Mit der ZEIT Gerichtsreporterin Sabine Rückert und ihrer - meiner Auffassung nach - destruktiven Berichterstattung über Sexualstraftaten und anzeigende Frauen und Mädchen habe ich mich schon vor einigen Jahren befasst. Leider findet man immer noch relativ wenig kritisches über sie, obwohl man über sie und Gisela Friedrichsen vom SPIEGEL (die ähnlich agiert) mittlerweile ein ganzes Buch schreiben könnte. Insofern möchte ich das Internet um diesen kritischen Beitrag erweitern. Meine Kritik gegen Sabine Rückert richtet sich gegen ihren Umgang mit Sexualstraftaten insgesamt, dadurch werde ich die Bereiche Vergewaltigung/sexuelle Nötigung und sexueller Missbrauch hier etwas zusammenmischen.
Meine Kritik richtet sich kurz gesagt gegen einige deutliche Tendenzen ihrer Berichterstattung, die man wie folgt zusammenfassen kann: Falschbeschuldigungen bei Sexualstrafdelikten seien sehr häufig; viele vermeintliche Täter seien demnach vielmehr die eigentlichen Opfer; die falsch Beschuldigerinnen seien oftmals psychisch krank und labil; Gerichte, Jugendämter, Feministinnen und Kinderschützerinnen seien oftmals verblendet, hysterisch und übereifrig. Zusätzlich fällt mir immer wieder die schnippische, manchmal offen verächtliche Tonart in ihren Artikeln auf, die diesem ernsten Thema nicht angemessen ist.
Zuvor muss mann und frau wissen, wie Frau Rückert über Opfer von sexueller Gewalt denkt. Dies verrät sie in ihrem Buch „Unrecht im Namen des Volkes. Ein Justizirrtum und seine Folgen" (2007), in dem sie frei von der Leber schreibt:
"Der Missbrauchsvorwurf wird zur Generalerklärung für alles Frauenunglück dieser Welt, für Frustrationen, Misserfolg und Wahnsinn. Und er wird zum Blankoscheck für haltlose Verdächtigungen. Alles, was das vermeintliche Opfer braucht, ist ein unkonkretes Unwohlsein, und schon kann es sich guten Gewissens auf die Suche machen nach einem Sündenbock für das eigene Elend. „ (S. 77) Rückert zerreißt dann auch gleich das sehr erfolgreiche Selbsthilfebuch „Trotz allem", das allein in Deutschland bis 2007 über 100.000 mal verkauft wurde, wie mir der Verlag einst mitteilte und zudem in fast jeder öffentlichen Bücherhalle steht. „Das Buch erhebt den Anspruch, vergewaltigten Mädchen und Frauen in ihrer Not zur Seite zu stehen, in Wirklichkeit aber leistet es vor allem jenen gestörten Seelen Hilfestellung, die aus welchen Motiven auch immer, seien es Rache- oder Minderwertigkeitskomplexe, falsche Beschuldigungen gegen Männer erheben." (S. 77) Für sie ist das Buch "Trotz allem" so wörtlich eine reine "Suggestivlektüre" (S. 238) Im Zusammenhang mit ihrer Kritik gegen "Trotz allem" und der Bezeichnung von Missbrauchsopfern als "Überlebenden" fällt dann auch folgender Satz: "Sie werden als "Überlebende" bezeichnet, als wären sie den Bombennächten eines Weltkrieges entronnen. " (S. 73)
Dieser abfälligen Bemerkung der Autorin ist zu entnehmen, dass sie sich offensichtlich nicht wirklich mit den möglichen Folgen und Empfindungen von Opfern sexueller Gewalt beschäftigt hat und dies wohl auch nicht will, wenn man ihre Berichterstattung verfolgt. Einige Betroffene (die ungenaue Erinnerungen haben), die in "Trotz allem" von sich berichten, missbraucht worden zu sein, sind für die Autorin übrigens auch nur - so wörtlich in ihrem Buch - "vermeintliche Opfer" (siehe Zitat oben) oder so wörtlich bzgl. einer Betroffenen eine „angeblich missbrauchte Frau“ (S.74). Rückert schreibt: "In Trotz allem berichten missbrauchte oder vermeintlich misbrauchte Frauen von ihren Misbrauchserfahrungen" (S. 73) Lassen sich Falschbeschuldigerinnen jetzt schon für ein Selbsthilfebuch interviewen und sind die über 100.000 Leserinnen des Buches alles Frauen, die eine Falschanschuldigung planen und sich dort das „know how“ holen?, möchte man die Autorin fragen. Man fragt sich auch, ob eine Gerichtsreporterin jemals objektiv über Mädchen/Frauen, die vor Gericht sexuelle Gewalt anklagen, berichten kann, wenn sie schon den Wahrheitsgehalt von Berichten in Selbsthilfebüchern anzweifelt…
Solche und weitere haarsträubende Äußerungen der Autorin zeigen ein Bild einer Frau, die wohl ein Problem mit von sexueller Gewalt betroffenen Frauen zu haben scheint. Das an sich ist nichts Neues. Opfer (und deren Helfer) zu diffamieren und direkt oder indirekt zum Schweigen zu bringen hat eine lange Tradition, die bis in biblische Zeiten zurückreicht. Es verwundert nur, dass eine derart eingestellte Frau als hoch angesehene Journalistin für die ZEIT arbeitet und dort offen bzgl. dem sexuellen Missbrauch an Kindern über (O-Töne) den „Kreuzzug gegen den Missbrauch“, die „kollektive Hysterie“ und „Damen von der Aufdeckungsfront“, den „Aufdeckungsrausch“ und „kollektiven Wahn“, die „wahnhafte Fixierung auf den sexuellen Missbrauch" und "kollektive Verwirrung", "den Spiegel der dunklen Seite des Feminismus", die "irreale Konfusion" und von "Pseudoerinnerungen“ berichten darf. Große Artikel mit Titeln wie "Inquisitoren des guten Willens", "Unrecht im Namen des Volkes", „Lügen, die man gerne glaubt“, „Schuldig auf Verdacht“, Böse Eloquenz“ und „Nichts als die Unwahrheit“ zeigen, wo die Reise hingeht.
Sabine Rückert durfte in den letzten Monaten vor allem auch über Kachelmann und auch Strauß-Kahn schreiben, als „Expertin für Sexualstraftaten“ sozusagen. Auf Grundlage eines „Mangel an Ergebnisoffenheit“ ließen sich „die überstürzten Reaktionen der Staatsanwälte“ in beiden Fällen erklären.“, schreibt sie u.a. Im Fall Kachelmann war sie sich schon vor Beginn der Hauptverhandlung sicher, dass es sich um eine Falschbeschuldigung handelte. Zudem wurde eine E-Mail bekannt (siehe meedia.de), die Rückert im Mai dem Kachelmann-Verteidiger Birkenstock geschickt hatte. Wortlaut:
"Wir können nur zusammen kommen, wenn Ihre Verteidigung in dem angedeuteten Sinne professionalisiert wird, dazu sollten Sie sich überlegen, einen Kollegen einzubinden, der Verfahren dieser Art auch gewachsen ist. Wenn Sie mein Buch gelesen haben, wissen Sie, wen ich in einem solchen Fall wählen würde.",schrieb die Journalistin, die damit alle gebotenen Grenzen der journalistischen Berichterstattung sprengte. Johann Schwenn, der zwei wegen sexuellen Missbrauch verurteilte zusammen mit Rückert frei bekommen hatte (über dieses Verfahren handelt Rückerts Buch – siehe oben), ist der Mann, mit dem zusammen sich Rückert eine erfolgreiche Verteidigung von Kachelmann vorstellen kann. „Die 50-Jährige ist über ein Buchprojekt mit Kachelmanns Wahlverteidiger Johann Schwenn verbandelt und hat wohl maßgeblich mit dafür gesorgt, dass der Hamburger mitten im Verfahren den Platz des Kölner Rechtsanwaltes Reinhard Birkenstock einnahm.“, schreibt meedia.de weiter. Es hat einen sehr faden Beigeschmack, dass ausgerechnet Sabine Rückert zusammen mit einem Kollegen nach dem Freispruch ein ausführliches Interview mit Kachelmann führte.
Ich will hier nicht weiter über diese berichteten Einzelfälle streiten. Es geht um das drum herum, die Art und Weise und wie „Wahrheiten“ und Informationen gestreut werden. Denn mittlerweile lässt Sabine Rückert immer öfter auch „handfeste“ Zahlen durch einzelne Experten verlauten:
„Ralf Eschelbach, Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, schätzt in seinem Strafprozessrechtskommentar vom Mai 2011 die Quote aller Fehlurteile auf ein ganzes Viertel. Den Löwenanteil vermutet er bei jenen Fällen, bei denen es wenige oder gar keine Beweise für die angezeigte Tat gibt und »Aussage gegen Aussage« steht. So ist es bei Vergewaltigungsvorwürfen besonders oft.“ (http://www.zeit.de/2011/28/DOS-Justiz) Auf welcher Grundlage der Richter zu dieser "Schätzung" kommt erfährt man nicht. Verwundert hat mich dann noch der diesem Zitat folgende weitere Abschnitt:
„Als eine der Hauptursachen für Justizirrtümer hat Eschelbach die Vorverurteilung des Angeklagten durch die – im Schulterschluss mit der Staatsanwaltschaft – agierenden Richter ausgemacht. Diese verließen sich allzu oft auf den Inhalt der Ermittlungsakte und eröffneten im Vertrauen auf die Arbeit der Staatsanwälte das Hauptverfahren. Die Fixierung auf die – den Angeklagten belastende – Akte führe dazu, dass in Deutschland die Freispruchsquote unter drei Prozent liegt.“ In den USA - wo das Urteil von einer nicht mit den Akten vertrauten Jury gefällt wird - würde ein Drittel der Strafprozesse mit Freispruch enden, fügte Rückert noch nach. Man versteht, dass dies die Zahl an Freisprüchen ist, die ihr rechtmäßiger erscheint. Dabei kann man Frau Rückert beruhigen.
Wenn man sich die Daten zwischen 2001 und 2006 bzgl. Vergewaltigung/schwerer sexuellen Nötigung anschaut, dann folgen auf im Schnitt ca. 1.395 Anklagen ca. 1.069 Verurteilungen. Sprich ca. 76,63 % der Anklagen enden mit einer Verurteilung des Täters (Anmerkung: wobei der Löwenanteil der Anzeigen erst gar nicht zu einer Anklage führt) bzw. 23,37 % mit Freispruch. Hier stehen also 23,37 % Freisprüche laut Statistik gegen die 3 % in Rückerts Artikel, die sich wiederum auf den Bundesrichter beruft. Da scheint was nicht zu stimmen, oder?
"Klaus Püschel, Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts Hamburg, das die größte deutsche Opferambulanz betreibt, konstatiert, im Jahr 2009 hätten sich 27 Prozent der angeblich Vergewaltigten bei der ärztlichen Untersuchung als Scheinopfer erwiesen, die sich ihre Verletzungen selbst zugefügt hatten. Nur in 33 Prozent der Fälle habe es sich erwiesenermaßen um echte Opfer gehandelt, bei den restlichen 40 Prozent sei die Rechtsmedizin zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen.“ (http://www.zeit.de/2011/28/DOS-Justiz/seite-2) Die bewusst falsch Anklagenden seien oftmals „gestörte Persönlichkeiten“, die „krankheitsbedingt zu extrem manipulativem Verhalten“ neigten, heißt es dann in dem Artikel weiter.
Klaus Püschel wird in einem anderen Artikel erneut zitiert: „Früher sei man in der Rechtsmedizin davon ausgegangen, dass es sich bei fünf bis zehn Prozent der vermeintlichen Vergewaltigungen um Falschbeschuldigungen handelte, inzwischen aber gebe es Institute, die jede zweite Vergewaltigungsgeschichte als Erfindung einschätzten. In Püschels Opferambulanz haben sich im Jahr 2009 genau 132 Vergewaltigte vorgestellt: Bei 27 Prozent der Frauen hielten die Ärzte die Verletzungen für fingiert, bei 33 Prozent für echt. Bei den restlichen 40 Prozent haben die Hamburger Rechtsmediziner nicht ermitteln können, wer der Urheber der Blessuren war: der beschuldigte Mann oder das Opfer selbst.“ (http://www.zeit.de/2011/09/WOS-Kachelmann/seite-3)
Sabine Rückert berichtet in einer Talkrunde mit dem Titel „Kachelmann & Co. Wenn Journalisten zu Richtern werden“, dass sich die Betroffenen, bevor sie eine Anzeige machen, an dieses Hamburger Institut wenden und erst danach überlegen können, ob sie eine Anzeige machen oder nicht. Auch der Moderator der Runde hebt diesen Sachverhalt nochmal besonders hervor. Das ist eine wichtige Information, denn somit kann man die Zahl von 27 % „falschen Opfern“ nicht auf die real angezeigten Fälle übertragen! Man sehe sich jetzt erneut die beiden o.g. Ausschnitte aus der ZEIT an. Hier fehlt dieser wichtige Hinweis, so dass der Eindruck entsteht, die Zahlen ließen sich auf die angezeigten Fälle anwenden. Das Institut hätte über 1.500 PatientInnen im Jahr, berichtet Rückert in der Talkrunde weiter. Danach nennt sie dann wieder die Zahl von 27 % Scheinopfern. Auch hier spielt sie wieder mit den Zahlen und Informationen, denn in der Runde geht es um Vergewaltigungsdelikte. Auf 1.500 bezogen wären dass 405 „falsche Opfer“ alleine in Hamburg. In ihrem Artikel beziehen sich die 27% allerdings auf 132 Vergewaltigte im Jahr 2009, was „nur“ ca. 35 falsche Opfer bei Sexualdelikten sind.
Übrigens: In Hamburg sind Anzeigen gemäß §177 StGB (Vergewaltigung / Sexuelle Nötigung) stark gesunken. Zwischen 2000 und 2004 lagen sie um die 300. Zwischen 2007 und 2010 wurden laut Hamburger Polizeistatistik im Mittel nur noch 211,5 Anzeigen registriert (29,5 % weniger!). Irgendwie passt dieser Trend nicht ins Bild, wenn es um einen starken Anstieg von Falschbeschuldigungen geht.
Zurück zu den Artikelauszügen:
Der Gutachter Günter Köhnken (Hinweis: Dieser war zusammen mit einer anderen Gutachterin beauftragt, die Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers im Fall Kachelmann zu beurteilen) schätzt im Interview, dass um die 30-40 Prozent der Fälle, die bereits als problematisch eingeschätzt worden sind, Falschaussagen seien, davon überwiegend Sexualstrafdelikte. „Und hier hat die Zahl der Erwachsenen – in der Regel Frauen – auffällig zugenommen, die behaupten, Opfer einer Sexualstraftat geworden zu sein und bei denen gleichzeitig eine psychiatrische Grundproblematik, meistens eine Persönlichkeitsstörung, vorliegt.“ Sabine Rückert fragt: „Warum sind es vor allem Frauen, die durch Falschbezichtigungen auffallen?“ Antwort des Gutachters: „Persönlichkeitsstörungen treten bei Frauen deutlich häufiger auf diese Weise zutage. (…)“ Man erfährt dann vom Gutachter, dass „geistig schlichte Mädchen“, die einen komplexen Tathergang berichten, glaubhaft sind. Die „hochbegabte und eloquente Zeugin“ müsse mit komplexeren Fragen rechnen, auch damit, dass der Fragende ihre Chronologie kaputt mache, kreuz und quer frage, um sie ggf. ins Schleudern zu bringen. (http://www.zeit.de/2008/15/Interview-Koehnken)
Am 11.07.2011 zitiert Rückert offensichtlich auf Grundlage des oben bereits zitierten Interwies mit Köhnken aus dem Jahr 2008 wie folgt „Der Kieler Psychologieprofessor Günter Köhnken, einer der gefragtesten Glaubwürdigkeitssachverständigen Deutschlands, schätzt die Quote der Falschbeschuldiger unter den von ihm Untersuchten auf 30 bis 40 Prozent.“ Aus als „problematisch eingeschätzten", selektiven Fällen wird nun „von ihm Untersuchten“, was gleich ganz anders klinkt, nämlich so, als ob er sich auf die Gesamtheit der Fälle beziehen würde.
Interessant ist hier, dass Günter Köhnken im Interviewa mit dem ZDF Magazin mona lisa (Sendung vom 27.08.2011) noch mal deutlicher die Zahlen zurechtrückt: „Ich bin mehrfach mit der Äußerung zitiert worden, dass 30 bis 40 Prozent der Aussagen über Vergewaltigungen falsch seien. Das ist ein ziemlich fundamentales Missverständnis, weil hier eine Äußerung aus dem Zusammenhang gerissen worden ist. Ich habe tatsächlich gesagt, dass ich natürlich nur die problematischen Fälle bekomme, also die Fälle, bei denen die Staatsanwaltschaft oder das Gericht schon einmal Probleme gesehen haben. (…) In diesen problematischen Fällen haben wir in der Tat einen höheren Anteil an Aussagen, die sich dann nicht bestätigen lassen, was nicht notwendigerweise heißt, dass sie falsch sein müssen.“ Auf die Frage, wie oft es denn bewusste Falschaussagen gebe, antwortet Köhnken: „Das habe ich eigentlich in den Gutachten, die ich gemacht habe, sehr selten erlebt.“ Das hört sich doch schon mal ganz anders an! Der Gutachter scheint gemerkt zu haben, dass er sich im Interview mit Sabine Rückert im Jahr 2008 unklar ausgedrückt hatte und sie seine Aussage zudem in ihrem Artikel vom 11.07.2011 falsch widergegeben hatte.
Rüdiger Deckers - Verteidiger in Düsseldorf und auf Sexualstraftaten spezialisiert – darf in einem anderen Artikel schätzen, dass die zu Unrecht Beschuldigten unter jenen Mandanten, die die Tat bestreiten (Anmerkung: was wohl fast alle tun), bei 40 bis 50 Prozent läge. Nur zwei Absätze über der o.g. Passage wurde übrigens eine Staatsanwältin zitiert, die nach 17 Jahren in ihrem Dezernat zu dem Schluss kam: »Die meisten Zeuginnen sagen die Wahrheit, auch wenn sie sich nicht immer nachweisen lässt« Das musste allerdings noch von Frau Rückert relativiert werden indem sie (deutlich aus einem anderen Zusammenhang gerissen) nachschiebt: „Aber sie sagt auch: »Ich traue jungen Frauen inzwischen alles zu.«“ Letzterer Satz wurde dann im Artikel als Zwischenüberschrift gleich noch dick gedruckt! Dann passte es wieder… So werden falsche Rückschlüsse und Bilder bei den LeserInnen erzeugt.
Vergessen sind offensichtlich die Dunkelfelduntersuchungen, die ein enormes Ausmass der sexuellen Gewalt belegen. „Von den Frauen zwischen Zwanzig und Sechzig sind 6,1 Prozent mindestens einmal von Familienangehörigen vergewaltigt oder genötigt worden. Hochgerechnet sind das rund 1,4 Millionen Frauen in Deutschland. Fast jede fünfte Frau ist als Kind einmal Opfer von sexuellen Übergriffen gewesen.“, schrieb Sabine Rückert noch 1995. Dass solche Zahlen - unter nicht juristischen, sondern objektiv beobachtenden Aspekten - nahelegen, dass die meisten Anklagen berechtigt sein könnten, scheint sie nicht mehr zu interessieren. 2007 schreibt Rückert: „Nur wenige Journalisten stemmen sich dem kollektiven Wahn um den sexuellen Missbrauch entgegen. Die meisten schwimmen uninformiert und erschüttert vom angeblichen Ausmaß der Katastrophe im Strom der Empörung mit.“ (http://www.zeit.de/2007/03/Inquisitoren_des_guten_Willens) In einer Email Antwort auf einen Leserbrief von mir schrieb Sabine Rückert 2003 u.a. "Durch die öffentliche Debatte und die mediale Informationsflut zum Thema Missbrauch bedingt, nehmen Falschbezichtigungen zu. Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre konnte ein Aussagepsychologe noch davon ausgehen, dass die Aussage eines Kindes, missbraucht worden zu sein, der Wahrheit entsprach. Heute ist das anders. Professor Undeutsch macht die Erfahrung, dass inzischen jede zweite Beschuldigung falsch ist. Die Vorwürfe seien ausgedacht oder induziert." Und sie hängte noch nach: "Was die Dunkelziffer betrifft, so gibt es leider viele Opfergruppen und vermeintliche Opfergruppen, die enorme Missbrauchszahlen in die Welt setzen, ohne den Schatten eines Beweises zu liefern." Nun, wenn man von einem enorm großen Ausmass von Falschbeschuldigungen ausgeht, dann passen halt die Zahlen aus wissenschaftlichen Dunkelfeldstudien einfach nicht mehr so Recht ins Bild...
Vergessen sind offenbar auch all die bekannten Möglichkeiten und Abläufe, um die vor allem die mit Opfern befassten Experten wissen, die zu juristischen Fehleinschätzungen und mangelhaften Beweisen führen, so dass viele Opfer keine Chance haben, die Täter je zur Rechenschaft zu ziehen. Vergessen ist, dass dieses Delikt seit je her von einem schweren Machtgefälle bestimmt ist. Vergessen ist, dass sexuelle Gewalt oft von Bekannten, Freunden, Partnern und Verwandten ausgeht und die Opfer gerade deswegen in ein großes Dilemma stürzen und sie ggf. verwirrenden Aussagen machen. Vergessen ist letztlich all die Aufklärungsarbeit der letzten Jahrzehnte.
In anderen Textstellen und Artikeln geht es um die Unglaubwürdigkeit von Anklägerinnen:
„ (…) immer häufiger stoßen die Sachverständigen bei den Zeuginnen auf vermeintliche Erinnerungen, die ihnen in Wirklichkeit von Lebensberatern, Sektengurus oder Therapeuten, also von Ratgebern, bei denen sie in einer psychisch labilen Phase Hilfe gesucht hatten, eingeimpft worden sind. Im Glauben, ein Sexualopfer zu sein, brechen die Irregeführten mit ihren Partnern und Familien und geraten tiefer und tiefer in die Krise“ und „Am Bundesgerichtshof in Karlsruhe registriert man sorgenvoll die Manipulation der Opferzeugen durch »rechtlich Ungebildete mit Helfersyndrom«, wie es der Bundesrichter Axel Boetticher formuliert.“ (http://www.zeit.de/2008/15/Falsche-Zeugen)
Die ganze Diskussion um "falsche Erinnerungen" ist noch mal ein Thema für sich. Was mir dabei allerdings aufgefallen ist: Diese Diskussion wird vorwiegend von einigen männlichen Psychologen und Gutachtern und vielen vielen Vertretern von Vätervereinen, „Männerrechtlern“ und natürlich von den Beschuldigten selbst geführt. Was meist komplett fehlt sind Wortmeldungen der „Opfer“ dieser „induzierten Erinnerungen“. Man müsste doch davon ausgehen, dass die „vielen vielen“ Betroffenen, die an ihnen verübten Taten (die eingeredeten Erinnerungen von Missbrauch und Vergewaltigung und ggf. der Bruch mit Familie oder Vertrauten) irgendwann anklagen und öffentlich machen. Doch es herrscht Schweigen. Manchmal frage ich mich auch, was die heute Erwachsenen, damals der falschen Aussage bezichtigten Kinder in dem bekannten "Montessori-Prozess" (1994) oder dem "Worms-Prozess" (1997) heute dazu sagen würden? Würden sie sagen: Wir waren Opfer von suggestiven Befragungen und einer Massenhysterie oder würden sie sagen, wir waren reale Opfer sexueller Gewalt, wir bilden uns das nicht ein, wir sind heute Erwachsen und wissen, was uns passiert ist...
„Eine Frau, die einen Mann vernichten will, braucht dazu manchmal weder Messer noch Pistole. Sie braucht bloß eine gute Geschichte, eine, die von Vergewaltigung handelt.“, so beginnt Rückert einen weiteren Artikel. „Hochgradig verhaltensauffällige Zeuginnen“ und „Borderlinerinnen“ gelten als wenig wahrheitsliebende Zeuginnen, erfährt man weiter.
Sofern den Anklägerinnen psychische Phänomene nicht zur Last gelegt werden, sondern zur möglichen Glaubwürdigkeit verhelfen, wie im Fall Kachelmann durch die Aussagen des Traumatologen und Therapeuten Prof. Seidler, der der Anklägerin (und Patientin von ihm) die Diagnose „posttraumatischen Belastungsstörung“ ausgestellt hatte und von einer möglichen Dissoziation während der Vergewaltigung ausging, schreibt Rückert als Antwort: „Viele forensische Sachverständige halten allerdings wenig von der Traumatologie.“ und bezieht sich dabei mal wieder auf den umstrittenen Max Steller. Wer die anderen „vielen Sachverständige“ sind, schildert sie nicht.
In Rückerts Buch führt sie auch ein Interview (leider ohne Datumsangabe) unter der Überschrift „Die Schäden sind enorm“ mit - ihrer oft zitierten Quelle - dem Gutachter Max Steller über „Falschbeschuldigungen“, "Missbrauchsverdachtswelle", „Gutmenschentum“, "Pseudoerinnerungen" und über die Frage „was die Opferrolle so attraktiv macht“. Steller sagt bzgl. des sexuellen Missbrauchs: „Die Falschbeschuldigungen – das sind keine kleinen Zahlen mehr. Niemand kann genau sagen, wie viel Prozent die Fehlverurteilungen inzwischen ausmachen und wie viele Unschuldige im Gefängnis sitzen, aber ich bin sicher, dieses Dunkelfeld ist erheblich. Und dabei ist das Strafrecht noch am wenigsten betroffen. Weit größer sind die Kollateralschäden im Familienrecht. Da wird dann eben schnell ein geschiedener Ehemann vom Umgangsrecht mit seinem Kind ausgeschlossen. (…) Die Kinder (…) wachsen mit dem eingeimpften Gedanken auf, missbrauchte Kinder zu sein.“ (S. 89+90)
Solche Einschätzungen eines Fachmannes verleihen Rückerts Thesen auf den ersten Blick ganz schön Gewicht, obwohl Wörter wie „erheblich“ an sich erst einmal wenig aussagen. Sehr viel aussagekräftiger werden die o.g. Angaben allerdings, wenn man sich vor Augen führt, dass pro Jahr hoch angesetzte und maximal 1.000 Väter wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt werden. (Siehe meinen Beitrag vom 04.01.2011, in dem ich diese Zahl nachvollziehbar auf Grundlage statistischer Daten eingrenzen konnte) Von diesen werden laut Verurteilungsquote nur ca. 10 % verurteilt - sprich ca. 100 Väter. Laut Statistik wurden zudem z.B. im Jahr 2004 nur 27,1 % der Verurteilten mit einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung bestraft (Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht, S. 103). Das bedeutet, dass von den 100 fiktiven Vätern nur 27 ins Gefängnis mussten. Ob unter diesen 27 Vätern auch einige unschuldig verurteilte sind, bleibt Spekulation. Ich persönlich halte es eher für unwahrscheinlich, dass bei einer solch extrem vorsichtigen Vorgehensweise der Justiz und niedrigen Verurteilungsquote der Anteil von Fehlurteilen besonders hoch ist. Nehmen wir - um Zahlen zu bekommen - einfach mal Rückerts oft genannte Zahl bei Sexualdelikten von 30 % Falschbeschuldigungen und niedrige 4 % auf der anderen Seite. Das wären dann höchstens 8 Väter (bei hohen 30 %) bis ein Vater (bei 4%), die fälschlich im Gefängnis sitzen. Was sagte Experte Steller noch? „Die Falschbeschuldigungen – das sind keine kleinen Zahlen mehr.“ Da er die „Kollateralschäden im Familienrecht„ als weit größer ansieht, als im Strafrecht, fragt man sich, wie viele Fehlurteile denn nun im allgemeinen Strafrecht bzgl. des Deliktes vorkommen sollen, wenn schon die mögliche Zahl von falsch verurteilten Vätern rechnerisch so niedrig ausfällt. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich finde es selbstverständlich schrecklich, wenn jemand unschuldig im Gefängnis sitzt. Das versteht sich irgendwie schon von alleine. Was ich aber auch erschreckend finde ist, wenn ein „Experte“ mit Angstszenarien um sich wirft, die sich ganz deutlich widerlegen lassen und zudem von einer hochrangigen Journalistin immer wieder zitiert wird. Zudem ist die Art und Weise und die Wortwahl, die Steller im Interview präsentiert, alles andere als sachlich und objektiv, sondern hochgradig politisch und emotional.
Übrigens gibt es auch eine große Untersuchung, die höchstpersönlich u.a. von Max Steller mit durchgeführt wurde: Busse, D., Steller, M. & Volbert, R. (2000): Forschungsbericht. Sexueller Missbrauch in familiengerichtlichen Verfahren. Von mir zitiert nach Bange, D. 2002: Falschbeschuldigungen. In: Bange, D. / Körner, W. (hrsg.) Handwörterbuch Sexueller Missbrauch. Hofgrefe Verlag, Göttingen.
Ausgewertet wurden 1.394 Berliner Akten zur Regelung des Umgangs und 1.500 Akten bzgl. Sorgerechtsregelungen. In nur 3,3 % (Umgang) bzw. 3% (Sorgerecht) der Fälle kam überhaupt ein sexueller Missbrauchsverdacht zur Sprache. Bange schreibt zusammenfassend: „Die Gesamtbetrachtung der Sorgerechtsfälle zeigt, dass in den seitens des Gerichtes nicht bestätigten Missbrauchsfällen, der Vorwurf in fast allen Fällen für die beschuldigten Elternteile keine negativen Konsequenzen bezüglich der Sorgerechtsentscheidungen hatte. Etwas anders ist das Ergebnis bei den Umgangsrechtsfällen mit sexuellen Missbrauchsverdacht. In fünf Fällen erfolgten Einschränkungen des Kontaktes des Kindes mit dem Verdächtigten, obwohl der Verdacht nicht bestätigt werden konnte.“ (Bange, 2002, S. 95) Diese fünf Fälle beziehen sich auf 45 Fälle, in denen überhaupt ein Verdacht zur Sprache kam. Sprich es stehen 40 Fälle, in denen sich der Verdacht etweder erhärten ließ und eine Einschränkung bzw. Ausschluss des Umgangs erfolgte oder er sich nicht erhärten ließ, aber keine Konsquenzen bzgl. der richterlichen Entscheidung zum Umgang erfolgten gegen diese fünf Fälle. Man fragt sich, ob sich Max Steller nicht mehr an seine eigene Studie erinnern kann wenn er sagt: „Da wird dann eben schnell ein geschiedener Ehemann vom Umgangsrecht mit seinem Kind ausgeschlossen.“
Schauen wir uns nun einige fundierte Zahlen an. Zwischen 1977 und 2006 endeten ca. im Mittel 17 % aller Anzeigen (bei Vergewaltigung und ab 1998 auch inkl. sexueller Nötigung) mit einer Verurteilung. (http://www.frauen-gegen-gewalt.de/dokumente/files/e905d4c573adfbd168a14f3993c1f35e.pdf) Wer sich zudem die polizeiliche Kriminalstatistik und Daten des statistisches Bundesamtes anschaut, wird ergänzend zu dem Ergebnis kommen, dass beim sexuellen Kindesmissbrauch nur bei ca. 10 % aller Anzeigen auch eine anschließende Verurteilung erfolgt.
Diese Zahlen an sich zeigen, dass niemand „Schuldig auf Verdacht“ ist, sondern die Justiz sich dem Delikt entsprechend sehr schwer tut, Beweise zu finden und Urteile zu sprechen. Die Studie (siehe letzten Link) zeigt zudem, dass nur bei 3 % der Anzeigen eine Falschbeschuldigung nachgewiesen werden konnte. Dabei wurden allerdings nur 100 Fälle untersucht, was nicht repräsentativ ist. Aussagekräftiger ist eine bayrische Studie aus dem Jahr 2005. In 7,4% (140 von 1894 Fällen) erfolgte eine Anzeige wegen Vortäuschung oder falscher Verdächtigung (wobei mir nicht ersichtlich ist, ob diese Anzeigen auch zu einer Verurteilung führten und somit auch juristisch einwandfrei wären.). Diese Zahl aus der realen Statistik liegt fern ab von den Schätzungen, die in Rückerts Artikeln auftauchen. Interessant ist dazu noch folgendes: Soweit dies in den Akten vermerkt war ging nur in 40 von den 140 Fällen (28,6%) die Initiative zur Anzeige wegen Vergewaltigung oder sexueller Nötigung direkt und ohne erkennbare Beeinflussung durch Dritte vom angeblichen „Opfer“ aus. Diese Informationen sind noch mal wichtig, da sie letztlich belegen, dass Frauen, die aus eigener Initiative anzeigen, seltener eine Tat vortäuschen oder falsch verdächtigen. Mit beinahe einem Drittel stellten zudem die Minderjährigen unter 18 Jahren einen relativ großen Anteil unter den 140 „falschen Opfern“, auch dies finde ich eine wichtige Information.
Allerdings zeigt die Studie auch, dass die an der Sachbearbeiterbefragung beteiligten polizeilichen Sachbearbeiter schätzen, dass der Anteil der Vortäuschungen und falschen Verdächtigungen an allen Anzeigen gem. § 177 StGB im Durchschnitt ein Drittel (33,4%) beträgt. Gefühlte und geschätzte Werte bzgl. Falschanschuldigungen liegen auch hier relativ hoch. Warum ist das so? Die am häufigsten von den Sachbearbeitern genannten Gründe für Zweifel am Vorliegen einer Vergewaltigung / sexuellen Nötigung waren das Vortat- und das Nachtatverhalten des Opfers, widersprüchliche oder wenig detaillierte Aussagen, der Widerruf der Anzeige durch das Opfer, mangelndes Interesse an der Strafverfolgung und der Einfluss psychotroper Substanzen zur Tatzeit. Aber heißt das gleich, dass die Anschuldigerinnen lügen?
Hier einige beispielhafte Notizen der Sachbearbeiter, die zu ihren Zweifeln führten:
„Das Opfer ging mit dem Beschuldigten (nach der Tat) noch in eine
Gaststätte - als ob nichts gewesen wäre!“
Für mich ist dies kein Beweis für oder gegen die Glaubwürdigkeit. Man müsste hier nachforschen, ob das Opfer evtl. unter traumatischem Schock stand, zu dem Besuch der Gaststätte genötigt wurde, wie in Trance weiter funktionierte und ähnliches.
„Das Opfer ließ den Tatverdächtigen immer wieder freiwillig in die
Wohnung.“
Vergewaltigungen sind oftmals Beziehungstaten. Frauen, die vielleicht schon oft Gewalt durch den Partner erlitten haben, neigen zu einem Verharren in der Opferrolle und zu diffusem Verhalten. Auch hier müsste man weiteres abklären. Dazu schrieb übrigens höchst persönlich Sabine Rückert 1995 bzgl. Frauen, die in Frauenhäuser geflüchtet waren:
„Die meisten ihrer Frauen streben wieder heimwärts, kaum daß die blauen Flecken verblaßt und die Schürfwunden verheilt sind. Der Hannoveraner Staatsanwalt Thomas Klinge muß laufend Akten schließen und Verfahren einstellen, weil geschlagene oder vergewaltigte Ehefrauen ihre Anzeigen zurückziehen oder von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen.“ (http://www.zeit.de/1995/15/Die_Keimzelle_der_Gewalt) Interessant ist an dieser Stelle auch folgende Info aus dem „Datenreport zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland“: Frauen, die Opfer von sexuellem Missbrauch vor dem 16. Lebensjahr geworden waren, wurden in ihrem Erwachsenenleben doppelt so häufig wie andere Frauen Opfer von häuslicher Gewalt durch Partner und viermal so häufig Opfer von sexueller Gewalt. (vgl. S. 659) Sexueller Missbrauch in der Kindheit hat destruktive Folgen bzgl. der psychischen Situation der später Erwachsenen. Diese Situation wird offensichtlich von Tätern erkannt und ausgenutzt. Anstatt dies zu erkennen, wird den Frauen ihre psychische Situation vor Gericht leider manches mal dahingehend ausgelegt, dass sie grundsätzlich weniger glaubwürdig sind.
„Das Opfer wollte sich zunächst nicht vom Täter - zugleich Ehemann - trennen.“
Siehe vorherige Anmerkungen
„Opfer verweigerte eine Atemalkoholmessung und die Untersuchung in der Rechtsmedizin.“
Ich kann mir vorstellen, dass einige vergewaltigte Frauen es für sehr belastend empfinden, wenn ihr Intimbereich untersucht werden soll oder es als Anmaßung erleben, wenn sie auf Alkohol hin getestet werden sollen.
„Opfer hätte von sich aus keine Anzeige gemacht und sprach erst von Vergewaltigung, als sich der Tatverdächtige überall mit dem Geschlechtsverkehr mit ihr brüstete, und dies drohte, Ortsgespräch zu werden.“
Für mich ein nachvollziehbares Verhalten.
„Opfer erstattete erst rund zwei Monate später im Rahmen der Scheidungsauseinandersetzung Anzeige.“
Darf sich eine Frau nicht auch später überlegen, den Täter anzuzeigen? Vielleicht erfuhr sie weitere Demütigungen im Scheidungsverfahren und kam zu dem Schluss, jetzt doch auch die Tat anzuzeigen.
„Opfer stand zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung deutlich sichtbar unter Medikamenten- bzw. Drogeneinfluss, schlief ständig ein und konnte anfangs keine detaillierten Angaben machen.“
Auch Abhängige können vergewaltigt werden.
Dazu kommt, dass die Glaubwürdigkeit der Anzeigenden nach Angaben der Sachbearbeiter bröckelte, wenn z.B. „die Geschädigte keinerlei Gegenwehr leistete, obwohl dies problemlos möglich und Erfolg versprechend gewesen wäre.“, „das Opfer unter dem Einfluss von freiwillig konsumierten Substanzen wie Alkohol, illegalen Drogen oder Medikamenten stand und deshalb Erinnerungslücken hatte“, „die Initiative zur Aufnahme von Kontakten mit sexueller Komponente vom Opfer ausging.“, „das Opfer den Eindruck erweckte, es stünde der Anbahnung einer Beziehung positiv gegenüber.“
Die Polizei und die Justiz brauchen offensichtlich das perfekte Opfer. Nun, die Realität ist anders. Das „perfekte Opfer“ gibt es nicht. Dass das juristische System seine eigenen Regeln hat, ist bekannt. Dabei kann ich so einige juristische Hürden nachvollziehen, denn vor Gericht zählen nun einmal handfeste Beweise. Wir leben in einem Rechtsstaat und das ist auch gut so. Mir geht es hier nicht um die Justiz, sondern um Medien und Menschen wie Sabine Rückert, die trotz aller Erkenntnisse u.a. aus der Arbeit mit Opfern die Realität verdrehen, letztlich zum Vorteil für mutmaßliche Täter. Wenn die Menschen anfangen zu glauben, dass fast die Hälfte aller Anschuldigungen grundsätzlich falsch und erfunden sind, dann freuen sich vor allem die Täter da draußen und ihre mannigfaltigen Schutzpatronen. Wer etwas im Internet recherchiert wird schnell feststellen, dass Rückerts Artikel zitiert und kommentiert auf unzähligen Internetpräsenzen u.a. von Antifeministen, Maskulisten, der destruktiven Väterbewegung und von Pädosexuellen zu finden sind. Das an sich sollte einem schon zu denken geben. Noch mehr Sorgen macht mir allerdings, dass diese Artikel in der ZEIT stehen, die neben vielen einflussreichen Personen sicher auch von vielen Anwälten und RichterInnen gelesen wird. Frau Rückert sucht zusätzlich gezielt die Nähe zu JuristInnen, indem sie ihr Buch „Unrecht im Namen des Volkes“ u.a. am 20.04.2007 im Hamburger Ziviljustizgebäude und am 09.10.2007 im Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht vorstellte und daraus las. (http://www.richterverein-hamburg.de/kultur/gbhver.htm#2007) Ihr Engagement erstreckte sich zudem - neben Fernsehauftritten - u.a. auch auf eine Podiumsdiskussion innerhalb der "Fachgruppentagung Rechtspsychologie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie" (Ende August 2009), die unter dem Titel „Justizirrtümer: Juristische und psychologische Ursachen“ stattfand und von einem Richter am OLG Frankfurt moderiert wurde. Rechtsanwalt Johann Schwenn war auch gleich mit von der Partie, ebenso wie der Gutachter Günter Köhnken, den Rückert in ihren Artikeln (siehe oben) zitiert hatte (man kennt sich halt).
Während ich mir vor Kurzem Gedanken zu diesem Text machte, kam ich zufällig mit einer mir unbekannten Frau ins Gespräch. Dies Frau war merkwürdig und schilderte mir als ihr Unbekannten von sich aus sehr intime Details. Ich erfuhr – ohne es zu wollen oder das Gespräch gesucht zu haben –, dass sie derzeit unter Medikamenten stehe. Sie hätte außerdem vor kurzem einen merkwürdigen Konflikt mit ihrem ehemaligen Arbeitgeber, den sie mir dann schilderte. Der Arbeitgeber habe außerdem früher, als sie noch da war, Sex gewollt. Sie aber nicht, sie habe kurz darauf gekündigt. Außerdem sei sie als Kind misshandelt worden. Ein wirres Gespräch. Ich dachte, was wäre gewesen, wenn diese psychisch auffällige Frau von ihrem Arbeitgeber vergewaltigt worden wäre? Die Antwort war relativ klar, sie hätte vermutlich so gut wie keine Chance gehabt, dass sie ernst genommen würde.
Auch die durch Rückert und ihrem Lieblingsanwalt Schwenn der Falschbeschuldigung überführte „Amelie“ (über die in ihrem Buch und in ZEIT-Artikeln ausführlich berichtet wird) litt an der Persönlichkeitsstörung Borderline und Rückert kritisierte, dass diese Tatsache ihr im Prozess nicht angelastet wurde. Dieser aufgedeckte „ganz normale Justizirrtum“ baute allerdings auf sehr realen schweren Gewalterfahrungen von Amelie seitens ihres Vaters auf, die wohl auch zu der Persönlichkeitsstörung führten. Zitat aus Rückerts Artikel: "Er terrorisiert seine Frau, misshandelt seine vier Kinder, zerstört die Einrichtung. Am härtesten trifft es Amelies ältere Schwester Bianca. Sie wird getreten, in den dunklen Heizungskeller gesperrt und muss zur Strafe auf einem Bein im winterlichen Garten stehen. Nachbarn sehen es und helfen nicht. Bianca hört auf zu essen, sie erbricht sich bei den Mahlzeiten aus Angst vor ihrem Vater, und er zwingt sie, das Erbrochene wieder aufzuessen. (...)" Amelie wurde als Kind offensichtlich derart psychisch und physisch von ihrem Vater misshandelt, dass sogar der von Amelie ungerechtfertigt ins Gefängnis gebrachte Onkel M. in der Verhandlung um seinen Freispruch aussagt: „Ich hätte es verstanden, wenn sie ihren Vater mit einer Axt erschlagen hätte.“ (Rückert, 2007, S. 232)
Die entlarvte Lüge bzgl. des sexuellen Missbrauchs konnte ihre Kraft nur entfalten, weil drum herum vieles passte, weil Amelie real von ihrem Vater misshandelt worden war. Lassen wir an dieser Stelle auch einmal Amelie zu Wort kommen in einem Brief an ihren Vater, den Rückert in ihrem Buch zitiert: "(...) Oder Mama. Weißt Du, wie oft sie geheult hat, wenn Du mal wieder durchgedreht bist oder uns rausgeschmissen hast? Du hast geschrieben, Mama hätte gesagt, ich hätte Angst vor Dir. Ich hatte mal Angst, ja, besonders als ich noch zu Hause wohnte. Auch bei Oma konnte ich kein neues Leben beginnen, weil ich immer Schiss hatte, an unserem Haus vorbeizugehen. Du wolltest mir ja den "Arsch aufreißen", mich plattmachen und was weiß ich noch alles. (...) Du weißt gar nicht, wie weh Du allen getan hast. Was ich im Moment fühle, kann ich mit Worten nicht beschreiben. Sie sind dafür zu schwach. Nachts habe ich Albträume, und Du sagst einfach nur "Entschuldigung". " (Rückert, 2007, S. 21)
Die Misshandlung von Schutzbefohlenen § 225 wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Amelies Vater hätte für seine realen Verbrechen abgestraft gehört. Amelie wählte die Falschbeschuldigung wegen sexuellen Missbrauchs als Weg und belastete zusätzlich den unbeteiligten Onkel (auch das steht unter Strafe und Amelie wurde dafür auch von Anwalt Schwenn angezeigt.). Das Ganze ist ein einziges tragisches Familiendrama und die Justiz machte zudem Fehler. Aber „ganz normal“ und „häufig“, wie Frau Rückert es auf die allgemeine Justiz überträgt und sieht? Wohl kaum, denn der Fall hat seine besondere und komplexe Geschichte und Dynamik.
Rückert nutzt diesen Einzelfall zudem für eine überleitende heftige Kritik gegen feministische Beratungsstellen. Fettgedruckt erscheinen in ihrem Artikel „Inquisitoren des guten Willens“ die Namen „Wildwasser“ und „Allerleirauh“. Rückert schreibt: „Feministische Beratungsstellen für sexuell missbrauchte Kinder und Frauen schießen Anfang der neunziger Jahre aus dem Boden. Sie tragen bedeutungsschwangere Namen: Zartbitter, Wildwasser, Allerleirauh, Hautnah, Zerrspiegel, Schattenriss, Alraune, Belladonna, Kobra oder Trotz allem. (…) Als Amelie ihre Beschuldigungen erhebt, herrscht eine Art Inquisition des guten Willens im ganzen Land. Auch in Osnabrück.“ „Der Druck, der auf den Kindern laste,“ zitiert sie eine Absatz darüber mal wieder den Psychologieprofessor Max Steller, „führe zu den unglaublichsten, fantastischsten und absurdesten Schilderungen sexueller Übergriffe.“ Im Fall Amelie gründete die Lüge allerdings auf der realen Misshandlungsgeschichte, das war „der Druck, der auf ihr lastete.“, nicht der Einfluss durch feministische Beraterinnen. An dieser Stelle verwundert es überhaupt, dass die Beratungsstellen genannt und einfach so "abgeurteilt" werden. Denn im Fall Amelie war - so weit mensch den Recherchen von Frau Rückert folgt - keine Mitarbeiterin einer (feministischen) Fachberatungsstelle beteiligt.
In Rückerts Buch wird Verteidiger Schwenn zitiert, wie er einen einst Amelie betreuenden Psychiater befragt. Dieser Psychiater hatte Amelie eine Anwältin empfohlen, die ihm wiederum durch eine örtliche Beratungsstelle für missbrauchte Mädchen und Frauen bekannt war (das ist der einzige indirekte Kontakt zu einer solchen Beratungsstelle, von der man im Fall Amelie überhaupt erfährt!). Schwenn nennt die Namen der Beratungsstellen Wildwasser, Allerleirauh und Hautnah und sagt im Verlauf der Befragung: „Solche Vereine haben nachweislich reihenweise zu Fehlurteilen beigetragen.“ (S. 251) Und Punkt. Eine solche Behauptung wird von Rückert einfach so ohne weitere Kommentare oder gar Beispiele für konkret nachgewiesenes Fehlverhalten der genannten Stellen übernommen, als „Wahrheit“, die man wohl nicht weiter erklären muss...
Ich denke, ich konnte klar machen, dass Sabine Rückert oftmals unsauber arbeitet und gezielt das Meinungsbild bzgl. der Anklägerinnen von sexueller Gewalt zu deren Ungunsten beeinflusst. Dabei habe ich grundsätzlich nichts dagegen, dass über Falschbeschuldigungen berichtet wird (ich finde die o.g. 7,4% Anzeigen wegen Vortäuschung oder falscher Verdächtigung auch nicht gerade wenig). Es kommt aber auf die Art und Weise und einen bewussten Umgang mit der Thematik an.
Gehen wir schließlich noch einmal zurück in das Jahr 1995. Sabine Rückert zitiert ausführlich Katharina Rutschky – DIE Protagonistin der „Missbrauch mit dem Missbrauch“-Bewegung vor allem in den 90er Jahren - , u.a. mit angeblich belegten 100 Fällen von Falschbeschuldigungen bei sexuellem Missbrauch. „Angeblich“ muss ich hier schreiben, weil Rutschky eine denkbar schlechte „Expertin“ ist. Rutschky, die überall eine aufkommende Missbrauchshysterie und unzählige falsch Beschuldigte sah und dies durch scheinbar wissenschaftliche Artikel und Bücher belegen wollte – schrieb im Jahr 2004 für das kleine Magazin „Campo de Criptana“ Ausgabe Nr. 4 (übrigens vor einem Interview unter der Überschrift "Die Pädos sind heute politisch auf sich allein gestellt" mit Prof. Dr. Rüdiger Lautmann (Autor des sehr umstrittenen Buches "Die Lust am Kind. Portrait des Pädophilen") und dem "Chefredakteur" der früheren Pädogruppe "Krumme 13" Dieter Giesekin !!) u.a. die strafrechtliche Verfolgung des Besitzes und des Handels mit Kinderpornographie würde „durch die Behauptung gerechtfertigt, dass zu ihrer Herstellung ja Kinder missbraucht werden“. und „Das traurige Triebschicksal eines pädophil veranlagten Menschen (welches Kind verliebt sich schon in einen älteren Menschen) soll und darf nach diesem Gesetz nicht einmal den Ausweg in die Imagination nehmen.“ (O-Ton Rutschky S. 23) und „Die Vorstellung, dass Pornographiekonsumenten mittelbar „Missbrauch“ fördern, ist auch insofern fragwürdig, als ja Film- und Schneidetechnik die täuschende Simulation von allem und jedem erlauben. Für Kriegsfilme wird ja auch kein Krieg geführt.“ (O-Ton Rutschky, S. 23) Die Frau, die früher lautstark (und oft auch gerne gehört) gegen die feministische Hysterie um sexuelle Gewalt wetterte, hat offenbar endgültig ihre Maske abgesetzt. Das hier noch mal zu erwähnen, war mir wichtig, dieser ganze Themenbereich ist ein Bereich mit unzähligen Abgründen.
Nun, Rückert zitiert in ihrem Artikel aus den 90er Jahren auch Zahlen zum Dunkelfeld und dem hohem Ausmass der sexuellen Gewalt. Sie schrieb: „Trotzdem sind es zigtausende Fälle in Deutschland, die gegen Frau Rutschkys hundert belegte Falschverdächtigungen stehen.“ Einige Jahre später scheint sich Sabine Rückert nicht mehr so recht an diesen Satz erinnern zu wollen. Denn auf einmal sind angeblich die Falschbeschuldigungen zur Normalität geworden, tauchen überall psychisch gestörte und rachsüchtige Frauen auf...
Am Ende des Textes habe ich mir noch eine Presseerklärung von Nafissatou Diallo, die Dominique Strauss-Kahn Vergewaltigung vorwirft, angesehen. Mir schossen die Tränen in die Augen, weil bei mir – trotz ihres Versuch, sich gefasst zu zeigen – ihre ganze verzweifelte Lage ankam. In solchen Momenten geht es auch um Wahrhaftigkeit, nicht um die Justiz. Wer ist wahrhaftiger, diese Frau oder Strauss-Kahn? Zwischen diesen zwei Unbekannten, die unterschiedlicher kaum sein könnten, wobei die Frau auch noch schlechtes Englisch spricht und bei ihrer Arbeit war, soll innerhalb von neun Minuten auf dem Boden einvernehmlicher Sex stattgefunden haben und das obwohl der ärztliche Bericht des St. Luke’s-Roosevelt Hospital in Manhattan nach Einlieferung der Anklägerin zu dem Schluss kam: "Diagnose: Aggression. Ursache der Verletzungen: Aggression. Vergewaltigung" (gemäss dem Bericht erlitt Diallo Verletzungen an der Vagina, eine Schulterzerrung und einen Bänderriss)? Glauben tut dies offensichtlich Sabine Rückert und viele andere auch. Es wird Zeit, dass diesem gesellschaftlichen Rückschlag – für den nicht nur Rückert verantwortlich ist – bzgl. des Umgangs mit Frauen, die sexuelle Gewalt anklagen, mehr entgegen getreten wird. Mein ausführlicher Text hier soll einen Beitrag dazu leisten.
- siehe ergänzend auch "Falschbeschuldigungen bei sexellen Missbrauch und falsche Informationen" Mit Zahlen, die auf Aussagen durch Experten beruhen, ist das manchmal so eine Sache...
Freitag, 30. September 2011
Samstag, 24. September 2011
Kindheit von Siri Hustvedt
Sehr berührt hat mich der Bericht „Mein Leben - Siri Hustvedt“, der heute auf ARTE lief und derzeit noch online zu sehen ist. Ich kannte diese Schriftstellerin vorher nicht. Im Film erlebte ich sie als eine sehr wache, selbstbewusste und emotionale Frau. Eine zugewandte Frau, für die ihre Familie, engsten Freunde, das häusliche Leben und das Schreiben ihr Paradies ist, wie sie selbst sagt. Leider schreibe ich in diesem Blog viel zu selten über die andere Seite. Wie Menschen durchs Leben gehen, die als Kind Liebe, Fürsorge und Wärme erlebt haben. Prominente bieten sich als „Forschungsobjekt“ sehr gut an, einfach weil viel über sie und ihr Leben berichtet wird. Ich will mit meinen Darstellungen nicht sagen, dass aus geliebten Kindern automatisch Schriftsteller und Forscher werden. Es geht nicht so sehr um Erfolg. Es geht um Menschen, die fühlen, die Liebe geben können, die nicht selbstzerstörerisch leben und handeln. Ein solcher Mensch scheint Siri Hustvedt zu sein. In dem Bericht finden sich viele Details aus ihrer Kindheit.
Ab dem Alter von drei Jahren zog ihre Familie auf einen Campus, wo ihr Vater Wohnheimleiter war. Hustvedt hat wunderbare Erinnerungen an diese Zeit, wie sie sagt, da sie sich als Kinder dort unbeobachtet auf dem Uni-Gelände aufhalten und frei herumtreiben konnten.
Ihre Schwestern berichten von einer besonderen und engen Bindung untereinander. Es gab wenig Konflikte, die Schwestern waren gute Freunde und es war sehr harmonisch. Siri hatte viele Freunde als Kind. Als Jugendliche hatte sie allerdings eine harte Zeit, zum einen weil die Schule sie sehr langweilte, zum anderen weil sie anders und sehr schlau war und dadurch Zielscheibe von Hänseleien durch Gleichaltrige wurde.
Ihre Mutter sagte: „Es hört sich lächerlich an, aber ich kann mich an keinen ernsthaften Konflikt mit meinen Töchtern erinnern." und "Sie sind in großer Freiheit aufgewachsen." Über ihren Vater redet Siri sehr liebevoll und mit großem Respekt. Eine gewisse Distanz hatte er zu ihrer Arbeit, was sich mit dem Buch „Was ich liebte“ schlagartig änderte.
Eine ihrer Schwestern beschreibt Siri als sehr einfühlsam und jedem zugewandten Menschen. Der Freund Salman Rushdie: „Siri hat diese emotionale Intelligenz. Es geht nicht nur um ihren Geist oder komplexe Ideen. Sie hat auch einen besonderen Zugang zu komplexen Gefühlen. Es gibt wenige Schriftsteller, die so emotional intelligent sind, wie sie.“.
Mit ihrem Ehemann ist sie seit über 30 Jahren verheiratet und beide beschreiben ihre Ehe als glücklich, intensiv und aufregend. Gegenseitige Kritik beruht stets auf Respekt vor dem Anderen. An ihre Tochter gab Siri ganz offensichtlich die gleiche Liebe und Fürsorge weiter, die sie selbst erlebt hatte. Tochter Sophie: „Eine der größten Gaben meiner Mutter ist, dass sich andere sehr wohl und sicher bei ihr fühlen. Als Kind habe ich sie immer schrecklich vermisst, wenn sie weg war, weil ich einfach zu niemandem diese engen Gefühle entwickeln konnte, wie zu ihr. Und sie ist einer der schlausten Menschen, die ich kenne.“ Ihr Ehemann: „Sire war immer eine tolle Mutter, das bewundere ich am meisten an ihr. Absolute Hingabe, absolute Fürsorge, ohne je nachzulassen.„ Jeden Abend hatte die Mutter ihrer Tochter sehr lange (bis zu 2 Stunden) aus Büchern vorgelesen.
Wir sehen hier am Einzelbeispiel, wie sich Liebe auf Kinder auswirken kann. Solche Berichte machen mir im Grunde viel Spaß (anstatt sich nur mit Diktatoren "rumzuschlagen".). Ich hoffe, dass ich zukünftig mehr in diese Richtung abliefern kann.
Ab dem Alter von drei Jahren zog ihre Familie auf einen Campus, wo ihr Vater Wohnheimleiter war. Hustvedt hat wunderbare Erinnerungen an diese Zeit, wie sie sagt, da sie sich als Kinder dort unbeobachtet auf dem Uni-Gelände aufhalten und frei herumtreiben konnten.
Ihre Schwestern berichten von einer besonderen und engen Bindung untereinander. Es gab wenig Konflikte, die Schwestern waren gute Freunde und es war sehr harmonisch. Siri hatte viele Freunde als Kind. Als Jugendliche hatte sie allerdings eine harte Zeit, zum einen weil die Schule sie sehr langweilte, zum anderen weil sie anders und sehr schlau war und dadurch Zielscheibe von Hänseleien durch Gleichaltrige wurde.
Ihre Mutter sagte: „Es hört sich lächerlich an, aber ich kann mich an keinen ernsthaften Konflikt mit meinen Töchtern erinnern." und "Sie sind in großer Freiheit aufgewachsen." Über ihren Vater redet Siri sehr liebevoll und mit großem Respekt. Eine gewisse Distanz hatte er zu ihrer Arbeit, was sich mit dem Buch „Was ich liebte“ schlagartig änderte.
Eine ihrer Schwestern beschreibt Siri als sehr einfühlsam und jedem zugewandten Menschen. Der Freund Salman Rushdie: „Siri hat diese emotionale Intelligenz. Es geht nicht nur um ihren Geist oder komplexe Ideen. Sie hat auch einen besonderen Zugang zu komplexen Gefühlen. Es gibt wenige Schriftsteller, die so emotional intelligent sind, wie sie.“.
Mit ihrem Ehemann ist sie seit über 30 Jahren verheiratet und beide beschreiben ihre Ehe als glücklich, intensiv und aufregend. Gegenseitige Kritik beruht stets auf Respekt vor dem Anderen. An ihre Tochter gab Siri ganz offensichtlich die gleiche Liebe und Fürsorge weiter, die sie selbst erlebt hatte. Tochter Sophie: „Eine der größten Gaben meiner Mutter ist, dass sich andere sehr wohl und sicher bei ihr fühlen. Als Kind habe ich sie immer schrecklich vermisst, wenn sie weg war, weil ich einfach zu niemandem diese engen Gefühle entwickeln konnte, wie zu ihr. Und sie ist einer der schlausten Menschen, die ich kenne.“ Ihr Ehemann: „Sire war immer eine tolle Mutter, das bewundere ich am meisten an ihr. Absolute Hingabe, absolute Fürsorge, ohne je nachzulassen.„ Jeden Abend hatte die Mutter ihrer Tochter sehr lange (bis zu 2 Stunden) aus Büchern vorgelesen.
Wir sehen hier am Einzelbeispiel, wie sich Liebe auf Kinder auswirken kann. Solche Berichte machen mir im Grunde viel Spaß (anstatt sich nur mit Diktatoren "rumzuschlagen".). Ich hoffe, dass ich zukünftig mehr in diese Richtung abliefern kann.
Dienstag, 13. September 2011
Adolf Hitler: Teufel, Dämon oder schwer misshandeltes Kind?
Ich bin aktuell auf den Text "Adolf Hitler: Teufel, Dämon oder schwer misshandeltes Kind?" von Michael Grandt gestoßen (Hinweis: Über den KOPP-Verlag gibt es sehr kritische Berichte, die ich nicht weiter prüfen kann, aber nach meinem ersten Eindruck nicht unbegründet sind. Insofern distanziere ich mich von weiteren Inhalten des Verlages. Der genannte Text ist allerdings sehr klar, sachlich und quellenbasiert. Da ich selbst viel über Hitler recherchiert habe, kann ich die Inhalte in ihrer Richtigkeit bestätigen). Selten habe ich einen so deutlichen Text über Hitlers Kindheit und mögliche Verbindungen zu seinem späteren Handeln gelesen. Insofern empfehle ich allen Interssierten, diesen Text zu lesen.
Ich hatte schon oft vor, mir die Kindheitsgeschichten von Hitlers engsten Gefolgsleuten anzuschauen. Leider hatte ich bisher nicht die Zeit dafür. Um so interessanter fand ich folgendes: "Überraschenderweise scheint Hitler auch mit Propagandaminister Joseph Goebbels über seine Eltern gesprochen zu haben, denn dieser notierte am 11. August 1932 in seinem Tagebuch: »Abends erzähle ich von zu Hause. Von Vater und Mutter. Beide haben mit Hitlers Eltern eine frappante Ähnlichkeit. Hitler ist ganz betroffen davon (…) Hitler hat fast genau dieselbe Jugend durchgemacht wie ich. Der Vater Haustyrann, die Mutter eine Quelle der Güte und Liebe.«" (zitiert nach Ralf Georg Reuth: Joseph Goebbels Tagebücher. Band 2: 1930-1934, München 1999, S. 681)
Nur zu logisch ist es, dass diese Gefolgsleute ähnliches erlebten und sich zusammentaten. Auch bei Goebbels findet sich zudem eine starke Idealisierung der Mutter. Ich vermute, dass diese ähnlich wie Hitlers Mutter eher emotional missbraucht hat und zudem die Kinder nicht vor der Gewalt des Vaters schützte. Denn Hitler selbst sagte, dass ihn die Augen seiner Mutter an die Medusa erinnernt hätten, Augen, die einen zu Stein erstarren lassen. Trotzdem wurde sie von ihm idealisiert.
Ich hatte schon oft vor, mir die Kindheitsgeschichten von Hitlers engsten Gefolgsleuten anzuschauen. Leider hatte ich bisher nicht die Zeit dafür. Um so interessanter fand ich folgendes: "Überraschenderweise scheint Hitler auch mit Propagandaminister Joseph Goebbels über seine Eltern gesprochen zu haben, denn dieser notierte am 11. August 1932 in seinem Tagebuch: »Abends erzähle ich von zu Hause. Von Vater und Mutter. Beide haben mit Hitlers Eltern eine frappante Ähnlichkeit. Hitler ist ganz betroffen davon (…) Hitler hat fast genau dieselbe Jugend durchgemacht wie ich. Der Vater Haustyrann, die Mutter eine Quelle der Güte und Liebe.«" (zitiert nach Ralf Georg Reuth: Joseph Goebbels Tagebücher. Band 2: 1930-1934, München 1999, S. 681)
Nur zu logisch ist es, dass diese Gefolgsleute ähnliches erlebten und sich zusammentaten. Auch bei Goebbels findet sich zudem eine starke Idealisierung der Mutter. Ich vermute, dass diese ähnlich wie Hitlers Mutter eher emotional missbraucht hat und zudem die Kinder nicht vor der Gewalt des Vaters schützte. Denn Hitler selbst sagte, dass ihn die Augen seiner Mutter an die Medusa erinnernt hätten, Augen, die einen zu Stein erstarren lassen. Trotzdem wurde sie von ihm idealisiert.
Freitag, 9. September 2011
12.960 Terroropfer innerhalb der USA seit dem 11. September
Nach der UNICEF-Vergleichsstudie „Child Maltreatment Deaths in Rich Nations“ aus dem Jahr 2003 sterben in den USA jede Woche 27 Kinder auf Grund von Misshandlung und Vernachlässigung. (In Deutschland sterben 2 Kinder die Woche) Dazu muss erwähnt werden, dass sicher nicht alle Todesfälle von Kindern entsprechend gründlich untersucht werden und diese Zahlen real sicher noch etwas höher liegen. Nehmen wir sie trotzdem zur Grundlage. Demnach sterben in den USA jedes Jahr ca. 1.296 Kinder auf Grund von (meist elterlicher) Misshandlung und Vernachlässigung (und das ist nur die Spitze des Eisberges an Terror in Form von Misshandlungen, Missbrauch, Demütigungen und Vernachlässigung). Das sind seit dem 11. September 2001 ca. 12.960 durch meist elterlichen Terror qualvoll umgebrachte Kinder! Mehr als vier mal so viele Menschen, wie bei den Terroranschlägen in den USA umkamen...
Diese schrecklichen Ereignisse führten allerdings nicht dazu, dass ein „Krieg gegen den elterlichen Terror“ erklärt wurde und sich die "Special Forces" von Kampfhubschraubern aus in die gepflegten Vorstadtgärten der USA abseilten, um Razzien durchzuführen. Auch wurden keine Bomben über möglicherweise besonders verdächtige (sehr familienreiche) Orte abgeworfen. Keine Mutter und kein Vater wurde unter Folter zu einem Geständnis gezwungen. Man hörte weder Familienwohnräume ab noch setzte man Agenten in Kindergärten und Schulen ein. Letztendlich wurde noch nicht einmal viel über diese Terroropfer berichtet und geredet.
„Das Böse“, das die US-Führung und viele US-Bürger oftmals so gerne außerhalb ihrer Grenzen suchen und militärisch bekämpfen, scheint im Grunde ganz nah zu sein. Darum mein ernst gemeinter Rat zum 10jährigen Gedenktag an den 11. September: Liebe US-Regierung, investiert Milliarden Dollar in den Kinderschutz und die Jugendhilfe, sowohl bei Euch (In fast der Hälfte der US-Staaten dürfen LehrerInnen immer noch ihre SchülerInnen schlagen (!) und tun dies auch, da könnte man gleich mit einem neuen Kinderschutzgesetz anfangen), als auch international und ganz besonders in den sogenannten „Schurkenstaaten“. Dem Frieden auf der Welt wäre damit erheblich mehr gedient, als mit Euren herzlosen und leidbringenden Militärracheaktionen.
Diese schrecklichen Ereignisse führten allerdings nicht dazu, dass ein „Krieg gegen den elterlichen Terror“ erklärt wurde und sich die "Special Forces" von Kampfhubschraubern aus in die gepflegten Vorstadtgärten der USA abseilten, um Razzien durchzuführen. Auch wurden keine Bomben über möglicherweise besonders verdächtige (sehr familienreiche) Orte abgeworfen. Keine Mutter und kein Vater wurde unter Folter zu einem Geständnis gezwungen. Man hörte weder Familienwohnräume ab noch setzte man Agenten in Kindergärten und Schulen ein. Letztendlich wurde noch nicht einmal viel über diese Terroropfer berichtet und geredet.
„Das Böse“, das die US-Führung und viele US-Bürger oftmals so gerne außerhalb ihrer Grenzen suchen und militärisch bekämpfen, scheint im Grunde ganz nah zu sein. Darum mein ernst gemeinter Rat zum 10jährigen Gedenktag an den 11. September: Liebe US-Regierung, investiert Milliarden Dollar in den Kinderschutz und die Jugendhilfe, sowohl bei Euch (In fast der Hälfte der US-Staaten dürfen LehrerInnen immer noch ihre SchülerInnen schlagen (!) und tun dies auch, da könnte man gleich mit einem neuen Kinderschutzgesetz anfangen), als auch international und ganz besonders in den sogenannten „Schurkenstaaten“. Dem Frieden auf der Welt wäre damit erheblich mehr gedient, als mit Euren herzlosen und leidbringenden Militärracheaktionen.
Dienstag, 6. September 2011
"Warum die Deutschen? Warum die Juden?"
„Warum die Deutschen? Warum die Juden?“ von Götz Aly steht derzeit auf Platz 5 der SPIEGEL-Bestseller Liste. In der Buchbeschreibung heißt es, der Autor „gelangt in seinem neuen Buch zu verstörenden Einsichten. Er beschreibt Fortschrittsscheu, Bildungsmangel und Freiheitsangst so vieler christlicher Deutscher während des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dagegen begeisterten sich die deutschen Juden für das Stadtleben, für höhere Bildung; sie wussten die Chancen der Moderne zu nutzen.“ Mehr brauche ich über das Buch wohl nicht zu lesen, denn der Autor wird diese festgestellten Sachverhalte kaum mit psychohistorischen Thesen verknüpft haben. Vor allem der Psychohistoriker Lloyd deMause hat in seinen Arbeiten dargelegt: „(…) wenn man festhält, dass die deutsche Kindheit um 1900 ein Alptraum von Mord, Vernachlässigung, prügeln und Folter von unschuldigen, hilflosen menschlichen Wesen war, dann ist die Wiederaufführung dieses Alptraums vier Jahrzehnte später im Holocaust und im Zweiten Weltkrieg letztlich zu verstehen.“ (deMause, 2005: Das emotionale Leben der Nationen, S. 140)
Menschen, die als Kind schwer durch ihre Eltern traumatisiert wurden, entwickeln oftmals enorme Ängste vor „Freiheit“ und „Fortschritt“. Denn als Kinder (oftmals schon sehr früh im Kleinkinderalter) wurden ihre Schritte in Richtung Freiheit, Wachstum, Entwicklung und Unabhängigkeit schwer bestraft. Für solche Menschen stellen alle Arten von gesellschaftlichem Fortschritt eine enorme Bedrohung dar, weil schmerzhafte Erinnerungen an den eigenen Selbstverrat (das eigene sich Kleinhalten und nicht eigene Gefühle entwickeln dürfen) und das eigene Trauma mit entsprechenden Gefühlen von Angst, Panik, Schmerz usw. wach zu werden drohen. Die westeuropäischen Juden, sagt deMause, hätten im Gegensatz zu anderen Bevölkerungsgruppen fortschrittlichere Erziehungspraktiken entwickelt. Insofern erklärt sich auch, dass diese Gruppe besonders fortschrittsfreundlich war, weil sie weniger Wachstumspanik entwickelte und es erklärt sich auch, warum sie als Feindbild besonders herhalten mussten. Europa um 1900, das war auch Fortschritt und gewaltige gesellschaftliche und ökonomische Umwälzungen und Entwicklungen (inkl. einem enormen Streben nach Gleicheit durch die Frauen). Um so gewaltiger war die Reaktion auf diesen Fortschritt.
Auch der norwegische Attentäter Breivik war selbsternannter Fortschrittshasser (wie so viele ähnlich gestrickte Menschen). Integration, multikulturelle Gesellschaft, Emanzipation der Frauen, fortschrittliche, gewaltlose Kindererziehung, moderne Ehe, all das hasste er und wollte es abschaffen. Bei Breivik finden sich alle möglichen Arten von "Wachstumspanik". Auch seine Reaktion darauf war enorm gewalttätig und brutal.
Menschen, die als Kind schwer durch ihre Eltern traumatisiert wurden, entwickeln oftmals enorme Ängste vor „Freiheit“ und „Fortschritt“. Denn als Kinder (oftmals schon sehr früh im Kleinkinderalter) wurden ihre Schritte in Richtung Freiheit, Wachstum, Entwicklung und Unabhängigkeit schwer bestraft. Für solche Menschen stellen alle Arten von gesellschaftlichem Fortschritt eine enorme Bedrohung dar, weil schmerzhafte Erinnerungen an den eigenen Selbstverrat (das eigene sich Kleinhalten und nicht eigene Gefühle entwickeln dürfen) und das eigene Trauma mit entsprechenden Gefühlen von Angst, Panik, Schmerz usw. wach zu werden drohen. Die westeuropäischen Juden, sagt deMause, hätten im Gegensatz zu anderen Bevölkerungsgruppen fortschrittlichere Erziehungspraktiken entwickelt. Insofern erklärt sich auch, dass diese Gruppe besonders fortschrittsfreundlich war, weil sie weniger Wachstumspanik entwickelte und es erklärt sich auch, warum sie als Feindbild besonders herhalten mussten. Europa um 1900, das war auch Fortschritt und gewaltige gesellschaftliche und ökonomische Umwälzungen und Entwicklungen (inkl. einem enormen Streben nach Gleicheit durch die Frauen). Um so gewaltiger war die Reaktion auf diesen Fortschritt.
Auch der norwegische Attentäter Breivik war selbsternannter Fortschrittshasser (wie so viele ähnlich gestrickte Menschen). Integration, multikulturelle Gesellschaft, Emanzipation der Frauen, fortschrittliche, gewaltlose Kindererziehung, moderne Ehe, all das hasste er und wollte es abschaffen. Bei Breivik finden sich alle möglichen Arten von "Wachstumspanik". Auch seine Reaktion darauf war enorm gewalttätig und brutal.
Freitag, 2. September 2011
(Elite-)Soldaten - Die geschlagenen Kinder von gestern. Ein Fallbeispiel
Der ehemalige US-Elitesoldat (Team Six) Howard Wasdin wollte in seinem Leben vor allem eines: „Nie wieder schwach sein.“, schreibt der SPIEGEL in einem Porträt über diesen Mann, der auch ein Buch über seine Zeit als Elitekämpfer geschrieben hat. Als Soldat wollte er der Beste und immer der Härteste sein. Bloss nichts mehr fühlen oder Schwächen zeigen. Denn das hätte ihn wahrscheinlich an seine Kindheit erinnert. „Der Sohn eines Lastwagenfahrers, aufgewachsen in einfachsten Verhältnissen des ländlichen Georgias, lernt schon früh, Schmerzen zu ertragen. Sein Stiefvater prügelt ihn regelmäßig mit einem Ledergürtel, jede angebliche Verfehlung des Kindes - und sei sie noch so geringfügig - wird mit gnadenloser Brutalität bestraft. Also funktioniert Howard, wie es von ihm erwartet wird, passt sich an, sorgt dafür, dass der erste Vorgesetzte seines Lebens möglichst oft zufrieden mit ihm ist. Im Militär läuft es später eigentlich genauso.“, schreibt der SPIEGEL und bestätigt damit erneut das, was ich unter dem Kapitel „4. Die Soldaten: Gewalt und Gehorsamsforderung in der Familie ist das Fundament für das Militär und kriegerische Ziele“ geschrieben habe. „Die Kameraden sind seine Familie, das Team steht über allem, seine Ehe geht schon bald in die Brüche.“ Die Armee dient als Familienersatz, auch das ist etwas, worüber ich bereits geschrieben habe und was immer wieder auffällt.
Es sind schwer verletzte, traumatisierte Männer, die Elitekämpfer werden wollen. Sie wollen legal töten und vor allem steinhart und emotionslos sein. Emotionen und Gefühle von Schwäche und Ohnmacht mussten sie schon früh als etwas Fremdes abspalten, um in ihren Familien zu überleben. Jungen, die als Kind Liebe und Geborgenheit erleben durfte, die Gefühle zeigen durften, werden niemals Berufssoldaten oder Elitekämpfer werden.
Kriege bauen immer darauf auf, dass sich Menschen finden, die eine Waffe in die Hand nehmen und damit andere Menschen bereitwillig töten. Dafür müssen sie in der Lage sein, ihr Mitgefühl abzuspalten. Auch die unausgebildeten Kämpfer in Libyen, seien es jetzt die Leute des Diktators oder die "Rebellen", müssen als Kind Gewalt und Lieblosigkeit erlebt haben, sonst wären sie zu ihren Taten nicht fähig.
Es sind schwer verletzte, traumatisierte Männer, die Elitekämpfer werden wollen. Sie wollen legal töten und vor allem steinhart und emotionslos sein. Emotionen und Gefühle von Schwäche und Ohnmacht mussten sie schon früh als etwas Fremdes abspalten, um in ihren Familien zu überleben. Jungen, die als Kind Liebe und Geborgenheit erleben durfte, die Gefühle zeigen durften, werden niemals Berufssoldaten oder Elitekämpfer werden.
Kriege bauen immer darauf auf, dass sich Menschen finden, die eine Waffe in die Hand nehmen und damit andere Menschen bereitwillig töten. Dafür müssen sie in der Lage sein, ihr Mitgefühl abzuspalten. Auch die unausgebildeten Kämpfer in Libyen, seien es jetzt die Leute des Diktators oder die "Rebellen", müssen als Kind Gewalt und Lieblosigkeit erlebt haben, sonst wären sie zu ihren Taten nicht fähig.
Donnerstag, 1. September 2011
Zwischenmeldung: "Die Mär von schwarzafrikanischen Gaddafi-Söldnern"
Die Entwicklungen in Libyen beschäftigen mich weiterhin stark und machen mich wütend. Immer mehr kommen Kriegslügen ans Licht und auch die unkritische Berichterstattung einiger Medien, die "Gut" und "Böse" in ihren Berichten deutlich trennten. Die "Rebellenarmee" entpuppt sich – wie erwartete - Stück für Stück als dunkler Schatten des Diktators. Die Entwicklungen sind derart komplex und undurchsichtig, dass es mich ärgert, nicht mehr Zeit für die Recherche zu haben. Ich hoffe, dass sich zukünftig Leute finden, die rückblickend den ganzen Libyenkonflikt kritisch und bedächtig umfassend analysieren.
Heute möchte ich auf den Artikel in der Welt „Die Mär von schwarzafrikanischen Gaddafi-Söldnern“ hinweisen.
Bei der weit verbreitete Geschichte von den schwarzafrikanischen Söldnern im Osten (die brutal gegen die Zivilbevölkerung vorgehen) scheint es sich um eine Propagandalüge des Übergangsrats zu handeln. Peter Bouckaert - Leiter der Kriseneinsätze der Hilfsorganisation Human Rights Watch (HRW) – berichtet:
„Wir waren im Osten und haben mit den schwarzafrikanischen Gefangenen in Bengasi, Aschdabia und in anderen Orten gesprochen. Doch unter all den Leuten, die wir gesprochen haben, war kein einziger Söldner.“und „Es gab einige Fälle von Journalisten, die sich in Internierungslager einschlichen, Fotos von Soldaten machten und sie danach als Bilder von Söldnern bezeichneten“, sagt Bouckaert kritisch. Jeder Schwarzafrikaner war in den ersten Wochen der Revolution verdächtig. „Sie wurden verprügelt, es kam zu Lynchjustiz und auch zu Vergewaltigungen“, sagt Bouckaert.
Heute möchte ich auf den Artikel in der Welt „Die Mär von schwarzafrikanischen Gaddafi-Söldnern“ hinweisen.
Bei der weit verbreitete Geschichte von den schwarzafrikanischen Söldnern im Osten (die brutal gegen die Zivilbevölkerung vorgehen) scheint es sich um eine Propagandalüge des Übergangsrats zu handeln. Peter Bouckaert - Leiter der Kriseneinsätze der Hilfsorganisation Human Rights Watch (HRW) – berichtet:
„Wir waren im Osten und haben mit den schwarzafrikanischen Gefangenen in Bengasi, Aschdabia und in anderen Orten gesprochen. Doch unter all den Leuten, die wir gesprochen haben, war kein einziger Söldner.“und „Es gab einige Fälle von Journalisten, die sich in Internierungslager einschlichen, Fotos von Soldaten machten und sie danach als Bilder von Söldnern bezeichneten“, sagt Bouckaert kritisch. Jeder Schwarzafrikaner war in den ersten Wochen der Revolution verdächtig. „Sie wurden verprügelt, es kam zu Lynchjustiz und auch zu Vergewaltigungen“, sagt Bouckaert.
Mittwoch, 31. August 2011
Rückblick auf EHEC
Wir haben Ende August und es wird Zeit für einen kurzen Rückblick auf EHEC bzw. das Ausmass der Erkrankungen und Todesfälle:
„Im Verlauf des Ausbruchsgeschehens wurden dem RKI insgesamt 4321 Fälle gemeldet, davon 3469 EHEC-Fälle und 852 HUS-Fälle. Insgesamt 50 Patienten sind gestorben, darunter 18 EHEC-Erkrankte und 32 HUS-Patienten.“ (Pressemitteilung des Robert Koch-Instituts vom 26.07.2011)
Außergewöhnlich hoch war die Fallzahl der Infizierten und die Schwere der Krankheitsverläufe, das ist unbestritten und tragisch. Insgesamt sind 50 Menschen gestorben. Davon, nach meinem Eindruck der damaligen Berichterstattung, ein hoher Anteil von Menschen im hohen Alter. Trotz dieser tragischen Todesfälle lässt sich im Rückblick bestätigen, dass die damalige Berichterstattung extrem panisch und hysterisch war. „Wir werden alle sterben, wenn wir Gemüse essen“, so könnte man die emotionale Lage der Medien und Menschen rückblickend etwas überspitzt darstellen (wobei die Übertragung durch Gemüse oder Sprossen bis heute nicht einwandfrei nachgewiesen werden konnte). Gestorben sind 50 Menschen, keine hundert, keine Tausend oder mehr.
Interessant ist für mich rückblickend auch, dass die Panikwelle im Mai 2011 begann und diese Panik vornehmlich in Deutschland herrschte, dem Land, das sich im UN-Sicherheitsrat bzgl. des Libyeneinsatzes enthalten hatte. Andere westliche Länder hatte indes Libyens Diktator zum aktuellen Feind erklärt, den man militärisch bekämpfte. In Deutschland wurde zwar über den Einsatz berichtet, aber eine wirkliche „Feindbildsstimmung“ wurde nicht wirklich erreicht, schließlich hielten wir uns da weitgehend raus. Kurz nach Beginn der Bombardierungen in Libyen fanden wir einen anderen „Feind“: Den Feind in unserem Essen. (Siehe dazu auch u.a. Der aktuelle Feind ist ein Keim namens EHEC)
Der EHEC Ausbruch war sicherlich ein Zufall. Was medial daraus gemacht wurde wohl eher nicht.
„Im Verlauf des Ausbruchsgeschehens wurden dem RKI insgesamt 4321 Fälle gemeldet, davon 3469 EHEC-Fälle und 852 HUS-Fälle. Insgesamt 50 Patienten sind gestorben, darunter 18 EHEC-Erkrankte und 32 HUS-Patienten.“ (Pressemitteilung des Robert Koch-Instituts vom 26.07.2011)
Außergewöhnlich hoch war die Fallzahl der Infizierten und die Schwere der Krankheitsverläufe, das ist unbestritten und tragisch. Insgesamt sind 50 Menschen gestorben. Davon, nach meinem Eindruck der damaligen Berichterstattung, ein hoher Anteil von Menschen im hohen Alter. Trotz dieser tragischen Todesfälle lässt sich im Rückblick bestätigen, dass die damalige Berichterstattung extrem panisch und hysterisch war. „Wir werden alle sterben, wenn wir Gemüse essen“, so könnte man die emotionale Lage der Medien und Menschen rückblickend etwas überspitzt darstellen (wobei die Übertragung durch Gemüse oder Sprossen bis heute nicht einwandfrei nachgewiesen werden konnte). Gestorben sind 50 Menschen, keine hundert, keine Tausend oder mehr.
Interessant ist für mich rückblickend auch, dass die Panikwelle im Mai 2011 begann und diese Panik vornehmlich in Deutschland herrschte, dem Land, das sich im UN-Sicherheitsrat bzgl. des Libyeneinsatzes enthalten hatte. Andere westliche Länder hatte indes Libyens Diktator zum aktuellen Feind erklärt, den man militärisch bekämpfte. In Deutschland wurde zwar über den Einsatz berichtet, aber eine wirkliche „Feindbildsstimmung“ wurde nicht wirklich erreicht, schließlich hielten wir uns da weitgehend raus. Kurz nach Beginn der Bombardierungen in Libyen fanden wir einen anderen „Feind“: Den Feind in unserem Essen. (Siehe dazu auch u.a. Der aktuelle Feind ist ein Keim namens EHEC)
Der EHEC Ausbruch war sicherlich ein Zufall. Was medial daraus gemacht wurde wohl eher nicht.
Freitag, 26. August 2011
Libyen: Brauchte der Westen einen Feind und Menschenopfer?
Im “The New Zealand Herald” wurde unter dem Titel ”Amnesty questions Libyan mass rape” am 25.06.2011 berichtet, dass es laut Berichterstattern vor Ort keine Beweise für Massenvergewaltigungen oder Massenmord seitens der Truppen des Diktators gibt. Zitat: „Nato leaders, opposition groups and the media have produced a stream of stories since February 15 claiming the Gaddafi regime has ordered mass rapes, used foreign mercenaries and employed helicopters against civilian protesters. An investigation by Amnesty International has failed to find evidence for these human rights violations and in many cases has discredited or cast doubt on them.“
Die meisten Menschen starben – laut Amnesty International - in den ersten Tagen der Protestwelle in Benghazi, wo 100 bis 110 Menschen durch Anhänger oder Truppen des Diktators getötet wurden, und in Baida, wo 59 bis 64 Menschen starben. Dieses Zahlen sind schlimm, aber sie belegen, dass es keine unzähligen und massenhaften Tötungen in den Wochen vor dem NATO Einsatz gab oder gar die Gefahr eines Völkermordes bestand.
„In Libyen war und ist die Schwelle zum Völkermord nicht überschritten“, sagte die Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion, Monika Lüke, dem Tagesspiegel. „Der Einsatz droht mehr Leid zu bringen, als er verhindert“, wird sie weiter zitiert.
Auch die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage (BT- Drs. 17/5409) unter dem Titel „Hintergründe des bewaffneten Angriffs auf Libyen“ bestätigt, dass „keine detaillierten Informationen über Angriffe der libyschen Luftwaffe auf Zivilisten“ vorliegen.
Sollten sich zukünftig weitere Beweise dafür finden lassen, dass Gaddafi nicht in dem Ausmass gegen Zivilisten vorging, wie es in den westlichen Medien so oft dargestellt wurde und sollten sich zukünftig Belege dafür finden, dass sehr viele Zivilisten durch die NATO Bombardierungen ums Leben kamen (Man gebe bei googel einmal "Tote NATO Einsatz Libyen Zivilisten" ein und finde etliche Artikel) oder durch diese in die Flucht getrieben wurden (Ich frage mich auch, wie viele Kinder allein dadurch traumatisiert wurden, dass täglich Bombeneinschläge durch NATO Angriffe - bei ca. 50 NATO-Kampfeinsätzen pro Tag - zu hören waren…), hätten wir hier folgende Situation:
Die reale Gewalt durch einen „Bösewicht“ wird zu Massenmord aufgebauscht, um dadurch militärische Einsätze zu rechtfertigen. Die folgenden militärischen Einsätze produzieren viel mehr Leid, Flüchtlinge, Zerstörung und Tote, als durch den eigentlich erklärten „Bösen“ zustande kam. Diesen „Bösen“ hat man vorher höchst persönlich selbst aufgerüstet.
Hier wird es dann psychohistorisch interessant, wenn auch erschreckend abgründig. Denn wenn eine Mehrheit der Bevölkerung als Kind Gewalt erlebte (was weiterhin auch für Europa gilt) und gleichzeitig ein starker ökonomischer und gesellschaftlicher Fortschritt stattfindet, steigt das Bedürfnis, Feinde zu finden und zu bekämpfen oder sich selbst zu opfern z.B. in Form von einer ökonomischen Krise, so die psychohistorische These. Derzeit findet offensichtlich beides statt. Vielleicht, weil das Feindbild „Diktator in Libyen“ nicht so viel hergibt, wie z.B. die früheren Feindbilder "Ostblock" oder "Osama bin Laden". Deutschland zeigte in der Libyenfrage, dass sich emotional einiges bei uns getan hat, denn unsere Regierung war nicht bereit, an der offensichtlichen Opferung von Menschen teilzunehmen. Dafür verdient sie Respekt (hätte nicht gedacht, dass ich das einmal schreiben würde…)!
Bereits jetzt kursieren Theorien bzgl. der "wahren Hintergründe" des NATO-Einsatzes. Es ginge - wie immer - um Rohstoffe und Geld. Wie schon beim Irakkrieg wird sich diese Theorie als Seifenblase erweisen. Schauen wir uns die aktuellen Exportpartner Libyens an: Italien 37%, Deutschland 16,6%, Spanien 11,9%, Türkei 7,1%, Frankreich 6,2%. Importpartner: Italien 25,5%, Deutschland 11%, Südkorea 6,1%, Vereinigtes Königreich 5,4%, Tunesien 4,7%, Türkei 4,6%. (vgl. http://www.ipicture.de/daten/wirtschaft_lybien.html) Die USA, Frankreich und Großbritannien - die Hauptakteure beim NATO Einsatz - haben bisher wirtschaftlich wenig mit dieser Region zu tun. Voraussichtlich wird sich das auch nach dem Krieg kaum ändern.
Die meisten Menschen starben – laut Amnesty International - in den ersten Tagen der Protestwelle in Benghazi, wo 100 bis 110 Menschen durch Anhänger oder Truppen des Diktators getötet wurden, und in Baida, wo 59 bis 64 Menschen starben. Dieses Zahlen sind schlimm, aber sie belegen, dass es keine unzähligen und massenhaften Tötungen in den Wochen vor dem NATO Einsatz gab oder gar die Gefahr eines Völkermordes bestand.
„In Libyen war und ist die Schwelle zum Völkermord nicht überschritten“, sagte die Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion, Monika Lüke, dem Tagesspiegel. „Der Einsatz droht mehr Leid zu bringen, als er verhindert“, wird sie weiter zitiert.
Auch die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage (BT- Drs. 17/5409) unter dem Titel „Hintergründe des bewaffneten Angriffs auf Libyen“ bestätigt, dass „keine detaillierten Informationen über Angriffe der libyschen Luftwaffe auf Zivilisten“ vorliegen.
Sollten sich zukünftig weitere Beweise dafür finden lassen, dass Gaddafi nicht in dem Ausmass gegen Zivilisten vorging, wie es in den westlichen Medien so oft dargestellt wurde und sollten sich zukünftig Belege dafür finden, dass sehr viele Zivilisten durch die NATO Bombardierungen ums Leben kamen (Man gebe bei googel einmal "Tote NATO Einsatz Libyen Zivilisten" ein und finde etliche Artikel) oder durch diese in die Flucht getrieben wurden (Ich frage mich auch, wie viele Kinder allein dadurch traumatisiert wurden, dass täglich Bombeneinschläge durch NATO Angriffe - bei ca. 50 NATO-Kampfeinsätzen pro Tag - zu hören waren…), hätten wir hier folgende Situation:
Die reale Gewalt durch einen „Bösewicht“ wird zu Massenmord aufgebauscht, um dadurch militärische Einsätze zu rechtfertigen. Die folgenden militärischen Einsätze produzieren viel mehr Leid, Flüchtlinge, Zerstörung und Tote, als durch den eigentlich erklärten „Bösen“ zustande kam. Diesen „Bösen“ hat man vorher höchst persönlich selbst aufgerüstet.
Hier wird es dann psychohistorisch interessant, wenn auch erschreckend abgründig. Denn wenn eine Mehrheit der Bevölkerung als Kind Gewalt erlebte (was weiterhin auch für Europa gilt) und gleichzeitig ein starker ökonomischer und gesellschaftlicher Fortschritt stattfindet, steigt das Bedürfnis, Feinde zu finden und zu bekämpfen oder sich selbst zu opfern z.B. in Form von einer ökonomischen Krise, so die psychohistorische These. Derzeit findet offensichtlich beides statt. Vielleicht, weil das Feindbild „Diktator in Libyen“ nicht so viel hergibt, wie z.B. die früheren Feindbilder "Ostblock" oder "Osama bin Laden". Deutschland zeigte in der Libyenfrage, dass sich emotional einiges bei uns getan hat, denn unsere Regierung war nicht bereit, an der offensichtlichen Opferung von Menschen teilzunehmen. Dafür verdient sie Respekt (hätte nicht gedacht, dass ich das einmal schreiben würde…)!
Bereits jetzt kursieren Theorien bzgl. der "wahren Hintergründe" des NATO-Einsatzes. Es ginge - wie immer - um Rohstoffe und Geld. Wie schon beim Irakkrieg wird sich diese Theorie als Seifenblase erweisen. Schauen wir uns die aktuellen Exportpartner Libyens an: Italien 37%, Deutschland 16,6%, Spanien 11,9%, Türkei 7,1%, Frankreich 6,2%. Importpartner: Italien 25,5%, Deutschland 11%, Südkorea 6,1%, Vereinigtes Königreich 5,4%, Tunesien 4,7%, Türkei 4,6%. (vgl. http://www.ipicture.de/daten/wirtschaft_lybien.html) Die USA, Frankreich und Großbritannien - die Hauptakteure beim NATO Einsatz - haben bisher wirtschaftlich wenig mit dieser Region zu tun. Voraussichtlich wird sich das auch nach dem Krieg kaum ändern.
Mittwoch, 24. August 2011
Libyen: „Prügel für Westerwelle“ und all die anderen Weicheier
Westerwelle bekommt derzeit starke Kritik auf Grund seiner Äußerungen zu den aktuellen „Erfolgen“ der „Rebellen“ in Libyen. Der Außenminister hat sich in der Tat ungeschickt geäußert. Ich hätte mir gewünscht, dass er einfach gesagt hätte: „Wir stehen zu unserer Entscheidung der Enthaltung.“ Punkt.
Besorgniserregend finde ich viel mehr eine andere Entwicklung, die durch den heutigen Artikel „Prügel für Westerwelle“ in der Basler Zeitung deutlich rüberkommt: Krieg wird als notwendiges und erfolgreiches Mittel der westlichen Politik gefeiert. Länder und Politiker, die da nicht mitmachen, sind „Weicheier“ und verdienen (symbolisch) „Prügel“. Eine solche Tendenz und Symbolik verrät viel über tiefere, emotionale Beweggründe.
In den letzten Tagen sah man eine ganze Reihe von Fotos von den „Rebellen“, i.d.R. hatten sie Waffen in der Hand, standen siegessicher und feiernd vor zerbombten Gebäuden, brennenden Autos usw. Diese Leute wirken auf mich nicht weniger bedrohlich, als die Leute des Diktators. Sie wirken auf mich unberechenbar. „Einheiten der Aufständischen seien für Plünderungen, Brandstiftungen und Gewalt gegen Zivilisten verantwortlich“, erklärte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) im Juli (siehe hier). Diese Kurzmeldung las man hier und da. Bisher habe ich nicht wahrgenommen, dass in den Medien ein wirkliches Interesse daran besteht, die „Rebellen“ kritisch zu betrachten und Nachforschungen anzustellen.
Die hohen Opfer- und Flüchtlingszahlen scheinen auch schon vergessen. (siehe dazu Der Libyeneinsatz war bisher ein "voller Erfolg") Mehr noch, man meint, der NATO Einsatz hätte Menschenleben gerettet. Wie immer werden bei westlichen Kriegen die „Kollateralschäden“ gegen mögliche gerettet Menschenleben aufgerechnet. Man darf so und so viel Menschen opfern um so und so viel Menschen zu retten. Das ist eine Einstellung, die in allen anderen Bereichen des westlichen Lebens absolut undenkbar wäre! Nur im Krieg gegen "das Böse" außerhalb unserer Grenzen gilt diese Regel nicht mehr.
Gut und Böse wurden mal wieder sauber getrennt. Die Realität der weiteren Entwicklung unter einer möglichen Herrschaft der „Rebellen“ wird zeigen, ob dieses Bild so stimmt. Sofern sich der Westen nach der Bombardierung des Landes, Aufrüstung einer „Rebellenarmee“, Verdrängens dessen, dass man Diktator Gaddafi einst hofierte und selbst aufrüstete und einer nun gewonnen selbstherrlichen Sieges-/Machtdemonstration überhaupt noch für die Lebenssituation der Bevölkerung dort interessiert.
Info-Anhang: Seit Beginn des NATO Angriffs am 31.03.2011 hat das westliche Bündnis 20.121 Einsätze in Libyen durchgeführt, davon waren 7.587 Kampfeinsätze, also im Schnitt ca. 50 Kampfeinsätze pro Tag! (vgl. NATO Bericht vom 24.08.11)
Besorgniserregend finde ich viel mehr eine andere Entwicklung, die durch den heutigen Artikel „Prügel für Westerwelle“ in der Basler Zeitung deutlich rüberkommt: Krieg wird als notwendiges und erfolgreiches Mittel der westlichen Politik gefeiert. Länder und Politiker, die da nicht mitmachen, sind „Weicheier“ und verdienen (symbolisch) „Prügel“. Eine solche Tendenz und Symbolik verrät viel über tiefere, emotionale Beweggründe.
In den letzten Tagen sah man eine ganze Reihe von Fotos von den „Rebellen“, i.d.R. hatten sie Waffen in der Hand, standen siegessicher und feiernd vor zerbombten Gebäuden, brennenden Autos usw. Diese Leute wirken auf mich nicht weniger bedrohlich, als die Leute des Diktators. Sie wirken auf mich unberechenbar. „Einheiten der Aufständischen seien für Plünderungen, Brandstiftungen und Gewalt gegen Zivilisten verantwortlich“, erklärte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) im Juli (siehe hier). Diese Kurzmeldung las man hier und da. Bisher habe ich nicht wahrgenommen, dass in den Medien ein wirkliches Interesse daran besteht, die „Rebellen“ kritisch zu betrachten und Nachforschungen anzustellen.
Die hohen Opfer- und Flüchtlingszahlen scheinen auch schon vergessen. (siehe dazu Der Libyeneinsatz war bisher ein "voller Erfolg") Mehr noch, man meint, der NATO Einsatz hätte Menschenleben gerettet. Wie immer werden bei westlichen Kriegen die „Kollateralschäden“ gegen mögliche gerettet Menschenleben aufgerechnet. Man darf so und so viel Menschen opfern um so und so viel Menschen zu retten. Das ist eine Einstellung, die in allen anderen Bereichen des westlichen Lebens absolut undenkbar wäre! Nur im Krieg gegen "das Böse" außerhalb unserer Grenzen gilt diese Regel nicht mehr.
Gut und Böse wurden mal wieder sauber getrennt. Die Realität der weiteren Entwicklung unter einer möglichen Herrschaft der „Rebellen“ wird zeigen, ob dieses Bild so stimmt. Sofern sich der Westen nach der Bombardierung des Landes, Aufrüstung einer „Rebellenarmee“, Verdrängens dessen, dass man Diktator Gaddafi einst hofierte und selbst aufrüstete und einer nun gewonnen selbstherrlichen Sieges-/Machtdemonstration überhaupt noch für die Lebenssituation der Bevölkerung dort interessiert.
Info-Anhang: Seit Beginn des NATO Angriffs am 31.03.2011 hat das westliche Bündnis 20.121 Einsätze in Libyen durchgeführt, davon waren 7.587 Kampfeinsätze, also im Schnitt ca. 50 Kampfeinsätze pro Tag! (vgl. NATO Bericht vom 24.08.11)
Freitag, 19. August 2011
Stammesgesellschaften: Die Hälfte aller Männer erschlagen
Derzeit häufen sich Artikel, die die „Lust am Böse“ als quasi naturbedingt voraussetzen. So auch der aktuelle Artikel "Du darfst nicht immer töten" in der ZEIT.
„Ich bin überzeugt, dass der Mensch darauf ausgelegt ist, Gewalt auszuüben.“, sagt der Neuropsychologe Thomas Elbert im Interview. Wobei er im Interview auch ganz andere Sachen sagt und mehrmals den Einfluss der Kindheit erwähnt. Naja…
Eine Passage möchte ich besonders kommentieren: „Menschen können Menschen töten, und in primitiven Kulturen tun sie das auch. Die Untersuchungen steinzeitlicher Kulturen zeigen, dass die Hälfte aller Männer erschlagen worden ist. Und von unserer genetischen Zusammensetzung sind wir nicht großartig anders als der Steinzeitmensch. Die Bereitschaft zu töten, war damals keine psychopathologische Variante, die selten auftritt. Es war die Regel.“
Wer sich mit der Psychohistorie auskennt, kennt die eigentlichen Antworten auf diese Feststellung. In der Tat mordeten die Menschen früher mehr bzw. wird in Stammesgesellschaften mehr Gewalt ausgeübt. Auf Wikipedia kann man sich dazu eine interessante Grafik anschauen. In Stammesgesellschaften war der Anteil der Kriegstoten um ein Vielfaches höher, als im Europa oder den USA des 20. Jahrhunderts. Die Antwort liegt allerdings nicht in der „Natur des Bösen“, sondern in den Kindheiten zu früheren Zeiten bzw. den Kindheiten in Stammesgesellschaften: Historische Kindererziehungspraktiken und Persönlichkeiten
„Ich bin überzeugt, dass der Mensch darauf ausgelegt ist, Gewalt auszuüben.“, sagt der Neuropsychologe Thomas Elbert im Interview. Wobei er im Interview auch ganz andere Sachen sagt und mehrmals den Einfluss der Kindheit erwähnt. Naja…
Eine Passage möchte ich besonders kommentieren: „Menschen können Menschen töten, und in primitiven Kulturen tun sie das auch. Die Untersuchungen steinzeitlicher Kulturen zeigen, dass die Hälfte aller Männer erschlagen worden ist. Und von unserer genetischen Zusammensetzung sind wir nicht großartig anders als der Steinzeitmensch. Die Bereitschaft zu töten, war damals keine psychopathologische Variante, die selten auftritt. Es war die Regel.“
Wer sich mit der Psychohistorie auskennt, kennt die eigentlichen Antworten auf diese Feststellung. In der Tat mordeten die Menschen früher mehr bzw. wird in Stammesgesellschaften mehr Gewalt ausgeübt. Auf Wikipedia kann man sich dazu eine interessante Grafik anschauen. In Stammesgesellschaften war der Anteil der Kriegstoten um ein Vielfaches höher, als im Europa oder den USA des 20. Jahrhunderts. Die Antwort liegt allerdings nicht in der „Natur des Bösen“, sondern in den Kindheiten zu früheren Zeiten bzw. den Kindheiten in Stammesgesellschaften: Historische Kindererziehungspraktiken und Persönlichkeiten
Zwei alte Männer und die Revolution
Kürzlich bekam ich das Gespräch zwischen zwei älteren Männern mit (ca. Mitte 60 und Anfang/Mitte 70). Beide unterhielten sich darüber, dass heutzutage den jungen Leuten in der Ausbildung mehr ihre Rechte als ihre Pflichten aufgezeigt würden. Die Jungen würden zu viel Widerspruch zeigen, aber dabei gleichzeitig ihre Pflichten vernachlässigen. Früher war das anders. Da gab es schon mal von dem Lehrer ordentlich mit dem Rohrstock was auf die Finger. Beide lachten. „Und der Lehrer war auch noch ein Freund meines Vaters.“, sagte der eine. „Wenn ich meinem Vater davon erzählt hätte, hätte ich zu Hause auch noch gleich was hinten drauf bekommen“. Beide lachten wieder.
Hier zeigt sich, wie fatal die Misshandlung von Kindern wirkt. Beide Männer haben offensichtlich keinen emotionalen Zugang zu dem Kind, das sie damals waren. Wenn sie einen Zugang zu ihrer Geschichte hätten, würden sie nicht über das lachen, was sie berichteten. Sie wären ernst und würden sagen: „Das war schlimm und gut das es heute anders ist.“ Ein Vater, der ein Kind schlagen würde, wenn es berichtet, dass es vom Lehrer geschlagen wurde, ist ein Albtraum!
Mir wurde durch diese Beobachtung mal wieder sehr deutlich, was für eine tiefe Umwälzung ja Revolution sich in unserem Land bzgl. des Umgangs mit Kindern vollzogen hat. Eine Revolution (vielleicht die größte Revolution, die unser Land je erlebt hat), die langsam und leise stattfand und über deren enormen Auswirkungen kaum jemand wirklich nachdenkt oder gar wissenschaftlich forscht. Dieser Entwicklungsprozess ist noch im vollen Gange und ist gleichzeitig ein Prozess, der vom öffentlichen Bewusstsein ausgeklammert bleibt. Schade eigentlich.
Hier zeigt sich, wie fatal die Misshandlung von Kindern wirkt. Beide Männer haben offensichtlich keinen emotionalen Zugang zu dem Kind, das sie damals waren. Wenn sie einen Zugang zu ihrer Geschichte hätten, würden sie nicht über das lachen, was sie berichteten. Sie wären ernst und würden sagen: „Das war schlimm und gut das es heute anders ist.“ Ein Vater, der ein Kind schlagen würde, wenn es berichtet, dass es vom Lehrer geschlagen wurde, ist ein Albtraum!
Mir wurde durch diese Beobachtung mal wieder sehr deutlich, was für eine tiefe Umwälzung ja Revolution sich in unserem Land bzgl. des Umgangs mit Kindern vollzogen hat. Eine Revolution (vielleicht die größte Revolution, die unser Land je erlebt hat), die langsam und leise stattfand und über deren enormen Auswirkungen kaum jemand wirklich nachdenkt oder gar wissenschaftlich forscht. Dieser Entwicklungsprozess ist noch im vollen Gange und ist gleichzeitig ein Prozess, der vom öffentlichen Bewusstsein ausgeklammert bleibt. Schade eigentlich.
Montag, 15. August 2011
Joachim Bauers "Schmerzgrenze" - Ein Kommentar
!! Dieser Beitrag wurde aktualisiert und findet sich jetzt hier. !!
Samstag, 6. August 2011
Studie "Die Sicht der Anderen". Wie Extremismus entsteht.
Auf die Studie "Lützinger, S., Kraus, B., Mathes, C. & Schweer, T.
(2010): Die Sicht der Anderen. Eine qualitative Studie zu Biographien von Extremisten und Terroristen (Polizei + Forschung Bd. 40). BKA – Bundeskriminalamt, Kriminalistisches Institut (Hrsg.). Köln: Luchterhand Fachverlag." hatte ich ja bereits im Zusammenhang mit dem Attentäter Breivik kurz hingewiesen. Jetzt möchte ich darauf noch mal etwas näher eingehen. Für die Studie wurden die Biographien von insgesamt 39 Personen verglichen, die dem Links- oder Rechtsextremismus sowie Islamismus zugeordnet werden können.
Einige zentrale Ergebnisse möchte ich kurz vorstellen:
Innerhalb der Familien der Befragten herrschte allgemein viel Stress, „familiäres Chaos“ und es gab kaum oder keine Bewältigungsstrategien bzgl. Konflikten und Problemen. Allen Familien war gemeinsam, dass problematische Sachverhalte nicht konstruktiv miteinander kommuniziert und bearbeitet, sondern allenfalls in Form von Vorwürfen oder Schuldzuweisungen thematisiert wurden. Die Befragten waren vornehmlich auf sich selbst gestellt, wenn sie Probleme lösen mussten und konnten kaum Hilfe in ihrer Familie erwarten bzw. fühlten sich von dieser allein gelassen. Schon früh waren die Befragten mit zahlreichen Entwicklungsbelastungen wie z.B. Wechsel von Bezugspersonen oder Verlust eines Familienangehörigen konfrontiert. In einigen Fällen entzogen sich Familienmitglieder jedoch auch, indem sie beispielsweise „über Nacht“ die Familie verließen oder es vorzogen, sich auf andere soziale Umfelder (z.B. den Freundeskreis, die Arbeit) zu konzentrieren.
„In allen Familien standen deutliche familiäre Belastungen im Hintergrund, die sich in Suchterkrankungen der Eltern, Verlusterlebnissen und schwerster häuslicher Gewalt ausdrückten. In keinem Fall kann von einem intakten Elternhaus gesprochen werden.“ (S. 28)
„In den meisten Biographien spielten Gewalt und Unterdrückung schon im Kindesalter eine Rolle. Etwa die Hälfte aller Befragten berichtete von gewalttätigen Elternhäusern, in denen sie mit zum Teil erheblichen gewalttätigen Ausschreitungen und Misshandlungen konfrontiert waren. Die rechtsorientierten Befragten berichteten das heftigste Ausmaß. Gewalt richtete sich nicht ausschließlich gegen die Kinder, sondern spielte sich auch zwischen den Eltern ab. So erzählte beispielsweise ein Befragter, die eigene Mutter bewusstlos, in einer Blutlache liegend aufgefunden zu haben. Andere berichteten über schwerste Misshandlungen, die vom mutwilligen Zufügen von Brandwunden bis hin zu Tötungsversuchen reichten.“ (S. 31)
„Resümierend kann festgehalten werden, dass die hier untersuchten Biographien grundlegend entwicklungsbelastete Personen charakterisieren, die mangels eines funktionierenden und eine gesunde und gelingende psychosoziale Entwicklung garantierenden Elternhauses äußerst prekäre soziale Kontakte eingegangen sind. Das jeweilige extremistisch-terroristische Milieu bzw. Gruppenangebot fungierte als Ersatz für ein funktional und strukturell gestörtes Elternhaus." (S. 75f)
Diese qualitative Studie ist sehr interessant und zeigt vor allem eines: Kinder, die in intakten Elternhäusern aufwachsen dürfen, werden nicht zu Extremisten! Die Studie zeigt auch auf, dass bzgl. der Prävention von Gewalt und Extremismus beim Jugend- und Kinderschutz bzw. bei der Jugendarbeit angesetzt werden muss. Auffallend bei den Befragten war, dass sie sich eine „Ersatzfamilie“ bei destruktiven Peergroups oder extremistischen Gruppen suchten und diese eher zufällig je nach vorhandenem Angebot und Milieuzugang auswählten. Hier kann und muss regionale Jugendarbeit ansetzen und konstruktive „Familienersatzangebote“ machen. Interessant für diesen Blog ist auch, dass einige der Befragten zur Bundeswehr gehen wollten, aber oft abgelehnt wurden und andere Wege gingen.
(2010): Die Sicht der Anderen. Eine qualitative Studie zu Biographien von Extremisten und Terroristen (Polizei + Forschung Bd. 40). BKA – Bundeskriminalamt, Kriminalistisches Institut (Hrsg.). Köln: Luchterhand Fachverlag." hatte ich ja bereits im Zusammenhang mit dem Attentäter Breivik kurz hingewiesen. Jetzt möchte ich darauf noch mal etwas näher eingehen. Für die Studie wurden die Biographien von insgesamt 39 Personen verglichen, die dem Links- oder Rechtsextremismus sowie Islamismus zugeordnet werden können.
Einige zentrale Ergebnisse möchte ich kurz vorstellen:
Innerhalb der Familien der Befragten herrschte allgemein viel Stress, „familiäres Chaos“ und es gab kaum oder keine Bewältigungsstrategien bzgl. Konflikten und Problemen. Allen Familien war gemeinsam, dass problematische Sachverhalte nicht konstruktiv miteinander kommuniziert und bearbeitet, sondern allenfalls in Form von Vorwürfen oder Schuldzuweisungen thematisiert wurden. Die Befragten waren vornehmlich auf sich selbst gestellt, wenn sie Probleme lösen mussten und konnten kaum Hilfe in ihrer Familie erwarten bzw. fühlten sich von dieser allein gelassen. Schon früh waren die Befragten mit zahlreichen Entwicklungsbelastungen wie z.B. Wechsel von Bezugspersonen oder Verlust eines Familienangehörigen konfrontiert. In einigen Fällen entzogen sich Familienmitglieder jedoch auch, indem sie beispielsweise „über Nacht“ die Familie verließen oder es vorzogen, sich auf andere soziale Umfelder (z.B. den Freundeskreis, die Arbeit) zu konzentrieren.
„In allen Familien standen deutliche familiäre Belastungen im Hintergrund, die sich in Suchterkrankungen der Eltern, Verlusterlebnissen und schwerster häuslicher Gewalt ausdrückten. In keinem Fall kann von einem intakten Elternhaus gesprochen werden.“ (S. 28)
„In den meisten Biographien spielten Gewalt und Unterdrückung schon im Kindesalter eine Rolle. Etwa die Hälfte aller Befragten berichtete von gewalttätigen Elternhäusern, in denen sie mit zum Teil erheblichen gewalttätigen Ausschreitungen und Misshandlungen konfrontiert waren. Die rechtsorientierten Befragten berichteten das heftigste Ausmaß. Gewalt richtete sich nicht ausschließlich gegen die Kinder, sondern spielte sich auch zwischen den Eltern ab. So erzählte beispielsweise ein Befragter, die eigene Mutter bewusstlos, in einer Blutlache liegend aufgefunden zu haben. Andere berichteten über schwerste Misshandlungen, die vom mutwilligen Zufügen von Brandwunden bis hin zu Tötungsversuchen reichten.“ (S. 31)
„Resümierend kann festgehalten werden, dass die hier untersuchten Biographien grundlegend entwicklungsbelastete Personen charakterisieren, die mangels eines funktionierenden und eine gesunde und gelingende psychosoziale Entwicklung garantierenden Elternhauses äußerst prekäre soziale Kontakte eingegangen sind. Das jeweilige extremistisch-terroristische Milieu bzw. Gruppenangebot fungierte als Ersatz für ein funktional und strukturell gestörtes Elternhaus." (S. 75f)
Diese qualitative Studie ist sehr interessant und zeigt vor allem eines: Kinder, die in intakten Elternhäusern aufwachsen dürfen, werden nicht zu Extremisten! Die Studie zeigt auch auf, dass bzgl. der Prävention von Gewalt und Extremismus beim Jugend- und Kinderschutz bzw. bei der Jugendarbeit angesetzt werden muss. Auffallend bei den Befragten war, dass sie sich eine „Ersatzfamilie“ bei destruktiven Peergroups oder extremistischen Gruppen suchten und diese eher zufällig je nach vorhandenem Angebot und Milieuzugang auswählten. Hier kann und muss regionale Jugendarbeit ansetzen und konstruktive „Familienersatzangebote“ machen. Interessant für diesen Blog ist auch, dass einige der Befragten zur Bundeswehr gehen wollten, aber oft abgelehnt wurden und andere Wege gingen.
Freitag, 5. August 2011
Nachdenkliches zur aktuellen Medienentwicklung
Einige hundert Medienmeldungen befassen sich derzeit mit der „Panik an den Börsen“, wie ich auf nachrichten.de unter „Wirtschaft“ lesen konnte. (Dabei fiel mir als erstes ein, dass im Grunde der Irak- und auch der Afghanistankrieg die Hauptursachen für die aktuelle Schuldenlast der USA darstellen und somit beide Kriege – wie wohl alle Kriege - sehr viel mit Selbstzerstörung zu tun hatten.)
Was mir merkwürdig dabei ins Auge fiel ist, dass sich parallel in den Medien Berichte über Kindesmissbrauch, Kindesentführung, Kindermord und verhungernden Kindern in Somalia häuften. Alle vier Medienthemen sind nicht einfach vom Himmel gefallen, sondern entstammen der Realität aktueller Gerichtsurteile und einer realen, katastrophalen Hungersnot. Trotzdem finde ich dieses zeitgleiche Aufeinandertreffen von solchen Themen und den massiven Einbrüchen an den Börsen (und entsprechenden Untergangsängsten) bemerkenswert (dazu kommen noch aktuelle Titelthemen im SPIEGEL, Stern und Focus - siehe unten).
Um für mich gedanklich die aktuellen Medienentwicklungen festzuhalten, fasse ich einfach mal meine Beobachtungen zusammen:
161 Medienmeldungen verzeichnet das Netzwerk nachrichten.de am 05.08.2011 zur Verurteilung des US-Sektenführers Warren Jeffs wegen Kindesmissbrauches.
Beispielhafte Titel lauten „Kindes-Missbrauch: US-Sekten-Chef verurteilt“ 05.08.11, bz-berlin.de, „US-Polygamie-Verfechter des Missbrauchs schuldig“, 05.08.11, suedkurier.de oder „Sektenführer wegen Sex mit Kindern verurteilt“, 05.08.11, morgenpost.de
131 Meldungen befassen sich mit der Verurteilung des wegen Kindesentführung eines vierjährigen Mädchens angeklagten von Kleinmachnow, der heute zu neun Jahren Haft verurteilt wurde.
(http://www.nachrichten.de/panorama/Urteil-Potsdam-Prozess-Staatsanwaltschaft-Angeklagt-cid_6950357/)
103 Medienberichte beschäftigen sich heute mit der Hungersnot in Somalia. (http://www.nachrichten.de/politik/Somalia-Koeln-ARD-Tagesthemen-Bundesdeutsch-Hungerkatastrophe-cid_6948642/meldungen/) Viele Berichte zeigen ausgehungerte Kinder und Babys auf Fotos, z.B. die Berliner Morgenpost oder beziffern die Anzahl toter Kinder.
Ganze 1.640 Meldungen befassten sich innerhalb der letzten Woche mit dem Kindermörder Magnus Gäfgen, der 3.000 € Entschädigung auf Grund von Drohungen eines Polizeibeamten zugesprochen bekommen hat.
(http://www.nachrichten.de/thema/Magnus-Gaefgen/)
Dazu kommt das aktuelle Titelthema des Stern Nr. 32, 4.8.2011
„Verletzte Seele. Wie traumatische Erlebnisse unser Leben beeinträchtigen - und welche Hilfe es gibt.“ Auf dem Titelbild ist eine junge Frau zu sehen, die verschiedene Sätze auf ihr Gesicht geschrieben bekommen hat wie z.B. „Immer wieder kommt diese Angst“ oder „Ich kann nicht vergessen“
Oder der SPIEGEl Nr. 31/2011, der im Titelthema „Die Spur des Bösen“ verfolgt und den Attentäter Breivik in verschwommenen höllenrot dargestellt hat.
Oder der Focus Nr. 31 vom 1. August 2011, der mit „Die Über-Väter“ titelte, „Helmut Kohl, Willy Brandt und Millionen andere Männer: Wie Söhne Macht erleben“.
Ich finde dieses Gemisch an Titeln, Themen und realen Ereignissen äußert bemerkenswert. Realität schafft Berichterstattung, sicher. Aber Berichterstattung erschafft auch Realität. Und (Gruppen)-Fantasien und unbewusste Vorgänge haben wiederum Einfluss auf die Berichterstattung. Gerade auch in Anbetracht der hier in den letzten Wochen gemachten Beobachtungen bzgl. der Suche nach Feinden, Vergiftungsängsten usw. ist die aktuelle Medienlage äußert ... tja…mir fehlt da im Grunde das richtige Wort…irritierend und aufschlussreich zugleich wäre vielleicht das passende. Wir werden sehen, wie die Entwicklungen weitergehen.
Ich glaube, mensch muss sich einmal vorstellen, dass „die Medien“ die Psyche eines einzigen Menschen wäre, um ein wirkliches Erstaunen zu erzeugen und um emotionale Prozesse sichtbar zu machen.
Was mir merkwürdig dabei ins Auge fiel ist, dass sich parallel in den Medien Berichte über Kindesmissbrauch, Kindesentführung, Kindermord und verhungernden Kindern in Somalia häuften. Alle vier Medienthemen sind nicht einfach vom Himmel gefallen, sondern entstammen der Realität aktueller Gerichtsurteile und einer realen, katastrophalen Hungersnot. Trotzdem finde ich dieses zeitgleiche Aufeinandertreffen von solchen Themen und den massiven Einbrüchen an den Börsen (und entsprechenden Untergangsängsten) bemerkenswert (dazu kommen noch aktuelle Titelthemen im SPIEGEL, Stern und Focus - siehe unten).
Um für mich gedanklich die aktuellen Medienentwicklungen festzuhalten, fasse ich einfach mal meine Beobachtungen zusammen:
161 Medienmeldungen verzeichnet das Netzwerk nachrichten.de am 05.08.2011 zur Verurteilung des US-Sektenführers Warren Jeffs wegen Kindesmissbrauches.
Beispielhafte Titel lauten „Kindes-Missbrauch: US-Sekten-Chef verurteilt“ 05.08.11, bz-berlin.de, „US-Polygamie-Verfechter des Missbrauchs schuldig“, 05.08.11, suedkurier.de oder „Sektenführer wegen Sex mit Kindern verurteilt“, 05.08.11, morgenpost.de
131 Meldungen befassen sich mit der Verurteilung des wegen Kindesentführung eines vierjährigen Mädchens angeklagten von Kleinmachnow, der heute zu neun Jahren Haft verurteilt wurde.
(http://www.nachrichten.de/panorama/Urteil-Potsdam-Prozess-Staatsanwaltschaft-Angeklagt-cid_6950357/)
103 Medienberichte beschäftigen sich heute mit der Hungersnot in Somalia. (http://www.nachrichten.de/politik/Somalia-Koeln-ARD-Tagesthemen-Bundesdeutsch-Hungerkatastrophe-cid_6948642/meldungen/) Viele Berichte zeigen ausgehungerte Kinder und Babys auf Fotos, z.B. die Berliner Morgenpost oder beziffern die Anzahl toter Kinder.
Ganze 1.640 Meldungen befassten sich innerhalb der letzten Woche mit dem Kindermörder Magnus Gäfgen, der 3.000 € Entschädigung auf Grund von Drohungen eines Polizeibeamten zugesprochen bekommen hat.
(http://www.nachrichten.de/thema/Magnus-Gaefgen/)
Dazu kommt das aktuelle Titelthema des Stern Nr. 32, 4.8.2011
„Verletzte Seele. Wie traumatische Erlebnisse unser Leben beeinträchtigen - und welche Hilfe es gibt.“ Auf dem Titelbild ist eine junge Frau zu sehen, die verschiedene Sätze auf ihr Gesicht geschrieben bekommen hat wie z.B. „Immer wieder kommt diese Angst“ oder „Ich kann nicht vergessen“
Oder der SPIEGEl Nr. 31/2011, der im Titelthema „Die Spur des Bösen“ verfolgt und den Attentäter Breivik in verschwommenen höllenrot dargestellt hat.
Oder der Focus Nr. 31 vom 1. August 2011, der mit „Die Über-Väter“ titelte, „Helmut Kohl, Willy Brandt und Millionen andere Männer: Wie Söhne Macht erleben“.
Ich finde dieses Gemisch an Titeln, Themen und realen Ereignissen äußert bemerkenswert. Realität schafft Berichterstattung, sicher. Aber Berichterstattung erschafft auch Realität. Und (Gruppen)-Fantasien und unbewusste Vorgänge haben wiederum Einfluss auf die Berichterstattung. Gerade auch in Anbetracht der hier in den letzten Wochen gemachten Beobachtungen bzgl. der Suche nach Feinden, Vergiftungsängsten usw. ist die aktuelle Medienlage äußert ... tja…mir fehlt da im Grunde das richtige Wort…irritierend und aufschlussreich zugleich wäre vielleicht das passende. Wir werden sehen, wie die Entwicklungen weitergehen.
Ich glaube, mensch muss sich einmal vorstellen, dass „die Medien“ die Psyche eines einzigen Menschen wäre, um ein wirkliches Erstaunen zu erzeugen und um emotionale Prozesse sichtbar zu machen.
Samstag, 30. Juli 2011
Die Lust am Bösen
Eugen Sorgs Buch: "Die Lust am Bösen. Warum Gewalt nicht heilbar ist" zieht derzeit Kreise in Buchbesprechungen. Der Autor – selbst Psychotherapeut und früher für das Rote Kreuz in diversen Krisen- und Kriegsgebieten im Einsatz - meint, dass gängige Analyse- und Erklärungsmodelle für Gewalt offensichtlich an der Realität scheitern. Was er entdeckt, sind emotionale Hochgefühle der Täter und Täterinnen, eben die „Lust am Bösen“. Das drum herum, Ideologie und alles andere wird zur Nebensache erklärt. Eugen Sorg schrieb kürzlich für derstandard.at über „die Lust am Bösen“: „Die meisten Menschen berauschen sich nicht an Ideen, sondern sie benutzen Ideen, um ihren Rausch zu legitimieren.“ Ein Satz, den ich nur unterschreiben kann. Aber dann kommt der nächste Satz des Autors: „Wir tragen in uns ein mächtiges Reservoir an aggressiven Impulsen, ein evolutionsgeschichtliches Erbe animalischer Reflexe.“ und am Ende des Textes „Das Böse begleitet die Humangeschichte. Es ist nicht heilbar, nicht umerziehbar, nicht wegfinanzierbar. Es ist die tragische Bedingung der menschlichen Freiheit, man kann es nur abschaffen, wenn man den Menschen abschafft.“ Und das sehe ich nun wieder ganz anders.
Im aktuellen Amnesty Journal 08/09 2011 wird sein Buch kurz besprochen. Der Kritiker beginnt seine Besprechung so: „Was wär, wenn alle Erklärungen, nach denen wir suchen, wenn wir über individuelle und kollektive Gewalt sprechen, die Menschen Menschen antun, gar keine Erklärungen wären? Wenn also Armut, Verzweiflung, Fanatismus, traditionelle Rollenbilder, politische und religiöse Verblendung usw. nur „äußere Umstände“ wären, die zwar einen Rahmen bilden, „der dem Einzelnen den Reaktionsspielraum offen lässt“, aber eben nicht die Ursache der gewaltsamen Handlungen?“
Ein Satz, den ich auch so oder so ähnlich hätte schreiben können. Welche Antworten Eugen Sorgs allerdings darauf hat, wurde oben kurz beschrieben. Er scheint sich dabei nicht die Frage zu stellen, WARUM Menschen diesen Rausch, dieses Hochgefühl durch das Quälen und Töten anderer Menschen suchen, ja geradezu brauchen. Ich teile seine Beobachtungen und finde sie sehr interessant bzw. mich bestätigend. TäterInnen empfinden oftmals Freude und Lust an ihren Taten. Dies lässt allerdings nicht auf eine „menschliche Natur zum Bösen“ schließen, sondern darauf, dass emotional eine Menge schief gelaufen sein muss bei diesen Leuten. Eigentlich sollte gerade ein Psychotherapeut darum wissen. Mich erinnert diese Sichtweise an Goldhagens Analyse "Schlimmer als Krieg", die ich hier kommentiert habe. Auch er stellte eine Leidenschaft und Freude bei den TäterInnen fest, zog aber – meiner Meinung nach – falsche Rückschlüsse.
Menschen holen das Opfer in sich hervor, wenn sie zu TäterInnen werden. Sie opfern andere Menschen und fühlen sich dadurch innerlich „befreit“, „geläutert“, „entgiftet“, „gereinigt“, „glücklich“, „mächtig“. Sie verschaffen sich Erleichterung von dem unerträglichen Druck, Schmerz und dem unsäglichen Rachebedürfnis, den das Opfer, das sie einst als Kind waren, in ihnen erzeugt. Wer Kinder schützt, wer Kindern hilft, wer Kindern psychosoziale Betreuung und jegliche Hilfe zukommen lässt, die sie brauchen, der kann etwas gegen „das Böse“ tun. „Das Böse“ wird die Humangeschichte nicht weiter begleiten, wenn Kinder Liebe und Geborgenheit, statt Schläge, Missbrauch und Demütigungen erfahren.
Im aktuellen Amnesty Journal 08/09 2011 wird sein Buch kurz besprochen. Der Kritiker beginnt seine Besprechung so: „Was wär, wenn alle Erklärungen, nach denen wir suchen, wenn wir über individuelle und kollektive Gewalt sprechen, die Menschen Menschen antun, gar keine Erklärungen wären? Wenn also Armut, Verzweiflung, Fanatismus, traditionelle Rollenbilder, politische und religiöse Verblendung usw. nur „äußere Umstände“ wären, die zwar einen Rahmen bilden, „der dem Einzelnen den Reaktionsspielraum offen lässt“, aber eben nicht die Ursache der gewaltsamen Handlungen?“
Ein Satz, den ich auch so oder so ähnlich hätte schreiben können. Welche Antworten Eugen Sorgs allerdings darauf hat, wurde oben kurz beschrieben. Er scheint sich dabei nicht die Frage zu stellen, WARUM Menschen diesen Rausch, dieses Hochgefühl durch das Quälen und Töten anderer Menschen suchen, ja geradezu brauchen. Ich teile seine Beobachtungen und finde sie sehr interessant bzw. mich bestätigend. TäterInnen empfinden oftmals Freude und Lust an ihren Taten. Dies lässt allerdings nicht auf eine „menschliche Natur zum Bösen“ schließen, sondern darauf, dass emotional eine Menge schief gelaufen sein muss bei diesen Leuten. Eigentlich sollte gerade ein Psychotherapeut darum wissen. Mich erinnert diese Sichtweise an Goldhagens Analyse "Schlimmer als Krieg", die ich hier kommentiert habe. Auch er stellte eine Leidenschaft und Freude bei den TäterInnen fest, zog aber – meiner Meinung nach – falsche Rückschlüsse.
Menschen holen das Opfer in sich hervor, wenn sie zu TäterInnen werden. Sie opfern andere Menschen und fühlen sich dadurch innerlich „befreit“, „geläutert“, „entgiftet“, „gereinigt“, „glücklich“, „mächtig“. Sie verschaffen sich Erleichterung von dem unerträglichen Druck, Schmerz und dem unsäglichen Rachebedürfnis, den das Opfer, das sie einst als Kind waren, in ihnen erzeugt. Wer Kinder schützt, wer Kindern hilft, wer Kindern psychosoziale Betreuung und jegliche Hilfe zukommen lässt, die sie brauchen, der kann etwas gegen „das Böse“ tun. „Das Böse“ wird die Humangeschichte nicht weiter begleiten, wenn Kinder Liebe und Geborgenheit, statt Schläge, Missbrauch und Demütigungen erfahren.
Ergänzung: Kindheit von Ludwig XIII.
Das aktuelle Massaker in Norwegen (siehe vorherigen Beitrag) hat mich noch einmal dazu bewegt, die Kindheit von Ludwig XIII. um einen ausführlicheren Bericht über die von ihm erlittenen sexuellen Übergriffe zu ergänzen (was ich schon länger vorhatte).
König Ludwig war eindeutig ein Massenmörder. Ich finde es besonders wichtig, ausführlich auf Gewalterfahrungen von solchen Menschen einzugehen. Denn Gewalt erleben viele Menschen, aber nicht alle werden zu Massenmördern. Ich möchte deutlich machen, dass es einen Unterschied macht, ob jemand manchmal von seinen Eltern geschlagen wurde oder ob jemand tagtäglich misshandelt und missbraucht wird. Letzteres trifft auf Ludwig zu.
Mein ergänzter Text unter "3.1. Ein kurzer Abriss über Diktatoren und destruktive Politiker":
----------------------------------------------
Die ersten Lebensjahre von Ludwig XIII. waren zusätzlich von einer Fülle sexueller Übergriffe und Grenzüberschreitungen begleitet. Er ist noch kein Jahr alt, dokumentiert Philippe Aries, als seine Kinderfrau ihn masturbiert. (vgl. Aries, 1975, S.175) Als er ein Jahr alt ist, wird sein Penis von allen möglichen Leuten „geküsst“. „Während der ersten drei Jahre seine Lebens findet niemand etwas dabei, zum Scherz das Geschlechtsteil dieses Kindes zu berühren.“ (ebd., S. 176) Seine Amme fasst ihn – so Aries - ebenso an, wie die Dienerschaft, „einfältige Jugendliche“, „leichtlebige Frauen“, die eigene Mutter und auch der Vater. Dazu kommen perverse Drohungen (zum „Scherz“). „Seine Amme hatte ihm eingeschärft: Monsieur, lassen Sie nur niemanden Ihre Hoden anrühren, auch ihren Piephahn nicht, sonst wird er Ihnen abgeschnitten.“ (ebd.) Der kleine Ludwig wurde auch zusammen mit seiner Schwester nackt zum König – seinem Vater – ins Bett gelegt, „wo sie sich küssen, miteinander flüstern und dem König großes Vergnügen bereiten.“ Als er vier Jahre alt ist, ist – in Worten von Aries - „seine sexuelle Aufklärung so gut wie abgeschlossen.“ Ab dem Alter von fünf oder sechs Jahren nahmen diese Übergriffe dann ab. Seine eigentliche Erziehung begann kaum vor dem siebten Lebensjahr. Davor – so scheint es – war er freigegeben für alle erdenklichen „sexuellen Scherze“ und Übergriffe, jeder konnte mit ihm tun, was er oder sie wollte. Ab dem Alter von sieben Jahren galt er als kleiner Mann und man ließ von ihm ab. Ludwig selbst entwickelte in dieser Zeit bereits sadistische Züge. So z.B. bzgl. dem Umgang mit seiner Amme. „Er treibt seine Späße mit ihr, lässt sie die Zehen bewegen, die Beine hochheben, sagt seiner Amme, sie solle Ruten holen, um sie durchzuhauen, lässt diesen Auftrag ausführen (…)“ (ebd., S. 177) Ludwig ist etwas über vierzehn Jahre alt, da drängte man ihn nahezu gewaltsam ins Bett seiner ihm versprochenen Frau. Nach der Trauungzeremonie musste er in Gegenwart der eigenen Mutter mit seiner Frau schlafen. Ludwig XIII. wurde als Kind ganz eindeutig schwer sexuell missbraucht und traumatisiert.
König Ludwig war eindeutig ein Massenmörder. Ich finde es besonders wichtig, ausführlich auf Gewalterfahrungen von solchen Menschen einzugehen. Denn Gewalt erleben viele Menschen, aber nicht alle werden zu Massenmördern. Ich möchte deutlich machen, dass es einen Unterschied macht, ob jemand manchmal von seinen Eltern geschlagen wurde oder ob jemand tagtäglich misshandelt und missbraucht wird. Letzteres trifft auf Ludwig zu.
Mein ergänzter Text unter "3.1. Ein kurzer Abriss über Diktatoren und destruktive Politiker":
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Die ersten Lebensjahre von Ludwig XIII. waren zusätzlich von einer Fülle sexueller Übergriffe und Grenzüberschreitungen begleitet. Er ist noch kein Jahr alt, dokumentiert Philippe Aries, als seine Kinderfrau ihn masturbiert. (vgl. Aries, 1975, S.175) Als er ein Jahr alt ist, wird sein Penis von allen möglichen Leuten „geküsst“. „Während der ersten drei Jahre seine Lebens findet niemand etwas dabei, zum Scherz das Geschlechtsteil dieses Kindes zu berühren.“ (ebd., S. 176) Seine Amme fasst ihn – so Aries - ebenso an, wie die Dienerschaft, „einfältige Jugendliche“, „leichtlebige Frauen“, die eigene Mutter und auch der Vater. Dazu kommen perverse Drohungen (zum „Scherz“). „Seine Amme hatte ihm eingeschärft: Monsieur, lassen Sie nur niemanden Ihre Hoden anrühren, auch ihren Piephahn nicht, sonst wird er Ihnen abgeschnitten.“ (ebd.) Der kleine Ludwig wurde auch zusammen mit seiner Schwester nackt zum König – seinem Vater – ins Bett gelegt, „wo sie sich küssen, miteinander flüstern und dem König großes Vergnügen bereiten.“ Als er vier Jahre alt ist, ist – in Worten von Aries - „seine sexuelle Aufklärung so gut wie abgeschlossen.“ Ab dem Alter von fünf oder sechs Jahren nahmen diese Übergriffe dann ab. Seine eigentliche Erziehung begann kaum vor dem siebten Lebensjahr. Davor – so scheint es – war er freigegeben für alle erdenklichen „sexuellen Scherze“ und Übergriffe, jeder konnte mit ihm tun, was er oder sie wollte. Ab dem Alter von sieben Jahren galt er als kleiner Mann und man ließ von ihm ab. Ludwig selbst entwickelte in dieser Zeit bereits sadistische Züge. So z.B. bzgl. dem Umgang mit seiner Amme. „Er treibt seine Späße mit ihr, lässt sie die Zehen bewegen, die Beine hochheben, sagt seiner Amme, sie solle Ruten holen, um sie durchzuhauen, lässt diesen Auftrag ausführen (…)“ (ebd., S. 177) Ludwig ist etwas über vierzehn Jahre alt, da drängte man ihn nahezu gewaltsam ins Bett seiner ihm versprochenen Frau. Nach der Trauungzeremonie musste er in Gegenwart der eigenen Mutter mit seiner Frau schlafen. Ludwig XIII. wurde als Kind ganz eindeutig schwer sexuell missbraucht und traumatisiert.
Donnerstag, 28. Juli 2011
Attentäter Breivik: Natural born Killer?
“I haven´t really had any negative experiences in my childhood in any way.”, schrieb der norwegische Attentäter Anders in einem mit sich selbst geführten Interview (innerhalb seines kranken „Manifestes“ auf Seite ca. 1387, dass ich glücklicherweise dank Suchfunktion nur sehr kurz lesen musste… ) im vollen Bewusstsein dessen, dass diese Zeilen nach seiner Tat gelesen würden, um nach den Ursachen zu suchen. (Nachtrag vom 20.04.2012: Und er blieb auch später diesem Satz treu. Bei einer Befragung durch die Staatsanwältin sagte er wörtlich: "Ich hatte eine gute Kindheit. Sie ist nicht der Grund dafür, dass ich ein militanter Nationalist bin."; vgl. SPIEGEL-Online, 17.04.2012)
Kann das stimmen? Kann ein Mensch, der zu solch brutalem, kaltblütigem Massenmord und Terror fähig ist, „keine negativen Erfahrungen“ in seiner Kindheit bzw. demnach also positive, liebevolle Erfahrungen gemacht haben? Dann wäre der Massenmörder Anders Behring Breivik sozusagen ein „natural born Killer“, einer, der „einfach so“ zum Killer wurde, quasi biologisch determiniert wohl auf Grund eines angeborenen kranken Geistes, dem später womöglich die falschen Bücher in die Hände fielen...
Wichtiger Nachtrag/Hinweis: An dieser Stelle sei auf meinen späteren Beitrag Aage Borchgrevink: "A Norwegian Tragedy". Ein Lehrstück über die tieferen Ursachen von Terror. verwiesen, in dem viele Details von Breiviks traumatischer Kindheit ausgeführt sind. Ich lasse diesen älteren Beitrag hier trotzdem bestehen, weil er meine gedankliche Entwicklung in diesem Fall deutlich macht!
Der Psychologe Christian Lüdke sagte in einem aktuellen Interview mit WELT-Online zu diesem Terrorakt u.a.:
„Die Ursachen gehen oft weit bis in die die frühe Jugend und Kindheit zurück“ um dann mit einem Komma anzuhängen „,etwa die Unfähigkeit, mit Enttäuschungen umzugehen.“ Mit einem solchen Nebensatz nimmt der Psychologe gleich wieder die Luft raus. Kein Wort von möglichem elterlichen Terror, Missbrauch, Demütigungen und Gewalt. Breivik lernte also womöglich als Kind nicht, mit Enttäuschungen umzugehen. Und das macht einen Menschen dann zum potentiellen Killer? Ich habe schon so oft Interviews von Psychologen zu Amokläufern und Kriegsverbrechern gelesen. Wenn überhaupt Andeutungen bzgl. der Kindheit auftauchen, dann bleibt es bei diesen leichten Andeutungen oder es folgen Ablenkungen, die das ganze wieder in eine ganz andere Richtung drehen, wie oben aufgeführt. Dabei sagt Lüdke auch: „Der Attentäter muss voller Wut und Hass sein.“ Wo aber kommt dieser abgrundtiefe Hass her? Keine Antwort vom Psychologen.
Ein anderer Psychologe wird von SPIEGEL-Online zitiert. Das ganze sei „ein biologisches Programm“, Experten nennen es kalte Aggression. "Der Täter befindet sich in einem Jagdmodus", erklärt Psychologe und Forscher Jens Hoffmann. „Er handelt kalkulierend und planend, die Emotionen sind komplett ausgeschaltet." Prinzipiell sei dieser Jagdmodus in jedem Menschen biologisch verankert, erklärt der Psychologe. „Einst benötigten ihn die Menschen für die Jagd nach Fleisch. Breivik aktivierte ihn, um Menschen zu jagen.“, schreibt SPIEGEL-Online. Auch hier wird wieder das Bild vom „Natural born Killer“ aufgemacht.
Der Gerichtspsychiater Reinhard Haller geht in seinem Interview erst gar nicht auf Ursachen ein, sondern beschreibt rein die gestörte Persönlichkeit.
Auf WELT-Online schreibt der Autor Henryk M. Broder: „Wer Lebensmittel im Supermarkt klaut, der hat Hunger, wer nachts Autos abfackelt, der hat was gegen Reiche, wer ein Kind missbraucht, der hatte selbst eine schwere Kindheit. Was aber hat einer, der als Polizist verkleidet Kinder und Jugendliche wie herumfliegende Tonscheiben abknallt? Wie wäre es damit: Spaß am Töten?“ Warum wird auch hier nicht ein Schritt zurückgedacht, wo doch das Thema Kindheit schon im Raum war?
(Nachtrag 23.08.11) „Wie ist es möglich, so ganz ohne Mitleid zu sein?“, fragt sich für Die Presse.com Thomas Kramar, um am Schluss zu schreiben: "Dass Grausamkeit nicht, wie noch vor 20Jahren viele glaubten – allen voran die Psychologin Alice Miller („Im Anfang war Erziehung“) –, nur eine (durch Erziehung und Kultur) erworbene Eigenschaft ist, darauf können sich heute die meisten einigen. Auf viel mehr nicht. Die Psychologie steht, so scheint es, weiterhin hilflos vor dem grausamen Bruder."
Nun, die Beispiele ließen sich sicher noch fortführen. Ich finde es immer wieder erstaunlich, warum sich die Gesellschaft so sehr davor sträubt, einfachste psychische Wahrheiten direkt auszusprechen und zu akzeptieren.
Ein oder zwei Tage vor dem Attentat in Norwegen fügte ich meiner Blogleiste folgendes Zitat von Prof. Dr. med. Peter Riedesser (der verstorbene ehemalige Inhaber des Lehrstuhls für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie und Direktor der Klinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) hinzu:
Die Biographie von Selbstmordattentätern "(...) muss geprägt sein von hohem destruktivem Potential, sonst wäre eine so rücksichtslose, zielgerichtete mörderische Planung nicht möglich. Wer eine wirklich gute Kindheit hatte, ist immun gegen die Verführung zum ideologisch motivierten Selbstmordattentat."
Das ist die simple Wahrheit. Wer eine wirklich gute Kindheit hatte, ist zu solchen und ähnlichen Taten nicht in der Lage. UND: Es gehört ein „hohem destruktivem Potential“ vor allem innerhalb der frühen Erfahrungen dazu, damit ein Mensch zu solchen Taten fähig wird. Ich habe in diesem Blog etliche Diktatoren und ähnliche Personen bzgl. ihrer Kindheit analysiert. (siehe hier) Ich bin von Anfang an davon ausgegangen, dass ich Gewalterfahrungen finden würde. Was ich fand übertraf all meine Vorstellungen, es waren nicht nur einfach Gewalterfahrungen. Es waren häufige, manchmal tägliche Bedrohungen und Demütigungen, Hohn, Missbrauch, schwere Vernachlässigung, schwere Schläge, überall Ausgrenzung, sich schlagend, streitende Eltern, tote Geschwister usw. usf.
Man wird nicht zum Massenmörder, wenn man ein paar mal von seinen Eltern geschlagen wurde oder ein Trennungskind ist. Die Menschen, die zu Massenmördern wurden und werden, erlebten schweren Terror, Hass und die reine Hölle bereits in ihrer Kindheit. Diese Geschichte führen sie auf die eine oder andere Art wieder auf. Hass und Gewalt ist die einzige Sprache, die sie von Geburt an lernten.
Diktatoren wurden aber auch über Jahre und Jahrzehnte analysiert und von Biografen skizziert. Entsprechend ließen sich hier einige nützliche Infoformationen finden. Bzgl. Anders Behring Breivik wird das schon schwieriger.
Seine Eltern trennten sich in England als er 1 Jahr alt war, schrieb er in sein "Manifest". Seine Mutter zog darauf mit ihren Kindern zurück nach Norwegen und leierte sich bald mit einem neuen Mann, einem Major in der norwegischen Armee. Anders beschreibt diesen Mann – seinen Stiefvater - als „primitives sexuelles Biest“, der viel Zeit „mit Prostituierten in Thailand“ verbracht hätte. Sein Stiefvater hätte mehr als 500 Sexualpartnerinnen gehabt, seine Mutter wusste darum und litt darunter, so Breivik. Sie fing sich dadurch auch eine folgenreiche Geschlechtskrankheit ein, aus der eine fatale Gehirnentzündung wurde, die den Verstand der Mutter auf das Niveau „einer Zehnjährigen“ reduzierte. („Auch eine seiner Halbschwestern habe sich mit einer solchen Krankheit angesteckt“, schreibt Caroline Fetscher, die für den Tagesspiegel das „Manifest“ durchgearbeitet hat. )
Zu seinem biologischen Vater hielt er losen Kontakt mit ca. einmal jährlichen Besuchen, so weit ich es verstanden habe. Ab seinem 15. Lebensjahr hätte er den Vater dann nicht mehr gesprochen und getroffen.
(Nachtrag:) Die Welt berichtet über die wohl bedeutsamsten Details aus Breiviks Kindheit:
„Als Anders Behring Breivik vier Jahre alt ist, soll die Mutter die Kinderschutzbehörde um Entlastung gebeten haben, und ein Psychologe wurde benannt, um den Bedarf zu beurteilen. Aber Entlastung war dem Psychologen zufolge nicht genug. Er beurteilte die Situation als so ernst, dass er empfahl, den Jungen unverzüglich und dauerhaft in ein Kinderheim zu bringen. Der Psychologe war der Auffassung, dass die Mutter ein gefühlsmäßig instabiles Verhältnis zum Sohn hatte. Er fürchtete, dass das Kind psychischen Schaden nehmen könnte. Der Junge kam nicht ins Kinderheim. Aber der Vierjährige wohnte eine Zeit lang bei einer Pflegefamilie. Auch die Pflegeeltern sollen besorgte Meldungen abgegeben haben.“
Ich denke, dass hier der Schlüssel liegt. Leider sind bisher keine konkreteren Details bzgl. der Mutter-Sohn-Beziehung öffentlich geworden, was sich zukünftig vielleicht noch ändert. Ein abwesender, desinteressierter Vater, ein destruktiver Stiefvater und ein derart destruktive Mutter, dass ursprünglich sogleich eine Heimunterbringung im Raum stand. Bis heute (Stand 20.04.2012) ist vor allem letzteres Detail von den deutschen Medien – außer von der „Welt“ – ignoriert worden. Breivik titelte in seinem Manifest zu Beginn des Abschnittes „Planning the operation" - in dem er ausführte, wie einzelne Menschen Attentate vorbereiten sollen - mit den Worten „Violence is the mother of change“. Ein Satz, der in die Tiefe blicken lässt. (Nachtrag Ende 2012): Mittlerweile gibt es wieder neue Details. Belegt ist, dass Breivik als Kleinkind von seiner Mutter geschlagen wurde und sie vielfach ihm gegenüber geäußert hat, dass sie seinen Tod wünsche. Siehe mehr dazu hier.
Aufschlussreich fand ich auch folgenden Satz von ihm: „The Illusion about love in a relationship between a man and a woman is the sum of irrational feelings based on desire.“ Für Breivik gibt es keine Liebe, Mann und Frau kommen einzig dazu zusammen, Kinder zu bekommen, schreibt er an anderer Stelle. Diese Passagen erzählen uns etwas über die Atmosphäre in der Familie. Für Liebe war hier wohl kein Platz.
Sehr wichtig finde ich weitere Informationen, die Caroline Fetscher im Tagesspiegel (siehe Link oben) herausgearbeitet hat: Breivik gibt an, noch nie eine feste Beziehung zu einem weiblichen Wesen gehabt zu haben(, was psychologisch aufschlussreich ist und auf eine tiefe Bindungsstörung hinweist). Am wichtigsten finde ich allerdings die Info, dass der Attentäter schreibt, die körperliche Züchtigung von Kindern – in allen skandinavischen Ländern gesetzlich verboten – müsse wieder rechtens werden, damit die „traditionelle Familie“ sich neu etabliert. Hier findet sich DIE Andeutung dafür, dass er selbst körperliche Gewalt erlebt hat. Ein nicht geschlagenes Kind kommt später nicht auf Idee zu sagen: "Mir und anderen Kindern fehlten Schläge." Nur einst geschlagene Kinder idealisieren später die schwarze Pädagogik. Fetscher schreibt: „Von Adornos analytischen Studien zur autoritären Persönlichkeit, deren Erträge sich inzwischen im „Erziehungskartell“ ausgebreitet hätten, fühlt sich Behring Breivik merklich narzisstisch gekränkt, angegriffen, beleidigt und bedroht. Auf „servile“, beflissene Weise würden wegen solcher Thesen „Sensibilisierungstraining“ und „Sprachcodes“ in der Erziehung verwendet, die auf „Massenpsychologie“ basieren. Kinder würden daher nicht mehr „gemäß ihrer Geschlechterrollen und biologischen Unterschiede“ erzogen. Ja, ganz Europa sei auf dem Weg der „Feminisierung“.“
Kinder, vor allem Jungen, müssen wieder härter in der Erziehung angepackt werden, könnte man hier auch zusammenfassen. Diese Sicht auf Erziehung verrät viel über das, was Breivik wohl selbst als Kind erlebt haben dürfte. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass der 32jährige immer noch bei seiner Mutter lebte und seinen Stiefvater, nachdem er ihn als "sexuelles Biest" bezeichnet und ihm Vorwürfe gemacht hat, gleichzeitig einen "guten, liebenswerten Menschen" nennt. Wenn Anders Breivik von beiden Gewalt auf die ein oder andere Art erfuhr, was ich für sehr sehr wahrscheinlich halte, dann hat er seinen Schmerz und seinen Hass ihnen gegenüber oder kurz gesagt das Opfer in sich abgespalten.
Wenn die Gesellschaft wirklich wissen wollte, was in der Familie des Attentäters alles vor sich ging, könnte sie es erfahren. Dafür müsste die Gesellschaft aber auch hinsehen wollen, sie müsste die richtigen Fragen stellen und umfassende Nachforschungen betreiben. Die obigen zitierten Medienberichte zeigen leider, dass dieses Hinsehen nicht immer gewollt ist.
Allerdings spricht bereits die grauenvolle, kaltblütige Tat als solche eine deutliche Sprache. Hervorheben möchte ich dabei, dass Breivik die eigentlichen erklärten politischen Feinde und Symbole „nur“ mit einer anonymen Bombe treffen wollte, während er den Kindern und Jugendlichen Auge in Auge gegenüber stand, während er sie tötete. Mehr noch, der Attentäter hatte sich als Polizist verkleidet und nach Augenzeugenaussagen Hilfe und Schutz angeboten, um die zu ihm kommenden jungen Menschen dann zu erschießen. Ein Polizist, der Freund und Helfer in Uniform, jemand, dem man sonst vertraut, er ist der Mörder. Ähnlich erleben es schwer misshandelte und missbrauchte Kinder. Ihre Eltern stehen für und sprechen von Liebe und Schutz, dann schlagen sie zu, missbrauchen, demütigen, im Namen der Liebe. Breivik hat seinem Manifest übrigens einige Fotos von sich angehängt. Mal sich mit Waffe, mal er in Uniform usw. Das letzte Bild zeigt ihn, wohl eine seiner Schwestern und seine Mutter in trauter Dreisamkeit. Für mich ist das sehr symbolisch, dass er ein Familienfoto an letzte Stelle stellt und dadurch besonders hervorhebt.
Mir fiel nach dieser Tat der Film „Natural born Killers“ von Oliver Stone ein, den ich als Jugendlicher einmal gesehen habe. Ich fand den Film damals ziemlich irritierend, schwer auszuhalten und merkwürdig. Ein junges Paar entdeckt den Spaß am Töten und zieht mordend – und von den Medien teils gefeiert - durch die USA. In Zwischenszenen, Flashbacks und Zeitsprüngen tauchen Erinnerungsblitze an die Kindheit der Akteure auf. Mallory wurde häufig von ihrem Vater sexuell missbraucht, ihre Mutter unternahm nichts dagegen. Gemeinsam mit ihrem Freund Mickey tötete sie ihre Eltern. Im Rausch erschießt Mickey in einer Wüste einen Indianer und erinnert sich dann an Misshandlungen durch seine Eltern und den Selbstmord seines Vaters. Der Film bekam damals viel Kritik. Dabei hatte er eine deutliche Message. Beide Massenmörder waren keine „Natural born Killers“, nicht von Natur aus böse. Der Titel legte dies nahe, im Film erfuhr man allerdings die wirklichen, tieferen Hintergründe. Die lustvollen Mörder wurden einst dazu geformt, durch Gewalt, Missbrauch und Terror in ihrer Kindheit. Der Film und sein Titel zeigten der Gesellschaft, was die tieferen Ursachen der Gewalt sind. Auch damals wurde das nicht richtig verstanden.
Eine interessante Studie, zitiert am 23.07.11 vom Tagesspiegel möchte hier noch erwähnen: „In einer Studie des Bundeskriminalamts und der Universität Duisburg/Essen – „Die Sicht der Anderen“ – wurden 24 Rechtsextremisten, neun Linksextremisten und sechs Islamisten, alle mit Gewalterfahrungen, eingehend befragt. Ihnen allen war gemeinsam, dass die Wurzel ihres Hasses in der Kindheit und der gestörten Beziehung zu den Eltern liegt. Gewalt gehörte schon früh zum Alltag. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es bei den meisten Befragten Zufall war, welcher Ideologie sie sich anschlossen. Es hing davon ab, welche extremistische Gruppe ein soziales Kontaktangebot schuf.“
Das ist genau das, was ich schon oft geschrieben habe, Zufälle, äußere Rahmenbedingungen und Möglichkeiten entscheiden über die Farbe der Gewalt, die Ursachen liegen immer in der Kindheit.
Kann das stimmen? Kann ein Mensch, der zu solch brutalem, kaltblütigem Massenmord und Terror fähig ist, „keine negativen Erfahrungen“ in seiner Kindheit bzw. demnach also positive, liebevolle Erfahrungen gemacht haben? Dann wäre der Massenmörder Anders Behring Breivik sozusagen ein „natural born Killer“, einer, der „einfach so“ zum Killer wurde, quasi biologisch determiniert wohl auf Grund eines angeborenen kranken Geistes, dem später womöglich die falschen Bücher in die Hände fielen...
Wichtiger Nachtrag/Hinweis: An dieser Stelle sei auf meinen späteren Beitrag Aage Borchgrevink: "A Norwegian Tragedy". Ein Lehrstück über die tieferen Ursachen von Terror. verwiesen, in dem viele Details von Breiviks traumatischer Kindheit ausgeführt sind. Ich lasse diesen älteren Beitrag hier trotzdem bestehen, weil er meine gedankliche Entwicklung in diesem Fall deutlich macht!
Der Psychologe Christian Lüdke sagte in einem aktuellen Interview mit WELT-Online zu diesem Terrorakt u.a.:
„Die Ursachen gehen oft weit bis in die die frühe Jugend und Kindheit zurück“ um dann mit einem Komma anzuhängen „,etwa die Unfähigkeit, mit Enttäuschungen umzugehen.“ Mit einem solchen Nebensatz nimmt der Psychologe gleich wieder die Luft raus. Kein Wort von möglichem elterlichen Terror, Missbrauch, Demütigungen und Gewalt. Breivik lernte also womöglich als Kind nicht, mit Enttäuschungen umzugehen. Und das macht einen Menschen dann zum potentiellen Killer? Ich habe schon so oft Interviews von Psychologen zu Amokläufern und Kriegsverbrechern gelesen. Wenn überhaupt Andeutungen bzgl. der Kindheit auftauchen, dann bleibt es bei diesen leichten Andeutungen oder es folgen Ablenkungen, die das ganze wieder in eine ganz andere Richtung drehen, wie oben aufgeführt. Dabei sagt Lüdke auch: „Der Attentäter muss voller Wut und Hass sein.“ Wo aber kommt dieser abgrundtiefe Hass her? Keine Antwort vom Psychologen.
Ein anderer Psychologe wird von SPIEGEL-Online zitiert. Das ganze sei „ein biologisches Programm“, Experten nennen es kalte Aggression. "Der Täter befindet sich in einem Jagdmodus", erklärt Psychologe und Forscher Jens Hoffmann. „Er handelt kalkulierend und planend, die Emotionen sind komplett ausgeschaltet." Prinzipiell sei dieser Jagdmodus in jedem Menschen biologisch verankert, erklärt der Psychologe. „Einst benötigten ihn die Menschen für die Jagd nach Fleisch. Breivik aktivierte ihn, um Menschen zu jagen.“, schreibt SPIEGEL-Online. Auch hier wird wieder das Bild vom „Natural born Killer“ aufgemacht.
Der Gerichtspsychiater Reinhard Haller geht in seinem Interview erst gar nicht auf Ursachen ein, sondern beschreibt rein die gestörte Persönlichkeit.
Auf WELT-Online schreibt der Autor Henryk M. Broder: „Wer Lebensmittel im Supermarkt klaut, der hat Hunger, wer nachts Autos abfackelt, der hat was gegen Reiche, wer ein Kind missbraucht, der hatte selbst eine schwere Kindheit. Was aber hat einer, der als Polizist verkleidet Kinder und Jugendliche wie herumfliegende Tonscheiben abknallt? Wie wäre es damit: Spaß am Töten?“ Warum wird auch hier nicht ein Schritt zurückgedacht, wo doch das Thema Kindheit schon im Raum war?
(Nachtrag 23.08.11) „Wie ist es möglich, so ganz ohne Mitleid zu sein?“, fragt sich für Die Presse.com Thomas Kramar, um am Schluss zu schreiben: "Dass Grausamkeit nicht, wie noch vor 20Jahren viele glaubten – allen voran die Psychologin Alice Miller („Im Anfang war Erziehung“) –, nur eine (durch Erziehung und Kultur) erworbene Eigenschaft ist, darauf können sich heute die meisten einigen. Auf viel mehr nicht. Die Psychologie steht, so scheint es, weiterhin hilflos vor dem grausamen Bruder."
Nun, die Beispiele ließen sich sicher noch fortführen. Ich finde es immer wieder erstaunlich, warum sich die Gesellschaft so sehr davor sträubt, einfachste psychische Wahrheiten direkt auszusprechen und zu akzeptieren.
Ein oder zwei Tage vor dem Attentat in Norwegen fügte ich meiner Blogleiste folgendes Zitat von Prof. Dr. med. Peter Riedesser (der verstorbene ehemalige Inhaber des Lehrstuhls für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie und Direktor der Klinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) hinzu:
Die Biographie von Selbstmordattentätern "(...) muss geprägt sein von hohem destruktivem Potential, sonst wäre eine so rücksichtslose, zielgerichtete mörderische Planung nicht möglich. Wer eine wirklich gute Kindheit hatte, ist immun gegen die Verführung zum ideologisch motivierten Selbstmordattentat."
Das ist die simple Wahrheit. Wer eine wirklich gute Kindheit hatte, ist zu solchen und ähnlichen Taten nicht in der Lage. UND: Es gehört ein „hohem destruktivem Potential“ vor allem innerhalb der frühen Erfahrungen dazu, damit ein Mensch zu solchen Taten fähig wird. Ich habe in diesem Blog etliche Diktatoren und ähnliche Personen bzgl. ihrer Kindheit analysiert. (siehe hier) Ich bin von Anfang an davon ausgegangen, dass ich Gewalterfahrungen finden würde. Was ich fand übertraf all meine Vorstellungen, es waren nicht nur einfach Gewalterfahrungen. Es waren häufige, manchmal tägliche Bedrohungen und Demütigungen, Hohn, Missbrauch, schwere Vernachlässigung, schwere Schläge, überall Ausgrenzung, sich schlagend, streitende Eltern, tote Geschwister usw. usf.
Man wird nicht zum Massenmörder, wenn man ein paar mal von seinen Eltern geschlagen wurde oder ein Trennungskind ist. Die Menschen, die zu Massenmördern wurden und werden, erlebten schweren Terror, Hass und die reine Hölle bereits in ihrer Kindheit. Diese Geschichte führen sie auf die eine oder andere Art wieder auf. Hass und Gewalt ist die einzige Sprache, die sie von Geburt an lernten.
Diktatoren wurden aber auch über Jahre und Jahrzehnte analysiert und von Biografen skizziert. Entsprechend ließen sich hier einige nützliche Infoformationen finden. Bzgl. Anders Behring Breivik wird das schon schwieriger.
Seine Eltern trennten sich in England als er 1 Jahr alt war, schrieb er in sein "Manifest". Seine Mutter zog darauf mit ihren Kindern zurück nach Norwegen und leierte sich bald mit einem neuen Mann, einem Major in der norwegischen Armee. Anders beschreibt diesen Mann – seinen Stiefvater - als „primitives sexuelles Biest“, der viel Zeit „mit Prostituierten in Thailand“ verbracht hätte. Sein Stiefvater hätte mehr als 500 Sexualpartnerinnen gehabt, seine Mutter wusste darum und litt darunter, so Breivik. Sie fing sich dadurch auch eine folgenreiche Geschlechtskrankheit ein, aus der eine fatale Gehirnentzündung wurde, die den Verstand der Mutter auf das Niveau „einer Zehnjährigen“ reduzierte. („Auch eine seiner Halbschwestern habe sich mit einer solchen Krankheit angesteckt“, schreibt Caroline Fetscher, die für den Tagesspiegel das „Manifest“ durchgearbeitet hat. )
Zu seinem biologischen Vater hielt er losen Kontakt mit ca. einmal jährlichen Besuchen, so weit ich es verstanden habe. Ab seinem 15. Lebensjahr hätte er den Vater dann nicht mehr gesprochen und getroffen.
(Nachtrag:) Die Welt berichtet über die wohl bedeutsamsten Details aus Breiviks Kindheit:
„Als Anders Behring Breivik vier Jahre alt ist, soll die Mutter die Kinderschutzbehörde um Entlastung gebeten haben, und ein Psychologe wurde benannt, um den Bedarf zu beurteilen. Aber Entlastung war dem Psychologen zufolge nicht genug. Er beurteilte die Situation als so ernst, dass er empfahl, den Jungen unverzüglich und dauerhaft in ein Kinderheim zu bringen. Der Psychologe war der Auffassung, dass die Mutter ein gefühlsmäßig instabiles Verhältnis zum Sohn hatte. Er fürchtete, dass das Kind psychischen Schaden nehmen könnte. Der Junge kam nicht ins Kinderheim. Aber der Vierjährige wohnte eine Zeit lang bei einer Pflegefamilie. Auch die Pflegeeltern sollen besorgte Meldungen abgegeben haben.“
Ich denke, dass hier der Schlüssel liegt. Leider sind bisher keine konkreteren Details bzgl. der Mutter-Sohn-Beziehung öffentlich geworden, was sich zukünftig vielleicht noch ändert. Ein abwesender, desinteressierter Vater, ein destruktiver Stiefvater und ein derart destruktive Mutter, dass ursprünglich sogleich eine Heimunterbringung im Raum stand. Bis heute (Stand 20.04.2012) ist vor allem letzteres Detail von den deutschen Medien – außer von der „Welt“ – ignoriert worden. Breivik titelte in seinem Manifest zu Beginn des Abschnittes „Planning the operation" - in dem er ausführte, wie einzelne Menschen Attentate vorbereiten sollen - mit den Worten „Violence is the mother of change“. Ein Satz, der in die Tiefe blicken lässt. (Nachtrag Ende 2012): Mittlerweile gibt es wieder neue Details. Belegt ist, dass Breivik als Kleinkind von seiner Mutter geschlagen wurde und sie vielfach ihm gegenüber geäußert hat, dass sie seinen Tod wünsche. Siehe mehr dazu hier.
Aufschlussreich fand ich auch folgenden Satz von ihm: „The Illusion about love in a relationship between a man and a woman is the sum of irrational feelings based on desire.“ Für Breivik gibt es keine Liebe, Mann und Frau kommen einzig dazu zusammen, Kinder zu bekommen, schreibt er an anderer Stelle. Diese Passagen erzählen uns etwas über die Atmosphäre in der Familie. Für Liebe war hier wohl kein Platz.
Sehr wichtig finde ich weitere Informationen, die Caroline Fetscher im Tagesspiegel (siehe Link oben) herausgearbeitet hat: Breivik gibt an, noch nie eine feste Beziehung zu einem weiblichen Wesen gehabt zu haben(, was psychologisch aufschlussreich ist und auf eine tiefe Bindungsstörung hinweist). Am wichtigsten finde ich allerdings die Info, dass der Attentäter schreibt, die körperliche Züchtigung von Kindern – in allen skandinavischen Ländern gesetzlich verboten – müsse wieder rechtens werden, damit die „traditionelle Familie“ sich neu etabliert. Hier findet sich DIE Andeutung dafür, dass er selbst körperliche Gewalt erlebt hat. Ein nicht geschlagenes Kind kommt später nicht auf Idee zu sagen: "Mir und anderen Kindern fehlten Schläge." Nur einst geschlagene Kinder idealisieren später die schwarze Pädagogik. Fetscher schreibt: „Von Adornos analytischen Studien zur autoritären Persönlichkeit, deren Erträge sich inzwischen im „Erziehungskartell“ ausgebreitet hätten, fühlt sich Behring Breivik merklich narzisstisch gekränkt, angegriffen, beleidigt und bedroht. Auf „servile“, beflissene Weise würden wegen solcher Thesen „Sensibilisierungstraining“ und „Sprachcodes“ in der Erziehung verwendet, die auf „Massenpsychologie“ basieren. Kinder würden daher nicht mehr „gemäß ihrer Geschlechterrollen und biologischen Unterschiede“ erzogen. Ja, ganz Europa sei auf dem Weg der „Feminisierung“.“
Kinder, vor allem Jungen, müssen wieder härter in der Erziehung angepackt werden, könnte man hier auch zusammenfassen. Diese Sicht auf Erziehung verrät viel über das, was Breivik wohl selbst als Kind erlebt haben dürfte. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass der 32jährige immer noch bei seiner Mutter lebte und seinen Stiefvater, nachdem er ihn als "sexuelles Biest" bezeichnet und ihm Vorwürfe gemacht hat, gleichzeitig einen "guten, liebenswerten Menschen" nennt. Wenn Anders Breivik von beiden Gewalt auf die ein oder andere Art erfuhr, was ich für sehr sehr wahrscheinlich halte, dann hat er seinen Schmerz und seinen Hass ihnen gegenüber oder kurz gesagt das Opfer in sich abgespalten.
Wenn die Gesellschaft wirklich wissen wollte, was in der Familie des Attentäters alles vor sich ging, könnte sie es erfahren. Dafür müsste die Gesellschaft aber auch hinsehen wollen, sie müsste die richtigen Fragen stellen und umfassende Nachforschungen betreiben. Die obigen zitierten Medienberichte zeigen leider, dass dieses Hinsehen nicht immer gewollt ist.
Allerdings spricht bereits die grauenvolle, kaltblütige Tat als solche eine deutliche Sprache. Hervorheben möchte ich dabei, dass Breivik die eigentlichen erklärten politischen Feinde und Symbole „nur“ mit einer anonymen Bombe treffen wollte, während er den Kindern und Jugendlichen Auge in Auge gegenüber stand, während er sie tötete. Mehr noch, der Attentäter hatte sich als Polizist verkleidet und nach Augenzeugenaussagen Hilfe und Schutz angeboten, um die zu ihm kommenden jungen Menschen dann zu erschießen. Ein Polizist, der Freund und Helfer in Uniform, jemand, dem man sonst vertraut, er ist der Mörder. Ähnlich erleben es schwer misshandelte und missbrauchte Kinder. Ihre Eltern stehen für und sprechen von Liebe und Schutz, dann schlagen sie zu, missbrauchen, demütigen, im Namen der Liebe. Breivik hat seinem Manifest übrigens einige Fotos von sich angehängt. Mal sich mit Waffe, mal er in Uniform usw. Das letzte Bild zeigt ihn, wohl eine seiner Schwestern und seine Mutter in trauter Dreisamkeit. Für mich ist das sehr symbolisch, dass er ein Familienfoto an letzte Stelle stellt und dadurch besonders hervorhebt.
Mir fiel nach dieser Tat der Film „Natural born Killers“ von Oliver Stone ein, den ich als Jugendlicher einmal gesehen habe. Ich fand den Film damals ziemlich irritierend, schwer auszuhalten und merkwürdig. Ein junges Paar entdeckt den Spaß am Töten und zieht mordend – und von den Medien teils gefeiert - durch die USA. In Zwischenszenen, Flashbacks und Zeitsprüngen tauchen Erinnerungsblitze an die Kindheit der Akteure auf. Mallory wurde häufig von ihrem Vater sexuell missbraucht, ihre Mutter unternahm nichts dagegen. Gemeinsam mit ihrem Freund Mickey tötete sie ihre Eltern. Im Rausch erschießt Mickey in einer Wüste einen Indianer und erinnert sich dann an Misshandlungen durch seine Eltern und den Selbstmord seines Vaters. Der Film bekam damals viel Kritik. Dabei hatte er eine deutliche Message. Beide Massenmörder waren keine „Natural born Killers“, nicht von Natur aus böse. Der Titel legte dies nahe, im Film erfuhr man allerdings die wirklichen, tieferen Hintergründe. Die lustvollen Mörder wurden einst dazu geformt, durch Gewalt, Missbrauch und Terror in ihrer Kindheit. Der Film und sein Titel zeigten der Gesellschaft, was die tieferen Ursachen der Gewalt sind. Auch damals wurde das nicht richtig verstanden.
Eine interessante Studie, zitiert am 23.07.11 vom Tagesspiegel möchte hier noch erwähnen: „In einer Studie des Bundeskriminalamts und der Universität Duisburg/Essen – „Die Sicht der Anderen“ – wurden 24 Rechtsextremisten, neun Linksextremisten und sechs Islamisten, alle mit Gewalterfahrungen, eingehend befragt. Ihnen allen war gemeinsam, dass die Wurzel ihres Hasses in der Kindheit und der gestörten Beziehung zu den Eltern liegt. Gewalt gehörte schon früh zum Alltag. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es bei den meisten Befragten Zufall war, welcher Ideologie sie sich anschlossen. Es hing davon ab, welche extremistische Gruppe ein soziales Kontaktangebot schuf.“
Das ist genau das, was ich schon oft geschrieben habe, Zufälle, äußere Rahmenbedingungen und Möglichkeiten entscheiden über die Farbe der Gewalt, die Ursachen liegen immer in der Kindheit.
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