Posts für Suchanfrage Stalin werden nach Relevanz sortiert angezeigt. Nach Datum sortieren Alle Posts anzeigen
Posts für Suchanfrage Stalin werden nach Relevanz sortiert angezeigt. Nach Datum sortieren Alle Posts anzeigen

Montag, 27. Oktober 2008

3.3 Stalin: Ein Diktator, der einst als Kind „zu Stahl geschlagen wurde“

Der Biograph und Historiker Alan Bullock (1993) gibt ein - wenn auch kurzes - Bild davon, was Stalin (echter Name: Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili) als Kind und Jugendlicher an Leid erfuhr. Auch Stalin hatte eine ähnliche Ausgangssituation wie Hitler: Er war das erste überlebende Kind nach zwei Fehlgeburten. Stalins Vater war laut Bullock „ein raubeiniger, gewalttätiger Mann, ein Trinker, der Frau und Kind schlug und kaum den Lebensunterhalt verdiente.“ (Bullock, 1993:, S. 15). Stalins Jugendfreund Iremaschwilli schrieb in seinen Memoiren: „Die ungerechten und schweren Prügel, die er als Knabe bezog, machten ihn so hart und herzlos, wie sein Vater es war. Da er überzeugt war, dass jeder, dem irgend jemand Gehorsam schuldete, seinem Vater gleichen müsse, entwickelte er bald eine tiefe Abneigung gegenüber allen, die ihm übergeordnet waren. Von klein auf wurde die Verwirklichung seiner Rachegelüste zu dem Lebensziel, dem er alles unterordnete.“ (zitiert nach ebd., S. 15)
Auch Neumayr (1995) beschreibt die väterliche Gewalt. Stalins Vater hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, dem kleinen Jossif seinen Eigensinn durch tägliche Prügel, jeweils vor dem Schlafengehen verabreicht, auszutreiben. Ebenso wurde Stalins Mutter häufig Opfer brutaler Prügel durch ihren Mann (vgl. Neumayr, 1995, S. 261) und der junge Josef sicherlich stummer und hilfloser Zeuge dieser Übergriffe.
1890 zerbrach schließlich die Ehe der Eltern. Stalin muss zu diesem Zeitpunkt 11 oder 12 Jahre alt gewesen sein. In diesem Jahr sah der junge Josef seinen Vater zum letzten Mal. Der Vater wurde später zum Landstreicher und verstarb 1909 an Leberzirrhose. (vgl. Kellmann, 2005, S. 9)
Bullock schreibt weiter, dass der junge Stalin durch die „liebevolle Zuneigung“ und „Förderung“ seiner Mutter einen Ausgleich zu den väterlichen Misshandlungen gefunden hätte. Dies würde - trotz der kaum vorstellbaren Verbrechen, die Stalin später begangen hat - der Miller-These vom fehlenden „Helfenden Zeugen“ widersprechen. Bullock selbst bietet Hinweise, die eine andere Sprache sprechen. Stalins Mutter hatte eigene, egoistisch Pläne mit ihrem Sohn. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, dass ihr Sohn Priester werden solle und setzte sich ihm gegenüber – auch entgegen den Vorstellungen des Vaters - eine ganze Zeit durch. Stalin absolvierte letztlich einige Jahre eine Ausbildung zum Priester. Wie einfühlsam und liebevoll ist eine Mutter, die ihren Sohn in einen Beruf zwingt, ohne auf seine Interessen, Bedürfnisse und Wünsche zu hören (und welche Gefühle musste Stalin gegen sie hegen, da er während seiner ungewollten Priesterausbildung erhebliche Verletzungen erlitt - siehe weiter unten)? Aus Bullocks weiteren Schilderungen lässt sich auch schließen, dass Stalin von seiner Mutter stark idealisiert wurde – ähnlich wie bei Hitler – und sie ihm vermittelte, dass er das Zeug für „Großes“ und „Bedeutendes“ hätte. Was für ein realistisches, authentisches Bild von ihrem Kind hat eine Mutter, die selbiges abgöttisch idealisiert? Hirsch (1994) spricht von emotionalem Missbrauch, wenn Eltern ihre Bedürfnisse in den Vordergrund stellen indem sie z.B. das Kind als Substitut des idealen Selbst sehen bzw. dem Kind auferlegen, all die unerfüllten Wünsche und Ideale der Eltern zu verwirklichen. (vgl. Hirsch, 1994: 52ff)

Diese Idealisierung und die Misshandlungen seitens Stalins Vater beschreibt Bullock als prägende Einflüsse, die sich entscheidend auf die Entwicklung von Stalins Persönlichkeit auswirkten. (vgl. Bullock, 1993, S. 17)
Den wesentlichsten Hinweis auf eine gestörte Beziehung zur Mutter bringt Bullock, als er berichtet, dass Stalin nach seiner Revolutionärslaufbahn seine Mutter nur noch wenige Male sah und 1936 nicht einmal zu ihrem Begräbnis erschien. Wie passt dieses Verhalten mit Bullocks Beschreibung einer „liebevollen Mutterbeziehung“ in Stalins Kindheit zusammen? Welche Gefühle musste Stalin gegenüber einer Mutter gehegt haben, die ohnmächtig die Prügel des Vaters duldete (laut Bullock wurde Stalin öfter in Anwesenheit der Mutter verprügelt)?

In einer aktuelleren Biographie über den „jungen Stalin“ weist Montefiore (2007) dagegen deutlich nach, dass Stalin nicht nur von seinem Vater, sondern auch von seiner Mutter häufig misshandelt wurde. (vgl. Montefiore, 2007, S. 66) Als Stalin seine Mutter später mit dieser Gewalt konfrontierte, soll sie nur gesagt haben, dass es ihm ja nicht geschadet hätte.
Auch deMause weist nach, dass Stalin von seiner Mutter geschlagen wurde (und Stalin wiederum seine eigenen Kinder schlug). (vgl. deMause, 2000b, S. 460) Kellmann schreibt einleitend in Stalins Biographie: „Nicht nur der Vater, auch die Mutter schlug ihn. Körperliche Misshandlungen, Jähzorn und Gewalt müssen zu den ersten Wahrnehmungen im Leben jenes Menschen gehört haben, der sich später Stalin nannte.“ (Kellmann, 2005, S. 9) Aber auch ohne diese Informationen hätte Bullock einiges ableiten können, wie oben dargestellt.

Als Biograph eines Diktators ist er (wie auch andere Biographen von Diktatoren) letztlich auch eine Art Gewaltforscher. Dieses Beispiel zeigt eindrucksvoll, dass auch Gewaltforscher „blinde Flecken“ haben können und z.T. dazu neigen, traditionelle Mythen und Geschlechtsrollenvorstellungen (gewalttätiger Mann, friedfertige Frau) zu übernehmen. Ich vermute auch, dass während entsprechender Recherchen die Gefahr groß ist, auf die Vernebelungen und Scheinfassaden destruktiver Elternteile einerseits und die (überlebenswichtigen) Idealisierungen der Eltern durch das misshandelte Kind andererseits hereinzufallen. Destruktive Eltern halten bekanntlich vor sich und vor anderen das Bild aufrecht, sie seien die allerbesten und liebevollsten Eltern und alles, was sie tun, würde zum Wohle des Kindes geschehen (selbst wenn dies Gewalt gegen des Kind bedeutet). Entsprechend könnte dies den genauen Blick des Forschers trüben. Eine zusätzliche Frage ist auch, ob nicht manchmal evtl. eigene destruktive Kindheitserfahrungen der Gewaltforscher selbst einige „blinde Flecken“ ausmachen könnten. Zumindest finde ich es naheliegend, dass sich gerade auch Menschen mit eigenen Gewalterfahrungen an die Gewaltforschung machen. Zusätzlich möchte ich an diese „Forschungskritik“ anknüpfen, dass gerade die Kindesvernachlässigung und psychische Gewalt schwerer zu bestimmen und von Außen zu erkennen ist und von Forschern entsprechend (trotz schwerer Folgen für die Kinder) oftmals erst gar nicht in den engeren Blick kommt.

Um zurück zu Stalin zu kommen: Auch Stalins weiteres Leben als junger Mann in einem Priesterseminar war geprägt von Unterwerfungsritualen gegenüber Autoritäten, von Demütigungen durch die Mönche (z.B. ständiges Ausspionieren, Verfolgen, Anschwärzen und Durchsuchen seiner Privatsachen), von Ohnmacht und Gewalt. Fünf Jahre verbrachte er dort bis kurz vor seinem 20. Geburtstag und Bullock kommentiert diese Zeit u.a. mit dem Wort „Überlebenstraining“. (vgl. Bullock, 1993, S. 29) Stalin bedeutet nebenbei bemerkt übersetzt „Mann aus Stahl“. Welch tiefe Angst vor Hilflosigkeit, schmerzlichen Gefühlen und Ohmacht musste „Stalin“ empfunden haben, um sich so stahlhart und mächtig nach Außen zu präsentieren? Wie wenig Mitgefühl mit sich und somit auch mit anderen Menschen muss ein Mensch wie Stalin gehabt haben? Hier wird deutlich, wie Ohnmachterfahrungen in jungen Jahren das Leben eines Menschen entscheidend prägen können.

Am Rande erwähnen möchte ich noch, dass Josef auf Grund vieler Narben im Gesicht als Folge der Pockenkrankheit als „der Pockennarbige“ verspottet wurde. Und in der Pfarrschule von Gori – in die er erst mit 10 Jahren eintrat, vorher war er eher ein Straßenjunge – „sah sich der schäbig gekleidete Junge (…) den Hänseleien der wohlhabenden Weinhändler- und Bauernsöhne ausgesetzt.“ (Kellmann, 2005, S. 10) Als Kind befiel ihn zudem eine Kinderkrankheit nach der anderen und mehrfach verunglückte er auf der Straße. „Er wurde von Karren überfahren, brach sich die Beine und holte sich eine Blutvergiftung durch offene Wunden, die den linken Arm derartig lähmte, dass der spätere Oberbefehlshaber der Roten Armee auf Dauer wehrdienstuntauglich blieb.“ (ebd.) Ob die vielen Krankheiten und Unfälle bereits etwas mit (unbewusster) Selbstzerstörung als Folge der elterlichen Misshandlungen zu tun hatten, sei dahin gestellt. Weitere Niederlagen waren diese Erfahrungen und die Hänseleien durch andere Kinder alle mal.

Montefiore (2007) kennzeichnet Stalin übrigens mit Blick auf seine jungen Jahre als Kriminellen, der weder vor Bankraub, Schutzgelderpressung und Entführung noch Mord zurückschreckte. Van der Kolk. & Streeck-Fischer (2002) berichten aus einer Studie, dass 82 % der untersuchten Straffälligen als Kind misshandelt wurden (vgl. Kolk. / Streeck-Fischer, 2002, S. 1022ff) und Garbarino & Bradshaw (2002) stellen bzgl. Häufigkeitsstudien fest, dass 72 % bis 93% aller jugendlichen Straftäter körperliche Gewalt in der einen oder anderen Form erlebt haben. (vgl. Garbarino / Bradshaw, 2002 S. 911) Studien über jugendliche Mörder ergaben, dass 90 % nachweislich aus Familien mit gravierender emotionaler, physischer oder sexueller Missbrauchsvergangenheit stammen. (vgl. deMause, 2005, S.113)
Im „Handwörterbuch der Kriminalität“ heißt es: „Die Erfahrung schwerer Gewalttätigkeit im Elternhaus steht in enger Beziehung zu dem Auftreten von sozialabweichendem Verhalten und Kriminalität im Kinds-, Jugend- und Erwachsenenalter.“ (Schneider, 1998, S. 338)
Einen Zusammenhang zwischen selbst erlittener und später selbst ausgeübter Gewalt bzgl. Straftätern zu untersuchen und festzustellen, fällt der Forschung nicht all zu schwer. Solche Ergebnisse dürften auch in der Gesellschaft relativ wenig Aufsehen und Gegenkritik bewirken. Systematische Untersuchungen bzgl. Diktatoren und destruktiven politischen Entscheidungsträgern und Versuche, dergleichen Zusammenhänge auf diese zu übertragen, scheinen dagegen allem Anschein nach bisher in der (Gewalt-)Forschung eher wenig von Interesse zu sein. Mein persönlicher Eindruck ist auch, dass dort, wo vereinzelt auf solche Zusammenhänge hingewiesen wird, im Allgemeinen mit starker Kritik und Verleugnung reagiert wird. Dass ein einfacher Krimineller evtl. auf Grund seiner (Kindheits-)Geschichte so wurde, leuchtet vielen ein, aber einen Diktator (also einem politischen Kriminellen) mit der selben Schablone zu untersuchen, dass sei Schwachsinn und zu vereinfacht. Ist dem wirklich so?



Über Stalins Verbrechen und die Millionen Opfer seiner Diktatur ist viel geschrieben worden. Eine Information möchte ich noch anbringen: Stalin selbst hat seine Kinder geschlagen, so wie er einst geschlagen wurde (wie bereits oben erwähnt). DER SPIEGEL (vgl. Nr. 24, 11.06.2011, S. 65) schreibt, dass Stalins zweite Frau sich das Leben genommen hat, ein Sohn wurde zum Trinker, der andere wollte sich das Leben nehmen. Als das scheiterte, spottete Stalin "Haha, danebengeschossen!" Die Gefühlskälte und die Destruktivität eines politischen Führers wirft eben immer auch ihre Schatten auf das Private und die Familie. Menschen wie Stalin zerstören alles, was sie zerstören können. Da sie nie einen Hauch von Liebe und Zuwendung erfuhren, kennen sie nur die Rache und den Hass, sie kennen keine Gnade und kein Mitgefühl. Ihre Sprache und ihr Handeln ist vergiftet, so wie ihre Kindheit vergiftet war. Was wir in Menschen wie Stalin sehen, ist das Bild eines Menschen, der aber im Grunde wie eine Maschine ist und handelt und alles menschliche, zärtliche, liebevolle, lebendige und emotionale verloren hat.

Natürlich reicht die Psychopathologie der Regierenden nicht aus, um Kriege zu ermöglichen. In den nachfolgenden Kapiteln gehe ich ausführlich auf die Bedeutung von emotionalen Problemen bei Soldaten und im Volk ein. Ein psychisch kranker „Führer“ sagt letztlich viel über das emotionale Leben der Bevölkerung aus bzw. er verkörpert – mit den Worten von deMause - die kollektiven emotionalen Probleme seines Volkes.



vorheriges Kapitel
nächstes Kapitel

Samstag, 9. Oktober 2010

Kindheit von Stalin - eine erstaunliche Biographie

Kürzlich las ich etwas in einer weiteren Stalin Biographie: Kellmann, K. 2005: Stalin. Eine Biographie. Primus Verlag, Darmstadt.
Zu meinem Erstaunen lauteten die ersten Sätze dieser Biographie wie folgt:
Nicht nur der Vater, auch die Mutter schlug ihn. Körperliche Misshandlungen, Jähzorn und Gewalt müssen zu den ersten Wahrnehmungen im Leben jenes Menschen gehört haben, der sich später Stalin nannte.“ (Kellmann, 2005, S. 9)
Ich habe so einige Biographien über Diktatoren und politische Führer in den Händen gehalten. Alle fingen mit großen Ausschweifungen über den Geburtsort, Herkunft, Geschwister, Großeltern, Schulausbildung usw. usf an. Erst im Laufe des Textes fand ich dann ggf. hier und da vereinzelte Hinweise zur familiären Gewalt. Dass ein Biograph gleich mit der Misshandlungsgeschichte eines Diktators beginnt, ist ganz und gar außergewöhnlich! Dadurch betont er ganz klar, wie wichtig er diese Erfahrungen offensichtlich für das Leben von Stalin empfindet. Aber, jetzt kommt mein zweites Erstaunen: Im weiteren Textverlauf zur Herkunft und Kindheit von Stalin kommt kein Wort mehr zu dieser Gewalt im Elternhaus dazu. Auch keine Anmerkungen oder Gedanken, wie diese Erfahrungen Stalin geprägt haben könnten. Da reiht sich der Biograph Kellmann dann wieder ein in die Reihe der Anderen. Ganz erstaunlich, wirklich. Einen solchen krassen Widerspruch habe ich bisher in keinem anderen Text gefunden. Zumindest werde ich Kellmann im Grundlagentext über Stalin aufnehmen, da diese Biographie eine weitere Quelle für Stalins gewaltvolle Kindheit darstellt.

Sonntag, 31. Dezember 2023

Historiker Simon Sebag Montefiore über die Mütter von Hitler, Stalin und Trump. Eine kritische Anmerkung.

Der Historiker Simon Sebag Montefiore hat kürzlich dem SPIEGEL (52/2023) im Rahmen des Titelthemas „Für immer Sohn. Wie Mütter das Leben von Männern prägen“ ein ausführliches Interview gegeben (Historiker über Mütter mächtiger Männer. „Die Macht von Frauen lag in der Kontrolle ihres Sohnes“)

In dem Interview geht er u.a. auf die Mütter von Stalin, Hitler und Donald Trump ein. Wobei die Mutterbeziehung Hitlers ihn mit am meisten beeindruckt hätte, wie er auf Nachfrage sagt. 

Alle drei Mutterbeziehung kommentiert er nicht bzgl. ihrer destruktiven Wirkungen. Im Gegenteil, die Mütter von Hitler und Stalin werden sogar recht wohlwollend und zugewandt dargestellt. Auf SPIEGEL Frage "Von der Mutter des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump heißt es, dass sie ihren Sohn für dumm gehalten habe" hin kommentiert er nur, dass Trumps Mutter eine „energische, direkte Frau“ gewesen sei. Auf die folgende Nachfrage, warum Trump Frauen gegenüber immer wieder wenig Respekt gegenüber zeige, vermutet Montefiore als Ursache altes Klischeedenken von „Heiliger und Hure“. 

In allen drei Fällen wurde somit die grausame Realität der Mutter-Sohn-Beziehungen in meinen Augen ausgeblendet und insofern wurde eine Chance verpasst, die Wirkung von destruktiven Elternfiguren auf politische Führer (und deren Verhalten) in einem großen Leitmedium zu besprechen. 

Leider kommentiert der Historiker sogar noch an einer Stelle:
Hitlers Mutter „war sehr nachsichtig. Man hat den Charakter von Diktatoren ja lange Zeit damit erklärt, dass ihre Eltern sie grausam behandelt hätten. Aber das stimmt nicht. Natürlich gab es viele Väter, die tranken und ihre Kinder schlugen, aber das war normal – der Freudianismus hat dem zu viel Bedeutung beigemessen. Hitlers Mutter hat ihren Sohn vergöttert.“

Dieser Satz blendet alle Erkenntnisse aus, die es mittlerweile über die Kindheiten von Diktatoren (und auch Gewalttätern an sich) gibt. Die Gemeinsamkeit von Diktatoren ist gerade ihre massiv traumatische Kindheit (siehe auch mein Buch „Die Kindheit ist politisch! Kriege, Terror, Extremismus, Diktaturen und Gewalt als Folge destruktiver Kindheitserfahrungen“). Diesen Satz dann auch noch mit „Hitler“ einzurahmen, entbehrt jeder Logik, da gerade Hitler eine unfassbar traumatische Kindheit erlebt hat.

Dass Hitler von seinem Vater häufig und schwer misshandelt und gedemütigt wurde, ist längst bekannt (und wird auch dem Historiker Montefiore bekannt sein). Der Historiker Roman Sandgruber hat 2021 beispielsweise sehr deutlich geradezu einen Schlussstrich über die Erkenntnislage bzgl. Hitlers von Gewalt geprägter Kindheit gezogen, da dies einfach überdeutlich belegt ist: „Hitler: Ein einst misshandeltes Kind. Deutliche Worte in einem neuen Buch".

Hitlers Mutter stand hilflos und ohnmächtig daneben, ohne ihrem Sohn helfen/schützen zu können oder zu wollen. Was dies mit einer Mutter-Sohn-Beziehung macht, ist u.a. unter Kindertherapeuten bekannt. Das Gleiche gilt für einer mütterliche "Vergötterung" ihres Sohnes, was wenig mit Liebe zu tun hat und viel Destruktivität im Leben des Sohnes zur Folge haben kann.
Neben der Gewalt war Hitlers Kindheit von weiteren schweren Belastungen geprägt, darunter z.B. Tod von mehreren Kernfamilienmitgliedern

Die massiv destruktiven Eltern-Kind-Beziehungen bei den Trumps sind ebenfalls belegt (wenn auch öffentlich weniger bekannt/besprochen), auch der Einfluss der destruktiven und vor allem abwesenden Mutter (bei Interesse zwei lange Blogbeiträge dazu hier und hier

Was mich am meisten fassungslos zurückließ sind die Kommentare des Historikers bzgl. Stalins Mutter, die er als "eine interessante Figur", die ihren Sohn gefördert und angetrieben habe, beschreibt. Stalin habe seiner Mutter viel zu verdanken. 

Simon Sebag Montefiore selbst hat in seinem Buch „Der junge Stalin“ auf die massive Gewalt des Vaters UND der Mutter von Stalin hingewiesen. Ja, die Mutter von Stalin hat ihren Sohn körperlich misshandelt (nach meinen Recherchen zusätzlich auch emotional, aber das würde hier zu viel Raum einnehmen). Im SPIEGEL-Interview, das eine Titelstory über den Einfluss von Müttern auf ihre Söhne angelehnt ist, wird dieser extrem wichtige Faktor der mütterlichen Misshandlung einfach nicht erwähnt. 

Anbei zwei Zitate aus dem Montefiore Buch „Der junge Stalin“ im Kapitel „Der verrückte Besso“:

Streitsüchtig und aggressiv, war er so schwer unter Kontrolle zu halten, dass sogar seine Mutter, die ihn anbetete, zu Züchtigungen griff, um ihren widerspenstigen Schatz zum Gehorsam zu zwingen.“

Sie verdrosch ihn häufig«, erzählt Stalins Tochter Swetlana. Als Stalin seine Mutter in den Zwanzigerjahren zum letzten Mal besuchte, fragte er sie, warum sie ihn so oft geschlagen habe. »Es hat dir nicht geschadet«, erwiderte sie. Aber das ist umstritten. Psychiater glauben, dass Gewalt Kindern stets schadet, und gewiss bringt sie weder Liebe noch Mitgefühl hervor.“

Was ich auch sehe – und da hat Montefiore einen Punkt – ist, dass Diktatoren in ihrer Kindheit auffällig häufig eine Mutter hatten, die sie antrieb und übermäßig erhöhte (neben den gleichzeitigen Demütigungen und Erniedrigungen innerhalb der Familie). Die besonderen Größenfantasien der Diktatoren haben hier wahrscheinlich mit ihren Ursprung. Insofern ist diese Art von mütterlichem Einfluss ein bedeutsamer Faktor. 

Aber ohne die viele Gewalt und die vielen Ohnmachtserfahrungen in der Kindheit dieser Akteure, wären sie nicht zu den gefühlskalten politischen Führern geworden, die sie wurden. Und genau darüber müssen wir sprechen und aufklären. 

"Der Freudianismus hat dem zu viel Bedeutung beigemessen", sagte der Historiker ja (siehe oben). Das ist genau das Paradoxe im öffentlichen Bewusstsein. Dass destruktive Kindheiten Folgen haben, wird zwar öffentlich besprochen und ist irgendwie auch bewusst. Wenn es aber um Politik und politische Führer geht, wird dies sehr oft ausgeblendet und gering geredet. Es ist auch nicht das erste Mal, dass ich von Seiten eines Historikers solche Zeilen hier lese: "Natürlich gab es viele Väter, die tranken und ihre Kinder schlugen, aber das war normal". 

 Der Historiker Volker Ullrich hat z.B. in der Biografie "Adolf Hitler. Biographie Band 1: Die Jahre des Aufstiegs 1889 – 1939" sehr deutlich die Gewalt von Hitlers Vater beschrieben. Dann fügt er an:
Doch sollten sich Biographen hüten, zu weitreichende Schlüsse aus frühen Kindheitserlebnissen zu ziehen. Körperliche Züchtigung war damals als Erziehungsmittel durchaus noch an der Tagesordnung. (…) Nach allem, was wir wissen, scheint Hitler eine ziemlich normale Kindheit verbracht zu haben, jedenfalls gibt es keine gesicherten Hinweise auf eine abnorme Persönlichkeitsbildung, aus der sich die späteren Verbrechen ableiten ließen" (Kapitel: „1 Der junge Hitler“).

Was grausame Realität der Mehrheit der Kinder war, hat dann also keine negativen Folgen und übt keinen Einfluss auf Verhalten aus, wenn aus diesen Kindern später mal einflussreiche politische Akteure werden? 

Eigentlich weiß es Montefiore ja auch besser, denn er schrieb ja selbst: "Psychiater glauben, dass Gewalt Kindern stets schadet, und gewiss bringt sie weder Liebe noch Mitgefühl hervor" (siehe oben).

Dieses Hin und Her, diese Widersprüchlichkeiten der Aussagen zeigen mir, dass der Historiker sich selbst noch nicht bewusst gemacht hat, dass Kindheit politisch ist! Damit ist er nicht alleine, sondern bildet die gedanklichen und emotionalen Mehrheitsverhältnisse der Gesellschaft ab. 

Dies Stück für Stück zu verändern, wird auch mein Ziel im neuen Jahr 2024 bleiben. 

In diesem Sinne: Einen guten Rutsch ins neue Jahr wünsche ich!


Donnerstag, 17. März 2022

Doku „Diktatoren - Wurzeln des Terrors“ und einige Anmerkungen dazu

 „Hitler, Mussolini, Stalin, Mao, Pol Pot, Saddam Hussein, Kim Jong Un: Alle dieser Diktatoren waren einst Kinder und Teenager, bevor sie zu Tyrannen wurden. Die Dokumentation blickt in die Kindheit und die Jugendzeit der schrecklichsten Diktatoren im 20. und 21. Jahrhundert. Die Porträts dieser Jugendlichen begeben sich auf die Spur nach den Wurzeln des Wesens dieser Männer, die später absolute Macht anstrebten.

So wurde die französische TV-Doku „Diktatoren - Wurzeln des Terrors“ (2021 vom Regisseur François Chayé; original Titel „A la source de la tyrannie“) angekündigt, was mich natürlich extrem neugierig machte. Aktuell kann die Doku noch (mit Werbeblöcken) hier gestreamt werden. 

Die Doku ist in verschiedene Kapitel unterteilt. Ein Kapitel heißt: „Gewalttätige Kindheit“!

Ich wundere mich ehrlich gesagt schon länger, dass es bisher meines Wissens nach keine Doku gab, die die destruktiven Kindheiten von Diktatoren in den Blick nimmt. Jetzt also das! Das ist ein wirklich großer und wichtiger Schritt. 

Zwischendrin kamen mir allerdings erste Zweifel, ob die Doko in eine für mich zufriedenstellende Richtung geht. Z.B. als über die Mutter von Adolf Hitler gesagt wird, dass sie für ihn „emotionale Sicherheit“ bot, etwas, das ich deutlich anders sehe. 

Es tauchten aber auch erste vielversprechende Kommentare auf. Beispielsweise als dieser Satz fällt: „Für Hitler verschmolzen sein Vater und das Kaiserreich zu einem Hasssymbol“. Diese Stelle wurde nicht gesondert kommentiert, sie zeigt aber deutlich die Verschmelzung von Kindheit (Gewalt durch den Vater und Hass auf den Vater) und Gesellschaft bzw. Übertragung von Hass aus der Kindheit auf Vaterfiguren/“Vaterstaat“/“das Alte“. 

Unter dem o.g. Kapiteltitel geht es dann wirklich in die Tiefe der Kindheitsabgründe: Maos Vater sei alles andere als liebevoll gewesen und habe nicht gezögert, seinen Sohn zu schlagen. Mao habe seinen Vater gehasst.
Saddam Hussein sei in extremer Armut aufgewachsen. Es habe „wenig Liebe“ in seiner Kindheit gegeben und er galt „als Bastard“. Und: „Der Stiefvater war gewalttätig und schlug ihn fast täglich.“ Über den Alkoholismus des Vaters von Stalin und dessen Gewaltverhalten wird ebenso berichtet, wie über all die Demütigungen und Entbehrungen, die Stalin in einem Priesterseminar erlitten hat.
Über die häufige väterliche Gewalt, die auch Mussolini erlitten hat, wurde leider nichts berichtet, obwohl dieser Diktator Thema war. 

Zum Schluss hin kommt dann diese Aussage:

Bei einigen Diktatoren liegen die Wurzeln ihres Handelns in einer besonders traumatischen Kindheit. Die prägenderen Faktoren für ihre kriminelle Entwicklung liegen jedoch meist im historischen, sozialen und politischen Umfeld, in Kombination mit einer blutigen Ideologie schaffen die Despoten dann den Aufstieg an die Macht.“

Nach dieser Stelle war den vorherigen Ausführungen zur Kindheit schon einmal deutlich der Wind aus den Segeln genommen. Glaubt es mir oder nicht, ich ahnte schon, welcher Nachsatz noch kommen würde und er kam auch, von dem Historiker Johann Chapoutot:

 „Es besteht kein Zweifel daran, dass Hitler eine unglückliche Kindheit hatte. Die Beziehung zu seinem Vater war katastrophal und bereitete ihm große psychische und physische Schmerzen. (…) Doch im 19. Jahrhundert gab es viele Kinder, die Opfer von Misshandlungen wurden und sie wurden nicht alle zu Massenmördern. Den Gewaltherrschern ist auf ihrem Lebensweg noch etwas anderes passiert. Hitler verstand es, auf die Erwartungen der damaligen Gesellschaft zu reagieren. Diese wollte eine klare Identität und Hitler vermittelte durch den Nationalsozialismus und die deutsch-völkische Ideologie das Gefühl, dass man etwas darstellt.“ 

Da ist er wieder, dieser klassische Satz:Aber nicht alle traumatisierten Kinder werden zu…“.
Die Ursachenkette zwischen destruktiver Kindheit und politischer Gewalt wird durch diesen Satz sofort zerrrissen. Bereits in dem zuvor zitierten Part wurde der Blick von der Kindheit weg in Richtung anderer „prägenderen“ Faktoren („historischen, sozialen und politischen Umfeld, in Kombination mit einer blutigen Ideologie“) gelenkt. 

Es ist selbstverständlich, dass es keinen einfachen Link zwischen destruktiver Kindheit hier und Diktatoren dort gibt. Selbstverständlich bedarf es weiterer Einflussfaktoren, wovon der größte natürlich das Streben nach und das Erreichen von Macht ist. Diese Leute müssen zudem redegewandt und intelligent sein. Sie müssen männlich sein. Sie müssen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein usw. usf.  

Was mich so ungemein stört, wenn Kindheitseinflüsse gering geredet werden, ist, dass nie die umgedrehte Frage gestellt wird: Wären Hitler, Mussolini, Stalin, Mao und Saddam Hussein auch zu solchen Diktatoren und Massenmördern geworden, wenn sie eine liebevolle und weitgehend unbelastete Kindheit gehabt hätten? Diese Frage taucht einfach nicht auf!

Der zweite Punkt ist, dass der Satz „doch im 19. Jahrhundert gab es viele Kinder, die Opfer von Misshandlungen wurden und sie wurden nicht alle zu Massenmördern“ mit Blick auf das Werden eines Diktators im Grunde bereits die Lösung des Rätsels mit enthält. Nur ein einziger Mensch kann logischer Weise in einer Diktatur zum Diktator werden. Wenn doch aber eine destruktive Kindheit in einem deutlichen Zusammenhang zu menschlicher Destruktivität und Gewaltverhalten und auch „Ohnmachtsverhalten“ steht (was wir heute einfach auf Grund wissenschaftlicher Befunde wissen), dann erklärt sich doch gerade aus der Feststellung „doch im 19. Jahrhundert gab es viele Kinder, die Opfer von Misshandlungen wurden“ die Entwicklungen hin zu einer Diktatur! 

Johann Chapoutot hat es oben nach seiner kritischen Anmerkung bzgl. Kindheitseinflüssen im Grunde bereits gesagt: „Hitler verstand es, auf die Erwartungen der damaligen Gesellschaft zu reagieren. Diese wollte eine klare Identität“. Ein als Kind traumatisierter Führer stand in Resonanz mit der als Kind traumatisierten Bevölkerung, die sich eine Identität wünschte (Identitätsprobleme sind eine klassische Folge von Kindesmisshandlung!). Warum wurde hier nicht der Einfluss von Kindheit erkannt?

Vergessen werden darf außerdem auch nicht, dass die vielen Kinder des 19. Jahrhunderts, die Opfer von Misshandlungen wurden, zwar nicht alle zu Massenmördern und Diktatoren wurden, aber viele (vor allem männliche) Kinder wurden zu "Diktatoren im Kleinen", in der Familie. Das war ihr Einfluss- und Machtbereich! Historische Berichte über tyrannische Väter finden sich haufenweise. Sie „mordeten“ die Seelen ihrer untergeordneten Familienmitglieder. Und ja, beim genaueren Hinsehen finden wir im historischen Rückblick auch haufenweise Mütter (+ Großmütter, Dienerinnen, Ammen), die sich gegenüber Kindern wie Diktatoren und Menschenschinder verhielten, obwohl sie nach außen hin (der patriarchalen Sitte/Struktur nach) nicht die absolute Macht in der Familie inne hatten. 

Der andere Weg, Hass auszudrücken, ist der Weg nach innen: Selbsthass, Krankheit, Suizid, Depressionen, sich in Ohnmachtsbeziehungen ergeben usw. usf. Auch das wird gerne unterschlagen, wenn es heißt, dass nicht alle als Kind misshandelten Menschen zu "ihr wisst schon was" werden. 

Doch im 19. Jahrhundert gab es viele Kinder, die Opfer von Misshandlungen wurden und sie wurden nicht alle zu Massenmördern“. Dieser Satz ist schlicht unterkomplex, obwohl das erklärte Ziel des Satzes ja gerade war, die Komplexität von Menschen und Gesellschaften zu beachten. 

Im Grunde liegt hier stets auch das gleiche Problem zu Grunde: Historiker sind nun einmal keine Psychologen und Experten für Traumafolgen. Ihnen fehlt entsprechend das Wissen um die komplexen Folgen von Kindesmisshandlung, die sich in unzähligen Formen ausdrücken können.

Die Doku war ansonsten gut und auch wichtig! Es wird sicher der Tag kommen, an dem in einem ähnlichen Format selbstbewusst die These formuliert wird, dass destruktive Kindheiten das Fundament für Diktaturen bilden können. 

Die Doku "Diktatoren - Wurzeln des Terrors" lief am 15.03. in der Zeit zwischen 02:20 - 03:00 Uhr auf N-TV

Ist schon irgendwie symbolisch, dass das Thema gesendet wird, wenn alle schlafen...


siehe ergänzend auch meinen Blogbeitrag: "Eine lieblose Kindheit haben viele erlebt und werden trotzdem nicht zu Mördern"



Donnerstag, 3. Mai 2012

Johann Benos: 20 europäische Diktatoren im Vergleich


Der apl. Professor für Psychiatrie Dr.med. Johann Benos hat 2011 ein auf den ersten Blick vielversprechendes Buch unter dem Titel: „20 europäische Diktatoren. Psychologische Hintergrunds- und Persönlichkeitsstudien“ veröffentlicht. (im AT Edition Verlag, Berlin erschienen) Die untersuchten Diktatoren sind: Antonescu, Atatürk, Dollfuß, Franco, Hitler, Horthy, Kun, Metaxas, Mussolini, Päts, Pavelić, Pilsudski, Primo de Rivera, Salazar de Oliveira, Smetona, Stalin, Szálasi, Tiso, Ulmanis und Zogu.

Der Autor hat in seinem Buch Diktatoren untersucht, die alle zur ungefähr gleichen Zeit – erste Hälfte des 20.Jahrunderts - ihr Unwesen in Europa trieben. „Auffallend war beim Lesen der Biographien der Diktatoren die Feststellung, dass sie große Ähnlichkeit aufwiesen, was mich dazu veranlasste, diese Untersuchung durchzuführen.“ (S. 10) Entsprechend war der Autor bemüht, die Gemeinsamkeiten der Akteure herauszustellen. Jeder Diktator wurde mit der gleichen Schablone untersucht:  Herkunft;  Kurzbiographie; Verhältnis zu Eltern, Verwandten, Frauen; Psychische Störungen; Psychische Vorbelastungen in der Familie; Ideologie, Brutalität  usw. In der zweiten Hälfte des Buches wurden die Ergebnisse miteinander verglichen. Kurzum: Auf den ersten Blick ist dieses Buch so angelegt, wie ich es mir nur wünschen könnte.
Das für mich wichtigste Vergleichsergebnis: „Alle Diktatoren des untersuchten Zeitraumes hatten, sofern es aussagekräftige Biographien hierzu gab, zu ihrem Vater ein schlechtes oder „gleichgültiges“ Verhältnis. (…) für die Diktatoren existierte der  Vater nicht oder sie lehnten ihn ab, weshalb er auch niemals ein Vorbild für sie sein konnte. (…) Die Diktatoren waren in der absurden Situation, ihren Vater zu leugnen. Es scheint, dass das Verhältnis zum Vater bzw. seine Ablehnung der wichtigste Parameter im Leben der Diktatoren war. “ (S.225+226) Ein für mich ein nicht wenig überraschendes Ergebnis, aber wie schön, dass dies einmal derart systematisch festgestellt wird. 

(Auch andere Vergleichsergebnisse sind interessant, z.B. dass alle Diktatoren aus dem geographischen und politischen Abseits des jeweiligen Landes, das sie später regierten, stammten und keiner in einer Großstadt geboren wurde oder dort als Kind/Jugendlicher gelebt hatte. Ich gehe in diesem Beitrag allerdings nur auf die psychohistorisch relevanten Ergebnisse ein bzw. auf das, was in dieser Studie fehlte. )

An dieser Stelle endet meine positive Kritik über das Buch. Benos ergänzt nämlich bzgl. der Väter, dass nicht die Brutalität oder Dominanz (dominante Väter sind laut seinen Recherchen in der Minderheit) der Väter der gemeinsame Nenne wäre, sondern die Ablehnung des Vaters. Bzgl. Francisco Franco, Hitler, Stalin und Mussolini habe ich hier im Blog ja bekanntlich Daten aus der Kindheit gesammelt. Benos  lag offensichtlich keine Quelle vor, die die körperliche Gewalt des Vaters gegen Francisco Franco belegte, er beschreibt den Vater rein als „streng, autoritär und emotionslos“. Die körperliche Gewalt, die Hitlers Vater ausübte, ist ja weitgehend bekannt und insofern auch von Benos erwähnt worden. Die väterliche Gewalt gegen Mussolini weist Benos auch nach. Bzgl. Stalins Vater schreibt Benos: „Er entlud seinen Frust in tätlichen Aggressionen gegen Frau und Kind.“ (S.165) Das finde ich doch sehr knapp, gerade auch vor dem Hintergrund, dass Benos laut Literaturverzeichnis Neumayrs “Diktatoren im Spiegel der Medizin“ gelesen hat, .in dem es heißt, dass Stalins Vater es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, dem kleinen Jossif seinen Eigensinn durch tägliche Prügel, jeweils vor dem Schlafengehen verabreicht, auszutreiben. Tägliche Misshandlungen sollten doch eine gesonderte Erwähnung wert sein, weil dies eine ganz andere Dimension ist, als allgemein von „tätlichen Aggressionen“ zu schreiben. 

Ergänzend möchte ich behaupten, dass viele der von Benos untersuchten Diktatoren nicht derart von einem auch über die nationalen Grenzen hinaus reichenden Interesse für Historiker, Psychologen und Sozialwissenschaftler waren und sind. Ganz im Gegenteil werden einige sogar noch immer von der eigenen Nation verehrt, wie z.B. Atatürk. Ich denke, dass die Datenlage bzgl. möglicher direkter innerfamiliärer Gewaltanwendung – neben der von ihm nachgewiesenen väterlichen Ablehnung -  entsprechend dürftig ist.
Großes Kopfschüttel löste bei mir aber viel mehr noch das Vergleichsergebnis bzgl. der Mütter aus. Benos schreibt zusammenfassend nach seiner Besprechung der Väter: „Das Verhältnis zur Mutter jedoch war bei allen immer sehr gut.“ (S. 226) Dabei muss man folgende Wörter nochmal wiederholen: „immer“ und „sehr gut“! Benos lässt in seinem Buch keinen Zweifel aufkommen: Die Mütter der Diktatoren liebten ihre Kinder innig! Seine Schilderungen über Stalins Mutter gleicht denen über die Mütter der anderen Diktatoren: Die Mutter Stalins „(…) war eine einfache ungebildete, aber sehr fromme und liebevolle Frau.“ Sie war „(…) sehr um ihren Sohn besorgt und liebte ihn sehr.“ (S. 165) Er ergänzt, dass sie für ihren Sohn einen Weg als Priester vorgesehen hatte und Stalin ihr diesen Wunsch zunächst auch erfüllte.
Man lese nun meine Rechercheergebnisse bzgl. Stalins Mutter hier. Auch sie misshandelte nachweisbar ihren Sohn (was ich in gleich drei Quellen fand!), schützte ihn nicht vor den Schlägen des Vaters und zwang ihn  in eine Ausbildung als Priester, während der er weitere schwere Demütigungen und Verletzungen erlitt. Stalin nahm später nicht einmal an ihrer Beerdigung  teil.
Dass Francisco Franco von seiner Mutter als Trostpflaster missbraucht wurde und dies auf Kosten seiner emotionalen Entwicklung ging, habe ich ebenso im Grundlagentext beschrieben. Bei Benos ließt sich das so: „Sie liebte ihren Sohn abgöttisch und bemutterte ihn am meisten von allen Kindern, weil sie glaubte, er leide ganz besonders unter der familiären Situation. Sie spornte ihn auch an, etwas Besseres zu werden als sein Vater.  Francisco Franco liebte seine Mutter und besuchte sie, so oft er konnte.“ (S. 35) Dabei stecken bereits in den Schilderungen von Benos deutlich Anzeichen für ein „Zuviel“ an Mutter, für eine „Muttersöhnchenbindung“, die letztlich nichts anderes ist, als emotionaler Missbrauch. Ähnliches schreibt Benos über Hitlers Mutter: „Sie liebte ihn abgöttisch und bemutterte ihn. Auch Adolf liebte sie übermäßig (…)“ (S. 42) Hitler, der in den Augen der Medusa nach eigenen Worten die Augen seiner Mutter  wiedererkannte und dessen gestörte Mutterbeziehung nachvollziehbar u.a. von Arno Gruen beschrieben wurde, erlebte ganz offensichtlich ebenfalls emotionalen Missbrauch durch die Mutter. Auch sie schützte ihren Sohn nicht vor der väterlichen Gewalt (und egal woran dies lag, hinterlässt dies bei einem Kind seine Wirkung auch in Bezug zur Mutter). 

Merkwürdig ist, dass Benos als Psychiater seine Ergebnisse bzgl. der angeblich liebevollen Mütter  in Anbetracht eines weiteren Vergleichsergebnisses nicht kritisch hinterfragte: „Ein normales Verhältnis zu Frauen und gewiss auch zu der eigenen Ehefrau hatte keiner der Diktatoren (…). Die meisten von ihnen sahen Frauen lediglich als Lustobjekt und schätzten sie nur gering. Zu einer gefühlsmäßigen Bindung waren sie auf Grund ihrer Persönlichkeit (Narzissmus) nicht fähig (…). Ehen und Partnerschaften entstanden nur, weil die Diktatoren eine Stütze brauchten. (…) Trotz aller Anstriche einer frauenfreundlichen Politik blieben die Regime, weil die Diktatoren dies nicht anders wollten, antifeministisch.“ (S. 228- 231)
Verhalten sich so Söhne, die von ihren Müttern wirklich geliebt und gut behandelt wurden? Benos wies ja auch nach, dass die Väter sowohl emotional als auch oft real abwesend waren und nicht als Vorbild zur Verfügung standen. Das bedeutet, dass die Diktatoren während der Kindheit hauptsächlich durch ihre Mütter erzogen und begleitet worden sind. Wären ihre Taten und auch ihre Einstellungen gegenüber Frauen möglich gewesen, wenn der anwesende Elternteil sie mit echter Liebe überschüttet hätte? Nach allem was ich gelesen habe und selbst als Mensch über das Menschsein fühle kann ich nur sagen: Nein, dies wäre nicht möglich gewesen! 

Dazu kommt, dass alle Diktatoren Ende des 19. Jahrhunderts geboren wurden, einer Zeit also, in der das Prügeln und Demütigen von Kindern zu Hause und auch in der Schule Sitte und Norm war. Die meisten Gewaltstudien kommen zu dem Ergebnis, dass Mütter gleich viel oder meist sogar noch öfter als Täterinnen bzgl. körperlicher Gewalt gegenüber ihren Kindern auftreten als die Väter. Aktuell habe ich ja z.B. die Studie von Hävernick vorgestellt, die ein hohes Ausmaß an Gewalt gegen Kinder in Deutschland für die Jahre 1910 bis Anfang der 60er Jahre festgestellt hat. Mütter waren in über 60 % der Fälle die Täterinnen.
Benos hat nun ganze 20 Diktatoren analysiert und meint, dass keine einzige Mutter eine Täterin an ihrem Kind war, sondern alle liebevoll mit ihren Söhnen umgingen!? Die Wahrscheinlichkeit, dass dies stimmt, tendiert bereits gegen Null, wenn man sich alleine nur mit sozialwissenschaftlichen Gewaltstudien und der historischen Kindererziehung befasst. Benos hängt ganz offensichtlichem einem tief in unserer Gesellschaft verwurzeltem idealisierendem Mutterbild nach, das so nicht real ist. (Über dieses Mutterbild und das Nicht-sehen-wollen weiblicher Täterschaft werde ich noch einen gesonderten Beitrag schreiben). 

Ansonsten bestätigen Benos Vergleichsergebnisse vieles von dem, was man sich so allgemein über Diktatoren denken kann: Sie waren kontaktarm und menschenscheu; Menschen gegenüber waren sie misstrauisch und ängstlich; sie waren sowohl in der Politik als auch sozial Außenseiter; sie waren gute Schauspieler und konnten gut reden; bei allen Diktatoren fand Benos paranoide Tendenzen und wahnhafte Ideen; alle Diktatoren waren Narzissten; alle zeigten depressive Tendenzen; alle verfügten über eine hohe rationale Intelligenz aber: „Die Diktatoren hatten einen Defekt im emotionalen Bereich.“ (S. 256) Mit ihren eigenen Gefühlen konnten sie nur schlecht umgehen; im Bereich der Empathie „waren sie gar emotional Schwachsinnige.“ (S. 258) Als Folge der fehlenden Empathie waren sie auch im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen „emotionale Krüppel“ (S. 259)
Und all dies  - ich wiederhole mich – trotz einer liebevollen Mutter? Ich denke, dass dieser blinde Fleck das Hauptmanko des Buches darstellt. Hätte Benos diesen Punkt richtig ausgeleuchtet und kommentiert, das Buch wäre wirklich eine hervorragende Grundanalyse über die Psyche der Diktatoren, als auch bzgl. der Gemeinsamkeiten in der Kindheit. 

Dabei hat Benos in der Tat einen gewichtigen gemeinsamem Nenner gefunden. Er beschreibt die „liebevollen Mütter“, gut, das habe ich hinreichend kritisiert. Aber er schreibt auch, dass alle Mütter ihre Söhne verhätschelt hätten, sie bemutterten, die Söhne waren ihre Lieblinge, „außerdem spornten sie die Mütter zu „Höherem“ an und bestärkten sie sogar in der Ablehnung des Vaters. Diese Tatsache fiel vor allem bei den berüchtigtsten der Diktatoren auf. Je mehr die Mutter sie verhätschelte und anspornte, desto narzisstischer und neurotischer, aber auch brutaler wurden sie in der Verfolgung ihrer Ziele.“ (S. 226) Da ich „Verhätscheln“ und eine „Muttersöhnchenbindung“ nicht als Liebe sehe, sondern als das genaue Gegenteil oder um es klar zu sagen, als emotionalen Missbrauch, verwundert es nicht, dass die Schädigungen dort am meisten auftraten, wo emotional auch am stärksten  missbraucht wurde. Volker Elis Pilgram schrieb in seinem Buch „Muttersöhne“ passend: „Der Mangel an Liebe versteckt sich am allermeisten hinter übertriebener Fürsorge.“ und „Muttersöhne haben eine Phantomseele. Sie sind mit Fleisch und Blut erwachsen da, aber ein seelischer Zusammenhang fehlt ihnen.“ Der Misch aus destruktiven, abwesenden und ablehnenden Vater, anwesender, überfürsorglicher und emotional missbrauchender Mutter, gepaart mit wahrscheinlich (wie oben besprochen) in sicher nicht wenigen Fällen auch körperlicher mütterlicher Gewalt (nachweisbar z.B. bei Stalin) und dem gleichzeitigem mütterlichem Idealisieren des Sohnes, der für Großes vorgesehen ist und all das erreichen soll, was der Mutter verwehrt bleibt, macht meiner Meinung nach den potentiellen Diktator aus. 

Benos kritisiert  im Schlussteil unter der Überschrift „Diktatorenprophylaxe“ dagegen sogar die Auffassung von dem Psychoanalytiker Hans Strotzka, der auf „vernünftige“ Erziehung setzt, „mithin auf die Vermeidung der Diktatorenerzeugung durch eine Erziehung, die Wärme und Vertrauen vermittelt und Fehlentwicklungen vorbeugt.“ (S. 266) Und er hängt an: “Eine Utopie, denn die meisten Kinder werden trotz dieser Aufforderung der Psychologen und Pädagogen weiterhin nicht auf „vernünftige“ Weise erzogen.“ Damit ist das Thema für ihn beendet und er macht es sich hier sehr einfach.

Kurzum, das Buch an sich bestätigt systematisch, wie wichtig Kindheitserfahrungen bzgl. destruktiver politischer Entwicklungen waren und sind, dabei blendet der Autor mütterliche Destruktivität komplett aus und sieht keine Möglichkeiten, die Kindererziehung gezielt zu verbessern. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, dass Menschen, die auf dem psychologischen Gebiet tätig sind, trotz aller vorliegenden Erkenntnisse an den Dingen vorbeischreiben können. Aber, man gewöhnt sich fast schon daran... Letztlich ist das Buch trotz allem eine nützliche Arbeitsgrundlage für mich und diesen Blog.

Mittwoch, 15. Juni 2011

Gruppenfantasien: Analyse der letzten beiden SPIEGEL Ausgaben.

Nachfolgenden Beitrag muss man im Zusammenhang mit den drei vorherigen Beiträgen lesen und verstehen!

Ich habe mir jetzt mal die Mühe gemacht und die beiden letzten SPIEGEL Ausgaben gründlich nach (emotionalen) Schlüsselwörtern und Wörtern wie Kind etc. durchsucht. Die nachfolgende Auflistung ist chronologisch, sprich vom Heftanfang bis zum Heftende. Die Wörter und Sätze stammen immer aus Titeln, Überschriften, Dickgedrucktem oder Untertiteln bzw. Bildunterschriften (nicht aus dem laufenden Text). Im Grunde müsste man die Ergebnisse mit zwei SPIEGEL Ausgaben aus einem anderen Jahr zum Vergleich heranziehen und schauen, ob solche Worte ganz normale Alltagssprache beim SPIEGEL sind oder eben doch Spitzen aufzeigen, die Rückschlüsse auf aktuelle emotionale Prozesse zulassen. Insofern ist mein Ergebnis natürlich fragwürdig. Trotzdem möchte ich es vorstellen, weil die gefundenen Wörter zu dem passen, was ich in den letzten drei vorherigen Blogbeiträgen ausgeführt habe.

Bei der aktuellen Ausgabe mit dem Titel „Bruder Todfeind“, die ich ja bereits in Zusammenhang mit abgespaltenen Gefühlen/Teilen und Hassliebe gebracht habe, sind mir vor allem auch in ganz anderen Artikeln Andeutungen zu etwas „Doppeltem“, Gegensätzlichen bzw. doppelte Titel wie "x oder Y" aufgefallen, die insofern zum zerrissenen Titelbild passen. Diese Teile habe ich noch einmal dickgedruckt hervorgehoben. Ansonsten fand ich die Titelstory geradezu langweilig, sie bot nichts neues oder außergewöhnliches und hatte zudem wenig mit dem Titel "Bruder Todfeind" zu tun. Vielleicht ist ja aber gerade das wiederum erhellend, dass Titel und Bilder gewählt wurden, die wenig mit dem Text und Inhalt der Story zu tun hatten...

Weiter kommentieren möchte ich meine Ergebnisse nicht. Wie immer finde ich, dass diese Art der Deutung von Medien(bildern) immer auch etwas von eigener Auslese haben kann und insofern anfällig für Fehler und übertriebene Deutungen ist. Die Leser und Leserinnen dieses Blogs mögen sich ihre eigenen Gedanken dazu machen.


DER SPIEGEL, Nr. 23, 06.06.11
Der Feind im Essen. EHEC: Die Geburt einer Seuche.


Hass auf die Deutschen, Jungfrauentest, Sterbehilfe, „Das Röcheln des Sterbenden“, Schizophrene Notwendigkeit, Tod hilft Leben, Militanz, Heer, Zickzackkurs, Stimmentief, Unberechenbar, Todsünde, Katastrophenschutz, Die Angst-Macher, „Auch der Feind hat eine Würde“, Endzeitstimmung, „Im Verdruss vereint“, „Die Stimmung wird kippen“, „Auge um Auge“, „Gefährliches Gewusel“, „Erhöhtes Risiko“, Stresstest, „Meine Mutter hat versagt“, Schweigen, Attacke, Schelte, „Wieder am Abgrund“, Waffen, „Bedeutung von Emotionen“, „Psychologischer Blickwinkel“, „Kinder einer Gedankenschule“, Angriff, Gefahr, „Er hat keinen mehr, der ihn kontrolliert“, Wirtschaftswachstum, „Wir sind sehr emotional“, Krieg oder Frieden, „Gut und Böse sind Kategorien für Kinder“, Krisenkinder, Jugend, Jungfrauen, gefährliche Verbrecherin, kämpfte, Wahnsinn, Katastrophe, „Böses reden, Gutes tun“, „ wie ein Kind, das heute sein Ritalin nicht genommen hat“, „Suche nach dem Verrückten“, lauert, Doktor Freud, Gewissenlos, „Puls der bösen Absichten“, Mozart statt Mamma“, „Neugeborene beruhigen, die aus medizinischen Gründen vorübergehend von ihrer Mutter getrennt werden“, Drogen, Anmerk. EHEC Teil Anfang: Outbreak in Deutschland“, „Infizierter Norden“, „Lauernde Gefahr“, „Ein Erreger für die Demut“, „Wir leben in einem fragilen System“, „Die Jagd wird mysteriöser“, „Entfesselter Erreger“, Anmerk. EHEC Teil Ende, Gier, Alarmzustand, Gestresste, „Verseuchtes Fleisch“, Tiefe, Schlafmittel, „Geraubte Kinder“, „Außen Ehre, innen Leere“, „Tausende Jungen und Mädchen wurden verschleppt“, „an ihrer zerbrochenen Kindheit leiden die meisten noch heute“


DER SPIEGEL, Nr. 24, 11.06.11
Hitler gegen Stalin. Bruder Todfeind


Zerwürfnis, „Leben und Leiden“, „Kunst der zwei Gesichter“, Opfer, „Verbrechen oder Heldentat?“, Verdächtige, Ziele formuliert, Zombies, „Direkt an die Front“, „Allianz des Misstrauens“, „Klima in der Regierung ist vergiftet“, Stimmungswechsel, „Bezahlen müssen wir alle“, „Gute Werte, schlechte Werte“, hasse, „Sehnsucht nach dem Ende“, Leiden, Mädchen, Tochter, Söhnen, „Hast du mich noch lieb?“, Toter Markt, „Wenn ihrem Kind etwas Schlimmes passiert“ (Werbeanzeige mit Bild von Kindern) Wunsch und Wirklichkeit, „Das Leben ist voller Höhen und Tiefen“ (Werbeanzeige), Eltern, Kind, Eltern, Schüler, Tochter, „Kind wird Junge und Mädchen“, Jugend, „Irgendwas kippt gerade“, „Wie behandeln die Deutschen Fremde?“, Verbotenen, Anmerk. jetzt folgt Hitler und Stalin Teil: Bestie, Unmensch, Gemetzel, Sohn, tobt, brüllt, grauenhafte, Kampf an mehreren Fronten, Anmerk. Ende Hitler und Stalin Teil, flüchten, bedroht, Angriff, „Kränkelnde Tochter“, gedroht, Pleite-Macher, Explosive Schlamperei, Verdächtige Millionen, Tödliche Spritze?, „Die Frau ist ein Grund zur Sorge“, „Geld und Truppen“, „Bunker und Kämpfer werden zerrissen“, „Man spürt den Wahnsinn jeden Tag“, Tiefgang, Tod, sterben, „Von Krämpfen geschüttelt, „Wir wollen keine Rache“, „Wie eine Tochter“, Verletzter, „um ihre Jungen kämpft“, „Die verlorenen Töchter“, Mädchen, Eltern, „Bedrohung für ihre Kinder“, Kind, Hauen oder stechen, Mädchen, „Rendite oder Leben“, „Das Drama im Kinderzimmer“, bedrohlich, unberechenbar, „Die Falschen und die Richtigen“, „Das wahre Gesicht der Volksrepublik zeigen“, „Angst ist spürbar“, „Gefährliches Gift“, Jugendsünden, Kindern

Montag, 14. November 2011

Erich Fromms: Anatomie der menschlichen Destruktivität

Erich Fromm hat Anfang der 70er Jahre seine berühmte Schrift „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ veröffentlicht. Das Buch hatte ich schon lange im Keller und habe es kürzlich durchgesehen.

Treffend finde ich Fromms Einsicht, dass menschliche Destruktivität und Grausamkeit nicht angeboren ist, sondern durch die Umwelt hervorgerufen wird. Das Herz seiner Analyse sind erstens seine anthropologischen Studien, zweitens seine Kategorisierungen von destruktiven Verhaltensweisen und vor allem drittens seine Studien zu Adolf Hitler, Stalin und Himmler. Kritisch betrachten möchte ich vor allem den dritten Part.

Sadismus wird nach Fromm (bzgl. der Ursachen bezogen auf die soziale Umwelt) nur verschwinden, „wenn die ausbeuterische Herrschaft einer Klasse, des einen Geschlechts oder einer Minderheitengruppe beseitigt ist.“ (Fromm, 1986, S. 335) Dazu kommen: „Individuelle Faktoren, die dem Sadismus Vorschub leisten, sind all jene Bedingungen, die dem Kind oder dem Erwachsenen ein Gefühl der Leere und Ohnmacht geben (ein nicht sadistisches Kind kann zu einem sadistischen Jugendlichen oder Erwachsenen werden, wenn neue Umstände eintreten). Zu jenen Bedingungen gehören solche, die Angst hervorrufen, wie zum Beispiel „diktatorische“ Bestrafung. Hiermit meine ich eine Art der Bestrafung, deren Intensität nicht streng begrenzt ist, die nicht in einem angemessenen Verhältnis zu einem speziellen Verhalten steht, sondern willkürlich vom Sadismus des Bestrafenden genährt und von einem angsterregenden Intensität ist. Je nach Temperament des Kindes kann die Angst vor Strafe zu einem beherrschenden Motiv in seinem Leben werden, sein Integritätsgefühl kann langsam zusammenbrechen, seine Selbstachtung kann abnehmen, und es kann sich so oft verraten fühlen, dass es sein Identitätsgefühl verliert und nicht mehr „es selbst“ ist. Die andere Bedingung, die zu einem Gefühl vitaler Machtlosigkeit führt, ist eine Situation psychischer Verarmung. Wenn keine Stimulation vorhanden ist, nichts, was die Fähigkeit des Kindes weckt, wenn es in einer Atmosphäre der Stumpfheit und Freudlosigkeit lebt, dann erfriert ein Kind innerlich. Es gibt dann nichts, worin es einen Eindruck hinterlassen könnte, niemand, der ihm antwortet oder ihm auch nur zuhört, und es wird von einem Gefühl der Ohnmacht erfasst. Ein solches Gefühl der Machtlosigkeit muss nicht unbedingt zur Bildung eines sadistischen Charakters führen; ob es dazu kommt oder nicht, hängst von vielen anderen Faktoren ab. Es ist jedoch eine der Hauptursachen, die zur Entwicklung des Sadismus sowohl auf individueller als auch auf sozialer Ebene beitragen.“ (ebd., S. 336f)

Dies ist die zentralste und deutlichste Textstelle in seinem Werk bzgl. des Einflusses von Kindheit. Danach muss man schon mehr mit der Lupe nach annähernd ähnlichen Textstellen suchen, obwohl Gewalt gegen Kinder und deren Vernachlässigung – wie er oben selbst sagte – die Hauptursache für die Entstehung von Sadismus darstellt. Das verwundert doch sehr. Bzgl. Stalin geht er dann gar nicht auf dessen Kindheit ein, sondern beschreibt rein dessen Sadismus und das „Wesen des Sadismus“. Bei Heinrich Himmler geht er schon mehr in diese Richtung und beschreibt kurz dessen schwachen, autoritären Vater und mehr noch die ihren Sohn in emotionaler Abhängigkeit haltende Mutter, ihre „primitive Liebe“ zu ihm und ihr Handeln, das sein Wachstum blockierte. Am erstaunlichsten ist seine Studie über Adolf Hitler, die auch die ausführlichste von allen dreien ist. Fromm schreibt:

Der Charakter der Eltern und nicht dieses oder jenes einzelne Erlebnis übt den stärksten Einfluss auf ein Kind aus. Für jemand, der an die stark vereinfachende Formel glaubt, dass die schlechte Entwicklung eines Kindes etwas der „Schlechtigkeit“ seiner Eltern proportional ist, bietet die Untersuchung des Charakters von Hitlers Eltern eine Überraschung, denn – soweit aus den uns bekannten Daten zu ersehen ist – waren sowohl sein Vater als auch seine Mutter stabile, wohlmeinende und nicht destruktive Leute. Hitler Mutter Klara scheint eine gut angepasste, sympathische Frau gewesen zu sein. (…) Man hat Alois Hitler gelegentlich als einen brutalen Tyrannen beschrieben – vermutlich deshalb, weil dies eine einfache Erklärung für den Charakter seines Sohnes wäre. Er war aber kein Tyrann, sondern nur ein autoritärer Mensch, der an Pflicht und Verantwortungsgefühl glaubte und der Ansicht war, dass es seine Aufgabe war, das Leben seines Sohnes zu bestimmen, bis dieser mündig war. Soweit bekannt, hat er ihn nie geschlagen. (…) Wie ist es zu erklären, dass diese beiden wohlmeinenden, stabilen, normalen und nicht destruktiven Menschen das spätere „Ungeheuer“ Adolf Hitler zur Welt brachten?“ (ebd., S. 417ff)
Danach beschreibt Erich Fromm auf mehreren Seiten ausführlich Hitlers Lebensweg, den er in seiner Gesamtheit und auch in Anbetracht der Einflüsse durch seine Umwelt für besonders wichtig hält. Entgegen seinen anfänglichen Ausführungen, ließt sich aus seinen weiteren, einleitenden Beschreibungen über Hitlers Beziehung zu seiner Mutter eine tiefe Störungen heraus. Zusammenfassend schreibt Fromm: Man kann sagen, „dass Hitlers Mutter für ihn nie zu einer Person geworden ist, zu der er eine liebevolle oder zärtliche Zuneigung empfand. Sie war für ihn Symbol der beschützenden und zu bewundernden Göttin, aber auch die Göttin des Todes und des Chaos.“ (ebd., S. 425)
Ich finde viele Gedankengänge und (auch andere) Arbeiten von Erich Fromm wichtig. Seine Arbeit über die „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ führt allerding weitläufig in die Leere. Obwohl er selbst Hinweise auf den tyrannischen Charakter von Hitlers Vater wahrgenommen hat und eine gestörte Mutterbeziehung beschreibt, sind beide Eltern für ihn „stabile, wohlmeinende und nicht destruktive Leute“. Er schließt insofern einen großen Einfluss durch Gewalt und Destruktivität seitens dieser Eltern auf das Kind Adolf Hitler aus. Seine weitere Analyse muss insofern scheitern, vor allem wird dies auch deutlich, wenn wir uns die heutige Datenlage bzgl. der familiären Gewalt in der Familie Hitler ansehen. (diesen kritischen Textteil habe ich mit in den Grundlagentext über Hitler aufgenommen)

Entsprechend der Zwiespältigkeit seiner Analyse (Motto: „Destruktive Kindheit ist enorm wichtig, aber reden wir bloß nicht zu viel darüber“) lässt er auch in seinem Epilog mit dem Titel „Über die Zwiespältigkeit der Hoffnung“ die Kindheit komplett außen vor. Wachsende Produktivität, Arbeitsteilung, Bildung von Überschuss, Errichtung von Staaten, Eliten und Hierarchie, sprich die moderne Zivilisation wird von ihm scharf kritisiert und als die Wurzel menschlicher Destruktivität dargestellt (passend dazu auch sein Werk „Haben oder Sein"). Gegenwärtige sozioökonomische Bedingungen seinen zu hinterfragen und zu ersetzen. Neue Werte müssten her und unser persönliches Verhalten müsste sich ändern. Kein Wort davon, Kinder vor Gewalt und Vernachlässigung zu schützen, diese zusätzlich durch Kita und Schule anzuregen und zu fördern.

Man muss sicher auch sehen, dass Anfang der 70er Jahre Gewalt gegen Kinder noch nicht all zu sehr Thema war und viele Studien fehlten. Erich Fromm war aber ein weitsichtiger Mensch, trotzdem blendete er – entgegen seiner beiläufig erwähnten Erkenntnisse – das Thema Kindheit weitläufig aus. Das ist etwas, was mir immer wieder begegnet, auch durch Psychologen. Alles in allem wird die Lektüre von Fromms Werk keine großen Erkenntnisse bringen. Einfach auf Grund dieser gewissen Blindheit bzgl. dem Leid der Kinder und dem Focus auf die "böse" moderne Zivilisation und die gute und nicht destruktive Gesellschaftsform, die er bei manchen primitiven Stämmen meinte erkannt zu haben.

Quelle: Fromm, E. 1986: Anatomie der menschlichen Destruktivität. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek. (Erstveröffentlichung 1973)

Samstag, 11. Juni 2011

Gruppenfantasien: Nach dem Feind im Essen jetzt "Bruder Todfeind".

Fast drei Wochen lang verfielen große Teile der Nation in panische Angst vor „dem Feind im Essen“ (siehe die beiden letzten Beiträge von mir).

Die psychohistorische Forschung weist immer wieder auf (wörtliche und echte) Bilder in den Medien hin, die Rückschlüsse auf aktuelle Gruppenfantasien zulassen.
Im letzten Beitrag hatte ich bereits meine Auffassung darüber dargelegt, dass Deutschland aktuell auf der Suche nach einem Feind ist. Lloyd deMause hat in seinen Arbeiten darauf hingewiesen, dass die Feindessuche (aber auch Kriege) vor allem auch in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums beginnt. Derzeit befinden wir uns in so einer ökonomischen Wachstumsphase. Nach deMause drohen in Zeiten von Wachstum und Wohlstand furchteinflößende (psychisch abgespaltene) Erinnerungen aus der Kindheit zurück ins Bewusstsein zu drängen. Diese Erinnerungen müssen abgewehrt werden. Z.B. durch Selbstzerstörung (auch ökonomischer Art) oder durch äußere Feinde.

Der SPIEGEL hat nach seinem letzten Titelthema „Der Feind im Essen“ mit der jetzt neuen Ausgabe noch mal in eine sehr interessante Richtung nachgelegt. „Bruder Todfeind“ lautet der Titel, womit gleich in zwei Ausgaben hintereinander das Wort „Feind“ groß im Titel zu lesen ist. Zu sehen sind die „Brüder“ Hitler und Stalin, beide Körper überlappen sich im Bild (gehören also irgendwie zusammen), allerdings stehen sie quasi Rücken an Rücken (ineinander), die Köpfe schauen jeweils in die entgegengesetzte Richtung. Solche und ähnliche Bilder gibt es immer wieder auch von einzelnen Führungspersonen, siehe z.B. ein Bild von Präsident Bush: Diese Bilder wie auch das aktuelle SPIGEL Titelbild geben Hinweise darauf, dass emotionale Prozesse in Gange sind, die etwas mit dem psychischen Phänomen der Abspaltung zu tun haben. Dass solche Bilder ihren Weg in die großen Medien finden, verwundert insofern nicht, wenn man darum weiß, dass NICHT geschlagene und vernachlässigte Kinder auch in Deutschland nicht die Regeln, sondern die Ausnahme sind. Insofern mussten die meisten heutigen Erwachsenen in ihrer Kindheit mal mehr mal weniger schwere Gewalterfahrungen und entsprechende Gefühle abspalten. Diese abgespaltenen Teile der Einzelnen können sich in bestimmten gesellschaftlichen Phasen zu einer Gruppenfantasie zusammenfinden und ihren Ausdruck auf der gesellschaftlichen Bühne finden.
Der Titel "Bruder Todfeind" hat zudem etwas mit Hassliebe zu tun. Gefühle von Hassliebe sind typisch für misshandelte Kinder, die ihre Eltern natürlich lieben wollen und auf eine Art auch lieben müssen, um psychisch zu überleben und auf der anderen Seite ihre Eltern abgrundtief für das hassen, was sie ihnen an Gewalt und Entbehrungen antun, diesen Hass aber nicht zeigen dürfen.

Ich bin davon überzeugt, dass wir aktuell eine starke Phase vorfinden, was solche Gruppenfantasien angeht. Auch in anderen Kontexten als EHEC sind die deutschen Medien seit einiger Zeit merkbar mit Angst- und Kriegswörtern überhäuft. Da Deutschland auf Grund seiner Entwicklung allerding eher unwahrscheinlich einen äußeren Feind finden und bekämpfen wird, ist mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass sich der unterdrückte Hass und die Angst wieder nach innen richten wird. Denkbar wäre z.B. ein Promineter oder ein Politiker, den man öffentlich fertig machen und opfern kann. Auch bestimmte Gruppen wie Ausländer oder sozial Schwache könnten potentielle Opfer sein. Dazu kommen Möglichkeiten, die ökonomische Entwicklung zu stoppen und ökonomische "Opfer" zu bringen. Entsprechend werde ich die Entwicklungen der nächsten Wochen und Monate aufmerksam verfolgen.

Übrigens: Wenn man auch darum weiß, dass die Kindheiten der beiden "Brüder" Stalin und Hitler erhebliche Parallelen aufweisen, ist der aktuelle SPIEGEL Titel auf eine Art in der Tiefe noch mal aufschlussreicher.

Montag, 21. Februar 2011

Wikipedia Analyse über die Darstellungen der Kindheiten von Diktatoren und destruktiven Politikern

Derzeit befasse ich mich - wie im vorherigen Beitrag erwähnt - damit, wie weit psychohistorische Thesen online verbreitet sind. Dazu gehört für mich auch die Sicht auf die jeweilige Kindheitsanalyse von Diktatoren und destruktive Politiker. Wer einen Namen wie „Adolf Hitler“ oder „Stalin“ bei Googel eingibt, erhält als erste Treffer meist die Darstellung der Person bei Wikipedia. Jeder, der sich für diese Person interessiert, erhält erste Informationen also über dieses Webportal. Zudem sind die Texte Gemeinschaftsprojekte und geben somit ein Bild davon ab, wie weit bestimmte Dinge allgemein bekannt sind oder sich auf den Wiki-Seiten überhaupt durchsetzen lassen oder ggf. auf Widerstand stoßen und wieder gelöscht werden. Für mich macht es also Sinn, mal nachzuschauen, wie viel dort über die Kindheit und die entsprechenden Gewalterfahrungen inkl. möglicher Folgen über die Personen berichtet wird, die ich hier in meinem Blog bereits analysiert habe (siehe Grundlagentext und extra Bill Clinton und Tony Blair). Denn nur, wenn die gewaltvollen Kindheiten dieser Personen überhaupt bekannt sind, werden auch psychohistorische Thesen mehr von Interesse.

Von 17 Diktatoren/politischen Führern, bei denen ich erhebliche Gewaltverhältnisse/Vernachlässigung in der Kindheit nachgewiesen habe, wird bei Wikipedia nur bei 6 von ihnen auf die destruktive Kindheit hingewiesen oder diese angedeutet. Von diesen 6 beinhaltet wiederum nur die Wiki-Darstellung von Adolf Hitler auch eine direkte Verknüpfung zu den psychischen Folgeschäden seiner Kindheit und somit auch zu seinem späteren politischen Handeln. Bei den anderen 5 wurden Gewalterfahrungen nur kurz mit einem Satz oder einzelnen Wörtern erwähnt, ohne auf mögliche Auswirkungen einzugehen.


Personen, bei denen Gewalterfahrungen/destruktive Kindheitserfahrungen erwähnt wurden:

Adolf Hitler:
Relativ viel über Herkunft und Familie. Erwähnung der Gewalt durch den Vater: „In Mein Kampf schildert Hitler den Vater als streng, autoritär, mitunter auch jähzornig und gewalttätig.“ Besonders auffällig ist ein relativ langer Absatz über Arno Gruens Analyse der destruktiven Eltern-Kind-Beziehung Hitlers und Thesen über die psychischen Folgeschäden. Diese Darstellungen sind meiner Erinnerung nach relativ neu, auf Wikipedia, noch vor über einem Jahr fand ich dort keine Erwähnung von Gruens Thesen. Diese Wikipedia Darstellung eines Diktators/politischen Führers ist somit die einzige, bezogen auf die hier analysierten Personen, in der direkt auf die Folgen der erlebten Gewalt hingewiesen wird und somit auch ein direkter Bezug zum späteren politischen Handeln hergestellt wird.

Stalin:
Kurzer Bericht über gewalttätigen Vater und dessen Alkoholismus. Kein Bericht über Gewalt durch die Mutter.

Wilhelm II.:
Andeutungen, dass seine Mutter ihn nicht akzeptierte; erwähnt werden kurz und beispielhaft die Maßnahmen, zur Behandlung seines Armes; Erwähnung, dass er seine Kindheit als „unglücklich“ empfand.

Ludwig XIII.:
Einziges Wiki-Zitat: „Das empfindsame Kind litt unter der strengen, durch Schläge geprägten Erziehung und der Trennung vom vergötterten Vater.“

Friedrich II. (Preußen):
Bericht über „strenge, autoritär und religiös geprägte Erziehung“ und über „Brutale körperliche und seelische Züchtigungen“, außerdem extra Kapitel über Konflikte mit dem Vater. Insofern ist diese Darstellung im Vergleich zu den anderen schon etwas herausragend.

Bill Clinton:
Einziges Wiki-Zitat: „Mit 14 Jahren nahm Clinton den Namen seines Stiefvaters an, den er selbst als Spieler und Alkoholiker bezeichnete und dem er überdies unterstellte, regelmäßig seine Mutter und gelegentlich auch seinen Bruder misshandelt zu haben“, kein Hinweis darauf, dass auch Clinton Opfer dieser Gewalt wurde.


Kein Bericht über Gewalterfahrungen und nichts oder fast nichts über Kindheit fand ich bei folgenden Personen:

Benito Mussolini

Francisco Franco

Nicolae Ceaușescu

Napoleon Bonaparte

Mao Zedong

Slobodan Milošević (außer vom Selbstmord des Vaters und Mutter erfährt man nichts über die Kindheit und Gewalt.)

Saddam Hussein (Erwähnung der versuchten Abtreibung durch seine Mutter, ansonsten kein Bericht über Gewalt und fast nichts über Kindheit.)

George W. Bush

George H. W. Bush

Ronald Reagan

Tony Blair

Montag, 19. März 2012

Berühmte Leute und ihre schrecklichen Eltern

Jörg Zittlau hat 2010 das Buch „Sie meinten's herzlich gut: Berühmte Leute und ihre schrecklichen Eltern.“ herausgebracht. Er beschreibt darin die Kindheiten diverser Persönlichkeiten wie z.B. Michael Jackson, Elizabeth Taylor, Martin Luther, Salvador Dali, aber auch von politischen Größen wie Hitler, Stalin, Friedrich dem Großen und John F. Kennedy. Persönlich sehr interessant fand ich die Schilderungen über die Kindheit von Andre Agassi, der einen ähnlichen Vater (Erfolg, Erfolg, Erfolg von der Wiege an, ansonsten zählte nichts) hatte, wie Steffi Graf, mit der er verheiratet ist. Spannend fand ich auch, dass mein persönlicher Eindruck bestätigt wurde. Elizabeth Taylor z.B. wirkte auf mich stets wie eine Maske, ein falsches Selbst, so man will, unecht, künstlich, unglücklich. Wenn man darum weiß, dass sie eigentlich nie Schauspielerin werden wollte und ihre dominante Mutter ihr alles von Klein auf aufzwang, sie geradezu drillte, Elizabeth gar keine Kindheit hatte, jeder Widerspruch mit Liebensentzug und eisigem Schweigen bestraft wurde (auch über Tage und Wochen) dann wird vieles klarer.

Das Buch ist eher journalistisch angelegt. Was mich persönlich am meisten beeindruckt hat ist die Lockerheit des Autors bei dem Thema. Er beschreibt die Kindheiten seiner Protagonisten als Grundlage für deren späteres Leben und Verhalten, ohne jede Scheuklappe. Stalin, Hitler oder auch Alexander der Große…ja na logisch, deren Kindheiten waren eine Katastrophe, was auch sonst.

Diese Lockerheit im Umgang (die persönliche Befindlichkeiten außen vor lässt) mit dem Thema wünsche ich mir viel mehr für die Zukunft. Solche Bücher zeigen den Weg (auch wenn ich den Titel anders gewählt hätte).

Dienstag, 27. Oktober 2009

Kurzer Rückblick: Erfahrungen und Erkenntnisse

Der Text über die Gewalt gegen Kinder in Entwicklungsländern hat mir erneut etwas deutlich gemacht. Seit dem Jahr 2003 recherchiere ich mal mehr mal weniger zum Thema Kriegsursachen. Es verhielt sich dabei eigentlich immer so, dass sich die Verbindungslinie zur Kindesmisshandlung immer offener zeigte, je mehr Informationen ich zusammentrug. Es ging eigentlich nie in die andere Richtung. Dabei war ich oft gar nicht all zu voreingenommen. Beispielsweise bzgl. dem Diktator Saddam Hussein vermutete ich vor meinen Recherchen zwar ein hohes Ausmaß an Gewalterfahrungen in dessen Kindheit. Was ich fand übertraf allerdings meine Erwartungen. Ähnlich ging es mir bei George W. Bush. Ich hätte damals nie damit gerechnet, dass ein J. A. Frank gleich ein ganzen Buch über die besagten Zusammenhänge über ihn schrieb: „Bush auf der Couch. Wie denkt und fühlt George W. Bush? „ In dem erhebliche traumatische Erfahrungen in seiner Kindheit aufgezeigt werden. Ein wichtiges Buch, das leider – so weit ich es wahrnehmen konnte – in der Öffentlichkeit kaum Beachtung fand.
Nie fand ich in der Kindheit von Diktatoren oder demokratischen Kriegstreibern eine Kindheit, die von Liebe, Wärme, Respekt und Freiheit bestimmt war. Immer war es das glatte Gegenteil, fand ich geschlagene und vernachlässigte Kinder, so dass es schon fast ein Wunder ist, dass da bisher so wenig hingeschaut wird.

Sehr erstaunt haben mich auch ausführliche und hintergründige Texte von Alenka Puha (z.B. dieser), die über die unglaublich lange Tradition der schweren Kindesmisshandlung und des Kindesmissbrauchs im ehemaligen Jugoslawien schrieb und die einen direkten Zusammenhang zum Bürgerkrieg zog. Wenn man die Texte gelesen hat, fällt es wirklich schwer zu sehen, dass diese Texte in der Analyse des Balkankrieges überhaupt keine Rolle in den Medien und auch der Politikwissenschaft gespielt haben. Eigentlich kaum zu fassen.

Und dann gab es immer wieder Biografen, deren Bücher ich las und die die Kindheit von Diktatoren beschönigten und/oder nicht richtig hinsahen. Ich habe das im Grundlagentext insbesondere an dem Buch über Stalin von dem Biografen Bullock festgemacht. Weitere Recherchen ergaben erneut ein Bild von einer Kindheit, in der Stalin kein helfender Zeuge zur Seite stand und in der er von beiden Elternteilen misshandelt wurde, während Bullock von einer „liebevollen Mutterbeziehung“ schrieb.

Kurz nach dem Beginn der israelischen Militäroperation „gegossenes Blei“ schrieb ich etwas über die Kindheit in Israel und die Kindheit in Palästina und versuchte dort Erklärungen für diesen Dauerkonflikt zu finden. Bzgl. Palästina hatte ich nicht viele Daten gefunden, nur Andeutungen von mittelalterlichen Erziehungspraktiken und eine Studie, die hohe Raten von sexuellem Missbrauch nachwies. In dem kürzlich erschienen UNICEF Report las ich dann, dass Palästina an der Spitze der untersuchten Länder stand: Hier erlebten nur 5 % der Kinder keine Gewalt! Erneut eine Bestätigung dafür, dass Frieden nicht möglich ist, wenn Kinder in diesem Ausmaß misshandelt werden.
(Es verwundert übrigens nicht, dass der UNICEF Report auch für Vietnam sehr hohe Gewaltraten gegen Kinder feststellte.)

Die Beispiele ließen sich fortführen.

Ich bin an einem Punkt, wo eigentlich weitere Forschung beginnen müsste. Forschung über die Lücken. Dafür bin ich allerdings weder ausgebildet noch habe ich Zeit und Möglichkeiten dafür. Ich denke an eine ausführliche Analyse dessen, was Kindheit in Ländern wie z.B. Ruanda, Sudan, Kambodscha, Kongo usw. bedeutete, bevor das Blutvergießen begann. Ich bin mir sicher, dass man hier mit einem geschulten Auge schnell fündig werden würde. Und umgekehrt wird man in Ländern, die einen komplexes soziales Netz entwickelt haben, die für friedlichen ökonomischen und kulturellen Austausch und für dauerhaften Frieden stehen, sehr wahrscheinlich eine Bevölkerungsstruktur vorfinden, in der keine Mehrheit schwer misshandelt und missbraucht wurde.

Dabei ist es nur eine menschliche Logik, dass Gewaltverhalten gerade auch in Form von Krieg einen tieferen (emotionalen) Hintergrund haben muss. Man braucht nicht unzählige Studien, um dies nachzuweisen. Jedem klar fühlenden und denkenden Menschen muss im Grunde bewusst sein, dass z.B. eine ökonomische Krise nicht in erster Linie für so etwas wie den Holocaust verantwortlich sein kann. Wenn ich aber Morgen in aller Öffentlichkeit losgehen würde und rufe: „Die extreme Gewalt gegen Kinder hat in der deutschen Geschichte für Leid gesorgt, insbesondere entstanden dadurch Kriege und Massenmord!“ Dann werde ich wohl i.d.R. für verrückt erklärt werden. Laufe ich los und rufe: „Die Wirtschaftskrise war schuld an all dem!“ dann wird keiner ein Problem haben. Es ist schon verrückt…

Freitag, 12. Oktober 2018

Mein Buch ist fertig!


Mein ursprünglicher Plan war, dies mit dem 400. Blogbeitrag (was ich irgendwie nett gefunden hätte) hier anzukündigen und dann gleich auch auf eine Bestellmöglichkeit als selbstveröffentlichtes E-Book hinzuweisen. Nun hat sich allerdings ein Verlag gefunden, der das Buch veröffentlichen wird, was mich sehr freut. Die Veröffentlichung über einen Verlag bedeutet für mich, dass das Buch zitierfähiger wird, aber auch breitere und professionelle Werbemöglichkeiten über klassische Verlagswege hinzukommen. Außerdem muss ich mich nicht mit dem Layout herumschlagen.

Der Nachteil ist für den Moment, dass die Veröffentlichung wohl noch etwas dauern wird (vermutlich wird es im Februar 2019 veröffentlicht werden). Daher möchte ich jetzt doch in diesem 400. Beitrag bereits das Buch vorankündigen.

Titel und Untertitel sowie das Inhaltsverzeichnis möchte ich allerdings noch nicht verraten, auch, weil evtl. noch kleine Änderungen durch den Verlag kommen könnten. Allerdings kann ich ausführen, was ich im Wesentlichen geschrieben habe und was vor allem Neu im Vergleich zu den Texten im Blog und zu meinem Text „Als Kind geliebte Menschen fangen keine Kriege an“ ist.

Zunächst: Das Buch wird sehr umfangreich werden. Im DIN A4 Format komme ich auf über 400 Seiten (inkl. Literaturverzeichnis und Fußnoten). Im Buchformat dürften es entsprechend noch mehr Seiten werden.  Der Grundstil ist wissenschaftlich orientiert, aber das Ganze lesefreundlich und so einfach wie möglich (ich mag zwar wissenschaftliche Fachbücher, aber mein Sprachstil ist nun einmal anders).

Sehr viel Raum habe ich historischen Erziehungseinstellungen, der Historie des Kinderleids an sich und auch der Gewalt in vorzivilisatorischen Gesellschaften gegeben, damit wir verstehen, wo wir eigentlich herkommen und auf welchen Grund wir heute stehen. Diese Themenfelder hatte ich im Blog bisher nur angerissen und nicht vertieft. Dazu kommt auch ein kleiner Ausflug in die Gehirnforschung, worüber ich bisher noch gar nichts geschrieben habe.

Es folgt eine sehr systematische Analyse von belastenden Kindheitserfahrungen und von Kindesmisshandlung in der Welt. Diese Analyse habe ich auf spezielle Gruppen wie (Gewalt-)Straftätern, Soldaten, Extremisten, Terroristen, politischen Führern und von Hitlers Helfern (NS-Elite + bekannte NS-Täter) gesondert ausgeweitet. Die Quellen und verwendeten Studien für die Analysen sind deutlich breiter und vertiefender, als das, was ich bisher im Blog geschrieben habe. Auch die Anzahl an Einzelbiografieanalysen übertrifft deutlich das, was bisher im Blog oder in extern von mir verfassten Texten steht.

U.a. nachfolgende Personen werden bzgl. ihrer destruktiven Kindheit systematisch analysiert: 
John F. Kennedy, Lyndon B. Johnson, Ronald Reagan, George H. W. Bush, George W. Bush, Bill Clinton, Hillary Clinton, Tony Blair, Ludwig XIII., Napoleon Bonaparte, Friedrich II., Otto von Bismarck, Wilhelm II., Adolf Hitler, Benito Mussolini, Francisco Franco, Nicolae Ceauşescu, Slobodan Milosevic, Tito, Mao Zedong, Lenin, Stalin, Ivan IV., Wladimir Putin, Augusto Pinochet, Manuel Noriega, Fidel Castro, Jean-Bédel Bokassa, Saddam Hussein, Hassan II., Jassir Arafat, Recep Tayyip Erdoğan, Charles Manson, Rudolf Heß, Joseph Goebbels, Heinrich Himmler, Hermann Göring, Martin Bormann, Albert Speer, Julius Streicher, Karl Dönitz, Joachim von Ribbentrop, Hans Frank, Rudolf Höß, Josef Mengele, Adolf Eichmann, Alfred Filbert, Amon Göth, Reinhard Heydrich, Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Inge Viett, Horst Mahler, Stefan Wisniewski, Peter-Jürgen Boock, Lutz Taufer, Astrid Proll, Anders Breivik, Beate Zschäpe, Osama Bin Laden. Dazu kommen diverse Personen (Terroristen, Extremisten und Gewalttäter), die öffentlich nicht so bekannt sind. Auch werden hier und da destruktive Kindheiten im Textverlauf gestreift (z.B. von Martin Luther, Jim Jones oder von Anthony Kiedis)

Mir ist bisher kein Buch bekannt, in dem derart umfassend und systematisch destruktive Kindheiten von destruktiv (einst oder auch noch aktuell) agierenden Menschen analysiert wurden.

Die Studienlage (allgemeine Studien, Befragungen von Akteuren) bzgl. der Kindheiten von Extremisten habe ich außerdem deutlich breiter dargestellt. Ich selbst wundere mich darüber, dass es öffentlich kaum Einlassung auf diese Studien gibt. Die BKA-Studie „Die Sicht der Anderen“ wurde zwar öffentlich hier und da besprochen, aber es gibt da noch deutlich mehr Studien, die zusammengefasst öffentlich gar nicht angekommen sind. Öffentlich müsste demnach eigentlich vor allem im Angesicht von Rechtsextremismus immer auch über die Kindheit gesprochen werden. Aber es herrscht breites Schweigen.

Sehr viel Raum (ein eigenes Kapitel)  habe ich also der Frage gegeben, warum die gesammelten Dinge und Erkenntnisse im Buch zu Kindheitseinflüssen öffentlich meist ausgeschwiegen werden. Dabei habe ich auch deutlich Beispiele aus Wissenschaftskreisen benannt, wo ganz klar an den Dingen vorbeigesehen wird.

Dazu kommen weitere Kapitel, die ich nicht wirklich zusammenfassend vorstellen kann. Auf jeden Fall leuchte ich die Dinge in verschiedene Richtungen aus, erkläre, warum es nicht immer leicht ist, die Kindheitshintergründe von Einzelpersonen komplett zu ergründen, befasse mich mit gängiger Kritik an meinen und psychohistorischen Thesen und ergründe auch, wie destruktive Kindheiten und deren individuellen Folgen sich kollektiv ausdrücken und auch enorm destruktiv wirken können.

Was man in dem Buch kaum finden wird, sind dagegen ausführlich Einlassungen auf psychohistorische Modelle und die Theorie von deMause. Es würde kaum Sinn machen, diese auszubreiten und zu wiederholen. Viel mehr sehe ich mein Buch als eine Ergänzung und Stütze der Psychohistorie. Mein Buch ist vor allem durch die deutlich sozialwissenschaftliche Ausrichtung anders. Ich frage mich wirklich, warum in der Sozialwissenschaft aber auch der klassischen Geschichtswissenschaft bisher kein ähnliches Werk vorliegt? Denn die Studienlage ist enorm. Es gibt derart viele Einzelarbeiten, die die Dinge ergründet haben, dass es im Gesamtblick darauf kaum Sinn macht, nicht von enormen Einflüssen von Kindheitserfahrungen auf die Welt wie wir sie erleben und auch wie wir sie im historischen Rückblich sehen auszugehen. Und dies meine ich vor allem mit Blick auf politisches Agieren, mit Blick auf Krieg, Gewalt, Selbstzerstörung, Terror, Extremismus, politischer Verrücktheit und sozialen Schieflagen.

Viel mehr kann und will ich jetzt hier gar nicht vorwegnehmen. An dem Buch habe ich zwar ca. ein Jahr lang gearbeitet, aber im Grunde ist es das Resultat aus einer Arbeit und Recherchen, die ca. im Jahr 2002 begonnen haben.

Nun, wir werden sehen, wie es angenommen und ob es gar auch diskutiert werden wird.

Ich persönlich habe ab sofort wieder mehr Zeit. Mir schweben bereits zwei Blogbeiträge vor. Allerdings markiert mein Buch auch einen gewissen Abschluss für mich. Ich lasse die nächsten Monate einfach erst einmal auf mich zukommen und wir sehen dann, was wird.

Samstag, 25. Oktober 2008

Grusswort und Einleitung



Kurzer Nachtrag vom 18.02.2019:
Mein unten genannter Text begründete zwar diesen Blog, ist mittlerweile aber stark veraltet. Aktueller fasst mein Text "Als Kind geliebte Menschen fangen keine Kriege an: Plädoyer für einen offenen Blick auf die Kindheitsursprünge von Kriegen" oder mein Buch "Die Kindheit ist politisch! Kriege, Terror, Extremismus, Diktaturen und Gewalt als Folge destruktiver Kindheitserfahrungen" die Dinge zusammen, um die es mir geht. 


-------------------------------------------------------------------------------

Im Jahr 2003 schrieb ich an der Hamburger Universität eine Hausarbeit mit dem Titel destruktive Kindheiterfahrungen im Kontext von Krieginnerhalb eines politischen Seminars über die Kriegsursachen (um das anzusprechen, was in dem Seminar und dem entsprechendem Forschungsbereich nicht angesprochen wurde). Diese Arbeit habe ich dann in meiner Freizeit erheblich ausgearbeitet und habe sie auch im Rahmen eines Homepageprojektes im Internet veröffentlicht. Mit dem Projekt kann ich mich nicht mehr absolut identifizieren (obwohl es sehr erfolgreich war) und die Beschäftigung mit dem Thema Kindesmisshandlung an sich ist mir auch zu kraftraubend bzw. ich bin auch an einem Punkt, wo ich für mich alles über das Thema weiß, was ich wissen wollte und mit vielem auch einfach abgeschlossen habe. Der Rückzug von dem Thema und die Offline-Stellung von vielen Texten fällt mir also nicht wirklich schwer. Doch den oben genannten Text halte ich für unbedingt erhaltenswert. In ihm steckt nicht nur viel Zeit und Arbeit, mir ist es ein wichtiges Anliegen, dass sich mehr Menschen über die tieferen Ursachen von Krieg, Gewalt und destruktiver Politik Gedanken machen. Das Thema betrifft uns letztendlich alle. Es wäre also schade, wenn der Text verloren ginge.
Als sinnvolle Lösung fiel mir ein, den Text innerhalb eines Blogs aufzuteilen. Die einzelnen Kaptitel des Textes werde ich hier in Form von Themenbeiträgen veröffentlichen. Wer per Suchmaschine entsprechende Themen sucht, wird so ggf. sogar noch gezielter fündig, als wenn diese innerhalb eines Gesamttextes stehen. Der weitere große Vorteil eines Blogs ist für mich, dass Kommentare abgegeben werden. Mich interessiert natürlich die Wirkungsweise meiner Gedanken und ich bin natürlich auch an Kritik und zusätzlichen Ideen und Informationen interessiert. Was ich auch vorteilhaft finde ist, dass in einem Blog Themen mit Erstelldatum und später entsprechender Archivierung erscheinen. Dadurch wird deutlicher, in welchem Zeitraum ich mich mit was beschäftigt habe, was aktuell und was weniger aktuell ist. Die Gedanken entwickeln sich ja schließlich ständig weiter.
Dass ich hier wie in Blogs üblich, regelmäßig jeden Monat neue Beiträge veröffentliche, sehe ich nicht wirklich. Vereinzelt sicherlich, aber nicht regelmäßig. Wie gesagt, mir geht es in erster Linie um die Erhaltung des o.g. Textes.
Über entsprechende Verlinkungen auf diesen Blog freue ich mich natürlich immer! Durch die Aufgabe der alten Homepage gebe ich die entsprechende Bekanntheit und eine extrem gute Positionierung bei Googel auf und fange noch mal neu mit diesem abgerenzten Thema an.
So, ich freue mich jetzt darauf, als Neuling in die Blogger-Welt einzutreten und bin gespannt, ob das hier funktioniert und überhaupt gefunden wird.

Hier noch das ursprüngliche Inhaltsverzeichnis des Textes:

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
2. Historische und aktuelle Dimensionen der Gewalt gegen Kinder
3. Kindheitserfahrungen und Psychopathologie der Machthaber als Wurzel kriegerischer Politik
3.1. Ein kurzer Abriss über Wilhelm II, Ludwig XIII., Napoleon Bonaparte, Benito Mussolini, Mao Tse-tung, Nero, Slobodan Milosevic, Saddam Hussein, Ronald Reagan, George H. W. Bush und George W. Bush.
3.2 Paradebeispiel: Adolf Hitler im Schatten seiner Kindheitserfahrungen
3.3. Stalin: Ein Diktator, der einst als Kind „zu Stahl geschlagen wurde“
4. Die Soldaten: Gewalt und Gehorsamsforderung in der Familie ist das Fundament für das Militär und kriegerische Ziele
5. Die „offizielle“ Traumatisierung durch die militärische Ausbildung ähnelt der häuslichen Traumatisierung von Kindern
6. Das einst misshandelte Volk identifiziert sich mit dem Aggressor
7. Das Gesicht des Krieges ist männlich, aber der Frieden ist nicht weiblich
8. Der Krieg, die nachfolgenden Generationen und „Der Kreislauf der Gewalt“
8.1 (demoralisierte) Soldaten und ihre Familien
8.2 Nazi-Täter und ihre Familien
8.3 Die Kriegskinder
8.4 Extrembeispiel: Die Kinder von Holocaust-Überlebenden
9. Der gesellschaftstheoretische „Hamburger Ansatz“ der Kriegsursachenforschung und die fehlende Verknüpfung mit der Psychoanalyse
10. Fazit
Nachwort
Literaturliste

Montag, 27. Oktober 2008

3.1. Die Kindheit von Diktatoren und destruktiven Politikern

3.1. Die Kindheit von Diktatoren und destruktiven Politikern: Wilhelm II, Ludwig XIII., Friedrich II., Napoleon Bonaparte, Benito Mussolini, Francisco Franco, Nicolae Ceauşescu, Mao Zedong, Nero, Slobodan Milosevic, Saddam Hussein, Ronald Reagan, George H. W. Bush und George W. Bush.
 
Die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren sagte in ihrer Rede „Niemals Gewalt“ im Jahr 1978 bei der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels: „(...) In keinem neugeborenen Kind schlummert ein Samenkorn, aus dem zwangsläufig Gutes oder Böses sprießt. Ob ein Kind zu einem warmherzigen, offenen und vertrauensvollen Menschen mit Sinn für das Gemeinwohl heranwächst oder aber zu einem gefühlskalten, destruktiven, egoistischen Menschen, das entscheiden die, denen das Kind in dieser Welt anvertraut ist, je nachdem, ob sie ihm zeigen, was Liebe ist, oder aber dies nicht tun. (...) Wie aber war denn nun die Kindheit aller dieser wirklich "verdorbenen Knaben", von denen es zurzeit so viele auf der Welt gibt, dieser Diktatoren, Tyrannen und Unterdrücker, dieser Menschenschinder? Dem sollte man einmal nachgehen. Ich bin überzeugt davon, dass wir bei den meisten von ihnen auf einen tyrannischen Erzieher stoßen würden, der mit einer Rute hinter ihnen stand, ob sie nun aus Holz war oder im Demütigen, Kränken, Bloßstellen, Angstmachen bestand. (...)“ (DIE ZEIT, 13.11.2007)

Wilhelm II – der letzte deutsche Kaiser – vertraute dem Fürsten Eulenburg einst folgendes an: „Der Kaiser erinnert sich mit Bitterkeit an die bei ihm angewandten Erziehungsmethoden, vor allem an die mangelnde Liebe der Mutter und die verfehlten Experimente seines Erziehers. »Er wollte aus mir sein Ideal eines Fürsten machen (...) So kommt es, dass ich absolut nichts empfinde, wo andere leiden (...) Es fehlt mir etwas, das andere haben. Alle Lyrik in mir ist tot.«“ (Gruen, 2002a, S. 44) Auch viele damalige Beobachter – darunter auch die eigene Mutter, Schwester und der Vater – nannten als hervorstechendes Merkmal von Wilhelms Charakter seine „eisige Herzenskälte“ und „Gefühllosigkeit“. (vgl. Röhl, 2001, S. 400) Kornbichler (2007) bezeichnet Wilhelm II als seelisch schwer gestörten Menschen, der zudem an einem starken Minderwertigkeitskomplex litt. „Beim Prinzen Wilhelm fand das statt, was die Psychoanalytiker als Identifikation mit dem Aggressor bezeichnen. Zunächst Opfer der zwangsmoralischen Disziplinierung und soldatischen Indoktrinierung seitens seiner Erzieher, identifizierte er sich nach und nach mit dieser aggressiven Lebensform; so wurde aus dem Opfer im Laufe der Jahre ein Täter.“ (Kornbichler, 2007, S. 165) Kornbichler zitiert einen Bericht, der einen Einblick in die Art der Erziehung bei Hofe gibt. Der Prinzenerzieher Hinzpeter trat im Herbst 1866 seinen Posten an, „und für den kleinen Prinzen begann jetzt – zusätzlich zu den täglichen Elektrisierungen, den gymnastischen Übungen mit der Armstreckmaschine, dem regelmäßigen Anschnallen eines aufgeschlitzten frisch geschlachteten Tieres – die denkbar härteste Erziehung durch einen Hauslehrer, der von vornherein auf die uneingeschränkte Gewalt über die Seele seines Zöglings bestanden hatte. Mit siebeneinhalb Jahren wurde Prinz Wilhelm in die erbarmungslosen Hände eines schrulligen, "spartanischen Idealisten" ohne Gemüt übergeben.“ (ebd., S.161) "Freudlos wie das Wesen dieses pedantischen und herben Mannes", erinnert sich später der Kaiser, so "freudlos die Jugendzeit". (GEOEPOCHE, 2003/04) Bei seiner Geburt war Wilhelm scheintot und hatte zudem schwere Probleme mit dem linken Arm, der kürzer war, als der rechte und lahm war. Den "unbrauchbaren Arm" hat seine Mutter ihm zeitlebens übel genommen und dem Sohn ihre Liebe entzogen. Auch der Vater, Kronprinz Friedrich, hat seine Unzufriedenheit am Sohn ausgelassen, hat ihn missachtet, ihn vor Zeugen "unreif" geschimpft und "urteilslos". (vgl. ebd.) Sein Arm war auch der "Grund" für bereits oben angedeutete Quälerein. GEOEPOCHE beschreibt weitere Details: Operationen, "Fixierungs-Gestelle", Fesselung des rechten Arms, um den linken zur Aktivität zu ermuntern und "animalische Bäder" der lahmen Extremität im Blut frisch geschlachteter Hasen. Diese Zeit - die "medizinische Behandlung" ging über 12 Jahre lang - muss für den kleinen Wilhelm der reine Horror gewesen sein. (siehe dazu auch Röhl, 2001, S. 63ff)
Wilhelms Mutter hatte – folgt man den Ausführungen von Röhl - zudem etwas überfürsorgliches und aufdringliches, forderte stets Liebe von Ihrem Sohn und deutete schon früh viele seiner Reaktionen und Verhaltensweisen als Ablehnung ihr gegenüber. Röhl schreibt an einer Stelle aufschlussreich: „Was die Kronprinzessin nicht erkennen konnte, war, dass (…) sie selbst das eigentliche Problem im psychischen Leben Wilhelms darstellte. So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte ihn, so wie er war, nicht akzeptieren. (…) Gerade weil sie so viel von ihm erwartete, hielt sie mit ihrer Kritik nicht zurück. Wilhelm aber, der diese Kritik als Ablehnung auffassen musste, stand vor der Wahl, sich selbst aufzugeben oder sich von der Mutter abzuwenden.“ (Röhl, 2001, S. 401) Wilhelm brach dann schließlich ab dem jugendlichen Alter zusehends den Kontakt zu seinen Eltern ab.
Den reinen Horror brachte Wilhelm II. seinerseits später über Europa, als er den ersten Weltkrieg entflammte. Schon früh hatte er im Militär etwas gesucht, was er als Kind nicht finden konnte: Beim 1. Garderegiment in Potsdam fand der Prinz jene "Familie", die "ich bis dahin hatte entbehren müssen". (vgl. GEOEPOCHE, 2003/04)
Nachdem Millionen Menschen getötet waren und der deutsche Kaiser im holländischen Exil machtlos seinen Lebensabend verbringen musste, kämpfte er rastlos weiter gegen alles Lebendige. "Wie besessen fällt er die Bäume im Park und sägt sie in Stücke; am 12. November 1919 erlegt er den zwölftausendsten Stamm." (ebd.)

Dass es den königlichen Kinder Europas in der Vergangenheit nicht anders erging, als den Kindern im Volk, zeigt auch das Beispiel von Ludwig XIII. (König von Frankreich), über den – nach Zenz (1981) - berichtet wird, dass er bereits im Alter von zwei Jahren regelmäßig jeden Morgen gepeitscht wurde und unter entsprechenden Folgen wie z.B. Alpträumen litt. Am Tage seiner Krönung, da war er noch ein Kind, soll er gesagt haben: „Ich würde auf so viel Huldigung und Ehre gern verzichten, wenn man mich statt dessen weniger peitschen würde.“ (Zenz, 1981, S. 37) Zudem war der kleine Ludwig – obwohl über ein Dutzend Kindermädchen und Pflegepersonal mit seiner Obsorge beauftragt gewesen waren – regelmäßig unterernährt, manchmal sogar dem Tode nahe. (vgl. deMause, 2005, S. 231) Den für die Pflege Zuständigen fehlte offensichtlich das Einfühlungsvermögen, um das Kind ausreichend zu ernähren.
Die ersten Lebensjahre von Ludwig XIII. waren zusätzlich von einer Fülle sexueller Übergriffe und Grenzüberschreitungen begleitet. Er ist noch kein Jahr alt, dokumentiert Philippe Aries, als seine Kinderfrau ihn masturbiert. (vgl. Aries, 1981, S.175) Als er ein Jahr alt ist, wird sein Penis von allen möglichen Leuten „geküsst“. „Während der ersten drei Jahre seine Lebens findet niemand etwas dabei, zum Scherz das Geschlechtsteil dieses Kindes zu berühren.“ (ebd., S. 176) Seine Amme fasst ihn – so Aries - ebenso an, wie die Dienerschaft, „einfältige Jugendliche“, „leichtlebige Frauen“, die eigene Mutter und auch der Vater. Dazu kommen perverse Drohungen (zum „Scherz“). „Seine Amme hatte ihm eingeschärft: Monsieur, lassen Sie nur niemanden Ihre Hoden anrühren, auch ihren Piephahn nicht, sonst wird er Ihnen abgeschnitten.“ (ebd.) Der kleine Ludwig wurde auch zusammen mit seiner Schwester nackt zum König – seinem Vater – ins Bett gelegt, „wo sie sich küssen, miteinander flüstern und dem König großes Vergnügen bereiten.“ Als er vier Jahre alt ist, ist – in Worten von Aries - „seine sexuelle Aufklärung so gut wie abgeschlossen.“ Ab dem Alter von fünf oder sechs Jahren nahmen diese Übergriffe dann ab. Seine eigentliche Erziehung begann kaum vor dem siebten Lebensjahr. Davor – so scheint es – war er freigegeben für alle erdenklichen „sexuellen Scherze“ und Übergriffe, jeder konnte mit ihm tun, was er oder sie wollte. Ab dem Alter von sieben Jahren galt er als kleiner Mann und man ließ von ihm ab. Ludwig selbst entwickelte in dieser Zeit bereits sadistische Züge. So z.B. bzgl. dem Umgang mit seiner Amme. „Er treibt seine Späße mit ihr, lässt sie die Zehen bewegen, die Beine hochheben, sagt seiner Amme, sie solle Ruten holen, um sie durchzuhauen, lässt diesen Auftrag ausführen (…)“ (ebd., S. 177) Ludwig ist etwas über vierzehn Jahre alt, da drängte man ihn nahezu gewaltsam ins Bett seiner ihm versprochenen Frau. Nach der Trauungzeremonie musste er in Gegenwart der eigenen Mutter mit seiner Frau schlafen. Ludwig XIII. wurde als Kind ganz eindeutig schwer sexuell missbraucht und traumatisiert.
Die spätere Regierung Ludwigs XIII. war ein repressives und blutiges Regime. Er kannte keine Zweifel oder Skrupel bei der Durchsetzung seiner Ziele. Jeder Widerstand, egal welcher Art, wurde brutal niedergeschlagen. (vgl. Cremer , 2006, S. 177ff) Diese harte Politik traf auch engste Berater und die eigene Mutter, die er – nachdem sie sich gegen ihn gerichtet hatte - in die Verbannung schickte. Ludwig XIII. war auch in verschiedene kriegerische Handlungen und eine Reihe von Feldzüge verwickelt. Teils ging er dabei besonders grausam vor. So z.B. Im Jahr 1629, als er nach der Kapitulation der Stadt Privas diese plündern und brandschatzen ließ; die Bevölkerung wurde teils niedergemetzelt, teils vertrieben. (vgl. ebd., S. 181)

Der Kronprinz Friedrich II. (der Große und König von Preußen, 1712 - 1786) verbrachte seine ersten vier Lebensjahre unter der Fürsorge einer Untergouvernante, über deren Erziehungsstil man nichts erfährt. Wie in damaligen hochadligen Familien üblich, überließen die leiblichen Eltern die Erziehung komplett Anderen, was im Grunde systematisch den ersten schweren Bruch mit dem Kind bedeutet. Friedrichs Mutter – Königin Sophie Dorothea – scheint kaum eine Rolle im Leben des Kronprinzen gespielt zu haben. Der Biograf Johannes Kunisch beschreibt im Grunde überhaupt keine Beziehung oder Begegnungen mit ihrem Sohn. Alles, was man dazu erfährt ist folgendes: „Ob dem Heranwachsenden in seiner Kindheit jemals mütterliche Zuwendung und Wärme zuteil geworden ist, mag (…) zweifelhaft erscheinen. Spätestens seit die dynastischen Ambitionen der Königin in Bezug auf ihre Kinder abgewiesen und enttäuscht worden waren, trat zutage, dass besonders der Kronprinz und seine Schwester Wilhelmine lediglich Werkzeuge eines machtpolitischen Kalküls waren, das ständig häusliche Konflikte und gelegentlich heftige Auseinandersetzungen heraufbeschwor (…).“ (Kunisch, 2009, S. 12)
Genauer beschrieben ist die Beziehung zum Vater – König Friedrich Wilhelm I. Dieser wird als jähzorniger, unberechenbarer, tyrannischer und aufs Militärische fixierter Vater beschrieben. Die Kindheit und Jugend Friedrichs war auf Anweisung und unter Beteiligung des Vaters von einer militärischen Erziehung mit Drill, körperlichen Züchtigungen und seelischen Verletzungen geprägt. (vgl. WDR, Planet Wissen, 01.06.2009 und Kunisch, 2009) Der junge Friedrich interessierte sich mehr für Musik, Literatur und Sprachen als für das Soldatentum, was dem Willen seines Vaters komplett entgegenlief. Heimlich spielte er Flöte, las französische Romane und lernte Latein. Wenn der Vater davon Wind bekam, setzte es Prügel, auch vor den Augen von Offizieren und Dienstboten. Einem Lehrer, der mit dem Sohn Latein übte, verabreichte der König höchst persönlich Prügel, wie Friedrich II. später selbst berichtete. Danach war der Sohn dran, der sich erschreckt durch den Wutausbruch des Vaters unter einem Tisch verkrochen hatte. Friedrich II. dazu: „Ich zitterte noch mehr; er packte mich an den Haaren, zieht mich unter dem Tisch hervor, schleppt mich so bis in die Mitte des Zimmers und versetzt mir endlich einige Ohrfeigen: "Komm mir wieder mit deiner mensa, und du wirst sehen, wie ich dir den Kopf zurechtsetze" “ (Kunisch, 2009, S. 20) Je älter der Kronprinz wurde, desto strenger und reglementierter wurde die durch den Vater angewiesene Erziehung. Aus der Jugendzeit des Kronprinzen ist eine Konfliktsituation überliefert, in der er vom Vater zunächst vor der versammelten Dienerschaft misshandelt wurde. „Dabei schrie er ihn an und gab ihm in provozierender Verächtlichkeit zu verstehen, dass er sich totgeschossen hätte, wenn er von seinem Vater so behandelt worden wäre; doch er, Friedrich, lasse sich ja alles gefallen.“ (ebd. S. 24) Hier wird der blanke Hass des Vaters deutlich, der sich wünscht, dass sein Sohn sich umbringt. Friedrich II. schrieb im Alter von Sechzehn Jahren noch einmal einen verzweifelten Brief an den Vater, in dem er den „grausamen Hass, den ich aus allem seinen (Anmerkung: des Königs) Tun genug habe wahrnehmen können“, von sich fernzuhalten hoffte. Die schriftliche Antwort des Königs beschreibt zusammenfassend die Haltung des Vaters: „Sein eigensinniger böser Kopf, der nicht seinen Vater liebet, denn wenn man nun Alles thut, absonderlich seinen Vater liebet, so thut man, was er haben will, nicht wenn er dabei steht, sondern wenn er nicht Alles sieht. (…)“ (ebd. S. 24f) Der Vater wollte eine Marionette, jeder Eigensinn sollte dem Sohn ausgetrieben werden. Friedrich versuchte sich immer mehr der Kontrolle des Vaters zu entziehen und wurde auch ein Meister darin, sich zu verstellen. Um dem jähzornigen Vater zu entkommen, beschloss der Thronfolger schließlich 1730 die Flucht. Doch die Pläne flogen auf, Friedrich wurde als Deserteur verhaftet und in Festungshaft genommen. Sein Vater verhängte die Todesstrafe über Friedrichs besten Freund, Hans Hermann von Katte, der in die Fluchtpläne eingeweiht war. Bei der Hinrichtung musste der Kronprinz zusehen. (vgl. ZDF, 11.11.2008) In der Folge beugte sich Friedrich II. nun dem Befehl seines Vaters und heiratete auf dessen Wunsch Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern, an der Friedrich keinerlei Interesse hatte. Als späterer König führte Friedrich II. häufig, ja fast ununterbrochen Krieg. Es scheint so, dass er letztendlich den Willen des Vaters komplett entsprochen wenn nicht gar noch übertroffen hat. Friedrich II. hat sich absolut mit dem Aggressor identifiziert und ist selbst zu einem unerbittlichen Aggressor und Kriegsherren geworden.
Die Geschichte von Friedrich II. hat insofern ein ganz besondere Tragik, wenn man sich die Entwicklungen vor Augen hält, die er selbst in dem Gedicht „An Jordan“ vom 10. Juni 1742 beschrieb:
"Als ich geboren ward, ward ich der Kunst geboren, (…)
Und für des Herrschers Hochmut schien dies Herz verloren,
Das voller Mitleid war und kindlich unbewußt.
Die ganze Welt war mir ein Garten duft'ger Blumen, (…)
Da riß das Schicksal mich aufs große Welttheater,
In der Tragödie »Krieg« ward mir der Heldenpart"


Die Kindheit des französischen Kaisers und Kriegsherrn Napoleon Bonaparte ist ein weiteres Lehrstück für die destruktiven Folgen erlittener Gewalt. Seine Erziehung war (traditionell auf Korsika) rein Sache der Mutter, sein Vater stand weitgehend außen vor und war eh oftmals abwesend. Napoleons Mutter strafte ihren Sohn regelmäßig mit körperlicher Gewalt. Mit welcher Willkür und Kaltherzigkeit sie ihr Kind strafte, zeigt sich deutlich an folgendem Beispiel: „Eines Abends geht sie mit einer Freundin spazieren, als sie bemerkt, dass Napoleone hinter ihnen hergeht. Erbost darüber, weil er ihnen ohne Erlaubnis nachgegangen ist, versetzt sie ihm eine so kräftige Ohrfeige, dass das Kind umfällt. Es weint und reibt sich die Augen. Sie aber kümmert sich nicht darum und setzt mit ihrer Freundin den Weg fort.“(Widl, 1992, S. 30) Widl (1992) berichtet auch kurz von psychischer Gewalt; die Mutter ignorierte ihren Sohn z.B. einmal einen ganzen Tag lang zur Strafe und warf ihm böse Blicke zu (abends wurde er dann wieder verprügelt), ein anderes mal - da war er fünf Jahre alt - gab ihn die Mutter, „um seinen wilden Sinn zu zähmen“, kurze Zeit in eine Mädchenschule, eine erneute Demütigung. Napoleon hat zeit seines Lebens seine (destruktive) Mutter stark idealisiert („Ihre Liebe zu mir ist erhaben.“), was vor dem o.g. Hintergrund für eine starke Identifikation mit dem Aggressor spricht.
Auch Johannes Willms bestätigt die körperliche Gewalt der Mutter. Er schreibt, dass entscheidend für Napoleons frühe Erziehung „das strenge Regiment der Mutter, die den früh ausgeprägten eigenen Willen ihres Zweitgeborenen durch häufige Züchtigungen zu brechen suchte“ war. (Willms, 2009, S. 13) Willms schreibt, dass die Ehe beider Eltern nicht von Liebe geprägt, sondern eine Vernuftsehe war. Letizia Ramolino – Napoleons Mutter -, gebar insgesamt dreizehn Kinder, wovon allerdings nur acht überlebten. (vgl. ebd.) Alleine dieser Tod von fünf Kindern muss einen langen Schatten auf die Familie geworfen haben. In Anbetracht des destruktiven Charakters dieser Mutter mag man an dieser Stelle spekulieren, ob der Tod einiger der Kinder vielleicht mit ihrem Verhalten in Zusammenhang stand. Der eigentlich erstgeborene Sohn starb 1765 im Jahr seiner Geburt und war auch schon auf den Namen Napoleon getauft. Das zweite Kind, ein Mädchen, starb ebenfalls im Säuglingsalter. Erst das dritte Kind, Joseph, überlebte. Der dann Zweitgeborene erhielt erneut den Namen des verstobenen ersten Kindes: Napoleon.
Im Alter von neun Jahren (!) verlässt Napoleon dann auf Wunsch der Eltern das Heim, um zur Erziehung nach Frankreich zu gehen. Im Alter von elf Jahren wurde er auf eine französische Kadettenschule geschickt. Auf Grund seiner geringen Größe und seiner korsischen Abstammung wurde er dort derart stark diskriminiert und gedemütigt, dass er eines Tages verheißungsvoll sagte: „Wartet nur, wenn ich groß bin! Alles Böse will ich dann euch Franzosen antun.“(Widl, 1992, S. 36) Auch Willms schreibt, dass für den neunjähren Napoleon nach Antritt seiner (militärischen) Schulbildung fern ab der Heimat „ein Leidensweg begann, dessen Härte er noch in der Verbannung auf Sankt Helena lebhaft beschwor.“ (Willms, 2009, S. 14)
Im Alter von vierzehn Jahren schreibt Napoleon einen verzweifelten, wohl auch die Eltern anklagenden Brief (dessen Inhalt aus der verwendeten Quelle nicht hervorgeht) aus der Militärschule. Seine Mutter antwortet ihm am 02.06.1784: (…) wenn ich jemals noch einen ähnlichen Brief von Dir erhalten sollte, werde ich mich nicht mehr mit Napoleon abgeben. Wann hast Du, junger Mensch, je gehört, dass ein Sohn, in welcher Lage er sich auch befinden möge, so an seinen Vater schreibt, wie Du es getan hast? Du kannst dem Himmel danken, dass der Vater nicht zu Hause gewesen ist. Wenn er Deinen Brief gelesen hätte, dann wäre er, nach einer solchen Beleidigung, augenblicklich nach Brienne gereist, um den frechen und strafbaren Sohn zu züchtigen. (…)“ (Pilgrim, 1990, S. 79f) Trotz der „ungehörigen Bemerkungen“ und „ausgestoßenen Drohungen“ überweist die Mutter dem Sohn Geld, der sich wohl in finanzieller, wie auch emotionaler Not befindet (wir erinnern uns, Napoleon wurde in der Militärschule schwer gedemütigt). Ihr Brief zeigt zwei Dinge. Erstens, wie schnell sie jederzeit bereit ist, ihren Sohn zu verstoßen, sobald er gegen ihren Willen agiert. Zweitens, auch der Vater, über den man sonst kaum etwas erfährt und der stets abwesend ist, scheint seine Kinder geschlagen zu haben bzw. jederzeit dazu bereit gewesen zu sein, so es denn Anlass dazu gab. Napoleon war gerade einmal 15 Jahre alt, da traf ihn der nächste Schicksalsschlag, sein Vater starb an Magenkrebs.
Schon als Kind fiel Napoleon nach Neumayr (1995) durch seine aufbrausende Art, seinen Jähzorn, seine Grobheit und bisweilen auch durch Brutalität auf. Ein ehemaliger Mitschüler Napoleons berichtet über ihn: „Immer lag etwas Bitteres in seinen Worten, sein Wesen hatte nichts Liebevolles (...).“ (Neumayr, 1995, S. 17) Schon seine Jugendjahre waren zudem geprägt von Lebensmüdigkeit und depressiven Verstimmungen „Was soll ich in der Welt? Da ich doch einmal sterben muss, könnte ich mich dann nicht jetzt schon umbringen?“ und „Das Leben ist mir zur Last, ich habe keinen Genuss, alles wird Schmerz.“ (ebd., S. 18+19) An dieser Stelle wird deutlich, wie viel Wahrheit in dem Satz „Glückliche Menschen fangen keine Kriege an.“ (deMause, 2005, S. 109) steckt, diesen Satz habe ich über dem Inhaltsverzeichnis dem Gesamttext einleitend vorangestellt.
Als Erwachsener prägte Napoleon schließlich entscheidend die Entwicklungen in Europa und ging vor allem auf Grund seiner Feldzüge und Kriege in die Geschichte ein. Mit dem Namen Napoleon verbindet man auch einen ausgeprägten Größenwahn, Narzissmus und Minderwertigkeitskomplex.

Der faschistische Diktator Italiens, Benito Mussolini, hatte - wie so viele andere Diktatoren auch – ebenfalls eine traurige Kindheit. Zu Hause musste er unter strenger väterlicher Aufsicht in der Schmiede arbeiten und erhielt Schläge, sobald er unachtsam schien oder sich ablenken ließ. Der Vater erzog ihn kompromisslos und „lehrte ihn auch den Hass gegen Monarchie, Kirche und Gesellschaft“ (Kirkpatrick, 1965, S. 17) Benos (2011, S. 95) schreibt: "Der Vater hielt Prügel für das beste Erziehungsmittel und hatte seinen Sohn mit dem Gurt häufig grün und blau geschlagen." Mussolinis Mutter hegte ihrerseits ehrgeizige Pläne für ihre Kinder, die sie unbedingt in höhere Gesellschaftsschichten aufsteigen sehen wollte. Mussolini idealisierte seine Mutter stark, sagte aber auch im gleichen Atemzug: „(...) Ich kannte nur eine Angst: Irgend etwas zu tun, was ihr missfallen könnte.“ (Kirkpatrick, 1965, S. 17) Im Alter von neun Jahren wurde Benito von seinen Eltern schließlich gegen seinen Willen auf ein kirchliches Internat geschickt (vor allem dem egoistischen Willen der Mutter nach), in dem er ein Außenseiter war, regelmäßig unter Arrest stand und Prügel durch die Lehrer bezog. Er selbst empfand das Internat als eine Strafe. Mussolini fiel seinerseits schon als Junge durch Jähzorn, Zynismus und häufige, schwere Prügeleien mit Mitschülern auf. Bei einer Auseinandersetzung stach er sogar mit einem Messer einen Mitschüler nieder. Mit achtzehn Jahren ging er letztlich von einer anderen Schule ab und Kirkpatrick schreibt verhängnisvoll, verheißungsvoll: „Mit dem Diplom in der Hand, warf er aufatmend die Fesseln seiner Kindheit ab und rüstete sich, der Welt die Stirn zu bieten.“ (ebd., S. 23)

Die Kindheit von Spaniens Diktator Francisco Franco ist ebenfalls ein Lehrstück dafür, wie missachtete Kinder sich später an der Gesellschaft rächen können. Francisco Franco entstammte einer Familie mit langer militärischer Tradition, schon der Großvater war ein hochrangiger Militär. Sein Vater - Nicolás Franco – war ein Marineoffizier, der sich auch zu Hause wie „ein General aufführte“, autoritär und tyrannisch war. (vgl. Preston, 1995, S. 3ff) Seine Kinder und auch seine Frau wurden oft Opfer seiner Wutausbrüche. Seine Tochter berichtete später, dass er seine Söhne schlug, hielt sich aber über das Ausmass der Gewalt bedeckt. Zu Hause war der Vater oft abwesend, traf sich außerhalb zum Kartenspielen, für Trinkgelage und mit anderen Frauen. Besonders sein zweitgeborener Sohn Francisco war Ziel seiner Ablehnung. Der dünne, schweigsame Junge enttäuschte seit frühester Kindheit die Vorstellungen des Vaters. Auf ihn angesprochen sprach er zuerst von seinem Sohn Nicolas, manchmal auch von Ramon, Francisco war nur „mein anderer Sohn“. (ebd.)
Don Nicolas verachtete seinen zweiten Sohn auch noch, als der den Bürgerkrieg gewonnen hatte: "Paquito als Staatschef! Paquito als Caudillo! Dass ich nicht lache!" (DER SPIEGEL, 14.12.1992)
Francos Mutter war vor allem bemüht, die religiös-bürgerliche Fassade nach Außen aufrecht zu erhalten und ihr Unglück zu verdecken. Nach dem krankheitsbedingten Tod ihrer kleinen Tochter Paz im Jahr 1903 war sie zudem am Boden zerstört. (Über die Auswirkungen dieser Tragödie auf die anderen Familienmitglieder wird in den Quellen nichts beschrieben) Alle Schilderungen von dem Biografen Paul Preston und auch vom SPIEGEL deuten darauf hin, dass der kleine Francisco seine Mutter trösten und stützen musste. Er begleitete seine Mutter Pilar täglich zur Kirche, wo sie Trost im Gebet suchte. Als ihr Ehemann die Familie im Jahr 1907 – da war Francisco 14 Jahre alt – endgültig verließ, trug sie ab sofort nur noch schwarze Kleider. Es scheint so, schreibt Preston, dass dieser Aufbau eines Schutzschildes vor dem Unglück seiner Mutter auf Kosten der emotionalen Entwicklung von Francisco ging und er eine kalte, innere Leere ausbildete. (vgl. Preston, 1995, S. 4) Francisco war ein einsames, unglückliches und in sich gekehrtes Kind, das zudem älter schien, als es eigentlich war. Er war brav und folgsam.
Die Schilderungen über seine Mutterbeziehung lassen letztlich den Schluss zu, dass er emotional von dieser missbraucht und als Trostpflaster gebraucht wurde. Als Person mit eigenen Bedürfnissen scheint er nicht gesehen worden zu sein. Die Mutter hatte ihren Kindern außerdem – trotz oder gerade wegen dieser Verhältnisse - den eisernen Willen eingepflanzt "aufzusteigen, Ruhm zu erlangen, und sei es unter höchsten Opfern und Anstrengungen", schreibt DER SPIEGEL.
Die Anerkennung seines Vaters konnte Francisco nie erreichen. Gleichzeitig idealisierte er diesen, kreierte das Bild eines Helden, bestritt später, dass es Probleme zwischen seinem Vater und seiner Mutter und auch den Kindern gegeben hatte und ließ seinen Vater nach dessen Tod prachtvoll beerdigen. (vgl. Preston, 1995, S. 5)
Vaterersatz und Selbstbestätigung suchte Francisco beim Militär, wo er mit vollem Einsatz in jungen Jahren begann. Auch hier erlebte er allerdings zunächst Demütigungen auf Grund seiner kleinen Größe und wurde auch das Ziel von grausamen Initiationsritualen durch seine Kameraden, auf die er mit Gewalt reagierte. (vgl. Preston, 1995, S. 9ff) Spott hatte er auch schon als Kind von Spielkameraden und seinen Geschwistern erfahren, die den schmächtigen, kränkelnden Jungen "cerillita" (Zündhölzchen) nannten.
Aus diesem Jungen wurde später der große General und Diktator Spaniens (El Caudillo - der „Anführer“). Im Militär hatte er sich schnell nach oben gearbeitet und nach dem Bürgerkrieg die Macht übernommen. Mindestens 30.000 politische Gefangene wurden unter Francos Regime zwischen 1939 und 1945 hingerichtet, schreibt DER SPIEGEL. Über eine Viertelmillion Republikaner wurde eingekerkert und gefoltert, eine halbe Million musste ins Exil fliehen. Noch 1946 befand Franco: "Es gibt keine Erlösung ohne Blut." Todesurteile unterzeichnete er, "ohne dass mir die Hand zitterte". (vgl. DER SPIEGEL, 14.12.1992)


Über den Vater des rumänischen Diktators Nicolae Ceauşescu wird berichtet, dass er sein weniges Geld im Wirtshaus vertrank, statt seine Kinder zu ernähren (insgesamt hatte er 10 Kinder, wovon eines früh starb) und dass er seine Kinder täglich „zu ihrem Besten“ schlug. Die Mutter achtete streng auf die schulischen Leistungen der Kinder, die sie ebenfalls ausgiebig prügelte. (vgl. Miller, 1990, S. 115) Alice Miller analysiert in ihrem Beitrag u.a. den Wahn des Diktators Ceauşescu, der sein Volk zu einem Überfluss an Kindern zwang, die nicht ernährt und gewärmt werden konnten. „Der Tyrann hat sich für sein persönliches Schicksal stellvertretend an Tausenden Müttern, Vätern und Geschwistern gerächt. Indem er sich weigerte, sich mit seinem Schicksal zu konfrontieren, seine Geschichte und seine Gefühle von damals total verdrängt hielt, brachte er ein ganzes Volk an den Rand des Untergangs. Ceauşescu hat nicht nur die rumänischen Kinder in die gleiche Not getrieben, die einst die seine war: Lieblosigkeit, Hunger, Kälte, ständige Kontrolle und die allgegenwärtige Heuchelei. (...) Er wollte Millionen Frauen dazu zwingen, Mütter zu werden, um ja niemals fühlen zu müssen, was er als Kind verdrängte: dass er seiner Mutter nur eine Last war und dass seine Existenz nachweisbar von ihr vergessen wurde.“ (ebd., S. 120)
Ceauşescu ging während seiner Amtszeit insbesondere mit Hilfe seiner Geheimpolizei Securitate grausam und brutal gegen das eigene Volk und politische Gegner vor. Schätzungsweise 10.000 Menschen hat die Securitate während dieser Zeit ohne Prozess hingerichtet und anschließend anonym verscharrt. (vgl. SPIEGEL-Online, 13.10.2009)

Auch auf der anderen Seite der Welt finden sich solche Zusammenhänge. Über den chinesischen Diktator Mao Zedong - chin. = Mao Tse-tung - (der für 70 Millionen Tote in Friedenszeiten verantwortlich war) wird berichtet, dass sein Vater ihn schlug und ihn „faul und nutzlos“ nannte. (vgl. Chang / Halliday, 2005) Der enorme Hass, den Mao als Folge dieser erlittenen Gewalt für seinen Vater empfand, wird durch folgendes Zitat deutlich: „Als er 1968 Rache an seinen politischen Widersachern nahm, sagte er den Kommandanten der Roten Garden, er hätte es gerne gesehen, wenn auch sein Vater so brutal misshandelt worden wäre: «Mein Vater war schlecht. Wenn er noch am Leben wäre, sollte man mit ihm "das Flugzeug" machen» - eine qualvolle Haltung, bei der die Arme des Opfers hinter seinem Rücken verrenkt wurden und der Kopf nach unten gedrückt wurde.“ (ebd., S. 21) An Hand dieses Zitates wird – wie ich finde - erschreckend „lehrbuchartig“ deutlich, wie Mao sein Volk stellvertretend für seinen Vater tyrannisierte.
Maos Vater verlangte offensichtlich – das wird an einer von Mao berichteten Szene deutlich - oftmals als Zeichen der Unterwerfung den Koutou, bei der es heißt, auf beide Knie zu sinken und den Kopf auf die Erde zu schlagen. Mao schildert später eine Szene, wo er vor den Beleidigungen seines Vaters vor Gästen des Hauses wütend nach draußen lief. Der Vater verfolgte ihn. Mao drohte ihm, in einen Teich zu springen, falls er näher kommen würde (also wohl mit Selbstmord). Der Vater verlangte den Koutou. Er, Mao hatte sich dann bereit erklärt, den Koutou nur auf einem Knie zu vollziehen, wenn im Gegenzug der Vater ihn nicht schlage. Wie Mao stolz berichtete, endete somit der Krieg zwischen ihm und seinem Vater durch diese offene Rebellion. Mao selbst sagte im gleichen Atemzug, dass er vorher um so mehr geschlagen wurde, wenn er sich bescheiden und unterwürfig gezeigt hatte. (vgl. Adolphi, 2009, S. 23ff) Hier wird das ganze Ausmaß der väterlichen Gewalt deutlich. Je hilfloser sich Mao zeigte, desto mehr wurde er geschlagen. Dies zeigt, meine ich, deutlich den Sadismus von Maos Vater. Adolphi schreibt auch, dass Mao häufig Prügel bezog und seinen Vater sehr abweisend und feindselig beschrieb. (ebd., S. 26)
Auch zwischen Maos Eltern wird es oftmals erhebliche Konflikte gegeben haben. Seine Mutter war streng gläubige Buddhistin, während sein Vater sich zu den Skeptikern zählte. Mao stand zwischen den beiden, sympathisierte allerdings mehr mit den Ansichten seiner Mutter, die er sehr verehrte und nur positiv von ihr berichtete. (vgl. Spence, 2003, S. 20ff, auch Adolphi, 2009, S. 24ff ) In den verwendeten Quellen finden sich allerdings keinerlei Hinweise darauf, dass seine Mutter ihm in irgendeiner Weise helfend und schützend gegen den gewalttätigen Vater zur Seite stand. In der damaligen chinesischen Kultur war die bedingungslose Unterordnung unter den Vater auch etwas, was allgemein akzeptiert wurde, sicherlich auch von Maos Mutter. Was fühlt ein Kind gegenüber der Mutter, wenn es vor ihren Augen und mit ihrem Wissen vom Vater ständig schwer verprügelt wird, ohne dass eingegriffen wird? Vielleicht Verrat, Hass, Wut, Ohnmacht? Wie passt dies mit Maos späterer Verehrung seiner Mutter zusammen? Mao fand in seiner Mutter ganz offensichtlich keinen helfenden Zeugen, das kann hier festgehalten werden.

Bereits mit sechs Jahren musste Mao auf dem elterlichen Hof mitarbeiten, besuchte aber auch eine Schule, in der „auch der Lehrer reichlich Prügel austeilt“. (Adolphi, 2009, S. 27) Im Alter von dreizehn Jahren verließ Mao - wie die meisten Jungen in China – die Schule und musste fortan die volle Arbeit eines Erwachsenen am Hof seines Vaters tun. Mit vierzehn wurde er zwangsverheiratet, seine Braut war achtzehn. (vgl. Spence, 2003, S. 22) Seine Ehefrau starb allerdings nach ca. zwei oder drei Jahren des Zusammenlebens. Im Alter von ca. siebzehn Jahren besuchte Mao dann wieder eine neue Schule in Xiangxiang. Mao wurde dort allerdings wegen seiner ländlichen Kleidung und seiner ärmlichen Herkunft verachtet und als Außenseiter behandelt. (vgl. ebd., S. 26)
Als junger Mann entwickelte Mao „eine Bewunderung für starke Männer wie Napoleon oder auch den Legalisten Shan Yang, der strenge Gesetze und drakonische Strafen als Form der Regierung befürwortete.“ (vgl. Wemheuer, 2010, S. 23)

Dergleichen Biographien findet man natürlich auch, wenn man noch weiter in die Vergangenheit zurück schaut, am Beispiel vom römischen Kaiser Nero. Dieser wuchs in einer Atmosphäre auf, in der zwischen den Erwachsenen seines Umfeldes Hass, Intrigen, Verrat, Machthunger, (Geschwister-)Inzest und Mord herrschte. (vgl. Waldherr, 2005)
Um Neros Vater ranken sich etliche Geschichten, die ihn als aufbrausend, anmaßend und durchgehend schlechten Menschen erscheinen lassen. So soll er z.B. einen Freigelassen umbringen haben lassen, nachdem dieser sich weigerte, bei einem Trinkgelage so viel zu trinken, wie befohlen. Bei anderer Gelegenheit überfuhr er angeblich absichtlich ein Kind mit seinem Gespann usw. Später wurde er wegen Majestätenverbrechen, mehrfachen Ehebruchs und einer angeblichen inzestuösen Beziehung mit seiner Schwester angeklagt und entkam nur knapp der Verurteilung. (ebd., S. 15)
Neros Mutter, Agrippina, wird als kalt, berechnend und skrupellos beschrieben. (vgl. Herrmann, 2005, S. 21) In ihrer eigenen Biographie sind schwere Schicksalsschläge zu finden. Ihre Mutter hungerte sich zu Tode, nachdem sie vom Kaiser verbannt worden war, da war Agrippina gerade mal vierzehn Jahre alt. Zwei Brüder starben eines unnatürlichen Todes, der dritte stellte ihr nach. (vgl. ebd., S. 22) Und Walherr schreibt dazu: „Man muss kein Psychologe sein, um sich vorstellen zu können, welche Folgen dies für die charakterliche Ausbildung der Heranwachsenden haben musste. Rücksichtslosigkeit, Verschlagenheit und brutaler Einsatz aller Mittel waren ihr im politischen Überlebenskampf vorgeführt worden.“ (Waldherr, 2005, S. 20)
Über körperliche und sexuelle Misshandlungen gegen das Kind Nero findet sich nichts bei den verwendeten Quellen, ich meine aber, dass die Profile der Eltern, das damalige Umfeld und die üblichen antiken „Erziehungspraktiken“ hier einiges erahnen lassen. Allerdings wird berichtet, dass Nero als Säugling in feste Tücher gewickelt wurde, „um damit einen späteren ebenmäßigen Wuchs zu gewährleisten und einer möglichen Verkrümmung der Gliedmaßen vorzubeugen.“ (Waldherr, 2005, S. 23) Das feste Wickeln und Binden von Säuglingen ist vor allem von Lloyd deMause (1992, 2005) in seinen Arbeiten immer wieder als eine Quelle inneren Terrors beschrieben worden. Diese schmerzvolle und einengende Prozedur ist auch noch heute in vielen Teilen der Welt zu finden.
Wie in den damaligen aristokratischen Familien üblich, wurde Nero sehr wahrscheinlich auch von einer Amme gestillt und aufgezogen, dadurch war die (so wichtige) Bindung zwischen Mutter und Kind nicht besonders eng. (vgl. Waldherr, 2005, S. 39) Als Kleinkind musste Nero dann auch die räumliche Trennung von seiner Mutter erleben, als diese in Ungnade fiel und einige Zeit in die Verbannung geschickt wurde. Im Alter von drei Jahren erlebte er dann den Tod des Vaters und kam schließlich zur Pflege für mehrere Monate zu einer Tante. Diese verband mit Neros Mutter eine tiefe Feindschaft und beide buhlten darum, bei dem kleinen Nero den Vorrang zu haben. Die Beziehung zur Tante wird wohl eher schlecht gewesen sein, denn Nero billigte Jahre später ihre - durch seine Mutter angezettelte - Verurteilung zum Tode und sagte sogar als Zeuge gegen sie aus. (ebd., S. 39ff) Über Neros Mutter wird weiter berichtet, dass sie stets großes mit ihm vorhatte und ihn zum Kaiser machen wollte. Die Berichte enthüllen eine rein zweckmäßige Bindung an ihren Sohn, von Gefühlen ist keine Rede. Wie blindwütig und tief ihr Wunsch nach dieser Machtposition für ihren Sohn war, zeigt eine Reaktion von ihr auf die Prophezeiung eines Astrologen, dass das Kind später herrschen, aber sie töten würde: „Soll er mich töten, wenn er nur herrscht.“ (ebd, S. 24) Und so kam es dann auch, Nero wurde Kaiser und ließ später seine Mutter umbringen. Das wenige, was wir über Neros Kindheit wissen, reicht - denke ich - aus, um von einer sehr traumatischen Kindheit sprechen zu können. Nero blieb in der Geschichtsschreibung besonders durch seinen manischen Charakter (viele Autoren der Nachwelt stellten ihn auch als größenwahnsinnigen Tyrannen dar), seine Familienmorde, die grausamen Hinrichtungswellen - insbesondere nach dem großen Brand in Rom - gegen die Christen und durch seine verträumte Liebe zu Kunst und Theater in Erinnerung (er selbst trat als Schauspieler und Sänger auf).
  
Aus der jüngeren Geschichte gibt es ebenfalls anschauliche Beispiele, so z.B. aus dem ehemaligen Jugoslawien: Der politische Serbenführer Slobodan Milosevic war offenbar laut Wirth (2006) ein seelisch schwer traumatisierter Mensch. Seine Lebensgeschichte ist durch einschneidende Verlusterlebnisse und ein hohes Maß an Destruktivität gekennzeichnet. Milosevic wuchs - mit Wirths Worten .- in einer funktionsgestörten und psychopathologischen Familie auf. Sein Vater verließ früh die Familie; er erschoss sich 1962 und blieb ein „Schwarzes Loch in Milosevics Biographie“. Milosevics Mutter war hart, despotisch, unduldsam, Besitz ergreifend und psychisch überlastet. Milosevic scheint frühzeitig Erwachsenenfunktionen übernommen zu haben und wurde von der Mutter zum „Retter der Familie“ verklärt bzw. von dieser als Pseudo-Erwachsener seelisch gebraucht und ausgenutzt. Der Lieblingsonkel hatte sich bereits Jahre vor dem eigenen Vater - da war Milosevic sieben Jahre alt - erschossen. Als Slobodan 31 Jahre alt war, folgte der nächste Schicksalsschlag, seine Mutter erhängte sich an der Schlafzimmerlampe. (vgl. Wirth, 2006, S. 284ff) “Slobodan Milosevic ist sein ganzes Leben lang nie aus dem Schatten seiner destruktiven Elternfiguren herausgetreten.” (ebd., S. 286) Wirth bezeichnet Milosevic in seiner Analyse als narzisstisch gestörte Persönlichkeit und vermutet genau genommen auch eine Borderline-Störung. (vgl. zu dieser Störung Dulz / Scheider, 2001). Slobodan Milosevic wurde in Den Haag auf Grund verschiedener Kriegsverbrechen und wegen Völkermord angeklagt, verstarb allerdings bevor der Prozess zu Ende ging.

Auch der irakische Diktator Saddam Hussein hatte laut deMause (2005) „eine unglaublich traumatische Kindheit“. „Seine Mutter versuchte ihn abzutreiben, indem sie mit den Fäusten gegen ihren Unterleib schlug, sich mit einem Küchenmesser schnitt und dabei schrie: „In meinem Bauch trage ich einen Satan!“ „ (deMause, 2005, S. 29) Saddam verlor früh den Vater, wobei die Umstände dessen Verschwindens im Dunkeln bleiben. Zur Vaterfigur wurde ein Onkel mütterlicherseits – Khairallah Tulfah -, bei dem Saddam unterkam und den er bewunderte. Dieser Onkel wird von Coughlin (2002) als „streitsüchtiger und launischer Mensch“ und als „unbelehrbarer Bewunderer Adolf Hitlers und des Nationalsozialismus“ beschrieben. (vgl. Coughlin, 2002, S. 46) DeMause schreibt, dass Saddam regelmäßig von diesem Onkel geschlagen wurde, dieser ihn den „Sohn eines Köters“ nannte und er Saddam beibrachte, wie man eine Waffe gebraucht. (vgl. deMause, 2005, S. 29) Khairallah kam schließlich für seine Naziverehrung ins Gefängnis und der junge Saddam musste wieder bei seiner Mutter leben, die mittlerweile einen neuen Mann gefunden hatte. Willkommen geheißen wurde er nicht und er scheint in seinem zu Hause „sträflich vernachlässigt worden zu sein“. Der neue Stiefvater war zudem brutal. Er „(...) verpasste dem kleinen Jungen gern eine Tracht Prügel mit einem mit Asphalt überzogenen Stock.“ (Coughlin, 2002, S. 48) Saddam Hussein vertraute dem offiziellen Biographen Iskander an, dass er niemals jung und unbeschwert war, sondern stets ein eher trauriges Kind, das sich von den anderen fern hielt. Coughlin spekuliert auch über einen möglichen sexuellen Missbrauch Saddams durch den Stiefvater. (vgl. ebd.) Da Saddam vaterlos und ein Außenseiter war, wurde er zusätzlich gnadenlos von den anderen Kindern des Dorfes gehänselt und oft auch verprügelt. „Er wurde so schlimm drangsaliert, dass er sich angewöhnte, zur Verteidigung einen Eisenstab mitzunehmen, wenn er sich aus dem Haus wagte.“ (ebd., S. 49)
Saddam Hussein vergötterte seine Mutter (die nebenbei bemerkt auf keinem erhaltenden Foto lächelte, sondern eher finster dreinblickte) bis zu ihrem Tode, worüber sich der Biograph Coughlin „angesichts der Erniedrigungen“ sehr wundert. (Anmerkung: Wenn man sich die Fakten anschaut, erscheint Saddams Bezeichnung für den ersten Golfkrieg als "Mutter aller Schlachten" in einem ganz anderen Licht...) Ebenso verehrte er seinen (gewalttätigen) Onkel, den er später zum Bürgermeister von Bagdad machte. Hier findet sich erneut eine starke Identifikation mit den Aggressoren.
Saddam Hussein verübte nach deMause seinen ersten Mord im Alter von 11 Jahren... (vgl. deMause, 2005, S. 29)

Solche Beispiele finden sich natürlich auch in westlichen Demokratien. DeMause schreibt, dass die Kindheit vom amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan „ein Alptraum von Vernachlässigung und Missbrauch“ war. (deMause, 2005, S. 19)
Ronald Reagans Vater war ein gewalttätiger Mann und Alkoholiker. Er trat den jungen Ronald mit seinem Stiefel und pflegte ihn und seinen Bruder des Öfteren zu "verkloppen". Der Vater wurde später von seinem Sohn beschrieben als jemand, der „ein Leben in fast andauernder Wut und Frustration“ geführt habe. Selbst aus den wenigen Erinnerungen in den verstreuten Äußerungen über seinen Vater wird deutlich, dass Ronalds Verhältnis zu ihm angefüllt war von Augenblicken des Terrors und gleichzeitig einem Verlangen nach Nähe. (vgl. deMause, 1984, S. 59)
Der Alkoholismus seines Vaters war auch der Hauptgrund für häufige Orts- und Stellungswechsel, die Familie zieht ständig um, mitunter schlafen sie alle im Auto. Wochenlang geht Ronalds Vater auf Zechtour, der Junge erinnert sich an seine Ängste während der Abwesenheit des Vaters und die dann folgenden "lauten Stimmen in der Nacht". Als Elfjähriger kommt er einmal nach Hause und findet seinen Vater "sinnlos betrunken auf dem Rücken liegend auf der Veranda". Er muss diesen großen, schnarchenden Koloss ins Bett verfrachten. Im Rückblick bezeichnet Reagan seine Kindheit als "eine jener seltenen Huckleberry-Finn-Tom-Sawyer-Idyllen“. Die Schattenseiten schien er vollkommen verdrängt zu haben. (vgl. DER SPIEGEL, 26.10.1981) Seine Autobiographie nannte Reagan übrigens „Wo ist der Rest von mir?“ (Where's the Rest of Me?), um, wie er in der Einleitung sagte, anzuzeigen, dass er den größten Teil seines Lebens mit dem Gefühl verbracht hatte, es fehle ihm etwas, ein Teil von ihm. (vgl. deMause, 1984, S. 55) Diese Zerrissenheit, inneres Fremdsein und das Gefühl „nicht ganz zu sein“ ist typisch für traumatisierte Kinder. (Im weiteren Textverlauf wird Arno Gruen dazu noch zu Wort kommen)
Das Resultat war laut deMause eine Kindheit der Phobien und Ängste bis zum Grad der Hysterie und verschüttete Gefühle der Wut. „Als Erwachsener fand Ronald Reagan Gefallen daran, eine geladene Pistole zu tragen, er zog auch Selbstmord in Erwägung, wurde davon nur durch das defensive Manöver abgehalten, in die Politik zu gehen und ein Anti-Kommunisten-Krieger (pers. Anmerk.: Die Sowjetunion war für Reagan das "Reich des Bösen") zu werden, gegen imaginäre „Feinde“ ins Feld zu ziehen, die er für die Gefühle, welche er in sich selbst verleugnete, verfolgte.“ (deMause, 2005, S. 19)
Volker Elis Pilgrim hat Reagans destruktive Politik und Einstellung deutlich zusammengefasst: „Sein Blut- und Bombentemperament kam immer wieder zum Ausdruck: Raketenstationierung in Europa, Einmarsch in Grenada, Infiltration in Nicaragua, Unterstützung aller reaktionären Staatsmänner der Welt, Bombardierung Tripolis, Vorbereitung zum Krieg der Sterne. Reagan war vom gewinnbaren Atomkrieg überzeugt. Die USA müssten nur den „Erstschlag“ unternehmen. (…) Berühmt wurden seine Sätze vor einer Rundfunkansprache 1984, die nur für das Team gedacht waren und zufällig festgehalten wurden: „Amerikanische Mitbürger! Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass ich heute ein Gesetz zur endgültigen Auslöschung Russlands unterzeichnet habe. Das Bombardement beginnt in fünf Minuten.“ " (Pilgrim, 1990, S. 289)

Auch der Präsidentschaftsstil von George H. W. Bush (Vater von Präsident George W. Bush und ehemals Vizepräsident unter Ronald Reagan) war stark von seiner Kindheit bestimmt, die voller Angst und körperlichen Bestrafungen war. (vgl. deMause, 2005, S. 20ff) Georges Bruder, Prescott Jr., sagte über den gemeinsamen Vater: "Er legte uns übers Knie und prügelte uns mit seinem Gürtel durch. (...) Er hatte einen starken Arm, und Junge, haben wir das gespürt. (...) Wir hatten alle Angst vor ihm. Als wir jung waren, hatten wir alle Todesängste vor Dad.“ (zit. nach ebd., S. 20) George selbst gestand einmal: "Dad war richtig unheimlich." (ebd.) George H. W. Bush befahl während seiner Amtszeit den Krieg gegen den mittelamerikanischen Staat Panama und gegen den Irak.

George H. W. Bush Senior gab seinerseits an seinen Sohn George W. Bush weiter, was er selbst erlebt hatte, indem er körperliche Gewalt anwandte. (vgl. Gruen, 2004) Er galt außerdem als distanzierter und chronisch abwesender Vater. (vgl. Frank, 2004, S. 23 + 36ff) Zudem wird berichtete, dass Bush Junior die Rolle des „dienenden Retters“ seiner depressiven Mutter zugeschrieben bekam. (vgl. Gruen, 2004) Frank (2004) beschreibt die Mutter, Barbara Bush, als kalte Erzieherin, die in der Familie für Zucht und Ordnung sorgte und von ihren Kindern „die Vollstreckerin“ genannt wurde. Auch sie übte körperliche Gewalt gegen die Kinder aus, so wie sie es selbst einst als Kind in ihrer Herkunftsfamilie erlebt hatte. Bei Barbara Bush stellt Frank auch eine gespaltene Weltanschauung in „Gut“ und „Böse“ fest, die ganz offenkundig auch bei ihrem Sohn zu finden ist.
Im Alter von sechs Jahren erlebte George W. ein weiteres Trauma, nämlich Krankheit und Tod seiner kleinen Schwester Robin. Im Jahr 1953 wurde Leukämie bei Robin festgestellt. Barbara Bush blieb daraufhin monatelang in New York, um Robin bei ihrer Krebstherapie zu unterstützen. George und das Baby Jeb wurden zunächst bei Nachbarn untergebracht, später wurde dann eine Haushälterin eingestellt und die Kinder kehrten zumindest ins vertraute eigene Haus zurück. (vgl. Auchter, 2007, S. 8ff) George musste sich verlassen gefühlt haben (Wir erinnern uns, der Vater war eh stets abwesend). Er wurde außerdem nicht über die Krankheit seiner Schwester aufgeklärt. Als die Schwester schließlich starb, fuhren die Eltern einen Tag später zu Babara Bushs Vater und spielten Golf. (ebd.) Eine Trauerfeier für Robin fand nicht statt.
Diese Tragödie wurde in der Familie Bush - schreibt Frank, 2004, S. 21-37 -, in der eh der Ausdruck gerade von schmerzlichen Gefühlen unerwünscht war, nicht offen betrauert und besprochen und letztlich nie wirklich verarbeitet.
Welch eine Ironie, schreibt Frank, „(...) dass dieses Kind als Erwachsener ausgerechnet zu dem Zeitpunkt Präsident ist, als seine Nation den Moment ihrer größten Trauer erlebt – die Zeit der tiefen Erschütterung nach dem 11. September 2001.“ (Frank, 2004, S. 35ff) So wich George W. Bush - nach Frank - der Trauer aus, schien unfähig, öffentlich Trauer zu zeigen und lief geradewegs zur Wut und zur Rache über...
Arno Gruen schreibt über diese Eltern-Kind-Beziehung in der Familie Bush. „Genau so sieht eine Beziehung aus, die Kinder früh zu Marionetten macht, sie ihrer eigenen Selbstberechtigung beraubt, sie mit Verachtung für sich und ihre Welt zurechthämmert. Hier liegt die Quelle für das Verhalten solcher Menschen, die uns dann alle durch ihr Spiel mit dem Leben ins Verderben treiben.“ (Gruen, 2004)
George W. Bush sagte übrigens einmal: "Wenn wir eine Diktatur hätten, wäre alles weiß Gott viel einfacher, solange ich der Diktator bin.“ (Auchter, 2007, S. 12)

Nachfolgend werde ich die beiden Paradebeispiele Adolf Hitler und Stalin bzgl. o.g. Zusammenhänge ausführlich darstellen und weiter kommentieren.
Vorher allerdings noch ein Zwischengedanke: Was wir oben über die Kindheit der benannten Personen erfahren haben ist erschreckend. Es ist dabei eigentlich erstaunlich, dass die Gewalt gegen die Kinder überhaupt dokumentiert werden konnte. War und ist doch i.d.R. die Gewalt innerhalb von der Familie ein Tabu und wird von Stillschweigen umhüllt. Ich nehme somit an, dass die geschilderten Details nur ein Auszug dessen sind, was die genannten Personen alles erfahren haben. Meine Erfahrungen mit dem Thema sind, dass die Dinge, die Kindern angetan werden, oft über die Vorstellungskraft eines normalen Menschen hinaus gehen. Es liegt darüber hinaus in der Natur der Sache, dass man über die Ereignisse in den entscheidenden ersten drei Lebensjahren oder speziell in der Säuglingszeit meist nichts erfährt. Es ist kaum vorstellbar, dass misshandelnde Eltern z.B. im ersten Lebensjahr liebevoll zu ihrem Säugling waren und ihn dann erst später schlecht behandelten. Vielmehr können wir annehmen, dass die o.g. Personen auch schon als Säugling Entbehrungen und ggf. die ein oder andere Form von Gewalt erlebt haben. Solch frühe Erfahrungen graben sich tief ein in die Psyche eines Menschen. Wir müssen uns klar machen, dass das Jahr 365 Tage hat. Jährlich waren diese Kinder 365 Tage ihren destruktiven Eltern ausgesetzt! Ich möchte diesen Teil wiederum mit einem Auszug aus der Rede von Astrid Lindgren schließen: „Auch künftige Staatsmänner und Politiker werden zu Charakteren geformt, noch bevor sie das fünfte Lebensjahr erreicht haben - das ist erschreckend, aber es ist wahr.“(DIE ZEIT, 13.11.2007)





vorheriges Kapitel
nächstes Kapitel