) Und er hält ihre Hände, so wie er es immer getan hat, und sagt mit seiner liebevollen Stimme: »Meine kleine Inniggeliebte, hier sitzen wir nun, du und ich, und haben`s schön.« Meine lieben Eltern! Euer Kind sendet euch hiermit seines Herzens demütigen und innigsten Dank für alles.“ (ebd., S. 38+39)
An nachfolgendem Zitat wird auch deutlich, wie Lindgren ihre eigenen Erfahrungen als Erwachsene weitergab und für diesen Erziehungsstil warb: "Freie und unautoritäre Erziehung bedeutet nicht, dass man die Kinder sich selbst überlässt, dass sie tun und lassen dürfen, was sie wollen. Es bedeutet nicht, dass sie ohne Normen aufwachsen sollen, was sie selber übrigens gar nicht wünschen. (...) Ganz gewiss sollen Kinder Achtung vor ihren Eltern haben, aber ganz gewiss sollen auch Eltern Achtung vor ihren Kindern haben, und niemals dürfen sie ihre natürliche Überlegenheit missbrauchen. Liebevolle Achtung voreinander, das möchte man allen Eltern und Kindern wünschen." (http://www.astrid-lindgren-zentrum.at/schule/lindgren.html)
Astrid Lindgren engagierte sich in ihrem Leben politisch gegen Krieg, gegen Kernkraftwerke, gegen zu hohe Steuern und arbeitete auch für den Tierschutz. Lindgrens Hauptsorge galt jedoch zeitlebens vor allem den von Erwachsenen bevormundeten und durch Krieg geängstigten Kindern dieser Welt. Als Mensch fällt sie durch ihre hohe Empathiefähigkeit, Fantasie und Kreativität, Durchsetzungsfähigkeit, Humor, Charme und Lebensfreude auf. Ihre Kindheit und ihr Leben sehe ich als großes Vorbild für eine menschlichere und friedlichere Zukunft.
siehe ergänzend zu diesem Beitrag auch Astrid Lindgrens Position "Niemals Gewalt"
Samstag, 30. Mai 2009
Kindheit von Alice Schwarzer
Nachdem ich mich in der Vergangenheit hier viel mit den (schrecklichen) Kindheiten von Diktatoren beschäftig habe, war es mir wirklich eine Freude, mich nun mit der Kindheit von Alice Schwarzer zu befassen. Ich habe schon vor geraumer Zeit darüber nachgedacht, dass man eigentlich das Thema Ursachen von Gewalt/Destruktivität zusätzlich von einer ganz anderen Seite angehen müsste. Die TäterInnen bekommen stets viel Aufmerksamkeit und werden erforscht, was auch gut ist. Als „Vergleichsgruppe“ müsste man aber eigentlich auch die biographischen Hintergründe von Menschen analysieren, die eben nicht destruktiv handeln, sondern die sich vielmehr authentisch fürs Gemeinwohl einsetzen und durch ihr echtes Mitgefühl auffallen. Wenn ich die Zeit hätte, ich würde mir die Biographien von so einigen interessanten Menschen schnappen und diese durcharbeiten. Die erste Grundannahme wäre dabei für mich, dass solche Menschen sehr wahrscheinlich mindestens einen liebevollen und fürsorglichen Elternteil oder eine Elternfigur in ihrem Leben hatten, der/die Vorbildfunktionen übernahm und die Empathiefähigkeit des Kindes förderte. Die zweite Grundannahme wäre, dass solche Menschen sehr wahrscheinlich kaum oder keine Gewalt durch Elternteile oder Elternfiguren erlebt haben.
Zur Sache: Alice Schwarzer wuchs – unehelich geboren – bei „einem sehr fürsorglichen Großvater und einer sehr politischen Großmutter" (http://www.aliceschwarzer.de/144.html) wie eine Tochter auf und wurde von deren Erfahrungen geprägt. Ihre Mutter war für sie eher wie eine ältere Schwester, während dem Großvater die Mutterrolle zukam.
Über Alice Schwarzers biologischen Vater erfährt man nicht viel. Er war ein Freund ihrer Mutter und erfuhr nichts von der Schwangerschaft. Alice Schwarzer hat nach eigenen Angaben ihren Vater nie kennengelernt. (vgl. Mika, 1998, S. 28+52)
Ihr Großvater wird von Dünnebier & v. Paczensky (1998) als sensibler, weicher und zärtlicher Mensch beschrieben, der für das Kind die Breie kochte, Kuchen backte und am Abend Gute-Nacht-Geschichten vorlas. Die Großmutter interessierte sich seit die kleine Alice reden konnte sehr für sie, nahm sie ernst und beriet sich auch mit ihr. Zu den Großeltern sagte Alice Mama und Papa und zu ihrer Mutter Mutti. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Großeltern einen antiautoritären Erziehungsstil gegenüber Alice anwandten. Alice hatte als Kind sehr viele Freiheiten und durfte i.d.R. machen, was sie wollte. Alice musste sich an keine vorgeschriebenen Rollen anpassen, sie durfte als Mädchen wild spielen, Baumhäuser bauen, über spiegelglatte Straßen mit dem Schlitten rasen, stark sein usw. Zwangsläufig übernahm sie dadurch auch früh Verantwortung für ihr Leben. Insbesondere wurde sie als Person schon als Kind ernst genommen. Gewalt und Patriarchentum gab es in der Familie Schwarzer nicht. Bis heute haben sich ihr die beiden einzigen Male tief eingegraben, wo sie vom Großvater eine Ohrfeige bekommen hat, weil das so ganz außerhalb der Regeln war. Auch gab es in der Familie Schwarzer Vorbilder für Zivilcourage. „Ich hatte das Glück, in einer Familie aufgewachsen zu sein, die die Nazis gehasst hatte und weiterhin politisch wach blieb.“ (Dünnebier & v. Paczensky, 1998, S. 23)
Als schmerzvolle frühe Erfahrungen können wohl die Verwirrungen der Kriegsjahre und der damit zusammenhängende kurze Aufenthalt in einem Kinderheim angesehen werden. Später werden auch die Erfahrungen von heftigen Streitereien zwischen ihren Großeltern nicht spurlos an Alice vorübergegangen sein. Die Großmutter wird als ambivalenter Charakter beschrieben, mit Eigenschaften wie großem Gerechtigkeitssinn, Charakterstärke, Intelligenz, hohem politischen Bewusstsein usw., aber sie wird auch mit Worten wie tyrannisch und boshaft (gegenüber dem Großvater, nicht gegenüber Alice) und vom Leben enttäuscht dargestellt, was es Alice – die natürlich auf der Seite des geliebten Großvaters stand – sicherlich nicht gerade leicht machte.
Alles in allem hatte es Alice Schwarzer als Kind wohl auch in Teilen schwer. Die Autorin Bascha Mika versucht in ihrer „kritischen Biographie“ insbesondere die spezielle Familienkonstellation, die Familienstreitereien und die Rolle eines unehelich geborenen Kindes im Nachkriegsdeutschland herauszustellen. Bei Dünnebier & Paczensky werden diese Probleme erwähnt, aber nicht zum zentralen Problem, da Alice als Kind ihre Familiensituation selbst nicht im Wesentlichen als problematisch erlebte, hatte sie doch „Vater“ und „Mutter“, eine „Mutti“ und viele Freiheiten. Eher noch wird diese spezielle Situation zum Antriebspunkt, Dinge und gesellschaftliche Normen anders zu betrachten.
Auch die kritische Bascha Mika beschreibt allerdings den fürsorglichen, liebevollen Großvater, der gegen den Zeitgeist sehr mütterlich war. (vgl. Mika, 1998, S. 37ff) Alice Schwarzer erlebte Geborgenheit und Liebe und – für damalige Verhältnisse recht ungewöhnlich – keine traumatische Gewalt in der Familie. Schaut man sich das Leben und die Arbeit von Alice Schwarzer an, dann finden sich viele Verbindungslinien zu ihren Kindheitserfahrungen und ihrer (ungewöhnlichen) Sozialisation. Ihr authentischer und starker Einsatz gegen eine Spaltung von Menschen in Männer und Frauen, für mehr Emanzipation und Gerechtigkeit, gegen Krieg, gegen Kindesmissbrauch, gegen Extremismus usw., ihre humorvolle, lebensfrohe Art, ihre häufige Betonung, dass ihr Handeln sehr von Mitgefühl geleitet würde, die journalistische Arbeit für die Darstellung positiver Identifikationsfiguren bzw. Vorbilder, das Ernstnehmen ihrer LeserInnen und nicht zuletzt ihre Fähigkeit, keine Feindbilder für die Aufrechterhaltung ihres Selbstwertes zu brauchen (diesen Punkt mag der ein oder andere kritisch sehen, wenn man aber genau hinschaut, will Frau Schwarzer die Emanzipation im Grunde mit den Männern zusammen und auch für diese gestalten, nicht gegen sie.) all das bringt mich zu der Frage, ob Alice Schwarzers Weg der selbe gewesen wäre, hätte sie als Kind Gewalt durch ihre Elternfiguren erlebt. Alice Schwarzer sagte mit Bezug zur Wirkung der erlebten gewaltfreien Erziehung über sich selbst: „Und da ich zwar Schmerz, aber keine Erniedrigung und Gewalt innerhalb meiner Familie erlitten hatte, war ich, glaube ich, eine recht stolze, unerschrockene Person.“ (Dünnebier & v. Paczensky, 1998, S. 26f) Eine Aussage, die für sich spricht.
Literatur:
Dünnebier, A. & v. Paczensky, G. 1998: Das bewegte Leben der Alice Schwarzer. Die Biographie. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln.
Mika, B. 1998: Alice Schwarzer. Eine kritische Biographie. Rowohlt Verlag Reinbek.
Zur Sache: Alice Schwarzer wuchs – unehelich geboren – bei „einem sehr fürsorglichen Großvater und einer sehr politischen Großmutter" (http://www.aliceschwarzer.de/144.html) wie eine Tochter auf und wurde von deren Erfahrungen geprägt. Ihre Mutter war für sie eher wie eine ältere Schwester, während dem Großvater die Mutterrolle zukam.
Über Alice Schwarzers biologischen Vater erfährt man nicht viel. Er war ein Freund ihrer Mutter und erfuhr nichts von der Schwangerschaft. Alice Schwarzer hat nach eigenen Angaben ihren Vater nie kennengelernt. (vgl. Mika, 1998, S. 28+52)
Ihr Großvater wird von Dünnebier & v. Paczensky (1998) als sensibler, weicher und zärtlicher Mensch beschrieben, der für das Kind die Breie kochte, Kuchen backte und am Abend Gute-Nacht-Geschichten vorlas. Die Großmutter interessierte sich seit die kleine Alice reden konnte sehr für sie, nahm sie ernst und beriet sich auch mit ihr. Zu den Großeltern sagte Alice Mama und Papa und zu ihrer Mutter Mutti. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Großeltern einen antiautoritären Erziehungsstil gegenüber Alice anwandten. Alice hatte als Kind sehr viele Freiheiten und durfte i.d.R. machen, was sie wollte. Alice musste sich an keine vorgeschriebenen Rollen anpassen, sie durfte als Mädchen wild spielen, Baumhäuser bauen, über spiegelglatte Straßen mit dem Schlitten rasen, stark sein usw. Zwangsläufig übernahm sie dadurch auch früh Verantwortung für ihr Leben. Insbesondere wurde sie als Person schon als Kind ernst genommen. Gewalt und Patriarchentum gab es in der Familie Schwarzer nicht. Bis heute haben sich ihr die beiden einzigen Male tief eingegraben, wo sie vom Großvater eine Ohrfeige bekommen hat, weil das so ganz außerhalb der Regeln war. Auch gab es in der Familie Schwarzer Vorbilder für Zivilcourage. „Ich hatte das Glück, in einer Familie aufgewachsen zu sein, die die Nazis gehasst hatte und weiterhin politisch wach blieb.“ (Dünnebier & v. Paczensky, 1998, S. 23)
Als schmerzvolle frühe Erfahrungen können wohl die Verwirrungen der Kriegsjahre und der damit zusammenhängende kurze Aufenthalt in einem Kinderheim angesehen werden. Später werden auch die Erfahrungen von heftigen Streitereien zwischen ihren Großeltern nicht spurlos an Alice vorübergegangen sein. Die Großmutter wird als ambivalenter Charakter beschrieben, mit Eigenschaften wie großem Gerechtigkeitssinn, Charakterstärke, Intelligenz, hohem politischen Bewusstsein usw., aber sie wird auch mit Worten wie tyrannisch und boshaft (gegenüber dem Großvater, nicht gegenüber Alice) und vom Leben enttäuscht dargestellt, was es Alice – die natürlich auf der Seite des geliebten Großvaters stand – sicherlich nicht gerade leicht machte.
Alles in allem hatte es Alice Schwarzer als Kind wohl auch in Teilen schwer. Die Autorin Bascha Mika versucht in ihrer „kritischen Biographie“ insbesondere die spezielle Familienkonstellation, die Familienstreitereien und die Rolle eines unehelich geborenen Kindes im Nachkriegsdeutschland herauszustellen. Bei Dünnebier & Paczensky werden diese Probleme erwähnt, aber nicht zum zentralen Problem, da Alice als Kind ihre Familiensituation selbst nicht im Wesentlichen als problematisch erlebte, hatte sie doch „Vater“ und „Mutter“, eine „Mutti“ und viele Freiheiten. Eher noch wird diese spezielle Situation zum Antriebspunkt, Dinge und gesellschaftliche Normen anders zu betrachten.
Auch die kritische Bascha Mika beschreibt allerdings den fürsorglichen, liebevollen Großvater, der gegen den Zeitgeist sehr mütterlich war. (vgl. Mika, 1998, S. 37ff) Alice Schwarzer erlebte Geborgenheit und Liebe und – für damalige Verhältnisse recht ungewöhnlich – keine traumatische Gewalt in der Familie. Schaut man sich das Leben und die Arbeit von Alice Schwarzer an, dann finden sich viele Verbindungslinien zu ihren Kindheitserfahrungen und ihrer (ungewöhnlichen) Sozialisation. Ihr authentischer und starker Einsatz gegen eine Spaltung von Menschen in Männer und Frauen, für mehr Emanzipation und Gerechtigkeit, gegen Krieg, gegen Kindesmissbrauch, gegen Extremismus usw., ihre humorvolle, lebensfrohe Art, ihre häufige Betonung, dass ihr Handeln sehr von Mitgefühl geleitet würde, die journalistische Arbeit für die Darstellung positiver Identifikationsfiguren bzw. Vorbilder, das Ernstnehmen ihrer LeserInnen und nicht zuletzt ihre Fähigkeit, keine Feindbilder für die Aufrechterhaltung ihres Selbstwertes zu brauchen (diesen Punkt mag der ein oder andere kritisch sehen, wenn man aber genau hinschaut, will Frau Schwarzer die Emanzipation im Grunde mit den Männern zusammen und auch für diese gestalten, nicht gegen sie.) all das bringt mich zu der Frage, ob Alice Schwarzers Weg der selbe gewesen wäre, hätte sie als Kind Gewalt durch ihre Elternfiguren erlebt. Alice Schwarzer sagte mit Bezug zur Wirkung der erlebten gewaltfreien Erziehung über sich selbst: „Und da ich zwar Schmerz, aber keine Erniedrigung und Gewalt innerhalb meiner Familie erlitten hatte, war ich, glaube ich, eine recht stolze, unerschrockene Person.“ (Dünnebier & v. Paczensky, 1998, S. 26f) Eine Aussage, die für sich spricht.
Literatur:
Dünnebier, A. & v. Paczensky, G. 1998: Das bewegte Leben der Alice Schwarzer. Die Biographie. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln.
Mika, B. 1998: Alice Schwarzer. Eine kritische Biographie. Rowohlt Verlag Reinbek.
Mittwoch, 13. Mai 2009
Kindheit von Napoleon Bonaparte
Im Grundlagentext habe ich für dieses Thema wichtige Passagen über die Kindheit von Napoleon Bonaparte durch die Quelle "Neumayr, A. 1995: Diktatoren im Spiegel der Medizin. J & V Verlag, Wien. " hinzugefügt:
Der eränzte Text sieht wie folgt aus:
Schon als Kind fiel Napoleon nach Neumayr (1995) durch seine aufbrausende Art, seinen Jähzorn, seine Grobheit und bisweilen auch durch Brutalität auf. Ein ehemaliger Mitschüler Napoleons berichtet über ihn: „Immer lag etwas Bitteres in seinen Worten, sein Wesen hatte nichts Liebevolles (...).“ (Neumayr, 1995, S. 17)
Schon seine Jugendjahre waren zudem geprägt von Lebensmüdigkeit und depressiven Verstimmungen „Was soll ich in der Welt? Da ich doch einmal sterben muss, könnte ich mich dann nicht jetzt schon umbringen?“ und „Das Leben ist mir zur Last, ich habe keinen Genuss, alles wird Schmerz.“ (ebd., S. 18+19) An dieser Stelle wird deutlich, wie viel Wahrheit in dem Satz „Glückliche Menschen fangen keine Kriege an.“ (deMause, 2005, S. 109) steckt, diesen Satz habe ich über dem Inhaltsverzeichnis dem Gesamttext einleitend vorangestellt.
Als Erwachsener prägte Napoleon schließlich entscheidend die Entwicklungen in Europa und ging vor allem auf Grund seiner Feldzüge und Kriege in die Geschichte ein. Mit dem Namen Napoleon verbindet man auch einen ausgeprägten Größenwahn, Narzissmus und Minderwertigkeitskomplex.
Der eränzte Text sieht wie folgt aus:
Schon als Kind fiel Napoleon nach Neumayr (1995) durch seine aufbrausende Art, seinen Jähzorn, seine Grobheit und bisweilen auch durch Brutalität auf. Ein ehemaliger Mitschüler Napoleons berichtet über ihn: „Immer lag etwas Bitteres in seinen Worten, sein Wesen hatte nichts Liebevolles (...).“ (Neumayr, 1995, S. 17)
Schon seine Jugendjahre waren zudem geprägt von Lebensmüdigkeit und depressiven Verstimmungen „Was soll ich in der Welt? Da ich doch einmal sterben muss, könnte ich mich dann nicht jetzt schon umbringen?“ und „Das Leben ist mir zur Last, ich habe keinen Genuss, alles wird Schmerz.“ (ebd., S. 18+19) An dieser Stelle wird deutlich, wie viel Wahrheit in dem Satz „Glückliche Menschen fangen keine Kriege an.“ (deMause, 2005, S. 109) steckt, diesen Satz habe ich über dem Inhaltsverzeichnis dem Gesamttext einleitend vorangestellt.
Als Erwachsener prägte Napoleon schließlich entscheidend die Entwicklungen in Europa und ging vor allem auf Grund seiner Feldzüge und Kriege in die Geschichte ein. Mit dem Namen Napoleon verbindet man auch einen ausgeprägten Größenwahn, Narzissmus und Minderwertigkeitskomplex.
Dienstag, 5. Mai 2009
Kindheit von Nicolae Ceauşescu
Im Grundlagentext habe ich für dieses Thema wichtige Passagen über die Kindheit von Nicolae Ceauşescu durch die Quelle "Miller, A. 1990: Abbruch der Schweigemauer. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg. " hinzugefügt:
Über den Vater des rumänischen Diktators Nicolae Ceauşescu wird berichtet, dass er sein weniges Geld im Wirtshaus vertrank, statt seine Kinder zu ernähren (insgesamt hatte er 10 Kinder, wovon eines früh starb) und dass er seine Kinder täglich „zu ihrem Besten“ schlug. Die Mutter achtete streng auf die schulischen Leistungen der Kinder, die sie ebenfalls ausgiebig prügelte. (vgl. Miller, 1990, S. 115) Alice Miller analysiert in ihrem Beitrag u.a. den Wahn des Diktators Ceauşescu, der sein Volk zu einem Überfluss an Kindern zwang, die nicht ernährt und gewärmt werden konnten. „Der Tyrann hat sich für sein persönliches Schicksal stellvertretend an Tausenden Müttern, Vätern und Geschwistern gerächt. Indem er sich weigerte, sich mit seinem Schicksal zu konfrontieren, seine Geschichte und seine Gefühle von damals total verdrängt hielt, brachte er ein ganzes Volk an den Rand des Untergangs. Ceauşescu hat nicht nur die rumänischen Kinder in die gleiche Not getrieben, die einst die seine war: Lieblosigkeit, Hunger, Kälte, ständige Kontrolle und die allgegenwärtige Heuchelei. (...) Er wollte Millionen Frauen dazu zwingen, Mütter zu werden, um ja niemals fühlen zu müssen, was er als Kind verdrängte: dass er seiner Mutter nur eine Last war und dass seine Existenz nachweisbar von ihr vergessen wurde.“ (ebd., S. 120)
Über den Vater des rumänischen Diktators Nicolae Ceauşescu wird berichtet, dass er sein weniges Geld im Wirtshaus vertrank, statt seine Kinder zu ernähren (insgesamt hatte er 10 Kinder, wovon eines früh starb) und dass er seine Kinder täglich „zu ihrem Besten“ schlug. Die Mutter achtete streng auf die schulischen Leistungen der Kinder, die sie ebenfalls ausgiebig prügelte. (vgl. Miller, 1990, S. 115) Alice Miller analysiert in ihrem Beitrag u.a. den Wahn des Diktators Ceauşescu, der sein Volk zu einem Überfluss an Kindern zwang, die nicht ernährt und gewärmt werden konnten. „Der Tyrann hat sich für sein persönliches Schicksal stellvertretend an Tausenden Müttern, Vätern und Geschwistern gerächt. Indem er sich weigerte, sich mit seinem Schicksal zu konfrontieren, seine Geschichte und seine Gefühle von damals total verdrängt hielt, brachte er ein ganzes Volk an den Rand des Untergangs. Ceauşescu hat nicht nur die rumänischen Kinder in die gleiche Not getrieben, die einst die seine war: Lieblosigkeit, Hunger, Kälte, ständige Kontrolle und die allgegenwärtige Heuchelei. (...) Er wollte Millionen Frauen dazu zwingen, Mütter zu werden, um ja niemals fühlen zu müssen, was er als Kind verdrängte: dass er seiner Mutter nur eine Last war und dass seine Existenz nachweisbar von ihr vergessen wurde.“ (ebd., S. 120)
Montag, 4. Mai 2009
Kindheit von Saddam Hussein
Im Grundlagentext habe ich die Schilderungen über die Kindheit von Saddam Hussein noch mal wesentlich durch die Quelle "Coughlin, C. 2002: Saddam Hussein. Porträt eines Diktators. List Verlag, München." ergänzt.
Bzgl. der traumatischen Kindheit von Saddam Hussein standen mir ursprünglich nur einige kurze Passagen durch die Quelle deMause (2005) zur Verfügung. Im Internet fand ich fast nichts dazu. Ich vermutete, dass es wohl kaum gesicherte und ausführliche Darstellungen über seine Kindheit in einem kleinen irakischen Dorf geben würde. Falsch gedacht! Coughlin (2002) beschreibt Saddams Kindheit ausführlich in einem eigenen Kapitel und geht insbesondere auch auf die vielen Gewalterfahrungen ein, was fast schon etwas ungewöhnlich für einen Biographen ist. Ich hatte mit einem hohen Ausmass von Gewalt gegen Saddam gerechnet. Was ich bei Coughlin las, übertraf meine Vermutungen.
Ich frage mich, wer im Angesicht dieser Gewaltexzesse gegen das Kind Saddam noch ernsthaft die Augen vor einem deutlichen Zusammenhang von Saddams Kindheit und seiner späteren mörderischen Politik verschließen möchte?
Der Text lautet jetzt wie folgt:
Auch der irakische Diktator Saddam Hussein hatte laut deMause (2005) „eine unglaublich traumatische Kindheit“. „Seine Mutter versuchte ihn abzutreiben, indem sie mit den Fäusten gegen ihren Unterleib schlug, sich mit einem Küchenmesser schnitt und dabei schrie: „In meinem Bauch trage ich einen Satan!“ „ (deMause, 2005, S. 29) Saddam verlor früh den Vater, wobei die Umstände dessen Verschwindens im Dunkeln bleiben. Zur Vaterfigur wurde ein Onkel mütterlicherseits – Khairallah Tulfah -, bei dem Saddam unterkam und den er bewunderte. Dieser Onkel wird von Coughlin (2002) als „streitsüchtiger und launischer Mensch“ und als „unbelehrbarer Bewunderer Adolf Hitlers und des Nationalsozialismus“ beschrieben. (vgl. Coughlin, 2002, S. 46) DeMause schreibt, dass Saddam regelmäßig von diesem Onkel geschlagen wurde, dieser ihn den „Sohn eines Köters“ nannte und er Saddam beibrachte, wie man eine Waffe gebraucht. (vgl. deMause, 2005, S. 29) Khairallah kam schließlich für seine Naziverehrung ins Gefängnis und der junge Saddam musste wieder bei seiner Mutter leben, die mittlerweile einen neuen Mann gefunden hatte. Willkommen geheißen wurde er nicht und er scheint in seinem zu Hause „sträflich vernachlässigt worden zu sein“. Der neue Stiefvater war zudem brutal. Er „(...) verpasste dem kleinen Jungen gern eine Tracht Prügel mit einem mit Asphalt überzogenen Stock.“ (Coughlin, 2002, S. 48) Saddam Hussein vertraute dem offiziellen Biographen Iskander an, dass er niemals jung und unbeschwert war, sondern stets ein eher trauriges Kind, das sich von den anderen fern hielt. Coughlin spekuliert auch über einen möglichen sexuellen Missbrauch Saddams durch den Stiefvater. (vgl. ebd.) Da Saddam vaterlos und ein Außenseiter war, wurde er zusätzlich gnadenlos von den anderen Kindern des Dorfes gehänselt und oft auch verprügelt. „Er wurde so schlimm drangsaliert, dass er sich angewöhnte, zur Verteidigung einen Eisenstab mitzunehmen, wenn er sich aus dem Haus wagte.“ (ebd., S. 49)
Saddam Hussein vergötterte seine Mutter (die nebenbei bemerkt auf keinem erhaltenden Foto lächelte, sondern eher finster dreinblickte) bis zu ihrem Tode, worüber sich der Biograph Coughlin „angesichts der Erniedrigungen“ sehr wundert. (Anmerkung: Wenn man sich die Fakten anschaut, erscheint Saddams Bezeichnung für den ersten Golfkrieg als "Mutter aller Schlachten" in einem ganz anderen Licht...)Ebenso verehrte er seinen (gewalttätigen) Onkel, den er später zum Bürgermeister von Bagdad machte. Hier findet sich erneut eine starke Identifikation mit den Aggressoren.
Saddam Hussein verübte nach deMause seinen ersten Mord im Alter von 11 Jahren... (vgl. deMause, 2005, S. 29)
Nachbemerkung:
Alice Miller sprach sich in einem SPIEGEL-Online Artikel für die Todesstrafe gegen Saddam Hussein aus. „Selbstverständlich bin ich gegen die Todesstrafe im Allgemeinen, doch mit Ausnahme der Diktatoren. Es geht mir hier nicht um die "gerechte Strafe", sondern vielmehr um Prävention, um die Vorbeugung von neuen mörderischen Taten. Diktatoren haben bewiesen, dass es ihnen immer wieder bis zu ihrem Tode gelungen ist, Menschen zu verführen und sie sich zu unterwerfen. Daran arbeiten sie, solange sie leben.“ (SPIEGEL-Online, 12.01.2004, Alice Miller über Saddam Hussein: „Mitleid mit dem Vater“)
Mich verwundert diese Einstellung, trotz ihrer „sachlichen Argumentation“. War es doch vor allem Alice Miller, die immer wieder darauf aufmerksam gemacht hat, dass die Menschen sich destruktiver, unbewusster Prozesse bewusst werden müssen, um Gewalt verhindern zu können. Einen Diktator zu töten, bringt gar nichts und würde außerdem den Vollstrecker selbst zum Mörder machen. Ich halte mehr davon, die destruktive Kindheit dieser Tyrannen öffentlich zu machen, den Menschen klar zu machen, warum diese so handeln und natürlich breiten Kinderschutz voranzutreiben.
Bzgl. der traumatischen Kindheit von Saddam Hussein standen mir ursprünglich nur einige kurze Passagen durch die Quelle deMause (2005) zur Verfügung. Im Internet fand ich fast nichts dazu. Ich vermutete, dass es wohl kaum gesicherte und ausführliche Darstellungen über seine Kindheit in einem kleinen irakischen Dorf geben würde. Falsch gedacht! Coughlin (2002) beschreibt Saddams Kindheit ausführlich in einem eigenen Kapitel und geht insbesondere auch auf die vielen Gewalterfahrungen ein, was fast schon etwas ungewöhnlich für einen Biographen ist. Ich hatte mit einem hohen Ausmass von Gewalt gegen Saddam gerechnet. Was ich bei Coughlin las, übertraf meine Vermutungen.
Ich frage mich, wer im Angesicht dieser Gewaltexzesse gegen das Kind Saddam noch ernsthaft die Augen vor einem deutlichen Zusammenhang von Saddams Kindheit und seiner späteren mörderischen Politik verschließen möchte?
Der Text lautet jetzt wie folgt:
Auch der irakische Diktator Saddam Hussein hatte laut deMause (2005) „eine unglaublich traumatische Kindheit“. „Seine Mutter versuchte ihn abzutreiben, indem sie mit den Fäusten gegen ihren Unterleib schlug, sich mit einem Küchenmesser schnitt und dabei schrie: „In meinem Bauch trage ich einen Satan!“ „ (deMause, 2005, S. 29) Saddam verlor früh den Vater, wobei die Umstände dessen Verschwindens im Dunkeln bleiben. Zur Vaterfigur wurde ein Onkel mütterlicherseits – Khairallah Tulfah -, bei dem Saddam unterkam und den er bewunderte. Dieser Onkel wird von Coughlin (2002) als „streitsüchtiger und launischer Mensch“ und als „unbelehrbarer Bewunderer Adolf Hitlers und des Nationalsozialismus“ beschrieben. (vgl. Coughlin, 2002, S. 46) DeMause schreibt, dass Saddam regelmäßig von diesem Onkel geschlagen wurde, dieser ihn den „Sohn eines Köters“ nannte und er Saddam beibrachte, wie man eine Waffe gebraucht. (vgl. deMause, 2005, S. 29) Khairallah kam schließlich für seine Naziverehrung ins Gefängnis und der junge Saddam musste wieder bei seiner Mutter leben, die mittlerweile einen neuen Mann gefunden hatte. Willkommen geheißen wurde er nicht und er scheint in seinem zu Hause „sträflich vernachlässigt worden zu sein“. Der neue Stiefvater war zudem brutal. Er „(...) verpasste dem kleinen Jungen gern eine Tracht Prügel mit einem mit Asphalt überzogenen Stock.“ (Coughlin, 2002, S. 48) Saddam Hussein vertraute dem offiziellen Biographen Iskander an, dass er niemals jung und unbeschwert war, sondern stets ein eher trauriges Kind, das sich von den anderen fern hielt. Coughlin spekuliert auch über einen möglichen sexuellen Missbrauch Saddams durch den Stiefvater. (vgl. ebd.) Da Saddam vaterlos und ein Außenseiter war, wurde er zusätzlich gnadenlos von den anderen Kindern des Dorfes gehänselt und oft auch verprügelt. „Er wurde so schlimm drangsaliert, dass er sich angewöhnte, zur Verteidigung einen Eisenstab mitzunehmen, wenn er sich aus dem Haus wagte.“ (ebd., S. 49)
Saddam Hussein vergötterte seine Mutter (die nebenbei bemerkt auf keinem erhaltenden Foto lächelte, sondern eher finster dreinblickte) bis zu ihrem Tode, worüber sich der Biograph Coughlin „angesichts der Erniedrigungen“ sehr wundert. (Anmerkung: Wenn man sich die Fakten anschaut, erscheint Saddams Bezeichnung für den ersten Golfkrieg als "Mutter aller Schlachten" in einem ganz anderen Licht...)Ebenso verehrte er seinen (gewalttätigen) Onkel, den er später zum Bürgermeister von Bagdad machte. Hier findet sich erneut eine starke Identifikation mit den Aggressoren.
Saddam Hussein verübte nach deMause seinen ersten Mord im Alter von 11 Jahren... (vgl. deMause, 2005, S. 29)
Nachbemerkung:
Alice Miller sprach sich in einem SPIEGEL-Online Artikel für die Todesstrafe gegen Saddam Hussein aus. „Selbstverständlich bin ich gegen die Todesstrafe im Allgemeinen, doch mit Ausnahme der Diktatoren. Es geht mir hier nicht um die "gerechte Strafe", sondern vielmehr um Prävention, um die Vorbeugung von neuen mörderischen Taten. Diktatoren haben bewiesen, dass es ihnen immer wieder bis zu ihrem Tode gelungen ist, Menschen zu verführen und sie sich zu unterwerfen. Daran arbeiten sie, solange sie leben.“ (SPIEGEL-Online, 12.01.2004, Alice Miller über Saddam Hussein: „Mitleid mit dem Vater“)
Mich verwundert diese Einstellung, trotz ihrer „sachlichen Argumentation“. War es doch vor allem Alice Miller, die immer wieder darauf aufmerksam gemacht hat, dass die Menschen sich destruktiver, unbewusster Prozesse bewusst werden müssen, um Gewalt verhindern zu können. Einen Diktator zu töten, bringt gar nichts und würde außerdem den Vollstrecker selbst zum Mörder machen. Ich halte mehr davon, die destruktive Kindheit dieser Tyrannen öffentlich zu machen, den Menschen klar zu machen, warum diese so handeln und natürlich breiten Kinderschutz voranzutreiben.
Freitag, 27. März 2009
Amoklauf von Winnenden und die Medien
Gestern Abend meldete sich erstmals ein Vater, dessen Tochter durch den Amokläufer von Winnenden erschossen wurde, im Fernsehen bei "Maybrit ILLNER" zu Wort. Neben vielen Dingen sagte er auch einen sehr wichtigen Satz: „Tim K. hatte kein Gewissen!“ Die anschließende Diskussionsrunde beschäftigte sich dann ausschließlich mit Forderungen nach schärferen Waffengesetzen und mehr Jugendschutz bei Computerspielen. Auch in dem Offenen Brief der Opfer-Familien aus Winnenden an die Politik ging es hauptsächlich um diese Forderungen. (Von den Eltern erwarte ich allerdings auch keine tiefere Analyse, sehr wohl aber von den Medien) Zu diesen Punkten möchte ich jetzt gar nicht weiter Position beziehen.
Mich wundert allerdings, warum der Satz „Tim K. hatte kein Gewissen!“ nicht aufgegriffen wurde? Mich wundert in der medialen Diskussion sowieso, warum dieser Satz nicht zur Frage „Wie kommt es, dass ein 17jähriger kein Gewissen mehr hat?“ umformuliert eine zentrale Rolle einnimmt?
Man scheint fast davon auszugehen, dass dies wohl in unserer Gesellschaft irgendwie normal ist, dass es „zum Menschsein gehört“, dass mal der ein oder andere Amok läuft. Keiner scheint nach dem Verlauf einer Sozialisation zu Fragen, die ganz offensichtlich einen gefühlskalten jungen Mann hervorbrachte, der kein Gewissen und keinerlei Mitgefühl mehr hatte. Zumindest fanden sich in einem Text von Alice Schwarzer einige Fragen in Richtung männliche Sozialisation und am Ende die Forderung nach „aufmerksamen, zugewandten Eltern und LehrerInnen, mehr Psychologen und Sozialarbeiter in Schulen und Jugendhäusern – sowie eine Erziehung nicht etwa zum Selbstmitleid und zur "Männlichkeit", sondern zur Mitleidensfähigkeit und Menschlichkeit.“
Alice Schwarzer stand ja ursprünglich auch auf der Gästeliste der gestrigen Sendung, kam dann aber doch nicht zu Wort, schade. Diese Forderungen gehen schon mehr in die Tiefe.
Darüber hinaus sollte noch der Punkt Kinderschutz- und -fürsorge ausführlich diskutiert werden. In den Medien wird ja gerne von dem behütenden Elternhaus des Täters gesprochen, wohl weil diese wohlhabend und sehr bürgerlich sind. Man muss hier fragen, ob ein wirklich behütetes und geliebtes Kind überhaupt eine derartige Gefühlskälte entwickeln kann?
weiteres zu dem Thema:
- Amokläufer Tim K. - neue Details
- Interview mit "Beinahe-Amokläufer"
Mich wundert allerdings, warum der Satz „Tim K. hatte kein Gewissen!“ nicht aufgegriffen wurde? Mich wundert in der medialen Diskussion sowieso, warum dieser Satz nicht zur Frage „Wie kommt es, dass ein 17jähriger kein Gewissen mehr hat?“ umformuliert eine zentrale Rolle einnimmt?
Man scheint fast davon auszugehen, dass dies wohl in unserer Gesellschaft irgendwie normal ist, dass es „zum Menschsein gehört“, dass mal der ein oder andere Amok läuft. Keiner scheint nach dem Verlauf einer Sozialisation zu Fragen, die ganz offensichtlich einen gefühlskalten jungen Mann hervorbrachte, der kein Gewissen und keinerlei Mitgefühl mehr hatte. Zumindest fanden sich in einem Text von Alice Schwarzer einige Fragen in Richtung männliche Sozialisation und am Ende die Forderung nach „aufmerksamen, zugewandten Eltern und LehrerInnen, mehr Psychologen und Sozialarbeiter in Schulen und Jugendhäusern – sowie eine Erziehung nicht etwa zum Selbstmitleid und zur "Männlichkeit", sondern zur Mitleidensfähigkeit und Menschlichkeit.“
Alice Schwarzer stand ja ursprünglich auch auf der Gästeliste der gestrigen Sendung, kam dann aber doch nicht zu Wort, schade. Diese Forderungen gehen schon mehr in die Tiefe.
Darüber hinaus sollte noch der Punkt Kinderschutz- und -fürsorge ausführlich diskutiert werden. In den Medien wird ja gerne von dem behütenden Elternhaus des Täters gesprochen, wohl weil diese wohlhabend und sehr bürgerlich sind. Man muss hier fragen, ob ein wirklich behütetes und geliebtes Kind überhaupt eine derartige Gefühlskälte entwickeln kann?
weiteres zu dem Thema:
- Amokläufer Tim K. - neue Details
- Interview mit "Beinahe-Amokläufer"
Freitag, 20. März 2009
Fuck the world!
In dem SPIEGEL-TV Bericht „Polizei gegen Jugendgewalt, Teil 3“ (vom 09.03.2009) wurde u.a. ein (ursprünglich aus Afghanistan stammender) junger Mann während einer Vernehmung im Jugendgefängnis vorgestellt. Zu diesem Bericht möchte ich einige Gedanken zusammenfassen.
Der Mann ist ein bulliger, unruhiger Kerl, vor dem man in der Tat Angst haben müsste, wären nicht zwei Polizisten im Raum. „Einsichtig“ berichtet er, dass er bzgl. einer seiner Straftaten heute anders gehandelt hätte. Damals gab es einen Konflikt mit einem anderen Jugendlichen. Er schnitt ihm darauf ein Ohr ab. Heute würden es auch Schläge tun, meint er...
Und dann sprudelt es während der Befragung aus ihm heraus. „Ich war nicht immer so, ich wurde zu dem gemacht, was ich heute bin.“ In Afghanistan herrschte überall Gewalt, berichtet er. Zu Hause in der Familie und auch draußen. Nirgends gab es Sicherheit. Er musste lernen, zu überleben. Dann zieht er sein T-Shirt aus und zeigt seine vielen Tätowierungen. Diese habe er sich nicht zum Vergnügen machen lassen. Sie seien alle Symbole. Hinten am Rücken prangt in großer Schrift „FUCK THE WORLD“. Diesen Schriftzug habe er machen lassen, nachdem sein Vater gestorben war. Die beiden Beamten im Raum verfolgen still und fast etwas betroffen (so kam es mir vor) diese Schilderungen.
Dieser Intensivtäter kommt einem in dem Bericht nah, zumindest ging es mir so. Und gleichzeitig möchte man ihn auf Distanz halten und ihm nicht alleine begegnen. Ich empfand Erschrecken und auch Mitleid für das, was dieser Mann früher erleiden musste. Vor allem das eintätowierte „Fuck the World“ brachte zum Vorschein, dass sich dieser Mann aufgegeben hat. Ich fragte mich, ob es überhaupt menschmöglich (z.B. in einer Therapie) sein könnte, an einen so tief verletzten Menschen heran zu kommen?
Gleichzeitig entschuldigt dies nichts und man muss die Gesellschaft vor ihm schützen. Da fühlte ich ganz klar eine Grenze. Und irgendwie wollte ich ihm auch zurufen: „Du bist verantwortlich für das, was Du getan hast!“
Im direkten Kontakt mit den Tätern ist dieses „Du bist verantwortlich für das, was Du getan hast!“ notwendig und das einzig richtige. Die Verantwortung für die eigenen Taten zu übernehmen, ist nebenbei bemerkt auch für die Heilung von Tätern sehr wichtig. Erst danach könnten sie sich selbst langsam ihre Taten verzeihen und Frieden finden. In der Realität geschieht dies leider selten. In der Analyse „von oben“ würde ich der Aussage „Ich war nicht immer so, ich wurde zu dem gemacht, was ich heute bin.“ zustimmen. Für mich geht das beides, ich weiß aber auch darum, dass genau dies ein Problem für viele darstellt.
Nun habe ich mich im Grundlagentext intensiv mit Diktatoren beschäftigt, von denen einige Millionen Menschen auf dem Gewissen haben. Ich vermute, dass es vielen Menschen aufstoßen wird, wenn ich die Kindheit dieser Schlächter beschreibe.
Was ich sagen will ist: Mir geht es hier um ein Grundverständnis dafür, wie Gewalt und Hass entsteht. Und dies aus präventiven Gründen. Das kann ich gar nicht oft genug wiederholen. Ich möchte die TäterInnen nicht entschuldigen! Wenn man dies begriffen hat, dann kann man sich wirklich auf das Thema einlassen. Der nächste Schritt wäre dann im Grunde der, dass man weltweiten Kinderschutz intensiv vorantreibt. Damit nicht noch mehr Menschen in ihre Seele und manch einer auch auf seinen Körper einbrennen „FUCK THE WORLD!“
Der Mann ist ein bulliger, unruhiger Kerl, vor dem man in der Tat Angst haben müsste, wären nicht zwei Polizisten im Raum. „Einsichtig“ berichtet er, dass er bzgl. einer seiner Straftaten heute anders gehandelt hätte. Damals gab es einen Konflikt mit einem anderen Jugendlichen. Er schnitt ihm darauf ein Ohr ab. Heute würden es auch Schläge tun, meint er...
Und dann sprudelt es während der Befragung aus ihm heraus. „Ich war nicht immer so, ich wurde zu dem gemacht, was ich heute bin.“ In Afghanistan herrschte überall Gewalt, berichtet er. Zu Hause in der Familie und auch draußen. Nirgends gab es Sicherheit. Er musste lernen, zu überleben. Dann zieht er sein T-Shirt aus und zeigt seine vielen Tätowierungen. Diese habe er sich nicht zum Vergnügen machen lassen. Sie seien alle Symbole. Hinten am Rücken prangt in großer Schrift „FUCK THE WORLD“. Diesen Schriftzug habe er machen lassen, nachdem sein Vater gestorben war. Die beiden Beamten im Raum verfolgen still und fast etwas betroffen (so kam es mir vor) diese Schilderungen.
Dieser Intensivtäter kommt einem in dem Bericht nah, zumindest ging es mir so. Und gleichzeitig möchte man ihn auf Distanz halten und ihm nicht alleine begegnen. Ich empfand Erschrecken und auch Mitleid für das, was dieser Mann früher erleiden musste. Vor allem das eintätowierte „Fuck the World“ brachte zum Vorschein, dass sich dieser Mann aufgegeben hat. Ich fragte mich, ob es überhaupt menschmöglich (z.B. in einer Therapie) sein könnte, an einen so tief verletzten Menschen heran zu kommen?
Gleichzeitig entschuldigt dies nichts und man muss die Gesellschaft vor ihm schützen. Da fühlte ich ganz klar eine Grenze. Und irgendwie wollte ich ihm auch zurufen: „Du bist verantwortlich für das, was Du getan hast!“
Im direkten Kontakt mit den Tätern ist dieses „Du bist verantwortlich für das, was Du getan hast!“ notwendig und das einzig richtige. Die Verantwortung für die eigenen Taten zu übernehmen, ist nebenbei bemerkt auch für die Heilung von Tätern sehr wichtig. Erst danach könnten sie sich selbst langsam ihre Taten verzeihen und Frieden finden. In der Realität geschieht dies leider selten. In der Analyse „von oben“ würde ich der Aussage „Ich war nicht immer so, ich wurde zu dem gemacht, was ich heute bin.“ zustimmen. Für mich geht das beides, ich weiß aber auch darum, dass genau dies ein Problem für viele darstellt.
Nun habe ich mich im Grundlagentext intensiv mit Diktatoren beschäftigt, von denen einige Millionen Menschen auf dem Gewissen haben. Ich vermute, dass es vielen Menschen aufstoßen wird, wenn ich die Kindheit dieser Schlächter beschreibe.
Was ich sagen will ist: Mir geht es hier um ein Grundverständnis dafür, wie Gewalt und Hass entsteht. Und dies aus präventiven Gründen. Das kann ich gar nicht oft genug wiederholen. Ich möchte die TäterInnen nicht entschuldigen! Wenn man dies begriffen hat, dann kann man sich wirklich auf das Thema einlassen. Der nächste Schritt wäre dann im Grunde der, dass man weltweiten Kinderschutz intensiv vorantreibt. Damit nicht noch mehr Menschen in ihre Seele und manch einer auch auf seinen Körper einbrennen „FUCK THE WORLD!“
Samstag, 7. März 2009
Vom Fühlen eines Schwerverbrechers
Bei SPIEGEL-Online findet sich ein Bericht ("Ich bin lebendiger, als du es je warst", 06.03.2009) über den „Ausbrecherkönig“ MICHEL VAUJOUR. 27 Jahre hat dieser im Gefängnis gesessen, 17 Jahre davon in Einzelhaft. Fünfmal ist er getürmt, ein Ausbruch war spektakulärer als der andere, wird berichtet.
Im Artikel erfährt man beiläufig, wie Vaujour als 17 Jähriger aus einem Gefühl der „Sinnlosigkeit“ heraus anfing zu klauen. Von den Eltern war er als Kind früh zu einer Tante abgeschoben worden. Er sei ein „wildes Kind“ gewesen. Im Gefängnis lernt er Gilles kennen. Später folgte eine Reihe von Überfällen und Diebstählen an Gilles Seite, dessen Frau und Schwester – die für Vaujour die "einzige echte Familie" waren, die er je kannte. Dies sind kleine aber wichtige Hinweise über die familiären Hintergründe dieses Schwerverbrechers.
Bezeichnend fand ich folgende Stelle im Text:
Bei einem Banküberfall geschah das, was Vaujour heute "meinen schönsten Ausbruch" nennt: Eine Kugel aus der Waffe eines Polizisten trifft ihn im Kopf. "Als ich da auf dem Trottoir lag, diese Kugel im Kopf, hörte ich noch den Polizisten zu seinem Kollegen sagen: 'Vergiss den, der ist schon tot!' Da dachte ich bei mir: 'Ich bin lebendiger, als du es jemals warst.'"
Nach dieser todesnahen Erfahrung änderte er sein Leben, sagt der SPIEGEL.
Hier finden sich erneut Parallelen zu Fallbeispielen, die ich im Beitrag „Krieg der Kindergangs“ dargestellt habe. Menschen wie Vaujour suchen die Bedrohung und den Tod, um sich dadurch „lebendig“ zu fühlen. Das ist eine erschreckende Erkenntnis.
Menschen, die als Kind Liebe und Achtung erfahren haben, werden keine Todesnähe brauchen, um sich zu fühlen. Ihr Leben wird durch alltägliches echtes Fühlen reich sein.
Im Artikel erfährt man beiläufig, wie Vaujour als 17 Jähriger aus einem Gefühl der „Sinnlosigkeit“ heraus anfing zu klauen. Von den Eltern war er als Kind früh zu einer Tante abgeschoben worden. Er sei ein „wildes Kind“ gewesen. Im Gefängnis lernt er Gilles kennen. Später folgte eine Reihe von Überfällen und Diebstählen an Gilles Seite, dessen Frau und Schwester – die für Vaujour die "einzige echte Familie" waren, die er je kannte. Dies sind kleine aber wichtige Hinweise über die familiären Hintergründe dieses Schwerverbrechers.
Bezeichnend fand ich folgende Stelle im Text:
Bei einem Banküberfall geschah das, was Vaujour heute "meinen schönsten Ausbruch" nennt: Eine Kugel aus der Waffe eines Polizisten trifft ihn im Kopf. "Als ich da auf dem Trottoir lag, diese Kugel im Kopf, hörte ich noch den Polizisten zu seinem Kollegen sagen: 'Vergiss den, der ist schon tot!' Da dachte ich bei mir: 'Ich bin lebendiger, als du es jemals warst.'"
Nach dieser todesnahen Erfahrung änderte er sein Leben, sagt der SPIEGEL.
Hier finden sich erneut Parallelen zu Fallbeispielen, die ich im Beitrag „Krieg der Kindergangs“ dargestellt habe. Menschen wie Vaujour suchen die Bedrohung und den Tod, um sich dadurch „lebendig“ zu fühlen. Das ist eine erschreckende Erkenntnis.
Menschen, die als Kind Liebe und Achtung erfahren haben, werden keine Todesnähe brauchen, um sich zu fühlen. Ihr Leben wird durch alltägliches echtes Fühlen reich sein.
Samstag, 14. Februar 2009
Antisemitismus steigt, die tieferen Ursachen werden nicht gesehen
Im Deutschland Radio wurde heute Morgen berichtet, dass sich in Großbritannien seit dem Gaza Krieg die Zahl antisemitischer Übergriffe im Vergleich zum Vorjahr verzehnfacht habe. Ein jüdischer Brite schilderte im Interview einen Übergriff, bei dem er durch zwei Männer ohne Vorwarnung verprügelt und getreten wurde. Begleitet wurden die Schläge durch den Kommentar: „Das ist dafür, was Ihr mit den Palästinensern gemacht habt!“
Das Thema Gaza-Krieg lässt mich noch nicht los, so scheint es. An Hand dieses o.g. Beispiels wird noch mal einiges deutlich, was mir durch den Kopf geht.
Es liegt zunächst ganz oberflächlich betrachtet auf der Hand, dass der Gaza-Krieg in einem Zusammenhang mit dem gestiegenen offenen Antisemitismus in Britannien steht. Ohne diesen Krieg wäre die Zahl der Übergriffe sehr wahrscheinlich nicht derart angestiegen. Das ist das eine.
Trotzdem hat beides in der Tiefe nicht wirklich etwas mit einander zu tun! Wie kommen Menschen (in diesem Fall wohl auch mehrheitlich Männer) dazu, ihre Nachbarn für etwas zu misshandeln, was sich tausend Meilen von ihnen weg zugetragen und direkt mit ihnen gar nichts zu tun hat? Die Antwort: Solche Menschen suchen nach einem Zündfunken (welchen auch immer), den sie für sich nutzen können, um einen Hass auf Andere auszuschütten, der aus ihrem eigenen, tiefsten Inneren (eigenem Selbsthass) kommt und im Grunde nichts mit der äußeren Situation zu tun hat. Kindheitserfahrungen spielen hier eine entscheidende Rolle. Gaza-Krieg hin oder her, die selben Akteure hätte früher oder später ein anderes Opfer aus einem anderen Grund gefunden. Wer einmal den Weg eingeschlagen hat, innere Konflikte an anderen abzulassen, der findet immer einen Grund.
Im Deutschland Radio wurde erwähnt, dass man mehr Aufklärungsarbeit leisten müsse, um solche Übergriffe zu verhindern. Ein Ansatz der nur auf der Oberfläche verharrt. Solange sich die Welt da draußen mehrheitlich nur mit Zündfunken beschäftigt und den Blick nicht auf das Dynamit richtet, solange sind solche Blogs wie dieser hier notwendig. Und vielleicht werde ich es noch erleben, dass in einer Radiosendung bzgl. solcher Übergriffe irgendwann ganz selbstverständlich auf psychohistorische Thesen und notwenige(n) Kinderschutz/-fürsorge hingewiesen wird.
Das Thema Gaza-Krieg lässt mich noch nicht los, so scheint es. An Hand dieses o.g. Beispiels wird noch mal einiges deutlich, was mir durch den Kopf geht.
Es liegt zunächst ganz oberflächlich betrachtet auf der Hand, dass der Gaza-Krieg in einem Zusammenhang mit dem gestiegenen offenen Antisemitismus in Britannien steht. Ohne diesen Krieg wäre die Zahl der Übergriffe sehr wahrscheinlich nicht derart angestiegen. Das ist das eine.
Trotzdem hat beides in der Tiefe nicht wirklich etwas mit einander zu tun! Wie kommen Menschen (in diesem Fall wohl auch mehrheitlich Männer) dazu, ihre Nachbarn für etwas zu misshandeln, was sich tausend Meilen von ihnen weg zugetragen und direkt mit ihnen gar nichts zu tun hat? Die Antwort: Solche Menschen suchen nach einem Zündfunken (welchen auch immer), den sie für sich nutzen können, um einen Hass auf Andere auszuschütten, der aus ihrem eigenen, tiefsten Inneren (eigenem Selbsthass) kommt und im Grunde nichts mit der äußeren Situation zu tun hat. Kindheitserfahrungen spielen hier eine entscheidende Rolle. Gaza-Krieg hin oder her, die selben Akteure hätte früher oder später ein anderes Opfer aus einem anderen Grund gefunden. Wer einmal den Weg eingeschlagen hat, innere Konflikte an anderen abzulassen, der findet immer einen Grund.
Im Deutschland Radio wurde erwähnt, dass man mehr Aufklärungsarbeit leisten müsse, um solche Übergriffe zu verhindern. Ein Ansatz der nur auf der Oberfläche verharrt. Solange sich die Welt da draußen mehrheitlich nur mit Zündfunken beschäftigt und den Blick nicht auf das Dynamit richtet, solange sind solche Blogs wie dieser hier notwendig. Und vielleicht werde ich es noch erleben, dass in einer Radiosendung bzgl. solcher Übergriffe irgendwann ganz selbstverständlich auf psychohistorische Thesen und notwenige(n) Kinderschutz/-fürsorge hingewiesen wird.
Sonntag, 8. Februar 2009
Knessetwahl in Israel als Kriegsgrund? Wohl kaum
Als „rationaler“ Grund für den israelischen Angriff auf Gaza wird u.a. die am 10. Februar 2009 anstehende Knessetwahl in Israel genannt. Mein erster Gedanke dazu ist: Selbst wenn dies ein wichtiger Hintergrund des Angriffes wäre und sich die Regierungsparteien dadurch einen höhern Wahlerfolg ausgerechnet hätte, wäre dieser Entscheidungsprozess ein kranker und nicht einer von psychisch gesunden Menschen. Denn dies würde bedeuten, dass das israelische Volk das Töten von ca. 1.400 Palästinensern mit ihrem Urnengang belohnen würde. Wenn dem dann am 10.02. so sein sollte, würden hier im israelischen Volk starke Bedürfnisse nach einer kollektiven Bestrafung ihres Nachbarn zu Tage treten (ein Zeichen für tiefere emotionale Gründe). Die Regierung wäre dann nur der ausführende Part dieser Bedürfnisse und würde dem Willen des Volkes entsprechen.
Dazu kommt: Unter dem Eindruck eines Krieges wählen die Menschen erfahrungsgemäß meist rechts (was sicherlich auch den PolitikerInnen bekannt sein dürfte). So wird derzeit auch in Israel ein Rechtsruck erwartet. Verlierer könnten hier entsprechend die Regierungsparteien sein. Insbesondere die Hardliner Benjamin Netanjahu (Likud Partei) und vielmehr noch Avigdor Lieberman (Partei Yisrael Beiteinu) könnten Stimmen dazu gewinnen. Wo ist hier also der rationale Grund für den Gaza-Krieg, wenn doch sogar ein Regierungsverlust zu erwarten war und ist?
Interessant finde ich an dieser Stelle eine gemeinsame israelisch-palästinensische Umfrage (durchgeführt vom 27. Mai bis zum 7. Juni 2008), veröffentlich von der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. am 12. Juni 2008.
U.a. wird als Ergebnis genannt:
50 % der Israelis lehnen einen Waffenstillstand mit der Hamas ab, welcher die Einstellung von gewalttätigen Aktivitäten und Kassam-Angriffen auf Israel durch die Hamas sowie militärische Operationen der Israelis im Gazastreifen und die Aufhebung. der Blockademaßnahmen beinhalten würde. 47 % befürworten solch eine Vereinbarung. Die Ablehnung steigt auf 68 %, sollte eine Vereinbarung mit der Hamas nicht die Freilassung von Gilad Svhalit (Anmerkung: vor zweieinhalb Jahren entführten israelischer Soldat) beinhalten.
Auf palästinensischer Seite sprechen sich 78 % für einen Waffenstillstand mit Israel aus. Diese Unterstützung fällt jedoch rapide ab auf 23 %, sollte ein Waffenstillstandsabkommen lediglich auf den Gazastreifen begrenzt bleiben und nicht die Westbank mit einbeziehen. Darüber hinaus fällt die Unterstützung weiter auf 20 % für den Fall, dass eine Vereinbarung nicht die unmittelbare Öffnung der Grenzen, insbesondere des Ra-fah-Grenzüberganges zwischen Gazastreifen und Ägypten, zur Folge haben sollte.
Wenn man es mal von der positiven Seite betrachtet, waren also grundsätzlich fast die Hälfte der Israelis bereit, einen Waffenstillstand mit der Hamas zu vereinbaren. Rein rational betrachtet ist dies ein ganz erheblicher Teil der Wählerschaft. Israel hätte also auch aus einem inneren Interesse heraus den ab dem 19.Juni verhandelten Stopp des Raketenbeschusses weiter ausdehnen und festigen können. Gleichzeitig zeigt sich an Hand der Umfrage, dass 78 % der Palästinenser unter o.g. Bedingungen für einen Waffenstillstand waren. Diese Mehrheit hätte man entsprechend ansprechen können, durch politische Entscheidungen, nicht durch militärische.
Ein politischer Weg, der Frieden schafft, ist nicht nur ein menschlicher, sondern immer auch ein rationaler Weg. Also Leute: Kommt mit nicht mit rationalen Gründen für einen Krieg!
Dieser Beitrag ergänzt folgende Beiträge zum Thema:
- Ergänzung des Beitrags "Nahostkonflik"
- Nahostkonflikt: Krieg in Gaza - eine Ursachensuche
Dazu kommt: Unter dem Eindruck eines Krieges wählen die Menschen erfahrungsgemäß meist rechts (was sicherlich auch den PolitikerInnen bekannt sein dürfte). So wird derzeit auch in Israel ein Rechtsruck erwartet. Verlierer könnten hier entsprechend die Regierungsparteien sein. Insbesondere die Hardliner Benjamin Netanjahu (Likud Partei) und vielmehr noch Avigdor Lieberman (Partei Yisrael Beiteinu) könnten Stimmen dazu gewinnen. Wo ist hier also der rationale Grund für den Gaza-Krieg, wenn doch sogar ein Regierungsverlust zu erwarten war und ist?
Interessant finde ich an dieser Stelle eine gemeinsame israelisch-palästinensische Umfrage (durchgeführt vom 27. Mai bis zum 7. Juni 2008), veröffentlich von der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. am 12. Juni 2008.
U.a. wird als Ergebnis genannt:
50 % der Israelis lehnen einen Waffenstillstand mit der Hamas ab, welcher die Einstellung von gewalttätigen Aktivitäten und Kassam-Angriffen auf Israel durch die Hamas sowie militärische Operationen der Israelis im Gazastreifen und die Aufhebung. der Blockademaßnahmen beinhalten würde. 47 % befürworten solch eine Vereinbarung. Die Ablehnung steigt auf 68 %, sollte eine Vereinbarung mit der Hamas nicht die Freilassung von Gilad Svhalit (Anmerkung: vor zweieinhalb Jahren entführten israelischer Soldat) beinhalten.
Auf palästinensischer Seite sprechen sich 78 % für einen Waffenstillstand mit Israel aus. Diese Unterstützung fällt jedoch rapide ab auf 23 %, sollte ein Waffenstillstandsabkommen lediglich auf den Gazastreifen begrenzt bleiben und nicht die Westbank mit einbeziehen. Darüber hinaus fällt die Unterstützung weiter auf 20 % für den Fall, dass eine Vereinbarung nicht die unmittelbare Öffnung der Grenzen, insbesondere des Ra-fah-Grenzüberganges zwischen Gazastreifen und Ägypten, zur Folge haben sollte.
Wenn man es mal von der positiven Seite betrachtet, waren also grundsätzlich fast die Hälfte der Israelis bereit, einen Waffenstillstand mit der Hamas zu vereinbaren. Rein rational betrachtet ist dies ein ganz erheblicher Teil der Wählerschaft. Israel hätte also auch aus einem inneren Interesse heraus den ab dem 19.Juni verhandelten Stopp des Raketenbeschusses weiter ausdehnen und festigen können. Gleichzeitig zeigt sich an Hand der Umfrage, dass 78 % der Palästinenser unter o.g. Bedingungen für einen Waffenstillstand waren. Diese Mehrheit hätte man entsprechend ansprechen können, durch politische Entscheidungen, nicht durch militärische.
Ein politischer Weg, der Frieden schafft, ist nicht nur ein menschlicher, sondern immer auch ein rationaler Weg. Also Leute: Kommt mit nicht mit rationalen Gründen für einen Krieg!
Dieser Beitrag ergänzt folgende Beiträge zum Thema:
- Ergänzung des Beitrags "Nahostkonflik"
- Nahostkonflikt: Krieg in Gaza - eine Ursachensuche
Donnerstag, 5. Februar 2009
Ergänzung des Beitrags "Nahostkonflikt"
Auf der Homepage der AG Friedensforschung, Uni Kassel fand ich einen interessanten Text, auf den ich hier hinweisen möchte: Kollektive Bestrafung. Israels Verbrechen an der Zivilbevölkerung in Gaza (Von Rolf Verleger, u.a. Direktoriumsmitglied im Zentralrat der Juden und ehemaliger Vorsitzender der Jüdischen Gemeinschaft Schlewig-Holstein)
Dieser ergänzt meine Gedanken zum Nahostkonflikt sehr gut, wie ich finde.
"Premierminister Olmert, Armeeminister Barak und Außenministerin Livni behaupteten, daß der Raketenbeschuss israelischer Städte aus dem Gazastreifen unerträglich geworden und nicht anders zu stoppen sei als mit massivem israelischen Eingreifen. Die Unwahrheit dieser Behauptungen war ebenso offensichtlich wie bei den Lügen des George W. Bush. Wieder gibt es genügend Politiker und Journalisten, diesmal gerade und besonders in Deutschland, die diese Märchen gerne nachplappern.", schreibt Verleger. Der Autor führt seine Gedanken im Text dazu weiter aus. Auf eine Stelle möchte ich hier besonders hinweisen:
Die Zahl der Raketeneinschläge auf israelischem Boden war vom 19. Juni bis 31. Oktober 2008 auf fast null zurückgegangen! (ausführliche Statistik der Raketenangriffe hier) Rolf Verleger fragt: „Wenn es eine nicht-kriegerische Methode gab, diesen Raketenbeschuss für mehr als vier Monate zum Verschwinden zu bringen, warum ging dann diese Methode nicht mehr ab November?“ Der Autor verweist als Antwort auf diese Frage auf den Artikel „An Unnecessary War“ (Washington Post vom 08.01.2009) des ehemaligen US-Präsident Jimmy Carter. Dort erfährt man, dass es Verhandlungen zwischen Israel - über den Vermittler Ägypten - und der Hamas gab. Alle Raketenabschüsse der Hamas sollten am 19.Juni für einen Zeitraum von sechs Monaten aufhören, wenn humanitäre Lieferungen auf das normale Niveau gebracht würden, das vor Israels Rückzug 2005 bestand (etwa 700 Lastwagen pro Tag). Der folgende Zuwachs an Lieferungen von Nahrungsmitteln, Wasser, Medikamenten und Treibstoff erfolgte im Durchschnitt nur in 20 Prozent des normalen Niveaus. Diese fragile Waffenruhe wurde zu einem Teil am 4. November gebrochen, als Israel einen Angriff nach Gaza startete, um einen Verteidigungstunnel zu zerstören. Weitere Konflikte und Unstimmigkeiten um die unzureichenden Warenlieferungen blieben ungelöst und die Feindseeligkeiten brachen erneut aus. „Kann man dies eine »einseitige Aufkündigung des Waffenstillstands durch die Hamas« nennen?“ fragt Verleger.
Allen Interessierten empfehle ich das Lesen des o.g. Textes. Für mich wird hier erneut klar, dass an einem wirklichen Frieden kein Interesse besteht, obwohl es ganz offensichtlich auch Mittel und Wege gab und gibt, die Gewalt auf ein Minimum zu reduzieren.
Allem Anschein nach bereitete die israelische Führung den Gaza-Krieg auch lange Zeit (wohl auch noch vor dem verhandelten Waffenstillstand) systematisch vor. Man wollte nicht die gleichen Fehler wie im Libanon-Krieg machen, in dem zu kurzfristig geplant und agiert worden war. Und man wollte diesen Krieg in Gaza um jeden Preis.
Wohin mit all dem Schmerz und dem Hass, wenn kein Feind mehr da ist, um diesen als "Giftcontainer" zu nutzen? (diese Frage gilt beiden Seiten, Isarael und der Hamas)
Dieser ergänzt meine Gedanken zum Nahostkonflikt sehr gut, wie ich finde.
"Premierminister Olmert, Armeeminister Barak und Außenministerin Livni behaupteten, daß der Raketenbeschuss israelischer Städte aus dem Gazastreifen unerträglich geworden und nicht anders zu stoppen sei als mit massivem israelischen Eingreifen. Die Unwahrheit dieser Behauptungen war ebenso offensichtlich wie bei den Lügen des George W. Bush. Wieder gibt es genügend Politiker und Journalisten, diesmal gerade und besonders in Deutschland, die diese Märchen gerne nachplappern.", schreibt Verleger. Der Autor führt seine Gedanken im Text dazu weiter aus. Auf eine Stelle möchte ich hier besonders hinweisen:
Die Zahl der Raketeneinschläge auf israelischem Boden war vom 19. Juni bis 31. Oktober 2008 auf fast null zurückgegangen! (ausführliche Statistik der Raketenangriffe hier) Rolf Verleger fragt: „Wenn es eine nicht-kriegerische Methode gab, diesen Raketenbeschuss für mehr als vier Monate zum Verschwinden zu bringen, warum ging dann diese Methode nicht mehr ab November?“ Der Autor verweist als Antwort auf diese Frage auf den Artikel „An Unnecessary War“ (Washington Post vom 08.01.2009) des ehemaligen US-Präsident Jimmy Carter. Dort erfährt man, dass es Verhandlungen zwischen Israel - über den Vermittler Ägypten - und der Hamas gab. Alle Raketenabschüsse der Hamas sollten am 19.Juni für einen Zeitraum von sechs Monaten aufhören, wenn humanitäre Lieferungen auf das normale Niveau gebracht würden, das vor Israels Rückzug 2005 bestand (etwa 700 Lastwagen pro Tag). Der folgende Zuwachs an Lieferungen von Nahrungsmitteln, Wasser, Medikamenten und Treibstoff erfolgte im Durchschnitt nur in 20 Prozent des normalen Niveaus. Diese fragile Waffenruhe wurde zu einem Teil am 4. November gebrochen, als Israel einen Angriff nach Gaza startete, um einen Verteidigungstunnel zu zerstören. Weitere Konflikte und Unstimmigkeiten um die unzureichenden Warenlieferungen blieben ungelöst und die Feindseeligkeiten brachen erneut aus. „Kann man dies eine »einseitige Aufkündigung des Waffenstillstands durch die Hamas« nennen?“ fragt Verleger.
Allen Interessierten empfehle ich das Lesen des o.g. Textes. Für mich wird hier erneut klar, dass an einem wirklichen Frieden kein Interesse besteht, obwohl es ganz offensichtlich auch Mittel und Wege gab und gibt, die Gewalt auf ein Minimum zu reduzieren.
Allem Anschein nach bereitete die israelische Führung den Gaza-Krieg auch lange Zeit (wohl auch noch vor dem verhandelten Waffenstillstand) systematisch vor. Man wollte nicht die gleichen Fehler wie im Libanon-Krieg machen, in dem zu kurzfristig geplant und agiert worden war. Und man wollte diesen Krieg in Gaza um jeden Preis.
Wohin mit all dem Schmerz und dem Hass, wenn kein Feind mehr da ist, um diesen als "Giftcontainer" zu nutzen? (diese Frage gilt beiden Seiten, Isarael und der Hamas)
Sonntag, 1. Februar 2009
Ergänzung "Grundsätzliche Hinweise"
Ich habe die "Grundsätzlichen Hinweise" um nachfolgenden Text ergänzt. Gerade zu Beginn des Jahres war es mir auch mal wichtig, meine grundlegend optimistische Sicht auf die gesellschaftlichen Entwicklungen kurz aufzuschreiben. Dies kommt leider oft zu kurz, wenn man sich mit dem Thema Krieg auseinandersetzt.
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Mir wurde schon einmal vorgeworfen, dass aus meinem Grundlagentext nur ein Entweder/Oder, ein hier „die guten nicht-misshandelten“ und dort die „bösen misshandelten Menschen“ hervorgehen würde. Ich sehe die Gefahr, dass eine solch schwarz-weiße Deutung je nach dem, wie der Text individuell verstanden und empfunden wird möglich ist. Allerdings möchte ich auch auf die „Grautöne“ im Text verweisen: Stichworte z.B. „Helfender Zeuge“, unterschiedliche Formen und Auswirkungen der Gewalterfahrungen, Einfluss gesellschaftlicher Prozesse wie sie z.B. der „Hamburger Ansatz“ beschreibt.
Wichtig ist mir hier zu sagen, dass meinem Empfinden nach unsere Welt auch kompliziert, ungerecht, herausfordernd und manches mal auch unglücklich machend bleiben würde, wenn die meisten Menschen als Kind Liebe und Achtung erfahren hätten. Ich behaupte nicht, dass das Leben einfach ist (was es ja auch so spannend macht :-) ) Außerdem sind wir nun mal Menschen, wir machen Fehler. Ich glaube aber in der Tat, dass so etwas enorm destruktives wie Krieg nicht mehr entstehen würde, wenn ein bedeutender Teil der Menschheit liebevoll und ohne Gewalt heranwachsen dürfte. Ich bin dabei im Grunde auch Optimist. Es wird noch so einige Generationen dauern, aber es zeichnet sich im historischen Rückblick ab, dass sich die Kindererziehung von Generation zu Generation verbessert und die Menschen dadurch immer emphatischer werden. Nie zuvor in der Geschichte wurden Kinder zu gut behandelt, hatten Kinder so viele Rechte und wurde Kindern und ihrer Entwicklung so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie heute (trotz aller immer noch erschreckender Zahlen, die vorliegen). Es ist somit nur eine Frage von Zeit. Haltet mich für verrückt: Ich bin mir sicher, dass spätere Generationen mit dem gleichen Erschrecken und Unverständnis in die Geschichte auf Kriege blicken werden, wie wir dies heute in Europa tun, wenn wir uns z.B. mit der mittelalterlichen Hexenverbrennung oder der mittelalterlichen Medizin beschäftigen. Kriege werden für spätere Generationen nicht mal mehr theoretisch vorstellbar sein.
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Mir wurde schon einmal vorgeworfen, dass aus meinem Grundlagentext nur ein Entweder/Oder, ein hier „die guten nicht-misshandelten“ und dort die „bösen misshandelten Menschen“ hervorgehen würde. Ich sehe die Gefahr, dass eine solch schwarz-weiße Deutung je nach dem, wie der Text individuell verstanden und empfunden wird möglich ist. Allerdings möchte ich auch auf die „Grautöne“ im Text verweisen: Stichworte z.B. „Helfender Zeuge“, unterschiedliche Formen und Auswirkungen der Gewalterfahrungen, Einfluss gesellschaftlicher Prozesse wie sie z.B. der „Hamburger Ansatz“ beschreibt.
Wichtig ist mir hier zu sagen, dass meinem Empfinden nach unsere Welt auch kompliziert, ungerecht, herausfordernd und manches mal auch unglücklich machend bleiben würde, wenn die meisten Menschen als Kind Liebe und Achtung erfahren hätten. Ich behaupte nicht, dass das Leben einfach ist (was es ja auch so spannend macht :-) ) Außerdem sind wir nun mal Menschen, wir machen Fehler. Ich glaube aber in der Tat, dass so etwas enorm destruktives wie Krieg nicht mehr entstehen würde, wenn ein bedeutender Teil der Menschheit liebevoll und ohne Gewalt heranwachsen dürfte. Ich bin dabei im Grunde auch Optimist. Es wird noch so einige Generationen dauern, aber es zeichnet sich im historischen Rückblick ab, dass sich die Kindererziehung von Generation zu Generation verbessert und die Menschen dadurch immer emphatischer werden. Nie zuvor in der Geschichte wurden Kinder zu gut behandelt, hatten Kinder so viele Rechte und wurde Kindern und ihrer Entwicklung so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie heute (trotz aller immer noch erschreckender Zahlen, die vorliegen). Es ist somit nur eine Frage von Zeit. Haltet mich für verrückt: Ich bin mir sicher, dass spätere Generationen mit dem gleichen Erschrecken und Unverständnis in die Geschichte auf Kriege blicken werden, wie wir dies heute in Europa tun, wenn wir uns z.B. mit der mittelalterlichen Hexenverbrennung oder der mittelalterlichen Medizin beschäftigen. Kriege werden für spätere Generationen nicht mal mehr theoretisch vorstellbar sein.
Mittwoch, 28. Januar 2009
Krieg der Kindergangs
Am Sonntag (25.01.2009) sah ich im Ersten den "Weltspiegel"-Bericht "Krieg der Kindergangs".
Es ging um den aufgegebenen Stadtteil Norris Green in Liverpool. Dort beherrschen Jugendgangs die Straße. „Sie handeln mit Crack und Heroin, sind zwischen 12 und 18 Jahre alt, die meisten von ihnen bewaffnet. Jugendliche, die Krieg statt Fußball spielen, und die hier oben im Norden Liverpools jetzt die Macht übernommen haben.“, heißt es in dem Bericht.
„Was geht euch durch den Kopf wenn ihr mit den Waffen schießt?“, fragte ein Reporter.
„Glücklich. Das ist ein glückliches Gefühl. Ein normales Leben würde keiner mehr haben wollen, von uns keiner mehr. Viel zu langweilig. Wenn Du einmal in der Gang bist, willst du nicht mehr aufhören. Willst immer so weitermachen. So einfach ist das.“
Wer sich glücklich fühlt, wenn er auf andere schießt, zeigt deutlich, wie innerlich leer und tot er selbst bereits ist. Gefühlsregungen sind nur noch unter dem "Kick" von kriegsähnlichen Bedingungen möglich.
Eine solche Aussage erinnert mich auch wieder an einen Bericht, den ich bereits im Nachwort des Grundlagentextes erwähnt habe:
Am 18.10.07 gab es auf dem Sender N-TV eine Dokumentation über den „Terror der RAF“, in der auch der Ex-Terrorist Peter-Jürgen Boock interviewt wurde. Er sagte dort aus, dass der Moment der Schleyer Entführung (damals kamen während der Entführung auch Begleiter von Schleyer ums Leben; Schleyer selbst wurde später umgebracht) und nachdem alles so „glatt gelaufen“ wäre, er sich so lebendig gefühlt habe, wie nie zuvor in seinem Leben. Wenn sich ein Mensch nur mit Hilfe von Terror „lebendig“ fühlen kann, dann sagt das viel über tiefere, emotionale Ursachen seiner Taten aus, die im Kern nichts mit politischen Zielen oder der Zeit usw. zu tun haben, wie ich meine.
Lloyd deMause zitierte in seinem Buch den Gefängnispsychiater James Gilligan, der sein Leben damit verbracht hat, Kriminelle zu analysieren: „Manche Leute glauben, bewaffnete Räuber begehen ihre kriminellen Handlungen, um zu Geld zu kommen. Aber wenn du dich hinsetzt und mit den Leuten redest, die wiederholt solche Verbrechen begehen, ist die Antwort, die du hörst: "Noch nie in meinem Leben wurde mir so viel Respekt erwiesen, als zu dem Zeitpunkt, als ich das erste Mal die Waffe auf jemanden richtete." (vgl. deMause, 2005, S. 110ff)
Die Gefühle, die oben beschrieben werden, müssen dabei im Grund unecht und von ihrem eigentlichen Sinn her entleert und abgetrennt sein.
„sich glücklich fühlen“ = Ich schieße auf Menschen
“sich lebendig fühlen“ = Ich entführe und töte Menschen
„sich respektiert fühlen“ = Menschen mit Waffen bedrohen
Das ist schon ziemlich pervers...
Ich las einmal als Schüler - ich glaube in Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ - von einem Hauptmann, der in etwa sagte: „Ich musste erst in den Krieg ziehen, um mein Leben zu lieben.“ Diese Stelle fällt mir hier wieder ein und sie beschreibt dasselbe Phänomen. Positive Gefühle werden mit Tod, Gewalt und Vernichtung vermischt. Dies erschreckt uns Menschen natürlich. Es wird aber verstehbar, wenn man sich bewusst macht, dass – so nehme ich stark an - einst auch die Eltern der Akteure positive Wörter und Gefühle mit Gewalt vermischten: „Ich schlage Dich und nenne dies Liebe“ usw. usf.
Ganz offensichtlich scheint es den Akteuren auch eine emotionale Befriedigung und Erleichterung zu verschaffen, Gewalt anzuwenden. DeMause hat hier entsprechend den sehr gut passenden Begriff von "Giftcontainern" gewählt. Eigene unerträgliche innere Gefühle von Terror, Angst, Wut usw. all das Destruktive, was auf Grund früher kindlicher Gewalterfahrungen in den Menschen brodelt, wird in diese "Giftcontainer" gepackt; dies verschafft den Akteuren ein (kurzfristiges) "gutes Gefühl".
Ich denke, dass diese Gedanken u.a. sehr gut die beiden vorangegangenen Beiträgen zur "Irrationalität des Krieges" und zum "Gaza Krieg" ergänzen. Kriege müssen im Grundsatz immer auch emotional analysiert werden. Sonst wird sich dem jeweiligen Betrachter kein komplexes Bild der Wirklichkeit offenbaren.
Sehr deutlich wird der Zusammenhang der o.g. Gedanken zur kollektiven Gewalt auch durch folgendes: Als Deutschland Frankreich 1914 den Krieg erklärte, frohlockte eine deutsche Zeitung: "Es ist eine Freude zu leben, Deutschland jubelt vor Glück." (vgl. deMause,L. 2000: Was ist Psychohistorie? Psychosozial-Verlag, Gießen, S. 133)
Nationen sind eben keine "technischen", "rationalen" Gebilde (so wie es die Sozialwissenschaft oft sieht), die für sich stehen. Sie bestehen aus Menschen, die alle eine Psyche und Emotionen haben. Wenn eine Mehrheit dieser Menschen, die eine Nation bilden, als Kind traumatische Erfahrungen machen musste, wird auch das "kollektive Glück" bei einem Kriegseintritt verständlich, so wie es auch für einzelne Mitglieder von Kindergangs und Kriminelle verständlich ist.
Es ging um den aufgegebenen Stadtteil Norris Green in Liverpool. Dort beherrschen Jugendgangs die Straße. „Sie handeln mit Crack und Heroin, sind zwischen 12 und 18 Jahre alt, die meisten von ihnen bewaffnet. Jugendliche, die Krieg statt Fußball spielen, und die hier oben im Norden Liverpools jetzt die Macht übernommen haben.“, heißt es in dem Bericht.
„Was geht euch durch den Kopf wenn ihr mit den Waffen schießt?“, fragte ein Reporter.
„Glücklich. Das ist ein glückliches Gefühl. Ein normales Leben würde keiner mehr haben wollen, von uns keiner mehr. Viel zu langweilig. Wenn Du einmal in der Gang bist, willst du nicht mehr aufhören. Willst immer so weitermachen. So einfach ist das.“
Wer sich glücklich fühlt, wenn er auf andere schießt, zeigt deutlich, wie innerlich leer und tot er selbst bereits ist. Gefühlsregungen sind nur noch unter dem "Kick" von kriegsähnlichen Bedingungen möglich.
Eine solche Aussage erinnert mich auch wieder an einen Bericht, den ich bereits im Nachwort des Grundlagentextes erwähnt habe:
Am 18.10.07 gab es auf dem Sender N-TV eine Dokumentation über den „Terror der RAF“, in der auch der Ex-Terrorist Peter-Jürgen Boock interviewt wurde. Er sagte dort aus, dass der Moment der Schleyer Entführung (damals kamen während der Entführung auch Begleiter von Schleyer ums Leben; Schleyer selbst wurde später umgebracht) und nachdem alles so „glatt gelaufen“ wäre, er sich so lebendig gefühlt habe, wie nie zuvor in seinem Leben. Wenn sich ein Mensch nur mit Hilfe von Terror „lebendig“ fühlen kann, dann sagt das viel über tiefere, emotionale Ursachen seiner Taten aus, die im Kern nichts mit politischen Zielen oder der Zeit usw. zu tun haben, wie ich meine.
Lloyd deMause zitierte in seinem Buch den Gefängnispsychiater James Gilligan, der sein Leben damit verbracht hat, Kriminelle zu analysieren: „Manche Leute glauben, bewaffnete Räuber begehen ihre kriminellen Handlungen, um zu Geld zu kommen. Aber wenn du dich hinsetzt und mit den Leuten redest, die wiederholt solche Verbrechen begehen, ist die Antwort, die du hörst: "Noch nie in meinem Leben wurde mir so viel Respekt erwiesen, als zu dem Zeitpunkt, als ich das erste Mal die Waffe auf jemanden richtete." (vgl. deMause, 2005, S. 110ff)
Die Gefühle, die oben beschrieben werden, müssen dabei im Grund unecht und von ihrem eigentlichen Sinn her entleert und abgetrennt sein.
„sich glücklich fühlen“ = Ich schieße auf Menschen
“sich lebendig fühlen“ = Ich entführe und töte Menschen
„sich respektiert fühlen“ = Menschen mit Waffen bedrohen
Das ist schon ziemlich pervers...
Ich las einmal als Schüler - ich glaube in Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ - von einem Hauptmann, der in etwa sagte: „Ich musste erst in den Krieg ziehen, um mein Leben zu lieben.“ Diese Stelle fällt mir hier wieder ein und sie beschreibt dasselbe Phänomen. Positive Gefühle werden mit Tod, Gewalt und Vernichtung vermischt. Dies erschreckt uns Menschen natürlich. Es wird aber verstehbar, wenn man sich bewusst macht, dass – so nehme ich stark an - einst auch die Eltern der Akteure positive Wörter und Gefühle mit Gewalt vermischten: „Ich schlage Dich und nenne dies Liebe“ usw. usf.
Ganz offensichtlich scheint es den Akteuren auch eine emotionale Befriedigung und Erleichterung zu verschaffen, Gewalt anzuwenden. DeMause hat hier entsprechend den sehr gut passenden Begriff von "Giftcontainern" gewählt. Eigene unerträgliche innere Gefühle von Terror, Angst, Wut usw. all das Destruktive, was auf Grund früher kindlicher Gewalterfahrungen in den Menschen brodelt, wird in diese "Giftcontainer" gepackt; dies verschafft den Akteuren ein (kurzfristiges) "gutes Gefühl".
Ich denke, dass diese Gedanken u.a. sehr gut die beiden vorangegangenen Beiträgen zur "Irrationalität des Krieges" und zum "Gaza Krieg" ergänzen. Kriege müssen im Grundsatz immer auch emotional analysiert werden. Sonst wird sich dem jeweiligen Betrachter kein komplexes Bild der Wirklichkeit offenbaren.
Sehr deutlich wird der Zusammenhang der o.g. Gedanken zur kollektiven Gewalt auch durch folgendes: Als Deutschland Frankreich 1914 den Krieg erklärte, frohlockte eine deutsche Zeitung: "Es ist eine Freude zu leben, Deutschland jubelt vor Glück." (vgl. deMause,L. 2000: Was ist Psychohistorie? Psychosozial-Verlag, Gießen, S. 133)
Nationen sind eben keine "technischen", "rationalen" Gebilde (so wie es die Sozialwissenschaft oft sieht), die für sich stehen. Sie bestehen aus Menschen, die alle eine Psyche und Emotionen haben. Wenn eine Mehrheit dieser Menschen, die eine Nation bilden, als Kind traumatische Erfahrungen machen musste, wird auch das "kollektive Glück" bei einem Kriegseintritt verständlich, so wie es auch für einzelne Mitglieder von Kindergangs und Kriminelle verständlich ist.
Freitag, 9. Januar 2009
Nahostkonflikt: Krieg in Gaza - eine Ursachensuche
Am 16.12. schrieb ich einen Text zur Irrationalität des Krieges. Wenig später begann Israel seinen Krieg in Gaza. Natürlich bin ich ein Mensch, der das ganze Geschehen nur aus der Ferne beobachtet. Dass diese militärische Operation der Israelis wenig Sinn macht, scheint allerdings eine leicht festzustellende Wahrheit zu sein, auch wenn man nicht über umfassendes strategisch-politisches Hintergrundwissen verfügt. Gerade auch wenn man sich in der Art mit dem Thema Krieg beschäftigt, wie ich dies hier tue, wird deutlich, warum Kriege so unverständlich und unsinnig erscheinen, warum uns die Reden, Sprüche und Entscheidungen der Regierungsführung Kopfschütteln lassen.
Oft sucht dann die Öffentlichkeit nach rationalen Erklärungen. Laut Israels Führung hat die Operation "Gegossenes Blei" zum Ziel, die Hamas entscheidend zu schwächen, wird berichtet. Sicherheit im Süden, das ist das eine „rationale“ Ziel. Darüber hinaus geht es darum, das Image eines starken Landes, das sich gegen jede Anfeindung mit Erfolg wehren kann, wiederherzustellen. (Auch die anstehenden Wahlen werden als Grund genannt. Dazu habe ich mich hier geäußert: "Knessetwahl in Israel als Kriegsgrund?")
Im Ergebnis erreichen sie genau das Gegenteil: Die Extremisten werden mittel- bis langfristig Auftrieb bekommen und das Image von Israel in der Welt ist schwer angekratzt.
Ach ja, in der öffentlichen Debatte wird auch als eine „Logik“ dieser Militäraktion die Abstrafung der palästinensischen Bevölkerung genannt, mit dem Ziel, dass diese sich dann gegen die Hamas auflehnen soll. Nach dem Motto: “Seht her, mein Haus liegt in Trümmern meine Kinder sind verletzt oder tot und wenn Ihr Hamasleute keine Raketen auf Israel abgefeuert hättet, dann wäre dies nicht passiert, also jage ich Euch aus dem Land!“
Man fragt sich, wer ernsthaft eine solche Logik glaubt? Wenn ich wirklich eine Opposition gegen radikale Kräfte stützen will, dann unterstütze ich die zivilen Strukturen und die Bevölkerung. Dann helfe ich ihnen bei dem Aufbau einer lebenswerten Zukunft. Dann stelle ich mich selbst nicht als Feindbild zur Verfügung. Wie soll denn ein Palästinenser Kraft und Mut dazu sammeln, alternative Wege als die der Radikalen zu unterstützen, wenn sein ganzes Leben am Boden liegt und er kriegstraumatisiert in eine ungewisse Zukunft schaut?
Man fragt sich also, ob die Führung überhaupt an Frieden und Sicherheit interessiert ist? Oder ob sie den Konflikt auch für die nächste Generation am Laufen halten will, damit wieder aufeinander geschossen werden kann, damit wieder ein äußerer aktiver Feind bereit steht, damit weiterhin „Giftcontainer“ gefunden werden können?
Eine militärische Operation, die rein zur Verteidigung dient, nennt man wohl kaum „gegossenes Blei“ (übrigens laut Wikipedia - Stand 05.01.2009 - lehnt sich diese Bezeichnung an ein israelisches Kinderlied an, was ich schon mal sehr merkwürdig finde, gerade auch im Kontext dieses Blogs); man spricht nicht von einem „Kampf bis zum bitteren Ende“ (Verteidigungsminister Ehud Barak, vgl. ZEIT-Online, 31.12.2008, „Der Krieg nach dem Krieg“), wenn man „verhältnismäßig“ vorgehen möchte; da Militante wohl kaum damit aufhören werden, Israel regelmäßig mit Raketen zu beschießen, wird es wohl - wenn es nach der Außenministerin geht - kein Ende der Offensive geben; denn Zipi Livni hatte laut einem SPIEGEL-Online Artikel betont, Israel werde die Militäroffensive im Gaza-Streifen so lange weiterführen bis der Beschuss aufhöre (vgl. SPIEGEL-Online, 02.01.2009, Israel rüstet sich für "Tag des Zorns"); dass haufenweise Zivilisten in einem der am dichtesten bevölkertsten Landstriche der Welt getroffen werden, war sagen wir todsicher, die Botschaft des Staates Israel ließ dagegen am 28.12.2008 verlauten, dass es sich beim Großteil der Opfer der gegenwärtigen Militäroperation im Gaza-Streifen ohnehin um Terroristen der Hamas handele. Ein Hohn, wenn man sich im Rückblick vor Augen führt, dass schätzungsweise 1,5 Millionen Tonnen Sprengstoff auf Gaza abgeworfen wurden, das macht pro Kopf der Bewohner eine Tonne! (vgl. Bericht "Eine Tonne Sprengstoff pro Kopf")
An dieser Stelle möchte ich auf einen Text hinweisen, der erschreckende Ansichten und Verhaltensweisen von israelischen Soldaten während der 1. Intifada darstellt: „Wenn israelische Soldaten das Schweigen brechen“ von Dalia Karpe, 21.09.2007 (gekürzte Übersetzung einer akademischen Forschungsstudie von Nofer Ishai-Karen und dem Psychologieprofessor Joel Elzur der hebr. Universität, die im ALPAYIM-Magazin, Vol.31 veröffentlicht wurde). Vier kurze Auszüge:
Ilan Vilenda, ein israelischer Soldat: „Wir - israelische Soldaten - wurden dorthin gebracht, um Palästinenser zu bestrafen. (...) Unser Job war es, sie zu schlagen. Ich persönlich schlug zwei Jungen Ich benützte meine Hände oder den Gummiknüppel. Die erwachsenen Palästinenser schlugen wir stärker. Wir handelten wie Polizisten, aber wir handelten jenseits des Gesetzes.“
Soldat B.: “Es war meine erste Patrouille. Die andern schossen einfach wie verrückt. Ich begann, so wie sie zu schießen. Sie hetzten mich auf. Ich nahm meine Waffe und schoss. Keiner war da, der mir etwas anderes sagte.”
Soldat C: “Die Wahrheit ist, dass ich dieses Chaos liebe - ich habe Spaß daran. Es wirkt wie Drogen. Wenn ich nicht wenigstens einmal die Woche eine Rebellion niederschlagen kann, dann werde ich verrückt.”
Soldat D: “Was großartig ist, ist dass man hier keinen Gesetzen und Regeln folgen muss. Man hat das Gefühl, selbst Gesetz zu sein. Ich kann entscheiden. Wenn man in die besetzten Gebieten geht, ist man wie Gott.”
Hier zeigt sich exemplarisch insbesondere an Hand der Aussagen von C. und D., dass emotionale Gründe im Vordergrund stehen, wenn man sich mit den Akteuren in Ruhe unterhält. Vermutlich wird man in einigen Jahren ähnliche Aussagen von israelischen SoldatInnen bekommen, wenn man diese rückblickend zu ihrem Einsatz in Gaza befragt.
Man fragt sich was wohl die Führung bei ihrer Entscheidung zur aktuellen militärischen Aktion gefühlt hat? Meines Wissens nach werden Führungspolitiker von JournalistInnen selten oder nie nach ihren Gefühlen gefragt, was eine erhebliche Lücke darstellt. „Herr George W. Bush, was fühlten Sie, als sie den Befehl zum Angriff auf den Irak gaben?“ „Herr Ehud Olmert, was fühlten Sie, als Sie ihre Zustimmung zur Operation gegen die Hamas gaben?“ Nun sind Politiker Vollprofis und antworten vielleicht nicht so direkt, wie einfache Soldaten. Trotzdem wäre eine solche Fragestellung und die Reaktion interessant. Wenn dann z.B. als Antwort käme, „ich fühlte gar nichts“, dann wäre das auch eine sehr aussagekräftige Antwort.
Oft heißt es, bei einem Krieg stirbt die Wahrheit zuerst. Ich würde sagen, dass zuerst der rationale Verstand und das Mitgefühl stirbt und dann eine kollektiv psychotische Episode folgt.
Es gibt bei Kriegen eigentlich immer drei entscheidende Punkte, die das ganze schon vor der Offensive zur Niederlage machen.
1. Es werden insbesondere auch Kinder (die nächste Generation) traumatisiert.
2. Es sterben Zivilisten, was den Hass auf den Angreifer und den Extremismus nährt.
3. Eine Generation von jungen SoldatInnen wird durch die Kriegshandlungen traumatisiert und brutalisiert. Ihre Taten, Erlebnisse und Gefühle nehmen sie mit zurück in Ihre Heimat und in ihre Familien.
Hier noch einige kurze aussagekräftige Positionen zum Nachdenken:
Eyad al-Sarat (Leiter der einzigen Psychiatrie in Gaza) macht sich Sorgen - nicht nur wegen der aktuellen Situation, sondern auch wegen dem, was die gegenwärtigen Erfahrungen der Kinder im Gaza-Streifen in der Zukunft auslösen könnten. Denn die Kinder erlebten sehr bewusst mit, dass niemand ihre Sicherheit garantieren könne, nicht einmal die eigenen Väter. Das mache sie anfällig dafür, später radikaler Rhetorik anheimzufallen. "So schafft man neue Extremisten", sagt der Arzt. "Das ist Israels größter Fehler." (vgl. SPIEGEL-Online,
29.12.2008, „Jeder hat nur noch Angst“)
"Am letzten Abend war ich eingeladen bei einer Familie mit einer siebenjährigen Tochter. Die sagte zu mir: »Wirst du denn auch jüdische Menschen treffen, wenn du jetzt ausreist?« Und da habe ich gesagt: »Selbstverständlich.« Dann fragte sie, ob ich denn da keine Angst hätte. Ich habe geantwortet: »Nein, es sind ja nicht alle Menschen in Israel solche, die euch vernichten wollen oder euch angreifen.« Das hat sie mir nicht geglaubt." Dr. Ralf Syring nach einem Besuch im zerstörten Gaza-Streifen.
Auf den Hinweis eines SPIEGEL Redakteurs, dass Israel die Raketenüberfälle von islamistischen Freischärlern ein für allemal beenden wolle antwortete der ehemalige UNO-Generalsekretär Butros Ghali: „Was das Militär jetzt tut, richtet hundertfachen Schaden an, mit unabsehbaren Folgen für die gesamte Region, natürlich auch für die Israelis.“ und an einer anderen Stelle sagte er: „Schon jetzt steht fest, dass der israelische Angriff auf Gaza eine Katastrophe ist. Diese Militäroperation verschafft den Fundamentalisten Auftrieb - nicht nur in Palästina, sondern auch in allen anderen arabischen Ländern. Ich wundere mich, dass Israel das nicht gemerkt hat.„ (SPIEGEL-Online, 03.01.2009, "Israel ignoriert die Tatsachen")
Die Rufe nach Frieden in der israelischen Bevölkerung sind laut aktuellen Berichten bisher sehr leise. Doch ausgerechnet 500 Bewohner des Städtchens Sderot haben eine Petition unterschrieben, in der die Armee aufgefordert wird, ihre Operationen im Gaza-Streifen einzustellen und den Waffenstillstand zu erneuern. Sderot ist nah am Gaza-Streifen gelegen und der Ort, der am häufigsten von den Raketen palästinensischer Militanter getroffen wird. Denn eine militärische Operation, so Arik Yalin (der die Bürgerbewegung ins Leben gerufen hat), werde nur den Hass auf beiden Seiten vertiefen. (SPEIEGL-Online, 30.12.2008, "Es wurde höchste Zeit, dass Israel zurückschlägt")
Diese o.g. Positionen sind für jeden nachvollziehbar und derart offensichtlich, dass man Israels Aktion – trotz des regelmäßigen Beschusses durch Raketen - als irrational bezeichnen muss! Das Unverständnis mit dem man als Mensch vor einem Krieg steht, ist wirklich berechtigt. Krieg ist in der Tiefe rational nicht zu erklären. Emotionale Gründe und Störungen scheinen hier zu dominieren und zwar sowohl bei den Palästinensern als auch bei den Israelis.
DeMause zeichnet ein eindrückliches Bild von der elterlichen Gewalt gegen Kinder in islamisch, fundamentalistischen Familien und Gesellschaften und betont die weite Verbreitung von sexuellem Missbrauch in Palästina. (vgl. deMause, 2005, S. 40)
Laut UNICEF erleben in Palästina nur 5 % der Kinder keine Gewalt (damit ist dieses Land "Spitzenreiter" im UNICEF Report), 70 % erleben psychische und körperliche Gewalt, 23 % erleben nur psychische Gewalt und 2 % nur körperliche Gewalt. Die Gewalt geht dabei häufig von nahen Bezugspersonen der Kinder aus. (diese Info wurde am 16.10.09 nachgetragen, vgl. UNICEF, September 2009: Progress for Children - A Report Card on Child Protection, S. 8)
Im Grundlagentext schrieb ich bereits unter Bezug auf eine Quelle aus dem Jahr 2003:
Die palästinensischen Kinder sind einer ständigen Angst ausgesetzt. Sie werden Zeugen der Bombardements und des panikartigen Verhaltens ihrer Eltern. Das Ergebnis dieser Situation ist, dass 40 % der Kinder glauben, ihre Eltern könnten sie nicht mehr schützen. Von 3.000 befragten Heranwachsenden bestätigten außerdem 55 %, dass sie hilflose Zeugen waren, wie ihr Vater von israelischen Soldaten geschlagen wurde. Fast 32 % der Kinder haben starke posttraumatische Störungen. Von 945 untersuchten Kindern litten alle an einem direkten oder indirekten Trauma sowie den Folgen posttraumatischer Störungen (vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung, 2003, S.51ff) „Besonders beunruhigend ist, dass 24 % der palästinensischen Kinder davon träumen als Märtyrer zu sterben, also Selbstmordattentäter zu werden. Das ist beängstigend, denn jeder Selbstmordattentäter von heute ist ein Kind der ersten Intifada. Und wenn die Kinder der ersten Intifada schon so traumatisiert sind, dass allein 24 % von ihnen Märtyrer werden wollen, dann kann man sich vorstellen, was für zukünftige Politiker, Lehrer und Richter wir in diesem Land haben werden.“ (ebd., S.55) (Interessant wäre es, die palästinensischen Kinder zusätzlich zu Gewalterfahrungen in ihren Familien zu befragen und evtl. Zusammenhänge zwischen kumulierten traumatischen Erfahrungen und eigenen Gewaltfantasien und –handlungen herauszufinden.)
Auch folgende Zahlen machen deutlich, wie sehr hier psychische Störungen auf beiden Seiten das Fundament des Konfliktes sind: Laut einer Untersuchung an der Universität Tel Aviv sind 70% der palästinensischen Jugendlichen und 30 % der Kinder israelischer Siedler wegen dem Nahost-Konflikt traumatisiert (645 jüdische Israelis und 552 arabisch-palästinensische Jugendliche wurden befragt). (vgl. National Zeitung und Baseler Nachrichten, 03.07.2002, „Die Gewalt im Nahen Osten zerfrisst die Seelen der Kinder“)
Gemäß einer Studie leiden beinahe die Hälfte der israelischen Eltern und ein Drittel der Kinder in Sderot an post-traumatischem Stress. (vgl. Artikel von Eli Ashkenazi und Auszüge aus einem Artikel von Amos Harel, Ha’aretz, 13.06.2006, „Kassam-Beschuss:
Kinder in Sderot leiden an post-traumatischem Stress“)
Für die israelische Seite fand ich aussagekräftige Zahlen zum sexuellen Missbrauch an Kindern. Im Jahr 2007 gab es in Israel über 41.000 Missbrauchsfälle (Hellfeld), die zur Anzeige gelangten - 1997 waren es noch 21.000. (vgl. Jüdische Zeitung, Oktober 2008, „Rose Pizems Nachlass. Die Zahl der Kindesmisshandlungen in Israel ist drastisch gestiegen“) Die israelische Bevölkerung umfasste 2007 insgesamt 6.426.679 Menschen. Dazu mal ein Vergleich: Im Jahr 2005 kamen in Deutschland 17.526 Fälle von sexuellem Missbrauch zur Anzeige. Die deutsche Bevölkerung umfasste im selben Jahr 82.431.390 Menschen. Israel hat im Verhältnis zu Deutschland 7,8 % Einwohner und dabei 134 % mehr Missbrauchsfälle. Eine erschreckend hohe Zahl (auch wenn man die Zahlen aus dem Jahr 1997 zu Grunde legt und ins Verhältnis setzt)! Man bedenke an dieser Stelle auch, dass hinter jedem „Hellfeldfall“ ein vielfaches an Dunkelfeld steht. Es verwundert also kaum, dass nach einer Dunkelfeldstudie von Schein et al. (2000) 31% der befragten israelischen Frauen über eine Form von sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit berichten. Von den in der Studie befragten Männern gaben 16 % an, sexuell missbraucht worden zu sein.(Insgesamt wurden 1.242 Personen befragt) (vgl. Pagovich, O. 2004: Israel. In: Malley-Morrison, K. (Hrsg.): International Perspectives on Family Violence and Abuse. A Cognitive Ecological Approach. Routledge, S. 192)
Außerdem wird auf Grundlage von angezeigten Fällen geschätzt, dass von den ca. 2 Millionen israelischen Kindern 300.000 (also 15 %) gefährdet sind, Kindesmisshandlung zu erleben. (ebd.) Einer Studie von Sternberg & Krispin (1993) nach erlebten 30 % (33 von 110) der befragten israelischen Kinder körperliche Misshandlungen durch ihre Eltern innerhalb von 6 Monaten vor der Befragung. (ebd.)
Es sind zusammengefasst also zwei wesentliche tiefere Ursachen des Konfliktes sehr wahrscheinlich: Das hohe Ausmaß an Gewalt gegen Kinder und die hohe Traumatisierungsrate der Menschen durch das Kriegsgeschehen auf beiden Seiten. Somit kann der Konflikt aus meiner Sicht langfristig nur gelöst werden, wenn die Gewalt gegen Kinder erheblich reduziert wird und wenn traumatisierten Menschen systematisch und umfassend psychologische Hilfe zu Teil wird. Ein nachhaltiger Frieden ist immer ein innerer Prozess, kein äußerlicher, keiner durch Macht und Gewalt „gesicherter“.
"Die Armee kommt in Israel gleich nach Gott.", sagt eine Aktivistin von "Machsom Watch". Bereits Kinder würden dazu erzogen, den Armeedienst hochzustilisieren. Der Armeedienst in Israel sei das wichtigste gesellschaftliche Übergangsritual und würde zu einer starken Militarisierung der jüdischen Gesellschaft führen. (in Israel verrichten Frauen 2 Jahre und Männer 3 Jahre den Militärdienst.) (vgl. Jüdische Zeitung, September 2008, „Wir sind in Israel die Ausgestoßenen.“; ergänzend Homepage von Machsom Watch)
Ich denke, dass die israelische Gesellschaft auch hier umdenken und mehr an einer zivilen Gesellschaft arbeiten sollte. An dieser Stelle sei auch an das Kapitel 5. im Grundlagentext erinnert.
Im Übrigen frage ich mich, ob man dem israelischen Volk nicht vermitteln kann, dass – wenn man es mal ganz kalt und rechnerisch betrachtete – seit 2000 bei den Raketenangriffen der Hamas auf israelische Städte 22 Menschen starben (vgl. SPIEGEL-Online, 09.01.2009, „Israel trotzt der Uno - Gaza-Krieg geht weiter“), ca. 3 pro Jahr und dass man bei allem Verständnis für das seelische Leid der Bevölkerung nicht bereit ist, kriegerisch zu reagieren (im Zeitraum 27.12.2008 bis 09.01.2009 wurden übrigens nach palästinensischen Angaben 780 Palästinenser durch israelische Angriffe getötet. vgl. ebd.)?
Ich komme erneut zu dem Schluss, dass die israelische Reaktion irrational begründet zu sein schein. Sie macht einfach keinen Sinn. Man muss hier also vielmehr nach den emotionalen (unbewussten) Motiven suchen.
Ich frage mich, was passieren würde, wenn beide Seiten keine klaren Feindbilder mehr hätte? Könnten Sie überhaupt ohne Feind existieren? Wie sagte noch Soldat C.: „Wenn ich nicht wenigstens einmal die Woche eine Rebellion niederschlagen kann, dann werde ich verrückt.“
Hinweis: Diesen Beitrag habe ich um einige wichtige Informationen ergänzt, denn ganz offensichtlich gab es auch alternative Wege, den Beschuss zu stoppen. Lesen kann man diese hier.
Oft sucht dann die Öffentlichkeit nach rationalen Erklärungen. Laut Israels Führung hat die Operation "Gegossenes Blei" zum Ziel, die Hamas entscheidend zu schwächen, wird berichtet. Sicherheit im Süden, das ist das eine „rationale“ Ziel. Darüber hinaus geht es darum, das Image eines starken Landes, das sich gegen jede Anfeindung mit Erfolg wehren kann, wiederherzustellen. (Auch die anstehenden Wahlen werden als Grund genannt. Dazu habe ich mich hier geäußert: "Knessetwahl in Israel als Kriegsgrund?")
Im Ergebnis erreichen sie genau das Gegenteil: Die Extremisten werden mittel- bis langfristig Auftrieb bekommen und das Image von Israel in der Welt ist schwer angekratzt.
Ach ja, in der öffentlichen Debatte wird auch als eine „Logik“ dieser Militäraktion die Abstrafung der palästinensischen Bevölkerung genannt, mit dem Ziel, dass diese sich dann gegen die Hamas auflehnen soll. Nach dem Motto: “Seht her, mein Haus liegt in Trümmern meine Kinder sind verletzt oder tot und wenn Ihr Hamasleute keine Raketen auf Israel abgefeuert hättet, dann wäre dies nicht passiert, also jage ich Euch aus dem Land!“
Man fragt sich, wer ernsthaft eine solche Logik glaubt? Wenn ich wirklich eine Opposition gegen radikale Kräfte stützen will, dann unterstütze ich die zivilen Strukturen und die Bevölkerung. Dann helfe ich ihnen bei dem Aufbau einer lebenswerten Zukunft. Dann stelle ich mich selbst nicht als Feindbild zur Verfügung. Wie soll denn ein Palästinenser Kraft und Mut dazu sammeln, alternative Wege als die der Radikalen zu unterstützen, wenn sein ganzes Leben am Boden liegt und er kriegstraumatisiert in eine ungewisse Zukunft schaut?
Man fragt sich also, ob die Führung überhaupt an Frieden und Sicherheit interessiert ist? Oder ob sie den Konflikt auch für die nächste Generation am Laufen halten will, damit wieder aufeinander geschossen werden kann, damit wieder ein äußerer aktiver Feind bereit steht, damit weiterhin „Giftcontainer“ gefunden werden können?
Eine militärische Operation, die rein zur Verteidigung dient, nennt man wohl kaum „gegossenes Blei“ (übrigens laut Wikipedia - Stand 05.01.2009 - lehnt sich diese Bezeichnung an ein israelisches Kinderlied an, was ich schon mal sehr merkwürdig finde, gerade auch im Kontext dieses Blogs); man spricht nicht von einem „Kampf bis zum bitteren Ende“ (Verteidigungsminister Ehud Barak, vgl. ZEIT-Online, 31.12.2008, „Der Krieg nach dem Krieg“), wenn man „verhältnismäßig“ vorgehen möchte; da Militante wohl kaum damit aufhören werden, Israel regelmäßig mit Raketen zu beschießen, wird es wohl - wenn es nach der Außenministerin geht - kein Ende der Offensive geben; denn Zipi Livni hatte laut einem SPIEGEL-Online Artikel betont, Israel werde die Militäroffensive im Gaza-Streifen so lange weiterführen bis der Beschuss aufhöre (vgl. SPIEGEL-Online, 02.01.2009, Israel rüstet sich für "Tag des Zorns"); dass haufenweise Zivilisten in einem der am dichtesten bevölkertsten Landstriche der Welt getroffen werden, war sagen wir todsicher, die Botschaft des Staates Israel ließ dagegen am 28.12.2008 verlauten, dass es sich beim Großteil der Opfer der gegenwärtigen Militäroperation im Gaza-Streifen ohnehin um Terroristen der Hamas handele. Ein Hohn, wenn man sich im Rückblick vor Augen führt, dass schätzungsweise 1,5 Millionen Tonnen Sprengstoff auf Gaza abgeworfen wurden, das macht pro Kopf der Bewohner eine Tonne! (vgl. Bericht "Eine Tonne Sprengstoff pro Kopf")
An dieser Stelle möchte ich auf einen Text hinweisen, der erschreckende Ansichten und Verhaltensweisen von israelischen Soldaten während der 1. Intifada darstellt: „Wenn israelische Soldaten das Schweigen brechen“ von Dalia Karpe, 21.09.2007 (gekürzte Übersetzung einer akademischen Forschungsstudie von Nofer Ishai-Karen und dem Psychologieprofessor Joel Elzur der hebr. Universität, die im ALPAYIM-Magazin, Vol.31 veröffentlicht wurde). Vier kurze Auszüge:
Ilan Vilenda, ein israelischer Soldat: „Wir - israelische Soldaten - wurden dorthin gebracht, um Palästinenser zu bestrafen. (...) Unser Job war es, sie zu schlagen. Ich persönlich schlug zwei Jungen Ich benützte meine Hände oder den Gummiknüppel. Die erwachsenen Palästinenser schlugen wir stärker. Wir handelten wie Polizisten, aber wir handelten jenseits des Gesetzes.“
Soldat B.: “Es war meine erste Patrouille. Die andern schossen einfach wie verrückt. Ich begann, so wie sie zu schießen. Sie hetzten mich auf. Ich nahm meine Waffe und schoss. Keiner war da, der mir etwas anderes sagte.”
Soldat C: “Die Wahrheit ist, dass ich dieses Chaos liebe - ich habe Spaß daran. Es wirkt wie Drogen. Wenn ich nicht wenigstens einmal die Woche eine Rebellion niederschlagen kann, dann werde ich verrückt.”
Soldat D: “Was großartig ist, ist dass man hier keinen Gesetzen und Regeln folgen muss. Man hat das Gefühl, selbst Gesetz zu sein. Ich kann entscheiden. Wenn man in die besetzten Gebieten geht, ist man wie Gott.”
Hier zeigt sich exemplarisch insbesondere an Hand der Aussagen von C. und D., dass emotionale Gründe im Vordergrund stehen, wenn man sich mit den Akteuren in Ruhe unterhält. Vermutlich wird man in einigen Jahren ähnliche Aussagen von israelischen SoldatInnen bekommen, wenn man diese rückblickend zu ihrem Einsatz in Gaza befragt.
Man fragt sich was wohl die Führung bei ihrer Entscheidung zur aktuellen militärischen Aktion gefühlt hat? Meines Wissens nach werden Führungspolitiker von JournalistInnen selten oder nie nach ihren Gefühlen gefragt, was eine erhebliche Lücke darstellt. „Herr George W. Bush, was fühlten Sie, als sie den Befehl zum Angriff auf den Irak gaben?“ „Herr Ehud Olmert, was fühlten Sie, als Sie ihre Zustimmung zur Operation gegen die Hamas gaben?“ Nun sind Politiker Vollprofis und antworten vielleicht nicht so direkt, wie einfache Soldaten. Trotzdem wäre eine solche Fragestellung und die Reaktion interessant. Wenn dann z.B. als Antwort käme, „ich fühlte gar nichts“, dann wäre das auch eine sehr aussagekräftige Antwort.
Oft heißt es, bei einem Krieg stirbt die Wahrheit zuerst. Ich würde sagen, dass zuerst der rationale Verstand und das Mitgefühl stirbt und dann eine kollektiv psychotische Episode folgt.
Es gibt bei Kriegen eigentlich immer drei entscheidende Punkte, die das ganze schon vor der Offensive zur Niederlage machen.
1. Es werden insbesondere auch Kinder (die nächste Generation) traumatisiert.
2. Es sterben Zivilisten, was den Hass auf den Angreifer und den Extremismus nährt.
3. Eine Generation von jungen SoldatInnen wird durch die Kriegshandlungen traumatisiert und brutalisiert. Ihre Taten, Erlebnisse und Gefühle nehmen sie mit zurück in Ihre Heimat und in ihre Familien.
Hier noch einige kurze aussagekräftige Positionen zum Nachdenken:
Eyad al-Sarat (Leiter der einzigen Psychiatrie in Gaza) macht sich Sorgen - nicht nur wegen der aktuellen Situation, sondern auch wegen dem, was die gegenwärtigen Erfahrungen der Kinder im Gaza-Streifen in der Zukunft auslösen könnten. Denn die Kinder erlebten sehr bewusst mit, dass niemand ihre Sicherheit garantieren könne, nicht einmal die eigenen Väter. Das mache sie anfällig dafür, später radikaler Rhetorik anheimzufallen. "So schafft man neue Extremisten", sagt der Arzt. "Das ist Israels größter Fehler." (vgl. SPIEGEL-Online,
29.12.2008, „Jeder hat nur noch Angst“)
"Am letzten Abend war ich eingeladen bei einer Familie mit einer siebenjährigen Tochter. Die sagte zu mir: »Wirst du denn auch jüdische Menschen treffen, wenn du jetzt ausreist?« Und da habe ich gesagt: »Selbstverständlich.« Dann fragte sie, ob ich denn da keine Angst hätte. Ich habe geantwortet: »Nein, es sind ja nicht alle Menschen in Israel solche, die euch vernichten wollen oder euch angreifen.« Das hat sie mir nicht geglaubt." Dr. Ralf Syring nach einem Besuch im zerstörten Gaza-Streifen.
Auf den Hinweis eines SPIEGEL Redakteurs, dass Israel die Raketenüberfälle von islamistischen Freischärlern ein für allemal beenden wolle antwortete der ehemalige UNO-Generalsekretär Butros Ghali: „Was das Militär jetzt tut, richtet hundertfachen Schaden an, mit unabsehbaren Folgen für die gesamte Region, natürlich auch für die Israelis.“ und an einer anderen Stelle sagte er: „Schon jetzt steht fest, dass der israelische Angriff auf Gaza eine Katastrophe ist. Diese Militäroperation verschafft den Fundamentalisten Auftrieb - nicht nur in Palästina, sondern auch in allen anderen arabischen Ländern. Ich wundere mich, dass Israel das nicht gemerkt hat.„ (SPIEGEL-Online, 03.01.2009, "Israel ignoriert die Tatsachen")
Die Rufe nach Frieden in der israelischen Bevölkerung sind laut aktuellen Berichten bisher sehr leise. Doch ausgerechnet 500 Bewohner des Städtchens Sderot haben eine Petition unterschrieben, in der die Armee aufgefordert wird, ihre Operationen im Gaza-Streifen einzustellen und den Waffenstillstand zu erneuern. Sderot ist nah am Gaza-Streifen gelegen und der Ort, der am häufigsten von den Raketen palästinensischer Militanter getroffen wird. Denn eine militärische Operation, so Arik Yalin (der die Bürgerbewegung ins Leben gerufen hat), werde nur den Hass auf beiden Seiten vertiefen. (SPEIEGL-Online, 30.12.2008, "Es wurde höchste Zeit, dass Israel zurückschlägt")
Diese o.g. Positionen sind für jeden nachvollziehbar und derart offensichtlich, dass man Israels Aktion – trotz des regelmäßigen Beschusses durch Raketen - als irrational bezeichnen muss! Das Unverständnis mit dem man als Mensch vor einem Krieg steht, ist wirklich berechtigt. Krieg ist in der Tiefe rational nicht zu erklären. Emotionale Gründe und Störungen scheinen hier zu dominieren und zwar sowohl bei den Palästinensern als auch bei den Israelis.
DeMause zeichnet ein eindrückliches Bild von der elterlichen Gewalt gegen Kinder in islamisch, fundamentalistischen Familien und Gesellschaften und betont die weite Verbreitung von sexuellem Missbrauch in Palästina. (vgl. deMause, 2005, S. 40)
Laut UNICEF erleben in Palästina nur 5 % der Kinder keine Gewalt (damit ist dieses Land "Spitzenreiter" im UNICEF Report), 70 % erleben psychische und körperliche Gewalt, 23 % erleben nur psychische Gewalt und 2 % nur körperliche Gewalt. Die Gewalt geht dabei häufig von nahen Bezugspersonen der Kinder aus. (diese Info wurde am 16.10.09 nachgetragen, vgl. UNICEF, September 2009: Progress for Children - A Report Card on Child Protection, S. 8)
Im Grundlagentext schrieb ich bereits unter Bezug auf eine Quelle aus dem Jahr 2003:
Die palästinensischen Kinder sind einer ständigen Angst ausgesetzt. Sie werden Zeugen der Bombardements und des panikartigen Verhaltens ihrer Eltern. Das Ergebnis dieser Situation ist, dass 40 % der Kinder glauben, ihre Eltern könnten sie nicht mehr schützen. Von 3.000 befragten Heranwachsenden bestätigten außerdem 55 %, dass sie hilflose Zeugen waren, wie ihr Vater von israelischen Soldaten geschlagen wurde. Fast 32 % der Kinder haben starke posttraumatische Störungen. Von 945 untersuchten Kindern litten alle an einem direkten oder indirekten Trauma sowie den Folgen posttraumatischer Störungen (vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung, 2003, S.51ff) „Besonders beunruhigend ist, dass 24 % der palästinensischen Kinder davon träumen als Märtyrer zu sterben, also Selbstmordattentäter zu werden. Das ist beängstigend, denn jeder Selbstmordattentäter von heute ist ein Kind der ersten Intifada. Und wenn die Kinder der ersten Intifada schon so traumatisiert sind, dass allein 24 % von ihnen Märtyrer werden wollen, dann kann man sich vorstellen, was für zukünftige Politiker, Lehrer und Richter wir in diesem Land haben werden.“ (ebd., S.55) (Interessant wäre es, die palästinensischen Kinder zusätzlich zu Gewalterfahrungen in ihren Familien zu befragen und evtl. Zusammenhänge zwischen kumulierten traumatischen Erfahrungen und eigenen Gewaltfantasien und –handlungen herauszufinden.)
Auch folgende Zahlen machen deutlich, wie sehr hier psychische Störungen auf beiden Seiten das Fundament des Konfliktes sind: Laut einer Untersuchung an der Universität Tel Aviv sind 70% der palästinensischen Jugendlichen und 30 % der Kinder israelischer Siedler wegen dem Nahost-Konflikt traumatisiert (645 jüdische Israelis und 552 arabisch-palästinensische Jugendliche wurden befragt). (vgl. National Zeitung und Baseler Nachrichten, 03.07.2002, „Die Gewalt im Nahen Osten zerfrisst die Seelen der Kinder“)
Gemäß einer Studie leiden beinahe die Hälfte der israelischen Eltern und ein Drittel der Kinder in Sderot an post-traumatischem Stress. (vgl. Artikel von Eli Ashkenazi und Auszüge aus einem Artikel von Amos Harel, Ha’aretz, 13.06.2006, „Kassam-Beschuss:
Kinder in Sderot leiden an post-traumatischem Stress“)
Für die israelische Seite fand ich aussagekräftige Zahlen zum sexuellen Missbrauch an Kindern. Im Jahr 2007 gab es in Israel über 41.000 Missbrauchsfälle (Hellfeld), die zur Anzeige gelangten - 1997 waren es noch 21.000. (vgl. Jüdische Zeitung, Oktober 2008, „Rose Pizems Nachlass. Die Zahl der Kindesmisshandlungen in Israel ist drastisch gestiegen“) Die israelische Bevölkerung umfasste 2007 insgesamt 6.426.679 Menschen. Dazu mal ein Vergleich: Im Jahr 2005 kamen in Deutschland 17.526 Fälle von sexuellem Missbrauch zur Anzeige. Die deutsche Bevölkerung umfasste im selben Jahr 82.431.390 Menschen. Israel hat im Verhältnis zu Deutschland 7,8 % Einwohner und dabei 134 % mehr Missbrauchsfälle. Eine erschreckend hohe Zahl (auch wenn man die Zahlen aus dem Jahr 1997 zu Grunde legt und ins Verhältnis setzt)! Man bedenke an dieser Stelle auch, dass hinter jedem „Hellfeldfall“ ein vielfaches an Dunkelfeld steht. Es verwundert also kaum, dass nach einer Dunkelfeldstudie von Schein et al. (2000) 31% der befragten israelischen Frauen über eine Form von sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit berichten. Von den in der Studie befragten Männern gaben 16 % an, sexuell missbraucht worden zu sein.(Insgesamt wurden 1.242 Personen befragt) (vgl. Pagovich, O. 2004: Israel. In: Malley-Morrison, K. (Hrsg.): International Perspectives on Family Violence and Abuse. A Cognitive Ecological Approach. Routledge, S. 192)
Außerdem wird auf Grundlage von angezeigten Fällen geschätzt, dass von den ca. 2 Millionen israelischen Kindern 300.000 (also 15 %) gefährdet sind, Kindesmisshandlung zu erleben. (ebd.) Einer Studie von Sternberg & Krispin (1993) nach erlebten 30 % (33 von 110) der befragten israelischen Kinder körperliche Misshandlungen durch ihre Eltern innerhalb von 6 Monaten vor der Befragung. (ebd.)
Es sind zusammengefasst also zwei wesentliche tiefere Ursachen des Konfliktes sehr wahrscheinlich: Das hohe Ausmaß an Gewalt gegen Kinder und die hohe Traumatisierungsrate der Menschen durch das Kriegsgeschehen auf beiden Seiten. Somit kann der Konflikt aus meiner Sicht langfristig nur gelöst werden, wenn die Gewalt gegen Kinder erheblich reduziert wird und wenn traumatisierten Menschen systematisch und umfassend psychologische Hilfe zu Teil wird. Ein nachhaltiger Frieden ist immer ein innerer Prozess, kein äußerlicher, keiner durch Macht und Gewalt „gesicherter“.
"Die Armee kommt in Israel gleich nach Gott.", sagt eine Aktivistin von "Machsom Watch". Bereits Kinder würden dazu erzogen, den Armeedienst hochzustilisieren. Der Armeedienst in Israel sei das wichtigste gesellschaftliche Übergangsritual und würde zu einer starken Militarisierung der jüdischen Gesellschaft führen. (in Israel verrichten Frauen 2 Jahre und Männer 3 Jahre den Militärdienst.) (vgl. Jüdische Zeitung, September 2008, „Wir sind in Israel die Ausgestoßenen.“; ergänzend Homepage von Machsom Watch)
Ich denke, dass die israelische Gesellschaft auch hier umdenken und mehr an einer zivilen Gesellschaft arbeiten sollte. An dieser Stelle sei auch an das Kapitel 5. im Grundlagentext erinnert.
Im Übrigen frage ich mich, ob man dem israelischen Volk nicht vermitteln kann, dass – wenn man es mal ganz kalt und rechnerisch betrachtete – seit 2000 bei den Raketenangriffen der Hamas auf israelische Städte 22 Menschen starben (vgl. SPIEGEL-Online, 09.01.2009, „Israel trotzt der Uno - Gaza-Krieg geht weiter“), ca. 3 pro Jahr und dass man bei allem Verständnis für das seelische Leid der Bevölkerung nicht bereit ist, kriegerisch zu reagieren (im Zeitraum 27.12.2008 bis 09.01.2009 wurden übrigens nach palästinensischen Angaben 780 Palästinenser durch israelische Angriffe getötet. vgl. ebd.)?
Ich komme erneut zu dem Schluss, dass die israelische Reaktion irrational begründet zu sein schein. Sie macht einfach keinen Sinn. Man muss hier also vielmehr nach den emotionalen (unbewussten) Motiven suchen.
Ich frage mich, was passieren würde, wenn beide Seiten keine klaren Feindbilder mehr hätte? Könnten Sie überhaupt ohne Feind existieren? Wie sagte noch Soldat C.: „Wenn ich nicht wenigstens einmal die Woche eine Rebellion niederschlagen kann, dann werde ich verrückt.“
Hinweis: Diesen Beitrag habe ich um einige wichtige Informationen ergänzt, denn ganz offensichtlich gab es auch alternative Wege, den Beschuss zu stoppen. Lesen kann man diese hier.
Dienstag, 16. Dezember 2008
Die Irrationalität des Krieges
Kriege haben weitgehend emotionale Gründe (die mit traumatischen Kindheitserfahrungen in direkter Verbindung stehen), so die psychohistorische Grundthese. Damit steht diese These weitgehend entgegen üblichen Darstellungen und Theorien, die Kriege mit rationalem Handeln und gesellschaftlich-politischen insbesondere auch ökonomischen Prozessen in Verbindung bringen.
Die Irrationalität des Krieges lässt sich aktuell sehr gut am Beispiel des Irakfeldzuges festmachen. Dazu vorweg einige Informationen:
Ein Untersuchungsbericht vom November 2006 erstellt von einer Gruppe von Fachleuten genannt „Mental Health Advisory Team" schildert folgendes: „Geradezu erschreckende Resultate förderten die Militärpsychologen im Hinblick auf die ethisch-moralischen Einstellungsmuster der US-Soldaten am Golf zutage. Weit weniger als die Hälfte der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die Zivilbevölkerung mit Würde und Respekt zu behandeln sei. Dagegen meinten mehr als vierzig Prozent, dass Folter erlaubt sein sollte, wenn das Leben von Kameraden auf dem Spiel stehe oder wenn es schlicht darum gehe, Informationen zu gewinnen. (...) Immerhin zehn Prozent gaben zu, eigenhändig irakische Zivilisten auf die ein oder andere Weise misshandelt zu haben. Diese Ergebnisse bestätigen Aussagen von englischen Offizieren, die bereits vor geraumer Zeit moniert hatten, das US-Militär würde die Iraker als "Untermenschen" behandeln. Wohlgemerkt: die Briten gebrauchten tatsächlich den deutschen Originalbegriff. (...)“ (NDR Info, „Streitkräfte und Strategien“ (Sendereihe), 25.08.2007: „Überfordert in asymmetrischen Konflikten? US-Soldaten im zermürbenden Kampf gegen Aufständische „Gastbeitrag von Dipl. Päd. Jürgen Rose (Oberstleutnant der Bundeswehr) http://www.bits.de/public/gast/07rose-02.htm)
In einem Einzelbericht des ehemaligen Obergefreiten Joshua Key (Buch "Ich bin ein Deserteur") heißt es: „In den Augen unserer Armee waren die Iraker keine Menschen, sondern Terroristen, Selbstmordattentäter, Sandnigger und Lumpenköpfe. Wir mussten sie geringer achten als Menschen, um überhaupt zu unseren Taten fähig zu sein. In der Militärausbildung brachte man uns bei, die Iraker als minderwertig zu betrachten, und diese Haltung überquerte mit uns die Meere, als wir in den Kampfeinsatz flogen“ (ebd.)Er macht dafür vor allem Defizite in der Ausbildung verantwortlich. Den Rekruten werde jede Regung von Mitmenschlichkeit ausgetrieben. Sie würden zu bedingungslos funktionierenden Kampfrobotern gedrillt.
Die vorsichtige Prognose des Ökonomen und Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz lautet: Angenommen die US-Truppen ziehen sich bis 2012 schrittweise zurück, dann kostet zum Beispiel der weitere Militäreinsatz inklusive Milliardensummen für versehrte Veteranen und Zinsen für Kriegskredite: Insgesamt drei Billionen US-Dollar (vgl. ARD-Magazin „Monitor“, 13.03.2008) Man führe sich diese Summe vor Augen: 3.000.000.000.000 Dollar! (Mit dieser Summe könnte man z.B. auf einen Schlag die gesamte Staatsverschuldung Deutschlands tilgen und hätte immer noch ca. 1,5 Billionen über)
"Wenn man uns vorwirft, dass wir nur die Kosten addieren und nicht den Nutzen einberechnen, dann stimmt das", sagt Stiglitz, "aber es fällt mir schwer, überhaupt Nutzen zu erkennen." Auch die Vorhaltung, man ziehe ja schließlich nicht mit einer fertigen Kostenrechnung in den Krieg, will der Nobelpreisträger nicht gelten lassen: "Es war keine Antwort auf einen Überraschungsangriff wie Pearl Harbor, sondern ein selbst gewählter Krieg, ein präventiver Krieg. Da gehört es zu den demokratischen Spielregeln, offen zu sagen, mit welchen Kosten man rechnen muss." (ZEIT-Online, 26.02.2008, "Der Drei-Billionen-Krieg", http://www.zeit.de/online/2008/09/stiglitz-irakkrieg-kosten?page=2)
Ein Tagesschaubericht vom 31.10.2006 stellt die Kosten so dar: Der Irak-Krieg kostet zwei Milliarden Dollar pro Woche (http://www.tagesschau.de/ausland/meldung91602.html) Berechnet wurden hier offensichtlich nur direkte Kosten.
Diese enormen Ausgaben sind für die USA nie wieder durch Ausbeutung des Irak "reinzuholen". Es ging also nie um ökonomische Gründe!
Ein Team um Gilbert Burnham von der Johns Hopkins School of Medicine im amerikanischen Baltimore hat errechnet, dass zwischen März 2003 und Sommer 2006 im Irak 654965 Menschen an Kriegsfolgen ums Leben kamen. Das wären etwa 600 Todesopfer an jedem Tag. Diese aus Umfragen und Hochrechnungen ermittelte Zahl würde bedeuten, dass 2,5 Prozent der irakischen Bevölkerung seit Kriegsbeginn gestorben sind. Die Forscher hatten in den 16 Regierungsbezirken des Irak 50 Regionen zufällig ausgewählt und dort die Zahl der gewaltsamen Todesfälle erhoben. Dazu wurden fast 13.000 Menschen befragt, ob Familienmitglieder umgekommen seien, und Totenscheine eingesehen. (sueddeutsche.de, 11.01.2007, "600 Tote pro Tag", http://www.sueddeutsche.de/politik/205/362027/text/)
Die Befreiung und der Schutz des irakischen Volkes sind hier offensichtlich auch nicht die Gründe für den Feldzug. Was logisch ist, da ein Feldzug an sich nie die Bevölkerung schützen kann, sondern diese erfahrungsgemäß weit mehr schädigt, als die militärischen Akteure.
Ich fand es - nebenbei bemerkt - auch immer sehr erschreckend, wie Bunker, Paläste usw. im Irak eifrig aus der Luft bombardiert wurden, mit dem Ziel, mögliche Waffenlager auch von Massenvernichtungswaffen zu zerstören. Öffentlich war sich die US-Regierung ja sicher, dass der Irak solche Waffen hatte, auch wenn dies nicht der Wahrheit entsprach, wie wir heute wissen. Wenn aber auch nur eine gewisse Chance bestand, dass dort wirklich entsprechende Waffen hätten lagern können, entschuldigung: Dann widerspricht es jeder Logik, diese Stellungen anzugreifen! Denn die Folgen vor Ort für die dortige Bevölkerung wären verheerend gewesen, wenn dort z.B. nukleare Stoffe und andere extreme Gifte in die Umwelt gelangt wären. Auf solche Weise schafft man sich keinen Rückhalt bei dem irakischen Volk, sondern signalisiert nur, wie egal einem Menschenleben sind.
Solche Berichte enthüllen also exemplarisch wesentliche Aspekte, die mir bzgl. des Irakkrieges durch den Kopf gehen:
Soldaten, die logischerweise (durch extreme, systematische Belastungen in der Rekrutenzeit wie es die USA praktiziert) zum Töten ausgebildet werden, können keinen Frieden stiften und Aufbauhilfe leisten. Letzteres ist in ihrer Ausbildung gar nicht vorgesehen. Das ist eine eigentlich ganz banale Feststellung. Wenn die USA behaupten, sie hätten das irakische Volk befreien wollen (US-Präsident Bush erklärt am 20.03.2003 in einer Fernsehansprache, die militärische Operation zur "Entwaffnung Iraks und zur Befreiung seines Volkes" habe begonnen - siehe Artikel: "Chronik eines angekündigten Krieges"), kann man nicht mal mehr lachen.
Die psychohistorische Forschung weist darauf hin, dass Kriege im Grundsatz nicht aus rationalen Gründen („Wir brauchen Öl, also überfallen wir den Irak“) entstehen, sondern hier emotionale (vor allem unbewusste) Gründe überwiegen. Die obigen Berichte zeigen, dass es eigentlich um das Opfern von Menschen – in diesem Fall insbesondere von dem irakischen Volk, aber auch von den eigenen jungen US-Soldaten – geht. Es geht um das Finden von „Giftcontainern“ für eigene unerträglich (Kindheits-)Traumatisierungen, um sich zu erleichtern (siehe dazu ausführlich deMause, 2005). Lloyd deMause schreibt: „Die gesamte Lehrmeinung der rationalen Entscheidungen der Kriegstheoretiker, alle, die behaupten, Nutzen sei das ultimative Motiv für Krieg, scheitern an den extensiven empirischen Forschungsarbeiten der letzten Jahre über Hunderte von Kriegen, die übereinstimmend zeigen, dass Kriege destruktiv und nicht etwa nützlich sind; dass diejenigen, die einen Krieg beginnen, diesen normalerweise verlieren; und dass Führer, die Kriege ausrufen, sich nie darüber Gedanken machen, ob die Gewinne die Kosten übersteigen. (...) In Vietnam kostete Amerika die Tötung jedes feindlichen Soldaten mehrere hunderttausend Dollar; auch die heutige Welt gibt für Kriegszwecke und zur Erhaltung der militärischen Kräfte jedes Jahr Milliarden von Dollar aus, weit mehr, als durch einen Krieg eingenommen werden könnte. (...) Meine jahrzehntelange Untersuchung von Führeransprachen, die Nationen mitteilten, sie würden in den Krieg ziehen, weist nicht eine auf, wo durch diese Aktion materielle Vorteile versprochen worden wären. Führer versprechen „Opfer“, und nicht Gewinn.“ (deMause, 2005, S. 111)
Ich meine, dass die klassischen Kriegstheoretiker zukünftig über den Tellerrand schauen müssen und das Gebot der Stunde ist, sich mal mit den psychohistorischen Thesen zu beschäftigen!
Die Irrationalität des Krieges lässt sich aktuell sehr gut am Beispiel des Irakfeldzuges festmachen. Dazu vorweg einige Informationen:
Ein Untersuchungsbericht vom November 2006 erstellt von einer Gruppe von Fachleuten genannt „Mental Health Advisory Team" schildert folgendes: „Geradezu erschreckende Resultate förderten die Militärpsychologen im Hinblick auf die ethisch-moralischen Einstellungsmuster der US-Soldaten am Golf zutage. Weit weniger als die Hälfte der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die Zivilbevölkerung mit Würde und Respekt zu behandeln sei. Dagegen meinten mehr als vierzig Prozent, dass Folter erlaubt sein sollte, wenn das Leben von Kameraden auf dem Spiel stehe oder wenn es schlicht darum gehe, Informationen zu gewinnen. (...) Immerhin zehn Prozent gaben zu, eigenhändig irakische Zivilisten auf die ein oder andere Weise misshandelt zu haben. Diese Ergebnisse bestätigen Aussagen von englischen Offizieren, die bereits vor geraumer Zeit moniert hatten, das US-Militär würde die Iraker als "Untermenschen" behandeln. Wohlgemerkt: die Briten gebrauchten tatsächlich den deutschen Originalbegriff. (...)“ (NDR Info, „Streitkräfte und Strategien“ (Sendereihe), 25.08.2007: „Überfordert in asymmetrischen Konflikten? US-Soldaten im zermürbenden Kampf gegen Aufständische „Gastbeitrag von Dipl. Päd. Jürgen Rose (Oberstleutnant der Bundeswehr) http://www.bits.de/public/gast/07rose-02.htm)
In einem Einzelbericht des ehemaligen Obergefreiten Joshua Key (Buch "Ich bin ein Deserteur") heißt es: „In den Augen unserer Armee waren die Iraker keine Menschen, sondern Terroristen, Selbstmordattentäter, Sandnigger und Lumpenköpfe. Wir mussten sie geringer achten als Menschen, um überhaupt zu unseren Taten fähig zu sein. In der Militärausbildung brachte man uns bei, die Iraker als minderwertig zu betrachten, und diese Haltung überquerte mit uns die Meere, als wir in den Kampfeinsatz flogen“ (ebd.)Er macht dafür vor allem Defizite in der Ausbildung verantwortlich. Den Rekruten werde jede Regung von Mitmenschlichkeit ausgetrieben. Sie würden zu bedingungslos funktionierenden Kampfrobotern gedrillt.
Die vorsichtige Prognose des Ökonomen und Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz lautet: Angenommen die US-Truppen ziehen sich bis 2012 schrittweise zurück, dann kostet zum Beispiel der weitere Militäreinsatz inklusive Milliardensummen für versehrte Veteranen und Zinsen für Kriegskredite: Insgesamt drei Billionen US-Dollar (vgl. ARD-Magazin „Monitor“, 13.03.2008) Man führe sich diese Summe vor Augen: 3.000.000.000.000 Dollar! (Mit dieser Summe könnte man z.B. auf einen Schlag die gesamte Staatsverschuldung Deutschlands tilgen und hätte immer noch ca. 1,5 Billionen über)
"Wenn man uns vorwirft, dass wir nur die Kosten addieren und nicht den Nutzen einberechnen, dann stimmt das", sagt Stiglitz, "aber es fällt mir schwer, überhaupt Nutzen zu erkennen." Auch die Vorhaltung, man ziehe ja schließlich nicht mit einer fertigen Kostenrechnung in den Krieg, will der Nobelpreisträger nicht gelten lassen: "Es war keine Antwort auf einen Überraschungsangriff wie Pearl Harbor, sondern ein selbst gewählter Krieg, ein präventiver Krieg. Da gehört es zu den demokratischen Spielregeln, offen zu sagen, mit welchen Kosten man rechnen muss." (ZEIT-Online, 26.02.2008, "Der Drei-Billionen-Krieg", http://www.zeit.de/online/2008/09/stiglitz-irakkrieg-kosten?page=2)
Ein Tagesschaubericht vom 31.10.2006 stellt die Kosten so dar: Der Irak-Krieg kostet zwei Milliarden Dollar pro Woche (http://www.tagesschau.de/ausland/meldung91602.html) Berechnet wurden hier offensichtlich nur direkte Kosten.
Diese enormen Ausgaben sind für die USA nie wieder durch Ausbeutung des Irak "reinzuholen". Es ging also nie um ökonomische Gründe!
Ein Team um Gilbert Burnham von der Johns Hopkins School of Medicine im amerikanischen Baltimore hat errechnet, dass zwischen März 2003 und Sommer 2006 im Irak 654965 Menschen an Kriegsfolgen ums Leben kamen. Das wären etwa 600 Todesopfer an jedem Tag. Diese aus Umfragen und Hochrechnungen ermittelte Zahl würde bedeuten, dass 2,5 Prozent der irakischen Bevölkerung seit Kriegsbeginn gestorben sind. Die Forscher hatten in den 16 Regierungsbezirken des Irak 50 Regionen zufällig ausgewählt und dort die Zahl der gewaltsamen Todesfälle erhoben. Dazu wurden fast 13.000 Menschen befragt, ob Familienmitglieder umgekommen seien, und Totenscheine eingesehen. (sueddeutsche.de, 11.01.2007, "600 Tote pro Tag", http://www.sueddeutsche.de/politik/205/362027/text/)
Die Befreiung und der Schutz des irakischen Volkes sind hier offensichtlich auch nicht die Gründe für den Feldzug. Was logisch ist, da ein Feldzug an sich nie die Bevölkerung schützen kann, sondern diese erfahrungsgemäß weit mehr schädigt, als die militärischen Akteure.
Ich fand es - nebenbei bemerkt - auch immer sehr erschreckend, wie Bunker, Paläste usw. im Irak eifrig aus der Luft bombardiert wurden, mit dem Ziel, mögliche Waffenlager auch von Massenvernichtungswaffen zu zerstören. Öffentlich war sich die US-Regierung ja sicher, dass der Irak solche Waffen hatte, auch wenn dies nicht der Wahrheit entsprach, wie wir heute wissen. Wenn aber auch nur eine gewisse Chance bestand, dass dort wirklich entsprechende Waffen hätten lagern können, entschuldigung: Dann widerspricht es jeder Logik, diese Stellungen anzugreifen! Denn die Folgen vor Ort für die dortige Bevölkerung wären verheerend gewesen, wenn dort z.B. nukleare Stoffe und andere extreme Gifte in die Umwelt gelangt wären. Auf solche Weise schafft man sich keinen Rückhalt bei dem irakischen Volk, sondern signalisiert nur, wie egal einem Menschenleben sind.
Solche Berichte enthüllen also exemplarisch wesentliche Aspekte, die mir bzgl. des Irakkrieges durch den Kopf gehen:
Soldaten, die logischerweise (durch extreme, systematische Belastungen in der Rekrutenzeit wie es die USA praktiziert) zum Töten ausgebildet werden, können keinen Frieden stiften und Aufbauhilfe leisten. Letzteres ist in ihrer Ausbildung gar nicht vorgesehen. Das ist eine eigentlich ganz banale Feststellung. Wenn die USA behaupten, sie hätten das irakische Volk befreien wollen (US-Präsident Bush erklärt am 20.03.2003 in einer Fernsehansprache, die militärische Operation zur "Entwaffnung Iraks und zur Befreiung seines Volkes" habe begonnen - siehe Artikel: "Chronik eines angekündigten Krieges"), kann man nicht mal mehr lachen.
Die psychohistorische Forschung weist darauf hin, dass Kriege im Grundsatz nicht aus rationalen Gründen („Wir brauchen Öl, also überfallen wir den Irak“) entstehen, sondern hier emotionale (vor allem unbewusste) Gründe überwiegen. Die obigen Berichte zeigen, dass es eigentlich um das Opfern von Menschen – in diesem Fall insbesondere von dem irakischen Volk, aber auch von den eigenen jungen US-Soldaten – geht. Es geht um das Finden von „Giftcontainern“ für eigene unerträglich (Kindheits-)Traumatisierungen, um sich zu erleichtern (siehe dazu ausführlich deMause, 2005). Lloyd deMause schreibt: „Die gesamte Lehrmeinung der rationalen Entscheidungen der Kriegstheoretiker, alle, die behaupten, Nutzen sei das ultimative Motiv für Krieg, scheitern an den extensiven empirischen Forschungsarbeiten der letzten Jahre über Hunderte von Kriegen, die übereinstimmend zeigen, dass Kriege destruktiv und nicht etwa nützlich sind; dass diejenigen, die einen Krieg beginnen, diesen normalerweise verlieren; und dass Führer, die Kriege ausrufen, sich nie darüber Gedanken machen, ob die Gewinne die Kosten übersteigen. (...) In Vietnam kostete Amerika die Tötung jedes feindlichen Soldaten mehrere hunderttausend Dollar; auch die heutige Welt gibt für Kriegszwecke und zur Erhaltung der militärischen Kräfte jedes Jahr Milliarden von Dollar aus, weit mehr, als durch einen Krieg eingenommen werden könnte. (...) Meine jahrzehntelange Untersuchung von Führeransprachen, die Nationen mitteilten, sie würden in den Krieg ziehen, weist nicht eine auf, wo durch diese Aktion materielle Vorteile versprochen worden wären. Führer versprechen „Opfer“, und nicht Gewinn.“ (deMause, 2005, S. 111)
Ich meine, dass die klassischen Kriegstheoretiker zukünftig über den Tellerrand schauen müssen und das Gebot der Stunde ist, sich mal mit den psychohistorischen Thesen zu beschäftigen!
Freitag, 12. Dezember 2008
Historische Kindererziehungspraktiken und Persönlichkeiten
(Idealtypische) Historische Kindererziehungspraktiken und Persönlichkeiten nach Lloyd deMause, 2005, S. 278ff + S. 183ff
gekürzte Beschreibung:
1a. Früher Infantizidmodus (Schizoide Psychoklasse); Zeit: Tribalismus, Banden und Stämme:
Primitive Elternschaft; sehr wenig Empathie für das Kind; Vater ist grundsätzlich in den ersten Jahren emotional abwesend; offener Inzest; Kindesvergewaltigungen; sehr häufig Kindestötungen; Körperverstümmelungen; Folterungen; emotionale Verstoßung; die Folgen sind zersplitterte Persönlichkeiten, vollkommen unfähig, sich selbst zu lieben; Schizoide können keine engen Beziehungen aushalten und sind folglich nicht in der Lage, höhere Stufen sozialer Organisation, die auf Vertrauen basieren, zu bilden.
1b. Später Infantizidmodus (Narzisstische Psychoklasse); Zeit: Altertum/Antike; von Königtümern bis zu frühen Staaten:
Kindestötungen immer noch häufig, ebenso sind Kindervergewaltigungen weiter Routine; allerdings wird das junge Kind nicht mehr so offen von der Mutter zurückgewiesen und der Vater fängt an, sich mehr mit Anleitungen des älteren Kindes zu beschäftigen; einengende Methoden wie das straffe Einwickeln vom Kleinkind finden Verbreitung, ebenso die Institutionalisierung von Fürsorge in Form von z.B. Ammen, In-Pflege-Geben, Verwendung von Kindern anderer als Sklaven und Diener usw.; das Verprügeln von Kindern ist weniger impulsiv und wird mehr als Disziplinierung verwendet.
2. Verstoßender Modus (Masochistische Psychoklasse); Zeit: Christentum, ab dem 1.Jahrhundert
Ausgehend vom Christentum bringen mehr Eltern ihre Kinder nicht um, sondern verstoßen sie, sowohl emotional als auch durch Weggeben zu Ammen, in Klöster usw.; vom Kind dachte man, es sei voll von Bösen auf die Welt gekommen und so wurde früher und härter geschlagen; vorherrschend war weiterhin eine missbrauchende Kinderfürsorge; jedoch konnten die frühen Christen zum ersten mal in der Geschichte hoffen, von ihren Müttern ein Stück weit geliebt zu werden, wenn sie diesen ihre (masochistischen) Leiden zeigten und deren Mitgefühl erregten.
3. Ambivalenter Modus (Borderline Psychoklasse); Zeit: Mittelalter, ab 12. Jh.:
Die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung von Ambivalenz - Liebe und Hass - gegenüber Kindern ist ein großer Fortschritt in diesem Modus (die ersten Schritte in Richtung Unabhängigkeitsrechte für Kinder); weniger Kinder wurden verstoßen, Gesetze gegen Kindervergewaltigung in Erwägung gezogen, die ersten Kinderschutzgesetze erlassen und die Schulbildung und Kindermedizin erweitert; die meisten Mütter weisen ihre Kinder aber immer noch zurück; das Kind wurde als weniger von Geburt an sündig und böse gesehen; die Verbesserung der Kindererziehung in diesem Modus erlaubte die Entdeckung des Individuums, nach deMause kam der technische und gesellschaftliche Forschschritt dieser Zeit wesentlich durch diese Verbesserungen in Gang.
4. Aufdringlicher Modus (Depressive Psychoklasse); Zeit: Renaissance, ab 16. Jh.: Das straffe Wickeln von Kleinkindern ging zurück, ebenso das Verprügeln und Vergewaltigen; die Wohlhabenden fingen an, ihre Kinder selbst aufzuziehen und erlaubten sich emotionale Bindungen an das Kind; speziell in England (zugleich am fortschrittlichsten entwickelte sich auch die Kindererziehung in Frankreich) wurde versucht, das Wachstum von Kindern nicht mehr zu unterbinden, sondern dieses zu kontrollieren und das Kind gehorsam zu machen; es gab eine aufdringliche Überkontrolle; die Eltern kamen ihren Kindern aber näher und schenkten ihnen mehr Aufmerksamkeit; es gab getrennte Kinderbetten und Lebensweisen; Empathie setzte mit diesem Modus ein, das daraus folgende "Heilen von Dissoziation" und die Zunahme von Individuation brachte nach deMause die religiösen, wissenschaftlichen, politischen und ökonomischen Revolutionen der Zeit hervor; da die Mehrheit der Bevölkerung in Europa allerdings weiterhin aus früheren Psychoklassen bestand, antworteten diese mit Gewalt auf den großen gesellschaftlichen Fortschritt. "Historiker waren lange verwundert darüber, dass in den fortschrittlichsten Jahrhunderten eine Epidemie der Hexerei ausbrach, wenn man aber die Manie als Reaktion auf Wachstumspanik betrachtet, wird dies nachvollziehbar." (deMause, 2005, S. 299)
5. Sozialisierender Modus (Neurotische Psychoklasse); Zeit: Moderne, ab 18.Jh.:
Die Kinderzahl sank bei den meisten Eltern auf auf drei oder vier, weil die Eltern mehr in der Lage sein wollten, ihren Kindern mehr Pflege zuteil werden zu lassen; die elterliche Absicht war weiterhin, den Kindern ihre eigenen Ziele aufzudrücken, insbesondere geschah dies durch psychologische Manipulation und weiterhin auch durch körperliche Gewalt gegen kleine Kinder; das sozialisierte Kind besaß wesentlich mehr Freiheit und Respekt als das in jedem vorausgegangenen Modus; Mütter fingen an, die Fürsorge für die Kinder zu genießen und selbst die Väter begannen, mit den Kindern zu spielen und brachten ihnen Dinge bei; "Der sozialisierende Modus hat die moderne industrialisierte Welt geschaffen und ihre neuen Werte des Nationalismus und der Demokratie repräsentieren die sozialen Modelle der meisten Menschen heute, weil das Ende des Kinderprügelns der sozialisierten Persönlichkeit erlaubt, ihrem Bedarf, sich an einen autoritären Führer zu klammern, zu reduzieren." (deMause, 2005, S. 187)
6. Helfender Modus (Individualisierte Psychoklasse); Zeit: Postmoderne, ab 20. Jh.: Die hauptsächliche Rolle der Eltern besteht in der Hilfestellung für das Kind in jeder Altersstufe, was viel Aufwand, Zeit und Energie bedeutet; das erste mal sind Kinder für die Eltern keine schwierige Aufgabe mehr, sondern eine Freude; sowohl Mutter als auch Vater sind vom Säuglingsalter an gleichwertig mit dem Kind befasst und helfen diesem, eine autonome, selbstbestimmte Person zu werden; die Kinder werden bedingungslos geliebt und werden nicht geschlagen; wenn Eltern unter Stress Fehler begehen und ihre Kinder z.B. anbrüllen, entschuldigen sie sich danach bei ihnen; diese so behandelten Kinder sind wesentlich empathischer gegenüber anderen Menschen in der Gesellschaft als frühere Generationen; "Es ist keine Frage, dass, würde die Welt Kinder nach dem helfenden Modus großziehen, Kriege und alle anderen selbstdestruktiven sozialen Bedingungen, unter denen wir im 21.Jahrhundert immer noch leiden, getilgt sein würden, weil die Welt einfach mit individualisierten Persönlichkeiten gefüllt sein würde, die empathisch gegenüber anderen und nicht selbstdestruktiv wären." (ebd., S. 305)
Diese vorgestellten Kindererziehungsmodi sind laut deMause durch fünf historische Studien und über 100 wissenschaftliche Artikel im Journal of Psychohistory bestätigt worden. (Wie ich in einem Text hier herausgestellt habe, könnte zur Unterstützung dieser Thesen auch die bedeutende Studie von Philippe Aries herangezogen werden, die leider oftmals als gegensätzlich zu deMause dargestellt wird) Heute existieren auch in modernen Nationen Eltern aus allen sechs Kindererziehungsmodi nebeneinander, was gewaltige Konflikte ergeben kann. Die meisten destruktiven Konflikte auf der Welt sind demnach im Grunde "Psychoklassenkonflikte".
Eine Tabelle unter wikipedia.org zeigt die Verteilung der "Psychoklassen" (Tabelle entnommen aus http://en.wikipedia.org/wiki/Psychohistory, ursprüngliche Quelle: DeMause, L. 1982: Foundations of Psychohistory. Creative Roots Publishing. S. 61 + 132–146. (Persönlicher Hinweis: Da diese Tabelle Anfang der 80er Jahre von deMause erstellt wurde, dürfte sich die Verteilung im letzten Abschnitt mittlerweile etwas verändert haben. Schließlich hat sich innerhalb der letzten 30 Jahre enorm viel zu Gunsten von Kindern entwickelt.)
Die Evolution von Psyche und Gesellschaft - folgend dem o.g. idealtypischen Muster - ging laut der psychogenen Theorie in der Geschichte hauptsächlich von sich veränderten Kindererziehungspraktiken aus. Die Vaterrolle ist dabei historisch betrachtet eine sehr späte Erfindung (der Moderne). Frauen (Großmütter, Tanten, Ammen, Dienerinnen usw.) bzw. Mütter waren hauptsächlich für die Kindererziehung verantwortlich. Demnach postuliert nur diese Theorie, dass für den größten Teil der Geschichte Frauen die wesentliche Ursache historischer Veränderungen und von sozialem Forschritt sind. (ebd. S. 177, S. 218) "Was wie ein Wunder scheint, (...) ist, dass Mütter über die gesamte Geschichte hindurch langsam und erfolgreich, ohne große Hilfe von anderen, gegen ihre Angst und ihren Hass ankämpften und es ihnen gelungen ist, die liebende und empathische Kindererziehung zu entwickeln, welche wir heute bei vielen Familien rund um die Welt finden können." (ebd., S. 218)
deMause, L.2005: Das emotionale Leben der Nationen. Drava Verlag, Klagenfurt/Celovec.
gekürzte Beschreibung:
1a. Früher Infantizidmodus (Schizoide Psychoklasse); Zeit: Tribalismus, Banden und Stämme:
Primitive Elternschaft; sehr wenig Empathie für das Kind; Vater ist grundsätzlich in den ersten Jahren emotional abwesend; offener Inzest; Kindesvergewaltigungen; sehr häufig Kindestötungen; Körperverstümmelungen; Folterungen; emotionale Verstoßung; die Folgen sind zersplitterte Persönlichkeiten, vollkommen unfähig, sich selbst zu lieben; Schizoide können keine engen Beziehungen aushalten und sind folglich nicht in der Lage, höhere Stufen sozialer Organisation, die auf Vertrauen basieren, zu bilden.
1b. Später Infantizidmodus (Narzisstische Psychoklasse); Zeit: Altertum/Antike; von Königtümern bis zu frühen Staaten:
Kindestötungen immer noch häufig, ebenso sind Kindervergewaltigungen weiter Routine; allerdings wird das junge Kind nicht mehr so offen von der Mutter zurückgewiesen und der Vater fängt an, sich mehr mit Anleitungen des älteren Kindes zu beschäftigen; einengende Methoden wie das straffe Einwickeln vom Kleinkind finden Verbreitung, ebenso die Institutionalisierung von Fürsorge in Form von z.B. Ammen, In-Pflege-Geben, Verwendung von Kindern anderer als Sklaven und Diener usw.; das Verprügeln von Kindern ist weniger impulsiv und wird mehr als Disziplinierung verwendet.
2. Verstoßender Modus (Masochistische Psychoklasse); Zeit: Christentum, ab dem 1.Jahrhundert
Ausgehend vom Christentum bringen mehr Eltern ihre Kinder nicht um, sondern verstoßen sie, sowohl emotional als auch durch Weggeben zu Ammen, in Klöster usw.; vom Kind dachte man, es sei voll von Bösen auf die Welt gekommen und so wurde früher und härter geschlagen; vorherrschend war weiterhin eine missbrauchende Kinderfürsorge; jedoch konnten die frühen Christen zum ersten mal in der Geschichte hoffen, von ihren Müttern ein Stück weit geliebt zu werden, wenn sie diesen ihre (masochistischen) Leiden zeigten und deren Mitgefühl erregten.
3. Ambivalenter Modus (Borderline Psychoklasse); Zeit: Mittelalter, ab 12. Jh.:
Die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung von Ambivalenz - Liebe und Hass - gegenüber Kindern ist ein großer Fortschritt in diesem Modus (die ersten Schritte in Richtung Unabhängigkeitsrechte für Kinder); weniger Kinder wurden verstoßen, Gesetze gegen Kindervergewaltigung in Erwägung gezogen, die ersten Kinderschutzgesetze erlassen und die Schulbildung und Kindermedizin erweitert; die meisten Mütter weisen ihre Kinder aber immer noch zurück; das Kind wurde als weniger von Geburt an sündig und böse gesehen; die Verbesserung der Kindererziehung in diesem Modus erlaubte die Entdeckung des Individuums, nach deMause kam der technische und gesellschaftliche Forschschritt dieser Zeit wesentlich durch diese Verbesserungen in Gang.
4. Aufdringlicher Modus (Depressive Psychoklasse); Zeit: Renaissance, ab 16. Jh.: Das straffe Wickeln von Kleinkindern ging zurück, ebenso das Verprügeln und Vergewaltigen; die Wohlhabenden fingen an, ihre Kinder selbst aufzuziehen und erlaubten sich emotionale Bindungen an das Kind; speziell in England (zugleich am fortschrittlichsten entwickelte sich auch die Kindererziehung in Frankreich) wurde versucht, das Wachstum von Kindern nicht mehr zu unterbinden, sondern dieses zu kontrollieren und das Kind gehorsam zu machen; es gab eine aufdringliche Überkontrolle; die Eltern kamen ihren Kindern aber näher und schenkten ihnen mehr Aufmerksamkeit; es gab getrennte Kinderbetten und Lebensweisen; Empathie setzte mit diesem Modus ein, das daraus folgende "Heilen von Dissoziation" und die Zunahme von Individuation brachte nach deMause die religiösen, wissenschaftlichen, politischen und ökonomischen Revolutionen der Zeit hervor; da die Mehrheit der Bevölkerung in Europa allerdings weiterhin aus früheren Psychoklassen bestand, antworteten diese mit Gewalt auf den großen gesellschaftlichen Fortschritt. "Historiker waren lange verwundert darüber, dass in den fortschrittlichsten Jahrhunderten eine Epidemie der Hexerei ausbrach, wenn man aber die Manie als Reaktion auf Wachstumspanik betrachtet, wird dies nachvollziehbar." (deMause, 2005, S. 299)
5. Sozialisierender Modus (Neurotische Psychoklasse); Zeit: Moderne, ab 18.Jh.:
Die Kinderzahl sank bei den meisten Eltern auf auf drei oder vier, weil die Eltern mehr in der Lage sein wollten, ihren Kindern mehr Pflege zuteil werden zu lassen; die elterliche Absicht war weiterhin, den Kindern ihre eigenen Ziele aufzudrücken, insbesondere geschah dies durch psychologische Manipulation und weiterhin auch durch körperliche Gewalt gegen kleine Kinder; das sozialisierte Kind besaß wesentlich mehr Freiheit und Respekt als das in jedem vorausgegangenen Modus; Mütter fingen an, die Fürsorge für die Kinder zu genießen und selbst die Väter begannen, mit den Kindern zu spielen und brachten ihnen Dinge bei; "Der sozialisierende Modus hat die moderne industrialisierte Welt geschaffen und ihre neuen Werte des Nationalismus und der Demokratie repräsentieren die sozialen Modelle der meisten Menschen heute, weil das Ende des Kinderprügelns der sozialisierten Persönlichkeit erlaubt, ihrem Bedarf, sich an einen autoritären Führer zu klammern, zu reduzieren." (deMause, 2005, S. 187)
6. Helfender Modus (Individualisierte Psychoklasse); Zeit: Postmoderne, ab 20. Jh.: Die hauptsächliche Rolle der Eltern besteht in der Hilfestellung für das Kind in jeder Altersstufe, was viel Aufwand, Zeit und Energie bedeutet; das erste mal sind Kinder für die Eltern keine schwierige Aufgabe mehr, sondern eine Freude; sowohl Mutter als auch Vater sind vom Säuglingsalter an gleichwertig mit dem Kind befasst und helfen diesem, eine autonome, selbstbestimmte Person zu werden; die Kinder werden bedingungslos geliebt und werden nicht geschlagen; wenn Eltern unter Stress Fehler begehen und ihre Kinder z.B. anbrüllen, entschuldigen sie sich danach bei ihnen; diese so behandelten Kinder sind wesentlich empathischer gegenüber anderen Menschen in der Gesellschaft als frühere Generationen; "Es ist keine Frage, dass, würde die Welt Kinder nach dem helfenden Modus großziehen, Kriege und alle anderen selbstdestruktiven sozialen Bedingungen, unter denen wir im 21.Jahrhundert immer noch leiden, getilgt sein würden, weil die Welt einfach mit individualisierten Persönlichkeiten gefüllt sein würde, die empathisch gegenüber anderen und nicht selbstdestruktiv wären." (ebd., S. 305)
Diese vorgestellten Kindererziehungsmodi sind laut deMause durch fünf historische Studien und über 100 wissenschaftliche Artikel im Journal of Psychohistory bestätigt worden. (Wie ich in einem Text hier herausgestellt habe, könnte zur Unterstützung dieser Thesen auch die bedeutende Studie von Philippe Aries herangezogen werden, die leider oftmals als gegensätzlich zu deMause dargestellt wird) Heute existieren auch in modernen Nationen Eltern aus allen sechs Kindererziehungsmodi nebeneinander, was gewaltige Konflikte ergeben kann. Die meisten destruktiven Konflikte auf der Welt sind demnach im Grunde "Psychoklassenkonflikte".
Eine Tabelle unter wikipedia.org zeigt die Verteilung der "Psychoklassen" (Tabelle entnommen aus http://en.wikipedia.org/wiki/Psychohistory, ursprüngliche Quelle: DeMause, L. 1982: Foundations of Psychohistory. Creative Roots Publishing. S. 61 + 132–146. (Persönlicher Hinweis: Da diese Tabelle Anfang der 80er Jahre von deMause erstellt wurde, dürfte sich die Verteilung im letzten Abschnitt mittlerweile etwas verändert haben. Schließlich hat sich innerhalb der letzten 30 Jahre enorm viel zu Gunsten von Kindern entwickelt.)
Die Evolution von Psyche und Gesellschaft - folgend dem o.g. idealtypischen Muster - ging laut der psychogenen Theorie in der Geschichte hauptsächlich von sich veränderten Kindererziehungspraktiken aus. Die Vaterrolle ist dabei historisch betrachtet eine sehr späte Erfindung (der Moderne). Frauen (Großmütter, Tanten, Ammen, Dienerinnen usw.) bzw. Mütter waren hauptsächlich für die Kindererziehung verantwortlich. Demnach postuliert nur diese Theorie, dass für den größten Teil der Geschichte Frauen die wesentliche Ursache historischer Veränderungen und von sozialem Forschritt sind. (ebd. S. 177, S. 218) "Was wie ein Wunder scheint, (...) ist, dass Mütter über die gesamte Geschichte hindurch langsam und erfolgreich, ohne große Hilfe von anderen, gegen ihre Angst und ihren Hass ankämpften und es ihnen gelungen ist, die liebende und empathische Kindererziehung zu entwickeln, welche wir heute bei vielen Familien rund um die Welt finden können." (ebd., S. 218)
deMause, L.2005: Das emotionale Leben der Nationen. Drava Verlag, Klagenfurt/Celovec.
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