Ich habe die Schilderungen im Grundlagentext über die traumatische Kindheit von Wilhelm II. ergänzt (siehe kursive Schrift):
Wilhelm II – der letzte deutsche Kaiser – vertraute dem Fürsten Eulenburg einst folgendes an: „Der Kaiser erinnert sich mit Bitterkeit an die bei ihm angewandten Erziehungsmethoden, vor allem an die mangelnde Liebe der Mutter und die verfehlten Experimente seines Erziehers. »Er wollte aus mir sein Ideal eines Fürsten machen (...) So kommt es, dass ich absolut nichts empfinde, wo andere leiden (...) Es fehlt mir etwas, das andere haben. Alle Lyrik in mir ist tot.«“ (Gruen, 2002a, S. 44) Auch viele damalige Beobachter – darunter auch die eigene Mutter, Schwester und der Vater – nannten als hervorstechendes Merkmal von Wilhelms Charakter seine „eisige Herzenskälte“ und „Gefühllosigkeit“. (vgl. Röhl, 2001, S. 400) Kornbichler (2007) bezeichnet Wilhelm II als seelisch schwer gestörten Menschen, der zudem an einem starken Minderwertigkeitskomplex litt. „Beim Prinzen Wilhelm fand das statt, was die Psychoanalytiker als Identifikation mit dem Aggressor bezeichnen. Zunächst Opfer der zwangsmoralischen Disziplinierung und soldatischen Indoktrinierung seitens seiner Erzieher, identifizierte er sich nach und nach mit dieser aggressiven Lebensform; so wurde aus dem Opfer im Laufe der Jahre ein Täter.“ (Kornbichler, 2007, S. 165) Kornbichler zitiert einen Bericht, der einen Einblick in die Art der Erziehung bei Hofe gibt. Der Prinzenerzieher Hinzpeter trat im Herbst 1866 seinen Posten an, „und für den kleinen Prinzen begann jetzt – zusätzlich zu den täglichen Elektrisierungen, den gymnastischen Übungen mit der Armstreckmaschine, dem regelmäßigen Anschnallen eines aufgeschlitzten frisch geschlachteten Tieres – die denkbar härteste Erziehung durch einen Hauslehrer, der von vornherein auf die uneingeschränkte Gewalt über die Seele seines Zöglings bestanden hatte. Mit siebeneinhalb Jahren wurde Prinz Wilhelm in die erbarmungslosen Hände eines schrulligen, "spartanischen Idealisten" ohne Gemüt übergeben.“ (ebd., S.161) "Freudlos wie das Wesen dieses pedantischen und herben Mannes", erinnert sich später der Kaiser, so "freudlos die Jugendzeit". (GEOEPOCHE, 2003/04) Bei seiner Geburt war Wilhelm scheintot und hatte zudem schwere Probleme mit dem linken Arm, der kürzer war, als der rechte und lahm war. Den "unbrauchbaren Arm" hat seine Mutter ihm zeitlebens übel genommen und dem Sohn ihre Liebe entzogen. Auch der Vater, Kronprinz Friedrich, hat seine Unzufriedenheit am Sohn ausgelassen, hat ihn missachtet, ihn vor Zeugen "unreif" geschimpft und "urteilslos". (vgl. ebd.) Sein Arm war auch der "Grund" für bereits oben angedeutete Quälerein. GEOEPOCHE beschreibt weitere Details: Operationen, "Fixierungs-Gestelle", Fesselung des rechten Arms, um den linken zur Aktivität zu ermuntern und "animalische Bäder" der lahmen Extremität im Blut frisch geschlachteter Hasen. Diese Zeit - die "medizinische Behandlung" ging über 12 Jahre lang - muss für den kleinen Wilhelm der reine Horror gewesen sein. (siehe dazu auch Röhl, 2001, S. 63ff)
Wilhelms Mutter hatte – folgt man den Ausführungen von Röhl - zudem etwas überfürsorgliches und aufdringliches, forderte stets Liebe von Ihrem Sohn und deutete schon früh viele seiner Reaktionen und Verhaltensweisen als Ablehnung ihr gegenüber. Röhl schreibt an einer Stelle aufschlussreich: „Was die Kronprinzessin nicht erkennen konnte, war, dass (…) sie selbst das eigentliche Problem im psychischen Leben Wilhelms darstellte. So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte ihn, so wie er war, nicht akzeptieren. (…) Gerade weil sie so viel von ihm erwartete, hielt sie mit ihrer Kritik nicht zurück. Wilhelm aber, der diese Kritik als Ablehnung auffassen musste, stand vor der Wahl, sich selbst aufzugeben oder sich von der Mutter abzuwenden.“ (Röhl, 2001, S. 401) Wilhelm brach dann schließlich ab dem jugendlichen Alter zusehends den Kontakt zu seinen Eltern ab.
Den reinen Horror brachte Wilhelm II. seinerseits später über Europa, als er den ersten Weltkrieg entflammte. Schon früh hatte er im Militär etwas gesucht, was er als Kind nicht finden konnte: Beim 1. Garderegiment in Potsdam fand der Prinz jene "Familie", die "ich bis dahin hatte entbehren müssen". (vgl. GEOEPOCHE, 2003/04)
Mittwoch, 3. Februar 2010
Kindheit von Ronald Reagan
Ich habe die Schilderungen im Grundlagentext über die traumatische Kindheit von Ronald Reagan ergänzt (siehe kursive Schrift):
DeMause schreibt, dass die Kindheit vom amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan „ein Alptraum von Vernachlässigung und Missbrauch“ war. (deMause, 2005, S. 19)
Ronald Reagans Vater war ein gewalttätiger Mann und Alkoholiker. Er trat den jungen Ronald mit seinem Stiefel und pflegte ihn und seinen Bruder des Öfteren zu "verkloppen". Der Vater wurde später von seinem Sohn beschrieben als jemand, der „ein Leben in fast andauernder Wut und Frustration“ geführt habe. Selbst aus den wenigen Erinnerungen in den verstreuten Äußerungen über seinen Vater wird deutlich, dass Ronalds Verhältnis zu ihm erfüllt war von Augenblicken des Terrors und gleichzeitig einem Verlangen nach Nähe. (vgl. deMause, 1984, S. 59)
Der Alkoholismus seines Vaters war auch der Hauptgrund für häufige Orts- und Stellungswechsel, die Familie zog ständig um, mitunter schliefen sie alle im Auto. Wochenlang ging Ronalds Vater auf Zechtour, der Junge erinnert sich an seine Ängste während der Abwesenheit des Vaters und die dann folgenden "lauten Stimmen in der Nacht". Als Elfjähriger kam er einmal nach Hause und fand seinen Vater "sinnlos betrunken auf dem Rücken liegend auf der Veranda". Er musste diesen großen, schnarchenden Koloss ins Bett verfrachten. Im Rückblick bezeichnete Reagan seine Kindheit als "eine jener seltenen Huckleberry-Finn-Tom-Sawyer-Idyllen“. Die Schattenseiten schien er vollkommen verdrängt zu haben. (vgl. DER SPIEGEL, 26.10.1981) Seine Autobiographie nannte Reagan übrigens „Wo ist der Rest von mir?“ (Where's the Rest of Me?), um, wie er in der Einleitung sagte, anzuzeigen, dass er den größten Teil seines Lebens mit dem Gefühl verbracht hatte, es fehle ihm etwas, ein Teil von ihm. (vgl. deMause, 1984, S. 55) Diese Zerrissenheit, inneres Fremdsein und das Gefühl „nicht ganz zu sein“ ist typisch für als Kind traumatisierte Menschen. (Im weiteren Textverlauf wird Arno Gruen dazu noch zu Wort kommen)
Das Resultat war laut deMause eine Kindheit der Phobien und Ängste bis zum Grad der Hysterie und verschüttete Gefühle der Wut. „Als Erwachsener fand Ronald Reagan Gefallen daran, eine geladene Pistole zu tragen, er zog auch Selbstmord in Erwägung, wurde davon nur durch das defensive Manöver abgehalten, in die Politik zu gehen und ein Anti-Kommunisten-Krieger (pers. Anmerk.: Die Sowjetunion war für Reagan das "Reich des Bösen") zu werden, gegen imaginäre „Feinde“ ins Feld zu ziehen, die er für die Gefühle, welche er in sich selbst verleugnete, verfolgte.“ (deMause, 2005, S. 19)
DeMause schreibt, dass die Kindheit vom amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan „ein Alptraum von Vernachlässigung und Missbrauch“ war. (deMause, 2005, S. 19)
Ronald Reagans Vater war ein gewalttätiger Mann und Alkoholiker. Er trat den jungen Ronald mit seinem Stiefel und pflegte ihn und seinen Bruder des Öfteren zu "verkloppen". Der Vater wurde später von seinem Sohn beschrieben als jemand, der „ein Leben in fast andauernder Wut und Frustration“ geführt habe. Selbst aus den wenigen Erinnerungen in den verstreuten Äußerungen über seinen Vater wird deutlich, dass Ronalds Verhältnis zu ihm erfüllt war von Augenblicken des Terrors und gleichzeitig einem Verlangen nach Nähe. (vgl. deMause, 1984, S. 59)
Der Alkoholismus seines Vaters war auch der Hauptgrund für häufige Orts- und Stellungswechsel, die Familie zog ständig um, mitunter schliefen sie alle im Auto. Wochenlang ging Ronalds Vater auf Zechtour, der Junge erinnert sich an seine Ängste während der Abwesenheit des Vaters und die dann folgenden "lauten Stimmen in der Nacht". Als Elfjähriger kam er einmal nach Hause und fand seinen Vater "sinnlos betrunken auf dem Rücken liegend auf der Veranda". Er musste diesen großen, schnarchenden Koloss ins Bett verfrachten. Im Rückblick bezeichnete Reagan seine Kindheit als "eine jener seltenen Huckleberry-Finn-Tom-Sawyer-Idyllen“. Die Schattenseiten schien er vollkommen verdrängt zu haben. (vgl. DER SPIEGEL, 26.10.1981) Seine Autobiographie nannte Reagan übrigens „Wo ist der Rest von mir?“ (Where's the Rest of Me?), um, wie er in der Einleitung sagte, anzuzeigen, dass er den größten Teil seines Lebens mit dem Gefühl verbracht hatte, es fehle ihm etwas, ein Teil von ihm. (vgl. deMause, 1984, S. 55) Diese Zerrissenheit, inneres Fremdsein und das Gefühl „nicht ganz zu sein“ ist typisch für als Kind traumatisierte Menschen. (Im weiteren Textverlauf wird Arno Gruen dazu noch zu Wort kommen)
Das Resultat war laut deMause eine Kindheit der Phobien und Ängste bis zum Grad der Hysterie und verschüttete Gefühle der Wut. „Als Erwachsener fand Ronald Reagan Gefallen daran, eine geladene Pistole zu tragen, er zog auch Selbstmord in Erwägung, wurde davon nur durch das defensive Manöver abgehalten, in die Politik zu gehen und ein Anti-Kommunisten-Krieger (pers. Anmerk.: Die Sowjetunion war für Reagan das "Reich des Bösen") zu werden, gegen imaginäre „Feinde“ ins Feld zu ziehen, die er für die Gefühle, welche er in sich selbst verleugnete, verfolgte.“ (deMause, 2005, S. 19)
Dienstag, 15. Dezember 2009
Kindheit von Friedrich II. (Preußen)
Den Grundlagentext - Kapitel 3.1. - habe ich um die Kindheit von Friedrich II. ergänzt:
Friedrich II. (der Große) – König von Preußen – hatte einen jähzornigen, tyrannischen, aufs Militärische fixierten Vater. Die Kindheit und Jugend Friedrichs war von einer militärischen Erziehung mit Drill, körperlichen Züchtigungen und seelischen Verletzungen geprägt. (vgl. WDR, Planet Wissen, 01.06.2009) Der junge Friedrich interessierte sich mehr für Musik, Literatur und Sprachen als für das Soldatentum, was dem Willen seines Vaters komplett entgegenlief. Heimlich spielte er Flöte, las französische Romane und lernte Latein. Wenn der Vater davon Wind bekam, setzte es Prügel, oft vor den Augen von Offizieren und Dienstboten. Friedrich versuchte sich immer mehr der Kontrolle des Vaters zu entziehen. Um dem jähzornigen Vater zu entkommen, beschloss der Thronfolger schließlich 1730 die Flucht. Doch die Pläne flogen auf, Friedrich wurde als Deserteur verhaftet und in Festungshaft genommen. Sein Vater verhängte die Todesstrafe über Friedrichs besten Freund, Hans Hermann von Katte, der in die Fluchtpläne eingeweiht war. Bei der Hinrichtung musste der Kronprinz zusehen. (vgl. ZDF, 11.11.2008) In der Folge beugte sich Friedrich II. nun dem Befehl seines Vaters und heiratete auf dessen Wunsch Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern, an der Friedrich keinerlei Interesse hatte. Als späterer König führte Friedrich II. häufig, ja fast ununterbrochen Krieg.
Die Geschichte von Friedrich II. hat insofern ein ganz besondere Tragik, wenn man sich die Entwicklungen vor Augen hält, die er selbst in dem Gedicht „An Jordan“ vom 10. Juni 1742 beschrieb:
"Als ich geboren ward, ward ich der Kunst geboren, (…)
Und für des Herrschers Hochmut schien dies Herz verloren,
Das voller Mitleid war und kindlich unbewußt.
Die ganze Welt war mir ein Garten duft'ger Blumen, (…)
Da riß das Schicksal mich aufs große Welttheater,
In der Tragödie »Krieg« ward mir der Heldenpart" (http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=4921&kapitel=5&cHash=cc813bd4d4chap005#gb_found)
Friedrich II. (der Große) – König von Preußen – hatte einen jähzornigen, tyrannischen, aufs Militärische fixierten Vater. Die Kindheit und Jugend Friedrichs war von einer militärischen Erziehung mit Drill, körperlichen Züchtigungen und seelischen Verletzungen geprägt. (vgl. WDR, Planet Wissen, 01.06.2009) Der junge Friedrich interessierte sich mehr für Musik, Literatur und Sprachen als für das Soldatentum, was dem Willen seines Vaters komplett entgegenlief. Heimlich spielte er Flöte, las französische Romane und lernte Latein. Wenn der Vater davon Wind bekam, setzte es Prügel, oft vor den Augen von Offizieren und Dienstboten. Friedrich versuchte sich immer mehr der Kontrolle des Vaters zu entziehen. Um dem jähzornigen Vater zu entkommen, beschloss der Thronfolger schließlich 1730 die Flucht. Doch die Pläne flogen auf, Friedrich wurde als Deserteur verhaftet und in Festungshaft genommen. Sein Vater verhängte die Todesstrafe über Friedrichs besten Freund, Hans Hermann von Katte, der in die Fluchtpläne eingeweiht war. Bei der Hinrichtung musste der Kronprinz zusehen. (vgl. ZDF, 11.11.2008) In der Folge beugte sich Friedrich II. nun dem Befehl seines Vaters und heiratete auf dessen Wunsch Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern, an der Friedrich keinerlei Interesse hatte. Als späterer König führte Friedrich II. häufig, ja fast ununterbrochen Krieg.
Die Geschichte von Friedrich II. hat insofern ein ganz besondere Tragik, wenn man sich die Entwicklungen vor Augen hält, die er selbst in dem Gedicht „An Jordan“ vom 10. Juni 1742 beschrieb:
"Als ich geboren ward, ward ich der Kunst geboren, (…)
Und für des Herrschers Hochmut schien dies Herz verloren,
Das voller Mitleid war und kindlich unbewußt.
Die ganze Welt war mir ein Garten duft'ger Blumen, (…)
Da riß das Schicksal mich aufs große Welttheater,
In der Tragödie »Krieg« ward mir der Heldenpart" (http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=4921&kapitel=5&cHash=cc813bd4d4chap005#gb_found)
Freitag, 11. Dezember 2009
Barack Obama, Friedensnobelpreis & imaginäre „Feinde“
Barack Obama hat gestern in Oslo den Friedensnobelpreis entgegengenommen und klar gemacht: "Die Instrumente des Krieges müssen eine Rolle spielen bei der Bewahrung des Friedens". Eine bessere Gelegenheit, als bei der Verleihung dieses noblen Preises, hätte es wohl kaum für eine solche „Klarstellung“ geben können...
Die USA werden also auch weiterhin gegen imaginäre „Feinde“ (Obama dazu: "Das Böse existiert in der Welt") ins Feld ziehen, in Afghanistan sind bald 100.000 US-Soldaten ("Einige werden töten, einige werden getötet", stellte Obama in seiner Rede fest.) dabei, „Terroristen“ zu töten, die sonst – vom anderen Ende der Welt, aus einem zerstörten, ärmlichen Land heraus - die Sicherheit der USA bedrohen würden... "ein Konflikt, den Amerika nicht gesucht hat", wie Obama sagte, was für die Bevölkerung Afghanistans wie reiner Hohn klingen muss.
Folgenden Satz seiner Rede fand ich auch sehr aufschlussreich: "In den Kriegen von heute sterben mehr Zivilisten als Soldaten; sie säen die Saat künftiger Konflikte, schwächen die Volkswirtschaften, brechen Zivilgesellschaften entzwei, vermehren die Zahl der Flüchtlinge und versetzen Kinder in Angst und Schrecken." Da Obama gerade 30.000 neue Soldaten nach Afghanistan gesendet hat, ist dieser Satz eigentlich die Botschaft an das US-Volk: "Wir werden Zivilisten töten, wir werden Kinder in Angst und Schrecken versetzen, wir werden die Wirtschaft schwächen und Wachstum reduzieren und wir werden durch unsere Kriegssaat dafür sorgen, dass es auch Morgen kriegerische Konflikte geben wird, damit wir weiterhin Menschen außerhalb der USA opfern können." Das scheint weiterhin der "heimliche" Auftrag einer Mehrheit in den USA an ihre Regierung zu sein, damit das eigene Opfersein verdeckt bleibt. Und auch ein Obama - der ohne Zweifel anders ist als sein Vorgänger Bush - scheint diesen "Auftrag" zu spüren und zu erfüllen. Obama selbst nannte keine klaren Zielvorgaben für den Einsatz in Afghanistan: „Ich habe heute keine endgültige Lösung für das Problem Krieg dabei“. Aber er versprach - das durchzog seine Rede - Opfer: "Frieden erfordert Verantwortung. Frieden erfordert Opfer."
Ein Offener Brief von Michael Moore an Barack Obama vom 30. November 2009 sagt eigentlich alles wichtige, was es dazu noch zu sagen gibt.
(einige Auszüge aus Obamas Rede: http://www.sueddeutsche.de/politik/910/497218/text/ und http://www.handelsblatt.com/politik/international/dokumentation-obamas-rede-zum-nobelpreis-in-auszuegen;2497385)
Die USA werden also auch weiterhin gegen imaginäre „Feinde“ (Obama dazu: "Das Böse existiert in der Welt") ins Feld ziehen, in Afghanistan sind bald 100.000 US-Soldaten ("Einige werden töten, einige werden getötet", stellte Obama in seiner Rede fest.) dabei, „Terroristen“ zu töten, die sonst – vom anderen Ende der Welt, aus einem zerstörten, ärmlichen Land heraus - die Sicherheit der USA bedrohen würden... "ein Konflikt, den Amerika nicht gesucht hat", wie Obama sagte, was für die Bevölkerung Afghanistans wie reiner Hohn klingen muss.
Folgenden Satz seiner Rede fand ich auch sehr aufschlussreich: "In den Kriegen von heute sterben mehr Zivilisten als Soldaten; sie säen die Saat künftiger Konflikte, schwächen die Volkswirtschaften, brechen Zivilgesellschaften entzwei, vermehren die Zahl der Flüchtlinge und versetzen Kinder in Angst und Schrecken." Da Obama gerade 30.000 neue Soldaten nach Afghanistan gesendet hat, ist dieser Satz eigentlich die Botschaft an das US-Volk: "Wir werden Zivilisten töten, wir werden Kinder in Angst und Schrecken versetzen, wir werden die Wirtschaft schwächen und Wachstum reduzieren und wir werden durch unsere Kriegssaat dafür sorgen, dass es auch Morgen kriegerische Konflikte geben wird, damit wir weiterhin Menschen außerhalb der USA opfern können." Das scheint weiterhin der "heimliche" Auftrag einer Mehrheit in den USA an ihre Regierung zu sein, damit das eigene Opfersein verdeckt bleibt. Und auch ein Obama - der ohne Zweifel anders ist als sein Vorgänger Bush - scheint diesen "Auftrag" zu spüren und zu erfüllen. Obama selbst nannte keine klaren Zielvorgaben für den Einsatz in Afghanistan: „Ich habe heute keine endgültige Lösung für das Problem Krieg dabei“. Aber er versprach - das durchzog seine Rede - Opfer: "Frieden erfordert Verantwortung. Frieden erfordert Opfer."
Ein Offener Brief von Michael Moore an Barack Obama vom 30. November 2009 sagt eigentlich alles wichtige, was es dazu noch zu sagen gibt.
(einige Auszüge aus Obamas Rede: http://www.sueddeutsche.de/politik/910/497218/text/ und http://www.handelsblatt.com/politik/international/dokumentation-obamas-rede-zum-nobelpreis-in-auszuegen;2497385)
Mittwoch, 2. Dezember 2009
Schweinegrippewahn und Waffenexport & Co. als Fortschritt
Noch vor ca. 65 Jahren war Deutschland eine Nation, die dem Wahn verfallen war, überall von "Feinden" umringt zu sein, die getötet werden müssen. Was damals passierte ist bekannt. Auch die Zeit davor stand unter dem Banner von Wahn, Kriegslust und Tötungsfantasien.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in Deutschland auch noch 89 % aller Kinder geschlagen, über die Hälfte mit Ruten, Peitschen oder Stöcken. (vgl. deMause, 2005, S. 146ff) DeMause meint: „(...) wenn man festhält, dass die deutsche Kindheit um 1900 ein Alptraum von Mord, Vernachlässigung, prügeln und Folter von unschuldigen, hilflosen menschlichen Wesen war, dann ist die Wiederaufführung dieses Alptraums vier Jahrzehnte später im Holocaust und im Zweiten Weltkrieg letztlich zu verstehen.“ (deMause, 2005, S. 140)
Aktuelle Zahlen zeigen zwar immer noch ein erschreckend hohes Ausmass an Gewalt und Vernachlässigung, doch der Vergleich zur deutschen Kindheit um 1900 macht den enormen Fortschritt der Kindererziehungspraxis hierzulande deutlich. Viele Eltern scheinen außerdem immer mehr Abstand von körperlicher Gewalt zu nehmen und diese ggf. durch psychische Gewalt zu ersetzen. (vgl. dazu z.B. Bundesministerium der Justiz (Prof. Dr. Bussmann), 2005, S. 18 http://www.bmj.bund.de/files/-/1375/Bussmann%20Report.pdf) Entsprechend stabil ist mittlerweile die Demokratie in Deutschland.
Doch wie schon gesagt erleben noch immer viel zu viele Kinder Gewalt und Erniedrigungen. Dies muss seinen Ausdruck auf der gesellschaftlichen Bühne finden. Da keine Mehrheit mehr (schwere) Misshandlungen erlebt, wird ein so gewaltiger Gruppenwahn wie in den 40er Jahren nicht mehr möglich sein. Die Angst vor Feinden, Wahn und die Gewalt gegen Andere wird sich somit andere, verdecktere Ausdrucksformen suchen.
Ein Beispiel dafür ist in meinen Augen aktuell die panische Angst vor der „Schweinegrippe“. Der Monitor Bericht vom 19.11.2009 „Horrorszenarien. Die Schweinegrippe und die Medien“ (http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2009/1119/grippe.php5) machte deutlich, wie wenig begründet diese Panik ist:
- 27 Tote wurden in Deutschland bisher gemeldet
- In der Ukraine wurde das H1N1-Virus bisher bei 17 Toten nachgewiesen, statt wie in den Medien berichtetet bei 70.
- In Mexico gab es - bei einer Gesamtbevölkerung von 110 Millionen - 63 Tote, bei denen das Virus nachgewiesen wurde.
- In Australien starben 189 Menschen nachgewiesener maßen an der „Schweinegrippe“. Interessant ist hier, dass normalerweise in Australien 2.000 bis 3.000 Todesfälle wegen der saisonalen Grippe zu verzeichenn sind. Die Schweinegrippe hat das saisonale Grippe-Virus dort fast vollständig verdrängt, mit dem Ergebnis, dass jetzt weit weniger Menschen sterben. Insofern wird auch in den kommenden Jahren mit deutlich weniger Toten gerechnet, als in den 22 Jahren davor.
Als Fazit des Berichtes lässt sich feststellen: Wir haben weltweit eine hohe Anzahl von Fällen. Und wir haben eine relativ niedrige Anzahl von Todesfällen. Trotzdem sind die Medien seit Monaten voll von Horror-Berichten und das fern ab jeder Realität und Verhältnismäßigkeit. Durch den Tod bedroht sein von etwas, das von außen kommt, vor dem wir panische Angst haben und dem wir entgegnen müssen, ohne dass diese massive Angst irgendwie rational begründet ist, das alles deutet auf unbewusste Gruppenfantasien hin, die mit destruktiven Kindheitserfahrungen zusammenhängen können. Angst vor Vernichtung durch einen „Feind“ (in diesem Fall so etwas wie die „Schweinegrippe“) deckelt eigene innere existentielle Ängste und Erinnerungen an eigene Gewalterfahrungen in der Kindheit. Irgendwie muss die Angst ihren Ausdruck finden, damit man nicht verrückt wird. „Ahhh die Schweinegrippe wird uns alle umbringen, wussten wir doch, dass wir jederzeit real bedroht sind. „ So etwas entlastet ungemein und lenkt ab, wenn alte Panik und Todesangst aus der Kindheit ins Bewusstsein zu rücken droht. Die deutsche Regierung erfüllte dabei vorbildhaft ihre Rolle als „emotionaler Repräsentant“, in dem sie nicht gegen die Panik wirkte und für Realitätssinn warb, sondern sich gleich kollektiv impfen ließ.
Die Schweinegrippe-Panik ist dabei natürlich ein Ausdruck von Fortschritt, denn niemand wird durch diese Panik real getötet.
Ein ganz anderes Beispiel:
Deutschland ist der dritt größte Waffenexporteur in der Welt. Deutsche Kaufleute exportieren 2007 Waffen im Wert von fast neun Milliarden Euro. So manche Lieferung landet am Ende in Krisengebieten. (http://www.zeit.de/2009/15/Ruestung-Deutschland) Wir exportieren so zu sagen den Tod. Das ist eine traurige und nicht hinnehmbare Situation, natürlich.
Und: Die deutsche Wirtschaft mischt kräftig mit in der Welt und das manches mal mit großer destruktiver Wirkung. Die Deutsche Bank bot beispielsweise Finanzierungsleistungen für autoritäre Staaten, Unternehmen, die wiederholt in Umweltskandale und Menschenrechtsverletzungen verstrickt sind, Korruption fördern oder mit Militärdiktaturen kooperieren. Ebenso stützte sie Rüstungs- und Atomkonzerne. (vgl. dazu z.B. http://www.urgewald.de und http://www.greenpeace-magazin.de/index.php?id=5643)
Deutsche Bank und Daimler-Chrysler waren auch die wichtigsten Partner von Saparmurad Nijasow, dem Diktator Turkmenistan bis zu seinem Tod 2006. (http://www.handelsblatt.com/politik/international/der-bizarrste-diktator-der-welt-ist-tot;1190834 und http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=1572)
Solche Beispiele ließen sich fortführen. Diese Dinge sind weiterhin nur möglich, da immer noch ein großer Teil der Menschen in Deutschland als Kind Gewalt und/oder Vernachlässigung erfährt und somit u.a. die Empathiefähigkeit verloren geht. Aber: Sie sind eben auch Ausdruck von Fortschritt! (Wir erinnern uns nochmal, was vor 65 Jahren war…) Die Kindererziehung hierzulande ist weitgenug entwickelt, so dass wir als Nation nicht mehr fähig sind, mit eigenen Händen und vor unserer Haustür einander umzubringen. Dazu sind wir als Nation mittlerweile zu emphatisch und weniger „Wahnanfällig“ geworden. Panik vor Krankheiten, indirekter Tod durch Waffenexport, Auslandseinsätze von Berufssoldaten irgendwo weit weg in der Welt usw. das sind Dinge, vor denen wir irgendwie noch den Blick fernhalten können, die uns nicht unbedingt berühren. Wenn die Menschen allerdings über diese Dinge aufgeklärt werden, sind sie eben auch kurzzeitig emphatisch mit den Opfern, leider noch nicht langfristig. Irgendwann wird die Zeit kommen, soweit die Fortschritte in der Kindererziehungspraxis so weiter gehen, wo Deutschland seine Waffenexporte einstellt und die Wirtschaft weit verantwortlicher handelt, als bisher. Da bin ich sicher.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in Deutschland auch noch 89 % aller Kinder geschlagen, über die Hälfte mit Ruten, Peitschen oder Stöcken. (vgl. deMause, 2005, S. 146ff) DeMause meint: „(...) wenn man festhält, dass die deutsche Kindheit um 1900 ein Alptraum von Mord, Vernachlässigung, prügeln und Folter von unschuldigen, hilflosen menschlichen Wesen war, dann ist die Wiederaufführung dieses Alptraums vier Jahrzehnte später im Holocaust und im Zweiten Weltkrieg letztlich zu verstehen.“ (deMause, 2005, S. 140)
Aktuelle Zahlen zeigen zwar immer noch ein erschreckend hohes Ausmass an Gewalt und Vernachlässigung, doch der Vergleich zur deutschen Kindheit um 1900 macht den enormen Fortschritt der Kindererziehungspraxis hierzulande deutlich. Viele Eltern scheinen außerdem immer mehr Abstand von körperlicher Gewalt zu nehmen und diese ggf. durch psychische Gewalt zu ersetzen. (vgl. dazu z.B. Bundesministerium der Justiz (Prof. Dr. Bussmann), 2005, S. 18 http://www.bmj.bund.de/files/-/1375/Bussmann%20Report.pdf) Entsprechend stabil ist mittlerweile die Demokratie in Deutschland.
Doch wie schon gesagt erleben noch immer viel zu viele Kinder Gewalt und Erniedrigungen. Dies muss seinen Ausdruck auf der gesellschaftlichen Bühne finden. Da keine Mehrheit mehr (schwere) Misshandlungen erlebt, wird ein so gewaltiger Gruppenwahn wie in den 40er Jahren nicht mehr möglich sein. Die Angst vor Feinden, Wahn und die Gewalt gegen Andere wird sich somit andere, verdecktere Ausdrucksformen suchen.
Ein Beispiel dafür ist in meinen Augen aktuell die panische Angst vor der „Schweinegrippe“. Der Monitor Bericht vom 19.11.2009 „Horrorszenarien. Die Schweinegrippe und die Medien“ (http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2009/1119/grippe.php5) machte deutlich, wie wenig begründet diese Panik ist:
- 27 Tote wurden in Deutschland bisher gemeldet
- In der Ukraine wurde das H1N1-Virus bisher bei 17 Toten nachgewiesen, statt wie in den Medien berichtetet bei 70.
- In Mexico gab es - bei einer Gesamtbevölkerung von 110 Millionen - 63 Tote, bei denen das Virus nachgewiesen wurde.
- In Australien starben 189 Menschen nachgewiesener maßen an der „Schweinegrippe“. Interessant ist hier, dass normalerweise in Australien 2.000 bis 3.000 Todesfälle wegen der saisonalen Grippe zu verzeichenn sind. Die Schweinegrippe hat das saisonale Grippe-Virus dort fast vollständig verdrängt, mit dem Ergebnis, dass jetzt weit weniger Menschen sterben. Insofern wird auch in den kommenden Jahren mit deutlich weniger Toten gerechnet, als in den 22 Jahren davor.
Als Fazit des Berichtes lässt sich feststellen: Wir haben weltweit eine hohe Anzahl von Fällen. Und wir haben eine relativ niedrige Anzahl von Todesfällen. Trotzdem sind die Medien seit Monaten voll von Horror-Berichten und das fern ab jeder Realität und Verhältnismäßigkeit. Durch den Tod bedroht sein von etwas, das von außen kommt, vor dem wir panische Angst haben und dem wir entgegnen müssen, ohne dass diese massive Angst irgendwie rational begründet ist, das alles deutet auf unbewusste Gruppenfantasien hin, die mit destruktiven Kindheitserfahrungen zusammenhängen können. Angst vor Vernichtung durch einen „Feind“ (in diesem Fall so etwas wie die „Schweinegrippe“) deckelt eigene innere existentielle Ängste und Erinnerungen an eigene Gewalterfahrungen in der Kindheit. Irgendwie muss die Angst ihren Ausdruck finden, damit man nicht verrückt wird. „Ahhh die Schweinegrippe wird uns alle umbringen, wussten wir doch, dass wir jederzeit real bedroht sind. „ So etwas entlastet ungemein und lenkt ab, wenn alte Panik und Todesangst aus der Kindheit ins Bewusstsein zu rücken droht. Die deutsche Regierung erfüllte dabei vorbildhaft ihre Rolle als „emotionaler Repräsentant“, in dem sie nicht gegen die Panik wirkte und für Realitätssinn warb, sondern sich gleich kollektiv impfen ließ.
Die Schweinegrippe-Panik ist dabei natürlich ein Ausdruck von Fortschritt, denn niemand wird durch diese Panik real getötet.
Ein ganz anderes Beispiel:
Deutschland ist der dritt größte Waffenexporteur in der Welt. Deutsche Kaufleute exportieren 2007 Waffen im Wert von fast neun Milliarden Euro. So manche Lieferung landet am Ende in Krisengebieten. (http://www.zeit.de/2009/15/Ruestung-Deutschland) Wir exportieren so zu sagen den Tod. Das ist eine traurige und nicht hinnehmbare Situation, natürlich.
Und: Die deutsche Wirtschaft mischt kräftig mit in der Welt und das manches mal mit großer destruktiver Wirkung. Die Deutsche Bank bot beispielsweise Finanzierungsleistungen für autoritäre Staaten, Unternehmen, die wiederholt in Umweltskandale und Menschenrechtsverletzungen verstrickt sind, Korruption fördern oder mit Militärdiktaturen kooperieren. Ebenso stützte sie Rüstungs- und Atomkonzerne. (vgl. dazu z.B. http://www.urgewald.de und http://www.greenpeace-magazin.de/index.php?id=5643)
Deutsche Bank und Daimler-Chrysler waren auch die wichtigsten Partner von Saparmurad Nijasow, dem Diktator Turkmenistan bis zu seinem Tod 2006. (http://www.handelsblatt.com/politik/international/der-bizarrste-diktator-der-welt-ist-tot;1190834 und http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=1572)
Solche Beispiele ließen sich fortführen. Diese Dinge sind weiterhin nur möglich, da immer noch ein großer Teil der Menschen in Deutschland als Kind Gewalt und/oder Vernachlässigung erfährt und somit u.a. die Empathiefähigkeit verloren geht. Aber: Sie sind eben auch Ausdruck von Fortschritt! (Wir erinnern uns nochmal, was vor 65 Jahren war…) Die Kindererziehung hierzulande ist weitgenug entwickelt, so dass wir als Nation nicht mehr fähig sind, mit eigenen Händen und vor unserer Haustür einander umzubringen. Dazu sind wir als Nation mittlerweile zu emphatisch und weniger „Wahnanfällig“ geworden. Panik vor Krankheiten, indirekter Tod durch Waffenexport, Auslandseinsätze von Berufssoldaten irgendwo weit weg in der Welt usw. das sind Dinge, vor denen wir irgendwie noch den Blick fernhalten können, die uns nicht unbedingt berühren. Wenn die Menschen allerdings über diese Dinge aufgeklärt werden, sind sie eben auch kurzzeitig emphatisch mit den Opfern, leider noch nicht langfristig. Irgendwann wird die Zeit kommen, soweit die Fortschritte in der Kindererziehungspraxis so weiter gehen, wo Deutschland seine Waffenexporte einstellt und die Wirtschaft weit verantwortlicher handelt, als bisher. Da bin ich sicher.
Samstag, 14. November 2009
Goldhagens "Schlimmer als Krieg"
Kürzlich erschien das Buch „Schlimmer als Krieg: Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist“ von Daniel Jonah Goldhagen. Das Buch findet derzeit viel Aufmerksamkeit.
Ich möchte etwas zu dem Buch schreiben, übrigens ohne es gelesen zu haben. Ich halte mich dabei an einige Rezensionen und an Interviews mit Goldhagen, um dann einige Dinge herauszustellen und zu kritisieren. Denn mir geht es nicht wirklich um dieses Buch, sondern um die Bearbeitung von so etwas wie Krieg und Massenmord, die oftmals ohne den Blick auf die Psychohistorie und die Bedeutung von Kindheitserfahrungen und Emotionen erfolgt.
Zunächst einige wesentliche Aussagen von Goldhagen:
„Goldhagen kommt zu dem Ergebnis, dass Völkermorde nicht etwa Massenhysterie sind und auch keineswegs spontan und unkontrolliert entstehen. Völkermorde sind immer das Ergebnis bewusster Entscheidungen. Politische Führer beschließen, dass Töten vieler Menschen erforderlich ist und schaffen das Klima, diese Entscheidung umzusetzen. Ein solches Klima zu schaffen, das bedeutet zum Beispiel, den Opfern das Mensch-Sein abzusprechen und sie als Bedrohung darzustellen. Ganz normale Bürger machen dann willentlich mit und töten ihre Nachbarn. Und die, die das Töten verhindern könnten, entscheiden sich, nichts zu tun, wegzuschauen.“
http://daserste.ndr.de/reportageunddokumentation/voelkermord100.html
"Massenmord und Genozid beginnen in Gesellschaften, weil Machthaber die Entscheidung treffen zu einer eliminatorischen Politik, um ihre Ziele zu verfolgen", sagt der Historiker.
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4837132,00.html
Völkermord ist niemals ein spontaner, nicht kontrollierbarer Ausbruch von Hass, sondern immer von einigen wenigen Politikern geplant, vorbereitet und gesteuert. Völkermord hat immer ein politisches Ziel. Völkermord geschieht immer mit persönlicher Leidenschaft, aus eigenem Hass und weit mehr Grausamkeit, als zur Tötung eigentlich geboten wäre. Goldhagen verneint einen anonymen Prozess des Mordens, er nennt Mord Handarbeit und betont die Notwendigkeit der individuellen Entscheidung dazu für jeden Täter.
http://community.zeit.de/user/damevonwelt/beitrag/2009/10/19/schlimmer-als-krieg
Fast alle modernen Völkermorde, schreibt Goldhagen, würden von den Führern anti-demokratischer Regime in Gang gesetzt - mit dem klaren Ziel, bestimmte ethnische, politische oder religiöse Gruppen zu vernichten. Und fast alle Vernichtungsprogramme würden von einer bereitwilligen Bevölkerung eifrig ausgeführt. (…) Völkermord ist keine von Gott gesandte Geißel, auch keine irrationale Eruption eines anthropologisch verwurzelten Hasses, sondern ein politisches Programm - gespeist und angetrieben von sorgsam gezüchteten Ressentiments.
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/andruck/1053692/
Die Entscheidung zur Elimination „geht aus dem Willen zu töten und aus dem Prozess hervor, der diesen Willen in einen festen Entschluss verwandelt, die Tat auch auszuführen. Er ist daher die hinreichende Erklärung dafür, warum diese Menschen Massenmord begehen und zu Eliminierungsmaßnahmen greifen.“
http://www.zeit.de/2009/43/L-P-Goldhagen
Völkermorde werden von politischen Führern – einer kleinen Gruppe von Leuten – aufgrund einer bewussten Entscheidung in einem klar erkennbaren Moment entfesselt. Der Genozid ist ebenso wie der Krieg eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Es geht also darum, die Entscheidung zum Völkermord für politische Führer sehr teuer zu machen.
http://www.welt.de/die-welt/kultur/literatur/article4957689/Bringen-wir-die-Dikatoren-um-den-Schlaf.html
Goldhagens Sicht auf die Ursachen von Massenmord sind eigentlich nichts wirklich Neues. Er beschreibt die Führung, die bewusste politische Entscheidungen treffen („Fortführung der Politik mit anderen Mitteln“) würde und das willige Volk, das das Töten leidenschaftlich ausführt. Punkt.
Mir fehlt an dieser typischen Herangehensweise an das Thema die Frage nach dem tieferen Warum, nach der eigentlichen Motivation? Wo kommen all diese mörderischen Impulse her? Wieso „verschwindet“ das Mitgefühl, das doch uns Menschen ausmacht, wenn die Führer zum Morden aufrufen? Wieso wollen die Mörder ihre Opfer leiden sehen? Warum macht ihnen das Töten entweder Spaß und/oder sie fühlen einfach gar nichts dabei? Warum gibt es Menschen, die sich dem Morden entziehen, die lieber fliehen oder evtl. selbst sterben, als ihre Nachbarn zu töten? Warum nutzen die Menschen in bestimmten Regionen nicht andere Wege der Konfliktlösung als Krieg? Usw. usf.
Das scheinen Fragen zu sein, die sich Goldhagen (wie auch so viele andere HistorikerInnen) nicht wirklich zu stellen scheint (,obwohl er dies sicher anders sehen würde). Er beobachtet, stellt fest, erklärt Umstände und Entscheidungen, rationalisiert, das wars.
„Die Beweislage ist eindeutig: Die Mörder taten sehr oft mehr, als ihnen befohlen wurde, und oft wurde ihnen auch gar nichts befohlen, weil nicht einmal Aufseher da waren.“ http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-67153530.html Goldhagen sieht den Grund für dieses Handeln im Glauben der Mörder daran, dass sie im Recht sind bzw. in der Ideologie und nicht etwa im Gruppendruck. Entsprechend wichtig findet er die ideologische Sprache: „Sprache ist das Fundament des Massenmords. Was wir über die Welt wissen, über andere Volksgruppen, über Fremde, wird transportiert über Rede, Worte, Sprache eben. Massenmorde werden von Menschen durchgeführt, die andere Menschen für Untermenschen oder für eine große Gefahr halten. Sie nutzen Sprache, um die Opfer zu entmenschlichen oder zu dämonisieren.“ (ebd.)
Diese Ansicht würde übersetzt bedeuten, dass Menschen grundsätzlich eine Art leeres Glas im Kopf haben, das man nur mit Ideologie füllen braucht, um dann – sofern nicht eine funktionierende Demokratie und das Gewaltmonopol das ganze unterbinden – das Morden zu ermöglichen. Eine Beobachtung, die im Prinzip z.B. auch ein Arno Gruen teilt, wenn er in seinen Arbeiten die „Nicht-Identität“ oder das „falsche Selbst“ von Menschen beschreibt. Und auch ein Lloyd deMause beschreibt die Bedeutung von Sprache und Reden, mit Hilfe derer die Massen mobilisiert werden. Beide letzt genannten beschreiben aber auch die tieferen Ursprünge. Warum haben viele Menschen keine feste Identität sondern sind zersplittert? Warum lassen sich Menschen durch ihre Führer in „soziale Trance“ versetzen? Traumatische Erfahrungen in der Kindheit sind die Antworten. Kaum ein Historiker stellt überhaupt die richtigen Fragen, um eine Antwort in diese Richtung überhaupt zu ermöglichen. Schon erstaunlich. Letztlich wird die Analyse dadurch selbst entmenschlicht, da Menschen als Maschinen betrachtet werden, nicht als menschliche Wesen mit Gefühlen oder eben auch ausgelöschten Gefühlen.
Das Bild vom "leeren Glas" ist - das ist mir hier noch mal wichtig - eigentlich nicht wirklich passend. Ich sehe die Situation - wie schon im Grundlagentext beschrieben - eher so, dass die traumatischen Kindheitserfahrungen das Dynamit in der Welt sind, das unter bestimmten Umständen durch Zündfunken (meinetwegen auch so etwas wie eine gezielte Verbreitung von einer Ideologie) zur Explosion gebracht werden kann.
Das besondere an Goldhagens Recherchen ist allerdings, dass er sich auch an die Orte des Grauens begeben hat, dass er mit Opfern und Tätern sprach, Massengräber besuchte, an der Exhumierung von Toten teilnahm usw. "Leute in Stücke hacken ist leichter, als einen Baum fällen", erzählt der Mörder Elie Ngarambe in einer ruandischen Strafkolonie dem Autor Goldhagen, "man hackt mit der Machete, der Mensch fällt hin, man hackt weiter, er ist in Stücken, und man geht weiter." (http://daserste.ndr.de/reportageunddokumentation/voelkermord100.html)
Solche Aussagen direkt von dem Mörder zu bekommen, scheinen bei Goldhagen auch keine Fragen nach tieferen Ursachen aufgeworfen zu haben. Menschen leben nicht in einer Demokratie, die Führer zetteln Massenmord an, die Menschen führen diesen aus, fertig. ("Das sind Tiere, wurde uns gesagt, die müsst ihr töten, sonst töten sie euch", erzählte einer der verurteilten Mörder dem Autor Daniel Goldhagen im Interview. http://www.abendblatt.de/kultur-live/article1233880/Ein-Protest-gegen-das-Wegsehen-Daniel-Goldhagens-Film-ueber-Voelkermord.html )
Und er geht sogar noch weiter: Man solle einmal überlegen, wie es wäre, "einen Mann eigenhändig zu töten, abzuschlachten, mit der Machete zu zerhacken. Oder eine Frau. Oder ein Kind. Sie schlagen zu. Schlagen noch einmal zu. Schlagen wieder und wieder auf ihn ein. Stellen Sie sich vor, Sie hören, wie der Mensch, den Sie gerade umbringen, bettelt, um Gnade fleht, um sein Leben. Stellen Sie sich vor, Sie hören die Schreie Ihres Opfers, während Sie auf es einschlagen, es ,zerschlitzen', wieder auf es einhacken und immer wieder, oder die Schreie eines Jungen, wenn Sie auf seinen achtjährigen Leib einhacken". Menschen täten so etwas nur, folgert Goldhagen, wenn sie es wollten, keinerlei Strafverfolgung fürchteten und staatliche Führer dies anordneten. (vgl. http://www.taz.de/1/debatte/theorie/artikel/1/das-einmaleins-der-genozide) Und wieder ein Punkt.
???????? So viele Fragezeichen, wie mir hier kommen, kann ich gar nicht aufschreiben. Es ist fast schon ein Wunder, wenn man sich nicht die Frage stellt, ob dieser Mensch, der ohne weiteres „Leute in Stücke hacken kann“ nicht eine schwere emotionale Störung hat. (Bei kriminellen Einzeltätern wird diese Sicht nicht so sehr abgewehrt, wohl aber, wenn aus Einzelnen Massen werden) Und dann müsste man fragen: Wie ist diese Störung eigentlich entstanden? Und da es sich um Massenmord handelt, was ist mit all den anderen? Wie sieht denn der Alltag in Ruanda aus? Was bedeutet Kindheit in diesem Land? Was für sonstige Traumatisierungen erlebt der Bevölkerungsdurchschnitt? Was führte zu einer so gewaltigen Gruppenfantasie, die ihren Weg schließlich in die grausame Realität des Massenmordes fand?
Was u.a. daran hindert, hier weiter nachzuschauen, ist die mögliche Erkenntnis, dass ganze Bevölkerungsteile unter emotionalen Störungen auf Grund erlittener Gewalterfahrungen in der Kindheit leiden können. Diese Störungen haben viele im Alltag „im Griff“ und fallen dadurch – auch den Historikern - nicht unbedingt auf. So etwas wie Krieg und Massenmord ist schließlich geradezu ein Aufruf an die Menschen, ihre Kontrolle fallen zu lassen und außer Kontrolle zu geraten.
Nochmal Goldhagen: Die Mörder „ lachen, sie verhöhnen ihre Opfer. Die Überlebenden erzählen wieder und wieder von der Fröhlichkeit der Mörder. Das scheint ein universelles Kennzeichen aller Genozide zu sein, ebenso wie die Grausamkeit. Die Mörder wollen ihre Opfer leiden sehen.“ (http://www.morgenpost.de/politik/article1194974/Der-politische-Islam-hat-eine-totalitaere-Vision.html)
Eine deutlichere emotionale Motivation kann man gar nicht vor Augen bekommen! Trotzdem spielen Emotionen keine Rolle, verweist Goldhagen auf die Rationalität des Massenmordes, der gerade auf Grund dieser Rationalität vorhersehbar sei und man hier präventiv rechtzeitig agieren müsse. Unverständlich ist auch, dass Goldhagen den Massenmord rein von Oben beleuchtet. Politische Führer würden diesen anzetteln, erst dann führe das Volk diesen aus. Dabei kommt er doch selbst zu dem Schluss, „Völkermord geschieht immer mit persönlicher Leidenschaft, aus eigenem Hass und weit mehr Grausamkeit, als zur Tötung eigentlich geboten wäre.“ Die Psychhistorie sieht es genau anders herum: Die Menschen, das Volk bilden gemeinsame Gruppenfantasien (abhängig von dominierenden Erziehungsstilen) aus, die dann von ihren Führer in die Realität umgesetzt werden. Die Führer sind nach diesem Verständnis emotional Delegierte, die die (unterbewussten) Stimmungen im Land erfassen und ausführen (müssen). Krieg und Massenmord entspringt nach dieser These also im Grunde immer vom Volk selbst.
„Es geht um ein breiteres politisches Phänomen, den Wunsch von politischen Führern, sich Gruppen zu entledigen, die sie hassen, fürchten oder als Hindernis für ihre Ziele betrachten. Dazu wenden sie verschiedene Mittel an: Zwangsübertritte, Verhinderung von Fortpflanzung, das Einsperren in Lagern, Vertreibung und schließlich Massenmord. Der Genozid ist nur ein Instrument in diesem Repertoire, und wann immer er geschieht, werden auch die anderen Methoden angewandt. Das Motiv ist, Menschen zu eliminieren. Das Töten ist bloß ein technisches Mittel. (…) Was wir ändern können, ist, die Kosten-Nutzen-Rechnung von potenziellen Völkermördern zu verändern. Diese Leute sind nicht verrückt, sonst wären sie nicht dort, wo sie sind, sondern sie kalkulieren kühl. Sie müssen wissen, dass sich eine eliminatorische Politik nicht auszahlt, dass sie einen hohen Preis bezahlen werden.“ (http://derstandard.at/fs/1256743529820/STANDARD-Interview-Die-Uno-schuetzt-genozidale-Moerder)
„Das Motiv ist, Menschen zu eliminieren“ Die Handlung an sich wird zum Motiv…? Eine solche Aussage wirkt geradezu naiv.
Unter „verrückt“ versteht Goldhagen wohl jemanden, der nicht in der Lage wäre, Führer eines Volkes zu sein. Auch diese Sicht ist klassisch. Wenn ich von „emotionalen Störungen“ schreibe, dann meine ich nicht Menschen, die „grüne Wesen“ sehen, nicht richtig sprechen können, verwirrt sind, sich gegen den Kopf schlagen usw. Diese sind die Ausnahme. Normalerweise können Menschen – trotz schwerer traumatischer Erfahrungen – im Alltag einigermaßen und scheinbar normal funktionieren. Was ist so schwer daran, Führer und Volk, die Massenmord ausüben, als „gestört“ zu analysieren? Wissen wir doch grundsätzlich auch um die Menschlichkeit, die Mitleidensfähigkeit, das Glücklichsein und die Beziehungsfähigkeit von Menschen. Es gibt diese Fähigkeit von Menschen, Kriege aus einem starken inneren Gefühl heraus abzulehnen. Alleine schon, weil es diese „gesunden“ Menschen gibt, kann man auch die Kriegsführenden als „gestört“ ansehen.
Goldhagen fordert in seinem Buch schließlich absurde Dinge, um das Morden in den Griff zu bekommen. Nämlich: Ganz einfach Morden, bis das Morden aufhört… („Die Streitkräfte der sudanesischen Regierung sollten bombardiert werden. Ganz einfach. Solange bis sie mit den Übergriffen auf die Bevölkerung in Darfur aufhören.“ http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4837132,00.html, „Sie müssen wissen, dass sie beobachtet, verfolgt, bestraft und unter Umständen selbst getötet werden, sollten sie zu Tätern werden.“ http://www.randomhouse.de/webarticle/webarticle.jsp?aid=18954 oder er fordert Kopfgelder auf die führenden Kräfte des Massenmordes) Dies muss nicht weiter kommentiert werden. Wer so denkt, macht deutlich, dass er für ein tieferes Verstehen von Kriegen nicht offen ist.
Und wieder einmal geht es mir darum, an die klasssichen KriegsusrachenforscherInnen zu appellieren: Vergesst nicht, dass wir Menschen sind, wir haben eine Psyche, Emotionen (inkl. der Fähigkeit, diese unter bestimmten Vorbedingungen abzuspalten) und so etwas wie ein Unterbewusstsein. Ohne die Analyse um diese Dinge zu ergänzen, wird Krieg nicht komplex zu erklären sein.
Ich möchte etwas zu dem Buch schreiben, übrigens ohne es gelesen zu haben. Ich halte mich dabei an einige Rezensionen und an Interviews mit Goldhagen, um dann einige Dinge herauszustellen und zu kritisieren. Denn mir geht es nicht wirklich um dieses Buch, sondern um die Bearbeitung von so etwas wie Krieg und Massenmord, die oftmals ohne den Blick auf die Psychohistorie und die Bedeutung von Kindheitserfahrungen und Emotionen erfolgt.
Zunächst einige wesentliche Aussagen von Goldhagen:
„Goldhagen kommt zu dem Ergebnis, dass Völkermorde nicht etwa Massenhysterie sind und auch keineswegs spontan und unkontrolliert entstehen. Völkermorde sind immer das Ergebnis bewusster Entscheidungen. Politische Führer beschließen, dass Töten vieler Menschen erforderlich ist und schaffen das Klima, diese Entscheidung umzusetzen. Ein solches Klima zu schaffen, das bedeutet zum Beispiel, den Opfern das Mensch-Sein abzusprechen und sie als Bedrohung darzustellen. Ganz normale Bürger machen dann willentlich mit und töten ihre Nachbarn. Und die, die das Töten verhindern könnten, entscheiden sich, nichts zu tun, wegzuschauen.“
http://daserste.ndr.de/reportageunddokumentation/voelkermord100.html
"Massenmord und Genozid beginnen in Gesellschaften, weil Machthaber die Entscheidung treffen zu einer eliminatorischen Politik, um ihre Ziele zu verfolgen", sagt der Historiker.
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4837132,00.html
Völkermord ist niemals ein spontaner, nicht kontrollierbarer Ausbruch von Hass, sondern immer von einigen wenigen Politikern geplant, vorbereitet und gesteuert. Völkermord hat immer ein politisches Ziel. Völkermord geschieht immer mit persönlicher Leidenschaft, aus eigenem Hass und weit mehr Grausamkeit, als zur Tötung eigentlich geboten wäre. Goldhagen verneint einen anonymen Prozess des Mordens, er nennt Mord Handarbeit und betont die Notwendigkeit der individuellen Entscheidung dazu für jeden Täter.
http://community.zeit.de/user/damevonwelt/beitrag/2009/10/19/schlimmer-als-krieg
Fast alle modernen Völkermorde, schreibt Goldhagen, würden von den Führern anti-demokratischer Regime in Gang gesetzt - mit dem klaren Ziel, bestimmte ethnische, politische oder religiöse Gruppen zu vernichten. Und fast alle Vernichtungsprogramme würden von einer bereitwilligen Bevölkerung eifrig ausgeführt. (…) Völkermord ist keine von Gott gesandte Geißel, auch keine irrationale Eruption eines anthropologisch verwurzelten Hasses, sondern ein politisches Programm - gespeist und angetrieben von sorgsam gezüchteten Ressentiments.
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/andruck/1053692/
Die Entscheidung zur Elimination „geht aus dem Willen zu töten und aus dem Prozess hervor, der diesen Willen in einen festen Entschluss verwandelt, die Tat auch auszuführen. Er ist daher die hinreichende Erklärung dafür, warum diese Menschen Massenmord begehen und zu Eliminierungsmaßnahmen greifen.“
http://www.zeit.de/2009/43/L-P-Goldhagen
Völkermorde werden von politischen Führern – einer kleinen Gruppe von Leuten – aufgrund einer bewussten Entscheidung in einem klar erkennbaren Moment entfesselt. Der Genozid ist ebenso wie der Krieg eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Es geht also darum, die Entscheidung zum Völkermord für politische Führer sehr teuer zu machen.
http://www.welt.de/die-welt/kultur/literatur/article4957689/Bringen-wir-die-Dikatoren-um-den-Schlaf.html
Goldhagens Sicht auf die Ursachen von Massenmord sind eigentlich nichts wirklich Neues. Er beschreibt die Führung, die bewusste politische Entscheidungen treffen („Fortführung der Politik mit anderen Mitteln“) würde und das willige Volk, das das Töten leidenschaftlich ausführt. Punkt.
Mir fehlt an dieser typischen Herangehensweise an das Thema die Frage nach dem tieferen Warum, nach der eigentlichen Motivation? Wo kommen all diese mörderischen Impulse her? Wieso „verschwindet“ das Mitgefühl, das doch uns Menschen ausmacht, wenn die Führer zum Morden aufrufen? Wieso wollen die Mörder ihre Opfer leiden sehen? Warum macht ihnen das Töten entweder Spaß und/oder sie fühlen einfach gar nichts dabei? Warum gibt es Menschen, die sich dem Morden entziehen, die lieber fliehen oder evtl. selbst sterben, als ihre Nachbarn zu töten? Warum nutzen die Menschen in bestimmten Regionen nicht andere Wege der Konfliktlösung als Krieg? Usw. usf.
Das scheinen Fragen zu sein, die sich Goldhagen (wie auch so viele andere HistorikerInnen) nicht wirklich zu stellen scheint (,obwohl er dies sicher anders sehen würde). Er beobachtet, stellt fest, erklärt Umstände und Entscheidungen, rationalisiert, das wars.
„Die Beweislage ist eindeutig: Die Mörder taten sehr oft mehr, als ihnen befohlen wurde, und oft wurde ihnen auch gar nichts befohlen, weil nicht einmal Aufseher da waren.“ http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-67153530.html Goldhagen sieht den Grund für dieses Handeln im Glauben der Mörder daran, dass sie im Recht sind bzw. in der Ideologie und nicht etwa im Gruppendruck. Entsprechend wichtig findet er die ideologische Sprache: „Sprache ist das Fundament des Massenmords. Was wir über die Welt wissen, über andere Volksgruppen, über Fremde, wird transportiert über Rede, Worte, Sprache eben. Massenmorde werden von Menschen durchgeführt, die andere Menschen für Untermenschen oder für eine große Gefahr halten. Sie nutzen Sprache, um die Opfer zu entmenschlichen oder zu dämonisieren.“ (ebd.)
Diese Ansicht würde übersetzt bedeuten, dass Menschen grundsätzlich eine Art leeres Glas im Kopf haben, das man nur mit Ideologie füllen braucht, um dann – sofern nicht eine funktionierende Demokratie und das Gewaltmonopol das ganze unterbinden – das Morden zu ermöglichen. Eine Beobachtung, die im Prinzip z.B. auch ein Arno Gruen teilt, wenn er in seinen Arbeiten die „Nicht-Identität“ oder das „falsche Selbst“ von Menschen beschreibt. Und auch ein Lloyd deMause beschreibt die Bedeutung von Sprache und Reden, mit Hilfe derer die Massen mobilisiert werden. Beide letzt genannten beschreiben aber auch die tieferen Ursprünge. Warum haben viele Menschen keine feste Identität sondern sind zersplittert? Warum lassen sich Menschen durch ihre Führer in „soziale Trance“ versetzen? Traumatische Erfahrungen in der Kindheit sind die Antworten. Kaum ein Historiker stellt überhaupt die richtigen Fragen, um eine Antwort in diese Richtung überhaupt zu ermöglichen. Schon erstaunlich. Letztlich wird die Analyse dadurch selbst entmenschlicht, da Menschen als Maschinen betrachtet werden, nicht als menschliche Wesen mit Gefühlen oder eben auch ausgelöschten Gefühlen.
Das Bild vom "leeren Glas" ist - das ist mir hier noch mal wichtig - eigentlich nicht wirklich passend. Ich sehe die Situation - wie schon im Grundlagentext beschrieben - eher so, dass die traumatischen Kindheitserfahrungen das Dynamit in der Welt sind, das unter bestimmten Umständen durch Zündfunken (meinetwegen auch so etwas wie eine gezielte Verbreitung von einer Ideologie) zur Explosion gebracht werden kann.
Das besondere an Goldhagens Recherchen ist allerdings, dass er sich auch an die Orte des Grauens begeben hat, dass er mit Opfern und Tätern sprach, Massengräber besuchte, an der Exhumierung von Toten teilnahm usw. "Leute in Stücke hacken ist leichter, als einen Baum fällen", erzählt der Mörder Elie Ngarambe in einer ruandischen Strafkolonie dem Autor Goldhagen, "man hackt mit der Machete, der Mensch fällt hin, man hackt weiter, er ist in Stücken, und man geht weiter." (http://daserste.ndr.de/reportageunddokumentation/voelkermord100.html)
Solche Aussagen direkt von dem Mörder zu bekommen, scheinen bei Goldhagen auch keine Fragen nach tieferen Ursachen aufgeworfen zu haben. Menschen leben nicht in einer Demokratie, die Führer zetteln Massenmord an, die Menschen führen diesen aus, fertig. ("Das sind Tiere, wurde uns gesagt, die müsst ihr töten, sonst töten sie euch", erzählte einer der verurteilten Mörder dem Autor Daniel Goldhagen im Interview. http://www.abendblatt.de/kultur-live/article1233880/Ein-Protest-gegen-das-Wegsehen-Daniel-Goldhagens-Film-ueber-Voelkermord.html )
Und er geht sogar noch weiter: Man solle einmal überlegen, wie es wäre, "einen Mann eigenhändig zu töten, abzuschlachten, mit der Machete zu zerhacken. Oder eine Frau. Oder ein Kind. Sie schlagen zu. Schlagen noch einmal zu. Schlagen wieder und wieder auf ihn ein. Stellen Sie sich vor, Sie hören, wie der Mensch, den Sie gerade umbringen, bettelt, um Gnade fleht, um sein Leben. Stellen Sie sich vor, Sie hören die Schreie Ihres Opfers, während Sie auf es einschlagen, es ,zerschlitzen', wieder auf es einhacken und immer wieder, oder die Schreie eines Jungen, wenn Sie auf seinen achtjährigen Leib einhacken". Menschen täten so etwas nur, folgert Goldhagen, wenn sie es wollten, keinerlei Strafverfolgung fürchteten und staatliche Führer dies anordneten. (vgl. http://www.taz.de/1/debatte/theorie/artikel/1/das-einmaleins-der-genozide) Und wieder ein Punkt.
???????? So viele Fragezeichen, wie mir hier kommen, kann ich gar nicht aufschreiben. Es ist fast schon ein Wunder, wenn man sich nicht die Frage stellt, ob dieser Mensch, der ohne weiteres „Leute in Stücke hacken kann“ nicht eine schwere emotionale Störung hat. (Bei kriminellen Einzeltätern wird diese Sicht nicht so sehr abgewehrt, wohl aber, wenn aus Einzelnen Massen werden) Und dann müsste man fragen: Wie ist diese Störung eigentlich entstanden? Und da es sich um Massenmord handelt, was ist mit all den anderen? Wie sieht denn der Alltag in Ruanda aus? Was bedeutet Kindheit in diesem Land? Was für sonstige Traumatisierungen erlebt der Bevölkerungsdurchschnitt? Was führte zu einer so gewaltigen Gruppenfantasie, die ihren Weg schließlich in die grausame Realität des Massenmordes fand?
Was u.a. daran hindert, hier weiter nachzuschauen, ist die mögliche Erkenntnis, dass ganze Bevölkerungsteile unter emotionalen Störungen auf Grund erlittener Gewalterfahrungen in der Kindheit leiden können. Diese Störungen haben viele im Alltag „im Griff“ und fallen dadurch – auch den Historikern - nicht unbedingt auf. So etwas wie Krieg und Massenmord ist schließlich geradezu ein Aufruf an die Menschen, ihre Kontrolle fallen zu lassen und außer Kontrolle zu geraten.
Nochmal Goldhagen: Die Mörder „ lachen, sie verhöhnen ihre Opfer. Die Überlebenden erzählen wieder und wieder von der Fröhlichkeit der Mörder. Das scheint ein universelles Kennzeichen aller Genozide zu sein, ebenso wie die Grausamkeit. Die Mörder wollen ihre Opfer leiden sehen.“ (http://www.morgenpost.de/politik/article1194974/Der-politische-Islam-hat-eine-totalitaere-Vision.html)
Eine deutlichere emotionale Motivation kann man gar nicht vor Augen bekommen! Trotzdem spielen Emotionen keine Rolle, verweist Goldhagen auf die Rationalität des Massenmordes, der gerade auf Grund dieser Rationalität vorhersehbar sei und man hier präventiv rechtzeitig agieren müsse. Unverständlich ist auch, dass Goldhagen den Massenmord rein von Oben beleuchtet. Politische Führer würden diesen anzetteln, erst dann führe das Volk diesen aus. Dabei kommt er doch selbst zu dem Schluss, „Völkermord geschieht immer mit persönlicher Leidenschaft, aus eigenem Hass und weit mehr Grausamkeit, als zur Tötung eigentlich geboten wäre.“ Die Psychhistorie sieht es genau anders herum: Die Menschen, das Volk bilden gemeinsame Gruppenfantasien (abhängig von dominierenden Erziehungsstilen) aus, die dann von ihren Führer in die Realität umgesetzt werden. Die Führer sind nach diesem Verständnis emotional Delegierte, die die (unterbewussten) Stimmungen im Land erfassen und ausführen (müssen). Krieg und Massenmord entspringt nach dieser These also im Grunde immer vom Volk selbst.
„Es geht um ein breiteres politisches Phänomen, den Wunsch von politischen Führern, sich Gruppen zu entledigen, die sie hassen, fürchten oder als Hindernis für ihre Ziele betrachten. Dazu wenden sie verschiedene Mittel an: Zwangsübertritte, Verhinderung von Fortpflanzung, das Einsperren in Lagern, Vertreibung und schließlich Massenmord. Der Genozid ist nur ein Instrument in diesem Repertoire, und wann immer er geschieht, werden auch die anderen Methoden angewandt. Das Motiv ist, Menschen zu eliminieren. Das Töten ist bloß ein technisches Mittel. (…) Was wir ändern können, ist, die Kosten-Nutzen-Rechnung von potenziellen Völkermördern zu verändern. Diese Leute sind nicht verrückt, sonst wären sie nicht dort, wo sie sind, sondern sie kalkulieren kühl. Sie müssen wissen, dass sich eine eliminatorische Politik nicht auszahlt, dass sie einen hohen Preis bezahlen werden.“ (http://derstandard.at/fs/1256743529820/STANDARD-Interview-Die-Uno-schuetzt-genozidale-Moerder)
„Das Motiv ist, Menschen zu eliminieren“ Die Handlung an sich wird zum Motiv…? Eine solche Aussage wirkt geradezu naiv.
Unter „verrückt“ versteht Goldhagen wohl jemanden, der nicht in der Lage wäre, Führer eines Volkes zu sein. Auch diese Sicht ist klassisch. Wenn ich von „emotionalen Störungen“ schreibe, dann meine ich nicht Menschen, die „grüne Wesen“ sehen, nicht richtig sprechen können, verwirrt sind, sich gegen den Kopf schlagen usw. Diese sind die Ausnahme. Normalerweise können Menschen – trotz schwerer traumatischer Erfahrungen – im Alltag einigermaßen und scheinbar normal funktionieren. Was ist so schwer daran, Führer und Volk, die Massenmord ausüben, als „gestört“ zu analysieren? Wissen wir doch grundsätzlich auch um die Menschlichkeit, die Mitleidensfähigkeit, das Glücklichsein und die Beziehungsfähigkeit von Menschen. Es gibt diese Fähigkeit von Menschen, Kriege aus einem starken inneren Gefühl heraus abzulehnen. Alleine schon, weil es diese „gesunden“ Menschen gibt, kann man auch die Kriegsführenden als „gestört“ ansehen.
Goldhagen fordert in seinem Buch schließlich absurde Dinge, um das Morden in den Griff zu bekommen. Nämlich: Ganz einfach Morden, bis das Morden aufhört… („Die Streitkräfte der sudanesischen Regierung sollten bombardiert werden. Ganz einfach. Solange bis sie mit den Übergriffen auf die Bevölkerung in Darfur aufhören.“ http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4837132,00.html, „Sie müssen wissen, dass sie beobachtet, verfolgt, bestraft und unter Umständen selbst getötet werden, sollten sie zu Tätern werden.“ http://www.randomhouse.de/webarticle/webarticle.jsp?aid=18954 oder er fordert Kopfgelder auf die führenden Kräfte des Massenmordes) Dies muss nicht weiter kommentiert werden. Wer so denkt, macht deutlich, dass er für ein tieferes Verstehen von Kriegen nicht offen ist.
Und wieder einmal geht es mir darum, an die klasssichen KriegsusrachenforscherInnen zu appellieren: Vergesst nicht, dass wir Menschen sind, wir haben eine Psyche, Emotionen (inkl. der Fähigkeit, diese unter bestimmten Vorbedingungen abzuspalten) und so etwas wie ein Unterbewusstsein. Ohne die Analyse um diese Dinge zu ergänzen, wird Krieg nicht komplex zu erklären sein.
Mittwoch, 11. November 2009
Krieg als Reinigungsritual für unsere traumatischen Erfahrungen
LLoyd deMause hat immer wieder darauf hingewiesen, wie "Wachstumspanik" Kriege verursachen kann. Dazu habe ich hier etwas geschrieben (etwas weiter unten im Text). Die Aufgabe von Führern ist es laut dieser These, eine Gruppe durch Kriege und Opfer von ihrem "sündigen Wohlstand" zu befreien. Diese Angst vor Wohlstand und Wachstum hängt direkt mit traumatischen Kindheitserfahrungen zusammen (da das Wachstum der Kinder mit Gewalt unterbunden wurde). Kriege sind Wiederaufführungen dieser Kindheitstraumata, mit anderen als Opfern, als man es selbst einst als Kind war. Die Kriegsopfer dienen als „emotionale Sündenböcke“ und „Giftcontainer“. In der Analyse von Gruppenfantasien ist dabei z.B. immer wieder ein Schlüsselwort "Reinigen". (Auf Gruppenfantasien werde ich in diesem Blog noch weiter eingehen.)
Als ich mich das erste mal mit Gruppenfantasien und deren Deutung durch die Analyse von politischen Cartoons, Titelbildern, wörtlichen Bildern usw. in den Medien beschäftigte, fand ich das ganze erst mal komisch und etwas abgehoben. Als ich dann die Sichtweise der Psychohistoriker besser verstanden und deren Sprache für mich übersetzt hatte, fand ich vieles einleuchtend. Mehr noch: Ich bin richtig erschrocken darüber, wie oft mir im Alltag, in Zeitungsberichten usw. Bilder auffallen, die ich früher gar nicht besonders beachtet hätte und die verdeckt eine Sprache für Gruppenfantasien und traumatische Kindheitserfahrungen sind.
Ein aktuelles Beispiel:
Afghanische Militärs berichten, dass die Initiative für einen Einsatz (der bislang größten und härtesten Offensive in der deutschen Zone Afghanistans mit ca. 133 Toten) von einem US-Major ausging, der die Aktivitäten der US-Spezialkräfte im Norden des Landes koordiniert. Er sei auf die Führung des in Kunduz stationierten einheimischen Militärs zugekommen und habe eine "Reinigungsoperation" in Gul Tepa vorgeschlagen, das als Rückzugsgebiet der Taliban bekannt ist. Der örtliche Gouverneur Omar reagierte euphorisch und mit Freude auf diesen „großen Erfolg“, und den „ersten richtigen Schlag gegen die Taliban“. Endlich habe man dem Feind einmal gezeigt, wie ein Einsatz aussieht. (vgl. SPIEGEL-Online, 08.11.2009, "US-Militär startet brachiale Taliban-Jagd in Kunduz")
Dieses Bedürfnis nach einem „Reinigungsritual“ zeigt oben benannte Verstrickungen auf! (Je öfter ich diese Schlüsselwörter im Zusammenhang von Krieg wahrnehme, desto weniger absurd erscheinen mir einige mutige Thesen von deMause.
"Reinigt" sich also die westliche Allianz mit ihren aktuellen Auslandseinsätzen von ihrem "sündigen Wachstum"? Neben dem o.g. SPIEGEl Artikel tauchte eine Liste aller bisher getöteten deutschen Soldaten auf, inkl. Bild der Soldaten und Art des Todes. Zusätzlich leiern die Medien täglich Nachrichten über Art und Weise von Anschlägen in den Einsatzgebieten und Anzahl der Toten runter. Welche Emotionen und Bedürfnisse werden hier beim daheimgebliebenen Volk befriedigt? Und warum fand gerade in diesen Zeiten eine der größten Wirschaftskrisen statt, die die Welt bisher gesehen hat und die Wachstum und Wohlstand rapide reduzierte? Die ökonomische "Lebensmittelkrise" im Jahr 2008, während der die Preise enorm stiegen, wird eine hohe Anzahl von Leben in Entwicklungsländern gekostet haben. War auch dies ein Prozess, der mit dem Bedürfnis, Menschen zu opfern, zusammenhängt? Das scheinen mir Dinge zu sein, die zusammengehören und weiterer Beobachtung bedürfen.)
Und dann fand ich zufällig einen anderen Text:
Thomas Mann schrieb einst mit Bezug zum 1. Weltkrieg: „Wie hätte der Künstler, der Soldat im Künstler nicht Gott loben sollen für den Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt hatte? Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden und eine ungeheure Hoffnung.“
Max Weber, der Stammvater der Soziologie, äußert am Kriegsbeginn: „Dieser Krieg ist bei aller Scheußlichkeit doch groß und wunderbar, es lohnt sich ihn zu erleben.“ (Kriegstraumata und Faschismus – Zur Genese von Hitlers Vernichtungsantisemitismus von Gerhard Vinnai)
Bedürfnisse nach Reinigung und Freude ja geradezu Glücksgefühle, wenn ein Krieg beginnt, dies spricht für die emotionalen Ursachen von Kriegen (siehe auch meinen Beitrag "Krieg der Kindergangs"). Diese Gefühle und Äußerungen tauchen im Zusammenhang von Kriegen immer wieder auf (werden von der Sozialwissenschaft aber systematisch übersehen), wenn man sich mit Medienbildern und Aussagen von Menschen beschäftigt. Wahrlich erschreckend, aber nun mal Realität.
Als Schlussbemerkung möchte ich erwähnen, dass viele Kriegstheoretiker gerade aus der Sozialwissenschaft ihre Theorien u.a. auf Grundlage von Max Weber erstellen. ( Ich erinnere mich z.B. an einen längeren Emailaustausch mit einem Politologen, der meinen Grundlagentext kritisierte. Er schlug mir – neben anderen Autoren - vor, auch Max Weber zu lesen, damit ich verstehen würde, dass meine Annahmen für die Analyse von Kriegen keinen Sinn machen würden) Nun kenne ich einiges von Max Weber und fand ihn auch interessant und berechtigt. Dass er aber auch blind gegenüber tieferen, emotionalen Prozessen sein musste, wird an Hand des obigen Zitats deutlich. Auch Weber musste mit der Macht bzw. mit den Aggressoren identifiziert sein (und Gewalt als Kind erlebt haben), wenn er Krieg als eine Freude empfand. Eine Bearbeitung des Themas in andere Richtungen ist vom Machtidentifizierten kaum zu erwarten, denn dieser flieht oftmals vor Erinnerungen an kindliche Gewalterfahrungen und entsprechenden Emotionen, anstatt sich mit ihnen zu konfrontieren und sie zu verarbeiten.
Als ich mich das erste mal mit Gruppenfantasien und deren Deutung durch die Analyse von politischen Cartoons, Titelbildern, wörtlichen Bildern usw. in den Medien beschäftigte, fand ich das ganze erst mal komisch und etwas abgehoben. Als ich dann die Sichtweise der Psychohistoriker besser verstanden und deren Sprache für mich übersetzt hatte, fand ich vieles einleuchtend. Mehr noch: Ich bin richtig erschrocken darüber, wie oft mir im Alltag, in Zeitungsberichten usw. Bilder auffallen, die ich früher gar nicht besonders beachtet hätte und die verdeckt eine Sprache für Gruppenfantasien und traumatische Kindheitserfahrungen sind.
Ein aktuelles Beispiel:
Afghanische Militärs berichten, dass die Initiative für einen Einsatz (der bislang größten und härtesten Offensive in der deutschen Zone Afghanistans mit ca. 133 Toten) von einem US-Major ausging, der die Aktivitäten der US-Spezialkräfte im Norden des Landes koordiniert. Er sei auf die Führung des in Kunduz stationierten einheimischen Militärs zugekommen und habe eine "Reinigungsoperation" in Gul Tepa vorgeschlagen, das als Rückzugsgebiet der Taliban bekannt ist. Der örtliche Gouverneur Omar reagierte euphorisch und mit Freude auf diesen „großen Erfolg“, und den „ersten richtigen Schlag gegen die Taliban“. Endlich habe man dem Feind einmal gezeigt, wie ein Einsatz aussieht. (vgl. SPIEGEL-Online, 08.11.2009, "US-Militär startet brachiale Taliban-Jagd in Kunduz")
Dieses Bedürfnis nach einem „Reinigungsritual“ zeigt oben benannte Verstrickungen auf! (Je öfter ich diese Schlüsselwörter im Zusammenhang von Krieg wahrnehme, desto weniger absurd erscheinen mir einige mutige Thesen von deMause.
"Reinigt" sich also die westliche Allianz mit ihren aktuellen Auslandseinsätzen von ihrem "sündigen Wachstum"? Neben dem o.g. SPIEGEl Artikel tauchte eine Liste aller bisher getöteten deutschen Soldaten auf, inkl. Bild der Soldaten und Art des Todes. Zusätzlich leiern die Medien täglich Nachrichten über Art und Weise von Anschlägen in den Einsatzgebieten und Anzahl der Toten runter. Welche Emotionen und Bedürfnisse werden hier beim daheimgebliebenen Volk befriedigt? Und warum fand gerade in diesen Zeiten eine der größten Wirschaftskrisen statt, die die Welt bisher gesehen hat und die Wachstum und Wohlstand rapide reduzierte? Die ökonomische "Lebensmittelkrise" im Jahr 2008, während der die Preise enorm stiegen, wird eine hohe Anzahl von Leben in Entwicklungsländern gekostet haben. War auch dies ein Prozess, der mit dem Bedürfnis, Menschen zu opfern, zusammenhängt? Das scheinen mir Dinge zu sein, die zusammengehören und weiterer Beobachtung bedürfen.)
Und dann fand ich zufällig einen anderen Text:
Thomas Mann schrieb einst mit Bezug zum 1. Weltkrieg: „Wie hätte der Künstler, der Soldat im Künstler nicht Gott loben sollen für den Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt hatte? Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden und eine ungeheure Hoffnung.“
Max Weber, der Stammvater der Soziologie, äußert am Kriegsbeginn: „Dieser Krieg ist bei aller Scheußlichkeit doch groß und wunderbar, es lohnt sich ihn zu erleben.“ (Kriegstraumata und Faschismus – Zur Genese von Hitlers Vernichtungsantisemitismus von Gerhard Vinnai)
Bedürfnisse nach Reinigung und Freude ja geradezu Glücksgefühle, wenn ein Krieg beginnt, dies spricht für die emotionalen Ursachen von Kriegen (siehe auch meinen Beitrag "Krieg der Kindergangs"). Diese Gefühle und Äußerungen tauchen im Zusammenhang von Kriegen immer wieder auf (werden von der Sozialwissenschaft aber systematisch übersehen), wenn man sich mit Medienbildern und Aussagen von Menschen beschäftigt. Wahrlich erschreckend, aber nun mal Realität.
Als Schlussbemerkung möchte ich erwähnen, dass viele Kriegstheoretiker gerade aus der Sozialwissenschaft ihre Theorien u.a. auf Grundlage von Max Weber erstellen. ( Ich erinnere mich z.B. an einen längeren Emailaustausch mit einem Politologen, der meinen Grundlagentext kritisierte. Er schlug mir – neben anderen Autoren - vor, auch Max Weber zu lesen, damit ich verstehen würde, dass meine Annahmen für die Analyse von Kriegen keinen Sinn machen würden) Nun kenne ich einiges von Max Weber und fand ihn auch interessant und berechtigt. Dass er aber auch blind gegenüber tieferen, emotionalen Prozessen sein musste, wird an Hand des obigen Zitats deutlich. Auch Weber musste mit der Macht bzw. mit den Aggressoren identifiziert sein (und Gewalt als Kind erlebt haben), wenn er Krieg als eine Freude empfand. Eine Bearbeitung des Themas in andere Richtungen ist vom Machtidentifizierten kaum zu erwarten, denn dieser flieht oftmals vor Erinnerungen an kindliche Gewalterfahrungen und entsprechenden Emotionen, anstatt sich mit ihnen zu konfrontieren und sie zu verarbeiten.
Freitag, 6. November 2009
Die Armee zeigt Dir, wer Du wirklich bist
"Die Armee zerstört dich, und dann baut sie dich wieder neu auf. Und dann erkennst du, wer du wirklich bist.", sagt ein Mitglied der US-Marines im Weltspiegel Bericht ("Freiwillige vor! Ansturm auf die Armee" vom 1. November 2009) zu seiner Freundin, um diese zu überzeugen, zur Armee zu gehen.
Diese Aussage zeugt davon, dass sie von einem Menschen ohne wirkliche innere Identität kommt. Wer von der Armee - unter einer traumatisierenden Ausbildung - gesagt bekommen muss, wer er ist, der muss innerlich zerissen und von einem Fremdsein bestimmt sein. Und in der Tat zeigt der ARD Bericht, wie derzeit insbesondere Jugendliche aus trostlosen Orten und Ghettos der USA rekrutiert werden. Ihr Leben vor der Armee war geprägt von Trostlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Gewalt und Kriminalität.
"Haben sie keine Angst, mit ihrem Leben für diese Entscheidung zu bezahlen?", fragt ein Journalist eine zukünftige Rekrutin. "Dieses Risiko nehme ich in Kauf.", sagt Dominique. "Denn hier, wo ich wohne, da kannst Du auch beim Spazierengehen erschossen werden."
Diese Leute bekommen eine "neue Identität" und eine Waffe, dann werden sie in alle möglichen Ecken der Welt geschickt, um die Freiheit der westlichen Welt zu verteidigen. Wen wunderts, dass dies nicht funktioniert.
Im Grundlagentext habe ich versucht darzustellen, wie Fürsorge und Liebe in der Kindheit Menschen (diese bilden nämlich sehr wahrscheinlich u.a. eine eigene, sichere Identität aus!) davon abhalten kann, zur Armee zu gehen bzw. wie gewaltbelastete familiäre Hintergründe und Trostlosigkeit das Fundament für das Militär ist. Dies wird erneut durch den Weltspiegelbericht bestätigt. (Nebenbei bestätigt der Bericht auch erneut die traumatisierende Ausbildung von US-Soldaten)
Diese Aussage zeugt davon, dass sie von einem Menschen ohne wirkliche innere Identität kommt. Wer von der Armee - unter einer traumatisierenden Ausbildung - gesagt bekommen muss, wer er ist, der muss innerlich zerissen und von einem Fremdsein bestimmt sein. Und in der Tat zeigt der ARD Bericht, wie derzeit insbesondere Jugendliche aus trostlosen Orten und Ghettos der USA rekrutiert werden. Ihr Leben vor der Armee war geprägt von Trostlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Gewalt und Kriminalität.
"Haben sie keine Angst, mit ihrem Leben für diese Entscheidung zu bezahlen?", fragt ein Journalist eine zukünftige Rekrutin. "Dieses Risiko nehme ich in Kauf.", sagt Dominique. "Denn hier, wo ich wohne, da kannst Du auch beim Spazierengehen erschossen werden."
Diese Leute bekommen eine "neue Identität" und eine Waffe, dann werden sie in alle möglichen Ecken der Welt geschickt, um die Freiheit der westlichen Welt zu verteidigen. Wen wunderts, dass dies nicht funktioniert.
Im Grundlagentext habe ich versucht darzustellen, wie Fürsorge und Liebe in der Kindheit Menschen (diese bilden nämlich sehr wahrscheinlich u.a. eine eigene, sichere Identität aus!) davon abhalten kann, zur Armee zu gehen bzw. wie gewaltbelastete familiäre Hintergründe und Trostlosigkeit das Fundament für das Militär ist. Dies wird erneut durch den Weltspiegelbericht bestätigt. (Nebenbei bestätigt der Bericht auch erneut die traumatisierende Ausbildung von US-Soldaten)
Donnerstag, 5. November 2009
Es herrscht Krieg - "eine Freude zu leben"
Meinen Beitrag "Krieg der Kindergangs" habe ich am Ende des Textes um folgendes ergänzt:
Sehr deutlich wird der Zusammenhang der o.g. Gedanken zur kollektiven Gewalt auch durch folgendes: Als Deutschland Frankreich 1914 den Krieg erklärte, frohlockte eine deutsche Zeitung: "Es ist eine Freude zu leben, Deutschland jubelt vor Glück." (vgl. deMause,L. 2000: Was ist Psychohistorie? Psychosozial-Verlag, Gießen, S. 133)
Nationen sind eben keine "technischen", "rationalen" Gebilde (so wie es die Sozialwissenschaft oft sieht), die für sich stehen. Sie bestehen aus Menschen, die alle eine Psyche und Emotionen haben. Wenn eine Mehrheit dieser Menschen, die eine Nation bilden, als Kind traumatische Erfahrungen machen musste, wird auch das "kollektive Glück" bei einem Kriegseintritt verständlich, so wie es auch für einzelne Mitglieder von Kindergangs und Kriminelle verständlich ist.
Sehr deutlich wird der Zusammenhang der o.g. Gedanken zur kollektiven Gewalt auch durch folgendes: Als Deutschland Frankreich 1914 den Krieg erklärte, frohlockte eine deutsche Zeitung: "Es ist eine Freude zu leben, Deutschland jubelt vor Glück." (vgl. deMause,L. 2000: Was ist Psychohistorie? Psychosozial-Verlag, Gießen, S. 133)
Nationen sind eben keine "technischen", "rationalen" Gebilde (so wie es die Sozialwissenschaft oft sieht), die für sich stehen. Sie bestehen aus Menschen, die alle eine Psyche und Emotionen haben. Wenn eine Mehrheit dieser Menschen, die eine Nation bilden, als Kind traumatische Erfahrungen machen musste, wird auch das "kollektive Glück" bei einem Kriegseintritt verständlich, so wie es auch für einzelne Mitglieder von Kindergangs und Kriminelle verständlich ist.
Freitag, 30. Oktober 2009
Amokläufer Tim K. - neue Details
Über den Amokläufer Tim K. tauchen neue Details auf. Die EMMA berichtet über "schwierige Familienumständen" (übrigens ohne weiter darauf einzugehen). Der Gutachter Professor Reinmar du Bois diagnostiziert eine "masochistische Persönlichkeitsstörung" und vermutet, der 17-Jährige habe seine "Opferrolle in eine Täterrolle verkehrt" („Was auch immer das genau bedeuten mag, es deutet auf jeden Fall auf ein schwer ¬gestörtes Verhältnis von Tim K. zu Frauen“, kommentiert die EMMA). Die Psychiaterin, bei der sich Tim untersuchen ließ, diagnostiziert einen Verdacht auf "atypischen Autismus" und "eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung und Spielsucht". (vgl. EMMA, Nov./Dez. 2009: „Es war Frauenhass“, )
Die ganze Welt sei schlecht, er wolle "Menschen erschießen", sagte Tim K. seiner Therapeutin, laut Stern. Das psychologische Gutachten über den Amokläufer von Winnenden, das der Staatsanwaltschaft Stuttgart vorliegt, beschreibt einen Jugendlichen, der von Hass und Gewaltphantasien besessen war. (vgl. Stern.de, 08.09.2009, „Die Gewaltphantasie des Tim K.„)
In den Medien tauchen – zusätzlich zu den bereits benannten - auch Beschreibungen wie „manisch-depressiv“ (FAZ.NET, 09.09.2009: „Die Eltern sind mitverantwortlich“) auf oder es wird von „Stimmungsschwankungen“ und einer "sozialen Phobie" (SPIEGEL Online) berichtet. Die Atmosphäre innerhalb der Familie wird – laut vorgenannten FAZ-Artikel - von Tims Schwester als „gefühlskalt“ beschrieben.
Die Frage, die allen Berichten gemein ist, lautet: Wo waren die Eltern? Was ist mir deren Verantwortung? Die psychische Situation des Sohnes hätten sie doch sehen müssen. Usw.
Ich finde den Umgang mit Persönlichkeitsstörungen in den Medien oft zu oberflächlich. Geschrieben wird über Diagnostik und definierte Störungsbilder. Wie diese Störungen eigentlich entstehen, interessiert nicht wirklich. Die Mainstreammedien Stern, FAZ und SPIEGEL beschreiben rein die Feststellungen des Gutachters. Die EMMA schliddert haarscharf an tieferen Ursachen vorbei, indem sie auf die Erwähnung des Opfer-Täter-Kreislaufes bemerkt: „Was auch immer das genau bedeuten mag (…)“, um dann die tieferen „Wurzeln des Übels“ vor allem in einer gestörten Männlichkeit zu suchen.
Es wirkt oft so, als ob die Menschen glauben, dass eine schwere Persönlichkeitsstörung quasi vom Himmel fällt oder gar in den Genen liegt. Dass diese i.d.R. mit leidvollen Kindheitserfahrungen zusammenhängen…das Eisen scheint zu heiß, das will keiner richtig berühren. Wenn die Atmosphäre in Tim K.s Familie "gefühlskalt" war – und dies ist nur ein Begriff aus dem Mund der Schwester, was sich dahinter alles verbergen mag, werden wir kaum erahnen können – , dann macht es wenig Sinn, von diesen gefühlskalten Eltern Verantwortungsbewusstsein zu erwarten. (Was nicht bedeutet, dass man sie nicht zur Verantwortung ziehen sollte.) Wenn man bereit wäre, hinzuschauen, würde man nicht fragen: „Wo waren die Eltern?“, sondern man würde sagen: „Die Eltern waren nie da. Wo war das Umfeld, das hätte eingreifen sollen und wo war der Kinderschutz?“
Um noch einen deutlicheren Bogen zu diesem Blog zu spannen: Ich frage mich, was mit Menschen passiert, die ähnliches in ihrer Familie erlebten wie Tim K. und einfach nur in anderen Regionen wohnen? Ich denke z.B. an den Irak oder Palästina. Der kulturelle Kontext leitet dann sehr wahrscheinlich die Hass- und Rachegefühle. Statt in einer Schule ein Massaker anzurichten, würde ein entsprechend geprägter Mensch vielleicht als Selbstmordattentäter amerikanische Soldaten töten oder mit einem Sprengstoffgürtel umhüllt in ein israelisches Cafe laufen. Der kulturelle Rahmen lenkt die Ausformungen des Hasses, die Ursachen des Hasses aber liegen in den Familien.
Übrigens: Auf Tims Computer fand die Polizei auch Spuren, denen zufolge der Schüler immer wieder zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 recherchiert hatte. Letztmalig am 8. März (3 Tage vor dem Amoklauf), als er bei Wikipedia unter anderem die Seiten über "Mohammed Atta" und "Abdulaziz al-Omari" aufrief; beide starben als Attentäter an Bord der entführten Flugzeuge, die in die Türme des World Trade Center einschlugen. Fotos der einstürzenden Wolkenkratzer hatte Tim K. ebenso gespeichert wie Dokumente zum Film "Flug 93". (vgl. SPIEGEL Online)
siehe ergänzend auch Artikel:
"Interview mit Beinahe-Amokläufer"
"Amoklauf von Winnenden und die Medien"
Die ganze Welt sei schlecht, er wolle "Menschen erschießen", sagte Tim K. seiner Therapeutin, laut Stern. Das psychologische Gutachten über den Amokläufer von Winnenden, das der Staatsanwaltschaft Stuttgart vorliegt, beschreibt einen Jugendlichen, der von Hass und Gewaltphantasien besessen war. (vgl. Stern.de, 08.09.2009, „Die Gewaltphantasie des Tim K.„)
In den Medien tauchen – zusätzlich zu den bereits benannten - auch Beschreibungen wie „manisch-depressiv“ (FAZ.NET, 09.09.2009: „Die Eltern sind mitverantwortlich“) auf oder es wird von „Stimmungsschwankungen“ und einer "sozialen Phobie" (SPIEGEL Online) berichtet. Die Atmosphäre innerhalb der Familie wird – laut vorgenannten FAZ-Artikel - von Tims Schwester als „gefühlskalt“ beschrieben.
Die Frage, die allen Berichten gemein ist, lautet: Wo waren die Eltern? Was ist mir deren Verantwortung? Die psychische Situation des Sohnes hätten sie doch sehen müssen. Usw.
Ich finde den Umgang mit Persönlichkeitsstörungen in den Medien oft zu oberflächlich. Geschrieben wird über Diagnostik und definierte Störungsbilder. Wie diese Störungen eigentlich entstehen, interessiert nicht wirklich. Die Mainstreammedien Stern, FAZ und SPIEGEL beschreiben rein die Feststellungen des Gutachters. Die EMMA schliddert haarscharf an tieferen Ursachen vorbei, indem sie auf die Erwähnung des Opfer-Täter-Kreislaufes bemerkt: „Was auch immer das genau bedeuten mag (…)“, um dann die tieferen „Wurzeln des Übels“ vor allem in einer gestörten Männlichkeit zu suchen.
Es wirkt oft so, als ob die Menschen glauben, dass eine schwere Persönlichkeitsstörung quasi vom Himmel fällt oder gar in den Genen liegt. Dass diese i.d.R. mit leidvollen Kindheitserfahrungen zusammenhängen…das Eisen scheint zu heiß, das will keiner richtig berühren. Wenn die Atmosphäre in Tim K.s Familie "gefühlskalt" war – und dies ist nur ein Begriff aus dem Mund der Schwester, was sich dahinter alles verbergen mag, werden wir kaum erahnen können – , dann macht es wenig Sinn, von diesen gefühlskalten Eltern Verantwortungsbewusstsein zu erwarten. (Was nicht bedeutet, dass man sie nicht zur Verantwortung ziehen sollte.) Wenn man bereit wäre, hinzuschauen, würde man nicht fragen: „Wo waren die Eltern?“, sondern man würde sagen: „Die Eltern waren nie da. Wo war das Umfeld, das hätte eingreifen sollen und wo war der Kinderschutz?“
Um noch einen deutlicheren Bogen zu diesem Blog zu spannen: Ich frage mich, was mit Menschen passiert, die ähnliches in ihrer Familie erlebten wie Tim K. und einfach nur in anderen Regionen wohnen? Ich denke z.B. an den Irak oder Palästina. Der kulturelle Kontext leitet dann sehr wahrscheinlich die Hass- und Rachegefühle. Statt in einer Schule ein Massaker anzurichten, würde ein entsprechend geprägter Mensch vielleicht als Selbstmordattentäter amerikanische Soldaten töten oder mit einem Sprengstoffgürtel umhüllt in ein israelisches Cafe laufen. Der kulturelle Rahmen lenkt die Ausformungen des Hasses, die Ursachen des Hasses aber liegen in den Familien.
Übrigens: Auf Tims Computer fand die Polizei auch Spuren, denen zufolge der Schüler immer wieder zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 recherchiert hatte. Letztmalig am 8. März (3 Tage vor dem Amoklauf), als er bei Wikipedia unter anderem die Seiten über "Mohammed Atta" und "Abdulaziz al-Omari" aufrief; beide starben als Attentäter an Bord der entführten Flugzeuge, die in die Türme des World Trade Center einschlugen. Fotos der einstürzenden Wolkenkratzer hatte Tim K. ebenso gespeichert wie Dokumente zum Film "Flug 93". (vgl. SPIEGEL Online)
siehe ergänzend auch Artikel:
"Interview mit Beinahe-Amokläufer"
"Amoklauf von Winnenden und die Medien"
Donnerstag, 29. Oktober 2009
Arno Gruen und Sozialwissenschaft, geht das zusammen?
Zufällig bin ich auf einen Text von Dr. Jürgen Haberleithner gestoßen, in dem er sich mit den Grundthesen des Psychoanalytikers Arno Gruen befasst. So weit ist dies nicht unbedingt etwas erwähnenswertes. Nun schrieb ich u.a. auch im vorangegangen Beitrag, dass mir immer wieder auffällt, wie blind sich die Sozialwissenschaft gegenüber Thesen von Gruen und anderen wie lloyd deMause und Alice Miller stellt. Dewesegen finde ich den Text von Haberleithner hier unbedingt erwähnenswert, denn der Text entstand anlässlich der politikwissenschaftlichen Untersuchung „Sozialpsychologische Ansätze in den Internationalen Beziehungen“ an der UNI Wien und der Autor ist Sozialwissenschaftler. Entsprechend macht er sich auch kurz Gedanken darüber, wie die Sozialwissenschaft sich mit Gruens Thesen auseinandersetzen könnte. Das ist doch mal klasse!
Es wäre schön, wenn sich immer mehr auch SozialwissenschaftlerInnen diesem Thema annehmen würden. Gibt es doch im Grunde genügend spannende Anknüpfungspunkte zu gesellschaftlichen Theorien. Gerade auch die jüngere Generation von WissenschaftlerInnen, die weniger eigenen Traumatisierungen in der Kindheit ausgesetzt war, als noch die Generation davor, könnte hier neue Wege gehen. Wir werden sehen.
(Meine Art Psychoanalyse und Sozialwissenschaft bei diesem Thema zusammenzubringen kann man hier nachlesen)
Es wäre schön, wenn sich immer mehr auch SozialwissenschaftlerInnen diesem Thema annehmen würden. Gibt es doch im Grunde genügend spannende Anknüpfungspunkte zu gesellschaftlichen Theorien. Gerade auch die jüngere Generation von WissenschaftlerInnen, die weniger eigenen Traumatisierungen in der Kindheit ausgesetzt war, als noch die Generation davor, könnte hier neue Wege gehen. Wir werden sehen.
(Meine Art Psychoanalyse und Sozialwissenschaft bei diesem Thema zusammenzubringen kann man hier nachlesen)
Dienstag, 27. Oktober 2009
Kurzer Rückblick: Erfahrungen und Erkenntnisse
Der Text über die Gewalt gegen Kinder in Entwicklungsländern hat mir erneut etwas deutlich gemacht. Seit dem Jahr 2003 recherchiere ich mal mehr mal weniger zum Thema Kriegsursachen. Es verhielt sich dabei eigentlich immer so, dass sich die Verbindungslinie zur Kindesmisshandlung immer offener zeigte, je mehr Informationen ich zusammentrug. Es ging eigentlich nie in die andere Richtung. Dabei war ich oft gar nicht all zu voreingenommen. Beispielsweise bzgl. dem Diktator Saddam Hussein vermutete ich vor meinen Recherchen zwar ein hohes Ausmaß an Gewalterfahrungen in dessen Kindheit. Was ich fand übertraf allerdings meine Erwartungen. Ähnlich ging es mir bei George W. Bush. Ich hätte damals nie damit gerechnet, dass ein J. A. Frank gleich ein ganzen Buch über die besagten Zusammenhänge über ihn schrieb: „Bush auf der Couch. Wie denkt und fühlt George W. Bush? „ In dem erhebliche traumatische Erfahrungen in seiner Kindheit aufgezeigt werden. Ein wichtiges Buch, das leider – so weit ich es wahrnehmen konnte – in der Öffentlichkeit kaum Beachtung fand.
Nie fand ich in der Kindheit von Diktatoren oder demokratischen Kriegstreibern eine Kindheit, die von Liebe, Wärme, Respekt und Freiheit bestimmt war. Immer war es das glatte Gegenteil, fand ich geschlagene und vernachlässigte Kinder, so dass es schon fast ein Wunder ist, dass da bisher so wenig hingeschaut wird.
Sehr erstaunt haben mich auch ausführliche und hintergründige Texte von Alenka Puha (z.B. dieser), die über die unglaublich lange Tradition der schweren Kindesmisshandlung und des Kindesmissbrauchs im ehemaligen Jugoslawien schrieb und die einen direkten Zusammenhang zum Bürgerkrieg zog. Wenn man die Texte gelesen hat, fällt es wirklich schwer zu sehen, dass diese Texte in der Analyse des Balkankrieges überhaupt keine Rolle in den Medien und auch der Politikwissenschaft gespielt haben. Eigentlich kaum zu fassen.
Und dann gab es immer wieder Biografen, deren Bücher ich las und die die Kindheit von Diktatoren beschönigten und/oder nicht richtig hinsahen. Ich habe das im Grundlagentext insbesondere an dem Buch über Stalin von dem Biografen Bullock festgemacht. Weitere Recherchen ergaben erneut ein Bild von einer Kindheit, in der Stalin kein helfender Zeuge zur Seite stand und in der er von beiden Elternteilen misshandelt wurde, während Bullock von einer „liebevollen Mutterbeziehung“ schrieb.
Kurz nach dem Beginn der israelischen Militäroperation „gegossenes Blei“ schrieb ich etwas über die Kindheit in Israel und die Kindheit in Palästina und versuchte dort Erklärungen für diesen Dauerkonflikt zu finden. Bzgl. Palästina hatte ich nicht viele Daten gefunden, nur Andeutungen von mittelalterlichen Erziehungspraktiken und eine Studie, die hohe Raten von sexuellem Missbrauch nachwies. In dem kürzlich erschienen UNICEF Report las ich dann, dass Palästina an der Spitze der untersuchten Länder stand: Hier erlebten nur 5 % der Kinder keine Gewalt! Erneut eine Bestätigung dafür, dass Frieden nicht möglich ist, wenn Kinder in diesem Ausmaß misshandelt werden.
(Es verwundert übrigens nicht, dass der UNICEF Report auch für Vietnam sehr hohe Gewaltraten gegen Kinder feststellte.)
Die Beispiele ließen sich fortführen.
Ich bin an einem Punkt, wo eigentlich weitere Forschung beginnen müsste. Forschung über die Lücken. Dafür bin ich allerdings weder ausgebildet noch habe ich Zeit und Möglichkeiten dafür. Ich denke an eine ausführliche Analyse dessen, was Kindheit in Ländern wie z.B. Ruanda, Sudan, Kambodscha, Kongo usw. bedeutete, bevor das Blutvergießen begann. Ich bin mir sicher, dass man hier mit einem geschulten Auge schnell fündig werden würde. Und umgekehrt wird man in Ländern, die einen komplexes soziales Netz entwickelt haben, die für friedlichen ökonomischen und kulturellen Austausch und für dauerhaften Frieden stehen, sehr wahrscheinlich eine Bevölkerungsstruktur vorfinden, in der keine Mehrheit schwer misshandelt und missbraucht wurde.
Dabei ist es nur eine menschliche Logik, dass Gewaltverhalten gerade auch in Form von Krieg einen tieferen (emotionalen) Hintergrund haben muss. Man braucht nicht unzählige Studien, um dies nachzuweisen. Jedem klar fühlenden und denkenden Menschen muss im Grunde bewusst sein, dass z.B. eine ökonomische Krise nicht in erster Linie für so etwas wie den Holocaust verantwortlich sein kann. Wenn ich aber Morgen in aller Öffentlichkeit losgehen würde und rufe: „Die extreme Gewalt gegen Kinder hat in der deutschen Geschichte für Leid gesorgt, insbesondere entstanden dadurch Kriege und Massenmord!“ Dann werde ich wohl i.d.R. für verrückt erklärt werden. Laufe ich los und rufe: „Die Wirtschaftskrise war schuld an all dem!“ dann wird keiner ein Problem haben. Es ist schon verrückt…
Nie fand ich in der Kindheit von Diktatoren oder demokratischen Kriegstreibern eine Kindheit, die von Liebe, Wärme, Respekt und Freiheit bestimmt war. Immer war es das glatte Gegenteil, fand ich geschlagene und vernachlässigte Kinder, so dass es schon fast ein Wunder ist, dass da bisher so wenig hingeschaut wird.
Sehr erstaunt haben mich auch ausführliche und hintergründige Texte von Alenka Puha (z.B. dieser), die über die unglaublich lange Tradition der schweren Kindesmisshandlung und des Kindesmissbrauchs im ehemaligen Jugoslawien schrieb und die einen direkten Zusammenhang zum Bürgerkrieg zog. Wenn man die Texte gelesen hat, fällt es wirklich schwer zu sehen, dass diese Texte in der Analyse des Balkankrieges überhaupt keine Rolle in den Medien und auch der Politikwissenschaft gespielt haben. Eigentlich kaum zu fassen.
Und dann gab es immer wieder Biografen, deren Bücher ich las und die die Kindheit von Diktatoren beschönigten und/oder nicht richtig hinsahen. Ich habe das im Grundlagentext insbesondere an dem Buch über Stalin von dem Biografen Bullock festgemacht. Weitere Recherchen ergaben erneut ein Bild von einer Kindheit, in der Stalin kein helfender Zeuge zur Seite stand und in der er von beiden Elternteilen misshandelt wurde, während Bullock von einer „liebevollen Mutterbeziehung“ schrieb.
Kurz nach dem Beginn der israelischen Militäroperation „gegossenes Blei“ schrieb ich etwas über die Kindheit in Israel und die Kindheit in Palästina und versuchte dort Erklärungen für diesen Dauerkonflikt zu finden. Bzgl. Palästina hatte ich nicht viele Daten gefunden, nur Andeutungen von mittelalterlichen Erziehungspraktiken und eine Studie, die hohe Raten von sexuellem Missbrauch nachwies. In dem kürzlich erschienen UNICEF Report las ich dann, dass Palästina an der Spitze der untersuchten Länder stand: Hier erlebten nur 5 % der Kinder keine Gewalt! Erneut eine Bestätigung dafür, dass Frieden nicht möglich ist, wenn Kinder in diesem Ausmaß misshandelt werden.
(Es verwundert übrigens nicht, dass der UNICEF Report auch für Vietnam sehr hohe Gewaltraten gegen Kinder feststellte.)
Die Beispiele ließen sich fortführen.
Ich bin an einem Punkt, wo eigentlich weitere Forschung beginnen müsste. Forschung über die Lücken. Dafür bin ich allerdings weder ausgebildet noch habe ich Zeit und Möglichkeiten dafür. Ich denke an eine ausführliche Analyse dessen, was Kindheit in Ländern wie z.B. Ruanda, Sudan, Kambodscha, Kongo usw. bedeutete, bevor das Blutvergießen begann. Ich bin mir sicher, dass man hier mit einem geschulten Auge schnell fündig werden würde. Und umgekehrt wird man in Ländern, die einen komplexes soziales Netz entwickelt haben, die für friedlichen ökonomischen und kulturellen Austausch und für dauerhaften Frieden stehen, sehr wahrscheinlich eine Bevölkerungsstruktur vorfinden, in der keine Mehrheit schwer misshandelt und missbraucht wurde.
Dabei ist es nur eine menschliche Logik, dass Gewaltverhalten gerade auch in Form von Krieg einen tieferen (emotionalen) Hintergrund haben muss. Man braucht nicht unzählige Studien, um dies nachzuweisen. Jedem klar fühlenden und denkenden Menschen muss im Grunde bewusst sein, dass z.B. eine ökonomische Krise nicht in erster Linie für so etwas wie den Holocaust verantwortlich sein kann. Wenn ich aber Morgen in aller Öffentlichkeit losgehen würde und rufe: „Die extreme Gewalt gegen Kinder hat in der deutschen Geschichte für Leid gesorgt, insbesondere entstanden dadurch Kriege und Massenmord!“ Dann werde ich wohl i.d.R. für verrückt erklärt werden. Laufe ich los und rufe: „Die Wirtschaftskrise war schuld an all dem!“ dann wird keiner ein Problem haben. Es ist schon verrückt…
Samstag, 10. Oktober 2009
Gewalt gegen Kinder in Entwicklungsländern
Der UNICEF Report 2009 enthüllt u.a. extrem hohe Raten von körperlicher und psychischer Gewalt gegen Kinder in Entwicklungsländern. Angeführt wird die Liste von Palästina, Vietnam, Yemen und Ägypten. (vgl. UNICEF, 2009, S. 8)
In Palästina erleben nur 5 % der Kinder keine Gewalt, 70 % erleben psychische und körperliche Gewalt, 23 % erleben nur psychische Gewalt und 2 % nur körperliche Gewalt.
Zahlen für Vietnam: 6 % keine Gewalt, 58 % psychische+körperliche, 32 % nur psychische, 4 % nur körperliche
Zahlen für Yemen: 7 % keine Gewalt, 81 % psychische+körperliche, 10 % nur psychische , 2 % nur körperliche
Zahlen für Ägypten: 8% keine Gewalt, 68 % psychische+körperliche , 22 % nur psychische, 2 % nur körperliche
Über 80 Prozent aller Kinder in einer Reihe von weiteren arabischen und westafrikanischen Ländern erleben Gewalt in der ein und/oder anderen Form. Unter 80 % fallen dann abnehmend bis zu ca. 50 % einige osteuropäische Staaten.
In den ausgewählten sechs lateinamerikanischen und karibischen Staaten erleben durchschnittlich 83 % aller Kinder mindestens eine Form von Gewalt. (ebd. S. 31)
UNICEF weist darauf hin, dass die Gewalt gegen Kinder meist von Menschen ausgeht, die die Kinder kennen: Eltern, Stiefeltern, Lehrer usw.
Quelle: UNICEF, September 2009: Progress for Children - A Report Card on Child Protection.
In dem Report werden die Formen der Gewalt nicht weiter ausdifferenziert (was auf Grund der vielen Daten verständlich ist). Zu vermuten wäre hier allerdings, dass z.B. hinter "körperlicher Gewalt" häufig körperliche Misshandlungen stehen und nicht hautsächlich Züchtigungen, sprich dass das Gewaltverhalten gegen Kinder insgesamt in Entwicklungsländern heftig (darauf weisen z.B. auch einzelne Infos hin, die ich hier zusammengestellt habe) und dadurch auch schädlicher und folgenreicher für die Kinder ist.
Im deutschen Vorwort zu dem Report heißt es ergänzend: Jedes dritte Mädchen in Entwicklungsländern wird als Kind verheiratet. In den Ländern Niger, Tschad und Mali liegt der Anteil der Kinderheiraten sogar bei über 70 Prozent, in Bangladesch, Guinea und der Zentralafrikanischen Republik sind es mehr als 60 Prozent.
„Eine Gesellschaft kann sich nicht entwickeln, wenn ihre jüngsten Mitglieder in Kinderheiraten gezwungen, sexuell ausgebeutet und ihrer grundlegenden Rechte beraubt werden“, sagte UNICEF-Direktorin Ann Veneman. „Das Ausmaß der Kinderrechtsverletzungen zu erfassen ist ein erster Schritt, um eine Umgebung für Kinder zu schaffen, in der sie geschützt aufwachsen und sich entwickeln können.“
Dies ist eine Botschaft, die insbesondere auch von psychohistorischen ForscherInnen seit einigen Jahrzehnten verbreitet wird. Leider wird sie kaum gehört, so manches mal sogar belächelt und von der Sozial-/Politikwissenschaft i.d.R. erst gar nicht wahrgenommen. Dabei fehlt vor allem der Blick auf Zusammenhänge zwischen den kindlichen Gewalterfahrungen von breiten Bevölkerungsschichten, politischer Instabilität bis hin zu Krieg und letztlich einer fehlenden sozio-ökonomischen Entwicklung. Denn: Eine Gesellschaft kann sich nicht entwickeln, wenn die meisten ihrer Kinder missbraucht, misshandelt und vernachlässigt wurden und werden. Ihr fehlt zudem das Fundament für gewaltlose Konfliktaustragung und echte (auch emotionale) Demokratie.
Mein vorheriger Beitrag zu Lösungen für Afghanistan macht auf das ganze Dilemma aufmerksam. Der Westen versucht mit aller Gewalt einem nicht-entwickelten Land von oben Demokratie aufzudrücken. Gewaltmonopol, Wahlen, Verwaltung usw. sollen helfen, das Land zu stabilisieren.
In einem Land wie Afghanistan muss dagegen mit viel Einsatz und Empathie versucht werden, vor allem die Kindheit zu befrieden. Dies muss das oberste Ziel sein. Erst dann kann sich das Land wirklich auf den demokratischen Entwicklungsprozess begeben, den es ohne Zweifel nötig hat.
In Palästina erleben nur 5 % der Kinder keine Gewalt, 70 % erleben psychische und körperliche Gewalt, 23 % erleben nur psychische Gewalt und 2 % nur körperliche Gewalt.
Zahlen für Vietnam: 6 % keine Gewalt, 58 % psychische+körperliche, 32 % nur psychische, 4 % nur körperliche
Zahlen für Yemen: 7 % keine Gewalt, 81 % psychische+körperliche, 10 % nur psychische , 2 % nur körperliche
Zahlen für Ägypten: 8% keine Gewalt, 68 % psychische+körperliche , 22 % nur psychische, 2 % nur körperliche
Über 80 Prozent aller Kinder in einer Reihe von weiteren arabischen und westafrikanischen Ländern erleben Gewalt in der ein und/oder anderen Form. Unter 80 % fallen dann abnehmend bis zu ca. 50 % einige osteuropäische Staaten.
In den ausgewählten sechs lateinamerikanischen und karibischen Staaten erleben durchschnittlich 83 % aller Kinder mindestens eine Form von Gewalt. (ebd. S. 31)
UNICEF weist darauf hin, dass die Gewalt gegen Kinder meist von Menschen ausgeht, die die Kinder kennen: Eltern, Stiefeltern, Lehrer usw.
Quelle: UNICEF, September 2009: Progress for Children - A Report Card on Child Protection.
In dem Report werden die Formen der Gewalt nicht weiter ausdifferenziert (was auf Grund der vielen Daten verständlich ist). Zu vermuten wäre hier allerdings, dass z.B. hinter "körperlicher Gewalt" häufig körperliche Misshandlungen stehen und nicht hautsächlich Züchtigungen, sprich dass das Gewaltverhalten gegen Kinder insgesamt in Entwicklungsländern heftig (darauf weisen z.B. auch einzelne Infos hin, die ich hier zusammengestellt habe) und dadurch auch schädlicher und folgenreicher für die Kinder ist.
Im deutschen Vorwort zu dem Report heißt es ergänzend: Jedes dritte Mädchen in Entwicklungsländern wird als Kind verheiratet. In den Ländern Niger, Tschad und Mali liegt der Anteil der Kinderheiraten sogar bei über 70 Prozent, in Bangladesch, Guinea und der Zentralafrikanischen Republik sind es mehr als 60 Prozent.
„Eine Gesellschaft kann sich nicht entwickeln, wenn ihre jüngsten Mitglieder in Kinderheiraten gezwungen, sexuell ausgebeutet und ihrer grundlegenden Rechte beraubt werden“, sagte UNICEF-Direktorin Ann Veneman. „Das Ausmaß der Kinderrechtsverletzungen zu erfassen ist ein erster Schritt, um eine Umgebung für Kinder zu schaffen, in der sie geschützt aufwachsen und sich entwickeln können.“
Dies ist eine Botschaft, die insbesondere auch von psychohistorischen ForscherInnen seit einigen Jahrzehnten verbreitet wird. Leider wird sie kaum gehört, so manches mal sogar belächelt und von der Sozial-/Politikwissenschaft i.d.R. erst gar nicht wahrgenommen. Dabei fehlt vor allem der Blick auf Zusammenhänge zwischen den kindlichen Gewalterfahrungen von breiten Bevölkerungsschichten, politischer Instabilität bis hin zu Krieg und letztlich einer fehlenden sozio-ökonomischen Entwicklung. Denn: Eine Gesellschaft kann sich nicht entwickeln, wenn die meisten ihrer Kinder missbraucht, misshandelt und vernachlässigt wurden und werden. Ihr fehlt zudem das Fundament für gewaltlose Konfliktaustragung und echte (auch emotionale) Demokratie.
Mein vorheriger Beitrag zu Lösungen für Afghanistan macht auf das ganze Dilemma aufmerksam. Der Westen versucht mit aller Gewalt einem nicht-entwickelten Land von oben Demokratie aufzudrücken. Gewaltmonopol, Wahlen, Verwaltung usw. sollen helfen, das Land zu stabilisieren.
In einem Land wie Afghanistan muss dagegen mit viel Einsatz und Empathie versucht werden, vor allem die Kindheit zu befrieden. Dies muss das oberste Ziel sein. Erst dann kann sich das Land wirklich auf den demokratischen Entwicklungsprozess begeben, den es ohne Zweifel nötig hat.
Samstag, 26. September 2009
Lösungen für Afghanistan
Kurz vor der Bundestagswahl möchte ich etwas zum Einsatz der Bundeswehr bzw. dem Krieg in Afghanistan schreiben. Es ist schon erschreckend, wie schleichend, Stück für Stück die deutsche Gesellschaft militarisiert wird bzw. wie die Öffentlichkeit mit Nachrichten von der Front gefüttert wird. Beschränkte sich die gelegentliche Nachrichtenlage zu Beginn des Einsatzes noch eher auf die Ausbildung von afghanischen Polizisten, zivilem Aufbau und großen Vorhaben im "friedlicheren" nördlichen Einsatzgebiet der Bundeswehr, so hören wir jetzt fast täglich von Schusswechseln, verletzten deutschen Soldaten, getöteten Afghanen ehhh "Aufständischen", gestiegenen Zahlen von traumatisierten deutschen Soldaten, Misstrauen der Bevölkerung gegen die Soldaten, einem Bedarf an besser - sprich auf realen Krieg - vorbereiter und entsprechend ausgestatter Bundeswehr usw. usf. Man gewöhnt sich fast schon an diese Nachrichten. Der Einsatz des deutschen Militäts wird letztlich zur Normalität.
Ich erinnere mich an einen spannenden Fernsehbericht über den Einsatz einer Frau, deren Namen ich leider nicht mehr erinnere. Sie arbeitete im Auftrag einer Hilfsorganisation für den zivilen Aufbau im ländlichen Afghanistan. Diese Frau arbeitete mit viel Empathie und Fingerspitzengefühl für die afghanische Kultur. Vor den Dorfältesten stellte sie sich z.B. behutsam als Tochter eines deutschen Vaters vor, die eigentlich nach dessen Wunsch ein Sohn hätte sein sollen. (was es den Dorfältesten erleichterte, dieser Frau zuzuhören). Bevor sie ihre Hilfsangebote offenbarte, erlangte sie zunächst das Vertrauen der Chefs im Dorf, was gleichzeitig Sicherheit bedeutete.
Zwei Eindrücke aus diesem Dorf blieben mir besonders in Erinnerung. Zunächst war es Tradition, dass wesentlich ältere Männer sehr Junge Frauen bzw. Mädchen heirateten. Dies festigte ihre Machtposition gegenüber den Frauen. (UNICEF Foto des Jahres 2007 wurde übrigens ein Brautpaar in Afghanistan, er ist 40 Jahre alt, sie 11 Jahre...) Die jungen Frauen/Mädchen waren dann routinemäßig als Mütter überfordert. Sie waren viel zu jung und unerfahren, keiner half mit Rat und Tat bei der Pflege der Säuglinge. Die deutsche Helferin berichtete entsprechend, dass trotz ausreichender Versorgung mit Lebensmitteln viele Säuglinge starben, einfach aus dem Unwissen der Mutter bzw. Eltern, wie diese zu ernähren seien.
Der zweite bei mir nachhallende Eindruck war, dass die Säuglinge in feste Tücher, straff gewickelt bewegungsunfähig und alleine für längere Zeit in einem Raum belassen wurden, um sie ruhig zu stellen. (Auf den inneren Terror, der dadurch schon bei Säuglingen entsteht, hat insbesondere der Psychohistoriker Lloyd deMause immer wieder hingewiesen) Die Helferin sagte den Vätern dieser Säuglinge, dass ihre Kinder nicht stark und kräftig werden würden, wenn sie sich nicht bewegen würden können. Das verstanden diese. Ihre Schockiertheit über diese Zustände musste sie dabei zurückhalten und eben Argumente finden, die für die Kultur des Dorfes verständlich waren.
Bisher habe ich nicht viel über die Kindheit in Afghanistan gefunden: Die Kindersterblichkeitsrate ist enorm hoch. 154,67 von 1000 Kindern starben im Jahr 2008. (vgl. index mundi, Afghanistan Kindersterblichkeit) Die Caritas gibt an, dass im Schnitt 165 von 1.000 Kindern sterben, bei oder kurz nach der Geburt. 279 von 1.000 Kindern, so zeigen die Statistiken weiter, sterben noch innerhalb der ersten fünf Lebensjahre. (http://www.caritas-international.de/10347.html)
Lloyd deMause hat kurz auf die mittelalterlichen Erziehungspraktiken in diesem Land hingewiesen. (vgl. deMause, 2005, S. 39ff) Auf Grund der enormen Gewaltbereitschaft, die in Afghanistan herrscht, ist - folgt man den Grundthesen dieses Blogs - mit einem hohen Ausmass an Gewalt und Vernachlässigung gegenüber den afghanischen Kindern zu rechnen. Nach Schätzungen von UNICEF heiratet rund die Hälfte der afghanischen Frauen, bevor sie 18 Jahre alt sind. Insofern ist allein auf Grund dieser Information auch mit einem sehr hohen Ausmass von sexuellem Missbrauch zu rechnen. Bei den Kindern müsste eine Friedenspolitik, die auf langfristige Erfolge baut, ansetzen.
(Nachträgliche Ergänzung wichtiger Zahlen über häusliche Gewalt in Afghanistan: "Afghanistan. Gewalt gegen Kinder und er(un)mögliche Frieden")
Der erste Schritt wäre, auf Grund des fehlenden Datenmaterials den üblichen Umgang mit den Kindern vor Ort gründlich zu untersuchen und zusätzlich Erwachsene repräsentativ nach ihren Kindheitserfahrungen zu befragen. Dabei wäre es auch insbesondere interessant, wie sich ggf. die Kindheit von Talibankämpfern, Nicht-Talibananhängern und Taliban-Gegnern unterscheidet. Danach müsste die internationale Staatengemeinschaft einen großflächigen Plan entwickeln, wie man den afghanischen Kindern schnellstmöglich und nachhaltig helfen kann (und zwar in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Entscheidungsträgern der Afghanen). Eine Idee wäre dabei, in Europa und Nordamerika lebende Afghanen, die fortschrittlichere Erziehungsmethoden kennengelernt und für sich übernommen haben, als HelferInnen für diesen Einsatz in ihrem Heimatland zu gewinnen. Diese könnten sicherlich auch sehr gute Vorschläge machen, wie man kulturbedingte Probleme überwinden könnte und am Besten an die Sache heran geht. Für die kommende Generation wäre dies eine Chance für einen wirklichen Schritt hin zu einer Demokratie und zu einem friedlicheren Miteinander. Afghanistan braucht vor allem mehr Kinderschutz und nicht mehr deutsche Soldaten!
Leider ist absehbar, dass dies von der Politik nicht erkannt werden wird. Dabei ist dieser Vorschlag nicht unrealistisch, stehen doch im Grunde genügend Mittel zur "Lösung des Problems" zur Verfügung. Die deutsche Beteiligung am Afghanistaneinsatz kostet die Steuerzahler für den Zeitraum von zwölf Monaten - nach offiziellen Angaben - insgesamt rund 487 Millionen Euro. Das Pentagon bezifferte die Ausgaben speziell zum Afghanistan-Einsatz der US-Armee auf 78,1 Milliarden Dollar – für sechs Jahre Krieg seit 2001. (vgl. stern.de, 12.10.2007, Einsatzkosten Afghanistan "Dingos, Drohnen und Auslandszulagen") Bei einem afghanischen Pro-Kopf Bruttoinlandsprodukt (Stand 2008) von 758 US-Dollar wird deutlich, was man alles mit dem Geld, das für den Krieg ausgegeben wurde und wird, hätte realisieren können.
Ich erinnere mich an einen spannenden Fernsehbericht über den Einsatz einer Frau, deren Namen ich leider nicht mehr erinnere. Sie arbeitete im Auftrag einer Hilfsorganisation für den zivilen Aufbau im ländlichen Afghanistan. Diese Frau arbeitete mit viel Empathie und Fingerspitzengefühl für die afghanische Kultur. Vor den Dorfältesten stellte sie sich z.B. behutsam als Tochter eines deutschen Vaters vor, die eigentlich nach dessen Wunsch ein Sohn hätte sein sollen. (was es den Dorfältesten erleichterte, dieser Frau zuzuhören). Bevor sie ihre Hilfsangebote offenbarte, erlangte sie zunächst das Vertrauen der Chefs im Dorf, was gleichzeitig Sicherheit bedeutete.
Zwei Eindrücke aus diesem Dorf blieben mir besonders in Erinnerung. Zunächst war es Tradition, dass wesentlich ältere Männer sehr Junge Frauen bzw. Mädchen heirateten. Dies festigte ihre Machtposition gegenüber den Frauen. (UNICEF Foto des Jahres 2007 wurde übrigens ein Brautpaar in Afghanistan, er ist 40 Jahre alt, sie 11 Jahre...) Die jungen Frauen/Mädchen waren dann routinemäßig als Mütter überfordert. Sie waren viel zu jung und unerfahren, keiner half mit Rat und Tat bei der Pflege der Säuglinge. Die deutsche Helferin berichtete entsprechend, dass trotz ausreichender Versorgung mit Lebensmitteln viele Säuglinge starben, einfach aus dem Unwissen der Mutter bzw. Eltern, wie diese zu ernähren seien.
Der zweite bei mir nachhallende Eindruck war, dass die Säuglinge in feste Tücher, straff gewickelt bewegungsunfähig und alleine für längere Zeit in einem Raum belassen wurden, um sie ruhig zu stellen. (Auf den inneren Terror, der dadurch schon bei Säuglingen entsteht, hat insbesondere der Psychohistoriker Lloyd deMause immer wieder hingewiesen) Die Helferin sagte den Vätern dieser Säuglinge, dass ihre Kinder nicht stark und kräftig werden würden, wenn sie sich nicht bewegen würden können. Das verstanden diese. Ihre Schockiertheit über diese Zustände musste sie dabei zurückhalten und eben Argumente finden, die für die Kultur des Dorfes verständlich waren.
Bisher habe ich nicht viel über die Kindheit in Afghanistan gefunden: Die Kindersterblichkeitsrate ist enorm hoch. 154,67 von 1000 Kindern starben im Jahr 2008. (vgl. index mundi, Afghanistan Kindersterblichkeit) Die Caritas gibt an, dass im Schnitt 165 von 1.000 Kindern sterben, bei oder kurz nach der Geburt. 279 von 1.000 Kindern, so zeigen die Statistiken weiter, sterben noch innerhalb der ersten fünf Lebensjahre. (http://www.caritas-international.de/10347.html)
Lloyd deMause hat kurz auf die mittelalterlichen Erziehungspraktiken in diesem Land hingewiesen. (vgl. deMause, 2005, S. 39ff) Auf Grund der enormen Gewaltbereitschaft, die in Afghanistan herrscht, ist - folgt man den Grundthesen dieses Blogs - mit einem hohen Ausmass an Gewalt und Vernachlässigung gegenüber den afghanischen Kindern zu rechnen. Nach Schätzungen von UNICEF heiratet rund die Hälfte der afghanischen Frauen, bevor sie 18 Jahre alt sind. Insofern ist allein auf Grund dieser Information auch mit einem sehr hohen Ausmass von sexuellem Missbrauch zu rechnen. Bei den Kindern müsste eine Friedenspolitik, die auf langfristige Erfolge baut, ansetzen.
(Nachträgliche Ergänzung wichtiger Zahlen über häusliche Gewalt in Afghanistan: "Afghanistan. Gewalt gegen Kinder und er(un)mögliche Frieden")
Der erste Schritt wäre, auf Grund des fehlenden Datenmaterials den üblichen Umgang mit den Kindern vor Ort gründlich zu untersuchen und zusätzlich Erwachsene repräsentativ nach ihren Kindheitserfahrungen zu befragen. Dabei wäre es auch insbesondere interessant, wie sich ggf. die Kindheit von Talibankämpfern, Nicht-Talibananhängern und Taliban-Gegnern unterscheidet. Danach müsste die internationale Staatengemeinschaft einen großflächigen Plan entwickeln, wie man den afghanischen Kindern schnellstmöglich und nachhaltig helfen kann (und zwar in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Entscheidungsträgern der Afghanen). Eine Idee wäre dabei, in Europa und Nordamerika lebende Afghanen, die fortschrittlichere Erziehungsmethoden kennengelernt und für sich übernommen haben, als HelferInnen für diesen Einsatz in ihrem Heimatland zu gewinnen. Diese könnten sicherlich auch sehr gute Vorschläge machen, wie man kulturbedingte Probleme überwinden könnte und am Besten an die Sache heran geht. Für die kommende Generation wäre dies eine Chance für einen wirklichen Schritt hin zu einer Demokratie und zu einem friedlicheren Miteinander. Afghanistan braucht vor allem mehr Kinderschutz und nicht mehr deutsche Soldaten!
Leider ist absehbar, dass dies von der Politik nicht erkannt werden wird. Dabei ist dieser Vorschlag nicht unrealistisch, stehen doch im Grunde genügend Mittel zur "Lösung des Problems" zur Verfügung. Die deutsche Beteiligung am Afghanistaneinsatz kostet die Steuerzahler für den Zeitraum von zwölf Monaten - nach offiziellen Angaben - insgesamt rund 487 Millionen Euro. Das Pentagon bezifferte die Ausgaben speziell zum Afghanistan-Einsatz der US-Armee auf 78,1 Milliarden Dollar – für sechs Jahre Krieg seit 2001. (vgl. stern.de, 12.10.2007, Einsatzkosten Afghanistan "Dingos, Drohnen und Auslandszulagen") Bei einem afghanischen Pro-Kopf Bruttoinlandsprodukt (Stand 2008) von 758 US-Dollar wird deutlich, was man alles mit dem Geld, das für den Krieg ausgegeben wurde und wird, hätte realisieren können.
Freitag, 10. Juli 2009
Kindheit von Albert Einstein
„Von seiner Familie hatte Einstein Nestwärme, Unterstützung und Anerkennung erfahren.“ formulierte der Einstein Biograph Johannes Wickert. Für mich Grund genug, noch etwas ausführlicher auf die Familie Einstein einzugehen, die einen so außergewöhnlichen Geist hervorgebracht hat:
„Sollte man sich seine Eltern aussuchen können? Im Hinblick auf Albert Einsteins Elternhaus möchte man dies fast bejahen.“ schrieb Till Schauen für das ZDF. „Er hätte kaum ein besseres Klima für seine geistige Entwicklung finden können. Vater Hermann, ein Freidenker, äußerte sich wenig respektvoll über Dogmen und Rituale. Starres Obrigkeitsdenken, seinerzeit in den deutschen Staaten üblich, war Hermann und Pauline Einstein fremd. Sie dachten fortschrittlich und liberal, förderten Belesenheit und pflegten das gemeinschaftliche Gespräch bei Tisch (seinerzeit durchaus keine Selbstverständlichkeit) und die Musik. Albert wurde zu nichts gezwungen. Man ließ ihm Raum zum Atmen. Auf diese Formel lässt sich bringen, wie Albert Einstein sich in seinem Elternhaus gefühlt haben muss. Selbst sein verzögerter Spracherwerb, seine Anfälle von Jähzorn und die Verweigerung von sozialen Kontakten wurden geduldet - solche Verhaltensauffälligkeiten würden heute eine Einschulung deutlich erschweren. Albert wurde behutsam mit Reizen gefüttert und stimuliert, die sein Wesen formten.“ (ZDF / Till Schauen, 2005: Albert Einstein Biografie, Querdenker & Weltbürger Albert Einstein 1879 bis 1896 – Kindheit & Jugend
http://www.zdf.de/ZDFxt/module/einsteinbio/pdf/biografie_druckversion.pdf)
Der Autor hat hier gut zusammengefasst, was ich bei meiner Recherche zu Albert Einsteins Kindheit immer wieder las. In der Familie Einstein herrschte ein liberaler, freundlicher Geist, Förderung, Harmonie in der Ehe und ein liebevoller Umgang mit den Kindern. Der Vater wird als gütige Person, die Mutter als diszipliniert und fürsorglich beschrieben. Albert Einstein wurde am 14.03.1879 geboren und eine solche Familienatmosphäre war für diese Zeit wirklich etwas sehr außergewöhnliches. War doch die deutsche Kindheit um 1900 im Allgemeinen „ein Alptraum von Mord, Vernachlässigung, prügeln und Folter“ von unschuldigen, hilflosen Kindern, wie der Psychohistoriker Lloyd deMause schrieb.
„Überblickt man die biographischen Dokumente, die zu seinem Werdegang gesammelt wurden, so sind Einsteins Kindheit und Jugendzeit als glücklich, aber auch als dornig einzustufen: Er erfuhr Geborgenheit in seiner Familie, Anregung und Ermutigung; es wurde nicht – wovor er einmal warnte – zuviel erzogen. Dornig war seine Entwicklung, weil er sich schon in der Kindheit als Einspänner entpuppte – abseits stand und trabte. Aber gerade seiner früh ausgeprägten Individualität verdankt er eine sich bereits in jungen Jahren ausbildende Selbständigkeit und die Einübung eigenständigen Denkens.“ (Leseprobe: "Monographie
Albert Einstein" von Johannes Wickert, 2005.
Die Familie spielt in Alberts Lebens eine große Rolle, gerade auch, weil er in der Schule eher ein Außenseiter war. Zu Hause tauscht er sich mit Vater und Onkel über interessante Themen aus der Welt der Technik aus, die Mutter fördert dagegen seine kreativen Fähigkeiten. Zu seiner Schwester Maja hatte Albert ebenfalls ein gutes Verhältnis. (vgl. Strauch, D. 2007: Alles ist relativ. Die Lebensgeschichte des Albert Einstein. Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim, S. 13ff) Auch seine Großmutter fand ihn lieb und brav und schwärmte von den lustigen Einfällen des kleinen Albert. (PLUS LUCIS 2/96, Gedanken zur Kindheit von Albert Einstein, von Gabriele Kerber und Marie -Therese Rösner)
Seine Eltern förderten ungewöhnlich früh Alberts Entwicklung von Selbstvertrauen. Noch vor seinem vierten Lebensjahr hielten sie ihn beispielsweise dazu an, in der Nachbarschaft herumzustreifen und alleine die Straßen der Umgebung zu überqueren (freilich schauten sie ihm dabei heimlich die ersten male zu, um sich zu vergewissern, dass er vor dem Überqueren auch nach beiden Seiten schaute.) (vgl. Brian, D. 2005: Einstein. Sein Leben. Wiley-VCH, S.3)
Wen wundert es nach diesen ganzen Einblicken, dass Albert schon früh als Schüler offen die militärische Disziplin und Strenge der Lehrer verabscheute, war er doch von zu Hause einen ganz anderen Ton gewohnt. „Am schlimmsten scheint es mir zu sein, wenn eine Schule hauptsächlich mit den Mitteln von Furcht, Zwang und künstlicher Autorität arbeitet. Solche Behandlung vernichtet das gesunde Lebensgefühl, die Aufrichtigkeit und das Selbstvertrauen des Schülers. Sie erzeugt den unterwürfigen Untertan.“ (vgl. Strauch, 2007, S. 13)
Einstein zeichnet sich als Persönlichkeit durch sein Temperament, seinen Eigensinn, seine Willensstärke und Entschlossenheit, sein Genie und durch Charme und Witz aus. Er galt zudem als Pazifist und nahm bereits im Zuge des Ersten Weltkriegs an Protesten gegen den Krieg teil. Natürlich möchte ich hier nicht sagen, dass aus allen Kindern, die Geborgenheit und Förderung in der Art wie oben beschrieben erfahren, ein „Einstein“ wird. Einstein war einzigartig, wie jeder Mensch. Ich glaube aber, dass Menschen ihre naturgegebenen Potentiale am Besten unter einer freundlichen und liebevollen familiären Atmosphäre entwickeln können und dass diese Potentiale eher nicht zur vollen Entfaltung kommen, wenn Gewalt und Missbrauch das Klima beherrscht. Und ich bin fest davon überzeugt, dass Einsteins Pazifismus kein rein intellektueller war, sondern viel mehr ein emotionaler, der sich ihm tief durch sein friedliches Elternhaus eingeprägt hat. Einsteins Kindheit steht für mich (wie die von Astrid Lindgren und auch die von Alice Schwarzer, siehe letzten Beiträge) als Vorbild für eine friedlichere, menschlichere und individualisiertere Zukunft.
An Hand einige Zitate wird auch noch mal abschließend deutlich, wie sehr Albert Einsteins Sicht auf die Welt von seiner Kindheit geprägt war:
- „Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt.“
- „Wenn Sie möchten, dass Ihre Kinder intelligent werden, erzählen Sie ihnen Märchen. Wenn Sie möchten, dass sie hochintelligent werden, erzählen Sie ihnen noch mehr Märchen.“ (Das war die Antwort von Albert Einstein auf die Frage, ob Märchen für Kinder wichtig sind. Ich bin mir sicher, dass Albert als Kind etliche Märchen vorgelesen bekommen hat :-). Und vielleicht brachte diese elterliche Förderung von Fantasie ihn auch zu der Erkenntnis bzw. dem vielzitierten Satz "Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt")
„Sollte man sich seine Eltern aussuchen können? Im Hinblick auf Albert Einsteins Elternhaus möchte man dies fast bejahen.“ schrieb Till Schauen für das ZDF. „Er hätte kaum ein besseres Klima für seine geistige Entwicklung finden können. Vater Hermann, ein Freidenker, äußerte sich wenig respektvoll über Dogmen und Rituale. Starres Obrigkeitsdenken, seinerzeit in den deutschen Staaten üblich, war Hermann und Pauline Einstein fremd. Sie dachten fortschrittlich und liberal, förderten Belesenheit und pflegten das gemeinschaftliche Gespräch bei Tisch (seinerzeit durchaus keine Selbstverständlichkeit) und die Musik. Albert wurde zu nichts gezwungen. Man ließ ihm Raum zum Atmen. Auf diese Formel lässt sich bringen, wie Albert Einstein sich in seinem Elternhaus gefühlt haben muss. Selbst sein verzögerter Spracherwerb, seine Anfälle von Jähzorn und die Verweigerung von sozialen Kontakten wurden geduldet - solche Verhaltensauffälligkeiten würden heute eine Einschulung deutlich erschweren. Albert wurde behutsam mit Reizen gefüttert und stimuliert, die sein Wesen formten.“ (ZDF / Till Schauen, 2005: Albert Einstein Biografie, Querdenker & Weltbürger Albert Einstein 1879 bis 1896 – Kindheit & Jugend
http://www.zdf.de/ZDFxt/module/einsteinbio/pdf/biografie_druckversion.pdf)
Der Autor hat hier gut zusammengefasst, was ich bei meiner Recherche zu Albert Einsteins Kindheit immer wieder las. In der Familie Einstein herrschte ein liberaler, freundlicher Geist, Förderung, Harmonie in der Ehe und ein liebevoller Umgang mit den Kindern. Der Vater wird als gütige Person, die Mutter als diszipliniert und fürsorglich beschrieben. Albert Einstein wurde am 14.03.1879 geboren und eine solche Familienatmosphäre war für diese Zeit wirklich etwas sehr außergewöhnliches. War doch die deutsche Kindheit um 1900 im Allgemeinen „ein Alptraum von Mord, Vernachlässigung, prügeln und Folter“ von unschuldigen, hilflosen Kindern, wie der Psychohistoriker Lloyd deMause schrieb.
„Überblickt man die biographischen Dokumente, die zu seinem Werdegang gesammelt wurden, so sind Einsteins Kindheit und Jugendzeit als glücklich, aber auch als dornig einzustufen: Er erfuhr Geborgenheit in seiner Familie, Anregung und Ermutigung; es wurde nicht – wovor er einmal warnte – zuviel erzogen. Dornig war seine Entwicklung, weil er sich schon in der Kindheit als Einspänner entpuppte – abseits stand und trabte. Aber gerade seiner früh ausgeprägten Individualität verdankt er eine sich bereits in jungen Jahren ausbildende Selbständigkeit und die Einübung eigenständigen Denkens.“ (Leseprobe: "Monographie
Albert Einstein" von Johannes Wickert, 2005.
Die Familie spielt in Alberts Lebens eine große Rolle, gerade auch, weil er in der Schule eher ein Außenseiter war. Zu Hause tauscht er sich mit Vater und Onkel über interessante Themen aus der Welt der Technik aus, die Mutter fördert dagegen seine kreativen Fähigkeiten. Zu seiner Schwester Maja hatte Albert ebenfalls ein gutes Verhältnis. (vgl. Strauch, D. 2007: Alles ist relativ. Die Lebensgeschichte des Albert Einstein. Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim, S. 13ff) Auch seine Großmutter fand ihn lieb und brav und schwärmte von den lustigen Einfällen des kleinen Albert. (PLUS LUCIS 2/96, Gedanken zur Kindheit von Albert Einstein, von Gabriele Kerber und Marie -Therese Rösner)
Seine Eltern förderten ungewöhnlich früh Alberts Entwicklung von Selbstvertrauen. Noch vor seinem vierten Lebensjahr hielten sie ihn beispielsweise dazu an, in der Nachbarschaft herumzustreifen und alleine die Straßen der Umgebung zu überqueren (freilich schauten sie ihm dabei heimlich die ersten male zu, um sich zu vergewissern, dass er vor dem Überqueren auch nach beiden Seiten schaute.) (vgl. Brian, D. 2005: Einstein. Sein Leben. Wiley-VCH, S.3)
Wen wundert es nach diesen ganzen Einblicken, dass Albert schon früh als Schüler offen die militärische Disziplin und Strenge der Lehrer verabscheute, war er doch von zu Hause einen ganz anderen Ton gewohnt. „Am schlimmsten scheint es mir zu sein, wenn eine Schule hauptsächlich mit den Mitteln von Furcht, Zwang und künstlicher Autorität arbeitet. Solche Behandlung vernichtet das gesunde Lebensgefühl, die Aufrichtigkeit und das Selbstvertrauen des Schülers. Sie erzeugt den unterwürfigen Untertan.“ (vgl. Strauch, 2007, S. 13)
Einstein zeichnet sich als Persönlichkeit durch sein Temperament, seinen Eigensinn, seine Willensstärke und Entschlossenheit, sein Genie und durch Charme und Witz aus. Er galt zudem als Pazifist und nahm bereits im Zuge des Ersten Weltkriegs an Protesten gegen den Krieg teil. Natürlich möchte ich hier nicht sagen, dass aus allen Kindern, die Geborgenheit und Förderung in der Art wie oben beschrieben erfahren, ein „Einstein“ wird. Einstein war einzigartig, wie jeder Mensch. Ich glaube aber, dass Menschen ihre naturgegebenen Potentiale am Besten unter einer freundlichen und liebevollen familiären Atmosphäre entwickeln können und dass diese Potentiale eher nicht zur vollen Entfaltung kommen, wenn Gewalt und Missbrauch das Klima beherrscht. Und ich bin fest davon überzeugt, dass Einsteins Pazifismus kein rein intellektueller war, sondern viel mehr ein emotionaler, der sich ihm tief durch sein friedliches Elternhaus eingeprägt hat. Einsteins Kindheit steht für mich (wie die von Astrid Lindgren und auch die von Alice Schwarzer, siehe letzten Beiträge) als Vorbild für eine friedlichere, menschlichere und individualisiertere Zukunft.
An Hand einige Zitate wird auch noch mal abschließend deutlich, wie sehr Albert Einsteins Sicht auf die Welt von seiner Kindheit geprägt war:
- „Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt.“
- „Wenn Sie möchten, dass Ihre Kinder intelligent werden, erzählen Sie ihnen Märchen. Wenn Sie möchten, dass sie hochintelligent werden, erzählen Sie ihnen noch mehr Märchen.“ (Das war die Antwort von Albert Einstein auf die Frage, ob Märchen für Kinder wichtig sind. Ich bin mir sicher, dass Albert als Kind etliche Märchen vorgelesen bekommen hat :-). Und vielleicht brachte diese elterliche Förderung von Fantasie ihn auch zu der Erkenntnis bzw. dem vielzitierten Satz "Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt")
Freitag, 12. Juni 2009
Interview mit "Beinahe-Amokläufer"
In der aktuellen EMMA wird als Titelthema ein junger Mann (Pseudonym „Sven“) vorgestellt, der ganz offen über seine früheren Amokfantasien spricht. Vermittelt wurde der Kontakt über den Kriminologen Prof. Dr. Pfeiffer. Das Interview mit „Sven“ wird von der EMMA genutzt, um ihre These vom Zusammenhang von Frauenhass/männlicher Sozialisation und Amokläufen zu stützen. Ich fand die Einblicke in „Svens“ Kindheit und die Folgen daraus wesentlich aufschlussreicher.
Svens Kindheitserfahrungen/Familiensituation (Zusammenfassung auf Grundlage des Interviews):
Eltern sind beide Alkoholiker und überfordert, die Mutter hat psychische Probleme und starke Stimmungsschwankungen („von supernett bis extrem autoritär“), Mutter „delegierte“ körperliche Gewalt an den Vater (ist hier also auch beteiligt!), der Vater hat „ordentlich geprügelt“ und war sonst in der Familie eher abwesend, Mutter übte totale Isolation und Kontrolle über die Kinder aus (kein Kindergartenbesuch, kein Fussballverein, keine Klassenfahrten wurden erlaubt, weil “da hätten wir ja darüber reden können, was bei uns zu Hause so los war“), keine Bekundungen von Liebe (außer als Sven schon erwachsen war, wo ihm seine Mutter das erste mal in seinem Leben sagte, dass sie stolz auf ihn sei und ihn liebe)
Kurz gesagt: Diese Kindheit war wirklich ein Albtraum! (Es freut mich nebenbei bemerkt für „Sven“, dass er trotz allem und wohl auch dank einer längeren Therapie heute seinen Weg zum Leben und auch einen Weg im Umgang mit seinen Eltern gefunden hat.)
Berichtete Folgen: Hass auf die Mutter (als Sven noch klein war), unerträgliche Gefühle, wenn sie ihn in den Arm nehmen möchte, später dann Hass auf den Vater und Verachtung für diesen, totaler Hass auf die ganze Gesellschaft, Hass auf seine religiöse Erziehung, Selbstmordgedanken („Es wäre ja langweilig, sich vor den Zug zu werfen, das sieht doch keiner.“), Zwangsstörungen, Zählzwang, Kontrollzwänge, Angst aus dem Haus zu gehen, Angst vor dem ganzen Leben, Depressionen, Außenseiterrolle in der Schule, konkrete Amokfantasien.
Ich habe sicherlich keinen gesamten Überblick über alle Medienberichte. Zumindest innerhalb der Beiträge, die ich in den letzten Wochen zum Thema Amoklauf gesehen und gehört habe, war der Faktor Kindesmisshandlung kein Thema. Und das ist in der Tat erstaunlich bei so naheliegenden ursächlichen Faktoren (und jetzt auch dem Beispiel “Sven“). Und vor allem wäre der präventive Ansatz dann auch ein ganz anderer, aufwendigerer, grundlegenderer.
Besonders interessant – gerade auch für diesen Blog – fand ich folgende Stelle im Interview:
Frage der EMMA: Sie sind nach dem Abitur zur Bundeswehr gegangen?
“Sven“: Da kam ich gut klar! Das war so eine ganz archaische Sache. Ich wurde total gefordert, bekam auch schon mal Tadel, aber auch Lob. Wir hatte alle Uniformen an, waren alle gleich. Unser einziges Feindbild waren die Vorgesetzten, untereinander haben wir total zusammengehalten. In dieser Zeit hatte ich auch nicht mehr diese Amokfantasien.
(EMMA Mai/Juni 2009, „Amokläufer”, S. 21)
Das Militär zieht Menschen mit einer problematischen Sozialisation systematisch an, so meine These im Grundlagentext, die hier erneut belegt wird. Uniformität, Kameradschaft, Leistungsdruck, Unterordnung, Legitimität von Gewalt und insbesondere Feindbilder lenken von eigenen inneren Problemen und Konflikten ab. Ich fand es sehr aufschlussreich, dass „Svens“ Amokfantasien seine Schulzeit über da waren, aber während seiner Bundeswehrzeit verschwanden. Als „Giftcontainer“ dienten jetzt einfach neue Hassobjekte.
Siehe ergänzend zu diesem Beitrag auch "Amoklauf von Winnenden und die Medien"
Svens Kindheitserfahrungen/Familiensituation (Zusammenfassung auf Grundlage des Interviews):
Eltern sind beide Alkoholiker und überfordert, die Mutter hat psychische Probleme und starke Stimmungsschwankungen („von supernett bis extrem autoritär“), Mutter „delegierte“ körperliche Gewalt an den Vater (ist hier also auch beteiligt!), der Vater hat „ordentlich geprügelt“ und war sonst in der Familie eher abwesend, Mutter übte totale Isolation und Kontrolle über die Kinder aus (kein Kindergartenbesuch, kein Fussballverein, keine Klassenfahrten wurden erlaubt, weil “da hätten wir ja darüber reden können, was bei uns zu Hause so los war“), keine Bekundungen von Liebe (außer als Sven schon erwachsen war, wo ihm seine Mutter das erste mal in seinem Leben sagte, dass sie stolz auf ihn sei und ihn liebe)
Kurz gesagt: Diese Kindheit war wirklich ein Albtraum! (Es freut mich nebenbei bemerkt für „Sven“, dass er trotz allem und wohl auch dank einer längeren Therapie heute seinen Weg zum Leben und auch einen Weg im Umgang mit seinen Eltern gefunden hat.)
Berichtete Folgen: Hass auf die Mutter (als Sven noch klein war), unerträgliche Gefühle, wenn sie ihn in den Arm nehmen möchte, später dann Hass auf den Vater und Verachtung für diesen, totaler Hass auf die ganze Gesellschaft, Hass auf seine religiöse Erziehung, Selbstmordgedanken („Es wäre ja langweilig, sich vor den Zug zu werfen, das sieht doch keiner.“), Zwangsstörungen, Zählzwang, Kontrollzwänge, Angst aus dem Haus zu gehen, Angst vor dem ganzen Leben, Depressionen, Außenseiterrolle in der Schule, konkrete Amokfantasien.
Ich habe sicherlich keinen gesamten Überblick über alle Medienberichte. Zumindest innerhalb der Beiträge, die ich in den letzten Wochen zum Thema Amoklauf gesehen und gehört habe, war der Faktor Kindesmisshandlung kein Thema. Und das ist in der Tat erstaunlich bei so naheliegenden ursächlichen Faktoren (und jetzt auch dem Beispiel “Sven“). Und vor allem wäre der präventive Ansatz dann auch ein ganz anderer, aufwendigerer, grundlegenderer.
Besonders interessant – gerade auch für diesen Blog – fand ich folgende Stelle im Interview:
Frage der EMMA: Sie sind nach dem Abitur zur Bundeswehr gegangen?
“Sven“: Da kam ich gut klar! Das war so eine ganz archaische Sache. Ich wurde total gefordert, bekam auch schon mal Tadel, aber auch Lob. Wir hatte alle Uniformen an, waren alle gleich. Unser einziges Feindbild waren die Vorgesetzten, untereinander haben wir total zusammengehalten. In dieser Zeit hatte ich auch nicht mehr diese Amokfantasien.
(EMMA Mai/Juni 2009, „Amokläufer”, S. 21)
Das Militär zieht Menschen mit einer problematischen Sozialisation systematisch an, so meine These im Grundlagentext, die hier erneut belegt wird. Uniformität, Kameradschaft, Leistungsdruck, Unterordnung, Legitimität von Gewalt und insbesondere Feindbilder lenken von eigenen inneren Problemen und Konflikten ab. Ich fand es sehr aufschlussreich, dass „Svens“ Amokfantasien seine Schulzeit über da waren, aber während seiner Bundeswehrzeit verschwanden. Als „Giftcontainer“ dienten jetzt einfach neue Hassobjekte.
Siehe ergänzend zu diesem Beitrag auch "Amoklauf von Winnenden und die Medien"
Mittwoch, 10. Juni 2009
Info zur Schließung meiner alten Homepage
Ab 10. Juni 2009 ist meine alte Homepage offline!
Mit dem Gedanken, die Page zu schließen, hatte ich schon längere Zeit gespielt. Ich muss gestehen, dass ich dabei hin und her gerissen war, weil in den zusammengestellten Informationen sehr viel Zeit und Arbeit steckt und es für andere Menschen sicherlich weiter hilfreich wäre, auf diese zugreifen zu können. Für mich persönlich ist die Homepage nicht mehr hilfreich, sondern eher eine Last. Aktualisierungen kosten Zeit und Kraft. Außerdem trage ich durch den ständigen Onlineauftritt auch eine ständige Verantwortung, auch das kostet Kraft. Schließlich hatte ich pro Tag bis zu 200 Besucher auf die Homepage und bei Googel eine extrem gute Treffersortierung bei entsprechenden Stichworten. Ich kann mich außerdem nicht mehr wirklich mit dem Projekt identifizieren, das ich genau genommen hauptsächlich in den Jahren 2002/2003 vorangetrieben und danach nur phasenweise ergänzt habe. Es macht für mich dadurch nun durchaus Sinn, dieses Kapitel zu beenden.
Viele Menschen haben lesend den Weg der Homepage in den letzten Jahren begleitet und mir viel positives Feedback gegeben, dafür möchte ich mich herzlich bedanken!. Ich denke, dass ich in dieser Zeit einiges bewegen konnte, sowohl bei mir, als auch bei anderen Menschen, was mich natürlich sehr freut.
Der Text „(destruktive) Kindheitserfahrungen im Kontext von Krieg“ ist der für mich derzeit wichtigste aus dem alten Projekt. In dem Text steckt viel Arbeit und Zeit und ich möchte ihn unbedingt in diesem extra eingerichteten Blog erhalten und auch ergänzen:. http://kriegsursachen.blogspot.com/
Mich interessiert jetzt mehr die Politik bzw. die politischen Konsequenzen der Gewalt gegen Kinder. Dies erfordert für mich einen neuen Raum in Form eines Blogs, der mir mehr Freiheit für meine Gedanken gibt, als eine feststehende Homepage. Vorteil ist dabei für mich eindeutig auch die zeitliche Kennzeichnung von Beiträgen und die „Lockerheit“ eines Blogs. Der Grundlagentext zu diesem speziellen Thema hinterließ bei mir noch viele aufgestaute Gedanken, die ich hier noch mal aufgeschrieben habe. Das meiste ist allerdings gesagt und ich werde nur noch hier und da mal ein paar Gedanken aufschreiben.
Was den Erhalt anderer wichtiger Texte angeht, bin ich bemüht, diese einem großen Onlineprojekt zu übertragen. Ob dies alles so klappt, wie ich mir das vorstelle und wann dies genau sein wird, kann ich leider noch nicht genau sagen. Ich werde innerhalb dieses Textes ganz unten auf jeden Fall eine aktualisierte Mitteilung hinterlassen, wenn alles über die Bühne gegangen ist. Weiterhin bin ich auf Anfrage gerne bereit, Texte, die Euch noch bekannt und wichtig sind, zur Veröffentlichung auf anderen Homepages freizugeben.
Ein Projekt hat bereits den Text über die „Gewalt gegen Kinder in der Geschichte“ übernommen – siehe hier: http://gewalt-im-jhh.de/Blick_uber_den_Tellerrand/Die_Gewalt_gegen_Kinder_in_der_Geschichte.doc
Viele Grüße
Mit dem Gedanken, die Page zu schließen, hatte ich schon längere Zeit gespielt. Ich muss gestehen, dass ich dabei hin und her gerissen war, weil in den zusammengestellten Informationen sehr viel Zeit und Arbeit steckt und es für andere Menschen sicherlich weiter hilfreich wäre, auf diese zugreifen zu können. Für mich persönlich ist die Homepage nicht mehr hilfreich, sondern eher eine Last. Aktualisierungen kosten Zeit und Kraft. Außerdem trage ich durch den ständigen Onlineauftritt auch eine ständige Verantwortung, auch das kostet Kraft. Schließlich hatte ich pro Tag bis zu 200 Besucher auf die Homepage und bei Googel eine extrem gute Treffersortierung bei entsprechenden Stichworten. Ich kann mich außerdem nicht mehr wirklich mit dem Projekt identifizieren, das ich genau genommen hauptsächlich in den Jahren 2002/2003 vorangetrieben und danach nur phasenweise ergänzt habe. Es macht für mich dadurch nun durchaus Sinn, dieses Kapitel zu beenden.
Viele Menschen haben lesend den Weg der Homepage in den letzten Jahren begleitet und mir viel positives Feedback gegeben, dafür möchte ich mich herzlich bedanken!. Ich denke, dass ich in dieser Zeit einiges bewegen konnte, sowohl bei mir, als auch bei anderen Menschen, was mich natürlich sehr freut.
Der Text „(destruktive) Kindheitserfahrungen im Kontext von Krieg“ ist der für mich derzeit wichtigste aus dem alten Projekt. In dem Text steckt viel Arbeit und Zeit und ich möchte ihn unbedingt in diesem extra eingerichteten Blog erhalten und auch ergänzen:. http://kriegsursachen.blogspot.com/
Mich interessiert jetzt mehr die Politik bzw. die politischen Konsequenzen der Gewalt gegen Kinder. Dies erfordert für mich einen neuen Raum in Form eines Blogs, der mir mehr Freiheit für meine Gedanken gibt, als eine feststehende Homepage. Vorteil ist dabei für mich eindeutig auch die zeitliche Kennzeichnung von Beiträgen und die „Lockerheit“ eines Blogs. Der Grundlagentext zu diesem speziellen Thema hinterließ bei mir noch viele aufgestaute Gedanken, die ich hier noch mal aufgeschrieben habe. Das meiste ist allerdings gesagt und ich werde nur noch hier und da mal ein paar Gedanken aufschreiben.
Was den Erhalt anderer wichtiger Texte angeht, bin ich bemüht, diese einem großen Onlineprojekt zu übertragen. Ob dies alles so klappt, wie ich mir das vorstelle und wann dies genau sein wird, kann ich leider noch nicht genau sagen. Ich werde innerhalb dieses Textes ganz unten auf jeden Fall eine aktualisierte Mitteilung hinterlassen, wenn alles über die Bühne gegangen ist. Weiterhin bin ich auf Anfrage gerne bereit, Texte, die Euch noch bekannt und wichtig sind, zur Veröffentlichung auf anderen Homepages freizugeben.
Ein Projekt hat bereits den Text über die „Gewalt gegen Kinder in der Geschichte“ übernommen – siehe hier: http://gewalt-im-jhh.de/Blick_uber_den_Tellerrand/Die_Gewalt_gegen_Kinder_in_der_Geschichte.doc
Viele Grüße
Donnerstag, 4. Juni 2009
Kindheit von Astrid Lindgren
"Es gibt kein anderes Kind, das mich inspirieren kann, als das Kind, das ich selbst einmal gewesen bin." (Astrid Lindgren)
Wenn man im Internet über biografisches und über die Kindheit von Astrid Lindgren recherchiert, steht immer etwas von Liebe, Glück und Geborgenheit in der Kindheit und von der gegenseitigen Liebe ihrer Eltern, die ein Leben lang währte, am Anfang der Berichte. Lindgren selbst betonte immer wieder, wie glücklich ihre Kindheit gewesen ist, und war fest davon überzeugt, dass diese glückliche Kindheit und die glückliche Ehe ihrer Eltern der Hauptgrund für ihren Erfolg waren. Zusätzlich wird auch darauf hingewiesen, dass ihre Eltern zwar viele Freiheiten erlaubten, aber auch konsequent Grenzen setzten und einen festen Rahmen vorgaben. Für damalige Verhältnisse – Lindgren wurde 1907 geboren – war dies ein Erziehungsstil, der seiner Zeit weit voraus war. Ebenso ungewöhnlich war damals sicherlich auch das besondere Verhältnis von Astrids Vater - Samuel August Ericsson – zu seinen Kindern (denn Männer entdeckten historisch gesehen nur sehr langsam ihre Vaterrolle). Er verteilte seine Liebe großzügig an die Kinder, erzählte Geschichten, herzte die Kinder, wann immer er Gelegenheit dazu fand. Aber lassen wir am Besten Astrid Lindgren selbst zu Wort kommen:
„Gunnar, Astrid, Stina und Ingegerd, so hießen die Ericssonskinder auf Näs. Es war schön, dort Kind zu sein, und schön, Kind von Samuel August und Hanna zu sein. Warum war es schön? Darüber habe ich oft nachgedacht, und ich glaube, ich weiß es. Zweierlei hatten wir, das unsere Kindheit zu dem gemacht hat, was sie gewesen ist – Geborgenheit und Freiheit. Wir fühlten uns geborgen bei diesen Eltern, die einander so zugetan waren und stets Zeit für uns hatten, wenn wir sie brauchten, uns im Übrigen aber frei und unbeschwert auf dem wunderbaren Spielplatz, den wir in dem Näs unserer Kindheit besaßen, herumtollen ließen. (…) Unsere Kindheit war ungewöhnlich frei von Rügen und Schelte. (...) Hannas Art der Kindererziehung war, so finde ich, recht großzügig. Dass man zu gehorchen hatte, war selbstverständlich, aber sie stellte nie unnötige und unerfüllbare Forderungen. So verlangte sie beispielsweise nicht, dass man unbedingt pünktlich zu den Mahlzeiten erschien . kam man zu spät, musste man sich selber etwas aus der Speisekammer holen. Ohne Vorhaltungen. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass sie uns je Vorwürfe gemacht hätte, wenn wir mit zerrissenen oder beschmutzen Kleidern nach Hause kamen. Wahrscheinlich hielt sie solche Pannen, die im Eifer des Spiels passieren konnten. Für das gute Recht eines Kindes. Sie zeterte nicht über Missgeschicke, für die man nichts konnte. Wie zum Beispiel damals, als unsere jüngste Schwester auf den Küchentisch krabbelte und dabei die große Schüssel voll Blutgrütze umkippte. Kein Wort verlor Hanna darüber, sie wusch ihr blutverschmiertes Töchterchen, zog ihm sauberer Sachen an und gab uns zum Mittagsessen statt Blutgrütze etwas anderes. Diese Freiheit zu haben hieß aber keineswegs, ständig frei zu haben. Dass wir zur Arbeit angehalten wurden, war die natürlichste Sache von der Welt. (...)" (Lindgren, A. 1977: Das entschwundene Land. Friedrich Oettinger Verlag, Hamburg. S. 34ff)
Als Lindgrens Mutter gestorben war, fuhr ihr Vater fort sie zu lieben und von ihr zu sprechen. „Er tat es noch, als er 94 Jahre alt war und heiter und zufrieden in seinem Bett in dem Pflegeheim lag (…). »Du, Kind, eine solche Mutter, wie du gehabt hast!«, sagte er, als ich ihn zum letzten Mal besuchte. Ja, ganz gewiss habe ich das! Und einen solchen Vater! Mit einem so treu liebenden Herzen, einem bis in den Tod liebenden Herzen! (…) Ich kann sie beide vor mir sehen. Dort oben in den himmlischen Wohnungen. (…) Und er hält ihre Hände, so wie er es immer getan hat, und sagt mit seiner liebevollen Stimme: »Meine kleine Inniggeliebte, hier sitzen wir nun, du und ich, und haben`s schön.« Meine lieben Eltern! Euer Kind sendet euch hiermit seines Herzens demütigen und innigsten Dank für alles.“ (ebd., S. 38+39)
An nachfolgendem Zitat wird auch deutlich, wie Lindgren ihre eigenen Erfahrungen als Erwachsene weitergab und für diesen Erziehungsstil warb: "Freie und unautoritäre Erziehung bedeutet nicht, dass man die Kinder sich selbst überlässt, dass sie tun und lassen dürfen, was sie wollen. Es bedeutet nicht, dass sie ohne Normen aufwachsen sollen, was sie selber übrigens gar nicht wünschen. (...) Ganz gewiss sollen Kinder Achtung vor ihren Eltern haben, aber ganz gewiss sollen auch Eltern Achtung vor ihren Kindern haben, und niemals dürfen sie ihre natürliche Überlegenheit missbrauchen. Liebevolle Achtung voreinander, das möchte man allen Eltern und Kindern wünschen." (http://www.astrid-lindgren-zentrum.at/schule/lindgren.html)
Astrid Lindgren engagierte sich in ihrem Leben politisch gegen Krieg, gegen Kernkraftwerke, gegen zu hohe Steuern und arbeitete auch für den Tierschutz. Lindgrens Hauptsorge galt jedoch zeitlebens vor allem den von Erwachsenen bevormundeten und durch Krieg geängstigten Kindern dieser Welt. Als Mensch fällt sie durch ihre hohe Empathiefähigkeit, Fantasie und Kreativität, Durchsetzungsfähigkeit, Humor, Charme und Lebensfreude auf. Ihre Kindheit und ihr Leben sehe ich als großes Vorbild für eine menschlichere und friedlichere Zukunft.
siehe ergänzend zu diesem Beitrag auch Astrid Lindgrens Position "Niemals Gewalt"
Samstag, 30. Mai 2009
Kindheit von Alice Schwarzer
Nachdem ich mich in der Vergangenheit hier viel mit den (schrecklichen) Kindheiten von Diktatoren beschäftig habe, war es mir wirklich eine Freude, mich nun mit der Kindheit von Alice Schwarzer zu befassen. Ich habe schon vor geraumer Zeit darüber nachgedacht, dass man eigentlich das Thema Ursachen von Gewalt/Destruktivität zusätzlich von einer ganz anderen Seite angehen müsste. Die TäterInnen bekommen stets viel Aufmerksamkeit und werden erforscht, was auch gut ist. Als „Vergleichsgruppe“ müsste man aber eigentlich auch die biographischen Hintergründe von Menschen analysieren, die eben nicht destruktiv handeln, sondern die sich vielmehr authentisch fürs Gemeinwohl einsetzen und durch ihr echtes Mitgefühl auffallen. Wenn ich die Zeit hätte, ich würde mir die Biographien von so einigen interessanten Menschen schnappen und diese durcharbeiten. Die erste Grundannahme wäre dabei für mich, dass solche Menschen sehr wahrscheinlich mindestens einen liebevollen und fürsorglichen Elternteil oder eine Elternfigur in ihrem Leben hatten, der/die Vorbildfunktionen übernahm und die Empathiefähigkeit des Kindes förderte. Die zweite Grundannahme wäre, dass solche Menschen sehr wahrscheinlich kaum oder keine Gewalt durch Elternteile oder Elternfiguren erlebt haben.
Zur Sache: Alice Schwarzer wuchs – unehelich geboren – bei „einem sehr fürsorglichen Großvater und einer sehr politischen Großmutter" (http://www.aliceschwarzer.de/144.html) wie eine Tochter auf und wurde von deren Erfahrungen geprägt. Ihre Mutter war für sie eher wie eine ältere Schwester, während dem Großvater die Mutterrolle zukam.
Über Alice Schwarzers biologischen Vater erfährt man nicht viel. Er war ein Freund ihrer Mutter und erfuhr nichts von der Schwangerschaft. Alice Schwarzer hat nach eigenen Angaben ihren Vater nie kennengelernt. (vgl. Mika, 1998, S. 28+52)
Ihr Großvater wird von Dünnebier & v. Paczensky (1998) als sensibler, weicher und zärtlicher Mensch beschrieben, der für das Kind die Breie kochte, Kuchen backte und am Abend Gute-Nacht-Geschichten vorlas. Die Großmutter interessierte sich seit die kleine Alice reden konnte sehr für sie, nahm sie ernst und beriet sich auch mit ihr. Zu den Großeltern sagte Alice Mama und Papa und zu ihrer Mutter Mutti. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Großeltern einen antiautoritären Erziehungsstil gegenüber Alice anwandten. Alice hatte als Kind sehr viele Freiheiten und durfte i.d.R. machen, was sie wollte. Alice musste sich an keine vorgeschriebenen Rollen anpassen, sie durfte als Mädchen wild spielen, Baumhäuser bauen, über spiegelglatte Straßen mit dem Schlitten rasen, stark sein usw. Zwangsläufig übernahm sie dadurch auch früh Verantwortung für ihr Leben. Insbesondere wurde sie als Person schon als Kind ernst genommen. Gewalt und Patriarchentum gab es in der Familie Schwarzer nicht. Bis heute haben sich ihr die beiden einzigen Male tief eingegraben, wo sie vom Großvater eine Ohrfeige bekommen hat, weil das so ganz außerhalb der Regeln war. Auch gab es in der Familie Schwarzer Vorbilder für Zivilcourage. „Ich hatte das Glück, in einer Familie aufgewachsen zu sein, die die Nazis gehasst hatte und weiterhin politisch wach blieb.“ (Dünnebier & v. Paczensky, 1998, S. 23)
Als schmerzvolle frühe Erfahrungen können wohl die Verwirrungen der Kriegsjahre und der damit zusammenhängende kurze Aufenthalt in einem Kinderheim angesehen werden. Später werden auch die Erfahrungen von heftigen Streitereien zwischen ihren Großeltern nicht spurlos an Alice vorübergegangen sein. Die Großmutter wird als ambivalenter Charakter beschrieben, mit Eigenschaften wie großem Gerechtigkeitssinn, Charakterstärke, Intelligenz, hohem politischen Bewusstsein usw., aber sie wird auch mit Worten wie tyrannisch und boshaft (gegenüber dem Großvater, nicht gegenüber Alice) und vom Leben enttäuscht dargestellt, was es Alice – die natürlich auf der Seite des geliebten Großvaters stand – sicherlich nicht gerade leicht machte.
Alles in allem hatte es Alice Schwarzer als Kind wohl auch in Teilen schwer. Die Autorin Bascha Mika versucht in ihrer „kritischen Biographie“ insbesondere die spezielle Familienkonstellation, die Familienstreitereien und die Rolle eines unehelich geborenen Kindes im Nachkriegsdeutschland herauszustellen. Bei Dünnebier & Paczensky werden diese Probleme erwähnt, aber nicht zum zentralen Problem, da Alice als Kind ihre Familiensituation selbst nicht im Wesentlichen als problematisch erlebte, hatte sie doch „Vater“ und „Mutter“, eine „Mutti“ und viele Freiheiten. Eher noch wird diese spezielle Situation zum Antriebspunkt, Dinge und gesellschaftliche Normen anders zu betrachten.
Auch die kritische Bascha Mika beschreibt allerdings den fürsorglichen, liebevollen Großvater, der gegen den Zeitgeist sehr mütterlich war. (vgl. Mika, 1998, S. 37ff) Alice Schwarzer erlebte Geborgenheit und Liebe und – für damalige Verhältnisse recht ungewöhnlich – keine traumatische Gewalt in der Familie. Schaut man sich das Leben und die Arbeit von Alice Schwarzer an, dann finden sich viele Verbindungslinien zu ihren Kindheitserfahrungen und ihrer (ungewöhnlichen) Sozialisation. Ihr authentischer und starker Einsatz gegen eine Spaltung von Menschen in Männer und Frauen, für mehr Emanzipation und Gerechtigkeit, gegen Krieg, gegen Kindesmissbrauch, gegen Extremismus usw., ihre humorvolle, lebensfrohe Art, ihre häufige Betonung, dass ihr Handeln sehr von Mitgefühl geleitet würde, die journalistische Arbeit für die Darstellung positiver Identifikationsfiguren bzw. Vorbilder, das Ernstnehmen ihrer LeserInnen und nicht zuletzt ihre Fähigkeit, keine Feindbilder für die Aufrechterhaltung ihres Selbstwertes zu brauchen (diesen Punkt mag der ein oder andere kritisch sehen, wenn man aber genau hinschaut, will Frau Schwarzer die Emanzipation im Grunde mit den Männern zusammen und auch für diese gestalten, nicht gegen sie.) all das bringt mich zu der Frage, ob Alice Schwarzers Weg der selbe gewesen wäre, hätte sie als Kind Gewalt durch ihre Elternfiguren erlebt. Alice Schwarzer sagte mit Bezug zur Wirkung der erlebten gewaltfreien Erziehung über sich selbst: „Und da ich zwar Schmerz, aber keine Erniedrigung und Gewalt innerhalb meiner Familie erlitten hatte, war ich, glaube ich, eine recht stolze, unerschrockene Person.“ (Dünnebier & v. Paczensky, 1998, S. 26f) Eine Aussage, die für sich spricht.
Literatur:
Dünnebier, A. & v. Paczensky, G. 1998: Das bewegte Leben der Alice Schwarzer. Die Biographie. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln.
Mika, B. 1998: Alice Schwarzer. Eine kritische Biographie. Rowohlt Verlag Reinbek.
Zur Sache: Alice Schwarzer wuchs – unehelich geboren – bei „einem sehr fürsorglichen Großvater und einer sehr politischen Großmutter" (http://www.aliceschwarzer.de/144.html) wie eine Tochter auf und wurde von deren Erfahrungen geprägt. Ihre Mutter war für sie eher wie eine ältere Schwester, während dem Großvater die Mutterrolle zukam.
Über Alice Schwarzers biologischen Vater erfährt man nicht viel. Er war ein Freund ihrer Mutter und erfuhr nichts von der Schwangerschaft. Alice Schwarzer hat nach eigenen Angaben ihren Vater nie kennengelernt. (vgl. Mika, 1998, S. 28+52)
Ihr Großvater wird von Dünnebier & v. Paczensky (1998) als sensibler, weicher und zärtlicher Mensch beschrieben, der für das Kind die Breie kochte, Kuchen backte und am Abend Gute-Nacht-Geschichten vorlas. Die Großmutter interessierte sich seit die kleine Alice reden konnte sehr für sie, nahm sie ernst und beriet sich auch mit ihr. Zu den Großeltern sagte Alice Mama und Papa und zu ihrer Mutter Mutti. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Großeltern einen antiautoritären Erziehungsstil gegenüber Alice anwandten. Alice hatte als Kind sehr viele Freiheiten und durfte i.d.R. machen, was sie wollte. Alice musste sich an keine vorgeschriebenen Rollen anpassen, sie durfte als Mädchen wild spielen, Baumhäuser bauen, über spiegelglatte Straßen mit dem Schlitten rasen, stark sein usw. Zwangsläufig übernahm sie dadurch auch früh Verantwortung für ihr Leben. Insbesondere wurde sie als Person schon als Kind ernst genommen. Gewalt und Patriarchentum gab es in der Familie Schwarzer nicht. Bis heute haben sich ihr die beiden einzigen Male tief eingegraben, wo sie vom Großvater eine Ohrfeige bekommen hat, weil das so ganz außerhalb der Regeln war. Auch gab es in der Familie Schwarzer Vorbilder für Zivilcourage. „Ich hatte das Glück, in einer Familie aufgewachsen zu sein, die die Nazis gehasst hatte und weiterhin politisch wach blieb.“ (Dünnebier & v. Paczensky, 1998, S. 23)
Als schmerzvolle frühe Erfahrungen können wohl die Verwirrungen der Kriegsjahre und der damit zusammenhängende kurze Aufenthalt in einem Kinderheim angesehen werden. Später werden auch die Erfahrungen von heftigen Streitereien zwischen ihren Großeltern nicht spurlos an Alice vorübergegangen sein. Die Großmutter wird als ambivalenter Charakter beschrieben, mit Eigenschaften wie großem Gerechtigkeitssinn, Charakterstärke, Intelligenz, hohem politischen Bewusstsein usw., aber sie wird auch mit Worten wie tyrannisch und boshaft (gegenüber dem Großvater, nicht gegenüber Alice) und vom Leben enttäuscht dargestellt, was es Alice – die natürlich auf der Seite des geliebten Großvaters stand – sicherlich nicht gerade leicht machte.
Alles in allem hatte es Alice Schwarzer als Kind wohl auch in Teilen schwer. Die Autorin Bascha Mika versucht in ihrer „kritischen Biographie“ insbesondere die spezielle Familienkonstellation, die Familienstreitereien und die Rolle eines unehelich geborenen Kindes im Nachkriegsdeutschland herauszustellen. Bei Dünnebier & Paczensky werden diese Probleme erwähnt, aber nicht zum zentralen Problem, da Alice als Kind ihre Familiensituation selbst nicht im Wesentlichen als problematisch erlebte, hatte sie doch „Vater“ und „Mutter“, eine „Mutti“ und viele Freiheiten. Eher noch wird diese spezielle Situation zum Antriebspunkt, Dinge und gesellschaftliche Normen anders zu betrachten.
Auch die kritische Bascha Mika beschreibt allerdings den fürsorglichen, liebevollen Großvater, der gegen den Zeitgeist sehr mütterlich war. (vgl. Mika, 1998, S. 37ff) Alice Schwarzer erlebte Geborgenheit und Liebe und – für damalige Verhältnisse recht ungewöhnlich – keine traumatische Gewalt in der Familie. Schaut man sich das Leben und die Arbeit von Alice Schwarzer an, dann finden sich viele Verbindungslinien zu ihren Kindheitserfahrungen und ihrer (ungewöhnlichen) Sozialisation. Ihr authentischer und starker Einsatz gegen eine Spaltung von Menschen in Männer und Frauen, für mehr Emanzipation und Gerechtigkeit, gegen Krieg, gegen Kindesmissbrauch, gegen Extremismus usw., ihre humorvolle, lebensfrohe Art, ihre häufige Betonung, dass ihr Handeln sehr von Mitgefühl geleitet würde, die journalistische Arbeit für die Darstellung positiver Identifikationsfiguren bzw. Vorbilder, das Ernstnehmen ihrer LeserInnen und nicht zuletzt ihre Fähigkeit, keine Feindbilder für die Aufrechterhaltung ihres Selbstwertes zu brauchen (diesen Punkt mag der ein oder andere kritisch sehen, wenn man aber genau hinschaut, will Frau Schwarzer die Emanzipation im Grunde mit den Männern zusammen und auch für diese gestalten, nicht gegen sie.) all das bringt mich zu der Frage, ob Alice Schwarzers Weg der selbe gewesen wäre, hätte sie als Kind Gewalt durch ihre Elternfiguren erlebt. Alice Schwarzer sagte mit Bezug zur Wirkung der erlebten gewaltfreien Erziehung über sich selbst: „Und da ich zwar Schmerz, aber keine Erniedrigung und Gewalt innerhalb meiner Familie erlitten hatte, war ich, glaube ich, eine recht stolze, unerschrockene Person.“ (Dünnebier & v. Paczensky, 1998, S. 26f) Eine Aussage, die für sich spricht.
Literatur:
Dünnebier, A. & v. Paczensky, G. 1998: Das bewegte Leben der Alice Schwarzer. Die Biographie. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln.
Mika, B. 1998: Alice Schwarzer. Eine kritische Biographie. Rowohlt Verlag Reinbek.
Mittwoch, 13. Mai 2009
Kindheit von Napoleon Bonaparte
Im Grundlagentext habe ich für dieses Thema wichtige Passagen über die Kindheit von Napoleon Bonaparte durch die Quelle "Neumayr, A. 1995: Diktatoren im Spiegel der Medizin. J & V Verlag, Wien. " hinzugefügt:
Der eränzte Text sieht wie folgt aus:
Schon als Kind fiel Napoleon nach Neumayr (1995) durch seine aufbrausende Art, seinen Jähzorn, seine Grobheit und bisweilen auch durch Brutalität auf. Ein ehemaliger Mitschüler Napoleons berichtet über ihn: „Immer lag etwas Bitteres in seinen Worten, sein Wesen hatte nichts Liebevolles (...).“ (Neumayr, 1995, S. 17)
Schon seine Jugendjahre waren zudem geprägt von Lebensmüdigkeit und depressiven Verstimmungen „Was soll ich in der Welt? Da ich doch einmal sterben muss, könnte ich mich dann nicht jetzt schon umbringen?“ und „Das Leben ist mir zur Last, ich habe keinen Genuss, alles wird Schmerz.“ (ebd., S. 18+19) An dieser Stelle wird deutlich, wie viel Wahrheit in dem Satz „Glückliche Menschen fangen keine Kriege an.“ (deMause, 2005, S. 109) steckt, diesen Satz habe ich über dem Inhaltsverzeichnis dem Gesamttext einleitend vorangestellt.
Als Erwachsener prägte Napoleon schließlich entscheidend die Entwicklungen in Europa und ging vor allem auf Grund seiner Feldzüge und Kriege in die Geschichte ein. Mit dem Namen Napoleon verbindet man auch einen ausgeprägten Größenwahn, Narzissmus und Minderwertigkeitskomplex.
Der eränzte Text sieht wie folgt aus:
Schon als Kind fiel Napoleon nach Neumayr (1995) durch seine aufbrausende Art, seinen Jähzorn, seine Grobheit und bisweilen auch durch Brutalität auf. Ein ehemaliger Mitschüler Napoleons berichtet über ihn: „Immer lag etwas Bitteres in seinen Worten, sein Wesen hatte nichts Liebevolles (...).“ (Neumayr, 1995, S. 17)
Schon seine Jugendjahre waren zudem geprägt von Lebensmüdigkeit und depressiven Verstimmungen „Was soll ich in der Welt? Da ich doch einmal sterben muss, könnte ich mich dann nicht jetzt schon umbringen?“ und „Das Leben ist mir zur Last, ich habe keinen Genuss, alles wird Schmerz.“ (ebd., S. 18+19) An dieser Stelle wird deutlich, wie viel Wahrheit in dem Satz „Glückliche Menschen fangen keine Kriege an.“ (deMause, 2005, S. 109) steckt, diesen Satz habe ich über dem Inhaltsverzeichnis dem Gesamttext einleitend vorangestellt.
Als Erwachsener prägte Napoleon schließlich entscheidend die Entwicklungen in Europa und ging vor allem auf Grund seiner Feldzüge und Kriege in die Geschichte ein. Mit dem Namen Napoleon verbindet man auch einen ausgeprägten Größenwahn, Narzissmus und Minderwertigkeitskomplex.
Dienstag, 5. Mai 2009
Kindheit von Nicolae Ceauşescu
Im Grundlagentext habe ich für dieses Thema wichtige Passagen über die Kindheit von Nicolae Ceauşescu durch die Quelle "Miller, A. 1990: Abbruch der Schweigemauer. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg. " hinzugefügt:
Über den Vater des rumänischen Diktators Nicolae Ceauşescu wird berichtet, dass er sein weniges Geld im Wirtshaus vertrank, statt seine Kinder zu ernähren (insgesamt hatte er 10 Kinder, wovon eines früh starb) und dass er seine Kinder täglich „zu ihrem Besten“ schlug. Die Mutter achtete streng auf die schulischen Leistungen der Kinder, die sie ebenfalls ausgiebig prügelte. (vgl. Miller, 1990, S. 115) Alice Miller analysiert in ihrem Beitrag u.a. den Wahn des Diktators Ceauşescu, der sein Volk zu einem Überfluss an Kindern zwang, die nicht ernährt und gewärmt werden konnten. „Der Tyrann hat sich für sein persönliches Schicksal stellvertretend an Tausenden Müttern, Vätern und Geschwistern gerächt. Indem er sich weigerte, sich mit seinem Schicksal zu konfrontieren, seine Geschichte und seine Gefühle von damals total verdrängt hielt, brachte er ein ganzes Volk an den Rand des Untergangs. Ceauşescu hat nicht nur die rumänischen Kinder in die gleiche Not getrieben, die einst die seine war: Lieblosigkeit, Hunger, Kälte, ständige Kontrolle und die allgegenwärtige Heuchelei. (...) Er wollte Millionen Frauen dazu zwingen, Mütter zu werden, um ja niemals fühlen zu müssen, was er als Kind verdrängte: dass er seiner Mutter nur eine Last war und dass seine Existenz nachweisbar von ihr vergessen wurde.“ (ebd., S. 120)
Über den Vater des rumänischen Diktators Nicolae Ceauşescu wird berichtet, dass er sein weniges Geld im Wirtshaus vertrank, statt seine Kinder zu ernähren (insgesamt hatte er 10 Kinder, wovon eines früh starb) und dass er seine Kinder täglich „zu ihrem Besten“ schlug. Die Mutter achtete streng auf die schulischen Leistungen der Kinder, die sie ebenfalls ausgiebig prügelte. (vgl. Miller, 1990, S. 115) Alice Miller analysiert in ihrem Beitrag u.a. den Wahn des Diktators Ceauşescu, der sein Volk zu einem Überfluss an Kindern zwang, die nicht ernährt und gewärmt werden konnten. „Der Tyrann hat sich für sein persönliches Schicksal stellvertretend an Tausenden Müttern, Vätern und Geschwistern gerächt. Indem er sich weigerte, sich mit seinem Schicksal zu konfrontieren, seine Geschichte und seine Gefühle von damals total verdrängt hielt, brachte er ein ganzes Volk an den Rand des Untergangs. Ceauşescu hat nicht nur die rumänischen Kinder in die gleiche Not getrieben, die einst die seine war: Lieblosigkeit, Hunger, Kälte, ständige Kontrolle und die allgegenwärtige Heuchelei. (...) Er wollte Millionen Frauen dazu zwingen, Mütter zu werden, um ja niemals fühlen zu müssen, was er als Kind verdrängte: dass er seiner Mutter nur eine Last war und dass seine Existenz nachweisbar von ihr vergessen wurde.“ (ebd., S. 120)
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