In der ZEIT ist aktuell der Artikel „Loughners Abstieg in den Wahn“ erschienen. Der Autor fasst seine Ansicht zusammen: „Wer die lange Liste durchgeht – in Amerika und Deutschland, in Finnland, Großbritannien und Japan – stößt stets auf das gleiche Muster. Das Verbrechen war nicht dem politischen Klima, der Ideologie oder den Gewaltvideos geschuldet, sondern der gestörten Psyche und entrückten Existenz des Täters.“ (Klassisch ist in dem Artikel, dass der Autor nicht fragt, wie psychische Störungen denn eigentlich entstehen. Aber das nur nebenbei.)
Dem gebe ich grundsätzlich Recht. I.d.R. gilt: Ohne Psychopathologie kein Mord und erst recht kein Amoklauf. Letzeres war die Tat letztlich, da sie sich wahllos gegen Menschen richtete, nachdem die demokratische Abgeordnete getroffen war. Ich glaube auch nicht, dass man führende Köpfe wie Sarah Palin hauptsächlich für die Tat mit in die Verantwortung nehmen kann. Geschossen hat natürlich nur der Täter. Trotzdem muss man auch weiter in die Tiefe gehen und dort Fragen stellen dürfen. Auch ein „Klima des Hasses“ wurde in den USA meiner Meinung nach letztlich nicht von Einzelnen geschaffen. Die Wurzeln des Hasses liegen tief in der amerikanischen Gesellschaft. Politische (emotionale) Delegierte vermögen den Hass – im „heimlichen Auftrag“ des Volkes - durch Reden etwas weiter an die Oberfläche zu spülen. Das Hauptproblem sind aber nicht diese wenigen Köpfe, sondern die vielen „ganz normalen“ Bürger und Bürgerinnen und deren gestörte Emotionen. (siehe auch: "Kindheit in den USA. God save America's children!") Nur diese Vielen erklären, warum der (mediale) Hass so offen in der amerikanischen Öffentlichkeit ausgetragen werden kann. Dieser allgemeine und tief verwurzelte Hass lenkt wiederum – sofern er deutlich in den Medien und der Öffentlichkeit aufgeführt wird - schwer gestörte Psychopathen und verleitet diese ggf. zu Anschlägen. Diesen Zusammenhang sollte man nicht ausblenden, auch wenn Loughner ein Fall für die Psychiatrie ist oder besser ein Fall für ein (therapeutisch begleitendes) Gefängnis.
Für mich stellt dieser Fall mal wieder eine schwierige Frage auf: Wie unterscheiden sich die „offen emotional Gestörten“ von den „verdeckt emotional Gestörten“? Oder besser: Wie geht die Gesellschaft mit den offen Wahnsinnigen um, wie mit den verdeckt Wahnsinnigen? Warum haben wir kein Problem damit, Einzeltäter, die einfache Menschen sind, als psychisch gestört anzusehen, während wir ganze Gruppen oder Gesellschaften oder Eliten, die destruktiv handeln, nicht als gestört ansehen?
Im Grundlagentext zitierte ich deMause. DeMause spricht in Folge kindlicher Gewalterfahrungen von abgespaltenen „Alter Egos“ (mehrere andere Ichs), diese sind letztlich wie (explosive) Koffer, in die die Menschen ihre traumatischen, abgespaltenen und urerträglichen Ängste und ihren Ärger packen. Diese Textstelle fällt mir hier wieder ein: „Mit Ausnahme einiger Psychopathen und Psychotiker bewahren die meisten von uns ihre Koffer im Schrank hinter verschlossener Tür auf, scheinbar abseits unseres täglichen Lebens – aber dann verleihen wir die Schlüssel an emotional Delegierte, von denen wir abhängig sind, um die Inhalte ausagieren zu können und die es uns möglich machen, die Identifikation mit den Handlungen zu verleugnen.“ DeMause bezieht dies vor allem auf die Entstehung von Kriegen.
Das Bild der Koffer bringt es wohl auf den Punkt. Vielleicht könnte man das Bild hier etwas weiter stricken. Menschen wie Loughner packen ihre Koffer aus, dabei achten sie allerdings nicht darauf, wie die Werte- und Normenvorstellungen der Gesellschaft aussehen, was „das Kofferauspacken“ angeht. Deshalb werden sie weggesperrt und als psychisch Kranke behandelt. Andere drücken ihre Koffer zu, sperren sie in den Schrank. Das mag dann ggf. sehr eigenverantwortliches Handeln sein oder auch andere Gründe haben. Aber eigentlich glaube ich, dass die Koffer nie wirklich zu verschließen sind (solange sie nicht therapeutisch entschärft wurden) und sich stets Destruktivität in den normalen Alltag mischt.
Viel wichtiger ist allerdings, dass es viele Menschen gibt, die ihre Koffer ebenfalls auspacken, genau wie Loughner. Sie gehen dabei nur geschickter vor, passen sich dem Werte- und Normenvorstellungen an und wissen sich gut zu verstellen. Z.B. indem sie einfach Soldat werden und legal Gewalt ausüben können. Da kann mensch dann z.B. über 80 Menschen töten und keiner würde einen später wegsperren oder als psychisch krank ansehen, sondern eher als „Opfer“ der Umstände Krieg. Wobei der Fall nicht so einfach ist, denn Loughner wollte ja Soldat werden und wäre heute wahrscheinlich in Afghanistan oder im Irak. Vielleicht wäre er sogar ein besonders guter Soldat geworden. Dass er polizeilich registriert war, brachte ihm eine Ablehnung beim Militär ein. Er wollte also ursprünglich die Spielregeln der legalen Gewalt akzeptieren. Nun steht er als psychisch Kranker da, da er die Regeln gebrochen hat.
Andere handeln destruktiv in der Wirtschaft, unterstützen dabei Prozesse, die etlichen Menschen das Leben kosten (manchmal mehr, als durch Krieg). Das sind dann rationale „Fehlentscheidungen“ usw. usf. Ich denke, man versteht, um was es mir hier geht.
Dazu kommt, dass der Faktor Macht ein guter Schutzschirm ist. Jemand der hoch angesehen ist und/oder über viel Macht verfügt, der kann schon mal seine Koffer auspacken, ohne gleich weggesperrt zu werden. George W. Bush ist da vielleicht ein klassisches Beispiel. Als demokratisch gewählter US-Präsident ist man vielleicht geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie man tausende Menschen umbringen kann, ohne jemals bestraft oder als psychisch Kranker weggesperrt zu werden.
Viele Gesellschaften sind psychisch krank. Die US-Gesellschaft nach meinem Empfinden wesentlich mehr als die deutsche, die afghanische erheblich mehr als die us-amerikanische usw. Heilung kann aber nur wirklich beginnen, wenn sich die Gesellschaft ihr Kranksein überhaupt eingesteht. Ansonsten ist der Weg ein Langsamer, dadurch dass sich die Kindererziehung stetig verbessert und Erwachsene Psychotherapie machen. Ja, ein schwieriges Thema.
Abschließend noch ein Zitat aus o.g. ZEIT Artikel: „Dann ein wütender Streit mit seinem Vater, nach dem der Sohn davon stürmt. Der Rest ist Geschichte, die Amerika noch lange quälen wird.“ Über Loughner hatte ich ja bereits einen Beitrag geschrieben. Es passt ins Bild und hat eine erhebliche Symbolik, dass er direkt nach einem großen Streit mit seinem Vater den Amoklauf begann. „Aber sie wird nicht von politischen Meteorologen geschrieben, sondern von Psychiatern und sorgfältig recherchierenden Reportern. Das "Klima des Hasses" ist eine andere Story, so real sie auch ist.“, schreibt der ZEIT-Autor im nächsten Satz weiter. Letztlich ist es das familiäre Klima des Hasses, das uns bzgl. Loughner und den DurschnittsamerikanerInnen interessieren sollte und das sehr wohl zur selben Story gehört.
Sonntag, 16. Januar 2011
Dienstag, 11. Januar 2011
Attentat und die mögliche Geschichte dahinter
Jared Lee Loughner, der Attentäter von Arizona, erwähnte in seinem YouTube-Profil nach verschiedenen Medienberichten als seine Lieblingsbücher u.a. Hitlers „Mein Kampf“, "Fahrenheit 451", "Das kommunistische Manifest" und "Peter Pan". Die Zeit berichtet zudem, dass er auch „Alice im Wunderland“ gerne las.
Dies ist erst mal auf den ersten Blick eine verwirrende Auswahl an Büchern und – wäre da nicht „Mein Kampf“ dazwischen – sicherlich auch nichts, was besonderer Erwähnung bedürfte. Ich denke, dass jemand, der „Mein Kampf“ als Lieblingsbuch aufzählt, schon sehr viel über sich und seine Persönlichkeitsstruktur sagt. Allerdings verbinden sich diese Bücher auch. Hitlers Hassbuch, Marx radikale Gesellschaftstheorie, das Bücherhassbuch "Fahrenheit 451" und – für die meisten vielleicht besonders irritierend - die Kinderbücher Peter Pan und Alice im Wunderland, letztere sind die Auslöser für diesen Beitrag hier.
Viele Menschen werden diese beiden Kinderbücher lieben und das sei ihnen auch gelassen. Wenn jemand wie Jared Lee Loughner diese als Lieblingsbücher aufzählt, werde ich allerdings hellhörig. Der Hamburger Sexualwissenschaftler Professor Wolfgang Berner berichtete in einem Interview einmal: „Lewis Carrol, der "Alice im Wunderland" schrieb, war wohl ein Pädophiler. Ebenso James M. Barrie, der Autor von "Peter Pan" - dem Jungen, der nie erwachsen wurde.“ (Michael Jackson war ja auch nicht ohne Grund ein Peter Pan Fan und nannte seine Ranch „Neverland“.) Damit will ich nicht sagen, dass Loughner „pädophil“ ist. Nein, hier geht es um die Faszination, die diese beiden Bücher bei ihm auslösten. In beiden Geschichten finden sich symbolisch und in der Handlung viele Botschaften, die auf destruktive Elternfiguren und leidgeprüfte Kinder hinweisen. „Pädophile“ sind keine Kinderliebhaber, wie das Wort nahe legt, viel mehr sind sie Hasser. Ihren Hass haben sie nur sexualisiert. Hass und Gewalt tauchen hier deutlich auch in beiden Kinderbüchern auf. Dass Loughner beide Bücher liebte, verwundert vor den o.g. Hintergründen insofern nicht. Und natürlich vermute ich auch eine sehr leidvolle Kindheitsgeschichte bei diesem Attentäter, ohne seine Tat entschuldigen zu wollen. (Psychohistorisch wäre es interessant, wie sich dieses Attentat vorher möglicherweise in Bildern und Symbolen in den US-Medien aufbaute.) Der SPIEGEL berichtet: "Über Loughners eher bürgerliches Familienleben mit den Eltern Amy und Randy ist wenig bekannt. Nachbarn bezeichneten die Beziehungen der drei zueinander als "undurchschaubar", das Verhalten des Vaters als bisweilen "unangenehm" oder angriffslustig." Mehr ist wohl bisher nicht bekannt.
Bilder und Geschichten haben oft eine Bedeutung, werden aber von der Öffentlichkeit meist kaum wahrgenommen oder gedeutet. Dies wird auch an Hand eines anderern blutigen Falls deutlich. Der Schauspieler Michael Brea hat kürzlich seiner Mutter mit einem Samurai-Schwert den Kopf abgeschlagen. Er rechtfertigte die Tat so: "Ich habe sie nicht getötet. Ich tötete nur den Dämon in ihr. Es war der Wille Gottes. Gott erschien mir eines nachts über meinem Bett. Ich fühlte mich wie Neo im Film Matrix. Ich hörte Stimmen und fühlte mich stark."
Ludwig Janus hat einen Beitrag zum Film Matrix geschrieben: „Überlegungen zum Film »Matrix« Ich kenne den Beitrag noch nicht, kann mir den Inhalt allerdings gut vorstellen. Der Film ist voll von Verbindungen zu verdrängten/abgespaltenen traumatischen Kindheitserfahrungen. Dies kann ich hier jetzt nicht alles besprechen. Ein Hinweis sagt allerdings schon viel aus. Morpheus sagt im Film zu Neo: „Ich will dir sagen, wieso du hier bist. Du bist hier, weil du etwas weißt. Etwas, das du nicht erklären kannst. Aber du fühlst es. Du fühlst es schon dein ganzes Leben lang, dass mit der Welt etwas nicht stimmt. Du weißt nicht was, aber es ist da. Wie ein Splitter in deinem Kopf, der dich verrückt macht. Dieses Gefühl hat dich zu mir geführt.“
Am besten hat vielleicht Alice Miller in ihren Büchern beschrieben, was hier im Film bildlich ausgedrückt wird. Das verbannte Wissen um den Selbstverrat des Kindes, das sich mit seinen gewalttätigen Eltern identifizieren muss, um zu überleben und später immer mit dem Gefühl durchs Leben geht, dass da "etwas" ist, was sich aber nicht erklären lässt.
Die wenigsten misshandelten Kinder rächen sich allerdings direkt bei ihren Peinigern, so wie Michael Brea dies wohl tat. Sondern sie agieren ihre Rache an anderen Stellen aus, suchen stellvertretende Opfer oder tun sich selbst Gewalt an.
Nochmal zum Abschluss: Bilder und Geschichten haben eine Bedeutung, dies gilt vor allem, wenn es um Attentäter und ähnliche Menschen geht. Wir sollten genauer hinschauen, was diese Bilder uns erzählen.
Dies ist erst mal auf den ersten Blick eine verwirrende Auswahl an Büchern und – wäre da nicht „Mein Kampf“ dazwischen – sicherlich auch nichts, was besonderer Erwähnung bedürfte. Ich denke, dass jemand, der „Mein Kampf“ als Lieblingsbuch aufzählt, schon sehr viel über sich und seine Persönlichkeitsstruktur sagt. Allerdings verbinden sich diese Bücher auch. Hitlers Hassbuch, Marx radikale Gesellschaftstheorie, das Bücherhassbuch "Fahrenheit 451" und – für die meisten vielleicht besonders irritierend - die Kinderbücher Peter Pan und Alice im Wunderland, letztere sind die Auslöser für diesen Beitrag hier.
Viele Menschen werden diese beiden Kinderbücher lieben und das sei ihnen auch gelassen. Wenn jemand wie Jared Lee Loughner diese als Lieblingsbücher aufzählt, werde ich allerdings hellhörig. Der Hamburger Sexualwissenschaftler Professor Wolfgang Berner berichtete in einem Interview einmal: „Lewis Carrol, der "Alice im Wunderland" schrieb, war wohl ein Pädophiler. Ebenso James M. Barrie, der Autor von "Peter Pan" - dem Jungen, der nie erwachsen wurde.“ (Michael Jackson war ja auch nicht ohne Grund ein Peter Pan Fan und nannte seine Ranch „Neverland“.) Damit will ich nicht sagen, dass Loughner „pädophil“ ist. Nein, hier geht es um die Faszination, die diese beiden Bücher bei ihm auslösten. In beiden Geschichten finden sich symbolisch und in der Handlung viele Botschaften, die auf destruktive Elternfiguren und leidgeprüfte Kinder hinweisen. „Pädophile“ sind keine Kinderliebhaber, wie das Wort nahe legt, viel mehr sind sie Hasser. Ihren Hass haben sie nur sexualisiert. Hass und Gewalt tauchen hier deutlich auch in beiden Kinderbüchern auf. Dass Loughner beide Bücher liebte, verwundert vor den o.g. Hintergründen insofern nicht. Und natürlich vermute ich auch eine sehr leidvolle Kindheitsgeschichte bei diesem Attentäter, ohne seine Tat entschuldigen zu wollen. (Psychohistorisch wäre es interessant, wie sich dieses Attentat vorher möglicherweise in Bildern und Symbolen in den US-Medien aufbaute.) Der SPIEGEL berichtet: "Über Loughners eher bürgerliches Familienleben mit den Eltern Amy und Randy ist wenig bekannt. Nachbarn bezeichneten die Beziehungen der drei zueinander als "undurchschaubar", das Verhalten des Vaters als bisweilen "unangenehm" oder angriffslustig." Mehr ist wohl bisher nicht bekannt.
Bilder und Geschichten haben oft eine Bedeutung, werden aber von der Öffentlichkeit meist kaum wahrgenommen oder gedeutet. Dies wird auch an Hand eines anderern blutigen Falls deutlich. Der Schauspieler Michael Brea hat kürzlich seiner Mutter mit einem Samurai-Schwert den Kopf abgeschlagen. Er rechtfertigte die Tat so: "Ich habe sie nicht getötet. Ich tötete nur den Dämon in ihr. Es war der Wille Gottes. Gott erschien mir eines nachts über meinem Bett. Ich fühlte mich wie Neo im Film Matrix. Ich hörte Stimmen und fühlte mich stark."
Ludwig Janus hat einen Beitrag zum Film Matrix geschrieben: „Überlegungen zum Film »Matrix« Ich kenne den Beitrag noch nicht, kann mir den Inhalt allerdings gut vorstellen. Der Film ist voll von Verbindungen zu verdrängten/abgespaltenen traumatischen Kindheitserfahrungen. Dies kann ich hier jetzt nicht alles besprechen. Ein Hinweis sagt allerdings schon viel aus. Morpheus sagt im Film zu Neo: „Ich will dir sagen, wieso du hier bist. Du bist hier, weil du etwas weißt. Etwas, das du nicht erklären kannst. Aber du fühlst es. Du fühlst es schon dein ganzes Leben lang, dass mit der Welt etwas nicht stimmt. Du weißt nicht was, aber es ist da. Wie ein Splitter in deinem Kopf, der dich verrückt macht. Dieses Gefühl hat dich zu mir geführt.“
Am besten hat vielleicht Alice Miller in ihren Büchern beschrieben, was hier im Film bildlich ausgedrückt wird. Das verbannte Wissen um den Selbstverrat des Kindes, das sich mit seinen gewalttätigen Eltern identifizieren muss, um zu überleben und später immer mit dem Gefühl durchs Leben geht, dass da "etwas" ist, was sich aber nicht erklären lässt.
Die wenigsten misshandelten Kinder rächen sich allerdings direkt bei ihren Peinigern, so wie Michael Brea dies wohl tat. Sondern sie agieren ihre Rache an anderen Stellen aus, suchen stellvertretende Opfer oder tun sich selbst Gewalt an.
Nochmal zum Abschluss: Bilder und Geschichten haben eine Bedeutung, dies gilt vor allem, wenn es um Attentäter und ähnliche Menschen geht. Wir sollten genauer hinschauen, was diese Bilder uns erzählen.
Sonntag, 9. Januar 2011
Vergiftete Politikdebatte in Amerika
Der Hass in den USA wächst offensichtlich weiter. Am 05.11.2010 schrieb ich einen Beitrag unter dem Titel: „Barack Obama - Abbruchstimmung und Hass wächst. Wer wird der neue Feind der USA?„
Die emotionale Lage in den USA wird stetig schwieriger. Aktuelle, anschaubare (medienwirksame) äußere Feinde fehlen. Saddam Hussein ist tot. Afghanistan ist weit weg und bringt keine neuen Ängste und Feindbilder mehr auf. Mit Russland und China ist man wirtschaftlich und politisch relativ eng verbandelt. Doch irgendwo müssen die Ängste ausagiert werden. Neue Feinde müssen her. Da Außen nicht auffindbar, richtet sich der Hass jetzt ins Innere, ins eigene Land, sowohl ökonomisch, als auch politisch.
„Vergiftete Politikdebatte in Amerika?“ betitelt SPIEGEL-Online derzeit seine Diskussion im Forum zum Attentat im US-amerikanischen Arizona, das vor allem der demokratischen Abgeordneten Gabrielle Giffords galt. "In diesem "Klima des Gifts" werde bald kaum noch jemand für öffentliche Ämter kandidieren." zitiert die ZEIT einen Sheriff aus Arizona. Parallel erschüttert derzeit Deutschland ein großer Dioxin-Skandal (wieder Gift). Zum Thema Gift hatte ich ja kürzlich schon etwas zur EURO-Krise geschrieben. Hier verbindet sich offensichtlich einiges. Die Zeitpunkte der Geschehnisse könnten merkwürdiger nicht sein. Hier bei uns reales Gift, nachdem im Vorfeld Fantasien über die "vergifteten Staaten von Europa" kursierten. Drüben, in den USA, "politisches Gift".
Die Welt hat offensichtlich ein Problem damit, wenn keine offenen Feinde bereit stehen. Selbstzerstörung scheint die einzige Antwort darauf zu sein.
Die emotionale Lage in den USA wird stetig schwieriger. Aktuelle, anschaubare (medienwirksame) äußere Feinde fehlen. Saddam Hussein ist tot. Afghanistan ist weit weg und bringt keine neuen Ängste und Feindbilder mehr auf. Mit Russland und China ist man wirtschaftlich und politisch relativ eng verbandelt. Doch irgendwo müssen die Ängste ausagiert werden. Neue Feinde müssen her. Da Außen nicht auffindbar, richtet sich der Hass jetzt ins Innere, ins eigene Land, sowohl ökonomisch, als auch politisch.
„Vergiftete Politikdebatte in Amerika?“ betitelt SPIEGEL-Online derzeit seine Diskussion im Forum zum Attentat im US-amerikanischen Arizona, das vor allem der demokratischen Abgeordneten Gabrielle Giffords galt. "In diesem "Klima des Gifts" werde bald kaum noch jemand für öffentliche Ämter kandidieren." zitiert die ZEIT einen Sheriff aus Arizona. Parallel erschüttert derzeit Deutschland ein großer Dioxin-Skandal (wieder Gift). Zum Thema Gift hatte ich ja kürzlich schon etwas zur EURO-Krise geschrieben. Hier verbindet sich offensichtlich einiges. Die Zeitpunkte der Geschehnisse könnten merkwürdiger nicht sein. Hier bei uns reales Gift, nachdem im Vorfeld Fantasien über die "vergifteten Staaten von Europa" kursierten. Drüben, in den USA, "politisches Gift".
Die Welt hat offensichtlich ein Problem damit, wenn keine offenen Feinde bereit stehen. Selbstzerstörung scheint die einzige Antwort darauf zu sein.
Dienstag, 4. Januar 2011
Exkurs: Falschbeschuldigungen bei sexellen Missbrauch und falsche Informationen
Wikipedia ist gut und schön, hat aber auch Schwächen, wie jedem klar sein dürfte. Aktuell wurde ich auf den wikipedia Beitrag „Missbrauch mit dem Missbrauch“ aufmerksam. Dort steht: „Laut Angaben des Präsidenten des Deutschen Familiengerichtstages, Siegfried Willutzki, wird in ca. 40 % aller streitigen Sorgerechtsverfahren durch die um das Sorgerecht kämpfende Mutter ein Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gegen den Vater erhoben.“ Diese Angabe basiert auf einen Artikel in der Rheinische Post vom 26.3.1994, es gibt im Internet etliche Verweise auf diese Textstelle. Vor allem „Väterrechtler“ wie z.B. die paPPas, „Väter für Kinder“, „Väteraufbruch für Kinder“ aber auch Homepages der Maskulistenbewegung etc. verweisen immer wieder auf diese Quelle. Sogar der Focus (Heft Nr. 23) zitiert diese Zahl 1996 wie folgt: "In rund 40 Prozent aller Sorge- und Umgangsrechtsverfahren wird Schätzungen zufolge mittlerweile der Vorwurf des Sexmißbrauchs erhoben (meist von Müttern gegen Väter), oft unterstützt von Gutachtern der „Aufdeckungs“-Fraktion." (dieser Artikel ist immer noch online!)Diese belege das hohe Ausmass von willentlichen Falschbeschuldigungen gegen Väter, um diese zu zerstören und um vor allem den Kontakt zum Kind zu unterbinden, so der Tenor dieser “Männeraktivisten“. Da die Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs im Folgejahr nach 1994 zugenommen hätten, schreiben z.B. die paPPas auf ihrer Homepage: "In der Konsequenz hat also ein Vater, der gerichtlich um Sorge oder Umgang streitet, eine 1:1-Chance, sich den Vorwurf einzuhandeln."
Zu dem Thema an sich lässt sich mittlerweile ein ganzes Buch schreiben, so viel haarsträubendes und richtigzustellendes Material (u.a. auch erzeugt durch seriöse Medien wie den SPIEGEL – durch Gisela Friedrichsen - und die ZEIT – durch Sabine Rückert) liegt da mittlerweile vor. Da mein Blog eine sehr gute Googel Positionierung hat, möchte ich die Gelegenheit nutzen, in meinem bescheidenen Rahmen der Möglichkeiten zu der o.g. Zahl etwas zu schreiben.
Wenn man sich klar macht, dass z.B. 1996 in über 150.000 Fällen in entsprechenden Verfahren über die elterliche Sorge und in über 20.000 Fällen über die Regelung des Umgangs entschieden wurde (vgl. Ruhl, R. 2000: Väter - Opfer bei Trennung und Scheidung? In: Lenz, H.-J. (Hrsg.): Männliche Opfererfahrungen. Problemlagen und Hilfeansätze in der Männerberatung. Juventa, Weinheim. , S. 150) dann wären das bei 40 % 60.000 angezeigte Fälle sexuellen Missbrauch innerhalb von Sorgerechtstreitigkeiten und 8.000 angezeigte Fälle während Umgangsrechtstreitigkeiten. 1996 wurden aber nur 19.522 Fälle von sexuellem Missbrauch polizeilich registriert und diese Fälle beziehen sich wohlgemerkt auf eine Vielzahl von TäterInnengruppen, also nicht nur auf Väter. Die Zahl von 40 % lässt sich also alleine durch diese kleine Rechnung sehr leicht widerlegen. Aber ergänzen wir dies doch noch um eine Studie:
Busse / Steller / Volbert (2000) haben 1.394 Akten Berliner Familiengerichte zur Frage der Umgangsregelung aus den Jahrgängen 1988, 1993 und 1995 wissenschaftlich ausgewertet. In nur 45 Fällen (ca. 3,3 %) kam ein sexueller Missbrauchsverdacht zur Sprache. Eine Auswertung von 1.500 Sorgerechtsakten aus den drei genannten Jahrgängen erbrachte ebenfalls nur 45 Fälle ( 3,0 %), die einen Missbrauchsverdacht beinhalten. (vgl. Bange, D. / Körner, W. 2002: Handwörterbuch Sexueller Mißbrauch. Hogrefe-Verlag, S. 94)
Ein weiteres Rechenbeispiel bringt uns der Realität noch mal näher:
1996 waren nur 1.543 von den 19.526 (mutmaßlichen) Opfern mit dem Täter/der Täterin verwandt. Das entspricht 7,90 % der Fälle. (vgl. Bundesministerium des Inneren / Bundesministerium der Justiz, 2006: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht. S. 101) Ca. 3,5 % der Tatverdächtigen sind zudem weiblich, das zeigen die Statistiken (Dunkelfeldstudien zeigen da etwas anderes, aber das nur nebenbei). Da sich dieser Text auf die (angeblich massenhaften) Falschbeschuldigungsvorwürfe gegen Männer bzw. speziell Väter bezieht, können wir also nochmal 3,5 % von den 1.543 „Verwandtschaftsfällen“ abziehen, das wären Minus 54. Bleiben 1.489 Anzeigen gegen Männer, die mit dem (mutmaßlichen) Opfer verwandt sind. Nun muss mann auch noch wissen, dass z.B. im Jahr 1999 24,5 % aller Tatverdächtigen zwischen 8 und 21 Jahren alt waren, i.d.R. also gar keine eigenen Kinder haben. Und 8,1 % der Tatverdächtigen waren über 60 Jahre alt und fallen somit bzgl. Sorgerechtsstreitigkeiten auch raus. Ich vermute allerdings, dass innerhalb der „Verwandtschaftsfälle“ eher Tatverdächtige über 21 Jahre auftauchen. Insofern ziehe ich nochmal vorsichtige 10 % von den 1.489 Anzeigen gegen männliche Verwandte ab. Übrig bleiben dann noch 1340 Fälle. Innerhalb dieser verbleibenden Fälle werden jetzt nicht nur Väter stecken, sondern auch Onkel, evtl. der Cousin oder auch der angeheiratete Stiefvater, vielleicht auch noch ein paar junge Großväter, die über 60 Jahre alten Tatverdächtigen haben wir oben ja schon etwas rausgerechnet. Wieviele leibliche Väter angezeigt wurden, bleibt also Spekulation. Um eine gerade Zahl zu bekommen, rechne ich einfach mal mit hohen 1.000. Ich glaube dabei ehrlich gesagt, dass es weit weniger sind. Aber bleiben wir einfach bei dieser Zahl.
Kommen wir also zurück zu den 150.000 Sorgerechtsfällen aus dem Jahr 1996 und stellen diesen Fällen einfach alle 1.000 mögliche Anzeigen gegen Väter gegenüber (obwohl Anzeigen gegen Väter ja auch außerhalb von Sorgerechtsstreitigkeiten erfolgen). Das würde dann bedeuten, dass in nur 0,66 % der Sorgerechtsfälle ein Missbrauchsverdacht gegen Väter ausgesprochen wird!
(Die Berliner Studie von Busse / Steller / Volbert (2000) hatte um die 3 % ergeben. Dies legt den Schluss nahe, dass es regional ein unterschiedliches Anzeigeverhalten gibt und vor allem in Großstädten verhältnismäßig viel angezeigt wird.)
Die Polizeiliche Kriminalstatistik der letzten Jahre zeigt außerdem, dass von den angezeigten Fällen nur ca. 10 % zu einer Verurteilung führen. Von den oben berechneten fiktiven 1000 Vätern werden also nur 100 verurteilt (die meisten davon auf Bewährung oder mit einer Geldstrafe, auch das zeigt die Statistik). Die Gerichte agieren hier also sehr sehr vorsichtig und schicken nicht massenhaft Väter in die Gefängnisse, weil ihre durchgeknallten (unter feministischer Hypnose stehenden) EX-Ehefrauen mal „einfach so“ einen Missbrauchsverdacht aussprechen, um sich das Sorgerecht zu sichern.
Trotz dieser leicht herauszufindenden Daten spukt die Zahl von 40 % Anschuldigungen gegen Väter im Internet weiter herum, sogar auf wikipedia. Die entsprechenden (Internet-)Akteure müssen sich meines Erachtens nach fragen lassen, welche Motivation sie haben, eine solche falsche Zahl zu verbreiten? (Eigentlich müsste die Aufklärung über die wahren Zahlenverhältnisse sogar im Interesse der Väteraktivisten sein, alleine schon um ihre eigenen Nerven zu beruhigen.)
Dieses ganze Thema um angeblich massenhafte Falschbeschuldigungen und unzählige „böse Mütter“ und „rachsüchtige Feministinnen“ ist ein Thema mit unzähligen Abgründen. Hier wird all zu oft Realität gemacht, nicht gesehen. (Und ja, es gibt auch Väter, die real Opfer von Falschbeschuldigungen wurden. Aber nicht in dem Ausmass, wie das verbreitet wird.)
Ich möchte alle, die von dem Thema vielleicht das erste mal hören, dazu aufrufen, sehr vorsichtig und sehr kritisch zu sein, was das Thema Falschbeschuldigungen in Missbrauchsfällen angeht. Leider entpuppen sich all zu oft auch gerade angebliche Arbeiter für die Rechte von Vätern und Kinder als sehr destruktive Akteure, die allerleih Unsinn in die Welt setzen. Dem Schutz der Kinder dient es nicht, eine Zahl wie die o.g. von 40 % in der Welt zu verbreiten, sie dient dem Schutz der realen TäterInnen.
(Anmerkung: Dieser Text wurde am 07.01.2011 noch mal um einige Zeilen und Daten ergänzt - vor allem um die Berliner Studie und das anschließende Rechenbeispiel -, insofern beziehen sich die Kommentare unten noch auf die alte Textversion)
Weiterführende Links:
Gibt es einen »Missbrauch mit dem Missbrauch«?
Helfermafia" und "Fürsorgestasi" - Über den Missbrauch mit dem Missbrauch
Zu dem Thema an sich lässt sich mittlerweile ein ganzes Buch schreiben, so viel haarsträubendes und richtigzustellendes Material (u.a. auch erzeugt durch seriöse Medien wie den SPIEGEL – durch Gisela Friedrichsen - und die ZEIT – durch Sabine Rückert) liegt da mittlerweile vor. Da mein Blog eine sehr gute Googel Positionierung hat, möchte ich die Gelegenheit nutzen, in meinem bescheidenen Rahmen der Möglichkeiten zu der o.g. Zahl etwas zu schreiben.
Wenn man sich klar macht, dass z.B. 1996 in über 150.000 Fällen in entsprechenden Verfahren über die elterliche Sorge und in über 20.000 Fällen über die Regelung des Umgangs entschieden wurde (vgl. Ruhl, R. 2000: Väter - Opfer bei Trennung und Scheidung? In: Lenz, H.-J. (Hrsg.): Männliche Opfererfahrungen. Problemlagen und Hilfeansätze in der Männerberatung. Juventa, Weinheim. , S. 150) dann wären das bei 40 % 60.000 angezeigte Fälle sexuellen Missbrauch innerhalb von Sorgerechtstreitigkeiten und 8.000 angezeigte Fälle während Umgangsrechtstreitigkeiten. 1996 wurden aber nur 19.522 Fälle von sexuellem Missbrauch polizeilich registriert und diese Fälle beziehen sich wohlgemerkt auf eine Vielzahl von TäterInnengruppen, also nicht nur auf Väter. Die Zahl von 40 % lässt sich also alleine durch diese kleine Rechnung sehr leicht widerlegen. Aber ergänzen wir dies doch noch um eine Studie:
Busse / Steller / Volbert (2000) haben 1.394 Akten Berliner Familiengerichte zur Frage der Umgangsregelung aus den Jahrgängen 1988, 1993 und 1995 wissenschaftlich ausgewertet. In nur 45 Fällen (ca. 3,3 %) kam ein sexueller Missbrauchsverdacht zur Sprache. Eine Auswertung von 1.500 Sorgerechtsakten aus den drei genannten Jahrgängen erbrachte ebenfalls nur 45 Fälle ( 3,0 %), die einen Missbrauchsverdacht beinhalten. (vgl. Bange, D. / Körner, W. 2002: Handwörterbuch Sexueller Mißbrauch. Hogrefe-Verlag, S. 94)
Ein weiteres Rechenbeispiel bringt uns der Realität noch mal näher:
1996 waren nur 1.543 von den 19.526 (mutmaßlichen) Opfern mit dem Täter/der Täterin verwandt. Das entspricht 7,90 % der Fälle. (vgl. Bundesministerium des Inneren / Bundesministerium der Justiz, 2006: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht. S. 101) Ca. 3,5 % der Tatverdächtigen sind zudem weiblich, das zeigen die Statistiken (Dunkelfeldstudien zeigen da etwas anderes, aber das nur nebenbei). Da sich dieser Text auf die (angeblich massenhaften) Falschbeschuldigungsvorwürfe gegen Männer bzw. speziell Väter bezieht, können wir also nochmal 3,5 % von den 1.543 „Verwandtschaftsfällen“ abziehen, das wären Minus 54. Bleiben 1.489 Anzeigen gegen Männer, die mit dem (mutmaßlichen) Opfer verwandt sind. Nun muss mann auch noch wissen, dass z.B. im Jahr 1999 24,5 % aller Tatverdächtigen zwischen 8 und 21 Jahren alt waren, i.d.R. also gar keine eigenen Kinder haben. Und 8,1 % der Tatverdächtigen waren über 60 Jahre alt und fallen somit bzgl. Sorgerechtsstreitigkeiten auch raus. Ich vermute allerdings, dass innerhalb der „Verwandtschaftsfälle“ eher Tatverdächtige über 21 Jahre auftauchen. Insofern ziehe ich nochmal vorsichtige 10 % von den 1.489 Anzeigen gegen männliche Verwandte ab. Übrig bleiben dann noch 1340 Fälle. Innerhalb dieser verbleibenden Fälle werden jetzt nicht nur Väter stecken, sondern auch Onkel, evtl. der Cousin oder auch der angeheiratete Stiefvater, vielleicht auch noch ein paar junge Großväter, die über 60 Jahre alten Tatverdächtigen haben wir oben ja schon etwas rausgerechnet. Wieviele leibliche Väter angezeigt wurden, bleibt also Spekulation. Um eine gerade Zahl zu bekommen, rechne ich einfach mal mit hohen 1.000. Ich glaube dabei ehrlich gesagt, dass es weit weniger sind. Aber bleiben wir einfach bei dieser Zahl.
Kommen wir also zurück zu den 150.000 Sorgerechtsfällen aus dem Jahr 1996 und stellen diesen Fällen einfach alle 1.000 mögliche Anzeigen gegen Väter gegenüber (obwohl Anzeigen gegen Väter ja auch außerhalb von Sorgerechtsstreitigkeiten erfolgen). Das würde dann bedeuten, dass in nur 0,66 % der Sorgerechtsfälle ein Missbrauchsverdacht gegen Väter ausgesprochen wird!
(Die Berliner Studie von Busse / Steller / Volbert (2000) hatte um die 3 % ergeben. Dies legt den Schluss nahe, dass es regional ein unterschiedliches Anzeigeverhalten gibt und vor allem in Großstädten verhältnismäßig viel angezeigt wird.)
Die Polizeiliche Kriminalstatistik der letzten Jahre zeigt außerdem, dass von den angezeigten Fällen nur ca. 10 % zu einer Verurteilung führen. Von den oben berechneten fiktiven 1000 Vätern werden also nur 100 verurteilt (die meisten davon auf Bewährung oder mit einer Geldstrafe, auch das zeigt die Statistik). Die Gerichte agieren hier also sehr sehr vorsichtig und schicken nicht massenhaft Väter in die Gefängnisse, weil ihre durchgeknallten (unter feministischer Hypnose stehenden) EX-Ehefrauen mal „einfach so“ einen Missbrauchsverdacht aussprechen, um sich das Sorgerecht zu sichern.
Trotz dieser leicht herauszufindenden Daten spukt die Zahl von 40 % Anschuldigungen gegen Väter im Internet weiter herum, sogar auf wikipedia. Die entsprechenden (Internet-)Akteure müssen sich meines Erachtens nach fragen lassen, welche Motivation sie haben, eine solche falsche Zahl zu verbreiten? (Eigentlich müsste die Aufklärung über die wahren Zahlenverhältnisse sogar im Interesse der Väteraktivisten sein, alleine schon um ihre eigenen Nerven zu beruhigen.)
Dieses ganze Thema um angeblich massenhafte Falschbeschuldigungen und unzählige „böse Mütter“ und „rachsüchtige Feministinnen“ ist ein Thema mit unzähligen Abgründen. Hier wird all zu oft Realität gemacht, nicht gesehen. (Und ja, es gibt auch Väter, die real Opfer von Falschbeschuldigungen wurden. Aber nicht in dem Ausmass, wie das verbreitet wird.)
Ich möchte alle, die von dem Thema vielleicht das erste mal hören, dazu aufrufen, sehr vorsichtig und sehr kritisch zu sein, was das Thema Falschbeschuldigungen in Missbrauchsfällen angeht. Leider entpuppen sich all zu oft auch gerade angebliche Arbeiter für die Rechte von Vätern und Kinder als sehr destruktive Akteure, die allerleih Unsinn in die Welt setzen. Dem Schutz der Kinder dient es nicht, eine Zahl wie die o.g. von 40 % in der Welt zu verbreiten, sie dient dem Schutz der realen TäterInnen.
(Anmerkung: Dieser Text wurde am 07.01.2011 noch mal um einige Zeilen und Daten ergänzt - vor allem um die Berliner Studie und das anschließende Rechenbeispiel -, insofern beziehen sich die Kommentare unten noch auf die alte Textversion)
Weiterführende Links:
Gibt es einen »Missbrauch mit dem Missbrauch«?
Helfermafia" und "Fürsorgestasi" - Über den Missbrauch mit dem Missbrauch
Donnerstag, 23. Dezember 2010
Das war 2010 - Ein Jahresrückblick mit Bild
Am 30.12.2009 veröffentlichte der englische Economist diesen Cartoon und leitete damit die Gruppenfantasien für 2010 ein. Im Rückblick trifft dieser „KAL`s Cartoon“ recht gut die großen emotionalen Themen des Jahres 2010. Interessant ist hier besonders die Art der Darstellung. „2009“ wird als monströser alter Großvater dargestellt. „“2010“ als "erwachsenes" Baby. Beides hat mit Familie und Kindheit zu tun. Wobei der Großvater seinen Zorn/Angriff/Schrecken in Richtung Baby lenkt. Die „Feinde“, Gefahren und Ängste werden als böse, giftige Schlangen dargestellt, die aus der runden „Mutter Erde“ herausbrechen und die vom Baby erstaunt angeschaut werden.
Mir liegt es nicht, zu viele Interpretationen in solche Bilder zu legen. Denn jeder Mensch deutet die Dinge individuell. Anregen möchte ich hier also nur dazu, darüber nachzudenken, wie solche medialen Bilder etwas mit der weit verbreiteten Gewalt in der Kindheit zu tun haben könnten und wie diese Gruppenfantasien dann wiederum Realitäten schaffen.
Montag, 20. Dezember 2010
Klara Hitler - Mutter eines Massenmörders. Ein Hörbeitrag
Hinweis: Mutter eines Massenmörders, ein Radiobeitrag von NDR-Info "Frauenforum" (19.12.2010).
Interessante Details über Hitlers Kindheit und Mutter sind in diesem Beitrag zu hören. Ich will den Beitrag nicht komplett kommentieren. Eine Stelle fiel mir allerdings besonders auf. „Ich weiß nicht, wo sie diese Wut gelassen hat“, sagt eine Forscherin im Beitrag, nachdem das Leid von Klara Hitler in ihrer Ehe geschildert wurde. Vorher sagt sie noch, dass Klara ihre Kinder, nach allem was man weiß, gut behandelt habe. Wo blieb die Wut?
Hitlers Mutter hat nach den Beiträgen von Alice Miller und Arno Gruen ihre Wut und ihren Hass in verdeckter Form an ihren Kindern ausgelassen (Stichwort: emotionaler Missbrauch). Niemand sonst stand als Blitzableiter zur Verfügung. Leider wird dies in den Besprechungen von Hitlers Kindheit und Familie immer wieder übersehen.
Interessante Details über Hitlers Kindheit und Mutter sind in diesem Beitrag zu hören. Ich will den Beitrag nicht komplett kommentieren. Eine Stelle fiel mir allerdings besonders auf. „Ich weiß nicht, wo sie diese Wut gelassen hat“, sagt eine Forscherin im Beitrag, nachdem das Leid von Klara Hitler in ihrer Ehe geschildert wurde. Vorher sagt sie noch, dass Klara ihre Kinder, nach allem was man weiß, gut behandelt habe. Wo blieb die Wut?
Hitlers Mutter hat nach den Beiträgen von Alice Miller und Arno Gruen ihre Wut und ihren Hass in verdeckter Form an ihren Kindern ausgelassen (Stichwort: emotionaler Missbrauch). Niemand sonst stand als Blitzableiter zur Verfügung. Leider wird dies in den Besprechungen von Hitlers Kindheit und Familie immer wieder übersehen.
Samstag, 11. Dezember 2010
Vergiftete Staaten von Europa? Der mögliche Sinn hinter dem "letzten Gefecht"
„Vergiftete Staaten von Europa“ betitel SPIEGEL-Online einen aktuellen Artikel. Der Artikel gehört zum SPIEGEL-Titelthema der Printausgabe. „Das letzte Gefecht“ ist da auf dem SPIEGEL Cover groß zu lesen. Abgebildete ist eine zweifach zerschossene EURO-Münze (getroffen wurden Irland und Griechenland) und zwei weitere Pistolenkugeln, die auf den EURO zurasen. „Das «letzte Gefecht» um den Euro“ titelt dann auch in der Folge z.B. die Basler Zeitung. „Führende europäische Zeitschriften wie «Spiegel» und «Economist» überbieten sich bereits mit dramatischen Titeln zum Ausgang der Eurokrise.“, schreiben die Basler. „Der «Economist» zeigt einen Mann im Anzug, der sich eine Pistole an den eigenen Kopf hält, dieser Kopf besteht aus einer Euromünze. Betitelt ist die Seite mit «Don’t do it – what breaking up the Euro would mean».” presseurop übersetzte den Economist Artikel und titelt: „Wenn Euroland Selbstmord begeht“. In dem Artikel ist auch das Cover des Economist zu sehen. „Für die Banken sterben? Nein danke!“ wird ein aktueller Artikel aus das „Freie Rumänien" bei presseurop übersetzt. Ich denke, dass sich derzeit noch mehr Artikel mit derartigen Schlagzeilen finden ließen.
Wenn das Wort „Gift“ oder „vergiftet“ im Zusammenhang mit politischen oder ökonomischen Prozessen auftaucht, dann werde ich mittlerweile sehr aufmerksam. Im vorherigen Beitrag hatte ich auf einen ZEIT-Artikel hingewiesen. Bzgl. der Gewalt gegen Kinder schrieb die Autorin den wahren Satz: „Den Kindern aber, die wie Hauspflanzen keine Wahl haben, zu entscheiden, wo sie leben, bleibt nichts übrig, als das vergiftete Wasser aus der Gießkanne im Elternhaus in sich aufzunehmen.“ Auch Lloyd deMause spricht häufig von „Gift“ und vor allem von „Giftcontainern“ im Zusammenhang mit Gewalt gegen Kinder. „Giftcontainern“ sind die menschlichen Opfer (durch Kriege, Gewaltkriminalität und ökonomische Krisen erzeugt) , die gebracht werden, um bzgl. traumatischer Kindheitserfahrungen (das „Gift“) kurzfristig Erleichterung zu verspüren und sich zu „reinigen“. „Vergiftete Kindheit: Vom Missbrauch elterliche Macht und seinen Folgen “ nannte die Psychotherapeutin Susan Forward ihr Buch, in dem sie in anschaulicher Sprache über die Auswirkungen elterlicher Gewalt berichtet. Das Thema „Gift“ und „Kindheit“ ist also in der Tat etwas, was bildlich die Folgen der Gewalt gut beschreibt. Wenn dieses „Gift“ dann in den Medien und politischen Reden auftaucht, macht es Sinn, hier Zusammenhänge zur (destruktiven) Kindheit zu vermuten.
„Vergiftete Staaten von Europa“? Macht dieses Bild wirklich Sinn in Bezug auf die EURO-Krise? Darüber lässt sich sicher streiten. Ganz rational betrachtet, finde ich nicht, dass Gift und Probleme in der Geldpolitik bildlich wirklich zusammenpassen. Erinnern wir uns an dieser Stelle auch an die letzte Krise im Jahr 2009. Von „toxischen Wertpapieren“ war da häufig die Rede. Wertpapiere können ihren Wert verlieren und Verlust einbringen. Können sie auch giftig sein? Eher nicht. Wertpapierverluste im großen Rahmen können vielleicht einen Dominoeffekt auslösen. Aber können sie auch Gift verbreiten?
„Vergiftete Staaten“ und dann in großen Titelbuchstaben „Das letzte Gefecht“. Was soll das mit dem Gefecht, habe ich mich gefragt? Der EURO-Raum erlebt gerade eine Krise seiner Währung (wohl eher auch eine Krise der Emotionen). Das Bild „letzte Gefecht“ macht nach meiner Meinung auch hier keinen Sinn. Dieses Bild hat doch eher etwas mit Kampf und Krieg zu tun, als mit Problemen in der Geldpolitik und der Überschuldung. Die Eurozone ist eine Solidargemeinschaft, trotz aller aktueller Probleme und Streitigkeiten. Hier geht es so gar nicht um einen Krieg oder ein Gefecht in Europa. Zudem zeigt die Geschichte, dass es immer wieder Währungskrisen gibt. Diese Krise wird also nicht die „letzte“ sein und sie wird sicher auch keine Menschen in Europa töten.
„Das letzte Gefecht“ ist übrigens auch der deutsche Titel von einem Stephen King Buch. Ein biologischer Kampfstoff (Virus, also wieder eine Art „Gift“!) tötet in der Geschichte fast alle Menschen (99,4%) auf der Welt. Die wenigen Überlebenden spalten sich in zwei Gruppen, in „Gut“ und „Böse“. Die Konflikte der Parteien finden ihren Höhepunkt schließlich in der Explosion einer Atombombe im Lager der „Bösen“. Eine apokalyptische Katastrophe wie bei Stephen King ist die EURO-Krise sicher nicht. Warum solche Wortgewalt? Warum Pistolenschüsse auf Europa? Warum Selbstmordgedanken und Angst zu sterben?
Medienbilder, Wirtschaftkrisen und destruktive Kindheitserfahrungen. Diese Dinge zusammen zu betrachten, ist etwas relativ neues, auch für mich. Für mich bleibt die Analyse von solchen Bildern und Worten weiter spannend. Ich kann dem nur lückenhaft nachgehen, finde es aber wichtig, überhaupt auf solche möglichen Zusammenhänge hinzuweisen und gedankliche Anregungen zu geben.
Wenn das Wort „Gift“ oder „vergiftet“ im Zusammenhang mit politischen oder ökonomischen Prozessen auftaucht, dann werde ich mittlerweile sehr aufmerksam. Im vorherigen Beitrag hatte ich auf einen ZEIT-Artikel hingewiesen. Bzgl. der Gewalt gegen Kinder schrieb die Autorin den wahren Satz: „Den Kindern aber, die wie Hauspflanzen keine Wahl haben, zu entscheiden, wo sie leben, bleibt nichts übrig, als das vergiftete Wasser aus der Gießkanne im Elternhaus in sich aufzunehmen.“ Auch Lloyd deMause spricht häufig von „Gift“ und vor allem von „Giftcontainern“ im Zusammenhang mit Gewalt gegen Kinder. „Giftcontainern“ sind die menschlichen Opfer (durch Kriege, Gewaltkriminalität und ökonomische Krisen erzeugt) , die gebracht werden, um bzgl. traumatischer Kindheitserfahrungen (das „Gift“) kurzfristig Erleichterung zu verspüren und sich zu „reinigen“. „Vergiftete Kindheit: Vom Missbrauch elterliche Macht und seinen Folgen “ nannte die Psychotherapeutin Susan Forward ihr Buch, in dem sie in anschaulicher Sprache über die Auswirkungen elterlicher Gewalt berichtet. Das Thema „Gift“ und „Kindheit“ ist also in der Tat etwas, was bildlich die Folgen der Gewalt gut beschreibt. Wenn dieses „Gift“ dann in den Medien und politischen Reden auftaucht, macht es Sinn, hier Zusammenhänge zur (destruktiven) Kindheit zu vermuten.
„Vergiftete Staaten von Europa“? Macht dieses Bild wirklich Sinn in Bezug auf die EURO-Krise? Darüber lässt sich sicher streiten. Ganz rational betrachtet, finde ich nicht, dass Gift und Probleme in der Geldpolitik bildlich wirklich zusammenpassen. Erinnern wir uns an dieser Stelle auch an die letzte Krise im Jahr 2009. Von „toxischen Wertpapieren“ war da häufig die Rede. Wertpapiere können ihren Wert verlieren und Verlust einbringen. Können sie auch giftig sein? Eher nicht. Wertpapierverluste im großen Rahmen können vielleicht einen Dominoeffekt auslösen. Aber können sie auch Gift verbreiten?
„Vergiftete Staaten“ und dann in großen Titelbuchstaben „Das letzte Gefecht“. Was soll das mit dem Gefecht, habe ich mich gefragt? Der EURO-Raum erlebt gerade eine Krise seiner Währung (wohl eher auch eine Krise der Emotionen). Das Bild „letzte Gefecht“ macht nach meiner Meinung auch hier keinen Sinn. Dieses Bild hat doch eher etwas mit Kampf und Krieg zu tun, als mit Problemen in der Geldpolitik und der Überschuldung. Die Eurozone ist eine Solidargemeinschaft, trotz aller aktueller Probleme und Streitigkeiten. Hier geht es so gar nicht um einen Krieg oder ein Gefecht in Europa. Zudem zeigt die Geschichte, dass es immer wieder Währungskrisen gibt. Diese Krise wird also nicht die „letzte“ sein und sie wird sicher auch keine Menschen in Europa töten.
„Das letzte Gefecht“ ist übrigens auch der deutsche Titel von einem Stephen King Buch. Ein biologischer Kampfstoff (Virus, also wieder eine Art „Gift“!) tötet in der Geschichte fast alle Menschen (99,4%) auf der Welt. Die wenigen Überlebenden spalten sich in zwei Gruppen, in „Gut“ und „Böse“. Die Konflikte der Parteien finden ihren Höhepunkt schließlich in der Explosion einer Atombombe im Lager der „Bösen“. Eine apokalyptische Katastrophe wie bei Stephen King ist die EURO-Krise sicher nicht. Warum solche Wortgewalt? Warum Pistolenschüsse auf Europa? Warum Selbstmordgedanken und Angst zu sterben?
Medienbilder, Wirtschaftkrisen und destruktive Kindheitserfahrungen. Diese Dinge zusammen zu betrachten, ist etwas relativ neues, auch für mich. Für mich bleibt die Analyse von solchen Bildern und Worten weiter spannend. Ich kann dem nur lückenhaft nachgehen, finde es aber wichtig, überhaupt auf solche möglichen Zusammenhänge hinzuweisen und gedankliche Anregungen zu geben.
Mittwoch, 8. Dezember 2010
Überraschende Bewegung in den Medien: "Tatort Elternhaus"
Wirklich überrascht hat mich der aktuelle, ausführliche Artikel „Tatort Elternhaus“ von Caroline Fetscher, der in der ZEIT und auch im Tagesspiegel erschienen ist. Solcher Art Artikel sind es, die unsere Gesellschaft braucht, um sich zu bewegen und um Dinge bewusst zu machen! Ich denke, dass wir zukünftig mit mehr in dieser Richtung rechnen können. Jüngere AutorInnen wie die oben benannte machen sich in der Medienlandschaft breit. Diese neue Generation wird ganz anders mit dem Thema umgehen können, als die Generationen davor. Wir dürfen auf die weitere Entwicklung gespannt sein.
Hervorheben möchte ich, dass in dem Artikel auf die Schwedin Ellen Key („Jahrhundert des Kindes“) und auch auf Lloyd de Mause und seine „Evolution von Kindheit“ relativ ausführlich eingegangen wurde. Auch die möglichen politischen Auswirkungen der Gewalt gegen Kinder wurde zumindest in einem Satz erwähnt: „ (…) Einschüchterung, Schuld und Gewalt geprägte Klima, in dem Anfang des 20. Jahrhunderts jene deutschen Kinder heranwuchsen, die später als Täter oder Mitläufer den Faschismus möglich machten.“
Besonders interessant fand ich auch folgende Textstelle: „Keine Frage, gewaltige Residuen aller vergangenen Epochen wirken bis heute nach und weiter. Auffällig offen überwintert die Gewalt in der Sprache, die wir verwenden. Gewaltmetaphern werden täglich und sorglos verwendet: Menschen bei Maischberger fragt, "Warum verprügeln wir Schwarz-Gelb?", der Steuerzahler "muss bluten", die Regierung "plant Grausamkeiten", ein Politiker "wird abgewatscht". Abend für Abend serviert das Fernsehen Schlägereien, Schießereien, Vergewaltigungen, Raub und Mord. Gewalt ist omnipräsent. Überwunden ist die Vorstellung, Konflikte durch Gewalt auszuagieren, noch lange nicht.“ Das ist etwas, was ja auch die psychohistorische Forschung mit ihrer Fantasieanalyse von Medien, politischen Reden und Cartoons darzustellen versucht: Wie führt sich die Kindererziehungspraxis (verdeckt) in Worten und Bildern in den Medien wieder auf?
Wichtig fand ich auch den Hinweis auf psychische Gewalt, darauf wird leider viel zu selten hingewiesen. „Zahllose Kinder hören Tag für Tag abwertende, entmutigende, gebrüllte, lieblose Botschaften. "Du machst mich krank", "du bist dumm", "immer bist du im Weg", "geh mir aus den Augen", "mit dir ist nichts anzufangen", "seit du auf der Welt bist, gibt es nichts als Ärger" – die Litanei ist uferlos. Wer als Kind mit diesem Hagel aufwächst, erfährt weder Selbstwert noch Schutz. Das ist die Entwürdigung, die im Gesetz zur gewaltfreien Erziehung ebenfalls erwähnt wird. Psychische Gewalt. Aber "Entwürdigung" – diese Diagnose werde gar nicht gestellt, bedauert die Kinderärztin Winter. Den Kindern aber, die wie Hauspflanzen keine Wahl haben, zu entscheiden, wo sie leben, bleibt nichts übrig, als das vergiftete Wasser aus der Gießkanne im Elternhaus in sich aufzunehmen.“
Aufschlussreich und – ich muss gestehen - für mich nicht wirklich neu, weil ich solche Aussagen schon zu oft gehört habe, fand ich auch einige Kommentare der LeserInnen. Hier findet man u.a. die "Identifikation mit dem Aggressor" wieder. Besonders erschreckend, aber leider Realität und hoch wirksam, ist die „Dankbarkeit“ für Schläge und „Einsicht“ der Geschlagenen.
Im Tagesspiegel:
„Eine gewisse Züchtigung hatte mir keineswegs geschadet, sondern vor größerem Schaden bewahrt und auch ein klein wenig Gehorsam beigebracht.“
„mein gott, was fuer ein sozialarbeitergewinsel. eine ohrfeige ist keine physische misshandlung. um ein kind von grossem bloedsinn abzuhalten wenn alle noch so gute argumente und strenge worte nichts helfen, kann man auch mal einen klapps auf die finger geben.“
In der Zeit:
„aus persönlicher Erfahrung während meiner eigenen Kindheit weiß ich, dass das vorhandensein von körperlicher Gewalt nicht im Allgemeinfall schädlich für ein Kind sein muss. (…) Aber wenn ich und mein Bruder mal so richtig scheiße gebaut haben, gab es als Bestrafung durchaus Klapse auf den Arsch. Ja, die taten schon weh, auch wenn wir irgendwann merkten, dass sie gar nicht so schlimm waren (der psychologische Effekt war ziemlich groß). Aber ich habe dies nie als Misshandlung empfunden, sondern als ziemlich gerechtfertigte Bestrafung. (…)würde mich persönlich wirklich interessieren, ob hier jeder der Meinung ist, dass eine Erziehung grundsätzlich gewaltfrei sein muss. Das sehe ich ehrlich gesagt nicht so - es gibt nur eben verschiedene Formen von Gewalt.“
„Kinder brauchen Grenzen, Grenzverletzungen erfordern Konsequenzen. Konsequenzen müssen dem Kind in irgendeiner Form "weh" tun, sonst sind es keine. Ein unmittelbarer "Klaps" auf den Hintern ist manchmal für BEIDE Seiten die beste Lösung.“
„Der Klaps auf dem Hinterkopf kann ein probates Mittel sein, um Kindern Grenzen zu setzen. Gewalt ist dem Kind dabei im eigentlichen Sinne nicht widerfahren." Selber Leser an anderer Stelle: „Ich selbst habe mal 10 Ohrfeigen hintereinander bekommen als 12-jähriger. Das war einem Machtkampf geschuldet, ich habe das nie dem Erzieher nachgetragen, im Gegenteil, weil ich verstand, warum dies geschah, habe ich mich schließlich gebeugt und die Angelegenheit als notwendig betrachtet. Bis heute bin ich diesem Erzieher (Internat) dankbar, nicht wegen der Ohrfeigen, die eine Ausnahme darstellten. Aber sie gehörten dazu.“
„Mit einem "Klaps" auf den Po kann ich mit mir noch reden lassen. Ein Schlag auf den Hinterkopf ist eine ganz andere Dimension.“
„einem Kind das sich nach Vorwarnungen weiterhin total daneben benimmt,eine runterzuhauen, finde ich gerechtfertigt. Sonst passiert ihm das als Erwachsener, und dann ist es schlimmer. Wir haben das bei unseren jetzt erwachsenen Kinder praktiziert (weniger als 1 mal pro Jahr und nie mehr ab 6 oder 7) und sie sind uns dankbar dafuer.“
"Zudem sind körperliche Erziehungsmittel (wozu ja beispielsweise auch Festhalten zählt) eher für jüngere Kinder geeignet (...) warum schließlich sollte mich jemand strafen, es sei denn, dass ich aus Mutwillen provoziert habe. Und ich habe gerne provoziert und sehr bewusst die Grenzen ausgetestet. Die Strafe habe ich mutwillig in Kauf genommen. Einmal sagte meine Großmutter mir, es gäbe eine Ohrfeige für jede Minute, die ich zu spät komme (zugegebenermaßen etwas übertrieben). Ich war pünktlich daheim, habe aber 3 Minuten vor der Tür gewartet, nur um zu sehen, ob sie es durchzieht. Hat sie. Aber ich bin bis heute stolz, dass ich es probiert hab und ihr nicht böse. Ich hätte die Strafe ja vermeiden können, wenn ich gewollt hätte."
"Tatsächlich sind Backpfeifen auch eine Art der Zuwendung, sogar positiv zu werten, falls es die einzige ist. In der Not frisst der Teufel Fliegen."
Einen Kommentar anderer Art möchte ich hier abschließend auch zitieren: „Wenn eine Ohrfeige keine körperliche Gewalt ist, dann müsste das ja für alle gelten und jeder jeden ohrfeigen dürfen. Und Sie hätten sicher nichts dagegen, wenn ich davon Gebrauch mache, falls wir uns mal begegnen sollten.“
Hervorheben möchte ich, dass in dem Artikel auf die Schwedin Ellen Key („Jahrhundert des Kindes“) und auch auf Lloyd de Mause und seine „Evolution von Kindheit“ relativ ausführlich eingegangen wurde. Auch die möglichen politischen Auswirkungen der Gewalt gegen Kinder wurde zumindest in einem Satz erwähnt: „ (…) Einschüchterung, Schuld und Gewalt geprägte Klima, in dem Anfang des 20. Jahrhunderts jene deutschen Kinder heranwuchsen, die später als Täter oder Mitläufer den Faschismus möglich machten.“
Besonders interessant fand ich auch folgende Textstelle: „Keine Frage, gewaltige Residuen aller vergangenen Epochen wirken bis heute nach und weiter. Auffällig offen überwintert die Gewalt in der Sprache, die wir verwenden. Gewaltmetaphern werden täglich und sorglos verwendet: Menschen bei Maischberger fragt, "Warum verprügeln wir Schwarz-Gelb?", der Steuerzahler "muss bluten", die Regierung "plant Grausamkeiten", ein Politiker "wird abgewatscht". Abend für Abend serviert das Fernsehen Schlägereien, Schießereien, Vergewaltigungen, Raub und Mord. Gewalt ist omnipräsent. Überwunden ist die Vorstellung, Konflikte durch Gewalt auszuagieren, noch lange nicht.“ Das ist etwas, was ja auch die psychohistorische Forschung mit ihrer Fantasieanalyse von Medien, politischen Reden und Cartoons darzustellen versucht: Wie führt sich die Kindererziehungspraxis (verdeckt) in Worten und Bildern in den Medien wieder auf?
Wichtig fand ich auch den Hinweis auf psychische Gewalt, darauf wird leider viel zu selten hingewiesen. „Zahllose Kinder hören Tag für Tag abwertende, entmutigende, gebrüllte, lieblose Botschaften. "Du machst mich krank", "du bist dumm", "immer bist du im Weg", "geh mir aus den Augen", "mit dir ist nichts anzufangen", "seit du auf der Welt bist, gibt es nichts als Ärger" – die Litanei ist uferlos. Wer als Kind mit diesem Hagel aufwächst, erfährt weder Selbstwert noch Schutz. Das ist die Entwürdigung, die im Gesetz zur gewaltfreien Erziehung ebenfalls erwähnt wird. Psychische Gewalt. Aber "Entwürdigung" – diese Diagnose werde gar nicht gestellt, bedauert die Kinderärztin Winter. Den Kindern aber, die wie Hauspflanzen keine Wahl haben, zu entscheiden, wo sie leben, bleibt nichts übrig, als das vergiftete Wasser aus der Gießkanne im Elternhaus in sich aufzunehmen.“
Aufschlussreich und – ich muss gestehen - für mich nicht wirklich neu, weil ich solche Aussagen schon zu oft gehört habe, fand ich auch einige Kommentare der LeserInnen. Hier findet man u.a. die "Identifikation mit dem Aggressor" wieder. Besonders erschreckend, aber leider Realität und hoch wirksam, ist die „Dankbarkeit“ für Schläge und „Einsicht“ der Geschlagenen.
Im Tagesspiegel:
„Eine gewisse Züchtigung hatte mir keineswegs geschadet, sondern vor größerem Schaden bewahrt und auch ein klein wenig Gehorsam beigebracht.“
„mein gott, was fuer ein sozialarbeitergewinsel. eine ohrfeige ist keine physische misshandlung. um ein kind von grossem bloedsinn abzuhalten wenn alle noch so gute argumente und strenge worte nichts helfen, kann man auch mal einen klapps auf die finger geben.“
In der Zeit:
„aus persönlicher Erfahrung während meiner eigenen Kindheit weiß ich, dass das vorhandensein von körperlicher Gewalt nicht im Allgemeinfall schädlich für ein Kind sein muss. (…) Aber wenn ich und mein Bruder mal so richtig scheiße gebaut haben, gab es als Bestrafung durchaus Klapse auf den Arsch. Ja, die taten schon weh, auch wenn wir irgendwann merkten, dass sie gar nicht so schlimm waren (der psychologische Effekt war ziemlich groß). Aber ich habe dies nie als Misshandlung empfunden, sondern als ziemlich gerechtfertigte Bestrafung. (…)würde mich persönlich wirklich interessieren, ob hier jeder der Meinung ist, dass eine Erziehung grundsätzlich gewaltfrei sein muss. Das sehe ich ehrlich gesagt nicht so - es gibt nur eben verschiedene Formen von Gewalt.“
„Kinder brauchen Grenzen, Grenzverletzungen erfordern Konsequenzen. Konsequenzen müssen dem Kind in irgendeiner Form "weh" tun, sonst sind es keine. Ein unmittelbarer "Klaps" auf den Hintern ist manchmal für BEIDE Seiten die beste Lösung.“
„Der Klaps auf dem Hinterkopf kann ein probates Mittel sein, um Kindern Grenzen zu setzen. Gewalt ist dem Kind dabei im eigentlichen Sinne nicht widerfahren." Selber Leser an anderer Stelle: „Ich selbst habe mal 10 Ohrfeigen hintereinander bekommen als 12-jähriger. Das war einem Machtkampf geschuldet, ich habe das nie dem Erzieher nachgetragen, im Gegenteil, weil ich verstand, warum dies geschah, habe ich mich schließlich gebeugt und die Angelegenheit als notwendig betrachtet. Bis heute bin ich diesem Erzieher (Internat) dankbar, nicht wegen der Ohrfeigen, die eine Ausnahme darstellten. Aber sie gehörten dazu.“
„Mit einem "Klaps" auf den Po kann ich mit mir noch reden lassen. Ein Schlag auf den Hinterkopf ist eine ganz andere Dimension.“
„einem Kind das sich nach Vorwarnungen weiterhin total daneben benimmt,eine runterzuhauen, finde ich gerechtfertigt. Sonst passiert ihm das als Erwachsener, und dann ist es schlimmer. Wir haben das bei unseren jetzt erwachsenen Kinder praktiziert (weniger als 1 mal pro Jahr und nie mehr ab 6 oder 7) und sie sind uns dankbar dafuer.“
"Zudem sind körperliche Erziehungsmittel (wozu ja beispielsweise auch Festhalten zählt) eher für jüngere Kinder geeignet (...) warum schließlich sollte mich jemand strafen, es sei denn, dass ich aus Mutwillen provoziert habe. Und ich habe gerne provoziert und sehr bewusst die Grenzen ausgetestet. Die Strafe habe ich mutwillig in Kauf genommen. Einmal sagte meine Großmutter mir, es gäbe eine Ohrfeige für jede Minute, die ich zu spät komme (zugegebenermaßen etwas übertrieben). Ich war pünktlich daheim, habe aber 3 Minuten vor der Tür gewartet, nur um zu sehen, ob sie es durchzieht. Hat sie. Aber ich bin bis heute stolz, dass ich es probiert hab und ihr nicht böse. Ich hätte die Strafe ja vermeiden können, wenn ich gewollt hätte."
"Tatsächlich sind Backpfeifen auch eine Art der Zuwendung, sogar positiv zu werten, falls es die einzige ist. In der Not frisst der Teufel Fliegen."
Einen Kommentar anderer Art möchte ich hier abschließend auch zitieren: „Wenn eine Ohrfeige keine körperliche Gewalt ist, dann müsste das ja für alle gelten und jeder jeden ohrfeigen dürfen. Und Sie hätten sicher nichts dagegen, wenn ich davon Gebrauch mache, falls wir uns mal begegnen sollten.“
Donnerstag, 2. Dezember 2010
Mütter und "Der Mythos vom türkischen Macho"
Ich möchte auf einen interessanten ZEIT-Artikel aufmerksam machen: "Der Mythos vom türkischen Macho"
Ein Auszug: „Wenn wir die Männer verstehen wollen, müssen wir das Verhältnis zu ihren Müttern verstehen. Wie wurden diese Männer erzogen, welche Stellung nehmen sie wirklich ein? Die Dominanz der Mütter innerhalb des türkischen Familiengefüges ist nicht zu übersehen. Der Mann wird häufig bewusst oder unbewusst herausgedrängt aus einer nahen Beziehung zu den Kindern. Oft nutzt die Frau in der Familie diese Hoheit über die Kinder aus. Der erstickenden Liebesumarmung der Mütter können sich insbesondere die Söhne kaum entziehen. Die Söhne werden häufig sehr verwöhnt und damit emotional gebunden. Sie werden zu einer Art "Ersatzmann" herangezogen und damit sowohl narzisstisch aufgewertet, als auch emotional überfordert. Den Jungen wird das Gefühl gegeben, wichtig und stark zu sein. Dieses Gefühl von Macht und Bedeutsamkeit korrespondiert allerdings in keiner Weise mit der Wirklichkeit, weder draußen, im Kindergarten oder in der Schule (…) Zudem erstickt das ewig besorgte, beschützende, verwöhnende Verhalten türkischer Mütter die Bemühungen des Sohnes, selbstständig zu werden.“
Ja, der Artikel zeigt eine gewisse Einseitigkeit. U.a. wird die Rolle der türkischen Väter außen vor gelassen, die sicherlich auch großen destruktiven Einfluss nehmen und Gewalt ausüben können. (Ein Hinweis an dieser Stelle: Im Grundlagentext hatte ich bereits einige Studien erwähnt, die zeigten, dass Gewalt innerhalb türkisch stämmiger Familien im Verhältnis zu deutschen Familien häufiger (z.T. auch schwerwiegender) ausgeübt wird, u.a. wurden auch türkisch stämmige Frauen verhältnismäßig häufiger Opfer häuslicher Gewalt.).
Dennoch finde ich diesen Artikel wirklich interessant und wichtig. Letztlich zeigt ja auch der historische Rückblick auf Europa, dass in den Familien oftmals Mütter/Frauen in vielen Bereichen viel Macht hatten, insbesondere auch über die Kinder. Während die Männer vor allem außerhalb der Familie herrschten und Macht ausübten. Der deutliche Blick auf „die Mütter“ in den Familien und ihren Einfluss auf die Gesellschaft wird viel zu selten gewagt. Bzgl. der Kindesmisshandlung liegt der Anteil der weiblicher Täterinnnen z.B. bei mindestens 50 %, teils auch mehr, je nach Studie. Dazu kommt emotionaler Missbrauch, so wie in diesem ZEIT-Artikel angesprochen, der sozialisationsbedingt wohl eher von Frauen ausgeübt wird und der auch Folgen hat. Hüten sollte man/frau sich vor einer Aufrechnung des destruktiven Einflusses von Mutter und Vater. Für die psychische Heilung – darum geht es ja der ZEIT-Autorin im Grunde - ist der ungetrübte Blick auf den Einfluss beider Elternteile notwendig.
Zu diesem Artikel fällt mir ansonsten noch ein, dass ich dieses Hinsehen auf den (möglichen, destruktiven ) Einfluss von Frauen innerhalb der Familie in vielen feministischen Veröffentlichungen, aber auch in der sonstigen gesellschaftlichen Debatte sehr vermisse. Mehr noch, ich halte diesen Blick dringend für erforderlich, um gesellschaftliche „Gesundungsprozesse“ weiter in Gang zu bringen. Andererseits mag ich auch nicht die Einseitigkeit, wenn dann mal über Mütter berichtet wird, wie z.B. in diesem ZEIT-Artikel. Da werden dann pauschal „die Mütter“ verurteilt und ihnen die eigentliche Macht zugesprochen (was auch in psychoanalytischen Schriften sehr verbreitet ist, so mein Eindruck).
Eigentlich müsste es also in Bezug auf Männer heißen: „Wenn wir die Männer verstehen wollen, müssen wir das Verhältnis zu ihren Müttern UND Vätern verstehen.“
Ein Auszug: „Wenn wir die Männer verstehen wollen, müssen wir das Verhältnis zu ihren Müttern verstehen. Wie wurden diese Männer erzogen, welche Stellung nehmen sie wirklich ein? Die Dominanz der Mütter innerhalb des türkischen Familiengefüges ist nicht zu übersehen. Der Mann wird häufig bewusst oder unbewusst herausgedrängt aus einer nahen Beziehung zu den Kindern. Oft nutzt die Frau in der Familie diese Hoheit über die Kinder aus. Der erstickenden Liebesumarmung der Mütter können sich insbesondere die Söhne kaum entziehen. Die Söhne werden häufig sehr verwöhnt und damit emotional gebunden. Sie werden zu einer Art "Ersatzmann" herangezogen und damit sowohl narzisstisch aufgewertet, als auch emotional überfordert. Den Jungen wird das Gefühl gegeben, wichtig und stark zu sein. Dieses Gefühl von Macht und Bedeutsamkeit korrespondiert allerdings in keiner Weise mit der Wirklichkeit, weder draußen, im Kindergarten oder in der Schule (…) Zudem erstickt das ewig besorgte, beschützende, verwöhnende Verhalten türkischer Mütter die Bemühungen des Sohnes, selbstständig zu werden.“
Ja, der Artikel zeigt eine gewisse Einseitigkeit. U.a. wird die Rolle der türkischen Väter außen vor gelassen, die sicherlich auch großen destruktiven Einfluss nehmen und Gewalt ausüben können. (Ein Hinweis an dieser Stelle: Im Grundlagentext hatte ich bereits einige Studien erwähnt, die zeigten, dass Gewalt innerhalb türkisch stämmiger Familien im Verhältnis zu deutschen Familien häufiger (z.T. auch schwerwiegender) ausgeübt wird, u.a. wurden auch türkisch stämmige Frauen verhältnismäßig häufiger Opfer häuslicher Gewalt.).
Dennoch finde ich diesen Artikel wirklich interessant und wichtig. Letztlich zeigt ja auch der historische Rückblick auf Europa, dass in den Familien oftmals Mütter/Frauen in vielen Bereichen viel Macht hatten, insbesondere auch über die Kinder. Während die Männer vor allem außerhalb der Familie herrschten und Macht ausübten. Der deutliche Blick auf „die Mütter“ in den Familien und ihren Einfluss auf die Gesellschaft wird viel zu selten gewagt. Bzgl. der Kindesmisshandlung liegt der Anteil der weiblicher Täterinnnen z.B. bei mindestens 50 %, teils auch mehr, je nach Studie. Dazu kommt emotionaler Missbrauch, so wie in diesem ZEIT-Artikel angesprochen, der sozialisationsbedingt wohl eher von Frauen ausgeübt wird und der auch Folgen hat. Hüten sollte man/frau sich vor einer Aufrechnung des destruktiven Einflusses von Mutter und Vater. Für die psychische Heilung – darum geht es ja der ZEIT-Autorin im Grunde - ist der ungetrübte Blick auf den Einfluss beider Elternteile notwendig.
Zu diesem Artikel fällt mir ansonsten noch ein, dass ich dieses Hinsehen auf den (möglichen, destruktiven ) Einfluss von Frauen innerhalb der Familie in vielen feministischen Veröffentlichungen, aber auch in der sonstigen gesellschaftlichen Debatte sehr vermisse. Mehr noch, ich halte diesen Blick dringend für erforderlich, um gesellschaftliche „Gesundungsprozesse“ weiter in Gang zu bringen. Andererseits mag ich auch nicht die Einseitigkeit, wenn dann mal über Mütter berichtet wird, wie z.B. in diesem ZEIT-Artikel. Da werden dann pauschal „die Mütter“ verurteilt und ihnen die eigentliche Macht zugesprochen (was auch in psychoanalytischen Schriften sehr verbreitet ist, so mein Eindruck).
Eigentlich müsste es also in Bezug auf Männer heißen: „Wenn wir die Männer verstehen wollen, müssen wir das Verhältnis zu ihren Müttern UND Vätern verstehen.“
Freitag, 26. November 2010
Hexenjagd in Papua-Neuguinea und Kritik an Arno Gruens Kulturkritik
Im aktuellen Amnesty Journal findet sich ein erschütternder Artikel über die Hexenjagd in Papua-Neuguinea. Siehe den ganzen Artikel "Hexenjagd".
Sanguma nennt man den dort weit verbreiteten Glauben an schwarze Magie, böse Geister und Hexen. „Hunderte Menschen fallen ihm jährlich zum Opfer, meistens Frauen, aber auch Kinder und manchmal Männer, die man der Hexerei beschuldigt. Sanguma ist die Schattenseite des Paradieses.“ (Amnesty Journal, Dez / Jan 2010/2011, S. 41) Meistens trifft es alleinstehende Frauen, die z.B. mit dem „bösen Blick“ einen Nachbarn getötet hätten. Sie werden willkürlich stigmatisiert, gefoltert und getötet. Lokale Zeitungen berichten wöchentlich über Sanguma-Morde. Die Regierung hat inzwischen auch ein Gesetz gegen Hexenverfolgung erlassen. Allerdings ist es ein Kampf „gegen Gleichgültigkeit und Unwissenheit. Niemand fühlt sich verantwortlich, weil die meisten glauben, dass die Opfer ihre gerechte Strafe bekommen.“ (ebd., S. 44) Manchmal kommen zwanzig bis dreißig junge Männer zusammen, um eine „Hexe“ zu töten. In einem Fallbeispiel im Magazin waren es sogar bis zu einhundert. Die Täter kennen oftmals ihre Opfer und umgekehrt. In einem berichteten Fall trugen sogar einige der Täter die Getötete später zusammen mit ihrer Familie zu Grabe…
Die Schwester einer Ermordeten berichtet als Augenzeugin: „Sie schlugen mit Stöcken zu, brachen Rippen, warfen Steine und rammten glühende Drähte unter die Haut der Gefesselten; sechs Stunden lang. Als die Frauen endlich gestanden, holte jemand die Axt aus dem Gebüsch. Waja Loko war sofort tot (…).“ (ebd. S. 42)
Der Bericht ist wirklich erschütternd. Ich dachte beim Lesen des Artikels natürlich sofort auch an die vielen Zeilen von Lloyd deMause. Der Psychohistoriker hat in seinem Buch (vgl. deMause, 2005, S. 194-210) ausführlich die Kindererziehungspraxis in Neuguinea dargestellt und die Idealisierung von Kindheit bei primitiven Gesellschaften kritisiert. Er weist an Hand einer Fülle von Fakten und Berichten für die meisten dortigen Regionen auf ein hohes Ausmaß von Kindestötungen, Inzest, sexuellen Missbrauchs, maternale Ablehnung der Kinder, Unterernährung der Kinder trotz ausreichend vorhandener Lebensmittel, Vergewaltigung der Jungen ab dem 7. Lebensjahr und Folter und Verstümmelung während der Initiationsrituale hin. Durch diese extrem destruktive Kindererziehungspraxis konnte sich die Kultur der dortigen Eingeborenen im historischen Rückblick nicht wirklich entwickeln, sagt deMause. Auch verweist er auf viele Folgen dieser frühen Gewalterfahrungen, dazu gehörte u.a. der damalige Kannibalismus in dieser Region.
Wie wir an Hand des Amnesty Berichtes sehen können, sind die Folgen dieser extremen Gewalt gegen Kinder auch heute noch deutlich zu beobachten bzw. scheint die Kindererziehungspraxis vor Ort weiterhin eher auf dem Niveau der „Schizoiden Psychoklasse“ zu verharren. Ich habe mir vorgenommen, dem Autor des Artikels und dem Amnesty Journal etwas dazu zu schreiben. Denn die Ursachen dieser Gewaltexzesse sind oftmals gar nicht bekannt.
Nebenbei möchte ich die Gelegenheit nutzen, den Psychoanalytiker Arno Gruen zu kritisieren. Vorweg möchte ich betonen, dass ohne die Bücher von Arno Gruen vielleicht dieser Blog nicht in seiner jetzigen Form existieren würde. Seine Bücher haben mir sehr viel klar und verständlich gemacht.
Gruen schreibt viel über die destruktive Kindheit in der westlichen Welt und formt daraus auch eine umfassende Kulturkritik. Allerdings verweist er immer wieder auf das Vorbild von primitiven Gesellschaften, wo Kindheit noch anders und besser wäre, als in unserer modernen Kultur. Sein Lieblingsbeispiel, das er auch in unzähligen Interviews stets wiederholt, ist das einer Mutter aus Neuguinea, die von dem Ethnologen Eibl-Eibesfeldt gefilmt wurde. Ein Auszug:
„Der Junge isst eine Wasserbrotwurzel, das Mädchen greift danach, beide fangen an zu weinen. Die Mutter kommt dazu, beide Kinder lächeln sie an. Der Junge reicht ihr von sich aus die Wurzel, sie bricht sie in zwei Teile und» –, Gruen unterbricht sich: «Was würden wir wohl in einer ähnlichen Situation tun?» Er gibt die Antwort gleich selber: «Jedem Kind ein Stück geben, nicht? Und dabei würden wir uns vorbildlich fühlen, weil wir glauben, den Kindern so das Teilen beizubringen. Nicht so die Eipo-Frau. Sie gab beide Teile dem Jungen zurück. Der betrachtet sie einen Moment und gibt dann eines seiner Schwester.» Diese Eipo-Mutter versetzte sich in ihr Kind hinein, sie respektierte seinen Willen und seine Gefühle.“ (dasmagazin.ch, 16.09.2007, "Du sollst nicht Loben")
Aus diesem Beispiel leitet Gruen unaufhörlich ab, dass wir im Westen dieses Wissen um den richtigen Umgang mit Kindern verlernt hätten. (wobei auch dieses Beispiel an sich seine verschiedenen Seiten haben könnte. Warum reicht die Mutter gerade dem Jungen das ganze Stück? Unterstützt sie hier die patriarchalen Herrschaftsstrukturen? Der Junge, der Mann darf entscheiden, wer etwas bekommt und wer nicht?) Lloyd deMause hat dagegen sehr fundiert genau das Gegenteil nachgewiesen und genau hingeschaut, wie die reale Erziehungspraxis vor Ort in Neuguinea aussah und aussieht. Wir sollten nicht zurück schauen und uns primitive Völker nicht als Vorbild nehmen, wenn es um die Kindererziehung geht. Das lehrt uns deMause und ich finde, er hat recht.
Siehe ergänzend auch: "Aborigines. Gewalt und Missbrauch. Entzauberung eines Urvolkes?"
Sanguma nennt man den dort weit verbreiteten Glauben an schwarze Magie, böse Geister und Hexen. „Hunderte Menschen fallen ihm jährlich zum Opfer, meistens Frauen, aber auch Kinder und manchmal Männer, die man der Hexerei beschuldigt. Sanguma ist die Schattenseite des Paradieses.“ (Amnesty Journal, Dez / Jan 2010/2011, S. 41) Meistens trifft es alleinstehende Frauen, die z.B. mit dem „bösen Blick“ einen Nachbarn getötet hätten. Sie werden willkürlich stigmatisiert, gefoltert und getötet. Lokale Zeitungen berichten wöchentlich über Sanguma-Morde. Die Regierung hat inzwischen auch ein Gesetz gegen Hexenverfolgung erlassen. Allerdings ist es ein Kampf „gegen Gleichgültigkeit und Unwissenheit. Niemand fühlt sich verantwortlich, weil die meisten glauben, dass die Opfer ihre gerechte Strafe bekommen.“ (ebd., S. 44) Manchmal kommen zwanzig bis dreißig junge Männer zusammen, um eine „Hexe“ zu töten. In einem Fallbeispiel im Magazin waren es sogar bis zu einhundert. Die Täter kennen oftmals ihre Opfer und umgekehrt. In einem berichteten Fall trugen sogar einige der Täter die Getötete später zusammen mit ihrer Familie zu Grabe…
Die Schwester einer Ermordeten berichtet als Augenzeugin: „Sie schlugen mit Stöcken zu, brachen Rippen, warfen Steine und rammten glühende Drähte unter die Haut der Gefesselten; sechs Stunden lang. Als die Frauen endlich gestanden, holte jemand die Axt aus dem Gebüsch. Waja Loko war sofort tot (…).“ (ebd. S. 42)
Der Bericht ist wirklich erschütternd. Ich dachte beim Lesen des Artikels natürlich sofort auch an die vielen Zeilen von Lloyd deMause. Der Psychohistoriker hat in seinem Buch (vgl. deMause, 2005, S. 194-210) ausführlich die Kindererziehungspraxis in Neuguinea dargestellt und die Idealisierung von Kindheit bei primitiven Gesellschaften kritisiert. Er weist an Hand einer Fülle von Fakten und Berichten für die meisten dortigen Regionen auf ein hohes Ausmaß von Kindestötungen, Inzest, sexuellen Missbrauchs, maternale Ablehnung der Kinder, Unterernährung der Kinder trotz ausreichend vorhandener Lebensmittel, Vergewaltigung der Jungen ab dem 7. Lebensjahr und Folter und Verstümmelung während der Initiationsrituale hin. Durch diese extrem destruktive Kindererziehungspraxis konnte sich die Kultur der dortigen Eingeborenen im historischen Rückblick nicht wirklich entwickeln, sagt deMause. Auch verweist er auf viele Folgen dieser frühen Gewalterfahrungen, dazu gehörte u.a. der damalige Kannibalismus in dieser Region.
Wie wir an Hand des Amnesty Berichtes sehen können, sind die Folgen dieser extremen Gewalt gegen Kinder auch heute noch deutlich zu beobachten bzw. scheint die Kindererziehungspraxis vor Ort weiterhin eher auf dem Niveau der „Schizoiden Psychoklasse“ zu verharren. Ich habe mir vorgenommen, dem Autor des Artikels und dem Amnesty Journal etwas dazu zu schreiben. Denn die Ursachen dieser Gewaltexzesse sind oftmals gar nicht bekannt.
Nebenbei möchte ich die Gelegenheit nutzen, den Psychoanalytiker Arno Gruen zu kritisieren. Vorweg möchte ich betonen, dass ohne die Bücher von Arno Gruen vielleicht dieser Blog nicht in seiner jetzigen Form existieren würde. Seine Bücher haben mir sehr viel klar und verständlich gemacht.
Gruen schreibt viel über die destruktive Kindheit in der westlichen Welt und formt daraus auch eine umfassende Kulturkritik. Allerdings verweist er immer wieder auf das Vorbild von primitiven Gesellschaften, wo Kindheit noch anders und besser wäre, als in unserer modernen Kultur. Sein Lieblingsbeispiel, das er auch in unzähligen Interviews stets wiederholt, ist das einer Mutter aus Neuguinea, die von dem Ethnologen Eibl-Eibesfeldt gefilmt wurde. Ein Auszug:
„Der Junge isst eine Wasserbrotwurzel, das Mädchen greift danach, beide fangen an zu weinen. Die Mutter kommt dazu, beide Kinder lächeln sie an. Der Junge reicht ihr von sich aus die Wurzel, sie bricht sie in zwei Teile und» –, Gruen unterbricht sich: «Was würden wir wohl in einer ähnlichen Situation tun?» Er gibt die Antwort gleich selber: «Jedem Kind ein Stück geben, nicht? Und dabei würden wir uns vorbildlich fühlen, weil wir glauben, den Kindern so das Teilen beizubringen. Nicht so die Eipo-Frau. Sie gab beide Teile dem Jungen zurück. Der betrachtet sie einen Moment und gibt dann eines seiner Schwester.» Diese Eipo-Mutter versetzte sich in ihr Kind hinein, sie respektierte seinen Willen und seine Gefühle.“ (dasmagazin.ch, 16.09.2007, "Du sollst nicht Loben")
Aus diesem Beispiel leitet Gruen unaufhörlich ab, dass wir im Westen dieses Wissen um den richtigen Umgang mit Kindern verlernt hätten. (wobei auch dieses Beispiel an sich seine verschiedenen Seiten haben könnte. Warum reicht die Mutter gerade dem Jungen das ganze Stück? Unterstützt sie hier die patriarchalen Herrschaftsstrukturen? Der Junge, der Mann darf entscheiden, wer etwas bekommt und wer nicht?) Lloyd deMause hat dagegen sehr fundiert genau das Gegenteil nachgewiesen und genau hingeschaut, wie die reale Erziehungspraxis vor Ort in Neuguinea aussah und aussieht. Wir sollten nicht zurück schauen und uns primitive Völker nicht als Vorbild nehmen, wenn es um die Kindererziehung geht. Das lehrt uns deMause und ich finde, er hat recht.
Siehe ergänzend auch: "Aborigines. Gewalt und Missbrauch. Entzauberung eines Urvolkes?"
Montag, 22. November 2010
Kindheit von Mao Zedong
Über die destruktive Kindheit von Mao Zedong hatte ich bisher nur einen kurzen Auszug im Grundlagentext untergebracht. Diesen habe ich jetzt noch mal erweitert. Der neue Abschnitt sieht jetzt so aus:
Auch auf der anderen Seite der Welt finden sich solche Zusammenhänge. Über den chinesischen Diktator Mao Zedong - chin. = Mao Tse-tung - (der für 70 Millionen Tote in Friedenszeiten verantwortlich war) wird berichtet, dass sein Vater ihn schlug und ihn „faul und nutzlos“ nannte. (vgl. Chang / Halliday, 2005) Der enorme Hass, den Mao als Folge dieser erlittenen Gewalt für seinen Vater empfand, wird durch folgendes Zitat deutlich: „Als er 1968 Rache an seinen politischen Widersachern nahm, sagte er den Kommandanten der Roten Garden, er hätte es gerne gesehen, wenn auch sein Vater so brutal misshandelt worden wäre: «Mein Vater war schlecht. Wenn er noch am Leben wäre, sollte man mit ihm "das Flugzeug" machen» - eine qualvolle Haltung, bei der die Arme des Opfers hinter seinem Rücken verrenkt wurden und der Kopf nach unten gedrückt wurde.“ (ebd., S. 21) An Hand dieses Zitates wird – wie ich finde - erschreckend „lehrbuchartig“ deutlich, wie Mao sein Volk stellvertretend für seinen Vater tyrannisierte.
Maos Vater verlangte offensichtlich – das wird an einer von Mao berichteten Szene deutlich - oftmals als Zeichen der Unterwerfung den Koutou, bei der es heißt, auf beide Knie zu sinken und den Kopf auf die Erde zu schlagen. Mao schildert später eine Szene, wo er vor den Beleidigungen seines Vaters vor Gästen des Hauses wütend nach draußen lief. Der Vater verfolgte ihn. Mao drohte ihm, in einen Teich zu springen, falls er näher kommen würde (also wohl mit Selbstmord). Der Vater verlangte den Koutou. Er, Mao hatte sich dann bereit erklärt, den Koutou nur auf einem Knie zu vollziehen, wenn im Gegenzug der Vater ihn nicht schlage. Wie Mao stolz berichtete, endete somit der Krieg zwischen ihm und seinem Vater durch diese offene Rebellion. Mao selbst sagte im gleichen Atemzug, dass er vorher um so mehr geschlagen wurde, wenn er sich bescheiden und unterwürfig gezeigt hatte. (vgl. Adolphi, 2009, S. 23ff) Hier wird das ganze Ausmaß der väterlichen Gewalt deutlich. Je hilfloser sich Mao zeigte, desto mehr wurde er geschlagen. Dies zeigt, meine ich, deutlich den Sadismus von Maos Vater. Adolphi schreibt auch, dass Mao häufig Prügel bezog und seinen Vater sehr abweisend und feindselig beschrieb. (ebd., S. 26)
Auch zwischen Maos Eltern wird es oftmals erhebliche Konflikte gegeben haben. Seine Mutter war streng gläubige Buddhistin, während sein Vater sich zu den Skeptikern zählte. Mao stand zwischen den beiden, sympathisierte allerdings mehr mit den Ansichten seiner Mutter, die er sehr verehrte und nur positiv von ihr berichtete. (vgl. Spence, 2003, S. 20ff, auch Adolphi, 2009, S. 24ff ) In den verwendeten Quellen finden sich allerdings keinerlei Hinweise darauf, dass seine Mutter ihm in irgendeiner Weise helfend und schützend gegen den gewalttätigen Vater zur Seite stand. In der damaligen chinesischen Kultur war die bedingungslose Unterordnung unter den Vater auch etwas, was allgemein akzeptiert wurde, sicherlich auch von Maos Mutter. Was fühlt ein Kind gegenüber der Mutter, wenn es vor ihren Augen und mit ihrem Wissen vom Vater ständig schwer verprügelt wird, ohne dass eingegriffen wird? Vielleicht Verrat, Hass, Wut, Ohnmacht? Wie passt dies mit Maos späterer Verehrung seiner Mutter zusammen? Mao fand in seiner Mutter ganz offensichtlich keinen helfenden Zeugen, das kann hier festgehalten werden.
Bereits mit sechs Jahren musste Mao auf dem elterlichen Hof mitarbeiten, besuchte aber auch eine Schule, in der „auch der Lehrer reichlich Prügel austeilt“. (Adolphi, 2009, S. 27) Im Alter von dreizehn Jahren verließ Mao - wie die meisten Jungen in China – die Schule und musste fortan die volle Arbeit eines Erwachsenen am Hof seines Vaters tun. Mit vierzehn wurde er zwangsverheiratet, seine Braut war achtzehn. (vgl. Spence, 2003, S. 22) Seine Ehefrau starb allerdings nach ca. zwei oder drei Jahren des Zusammenlebens. Im Alter von ca. siebzehn Jahren besuchte Mao dann wieder eine neue Schule in Xiangxiang. Mao wurde dort allerdings wegen seiner ländlichen Kleidung und seiner ärmlichen Herkunft verachtet und als Außenseiter behandelt. (vgl. ebd., S. 26)
Als junger Mann entwickelte Mao „eine Bewunderung für starke Männer wie Napoleon oder auch den Legalisten Shan Yang, der strenge Gesetze und drakonische Strafen als Form der Regierung befürwortete.“ (vgl. Wemheuer, 2010, S. 23)
Neue Quellen:
Spence, J. 2003: Mao. Classen Verlag, München.
Adolphi, W. 2009: Mao. Eine Chronik. Verlag Neues Leben.
Wemheuer, F. 2010: Mao Zedong. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek.
Auch auf der anderen Seite der Welt finden sich solche Zusammenhänge. Über den chinesischen Diktator Mao Zedong - chin. = Mao Tse-tung - (der für 70 Millionen Tote in Friedenszeiten verantwortlich war) wird berichtet, dass sein Vater ihn schlug und ihn „faul und nutzlos“ nannte. (vgl. Chang / Halliday, 2005) Der enorme Hass, den Mao als Folge dieser erlittenen Gewalt für seinen Vater empfand, wird durch folgendes Zitat deutlich: „Als er 1968 Rache an seinen politischen Widersachern nahm, sagte er den Kommandanten der Roten Garden, er hätte es gerne gesehen, wenn auch sein Vater so brutal misshandelt worden wäre: «Mein Vater war schlecht. Wenn er noch am Leben wäre, sollte man mit ihm "das Flugzeug" machen» - eine qualvolle Haltung, bei der die Arme des Opfers hinter seinem Rücken verrenkt wurden und der Kopf nach unten gedrückt wurde.“ (ebd., S. 21) An Hand dieses Zitates wird – wie ich finde - erschreckend „lehrbuchartig“ deutlich, wie Mao sein Volk stellvertretend für seinen Vater tyrannisierte.
Maos Vater verlangte offensichtlich – das wird an einer von Mao berichteten Szene deutlich - oftmals als Zeichen der Unterwerfung den Koutou, bei der es heißt, auf beide Knie zu sinken und den Kopf auf die Erde zu schlagen. Mao schildert später eine Szene, wo er vor den Beleidigungen seines Vaters vor Gästen des Hauses wütend nach draußen lief. Der Vater verfolgte ihn. Mao drohte ihm, in einen Teich zu springen, falls er näher kommen würde (also wohl mit Selbstmord). Der Vater verlangte den Koutou. Er, Mao hatte sich dann bereit erklärt, den Koutou nur auf einem Knie zu vollziehen, wenn im Gegenzug der Vater ihn nicht schlage. Wie Mao stolz berichtete, endete somit der Krieg zwischen ihm und seinem Vater durch diese offene Rebellion. Mao selbst sagte im gleichen Atemzug, dass er vorher um so mehr geschlagen wurde, wenn er sich bescheiden und unterwürfig gezeigt hatte. (vgl. Adolphi, 2009, S. 23ff) Hier wird das ganze Ausmaß der väterlichen Gewalt deutlich. Je hilfloser sich Mao zeigte, desto mehr wurde er geschlagen. Dies zeigt, meine ich, deutlich den Sadismus von Maos Vater. Adolphi schreibt auch, dass Mao häufig Prügel bezog und seinen Vater sehr abweisend und feindselig beschrieb. (ebd., S. 26)
Auch zwischen Maos Eltern wird es oftmals erhebliche Konflikte gegeben haben. Seine Mutter war streng gläubige Buddhistin, während sein Vater sich zu den Skeptikern zählte. Mao stand zwischen den beiden, sympathisierte allerdings mehr mit den Ansichten seiner Mutter, die er sehr verehrte und nur positiv von ihr berichtete. (vgl. Spence, 2003, S. 20ff, auch Adolphi, 2009, S. 24ff ) In den verwendeten Quellen finden sich allerdings keinerlei Hinweise darauf, dass seine Mutter ihm in irgendeiner Weise helfend und schützend gegen den gewalttätigen Vater zur Seite stand. In der damaligen chinesischen Kultur war die bedingungslose Unterordnung unter den Vater auch etwas, was allgemein akzeptiert wurde, sicherlich auch von Maos Mutter. Was fühlt ein Kind gegenüber der Mutter, wenn es vor ihren Augen und mit ihrem Wissen vom Vater ständig schwer verprügelt wird, ohne dass eingegriffen wird? Vielleicht Verrat, Hass, Wut, Ohnmacht? Wie passt dies mit Maos späterer Verehrung seiner Mutter zusammen? Mao fand in seiner Mutter ganz offensichtlich keinen helfenden Zeugen, das kann hier festgehalten werden.
Bereits mit sechs Jahren musste Mao auf dem elterlichen Hof mitarbeiten, besuchte aber auch eine Schule, in der „auch der Lehrer reichlich Prügel austeilt“. (Adolphi, 2009, S. 27) Im Alter von dreizehn Jahren verließ Mao - wie die meisten Jungen in China – die Schule und musste fortan die volle Arbeit eines Erwachsenen am Hof seines Vaters tun. Mit vierzehn wurde er zwangsverheiratet, seine Braut war achtzehn. (vgl. Spence, 2003, S. 22) Seine Ehefrau starb allerdings nach ca. zwei oder drei Jahren des Zusammenlebens. Im Alter von ca. siebzehn Jahren besuchte Mao dann wieder eine neue Schule in Xiangxiang. Mao wurde dort allerdings wegen seiner ländlichen Kleidung und seiner ärmlichen Herkunft verachtet und als Außenseiter behandelt. (vgl. ebd., S. 26)
Als junger Mann entwickelte Mao „eine Bewunderung für starke Männer wie Napoleon oder auch den Legalisten Shan Yang, der strenge Gesetze und drakonische Strafen als Form der Regierung befürwortete.“ (vgl. Wemheuer, 2010, S. 23)
Neue Quellen:
Spence, J. 2003: Mao. Classen Verlag, München.
Adolphi, W. 2009: Mao. Eine Chronik. Verlag Neues Leben.
Wemheuer, F. 2010: Mao Zedong. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek.
Freitag, 19. November 2010
Steffi Graf, Monica Seles und delegierter Attentäter
Ist die Fantasieanalyse Blödsinn und unseriös?
Lloyd deMause hat am Beispiel des Attentats auf Ronald Reagan deutlich gemacht, wie psychisch Kranke "heimliche Aufträge" (verbreitet in den Medien) des Volkes aufnehmen und ausführen können.
Als Nachtrag zu meinem vorherigen Beitrag möchte ich ein nachvollziehbares Beispiel anbringen: Die Tennisspielerin Steffi Graf. Ab 1987 dominierte sie diesen Sport und errang einen Sieg nach den anderen. 1990 musste sie sich erstmals bei den German Open in Berlin der aufstrebenden Jugoslawin Monica Seles geschlagen geben. Es war Grafs erste Niederlage nach 66 Siegen in Folge. Ab 1991 dominierte dann Seles das Welttennis. Die Jahre zwischen 1989 und 1993 waren von der sportlichen Rivalität zwischen Steffi Graf und Monica Seles geprägt. Ich erinnere mich, dass damals in den deutschen Medien sehr schlecht (um es milde auszudrücken) mit Monica Seles umgegangen wurde. Die Angriffe betrafen dabei sehr häufig die Person Seles, die z.B. als zickig und unsympathisch dargestellt wurde. Diese junge, selbstbewusste Frau durfte „unsere Steffi“ (Die "Königin" des Tennis) doch nicht einfach vom Thron stoßen! Der fairen, sportlichen Rivalität der beiden Spielerinnen stand die unfaire, teils geradezu hasserfüllte Berichterstattung in den Medien gegenüber. Wenn Seles gegen Graf gewann, dann traf das auch „die Deutschen“, dann war das „unsere Niederlage“. (Würde man die damaligen Zeitungsberichte mal systematisch analysieren, würde sich sicher ein roter Faden der Berichterstattung ausmachen lassen.)
Diese Medienschlacht bereitete meiner Meinung nach den Boden für das Attentat auf Monica Seles vom 30. April 1993 in Hamburg durch einen psychisch gestörten Graf-Fan. (Das Tunier in Hamburg wurde danach übrigens ganz normal weitergeführt und Steffi Graf erreichte das Finale, das sie allerdings verlor.)
Hier zeigt sich im Rückblick, wie mediale Bilder und Fantasiewörter etwas in Gang bringen können. Das Volk hasste Seles. Sie war nicht zu besiegen. Sie musste weg. Psychopathen (die Delegierten) haben ein feines Gespür für solche „Aufträge“. Ohne die Medienschlacht um Seles, hätte der Attentäter wahrscheinlich einen anderen Weg gefunden, irgendwo etwas Destruktives zu unternehmen. So fand er allerdings sein Ziel in Seles.
Ich erinnere mich auch noch, dass sich in der Folge des Attentats ein schlechtes Gewissen in den Medien breit machte. Monica Seles wurde alles Beste gewünscht und keiner wagte mehr etwas in der Art über sie zu schreiben, wie dies vorher der Fall gewesen war. Allerdings bestritt Seles nach dem Attentat auch zwei Jahre lang keine professionellen Spiele und Steffi Graf übernahm erneut die Führungsposition der Weltrangliste.
Lloyd deMause hat am Beispiel des Attentats auf Ronald Reagan deutlich gemacht, wie psychisch Kranke "heimliche Aufträge" (verbreitet in den Medien) des Volkes aufnehmen und ausführen können.
Als Nachtrag zu meinem vorherigen Beitrag möchte ich ein nachvollziehbares Beispiel anbringen: Die Tennisspielerin Steffi Graf. Ab 1987 dominierte sie diesen Sport und errang einen Sieg nach den anderen. 1990 musste sie sich erstmals bei den German Open in Berlin der aufstrebenden Jugoslawin Monica Seles geschlagen geben. Es war Grafs erste Niederlage nach 66 Siegen in Folge. Ab 1991 dominierte dann Seles das Welttennis. Die Jahre zwischen 1989 und 1993 waren von der sportlichen Rivalität zwischen Steffi Graf und Monica Seles geprägt. Ich erinnere mich, dass damals in den deutschen Medien sehr schlecht (um es milde auszudrücken) mit Monica Seles umgegangen wurde. Die Angriffe betrafen dabei sehr häufig die Person Seles, die z.B. als zickig und unsympathisch dargestellt wurde. Diese junge, selbstbewusste Frau durfte „unsere Steffi“ (Die "Königin" des Tennis) doch nicht einfach vom Thron stoßen! Der fairen, sportlichen Rivalität der beiden Spielerinnen stand die unfaire, teils geradezu hasserfüllte Berichterstattung in den Medien gegenüber. Wenn Seles gegen Graf gewann, dann traf das auch „die Deutschen“, dann war das „unsere Niederlage“. (Würde man die damaligen Zeitungsberichte mal systematisch analysieren, würde sich sicher ein roter Faden der Berichterstattung ausmachen lassen.)
Diese Medienschlacht bereitete meiner Meinung nach den Boden für das Attentat auf Monica Seles vom 30. April 1993 in Hamburg durch einen psychisch gestörten Graf-Fan. (Das Tunier in Hamburg wurde danach übrigens ganz normal weitergeführt und Steffi Graf erreichte das Finale, das sie allerdings verlor.)
Hier zeigt sich im Rückblick, wie mediale Bilder und Fantasiewörter etwas in Gang bringen können. Das Volk hasste Seles. Sie war nicht zu besiegen. Sie musste weg. Psychopathen (die Delegierten) haben ein feines Gespür für solche „Aufträge“. Ohne die Medienschlacht um Seles, hätte der Attentäter wahrscheinlich einen anderen Weg gefunden, irgendwo etwas Destruktives zu unternehmen. So fand er allerdings sein Ziel in Seles.
Ich erinnere mich auch noch, dass sich in der Folge des Attentats ein schlechtes Gewissen in den Medien breit machte. Monica Seles wurde alles Beste gewünscht und keiner wagte mehr etwas in der Art über sie zu schreiben, wie dies vorher der Fall gewesen war. Allerdings bestritt Seles nach dem Attentat auch zwei Jahre lang keine professionellen Spiele und Steffi Graf übernahm erneut die Führungsposition der Weltrangliste.
Welche Gruppenfantasien hat derzeit Deutschland?
Als ich das erste mal „Das emotionale Leben der Nationen“ von Lloyd deMause las (seine Zusammenfassung psychohistorischer Forschung der letzten Jahrzehnte) war die Fantasieanalyse der Teil, den ich einfach erst mal merkwürdig fand. Psychoanalytiker arbeiten mit ihren PatientInnen ja routinemäßig mit der Deutung von Träumen, Bildern, Fantasien usw., um unbewusste Vorgänge deutlich zu machen. Dieses Verfahren ist anerkannt und verwundert heute keinen Menschen mehr.
Die PsychohistorikerInnen wenden im Prinzip in ganz ähnlicher Weise dieses Verfahren auf Nationen an. Stellvertretend für die vorherrschenden Gruppenfantasien werden Zeitungen, (politische) Comics, Zeitungstitel- und bilder, Reden von PolitikerInnen usw. analysiert. DeMause machte mir deutlich, dass dieses ungewöhnliche Verfahren recht brauchbare Erkenntnisse zu Tage führen kann. Das Verfahren hat für mich immer mehr an Merkwürdigkeit verloren. Es macht Sinn, auch wenn es im ersten Moment geradezu dazu verleitet, sich über die Psychohistorie lustig zu machen, die „sich ja mit Comics beschäftigt“. Wenn man sich darauf einlässt, wird einem allerdings der Ernst der Sache deutlich. DeMause versucht durch dieses Verfahren z.B. Kriege oder auch Anschläge auf Staatschefs vorherzusehen (ohne Anspruch auf Perfektion und Eindeutigkeit der Methode). In seinem Buch machte er z.B. deutlich, wie sich das Attentat vom 30. März 1981 auf Ronald Reagan vorher in Medienbildern andeutete.
Ich selbst habe meinen Blick auf Nachrichten und Bilder nach der Lektüre von deMause verändert. (Mit einer Redeanalyse von Angela Merkel hatte ich schon ganz gute erste Erfahrungen gesammelt) Ob das brauchbar ist, wird sich zeigen. Ich komme ehrlich gesagt da ich beruflichen und familiär sehr eingebunden bin nicht dazu, jeden Tag ausführlich in den Medien zu lesen. Mein Blickfeld ist also sehr beschränkt und lückenhaft.
Am Montag, den 01.11.2010 fiel mir bei SPIEGEL Online ein hohes Ausmaß von emotionalen Kraftwörtern (möglichen Fantasiewörtern) in den Titeln und kurzen Unterschriften auf der Eingangsseite auf. Ich machte mir also die Mühe und schrieb diese einfach mal zusammenfassend auf:
Tödliche Erdrisse, verschluckt, unheimlicher, Untergrund, Bomben, Terror, Blutbad, Kämpfe, Terror, Angriff, Herz, verzweifelt, Trauer, Alleinsein, Einsamkeit, Trauer, Generalabrechnung, Watsche, attackiert, Wutanfall, Autoritär, Verletzung, großer Gier, Himmel und Hölle, Kämpfer, Heiliger, Held, Zombiejagd, Prügelkönig, vermöbelt, Gegner, Zombies, Werwölfe, Tod, Helden, Geburt, attackiert, Anorexie, hungert, Essstörung, Frauen, erschießt, Riesen, abgekippt, Terror, Terror, Sticheln, schimpfen, schelten, Wutanfälle, Himmel und Hölle, Finanzkrise, Armut, schlimm, Drogen, Alkohol, Heroin, Leichen, Prostituierte, schützen, Baby, vertuscht, heulen, verdammt, gefährliche, Gruseln, Kriege, Revolution, Bordell, stirbt, schlägt, Bösen, Terror.
Danach beobachtete ich die Folgetage und fand ähnliche Kraftwörter. Insofern dachte ich, Sven, vergiss das, Tagesnachrichten sind nun mal voll von negativen Kraftwörtern. Mach Deinen Blog nicht scheinbar „unseriös“, wenn Du auf solche Beobachtungen hinweist… Am 05.11. schrieb ich dann einen Beitrag: „Nachdenkliches zu Deutschland“. Denn mir fielen z.B. auch sehr emotionale Fernsehfilme, die über Kindesmisshandlung gingen auf (übrigens auch in der Folgezeit, nach diesem Beitrag). Ich beobachtete in diesem Monat vor allem die Onlinenachrichten vom SPIEGEL, DER ZEIT und der FAZ.
Am 15.11. fielen mir drei Titelsätze besonders auf:
„Mein Gott, wir müssen alle, alle sterben!“ FAZ 1511.2010
„Frau Merkel spaltet die Gesellschaft“ ZEIT 15.11.
„Auf der Suche nach dem Feind“ ZEIT 15.11.2010
Angst zu sterben, Angst vor Spaltung, auf der Suche nach dem Feind. Alles ganz normale Tagesnachrichten? Ich dachte, ja, wahrscheinlich. Vielleicht übertreibe ich ja auch?
Am 17.11. folgten dann die Medienmeldungen für eine konkrete Terrorwarnung für Deutschland von Thomas de Maizière. Seit dem verschwanden die vielen Kraftwörter, wie ich sie oben dargestellt habe aus den Nachrichten. Natürlich fanden sich weiter Wörter wie „Terror“, „Bedrohung“ usw. Aber nicht dieses Wirrwarr an diversen Kraftausdrücken, wie ich es oben z.B. für den SPIEGEL beschrieben habe. Dieser Wegfall machte mich dann doch stutzig und deshalb schreibe ich jetzt doch etwas in Form diesen Beitrages dazu.
Deckelt ein konkreter möglicher Feind von außen also in der Tat angsterfüllte Fantasien, die mit destruktiven Kindheitserfahrungen zusammenhängen?
Ich will hier nicht sagen so und so ist es. Dafür bin ich zu sehr Laie und Neuling bzgl. der psychohistorischen Fantasieanalyse. Ich möchte hiermit also erst mal meinen aktuellen Stand der Dinge festhalten, so wie ich gerade die emotionalen Entwicklungen beobachte. Vielleicht kann ich das noch in einigen Wochen ausweiten. Für mich ist das ganze ein persönliches Experiment und ein Ausprobieren. Es kann alles Quatsch sein, es kann vielleicht auch etwas aussagen. Mal sehen, wie sich die Medienbilder weiter entwickeln.
Die PsychohistorikerInnen wenden im Prinzip in ganz ähnlicher Weise dieses Verfahren auf Nationen an. Stellvertretend für die vorherrschenden Gruppenfantasien werden Zeitungen, (politische) Comics, Zeitungstitel- und bilder, Reden von PolitikerInnen usw. analysiert. DeMause machte mir deutlich, dass dieses ungewöhnliche Verfahren recht brauchbare Erkenntnisse zu Tage führen kann. Das Verfahren hat für mich immer mehr an Merkwürdigkeit verloren. Es macht Sinn, auch wenn es im ersten Moment geradezu dazu verleitet, sich über die Psychohistorie lustig zu machen, die „sich ja mit Comics beschäftigt“. Wenn man sich darauf einlässt, wird einem allerdings der Ernst der Sache deutlich. DeMause versucht durch dieses Verfahren z.B. Kriege oder auch Anschläge auf Staatschefs vorherzusehen (ohne Anspruch auf Perfektion und Eindeutigkeit der Methode). In seinem Buch machte er z.B. deutlich, wie sich das Attentat vom 30. März 1981 auf Ronald Reagan vorher in Medienbildern andeutete.
Ich selbst habe meinen Blick auf Nachrichten und Bilder nach der Lektüre von deMause verändert. (Mit einer Redeanalyse von Angela Merkel hatte ich schon ganz gute erste Erfahrungen gesammelt) Ob das brauchbar ist, wird sich zeigen. Ich komme ehrlich gesagt da ich beruflichen und familiär sehr eingebunden bin nicht dazu, jeden Tag ausführlich in den Medien zu lesen. Mein Blickfeld ist also sehr beschränkt und lückenhaft.
Am Montag, den 01.11.2010 fiel mir bei SPIEGEL Online ein hohes Ausmaß von emotionalen Kraftwörtern (möglichen Fantasiewörtern) in den Titeln und kurzen Unterschriften auf der Eingangsseite auf. Ich machte mir also die Mühe und schrieb diese einfach mal zusammenfassend auf:
Tödliche Erdrisse, verschluckt, unheimlicher, Untergrund, Bomben, Terror, Blutbad, Kämpfe, Terror, Angriff, Herz, verzweifelt, Trauer, Alleinsein, Einsamkeit, Trauer, Generalabrechnung, Watsche, attackiert, Wutanfall, Autoritär, Verletzung, großer Gier, Himmel und Hölle, Kämpfer, Heiliger, Held, Zombiejagd, Prügelkönig, vermöbelt, Gegner, Zombies, Werwölfe, Tod, Helden, Geburt, attackiert, Anorexie, hungert, Essstörung, Frauen, erschießt, Riesen, abgekippt, Terror, Terror, Sticheln, schimpfen, schelten, Wutanfälle, Himmel und Hölle, Finanzkrise, Armut, schlimm, Drogen, Alkohol, Heroin, Leichen, Prostituierte, schützen, Baby, vertuscht, heulen, verdammt, gefährliche, Gruseln, Kriege, Revolution, Bordell, stirbt, schlägt, Bösen, Terror.
Danach beobachtete ich die Folgetage und fand ähnliche Kraftwörter. Insofern dachte ich, Sven, vergiss das, Tagesnachrichten sind nun mal voll von negativen Kraftwörtern. Mach Deinen Blog nicht scheinbar „unseriös“, wenn Du auf solche Beobachtungen hinweist… Am 05.11. schrieb ich dann einen Beitrag: „Nachdenkliches zu Deutschland“. Denn mir fielen z.B. auch sehr emotionale Fernsehfilme, die über Kindesmisshandlung gingen auf (übrigens auch in der Folgezeit, nach diesem Beitrag). Ich beobachtete in diesem Monat vor allem die Onlinenachrichten vom SPIEGEL, DER ZEIT und der FAZ.
Am 15.11. fielen mir drei Titelsätze besonders auf:
„Mein Gott, wir müssen alle, alle sterben!“ FAZ 1511.2010
„Frau Merkel spaltet die Gesellschaft“ ZEIT 15.11.
„Auf der Suche nach dem Feind“ ZEIT 15.11.2010
Angst zu sterben, Angst vor Spaltung, auf der Suche nach dem Feind. Alles ganz normale Tagesnachrichten? Ich dachte, ja, wahrscheinlich. Vielleicht übertreibe ich ja auch?
Am 17.11. folgten dann die Medienmeldungen für eine konkrete Terrorwarnung für Deutschland von Thomas de Maizière. Seit dem verschwanden die vielen Kraftwörter, wie ich sie oben dargestellt habe aus den Nachrichten. Natürlich fanden sich weiter Wörter wie „Terror“, „Bedrohung“ usw. Aber nicht dieses Wirrwarr an diversen Kraftausdrücken, wie ich es oben z.B. für den SPIEGEL beschrieben habe. Dieser Wegfall machte mich dann doch stutzig und deshalb schreibe ich jetzt doch etwas in Form diesen Beitrages dazu.
Deckelt ein konkreter möglicher Feind von außen also in der Tat angsterfüllte Fantasien, die mit destruktiven Kindheitserfahrungen zusammenhängen?
Ich will hier nicht sagen so und so ist es. Dafür bin ich zu sehr Laie und Neuling bzgl. der psychohistorischen Fantasieanalyse. Ich möchte hiermit also erst mal meinen aktuellen Stand der Dinge festhalten, so wie ich gerade die emotionalen Entwicklungen beobachte. Vielleicht kann ich das noch in einigen Wochen ausweiten. Für mich ist das ganze ein persönliches Experiment und ein Ausprobieren. Es kann alles Quatsch sein, es kann vielleicht auch etwas aussagen. Mal sehen, wie sich die Medienbilder weiter entwickeln.
Mittwoch, 10. November 2010
George W. Bush - Zur Psychoanalyse von Macht und Gewalt
Zufällig habe ich einen interessanten Text über George W. Bush gefunden. "Die Angst vor George W. Bush und die Angst von George W. Bush. Zur Psychoanalyse von Macht und Gewalt" von Thomas Auchter.
Für mich waren viele Details über die Kindheit von George W. Bush nichts neues. Allerdings gibt es online nur sehr wenig zu diesem Thema. Insofern verweise ich gerne für alle Interessierten auf den Text von Auchter.
Meinen Text über George W. habe ich an Hand obiger Quelle leicht um eine Passage zur Krankheit von Robin ergänzt. Neu war für mich, dass Babara Bush ihre Kinder für Monate verließ, um Robin in New York bei ihrer Krebstherapie zur Seite zu stehen.
Die veränderte Textstelle sieht jetzt so aus:
"Im Alter von sechs Jahren erlebte George W. ein weiteres Trauma, nämlich Krankheit und Tod seiner kleinen Schwester Robin. Im Jahr 1953 wurde Leukämie bei Robin festgestellt. Barbara Bush blieb daraufhin monatelang in New York, um Robin bei ihrer Krebstherapie zu unterstützen. George und das Baby Jeb wurden zunächst bei Nachbarn untergebracht, später wurde dann eine Haushälterin eingestellt und die Kinder kehrten zumindest ins vertraute eigene Haus zurück. (vgl. Auchter, 2007, S. 8ff) George musste sich verlassen gefühlt haben (Wir erinnern uns, der Vater war eh stets abwesend). Er wurde außerdem nicht über die Krankheit seiner Schwester aufgeklärt. Als die Schwester schließlich starb, fuhren die Eltern einen Tag später zu Babara Bushs Vater und spielten Golf. (ebd.) Eine Trauerfeier für Robin fand nicht statt."
Auchter fragt am Ende seines Textes: "Warum wählt jemand, so jemand? Das bleibt die psychodynamisch vordringliche Frage. Warum haben die Hälfte der Amerikaner, die an der Wahl teilnahmen, diesen George W. Bush wiedergewählt? Kann die Psychoanalyse hierfür irgendwelche Verständnis- und Erklärungsmuster anbieten?"
Ich denke, dass ich mit meinem letzten Beitrag "Kindheit in den USA" eine Antwort darauf gegeben habe.
Für mich waren viele Details über die Kindheit von George W. Bush nichts neues. Allerdings gibt es online nur sehr wenig zu diesem Thema. Insofern verweise ich gerne für alle Interessierten auf den Text von Auchter.
Meinen Text über George W. habe ich an Hand obiger Quelle leicht um eine Passage zur Krankheit von Robin ergänzt. Neu war für mich, dass Babara Bush ihre Kinder für Monate verließ, um Robin in New York bei ihrer Krebstherapie zur Seite zu stehen.
Die veränderte Textstelle sieht jetzt so aus:
"Im Alter von sechs Jahren erlebte George W. ein weiteres Trauma, nämlich Krankheit und Tod seiner kleinen Schwester Robin. Im Jahr 1953 wurde Leukämie bei Robin festgestellt. Barbara Bush blieb daraufhin monatelang in New York, um Robin bei ihrer Krebstherapie zu unterstützen. George und das Baby Jeb wurden zunächst bei Nachbarn untergebracht, später wurde dann eine Haushälterin eingestellt und die Kinder kehrten zumindest ins vertraute eigene Haus zurück. (vgl. Auchter, 2007, S. 8ff) George musste sich verlassen gefühlt haben (Wir erinnern uns, der Vater war eh stets abwesend). Er wurde außerdem nicht über die Krankheit seiner Schwester aufgeklärt. Als die Schwester schließlich starb, fuhren die Eltern einen Tag später zu Babara Bushs Vater und spielten Golf. (ebd.) Eine Trauerfeier für Robin fand nicht statt."
Auchter fragt am Ende seines Textes: "Warum wählt jemand, so jemand? Das bleibt die psychodynamisch vordringliche Frage. Warum haben die Hälfte der Amerikaner, die an der Wahl teilnahmen, diesen George W. Bush wiedergewählt? Kann die Psychoanalyse hierfür irgendwelche Verständnis- und Erklärungsmuster anbieten?"
Ich denke, dass ich mit meinem letzten Beitrag "Kindheit in den USA" eine Antwort darauf gegeben habe.
Samstag, 6. November 2010
Kindheit in den USA
Was ist nur los mit dem Land USA? Seit Jahrzehnten stehen die USA für eine destruktive Außenpolitik, für Kriege oder indirekter Beteiligung an diesen. Von den 149 Staaten, die beispielsweise für das Jahr 2010 im "Global Peace Index" bzgl. ihrer "Friedfertigkeit" analysiert wurden, landeten die USA auf dem schlechten Platz 85. Seit Anfang 1981 sind mit Ronald Reagan, über Geoge Bush senior, Bill Clinton und dann George W. Bush Junior bis Anfang 2009 (also ca. 28 Jahre) nur als Kind von ihren Eltern misshandelte und traumatisierte Präsidenten an der Macht gewesen. (Die Präsidenten davor habe ich nicht untersucht, ebenso über Obama habe ich bisher nicht weiter etwas gelesen. Allerdings schreibt Lloyd deMause in einem Nebensatz, dass die Kindheit der meisten US-Präsidenten von Gewalt und Vernachlässigung geprägt war. vgl. deMause, 2005, S. 19). Im Sinne der psychohistorischen Theorie sind „die Führer“ im Grunde reine emotionale Stellvertreter der Bevölkerung, ihre persönliche Misshandlungsgeschichte steht also im Zusammenhang mit dem, was große Teile der Bevölkerung als Kind erlebt haben.
Schauen wir uns also einige Zahlen und Fakten an, die ich gefunden habe:
Ein Viertel aller Kinder in den USA lebt von staatlichen Essensmarken. (vgl. DER SPIEGEL, 30.10.2010, Nr. 44, „Good night, America“, S. 82)
Im Jahr 2008 berichtete der “child protective services” (CPS) in den USA von 3,3 Millionen gemeldeter Fälle von Kindern, die körperlichen, emotionalen oder sexuellen Missbrauch erlebt hatten oder vernachlässigt wurden. (vgl. CDS, 2010: Child Maltreatment. Facts at a Glance)
Die amerikanische Kaiser Permanente Krankenversicherung hat 1995 eine Studie (ACE-Studie) mit Daten von 17.421 Versicherten bzgl. dem Zusammenhang zwischen belastenden Kindheitserfahrungen (Adverse Childhood Experiences, kurz ACEs) und dem Gesundheitszustand durchgeführt. Ergebnisse bzgl. belastenden Kindheitserfahrungen (die wohl eher für die Mittelschicht und höhere Schichten gelten, die sich in den USA eine private Krankenversicherung leisten können.) :
11% erlebten emotionale Misshandlungen
28% erlebten körperliche Misshandlungen
21% erlebten sexuellen Missbrauch
15% erlebten emotionale Vernachlässigung
10% erlebten körperliche Vernachlässigung
13% wurden Zeugen, wie ihre Mutter Gewalt erlebte
27% wuchsen in Familien auf, in denen Alkhol und/oder Drogen konsumiert wurden
19% wuchsen in einer Familie mit einer psychisch kranken Person auf.
23 wuchsen in einer Familie auf, in der sie durch Trennung oder Scheidung von einem Elternteil getrennt waren
5 % wuchsen in Familien auf, wo sich ein Familienmitglied im Gefängnis befand
(Mehr als 20 % erlebten drei oder mehr der genannten belastende Kindheitserfahrungen!)
Eine Studie in den USA aus dem Jahr 2000 ergab, dass bei 94 Prozent der Kinder zwischen drei und vier Jahren Ohrfeigen oder Schläge zur Erziehung gehörten. (vgl. UNICEF 2003: Child Maltreatment Deaths in Rich Nations. Innocenti Report Card No.5. Innocenti Research Centre, Florence., S. 22) Ein Bericht aus dem Jahr 1995 der “American Gallup Organization” zeigte, dass 40 % der Dreizehnjährigen regelmäßig geschlagen wurden, selbst im Alter von fünfzehn Jahren wurden immer noch 25 % der Jugendlichen geschlagen. (vgl. ebd., S. 23)
Ein Forscherteam hat vier repräsentative US-Studien der Jahre 1975, 1985, 1995 und 2002 ausgewertet. Im Jahr 1975 wurden beispielsweise 82,2 % der 3- bis 5-Jährigen Kinder körperlich gezüchtigt, im Jahr 2002 waren es immer noch 78,8 %. Zudem erlebt immer noch fast jedes dritte Kind in den USA der Studie folgend in seiner Familie Körperstrafen mit einem Gegenstand; eine Zahl, die die AutorInnen der Studie als alarmierend bezeichnen.
(Zolotor, A.J., Theodore, A. D., Runyan D.K., Chang J. J. & Laskey, A. L. (2011).Corporal punishment and physical abuse.Population-basedtrends for three-to-11-year-old children in the United States. Child Abuse review, 20(1), S. 57–66.)
In einer repräsentativen Telefonumfrage aus dem Jahr 2000 wurden 2068 Eltern von Kindern im Alter zwischen 4 und 35 Monaten in den USA befragt. 26% berichtet, dass sie ihre Kinder verprügelt (englisch “spanking”) hätten. (vgl. Michael Regalado et al, 2004: Parents’ Discipline of Young Children: Results From the National Survey of Early Childhood Health. In: PEDIATRICS, Vol. 113, No. 6.)
Das ist eine sehr hohe Zahl, wenn man sich klar macht, dass hier die Eltern direkt am Telefon befragt wurden und natürlich nicht unbedingt wahrheitsgemäß antworten müssen. Zudem ist die Zahl auch erschreckend, da sie sich auf Säuglinge bis Kinder im Alter von nur ca. 3 Jahren bezieht. Darüberhinaus berichteten 67 % der Befragten, ihre Säuglinge/Kleinkinder angeschrien zu haben.
Im Jahr 2005 wurden in allen 50 US-Bundesstaaten jeweils 600 Erwachsene befragt (surveyusa, 24.08.2005, Disciplining a Child). Im Schnitt sagten 72 % aller Befragten, dass es in Ordnung sei, ein Kind zu schlagen (um es zu disziplinieren). (In Alabama gab es dabei die höchste Zustimmung mit 87 %, die niedrigste mit 55 % in Vermont)
31 % meinten, dass es in Ordnung sei, den Mund eines Kindes mit Seife "auszuwaschen". (Etwas, dass in den USA als Bestrafungsform für z.B. das Benutzen von Schimpfwörtern benutzt wrd. Auf Wikipedia gibt es sogar einen eigenen Artikel dazu.) Und 23 % meinten, dass es in Ordung für einen Lehrer sei, Schüler körperlich zu bestrafen. Schaut man sich die Ergebnisse für alle Bundesstaten einzelnd an, stellt man ein starkes Gefälle fest. Die Gewaltbereitschaft gegen Kinder ist offensichtlich am höchsten in den südlichen Staaten.
Für eine Studie (Desmond K. Runyan, Viswanathan Shankar, Fatma Hassan, Wanda M. Hunter, Dipty Jain, Cristiane S. Paula, Shrikant I. Bangdiwala, Laurie S. Ramiro, Sergio R. Muñoz, Beatriz Vizcarra and Isabel A. Bordin (2010): International Variations in Harsh Child Discipline. Pediatrics;126;e701 ) wurden 1435 Mütter zum Gewaltverhalten beider Elternteile telefonisch befragt.
Ausgewählte Ergebnisse: 44 % versohlten den Hintern, 24 % schlugen mit einem Gegenstand auf die selbe Stelle, 3,6 % schlugen mit einem Gegenstand auf eine andere Körperstelle. Diese Gewalt wurde von den Forschern als mittelschwere Gewalt eingestuft. Der Mittelwert beträgt hier ingesamt 55 %. Besonders schwere Formen der körperlichen Gewalt wurden von den Müttern fast nicht angegeben. Beispielsweise gaben nur 0,3 % an, dass das Kind durchgeprügelt/zusammengeschlagen wurde. Allerdings: 2,6 % schüttelten Kinder unter 2 Jahren.
Da Misshandlungen in den USA gesetzlich verboten, „Züchtigungen“ (was der ersten Kategorie der mittelschweren Gewalt in etwa entspricht) aber erlaubt sind, ist zu vermuten, dass Opferbefragungen hier etwas andere Ergebnisse bringen würden als Täterbefragungen. (Grundsätzlich zeigen die Daten dieser ländervergleichenden Studie allerdings auch, dass in anderen Ländern, z.B. Ägypten und Indien, schwerere Gewaltformen weiter verbreitet sind, als in den USA. )
Schaut man gesondert auf die verschiedenen Altersstufen der Kinder, ergibt sich nochmal ein anderes Bild, als das, was die o.g. Mittelwerte aufzeigen. Bereits ganze 31 % der Mütter gaben an, dass mittelschwere körperliche Gewalt gegen Kinder unter 2 Jahren in ihrer Familie angewendet wird. Dies ist eine enorm hohe Zahl, wenn man an die besonders empfindliche Psyche dieser Altersgruppe denkt. 7,7 % dieser Altersgruppe erlebt bereits schwere körperliche Gewalt, sofern Schläge mit Gegenständen dazugezählt werden. (ohne Gegenstände = 2,6 %)Ebenfalls erleben 36 % dieser Altersgruppe mittelschwere Formen psychischer Gewalt, 9 % schwere Formen.
Ganze 76 % der 2 bis 6 Jahre alten Kinder erlebt mittelschwere körperliche Gewalt und 74 % erleben mittelschwere psychische Gewalt. 27 % dieser Altersgruppe erlebt schwere körperliche Gewalt, sofern Schläge mit Gegenständen dazugezählt werden. (ohne Gegenstände = 0,6%)74 % erlebten mittelschwere Formen psychischer Gewalt, 19 % erleben schwere psychische Gewalt.
67 % der 7 bis 11 Jahre alten Kinder erlebt mittelschwere körperliche Gewalt. 84 % mittelschwere psychische Gewalt, 29 % schwere psychische Gewalt. 37 % dieser Altersgruppe erlebt schwere körperliche Gewalt, sofern Schläge mit Gegenständen dazugezählt werden. (ohne Gegenstände = 0,1%) Bei den 12 bis 17 Jahre alten Kindern nimmt dann vor allem die körperliche Gewalt stark ab.
Die obigen Daten stammen von relativ aktuellen Studien. Wie schon oft in diesem Blog erwähnt, sind ältere Bevölkerungsteile sehr wahrscheinlich in einem noch höheren Ausmaß Opfer von elterlicher Gewalt geworden, wie jüngere.
Der bereits oben erwähnte UNICEF Bericht aus dem Jahr 2003 beschreibt auf Seite 25 auch, dass bis zu diesem Berichtsjahr in den USA nur der Staat Minnesota Gesetze erlassen hat, die so ausgelegt werden könnten, dass Gewalt gegen Kinder in der Erziehung verboten ist. Aktuell habe ich bisher keine Daten im Internet gefunden, die aufzeigen, dass zwischenzeitlich noch weitere US-Staaten ähnliche Gesetze erlassen hätten. Zolotor et. al (2011) (siehe oben) bestätigen dies: Körperliche Züchtigungen im Elternhaus sind in den USA weiterhin legal, schreiben sie in ihrer Studie
Zum sexuellen Missbrauch möchte ich eine repräsentative Studie aus dem Jahr 1990 von Finkelhor erwähnen. 2626 Menschen wurden telefonisch befragt. 27 % der Frauen und 16 % der Männer gaben an, als Kind sexuell missbraucht (inkl. ohne Körperkontakt) worden zu sein. (vgl. Finkelhor, 1997, S. 74ff)
Laut einem UNICEF Bericht aus dem Jahr 2001 gibt es in den USA zwischen 100.000 und 300.000 minderjährige Prostituierte.
Dazu kommt legale Gewalt gegen Kinder und Jugendliche an Schulen durch LehrerInnen und verhältnismäßig hohe Zahlen von Kindestötungen. (siehe dazu Beitrag "gewaltvolle Kindheiten in den USA) Außerdem schneiden die USA im Vergleich mit anderen Industrienationen auch im allgemeinen Ranking zum Wohlergehen der Kinder besonders schlecht ab.
Die USA ist das einzige Mitglied der Vereinten Nationen, das die 1989 verabschiedete UN-Kinderrechtskonvention bisher nicht ratifiziert hat. (vgl. Status der „Convention on the Rights of the Child“) Ein Skandal!
Ich weiß nicht, wie ich diese Zahlen und Fakten noch weiter kommentieren soll? Wer diesen Blog schon kennt, weiß, was dieses hohe Ausmaß an Gewalt für politische Konsequenzen haben kann und auch hat. Dies gilt gerade auch, weil es sich hier um eine Weltmacht mit enormen militärischen Möglichkeiten handelt.
Wichtiger Nachtrag:
Siehe ergänzend meinen Beitrag Politische Spaltung in den USA als Ausdruck von einer gespaltenen Kinderfürsorge? vom 16. Juni 2017. Die Kinderschutzorganisation „Save the Children“ hat erstmals eine Art Ranking über das Wohlergehen von Kindern in der Welt veröffentlicht. Die USA landete auf Platz 36 (einen Platz vor Russland und fünf Plätze vor China).
Siehe unbedingt auch: Belastende Kindheitserfahrungen in den USA: Neue Daten vom 4. Juni 2020
Schauen wir uns also einige Zahlen und Fakten an, die ich gefunden habe:
Ein Viertel aller Kinder in den USA lebt von staatlichen Essensmarken. (vgl. DER SPIEGEL, 30.10.2010, Nr. 44, „Good night, America“, S. 82)
Im Jahr 2008 berichtete der “child protective services” (CPS) in den USA von 3,3 Millionen gemeldeter Fälle von Kindern, die körperlichen, emotionalen oder sexuellen Missbrauch erlebt hatten oder vernachlässigt wurden. (vgl. CDS, 2010: Child Maltreatment. Facts at a Glance)
Die amerikanische Kaiser Permanente Krankenversicherung hat 1995 eine Studie (ACE-Studie) mit Daten von 17.421 Versicherten bzgl. dem Zusammenhang zwischen belastenden Kindheitserfahrungen (Adverse Childhood Experiences, kurz ACEs) und dem Gesundheitszustand durchgeführt. Ergebnisse bzgl. belastenden Kindheitserfahrungen (die wohl eher für die Mittelschicht und höhere Schichten gelten, die sich in den USA eine private Krankenversicherung leisten können.) :
11% erlebten emotionale Misshandlungen
28% erlebten körperliche Misshandlungen
21% erlebten sexuellen Missbrauch
15% erlebten emotionale Vernachlässigung
10% erlebten körperliche Vernachlässigung
13% wurden Zeugen, wie ihre Mutter Gewalt erlebte
27% wuchsen in Familien auf, in denen Alkhol und/oder Drogen konsumiert wurden
19% wuchsen in einer Familie mit einer psychisch kranken Person auf.
23 wuchsen in einer Familie auf, in der sie durch Trennung oder Scheidung von einem Elternteil getrennt waren
5 % wuchsen in Familien auf, wo sich ein Familienmitglied im Gefängnis befand
(Mehr als 20 % erlebten drei oder mehr der genannten belastende Kindheitserfahrungen!)
Eine Studie in den USA aus dem Jahr 2000 ergab, dass bei 94 Prozent der Kinder zwischen drei und vier Jahren Ohrfeigen oder Schläge zur Erziehung gehörten. (vgl. UNICEF 2003: Child Maltreatment Deaths in Rich Nations. Innocenti Report Card No.5. Innocenti Research Centre, Florence., S. 22) Ein Bericht aus dem Jahr 1995 der “American Gallup Organization” zeigte, dass 40 % der Dreizehnjährigen regelmäßig geschlagen wurden, selbst im Alter von fünfzehn Jahren wurden immer noch 25 % der Jugendlichen geschlagen. (vgl. ebd., S. 23)
Ein Forscherteam hat vier repräsentative US-Studien der Jahre 1975, 1985, 1995 und 2002 ausgewertet. Im Jahr 1975 wurden beispielsweise 82,2 % der 3- bis 5-Jährigen Kinder körperlich gezüchtigt, im Jahr 2002 waren es immer noch 78,8 %. Zudem erlebt immer noch fast jedes dritte Kind in den USA der Studie folgend in seiner Familie Körperstrafen mit einem Gegenstand; eine Zahl, die die AutorInnen der Studie als alarmierend bezeichnen.
(Zolotor, A.J., Theodore, A. D., Runyan D.K., Chang J. J. & Laskey, A. L. (2011).Corporal punishment and physical abuse.Population-basedtrends for three-to-11-year-old children in the United States. Child Abuse review, 20(1), S. 57–66.)
In einer repräsentativen Telefonumfrage aus dem Jahr 2000 wurden 2068 Eltern von Kindern im Alter zwischen 4 und 35 Monaten in den USA befragt. 26% berichtet, dass sie ihre Kinder verprügelt (englisch “spanking”) hätten. (vgl. Michael Regalado et al, 2004: Parents’ Discipline of Young Children: Results From the National Survey of Early Childhood Health. In: PEDIATRICS, Vol. 113, No. 6.)
Das ist eine sehr hohe Zahl, wenn man sich klar macht, dass hier die Eltern direkt am Telefon befragt wurden und natürlich nicht unbedingt wahrheitsgemäß antworten müssen. Zudem ist die Zahl auch erschreckend, da sie sich auf Säuglinge bis Kinder im Alter von nur ca. 3 Jahren bezieht. Darüberhinaus berichteten 67 % der Befragten, ihre Säuglinge/Kleinkinder angeschrien zu haben.
Im Jahr 2005 wurden in allen 50 US-Bundesstaaten jeweils 600 Erwachsene befragt (surveyusa, 24.08.2005, Disciplining a Child). Im Schnitt sagten 72 % aller Befragten, dass es in Ordnung sei, ein Kind zu schlagen (um es zu disziplinieren). (In Alabama gab es dabei die höchste Zustimmung mit 87 %, die niedrigste mit 55 % in Vermont)
31 % meinten, dass es in Ordnung sei, den Mund eines Kindes mit Seife "auszuwaschen". (Etwas, dass in den USA als Bestrafungsform für z.B. das Benutzen von Schimpfwörtern benutzt wrd. Auf Wikipedia gibt es sogar einen eigenen Artikel dazu.) Und 23 % meinten, dass es in Ordung für einen Lehrer sei, Schüler körperlich zu bestrafen. Schaut man sich die Ergebnisse für alle Bundesstaten einzelnd an, stellt man ein starkes Gefälle fest. Die Gewaltbereitschaft gegen Kinder ist offensichtlich am höchsten in den südlichen Staaten.
Für eine Studie (Desmond K. Runyan, Viswanathan Shankar, Fatma Hassan, Wanda M. Hunter, Dipty Jain, Cristiane S. Paula, Shrikant I. Bangdiwala, Laurie S. Ramiro, Sergio R. Muñoz, Beatriz Vizcarra and Isabel A. Bordin (2010): International Variations in Harsh Child Discipline. Pediatrics;126;e701 ) wurden 1435 Mütter zum Gewaltverhalten beider Elternteile telefonisch befragt.
Ausgewählte Ergebnisse: 44 % versohlten den Hintern, 24 % schlugen mit einem Gegenstand auf die selbe Stelle, 3,6 % schlugen mit einem Gegenstand auf eine andere Körperstelle. Diese Gewalt wurde von den Forschern als mittelschwere Gewalt eingestuft. Der Mittelwert beträgt hier ingesamt 55 %. Besonders schwere Formen der körperlichen Gewalt wurden von den Müttern fast nicht angegeben. Beispielsweise gaben nur 0,3 % an, dass das Kind durchgeprügelt/zusammengeschlagen wurde. Allerdings: 2,6 % schüttelten Kinder unter 2 Jahren.
Da Misshandlungen in den USA gesetzlich verboten, „Züchtigungen“ (was der ersten Kategorie der mittelschweren Gewalt in etwa entspricht) aber erlaubt sind, ist zu vermuten, dass Opferbefragungen hier etwas andere Ergebnisse bringen würden als Täterbefragungen. (Grundsätzlich zeigen die Daten dieser ländervergleichenden Studie allerdings auch, dass in anderen Ländern, z.B. Ägypten und Indien, schwerere Gewaltformen weiter verbreitet sind, als in den USA. )
Schaut man gesondert auf die verschiedenen Altersstufen der Kinder, ergibt sich nochmal ein anderes Bild, als das, was die o.g. Mittelwerte aufzeigen. Bereits ganze 31 % der Mütter gaben an, dass mittelschwere körperliche Gewalt gegen Kinder unter 2 Jahren in ihrer Familie angewendet wird. Dies ist eine enorm hohe Zahl, wenn man an die besonders empfindliche Psyche dieser Altersgruppe denkt. 7,7 % dieser Altersgruppe erlebt bereits schwere körperliche Gewalt, sofern Schläge mit Gegenständen dazugezählt werden. (ohne Gegenstände = 2,6 %)Ebenfalls erleben 36 % dieser Altersgruppe mittelschwere Formen psychischer Gewalt, 9 % schwere Formen.
Ganze 76 % der 2 bis 6 Jahre alten Kinder erlebt mittelschwere körperliche Gewalt und 74 % erleben mittelschwere psychische Gewalt. 27 % dieser Altersgruppe erlebt schwere körperliche Gewalt, sofern Schläge mit Gegenständen dazugezählt werden. (ohne Gegenstände = 0,6%)74 % erlebten mittelschwere Formen psychischer Gewalt, 19 % erleben schwere psychische Gewalt.
67 % der 7 bis 11 Jahre alten Kinder erlebt mittelschwere körperliche Gewalt. 84 % mittelschwere psychische Gewalt, 29 % schwere psychische Gewalt. 37 % dieser Altersgruppe erlebt schwere körperliche Gewalt, sofern Schläge mit Gegenständen dazugezählt werden. (ohne Gegenstände = 0,1%) Bei den 12 bis 17 Jahre alten Kindern nimmt dann vor allem die körperliche Gewalt stark ab.
Die obigen Daten stammen von relativ aktuellen Studien. Wie schon oft in diesem Blog erwähnt, sind ältere Bevölkerungsteile sehr wahrscheinlich in einem noch höheren Ausmaß Opfer von elterlicher Gewalt geworden, wie jüngere.
Der bereits oben erwähnte UNICEF Bericht aus dem Jahr 2003 beschreibt auf Seite 25 auch, dass bis zu diesem Berichtsjahr in den USA nur der Staat Minnesota Gesetze erlassen hat, die so ausgelegt werden könnten, dass Gewalt gegen Kinder in der Erziehung verboten ist. Aktuell habe ich bisher keine Daten im Internet gefunden, die aufzeigen, dass zwischenzeitlich noch weitere US-Staaten ähnliche Gesetze erlassen hätten. Zolotor et. al (2011) (siehe oben) bestätigen dies: Körperliche Züchtigungen im Elternhaus sind in den USA weiterhin legal, schreiben sie in ihrer Studie
Zum sexuellen Missbrauch möchte ich eine repräsentative Studie aus dem Jahr 1990 von Finkelhor erwähnen. 2626 Menschen wurden telefonisch befragt. 27 % der Frauen und 16 % der Männer gaben an, als Kind sexuell missbraucht (inkl. ohne Körperkontakt) worden zu sein. (vgl. Finkelhor, 1997, S. 74ff)
Laut einem UNICEF Bericht aus dem Jahr 2001 gibt es in den USA zwischen 100.000 und 300.000 minderjährige Prostituierte.
Dazu kommt legale Gewalt gegen Kinder und Jugendliche an Schulen durch LehrerInnen und verhältnismäßig hohe Zahlen von Kindestötungen. (siehe dazu Beitrag "gewaltvolle Kindheiten in den USA) Außerdem schneiden die USA im Vergleich mit anderen Industrienationen auch im allgemeinen Ranking zum Wohlergehen der Kinder besonders schlecht ab.
Die USA ist das einzige Mitglied der Vereinten Nationen, das die 1989 verabschiedete UN-Kinderrechtskonvention bisher nicht ratifiziert hat. (vgl. Status der „Convention on the Rights of the Child“) Ein Skandal!
Ich weiß nicht, wie ich diese Zahlen und Fakten noch weiter kommentieren soll? Wer diesen Blog schon kennt, weiß, was dieses hohe Ausmaß an Gewalt für politische Konsequenzen haben kann und auch hat. Dies gilt gerade auch, weil es sich hier um eine Weltmacht mit enormen militärischen Möglichkeiten handelt.
Wichtiger Nachtrag:
Siehe ergänzend meinen Beitrag Politische Spaltung in den USA als Ausdruck von einer gespaltenen Kinderfürsorge? vom 16. Juni 2017. Die Kinderschutzorganisation „Save the Children“ hat erstmals eine Art Ranking über das Wohlergehen von Kindern in der Welt veröffentlicht. Die USA landete auf Platz 36 (einen Platz vor Russland und fünf Plätze vor China).
Siehe unbedingt auch: Belastende Kindheitserfahrungen in den USA: Neue Daten vom 4. Juni 2020
Freitag, 5. November 2010
Nachdenkliches über Deutschland
Als Nachtrag zum vorherigen Beitrag möchte ich noch etwas über Deutschland schreiben. In Deutschland finden in relativ stark abgeschwächter Form ähnliche Prozesse statt, wie in den USA, so mein Eindruck. Abgeschwächt daher, weil wir hier mittlerweile eine deutlich bessere Kindererziehungspraxis vorfinden, wie drüben.
Ich kann als einzelner Mensch nicht alles wirklich überblicken und in Zusammenhang bringen. Aber einige mediale (emotionale) Höhepunkte fallen schon besonders auf und man merkt, dass etwas vor sich geht. Es ist z.B. schon erstaulich, dass mit dem Höhepunkt bzw. langsamen Ende der Wirtschaftskrise Ende 2009/Anfang 2010 eine monatelange Medienkampagne um missbrauchte und misshandelte (Heim-)Kinder und die Kirche einsetzte. Ab ca. Mai 2010 häuften sich dann schlagartig die Berichte zum beginnenden starken Wirtschaftswachstum (Stichwort: „Wachstumspanik“). Ende August löste dann Thilo Sarrazin – zeitgleich zur erstarkten Wirtschaft - eine bis heute andauernde hitzige Debatte über „Überfremdung“ und Integrationsprobleme aus.
Derzeit fallen mir – zur besten Sendezeit - zusätzlich (sehr heftige, emotional-erschütternde und direkte) Filme wie „Wolfsfährte“, ARD vom 30.10.2010 auf, wo ein als Kind von seiner Mutter häufig misshandelter Mann sich in eine Märchenwelt fantasierte und dann etliche Menschen - verkleidet als Wolf - umbringt, um im Finale seine eigene Mutter getreu nach dem Märchen Hänsel und Gretel im Ofen zu verbrennen (alles bildlich direkt dargestellt), wobei ein von ihm entführtes Mädchen ("Gretel") helfen und zusehen musste. Am 03.11. folgte - wieder in der ARD - der Film „In aller Stille“, es geht um Kindesmisshandlung und einen Jungen, der vom eigenen Vater zu Tode geprügelt wurde und die Mutter vorher jahrelang weggeschaut hatte. Eine ermittelnde Polizistin, die ihre eigenen Kinder vernachlässigt und züchtigt, kommt im Verlaufe ihrer Ermittlungen immer näher auch an ihre eigene Misshandlungsgeschichte aus ihrer Kindheit, bricht schließlich zusammen und geht am Ende in Therapie. Auch dieser Film grub sich tief emotional in das Thema ein, wie ich es bisher bei kaum anderen Filmen um das Thema gesehen habe. Fast gleichzeitig gibt es im Tagesgeschehen Berichte um Briefbomben und eine weitere Bedrohung durch Terror.
Ist die Gesellschaft in einer deutlichen Krise wie Mitten 2009, scheint das auf eine Art unterbewusste, abgespaltene Ängste zu deckeln, „weil wir ja alle gerade Opfer sind“ und es fehlen wohl öffentliche Debatten und Bilder, die in wirtschaftlich starken Phasen auftreten. Wird die Krise beendet, droht Wachstum, müssen andere Ängste gefunden werden, die außen aufgeführt werden können, z.B. in Form von Angst vor „den Ausländern“. Nur die realen Ängste (das eigenen Opfersein) aus der Kindheit dürfen nicht offen zu Tage treten. Stattdessen werden delegierte leidende Kinder öffentlich ausgemacht, wie Anfang des Jahres um die katholische Kirche und wie jetzt z.B. in Fernsehfilmen.
Nochmal. Mir fällt es schwer, das konkret einzuordnen und weiter zu sortieren. Ich möchte hiermit nur anregen, sich darüber weiter Gedanken zu machen. Ähnliche Prozesse, wie sie in den USA stattfinden, werden Deutschland voraussichtlich weiter erspart bleiben. Es könnte in Deutschland allerdings auch Stück für Stück ein ganz anderer Prozess in Gange kommen oder sein, nämlich der, des realen Hinsehen auf das, was den meisten Menschen als Kind passiert ist, nämliche Gewalterfahrungen durch ihre eigenen Eltern. Evtl. führt der derzeitige Weg auch dahin, dass dies vernünftig öffentlich weiter thematisiert wird und zwar als deutlicher Hinseher (nicht als Ablenker) in Form von wochenlangen medialen Debatten auf allen Ebenen. Wie ich schon sagte, es ist etwas im Gange im Land, wo dies hinführt, wird sich zeigen.
Ich kann als einzelner Mensch nicht alles wirklich überblicken und in Zusammenhang bringen. Aber einige mediale (emotionale) Höhepunkte fallen schon besonders auf und man merkt, dass etwas vor sich geht. Es ist z.B. schon erstaulich, dass mit dem Höhepunkt bzw. langsamen Ende der Wirtschaftskrise Ende 2009/Anfang 2010 eine monatelange Medienkampagne um missbrauchte und misshandelte (Heim-)Kinder und die Kirche einsetzte. Ab ca. Mai 2010 häuften sich dann schlagartig die Berichte zum beginnenden starken Wirtschaftswachstum (Stichwort: „Wachstumspanik“). Ende August löste dann Thilo Sarrazin – zeitgleich zur erstarkten Wirtschaft - eine bis heute andauernde hitzige Debatte über „Überfremdung“ und Integrationsprobleme aus.
Derzeit fallen mir – zur besten Sendezeit - zusätzlich (sehr heftige, emotional-erschütternde und direkte) Filme wie „Wolfsfährte“, ARD vom 30.10.2010 auf, wo ein als Kind von seiner Mutter häufig misshandelter Mann sich in eine Märchenwelt fantasierte und dann etliche Menschen - verkleidet als Wolf - umbringt, um im Finale seine eigene Mutter getreu nach dem Märchen Hänsel und Gretel im Ofen zu verbrennen (alles bildlich direkt dargestellt), wobei ein von ihm entführtes Mädchen ("Gretel") helfen und zusehen musste. Am 03.11. folgte - wieder in der ARD - der Film „In aller Stille“, es geht um Kindesmisshandlung und einen Jungen, der vom eigenen Vater zu Tode geprügelt wurde und die Mutter vorher jahrelang weggeschaut hatte. Eine ermittelnde Polizistin, die ihre eigenen Kinder vernachlässigt und züchtigt, kommt im Verlaufe ihrer Ermittlungen immer näher auch an ihre eigene Misshandlungsgeschichte aus ihrer Kindheit, bricht schließlich zusammen und geht am Ende in Therapie. Auch dieser Film grub sich tief emotional in das Thema ein, wie ich es bisher bei kaum anderen Filmen um das Thema gesehen habe. Fast gleichzeitig gibt es im Tagesgeschehen Berichte um Briefbomben und eine weitere Bedrohung durch Terror.
Ist die Gesellschaft in einer deutlichen Krise wie Mitten 2009, scheint das auf eine Art unterbewusste, abgespaltene Ängste zu deckeln, „weil wir ja alle gerade Opfer sind“ und es fehlen wohl öffentliche Debatten und Bilder, die in wirtschaftlich starken Phasen auftreten. Wird die Krise beendet, droht Wachstum, müssen andere Ängste gefunden werden, die außen aufgeführt werden können, z.B. in Form von Angst vor „den Ausländern“. Nur die realen Ängste (das eigenen Opfersein) aus der Kindheit dürfen nicht offen zu Tage treten. Stattdessen werden delegierte leidende Kinder öffentlich ausgemacht, wie Anfang des Jahres um die katholische Kirche und wie jetzt z.B. in Fernsehfilmen.
Nochmal. Mir fällt es schwer, das konkret einzuordnen und weiter zu sortieren. Ich möchte hiermit nur anregen, sich darüber weiter Gedanken zu machen. Ähnliche Prozesse, wie sie in den USA stattfinden, werden Deutschland voraussichtlich weiter erspart bleiben. Es könnte in Deutschland allerdings auch Stück für Stück ein ganz anderer Prozess in Gange kommen oder sein, nämlich der, des realen Hinsehen auf das, was den meisten Menschen als Kind passiert ist, nämliche Gewalterfahrungen durch ihre eigenen Eltern. Evtl. führt der derzeitige Weg auch dahin, dass dies vernünftig öffentlich weiter thematisiert wird und zwar als deutlicher Hinseher (nicht als Ablenker) in Form von wochenlangen medialen Debatten auf allen Ebenen. Wie ich schon sagte, es ist etwas im Gange im Land, wo dies hinführt, wird sich zeigen.
Barack Obama - Abbruchstimmung und Hass wächst. Wer wird der neue Feind der USA?
Ganz kurz möchte ich die merkwürdigen aktuellen Vorgänge in den USA kommentieren.
Ich gehe dabei erst noch mal etwas zurück. Ich werde wohl eine Szene aus Barack Obamas Wahlkampf nie vergessen. Stevie Wonder unterstützte Obamas Wahlkampfrede in einer großen Halle, wo wohl einige tausend Anhänger waren. Er stimmte ein Lied an, der Text war denkbar einfach „Barack Obama…Barack Obama…Barack Obama…Barack Obama usw.“ Ich kann die Melodie leider nicht in Noten beschreiben. Sein Name wurde zumindest in der Melodie etwas lang gezogen. Beim ersten mal ging die Tonlage am Ende bzw. beim Nachnamen nach oben. Danach wieder mit dem Vornamen angefangen und beim Nachnamen Tonlage nach unten und alles wieder von vorne. Das ganze Stadion stimmte in diesen Singsang mit ein. Es hatte etwas tranceartiges, fast sektenartiges, wie dort der Name des „Erlösers“ und Führers besungen wurde. Für mich brachte diese Szene symbolisch all die Wünsche, Erwartungen, Identifikationen und Projektionen zum Ausdruck, die Obamas WählerInnen teilten. Obama wurde zu einer Art erlösenden Übervater, der die Misswirtschaft und katastrophale Außenpolitik der Vorgängerregierung und alle anderen persönlichen Niederlagen und Probleme des Volkes wett machen sollte. Eine unlösbare Aufgabe.
Nun, zwei Jahre nach seiner Wahl, wird Obama zum Buhmann und die Nation ist tief gespalten und zerrissen. Der Hass wächst. DER SPIEGEL schreibt dazu einiges in seiner aktuellen Titelstory „Die verzweifelten Staaten von Amerika“. DER SPIEGEL schreibt: „Die USA von 2010 sind ein hassendes Land.“ Das Klima vor den Kongresswahlen „ist nicht getragen von Logik, nicht von Debattieren, die USA von 2010 sind ein Land, das sich lähmt und bremst, weil es sich mit Hass auf Dinge und Menschen ablenkt, die in Wahrheit keine Bedrohung sind: Homosexualität, Mexikaner, die Demokratin Nancy Pelosi, die Gesundheitsreform, Obama.“ (DER SPIEGEL, 30.10.2010, S. 79)
Es lohnt sich an dieser Stelle ein Blick in das Buch „Das emotionale Leben der Nationen„ von Lloyd deMause. Er beschreibt ab Seite 101 die vier Phasen der Führerschaft: 1. stark 2. einbrechend 3. kollabierend und 4. im Umbruch.
Die erste Phase hat Obama hinter sich, er war grandios, unbesiegbar, der Erlöser und Schaffer (laut den Wünschen des Volkes). Jemand, der ein Ganzes herstellt, der die Nation eint. (der Wunsch ganz zu sein, hat sehr viel damit zu tun, dass viele Menschen innerlich gespalten sind. Siehe dazu z.B. die Arbeiten von Arno Gruen) Die Phasen möchte ich jetzt gar nicht alle weiter kommentieren, bei deMause kann man sie direkt nachlesen (unten im verlinkten Text). Nach dem Umbruch gibt es laut deMause drei Lösungen: 1. Die Königsmordlösung: Der Führer selbst wird zum Feind und Bösen, dem ggf der Königsmord bzw. die Amtsenthebung folgt. 2. Die kriegerische Lösung: Der Führer findet – im Auftrag der Nation – einen externen Feind, der bekämpft werden kann. 3. Die Interne-Opfer-Lösung: Kann kein Feind gefunden werden, kommt es ggf. zur Revolution oder – das wäre für die USA wahrscheinlicher – zu einer reinigenden ökonomischen Säuberung, einer erneuten Depression und Rezession.
Derzeit scheinen sich hier einige Grenzen dieses Modells in der Realität zu vermischen, wie es für viele theoretische Modelle gilt. Meine Vermutung wäre, dass in zwei Jahren die 1. Lösung geschieht. Allerdings staut sich der Hass der amerikanischen Nation derzeit derart auf, dass ein zukünftiger Sieg der Republikaner ggf. zu neuen militärischen Aktionen führen könnte, sofern sie einen geeigneten Führer finden, der die unbewussten Emotionen der Menschen bedienen kann.
Wir werden sehen.
Derzeit arbeite ich - wie in einem Beitrag bereits angekündigt - an einem Text zur Verbreitung von Gewalt gegen Kinder in den USA. Ich habe schon einiges gefunden. Ich darf vorwegnehmen, dass vor dem Hintergrund eines sehr hohen Ausmaßes an Gewalt viele irrationale und verrückte politische Aktionen in den USA verständlicher werden, leider.
(Nebenbei möchte ich noch erwähnen, dass sich laut o.g. SPIEGEL Artikel die amerikanische Staatsverschuldung zwischen dem Amtsantritt von George W. Bush Anfang 2001 und seinem Ausstieg aus dem Amt Anfang 2009 mehr als verdoppelt hat, von ca. 5,6 Billionen Dollar auf ca. 11,9 Billionen Dollar. Kriege haben immer auch etwas mit Selbstzerstörung zu tun...)
Ich gehe dabei erst noch mal etwas zurück. Ich werde wohl eine Szene aus Barack Obamas Wahlkampf nie vergessen. Stevie Wonder unterstützte Obamas Wahlkampfrede in einer großen Halle, wo wohl einige tausend Anhänger waren. Er stimmte ein Lied an, der Text war denkbar einfach „Barack Obama…Barack Obama…Barack Obama…Barack Obama usw.“ Ich kann die Melodie leider nicht in Noten beschreiben. Sein Name wurde zumindest in der Melodie etwas lang gezogen. Beim ersten mal ging die Tonlage am Ende bzw. beim Nachnamen nach oben. Danach wieder mit dem Vornamen angefangen und beim Nachnamen Tonlage nach unten und alles wieder von vorne. Das ganze Stadion stimmte in diesen Singsang mit ein. Es hatte etwas tranceartiges, fast sektenartiges, wie dort der Name des „Erlösers“ und Führers besungen wurde. Für mich brachte diese Szene symbolisch all die Wünsche, Erwartungen, Identifikationen und Projektionen zum Ausdruck, die Obamas WählerInnen teilten. Obama wurde zu einer Art erlösenden Übervater, der die Misswirtschaft und katastrophale Außenpolitik der Vorgängerregierung und alle anderen persönlichen Niederlagen und Probleme des Volkes wett machen sollte. Eine unlösbare Aufgabe.
Nun, zwei Jahre nach seiner Wahl, wird Obama zum Buhmann und die Nation ist tief gespalten und zerrissen. Der Hass wächst. DER SPIEGEL schreibt dazu einiges in seiner aktuellen Titelstory „Die verzweifelten Staaten von Amerika“. DER SPIEGEL schreibt: „Die USA von 2010 sind ein hassendes Land.“ Das Klima vor den Kongresswahlen „ist nicht getragen von Logik, nicht von Debattieren, die USA von 2010 sind ein Land, das sich lähmt und bremst, weil es sich mit Hass auf Dinge und Menschen ablenkt, die in Wahrheit keine Bedrohung sind: Homosexualität, Mexikaner, die Demokratin Nancy Pelosi, die Gesundheitsreform, Obama.“ (DER SPIEGEL, 30.10.2010, S. 79)
Es lohnt sich an dieser Stelle ein Blick in das Buch „Das emotionale Leben der Nationen„ von Lloyd deMause. Er beschreibt ab Seite 101 die vier Phasen der Führerschaft: 1. stark 2. einbrechend 3. kollabierend und 4. im Umbruch.
Die erste Phase hat Obama hinter sich, er war grandios, unbesiegbar, der Erlöser und Schaffer (laut den Wünschen des Volkes). Jemand, der ein Ganzes herstellt, der die Nation eint. (der Wunsch ganz zu sein, hat sehr viel damit zu tun, dass viele Menschen innerlich gespalten sind. Siehe dazu z.B. die Arbeiten von Arno Gruen) Die Phasen möchte ich jetzt gar nicht alle weiter kommentieren, bei deMause kann man sie direkt nachlesen (unten im verlinkten Text). Nach dem Umbruch gibt es laut deMause drei Lösungen: 1. Die Königsmordlösung: Der Führer selbst wird zum Feind und Bösen, dem ggf der Königsmord bzw. die Amtsenthebung folgt. 2. Die kriegerische Lösung: Der Führer findet – im Auftrag der Nation – einen externen Feind, der bekämpft werden kann. 3. Die Interne-Opfer-Lösung: Kann kein Feind gefunden werden, kommt es ggf. zur Revolution oder – das wäre für die USA wahrscheinlicher – zu einer reinigenden ökonomischen Säuberung, einer erneuten Depression und Rezession.
Derzeit scheinen sich hier einige Grenzen dieses Modells in der Realität zu vermischen, wie es für viele theoretische Modelle gilt. Meine Vermutung wäre, dass in zwei Jahren die 1. Lösung geschieht. Allerdings staut sich der Hass der amerikanischen Nation derzeit derart auf, dass ein zukünftiger Sieg der Republikaner ggf. zu neuen militärischen Aktionen führen könnte, sofern sie einen geeigneten Führer finden, der die unbewussten Emotionen der Menschen bedienen kann.
Wir werden sehen.
Derzeit arbeite ich - wie in einem Beitrag bereits angekündigt - an einem Text zur Verbreitung von Gewalt gegen Kinder in den USA. Ich habe schon einiges gefunden. Ich darf vorwegnehmen, dass vor dem Hintergrund eines sehr hohen Ausmaßes an Gewalt viele irrationale und verrückte politische Aktionen in den USA verständlicher werden, leider.
(Nebenbei möchte ich noch erwähnen, dass sich laut o.g. SPIEGEL Artikel die amerikanische Staatsverschuldung zwischen dem Amtsantritt von George W. Bush Anfang 2001 und seinem Ausstieg aus dem Amt Anfang 2009 mehr als verdoppelt hat, von ca. 5,6 Billionen Dollar auf ca. 11,9 Billionen Dollar. Kriege haben immer auch etwas mit Selbstzerstörung zu tun...)
Montag, 18. Oktober 2010
Kindheit von Tony Blair
Bedingungslose Solidarität mit den USA hatte Tony Blair zu Beginn des Afghanistan Krieges gezeigt, indem er dorthin Truppen entsandte. Tony Blair ließ zusätzlich mit Beginn des folgenden Irakkrieges 46.000 britische Soldaten im Irak einmarschieren – das größte ausländische Truppenkontingent nach den US-Streitkräften. Ziemlich viele Truppen für einen reinen Bündnispartner, der keinen 11. September erlebt hatte und rationaler hätte agieren können. "Ich wollte Krieg, es war das Richtige", wird er später zitiert. (vgl. SPIEGEL-Online, 17.11.2007, "Ich wollte Krieg, es war das Richtige")
Blair gab auch zu, dass er die Ratschläge seiner Berater und Minister in den Wind schlug, weil er glaubte, dass die USA das Richtige täten. „Sein Glauben ging dabei so weit, dass er sogar ein Angebot von US-Präsident George W. Bush ausschlug, Großbritannien aus dem Krieg herauszuhalten. Der Labour-Politiker (…) gibt sogar unumwunden zu, seinen Einfluss als stärkster Partner der USA niemals genutzt zu haben, um eine diplomatische Lösung im Irak zu befördern. Er habe nie nach einem Ausweg gesucht (…).“ (ebd.)
Das "Monster" Hussein wurde für Blair zum Kriegsgrund, Blair würde "die gleichen Entscheidungen wieder treffen" und der Irak-Krieg "hat die Welt sicherer gemacht". schreibt derStandard.at
. Auch während der Kosovo Krise war ein militärisches Vorgehen für Blair der einzig erdenkliche und “richtige” Weg: “Just as I believe there was no alternative to military action, now it has started I am convinced there is no alternative to continuing until we succeed.” (THE BLAIR DOCTRINE, 22.04.1999)
Es macht für mich auf Grund dieser kriegerischen Abläufe durchaus Sinn, sich die Kindheit und Jugend von Tony Blair einmal genauer anzusehen. Tonys Vater, Leo Blair, hatte Kriegserfahrungen. Von 1942 bis 1947 diente er in der britischen Armee und brachte es bis zum Rang eines Majors. (vgl. Mischler, 2005, S. 18) Wie ihn diese Kriegsjahre prägten, wird in der Quelle nicht erwähnt. Zu vermuten ist, dass er, wie die meisten Soldaten des 2. Weltkrieges, traumatische Erfahrungen machte, über die er sich später ausschwieg. Später wurde Leo Blair dann zum „eingefleischten Konservativen“, der mit „Leib und Seele die Politik Margaret Thatchers verteidigte“. (ebd., S. 19) Über Tonys Mutter erfährt man nur wenig in den hier für diesen Text verwendeten Quellen. Die Biografen konzentrieren sich eher auf den beruflich erfolgreichen Vater. Fest steht, dass sie hauptsächlich für die Kinder da war und – so wird gesagt – auch Freude daran hatte. Leo Blair war dagegen häufig abwesend und ging seiner Karriere nach. (vgl. Sopel, 1996, S. 15) Gesellschaftlicher Aufstieg und Erfolg sind für den Vater von zentraler Bedeutung, insofern scheint er auch viel von seinen beiden Söhnen Bill und Tony erwartet zu haben und sorgte für eine entsprechende Schullaufbahn. Über die emotionale Beziehung zu seinen Söhnen erfährt man nichts in den Quellen. Als Tony zehn Jahre alt ist, erleidet der Vater einen Schlaganfall. Tony Blair bezeichnet diesen Tag später als den Tag, als seine Kindheit endete. (vgl. Collins, 2005, S. 17) „Mit der Geborgenheit und der finanziellen Sicherheit der Familie ist es vorbei“, schreibt Mischler (2005, S. 20) Es dauert drei Jahre, bis Leo Blair wieder sprechen kann. Ebenso ist er in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt. Der Vater ist arbeitsunfähig und frustriert. Wie Tonys Bruder Bill berichtet, entwickelt Blair in diesen Jahren ein starkes Pflichtgefühl. Er will seinen Eltern gefallen.
Zusätzlich erkrankte auch noch seine Schwester Sarah im Alter von acht Jahren an einer Form von Arthritis und verbrachte daraufhin zwei Jahre im Krankenhaus. (vgl. Collins, 2005, S. 17)
Wie die Familie emotional mit dieser Situation umging, erfährt man in keiner der Quellen. Viel Zeit und Aufmerksamkeit für Tony wird von Seiten der Mutter sicherlich nicht mehr da gewesen sein.
Schauen wir nun, was Tony Blair selbst über seine Eltern berichtet. In seinen Memoiren beschreibt er seine Mutter als sehr gegensätzlich zu seinem Vater, der eher ihm gleichen würde und den er als „motiviert, entschlossen, mit einem konzentrierten Ehrgeiz, der sich, wie ich fürchte, bei uns beiden leicht in Selbstsucht verwandelt.“ beschreibt (Blair, 2010, S. 9) „Mum dagegen war eine freundliche, liebenswerte, fast heilige Frau. Sie war schüchtern und in Gesellschaft ziemlich still.“ (ebd.) Als Tony Blair ca. 17 Jahre alt war, erfuhr er, dass seine Mutter an Schilddrüsenkrebs erkrankt war. Er war gerade 22 Jahre alt, da starb sie an dieser Krankheit. Mit Rückblick auf ihren Tod beschreibt Blair, dass seine Mutter immer für ihn dagewesen wäre und ihn geliebt hätte. Viel mehr erfährt man - nach allem was ich sehen konnte - nicht über seine Eltern in Blairs Memoiren. Vor allem die Beziehung zum Vater wird von ihm nicht beschrieben, sondern eher auf die Anerkennung dessen beruflicher Karriere beschränkt. Das deutet vielleicht schon auf die Art der Beziehung der beiden und die hohen Erwartungen des Vaters hin. Aufmerksam macht mich noch die Bemerkung, dass Blair seine Mutter als „fast heilige Frau“ bezeichnet. Das ist schon ungewöhnlich und etwas überhöht, wie ich finde. Mehr Anmerkungen möchte ich mir hier nicht weiter erlauben.
Im Alter von dreizehn Jahren wird Tony schließlich auf das renommierte Fettes College in Edinburgh geschickt (eine Privatschule), darauf besteht vor allem der Vater, seine Söhne sollen die bestmögliche Ausbildung bekommen. Tony findet dagegen Fettes schrecklich. In vielen Privatschulen ging es Mitte der 60er Jahre rau zu, Fettes war dabei rückständiger als die meisten anderen, wird berichtet. Für alles gibt es Regeln und von den Schülern wird strickte Disziplin erwartet. Die Schule gleicht in vielem einem Militärlager und hat auch ein Kadettenkorps, in dem Tony seine ersten beiden Jahre in Fettes Dienst tut. Und: „Schüler werden in Fettes geschlagen. (…) Blairs Klassenkamerad Nick Rydon beschreibt Fettes als Gefangenlager: Offen gesagt, zu unserer Zeit Ende der sechziger Jahre war es für einen Westler einfacher, ungehindert durch die Sowjetunion zu reisen, als für einen Fettes-Schüler ins Zentrum Edinburghs zu kommen.“ (Mischler, 2005, S. 20f)
Am schlimmsten für Tony war allerdings das „Fagging System“ der Schule. Die Schüler aus den unteren Klassen wurden ca. 4 Jahre älteren Schülern als „Fag“ (Burschen) zugeteilt und mussten sich für diese abrackern (vom Putzen, Wäsche zurechtlegen bis Toast machen etc.), alles tun, was diese sagen. Die Älteren hatten das Recht, Schlafsäle und Studienräume zu betreten und „Fag“, also Bursche zu rufen, der sich dann schleunigst in ihre Richtung zu begeben hatte. Ebenso duften sie ihre Diener nach Belieben durchprügeln. Tony Blair bekam mehrfach den Rohrstock eines Älteren zu spüren. (vgl. Sopel, 1996, S. 32) (Mich erinnert dieses System unweigerlich an die militärische Grundausbildung, wie sie in vielen Ländern praktiziert wird. Gehorsamseinübung, Unterwerfung und die potentielle Abspaltung von Gefühlen sind hier die Ziele, damit die Kadetten danach so wieder aufgebaut werden können, wie man sie haben möchte. Bis sie dann selbst an die Reihe kommen und andere quälen dürfen. Ob Tony später auch einen „Burschen“ zugeteilt bekam, an dem er sich auslassen konnte, wird in den Quellen allerdings nicht berichtet. Es ist in Anbetracht des damaligen Schulsystems wohl sehr wahrscheinlich, dass dem so war.)
Tony ist unglücklich und „sieht sich außer Stande, etwas gegen das Schreckensregime an der Privatschule zu unternehmen“. (vgl. Mischler, 2005, S. 22) Schließlich läuft er davon. Seine Lehrer fangen ihn allerdings wieder ein, schreibt Mischler. Collins (2005) berichtet ebenfalls von einem Fluchtversuch (vgl. S. 23). Tony will auf die Bahamas fliegen und wird in der Tat erst an Bord eines Flugzeuges am Newcastle Airport ohne Flugticket aufgegriffen. Ob dies der zweite oder derselbe Fluchtversuch ist, erschließt sich in den beiden Texten nicht. Collins schreibt jedenfalls, dass Tony höchstpersönlich von seinen Eltern zurück in die Schule gebracht wurde und eine Menge Ärger mit ihnen und der Schulleitung hatte.
Diese Information finde ich schon bemerkenswert. Tony Blairs Eltern scheinen hier wenig Rücksicht auf die verzweifelte Situation ihres Sohnes genommen zu haben. Er sollte zurück an die Schule, die Erwartungen waren hoch, aus ihm sollte etwas werden. Um jeden Preis, so scheint es. Viel erfährt man nicht in den Quellen über die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern. In dieser Situation zeigt sich allerdings eine ganz erhebliche Härte und Rücksichtslosigkeit gegenüber Tony. Tony verbrachte jedenfalls bis zu seinem ca. achtzehnten Lebensjahr seine Zeit in Fettes, insgesamt ca. fünf Jahre; er lernte fleißig und machte seinen Abschluss. Eine lange Zeit innerhalb eines „Schreckensregimes“. Das Fettes College erwähnt Blair in seinen Memoiren an fünf Stellen im Buch. Mit keinem Wort erwähnt er dabei die demütigenden und strengen Regeln und sein Unglück während dieser Zeit. (vgl. Blair, 2010, S. 43, 67, 460, 613, 632) Auch dies spricht für sich.
In den Quellen findet sich keine Info darüber, ob Tony Blair auch von seinen Eltern als Kind geschlagen wurde. Die Regierung Blair hatte Anfang 2006 ein totales Verbot von körperlicher Gewalt in der Kindererziehung abgelehnt. In einem Bericht der BBC-News wird erwähnt, dass Tony Blair seine eigenen Kinder geschlagen hat. („Prime Minister Tony Blair has admitted smacking his older children.”) (BBC-News, 22.01.2006: “Calls for smacking ban rejected“,) SPIEGEL-Online zitiert Blair aus dem BBC Interview: "(...) ich glaube, sehen Sie, diese Ohrfeigen... ich meine, Sie haben ganz Recht mit dem, was Sie gerade gesagt haben, ich glaube, jeder kennt den Unterschied zwischen dem Ohrfeigen eines Kindes und dem Missbrauch eines Kindes." Hier rechtfertigt und verharmlost er die Gewalt gegen seine Kinder, in dem er den Vergleich zum Kindesmissbrauch heranzieht.
Ich sehe diese Information als Indiz dafür, dass Tony auch von seinen eigenen Eltern Gewalt erfahren haben könnte. Denn sehr häufig sind schlagende Eltern als Kind selbst von ihren Eltern geschlagen worden. (Zusätzlich sagt dieses Erziehungsverhalten etwas zu Blairs Verhältnis zur Gewalt an sich aus.)
Alles in allem finden sich in Kindheit und Jugend von Tony Blair einige Ereignisse, die für ein Verschütten von Gefühlen und Empathie verantwortlich sein könnten. Blair löste jedenfalls Konflikte all zu oft mit Gewalt. Entsprechend war eine liebevolle, wirklich geborgene Kindheit und Jugend bei ihm nicht zu erwarten. Sehr erstaunt hat mich allerdings seine Antwort auf eine Frage eines Interview Partners im Jahr 1990. „Welchen Teil ihres Lebens würden sie mit in ein anderes Leben nehmen?“, wurde er gefragt. „Kindheit“, antwortete Tony Blair (vgl. Mischler, 2005, S. 18) In Anbetracht all der Probleme und destruktiven Erlebnisse, die ich oben beschrieben habe, ist dies eine erstaunliche Antwort. Hat der ehemalige Premier Minister Tony Blair seine Gefühle von damals verdrängt oder abgespalten? Wenn dem so war, würde dies einige von seinen politischen Entscheidungen rund um die Kriegsführung erklären. Übrigens: Auf der Rückseite seiner Memoiren ist Tony Blair von Hinten auf der linken Seite des Covers zu sehen, wie er am 02.05.1997 als frisch gebackener Premierminister vor der Tür der Downing Street Nr. 10 steht. Auf der rechten Seite spiegelt sich verschwommen seine Vorderansicht in der Tür wider. Vielleicht gibt kein Bild so gut die sehr wahrscheinliche psychische Spaltung von Tony Blair wider, wie dieses doppelte Abbild auf seinen eigenen Memoiren.
biografische Quellen:
Blair, T. 2010: Mein Weg. Bertelsmann Verlag, München.
Collins, T. M. 2005: Tony Blair (Biography) , Lerner Pub Group, Minneapolis USA.
Mischler, G. 2005: Tony Blair. Reformer – Premierminister – Glaubenskrieger. Parthas Verlag, Berlin.
Sopel, J. 1996: Tony Blair: der Herausforderer. Quell Verlag, Stuttgart.
Blair gab auch zu, dass er die Ratschläge seiner Berater und Minister in den Wind schlug, weil er glaubte, dass die USA das Richtige täten. „Sein Glauben ging dabei so weit, dass er sogar ein Angebot von US-Präsident George W. Bush ausschlug, Großbritannien aus dem Krieg herauszuhalten. Der Labour-Politiker (…) gibt sogar unumwunden zu, seinen Einfluss als stärkster Partner der USA niemals genutzt zu haben, um eine diplomatische Lösung im Irak zu befördern. Er habe nie nach einem Ausweg gesucht (…).“ (ebd.)
Das "Monster" Hussein wurde für Blair zum Kriegsgrund, Blair würde "die gleichen Entscheidungen wieder treffen" und der Irak-Krieg "hat die Welt sicherer gemacht". schreibt derStandard.at
. Auch während der Kosovo Krise war ein militärisches Vorgehen für Blair der einzig erdenkliche und “richtige” Weg: “Just as I believe there was no alternative to military action, now it has started I am convinced there is no alternative to continuing until we succeed.” (THE BLAIR DOCTRINE, 22.04.1999)
Es macht für mich auf Grund dieser kriegerischen Abläufe durchaus Sinn, sich die Kindheit und Jugend von Tony Blair einmal genauer anzusehen. Tonys Vater, Leo Blair, hatte Kriegserfahrungen. Von 1942 bis 1947 diente er in der britischen Armee und brachte es bis zum Rang eines Majors. (vgl. Mischler, 2005, S. 18) Wie ihn diese Kriegsjahre prägten, wird in der Quelle nicht erwähnt. Zu vermuten ist, dass er, wie die meisten Soldaten des 2. Weltkrieges, traumatische Erfahrungen machte, über die er sich später ausschwieg. Später wurde Leo Blair dann zum „eingefleischten Konservativen“, der mit „Leib und Seele die Politik Margaret Thatchers verteidigte“. (ebd., S. 19) Über Tonys Mutter erfährt man nur wenig in den hier für diesen Text verwendeten Quellen. Die Biografen konzentrieren sich eher auf den beruflich erfolgreichen Vater. Fest steht, dass sie hauptsächlich für die Kinder da war und – so wird gesagt – auch Freude daran hatte. Leo Blair war dagegen häufig abwesend und ging seiner Karriere nach. (vgl. Sopel, 1996, S. 15) Gesellschaftlicher Aufstieg und Erfolg sind für den Vater von zentraler Bedeutung, insofern scheint er auch viel von seinen beiden Söhnen Bill und Tony erwartet zu haben und sorgte für eine entsprechende Schullaufbahn. Über die emotionale Beziehung zu seinen Söhnen erfährt man nichts in den Quellen. Als Tony zehn Jahre alt ist, erleidet der Vater einen Schlaganfall. Tony Blair bezeichnet diesen Tag später als den Tag, als seine Kindheit endete. (vgl. Collins, 2005, S. 17) „Mit der Geborgenheit und der finanziellen Sicherheit der Familie ist es vorbei“, schreibt Mischler (2005, S. 20) Es dauert drei Jahre, bis Leo Blair wieder sprechen kann. Ebenso ist er in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt. Der Vater ist arbeitsunfähig und frustriert. Wie Tonys Bruder Bill berichtet, entwickelt Blair in diesen Jahren ein starkes Pflichtgefühl. Er will seinen Eltern gefallen.
Zusätzlich erkrankte auch noch seine Schwester Sarah im Alter von acht Jahren an einer Form von Arthritis und verbrachte daraufhin zwei Jahre im Krankenhaus. (vgl. Collins, 2005, S. 17)
Wie die Familie emotional mit dieser Situation umging, erfährt man in keiner der Quellen. Viel Zeit und Aufmerksamkeit für Tony wird von Seiten der Mutter sicherlich nicht mehr da gewesen sein.
Schauen wir nun, was Tony Blair selbst über seine Eltern berichtet. In seinen Memoiren beschreibt er seine Mutter als sehr gegensätzlich zu seinem Vater, der eher ihm gleichen würde und den er als „motiviert, entschlossen, mit einem konzentrierten Ehrgeiz, der sich, wie ich fürchte, bei uns beiden leicht in Selbstsucht verwandelt.“ beschreibt (Blair, 2010, S. 9) „Mum dagegen war eine freundliche, liebenswerte, fast heilige Frau. Sie war schüchtern und in Gesellschaft ziemlich still.“ (ebd.) Als Tony Blair ca. 17 Jahre alt war, erfuhr er, dass seine Mutter an Schilddrüsenkrebs erkrankt war. Er war gerade 22 Jahre alt, da starb sie an dieser Krankheit. Mit Rückblick auf ihren Tod beschreibt Blair, dass seine Mutter immer für ihn dagewesen wäre und ihn geliebt hätte. Viel mehr erfährt man - nach allem was ich sehen konnte - nicht über seine Eltern in Blairs Memoiren. Vor allem die Beziehung zum Vater wird von ihm nicht beschrieben, sondern eher auf die Anerkennung dessen beruflicher Karriere beschränkt. Das deutet vielleicht schon auf die Art der Beziehung der beiden und die hohen Erwartungen des Vaters hin. Aufmerksam macht mich noch die Bemerkung, dass Blair seine Mutter als „fast heilige Frau“ bezeichnet. Das ist schon ungewöhnlich und etwas überhöht, wie ich finde. Mehr Anmerkungen möchte ich mir hier nicht weiter erlauben.
Im Alter von dreizehn Jahren wird Tony schließlich auf das renommierte Fettes College in Edinburgh geschickt (eine Privatschule), darauf besteht vor allem der Vater, seine Söhne sollen die bestmögliche Ausbildung bekommen. Tony findet dagegen Fettes schrecklich. In vielen Privatschulen ging es Mitte der 60er Jahre rau zu, Fettes war dabei rückständiger als die meisten anderen, wird berichtet. Für alles gibt es Regeln und von den Schülern wird strickte Disziplin erwartet. Die Schule gleicht in vielem einem Militärlager und hat auch ein Kadettenkorps, in dem Tony seine ersten beiden Jahre in Fettes Dienst tut. Und: „Schüler werden in Fettes geschlagen. (…) Blairs Klassenkamerad Nick Rydon beschreibt Fettes als Gefangenlager: Offen gesagt, zu unserer Zeit Ende der sechziger Jahre war es für einen Westler einfacher, ungehindert durch die Sowjetunion zu reisen, als für einen Fettes-Schüler ins Zentrum Edinburghs zu kommen.“ (Mischler, 2005, S. 20f)
Am schlimmsten für Tony war allerdings das „Fagging System“ der Schule. Die Schüler aus den unteren Klassen wurden ca. 4 Jahre älteren Schülern als „Fag“ (Burschen) zugeteilt und mussten sich für diese abrackern (vom Putzen, Wäsche zurechtlegen bis Toast machen etc.), alles tun, was diese sagen. Die Älteren hatten das Recht, Schlafsäle und Studienräume zu betreten und „Fag“, also Bursche zu rufen, der sich dann schleunigst in ihre Richtung zu begeben hatte. Ebenso duften sie ihre Diener nach Belieben durchprügeln. Tony Blair bekam mehrfach den Rohrstock eines Älteren zu spüren. (vgl. Sopel, 1996, S. 32) (Mich erinnert dieses System unweigerlich an die militärische Grundausbildung, wie sie in vielen Ländern praktiziert wird. Gehorsamseinübung, Unterwerfung und die potentielle Abspaltung von Gefühlen sind hier die Ziele, damit die Kadetten danach so wieder aufgebaut werden können, wie man sie haben möchte. Bis sie dann selbst an die Reihe kommen und andere quälen dürfen. Ob Tony später auch einen „Burschen“ zugeteilt bekam, an dem er sich auslassen konnte, wird in den Quellen allerdings nicht berichtet. Es ist in Anbetracht des damaligen Schulsystems wohl sehr wahrscheinlich, dass dem so war.)
Tony ist unglücklich und „sieht sich außer Stande, etwas gegen das Schreckensregime an der Privatschule zu unternehmen“. (vgl. Mischler, 2005, S. 22) Schließlich läuft er davon. Seine Lehrer fangen ihn allerdings wieder ein, schreibt Mischler. Collins (2005) berichtet ebenfalls von einem Fluchtversuch (vgl. S. 23). Tony will auf die Bahamas fliegen und wird in der Tat erst an Bord eines Flugzeuges am Newcastle Airport ohne Flugticket aufgegriffen. Ob dies der zweite oder derselbe Fluchtversuch ist, erschließt sich in den beiden Texten nicht. Collins schreibt jedenfalls, dass Tony höchstpersönlich von seinen Eltern zurück in die Schule gebracht wurde und eine Menge Ärger mit ihnen und der Schulleitung hatte.
Diese Information finde ich schon bemerkenswert. Tony Blairs Eltern scheinen hier wenig Rücksicht auf die verzweifelte Situation ihres Sohnes genommen zu haben. Er sollte zurück an die Schule, die Erwartungen waren hoch, aus ihm sollte etwas werden. Um jeden Preis, so scheint es. Viel erfährt man nicht in den Quellen über die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern. In dieser Situation zeigt sich allerdings eine ganz erhebliche Härte und Rücksichtslosigkeit gegenüber Tony. Tony verbrachte jedenfalls bis zu seinem ca. achtzehnten Lebensjahr seine Zeit in Fettes, insgesamt ca. fünf Jahre; er lernte fleißig und machte seinen Abschluss. Eine lange Zeit innerhalb eines „Schreckensregimes“. Das Fettes College erwähnt Blair in seinen Memoiren an fünf Stellen im Buch. Mit keinem Wort erwähnt er dabei die demütigenden und strengen Regeln und sein Unglück während dieser Zeit. (vgl. Blair, 2010, S. 43, 67, 460, 613, 632) Auch dies spricht für sich.
In den Quellen findet sich keine Info darüber, ob Tony Blair auch von seinen Eltern als Kind geschlagen wurde. Die Regierung Blair hatte Anfang 2006 ein totales Verbot von körperlicher Gewalt in der Kindererziehung abgelehnt. In einem Bericht der BBC-News wird erwähnt, dass Tony Blair seine eigenen Kinder geschlagen hat. („Prime Minister Tony Blair has admitted smacking his older children.”) (BBC-News, 22.01.2006: “Calls for smacking ban rejected“,) SPIEGEL-Online zitiert Blair aus dem BBC Interview: "(...) ich glaube, sehen Sie, diese Ohrfeigen... ich meine, Sie haben ganz Recht mit dem, was Sie gerade gesagt haben, ich glaube, jeder kennt den Unterschied zwischen dem Ohrfeigen eines Kindes und dem Missbrauch eines Kindes." Hier rechtfertigt und verharmlost er die Gewalt gegen seine Kinder, in dem er den Vergleich zum Kindesmissbrauch heranzieht.
Ich sehe diese Information als Indiz dafür, dass Tony auch von seinen eigenen Eltern Gewalt erfahren haben könnte. Denn sehr häufig sind schlagende Eltern als Kind selbst von ihren Eltern geschlagen worden. (Zusätzlich sagt dieses Erziehungsverhalten etwas zu Blairs Verhältnis zur Gewalt an sich aus.)
Alles in allem finden sich in Kindheit und Jugend von Tony Blair einige Ereignisse, die für ein Verschütten von Gefühlen und Empathie verantwortlich sein könnten. Blair löste jedenfalls Konflikte all zu oft mit Gewalt. Entsprechend war eine liebevolle, wirklich geborgene Kindheit und Jugend bei ihm nicht zu erwarten. Sehr erstaunt hat mich allerdings seine Antwort auf eine Frage eines Interview Partners im Jahr 1990. „Welchen Teil ihres Lebens würden sie mit in ein anderes Leben nehmen?“, wurde er gefragt. „Kindheit“, antwortete Tony Blair (vgl. Mischler, 2005, S. 18) In Anbetracht all der Probleme und destruktiven Erlebnisse, die ich oben beschrieben habe, ist dies eine erstaunliche Antwort. Hat der ehemalige Premier Minister Tony Blair seine Gefühle von damals verdrängt oder abgespalten? Wenn dem so war, würde dies einige von seinen politischen Entscheidungen rund um die Kriegsführung erklären. Übrigens: Auf der Rückseite seiner Memoiren ist Tony Blair von Hinten auf der linken Seite des Covers zu sehen, wie er am 02.05.1997 als frisch gebackener Premierminister vor der Tür der Downing Street Nr. 10 steht. Auf der rechten Seite spiegelt sich verschwommen seine Vorderansicht in der Tür wider. Vielleicht gibt kein Bild so gut die sehr wahrscheinliche psychische Spaltung von Tony Blair wider, wie dieses doppelte Abbild auf seinen eigenen Memoiren.
biografische Quellen:
Blair, T. 2010: Mein Weg. Bertelsmann Verlag, München.
Collins, T. M. 2005: Tony Blair (Biography) , Lerner Pub Group, Minneapolis USA.
Mischler, G. 2005: Tony Blair. Reformer – Premierminister – Glaubenskrieger. Parthas Verlag, Berlin.
Sopel, J. 1996: Tony Blair: der Herausforderer. Quell Verlag, Stuttgart.
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