Es gibt verschiedenste Aufstellungen von Kriegsursachen. Ich habe einfach einmal eine sehr objektive Auflistung herausgesucht, die von der „Bundeszentrale für politische Bildung“ (Ein Teil von „Panorama der Konflikte – Weltkonflikte“ unter http://www.bpb.de/die_bpb/ZTTVEX,0,PDFVersionen.html) veröffentlicht wurde. Folgende Kriegsursachen werden aufgelistet:
Hinweis nebenbei für neue LeserInnen: Dieser Beitrag wird mit am häufigsten durch Googel-Suchen aufgerufen. Er ist aber letztlich nur ein kleiner Gedankenbeitrag, den ich so nicht einmal in den INDEX aufgenommen habe. Für alle, die sich für die tieferen Ursachen von Kriegen interessieren, verweise ich auf den INDEX und meinen Text "Als Kind geliebte Menschen fangen keine Kriege an".
TERRITORIALANSPRÜCHE
Konkurrenz um Grenzen und Gebiete
HERRSCHAFTSINTERESSEN
Durchsetzung politischer und ökonomischer
Interessen durch Eliten
FEHLWAHRNEHMUNG
Falsche Beurteilung der Stärke und Absichten
anderer Staaten
HERRSCHAFTSSICHERUNG
Furcht vor einer Bedrohung von außen
ABLENKUNG
Ablenkung von Konflikten innerhalb eines
Staates
MACHTKONKURRENZ
Kampf um Vormachtstellungen in der Region
ROHSTOFFBEDARF
Konkurrenz um Ressourcen
INTERNER KOLONIALISMUS
Ökonomische Ausbeutung und politische
Unterdrückung von Bevölkerungsgruppen
und Regionen
SOZIO-ÖKONOMISCHE HETEROGENITÄT
Auf krasser sozialer Ungerechtigkeit beruhende
Gesellschaftssysteme
ETHNISCH-KULTURELLE HETEROGENITÄT
Kein Interessensausgleich angesichts unterschiedlicher
Bevölkerungsgruppen, die keine „einheitliche Nation“ bilden
Diese Art von Kriegsursachenverständnis ist klassisch. Wenn man sich mit den emotionalen Ursachen (und dabei vor allem belastenden Kindheitserfahrungen) von Kriegen beschäftigt, erscheint einem diese Aufstellung allerdings doch sehr lückenhaft. Mehr noch, sie geht an den tieferen Ursachen komplett vorbei!
Einige Punkte möchte ich weiter besprechen und fange damit an, folgende zusammenzufassen (die anderen Punkte werde ich mir später vornehmen): TERRITORIALANSPRÜCHE, HERRSCHAFTSINTERESSEN, MACHTKONKURRENZ und ROHSTOFFBEDARF beinhalten letztlich alle das gleiche: Menschen bzw. Nationen (und ihre Eliten) wollen etwas haben, etwas in Besitz bringen, um sich dadurch mächtiger zu fühlen und/oder weil sie meinen, einen rechtlichen Anspruch darauf zu haben und/oder um für sich (vor allem ökonomische) Vorteile und Annehmlichkeiten zu sichern (was wiederum auch Machtzuwachs bedeutet). Für die Erreichung dieser Ziele ziehen sie in den Krieg und/oder motivieren andere dazu. Logisch und rational, oder?
Wenn man darum weiß, dass Menschen, die emotional lebendig sind und deren Mitgefühl nicht verschüttet ging, niemals (außer vielleicht in äußerster persönlicher Notwehr) einen anderen Menschen töten oder andere dazu motivieren könnten, dann erscheint dieses Ursachenverständnis weniger logisch. Macht, Geld, Land, Nahrung, Häuser usw. alles toll. Aber dafür töten? Nur Menschen, deren Emotionen erkaltet sind, können (der Macht willen) töten. Nur Menschen, deren Emotionen erkaltet sind, können hinterher irgendwie weiterleben, mit dem Wissen um ihre Taten. (Emotionen erkalten vor allem, wenn Gewalt in der Kindheit erlebt wird. Keine Lebensphase ist so bedeutend für die Entwicklung eines Menschen, wie die Kindheit. Die Regionen, in denen wir heute Kriege und Terror sehen, sind nachweisbar Regionen mit sehr hohen Raten von Kindesmisshandlung)
Zudem werden – so scheint es mir - oftmals kriegerische Konflikte zu oberflächlich betrachtet. Geht es denn wirklich immer nur um Land, Öl, Geld und Macht?
In diesem Blog habe ich bzgl. des Irakkrieges festgestellt, dass es nicht um Öl ging. Viele Kriege scheinen außerdem weit höhere Kosten mit sich zu bringen, als (scheinbare) Gewinne. Kaum ein Mensch rechnet das vorher und hinterher wirklich nach. Hitler-Deutschland und der Traum vom großen zusätzlichen Lebensraum oder gar der Weltherrschaft endete im genauen Gegenteil, dem Verlust großer Teile des Landes und der Zerstörungen der Infrastruktur und Ökonomie. Kein Gewinn, nur Verlust. Auch über den Billionen-Irakkrieg hatte ich schon oftmals etwas hier geschrieben. Kriege wirken ungemein destruktiv auf alle gesellschaftlichen Bereiche. Sie behindern Innovationen und Fortschritt; binden Gelder, die in andere Bereiche investiert viel mehr einbringen würden; sie binden Personal und Führungskraft, sie schaden der eigenen Ökonomie und Gesellschaft. Trotzdem werden Kriege klassisch unter zweckrationalen (ökonomisch-politischen) Aspekten analysiert.
Zwei aktuelle Beispiele zum Israel-Palästina-Konflikt:
Am Mittwoch wurde in Israel ein Sprengstoffanschlag auf einen Bus verübt. Eine britische Touristin starb, viele andere Menschen wurden verletzt.
Am Freitag, dem 11. März 2011 wurde ein israelisches Ehepaar und ihre drei Kinder (wovon eines erst drei Monate alt war) in einem Siedlungsgebiet durch Attentäter im Schlaf erstochen. Berichten zufolge haben israelische Siedler daraufhin ab dem folgenden Samstag Steine, Molotow-Cocktails, Gewehre, Stöcke und Messer benutzt, um wahllos PalästinenserInnen in Fahrzeugen und Wohnhäusern in den Dörfern und Städten der gesamten Westbank anzugreifen…
Die meisten KriegsursachenforscherInnen würden diesen Konflikt wohl klassisch in die oben genannten Analyseebenen einordnen. Doch ist dies wirklich rein ein rationaler Kampf um Land? Und zusätzlich ein Kampf der Kulturen? Wem bringt es etwas, in diesem zweckrationalen Kampf, wenn eine britische Touristin stirbt und ein dreimonatiges Baby im Schlaf erstochen wird? Was für einen Sinn macht es, wenn israelische Siedler wahllos aus Rache irgendwelche Palästinenser angreifen?
Wenn jemand meint, einen legitimen Anspruch auf Land und Ungerechtigkeit erfahren zu haben, dann ist das eine Sache für sich. Das Töten von Menschen ist wiederum eine andere Sache, die nur oberflächig betrachtet etwas mit ersterer zu tun hat. Erstere Sache ist der Zündfunke oder das „rationale Ziel“, das die Menschen vordergründig gebrauchen, um ihren Hass und ihre Gewalt zu entemotionalisieren bzw. zu rationalisieren. Dahinter verbirgt sich die Tatsache, dass nur emotional gestörte Menschen, Menschen mit einem tiefen inneren Hass, der seinen Ausdruck sucht, zu solchen Taten fähig sind. Menschen wollen hassen und wollen Gewalt, weil sie sich dadurch emotional kurzfristig befreit fühlen, „lebendig“ fühlen, Dampf ablassen können, bevor sich der Hass zu sehr gegen sie selbst richtet und sie selbst zerstört, bevor die Erinnerungen an die frühen Demütigungen zu sehr ins Bewusstsein gelangen. Um diesen gewollten Hass bauen sie sich ein „logisches Gerüst“, das meiner Meinung nach abgerissen gehört, um den Blick auf die tieferen Ursachen freizulegen. Das „logische Gerüst“ kommt zusätzlich je nach Region auf der Welt in anderen Formen und Farben zu Geltung. Jemand der als Kind schwer misshandelt wurde und voller abgespaltener Ängste, voller Wut und Hass ist, wird in Irland andere Feindbilder suchen und vorfinden, die er aufgreifen kann, als ein Mensch mit dem selben persönlichen Hintergrund, der in Nordafrika aufwächst oder in Russland lebt etc.
(Ähnlich wie oben aufgeführt verhält es sich übrigens auch bzgl. privater Gewalt. Bei der klassischen „Beziehungstat“ – also wenn ein Mensch in einer Trennungssituation seine Partnerin/ seinen Partner umbringt, oftmals in sehr brutaler Art und Weise z.B. mit 20-30 Messerstichen - lässt sich hinterher vielleicht ein Eskalationsprozess feststellen, jahrelange Streitigkeiten um dies und das und alles, was in destruktiven Beziehungen so vor sich geht, aber erklärt das dann auch das Töten? Ist nicht die gestörte Beziehung an sich schon ein Ausdruck von gestörten Emotionen der beiden Partner? Und ist nicht erst recht das Abschlachten des Partners/der Partnerin ein Beleg dafür, dass der Täter / die Täterin ihre Emotionen abgespalten hat?)
In der heutigen Zeit erleben wir, wie Kriege durch Mitgefühl gerechtfertigt werden. Unsere emotionale Entwicklung ist fortgeschrittener, als sie noch Anfang des 19. Jahrhunderts oder auch davor war. Offiziell braucht es heutzutage eine andere Sprache der Politik, damit die Bevölkerung nicht revoltiert und den Krieg stillschweigend mitträgt. Dabei bleibt auch diese „nettere“ Sprache Heuchelei und verdeckt nur, dass Entscheidungen für einen Krieg von Menschen getroffen werden, die kein Mitgefühl kennen. Sie reden auch heute von „Moral“ und von „Mitgefühl“ für das Volk in Libyen und rechtfertigen so ihren Krieg und das Töten von Menschen. Heutige Kriege werden moralisch ausgerechnet. Wie viele Menschen müssen wir töten, damit wie viele Menschen nicht getötet werden?
Tony Blair hat z.B. eindrucksvoll in seinem Buch „Mein Weg“ (2010) auf Seite 407 klar gemacht, dass er von 100.000 – 112.000 toten Irakern ausgeht. Davon seien aber ca. 70.000 nicht durch die westlichen Koalitionstruppen umgekommen, sondern durch religiös motivierte Gewalt... Den Streit um Zahlen und Wahrheit lassen wir hier mal außen vor. Blair übernimmt durch diese Aussage quasi die Verantwortung für zumindest 30-42.000 durch westliche Truppen getötete Iraker. Auf den Seiten davor und danach kommt dann seine moralische Gegenrechnung. Wie viele Kinder und Menschen hatte Saddam Hussein getötet, wie viele wären gestorben, wäre er weiter an der Macht geblieben? Sein moralischen Rechenergebnis: Ja, der Krieg war richtig, man tötete Menschen, aber viele andere konnten so gerettet werden...
Da könnten wir jetzt – diesen Gedankengang folgend - auch (wieder) anfangen, Menschen für medizinische Versuche zu gebrauchen und ihren möglichen Tod in Kauf zu nehmen, um andere, viele andere zu retten, oder?
Dann müssen wir außerdem unseren Kindern in Schule und Familie folgerichtig beibringen: Töten ist falsch, außer manchmal, alles klar? Wie erklärt man dies Kindern, dass das Töten hier falsch ist und dort richtig?
Ich versuche hier im Blog immer einigermaßen sachlich zu sein. Aber ich muss auch mal sagen dürfen: Ich finde diese gefühlskalte, heuchlerische Rhetorik (nicht nur von PolitikerInnen, sondern auch in Medien und Diskussionsrunden) , die vordergründig Gefühle und Mitgefühl verspricht und vorspielt, zum Kotzen! Ich finde den Militäreinsatz gegen Libyen zum Kotzen. Ich finde es zum Kotzen, dass die Welt immer noch nicht verstanden hat, dass Gewalt nicht durch Gewalt zu lösen ist.
Samstag, 26. März 2011
Freitag, 18. März 2011
Uno-Sicherheitsrat: Bomben, um zu zeigen, dass Bomben falsch ist
Der Uno-Sicherheitsrat hat militärische Aktionen gegen Libyen beschlossen. Soweit ich lesen konnte, ist im Grunde alles erlaubt, außer dem Einsatz von Besatzungstruppen. Die USA, Frankreich und Großbritannien rüsten sich bereits für den Angriff und wollen nun durch ihre Bombardements Gaddafi zeigen, dass das Bombardieren von Menschen falsch ist…
Bis vor einigen Monaten hatte man mit dem Gaddafi-Regime im Grunde eher weniger ein Problem. Berlusconi bezeichnete Gaddafi 2009 sogar noch als "Mann von tiefer Weisheit", zwischen den beiden herrschte offiziell sogar eine gute Männerfreundschaft. Auch Frankreich arbeitete jahrelang eng mit dem Diktator zusammen. 2007 beschloss Frankreich sogar, Gaddafi einen Atomreaktor zu liefern... Tja, das ließe sich sicherlich noch weiter ausarbeiten.
Nun hat der Westen wieder einmal einen „richtig Bösen“ gefunden, den man militärisch in die Knie zwingen will. Ich selbst halte Gaddafi für einen absolut Wahnsinnigen und die wenigen (!) Informationen, die zu uns dringen, zeigen, dass er offensichtlich rücksichtlos und brutal gegen seine Gegner und auch Zivilisten vorgeht. Mir stellen sich allerdings einige Fragen:
Rechtfertigt die aktuelle Situation jetzt einen Militärschlag? Sind die Rebellen mit ihrem Anführer Mustafa Abdel Dschalil „die Guten“, die es zu unterstützen gilt und die, wenn sie an der Macht sind, ganz tolle Demokraten werden? Und was ist mit der einfachen Putzfrau, die gerade in einer Militäranlage bei der Arbeit ist, während die westliche Allianz Bomben abwirft? Was ist mit denjenigen libyschen Soldaten, die vielleicht bisher gar nicht im Einsatz waren oder während der Einsätze keine Verbrechen begingen, darf man diese auch töten? Was ist mit den unzähligen Zivilisten, die durch fehlgeleitete westliche Bomben oder weil sie zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort waren sterben werden? Was ist mit den westlichen Soldaten, die nach Hause kommen werden, mit dem Wissen, Menschen getötet zu haben und dadurch selbst traumatisiert wurden; was ist mit ihren Kindern und ihren Ehefrauen? Was ist mit den unzähligen Zivilisten und Kindern, die nachts die Flugabwehrgeschosse und einschlagenden Bomben hören, welche traumatischen Ängste werden hier ausgelöst werden? Überhaupt: Wer hat den Tod verdient, wer nicht?
Militäreinsätze sind keine Option, sie können nur scheitern, neues Leid erzeugen und eine Eskalation herbeiführen. Man hätte mit Gaddafi schon vor Jahren politisch anders umgehen müssen. Jetzt ergibt sich für mich eher das Bild, dass man sich in Libyen einen möglichen „bösen Feind“ warm halten wollte, für den Fall, dass man mal wieder eine Militäraktion brauchen könnte, um „Gut“ und „Böse“ klar voneinander zu trennen und innere Traumata außen wiederaufzuführen. Es wäre interessant, wie sich die emotionale Lage in den USA, Großbritannien und Frankreich in den vorherigen Monaten dargestellt hat. Welche Bilder und Emotionen waren in den Medien dieser Länder vorherrschend?
Bis vor einigen Monaten hatte man mit dem Gaddafi-Regime im Grunde eher weniger ein Problem. Berlusconi bezeichnete Gaddafi 2009 sogar noch als "Mann von tiefer Weisheit", zwischen den beiden herrschte offiziell sogar eine gute Männerfreundschaft. Auch Frankreich arbeitete jahrelang eng mit dem Diktator zusammen. 2007 beschloss Frankreich sogar, Gaddafi einen Atomreaktor zu liefern... Tja, das ließe sich sicherlich noch weiter ausarbeiten.
Nun hat der Westen wieder einmal einen „richtig Bösen“ gefunden, den man militärisch in die Knie zwingen will. Ich selbst halte Gaddafi für einen absolut Wahnsinnigen und die wenigen (!) Informationen, die zu uns dringen, zeigen, dass er offensichtlich rücksichtlos und brutal gegen seine Gegner und auch Zivilisten vorgeht. Mir stellen sich allerdings einige Fragen:
Rechtfertigt die aktuelle Situation jetzt einen Militärschlag? Sind die Rebellen mit ihrem Anführer Mustafa Abdel Dschalil „die Guten“, die es zu unterstützen gilt und die, wenn sie an der Macht sind, ganz tolle Demokraten werden? Und was ist mit der einfachen Putzfrau, die gerade in einer Militäranlage bei der Arbeit ist, während die westliche Allianz Bomben abwirft? Was ist mit denjenigen libyschen Soldaten, die vielleicht bisher gar nicht im Einsatz waren oder während der Einsätze keine Verbrechen begingen, darf man diese auch töten? Was ist mit den unzähligen Zivilisten, die durch fehlgeleitete westliche Bomben oder weil sie zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort waren sterben werden? Was ist mit den westlichen Soldaten, die nach Hause kommen werden, mit dem Wissen, Menschen getötet zu haben und dadurch selbst traumatisiert wurden; was ist mit ihren Kindern und ihren Ehefrauen? Was ist mit den unzähligen Zivilisten und Kindern, die nachts die Flugabwehrgeschosse und einschlagenden Bomben hören, welche traumatischen Ängste werden hier ausgelöst werden? Überhaupt: Wer hat den Tod verdient, wer nicht?
Militäreinsätze sind keine Option, sie können nur scheitern, neues Leid erzeugen und eine Eskalation herbeiführen. Man hätte mit Gaddafi schon vor Jahren politisch anders umgehen müssen. Jetzt ergibt sich für mich eher das Bild, dass man sich in Libyen einen möglichen „bösen Feind“ warm halten wollte, für den Fall, dass man mal wieder eine Militäraktion brauchen könnte, um „Gut“ und „Böse“ klar voneinander zu trennen und innere Traumata außen wiederaufzuführen. Es wäre interessant, wie sich die emotionale Lage in den USA, Großbritannien und Frankreich in den vorherigen Monaten dargestellt hat. Welche Bilder und Emotionen waren in den Medien dieser Länder vorherrschend?
Donnerstag, 17. März 2011
Konflikte und Kriege haben keinen ethnischen oder religiösen Hintergrund
...das sagt zumindest der deutsche Ethnologe Günther Schlee in einem sehr interessanten Interview.
Seine Grundthese lässt sich an Hand eines Zitats verdeutlichen:
„Die These vom Kampf der Kulturen besagt: Je größer der Unterschied, desto höher das Konfliktpotential. Aber schauen Sie sich pluriethnische oder multikulturelle postkoloniale Gesellschaften mit Gruppen von Menschen afrikanischen, europäischen, asiatischen und indischen Ursprungs an. Die kulturelle Verschiedenheit korreliert nicht mit der Konflikthäufigkeit. Auf der anderen Seite finden wir häufig Konflikte gerade zwischen kulturell besonders ähnlichen Gruppen. Als grobe Faustregel kann man sagen: Zwischen Menschen mit völlig unterschiedlichen Kulturen ist die Konfliktwahrscheinlichkeit geringer.“
Konflikte und Kriege haben nach Schlee häufig eine ethnische oder religiöse Ausdrucksform, die eigentlichen Ursachen sieht er allerdings woanders. Insbesondere meint er, dass es um materielle Ressourcen oder auch um Machtpositionen oder Posten ginge. Die ethnische Zugehörigkeit sei nur ein wichtiges Mobilisierungselement für bestimmte Akteursgruppen (Eliten), die den Konflikt wollten und davon profitierten. Entsprechend würden sich bei Konflikten, die als ethnisch oder religiös bezeichnet werden, erst im Verlauf des Konfliktes ein entsprechendes Bewusstsein oder eine Verhärtung dieser Identitäten herausbilden.
Schlee gibt einige Beispiele:
„In Darfur zum Beispiel haben große Teile der nicht arabischen Bevölkerung eine lange islamische Tradition, und zu den arabischen Reitermilizen gehören auch Schwarze. In den Medien wird das zu einfach dargestellt.“
„Schauen Sie sich die beklagenswerteste Gruppe der Opfer des Dritten Reiches an: Die Juden, die ja noch nicht einmal eine Konfliktpartei waren. Die Nazis mussten sie aus dem deutschen Volk herausdefinieren. Sie waren ja als Juden meist gar nicht erkennbar. Viele hatten als deutsche Soldaten im Ersten Weltkrieg gekämpft. Es kam zu einer künstlichen Abgrenzung der Mehrheit der Deutschen von einer Minderheit anderer Deutscher.“
Bzgl. dem Krieg in Jugoslawien sagt Schlee, dass z.B. viele bosnische Muslime gar nicht religiös waren. Schon deshalb scheide Religion als Begründung des Konflikts aus. Viele Menschen in dieser Region hatten z.B. auch einen serbischen Vater und eine kroatische Mutter. Erst im Verlauf des Konfliktes mussten sie sich für eine Identität entscheiden.
In Nordirland, wo Katholiken und Protestanten streiten, sind sich beide Parteien so ähnlich, wie es unterscheidbare Gruppen überhaupt sein können. Selbst in ihren Paraden gleichen sie sich, so Schlee weiter.
Ich finde es wichtig und sehr spannend, wie ein genaues Hinschauen oftmals andere Ergebnisse bringen kann. Sehr schnell wird immer wieder auf den Kriegsgrund Ethnie oder Religion verwiesen. Schlee hat seine Thesen in dem Buch „Wie Feindbilder entstehen: Eine Theorie religiöser und ethnischer Konflikte“ weiter ausgeführt. Bei Zeiten werde ich mir das Buch durchlesen und sicherlich nochmal auf das Thema zurückkommen.
Ich teile seine Ansicht, dass so etwas wie Religion oder Ethnie letztlich nur die Oberfläche kriegerischer Konflikte aufzeigt. Die tieferen Ursachen liegen woanders. Meiner Meinung nach allerdings nicht im Machtstreben von Eliten oder dem Streben nach Ressourcen. Kriege bringen keinen Gewinn, dass lehrt uns die Geschichte. In den beiden Texten über das „Märchen vom Krieg ums Öl“ habe ich auch die „Krieg für Öl“ These widerlegt (Teil 1, Teil 2). (Schlee dazu bzgl. des Irak-Krieges: "Dass für alle Beteiligten Öl eine große Rolle spielte, lässt sich wohl kaum leugnen.") Ich sehe die Ursachen vor allem in den Emotionen und destruktiven Kindheiten. Selbst wenn Machtstreben von Eliten einen wichtigen Hintergrund von Kriegen darstellen würde, erklärt dies nicht, warum sich die Massen so bereitwillig diesem Machtstreben und entsprechenden Manipulationen hingeben, warum sie andere Menschen bereitwillig töten. Und auch das Machtstreben der Eliten wäre emotional zu beleuchten. Ein emotional gesunder und lebendiger Mensch, würde niemals über Leichen gehen, um für sich ökonomische Vorteile zu sichern. Nur Menschen, deren Emotionen gestört sind, können so handeln. Machtstreben (destruktiver Ziele Willens) folgt nicht rationalen Mustern, sondern vor allem emotionalen.
Seine Grundthese lässt sich an Hand eines Zitats verdeutlichen:
„Die These vom Kampf der Kulturen besagt: Je größer der Unterschied, desto höher das Konfliktpotential. Aber schauen Sie sich pluriethnische oder multikulturelle postkoloniale Gesellschaften mit Gruppen von Menschen afrikanischen, europäischen, asiatischen und indischen Ursprungs an. Die kulturelle Verschiedenheit korreliert nicht mit der Konflikthäufigkeit. Auf der anderen Seite finden wir häufig Konflikte gerade zwischen kulturell besonders ähnlichen Gruppen. Als grobe Faustregel kann man sagen: Zwischen Menschen mit völlig unterschiedlichen Kulturen ist die Konfliktwahrscheinlichkeit geringer.“
Konflikte und Kriege haben nach Schlee häufig eine ethnische oder religiöse Ausdrucksform, die eigentlichen Ursachen sieht er allerdings woanders. Insbesondere meint er, dass es um materielle Ressourcen oder auch um Machtpositionen oder Posten ginge. Die ethnische Zugehörigkeit sei nur ein wichtiges Mobilisierungselement für bestimmte Akteursgruppen (Eliten), die den Konflikt wollten und davon profitierten. Entsprechend würden sich bei Konflikten, die als ethnisch oder religiös bezeichnet werden, erst im Verlauf des Konfliktes ein entsprechendes Bewusstsein oder eine Verhärtung dieser Identitäten herausbilden.
Schlee gibt einige Beispiele:
„In Darfur zum Beispiel haben große Teile der nicht arabischen Bevölkerung eine lange islamische Tradition, und zu den arabischen Reitermilizen gehören auch Schwarze. In den Medien wird das zu einfach dargestellt.“
„Schauen Sie sich die beklagenswerteste Gruppe der Opfer des Dritten Reiches an: Die Juden, die ja noch nicht einmal eine Konfliktpartei waren. Die Nazis mussten sie aus dem deutschen Volk herausdefinieren. Sie waren ja als Juden meist gar nicht erkennbar. Viele hatten als deutsche Soldaten im Ersten Weltkrieg gekämpft. Es kam zu einer künstlichen Abgrenzung der Mehrheit der Deutschen von einer Minderheit anderer Deutscher.“
Bzgl. dem Krieg in Jugoslawien sagt Schlee, dass z.B. viele bosnische Muslime gar nicht religiös waren. Schon deshalb scheide Religion als Begründung des Konflikts aus. Viele Menschen in dieser Region hatten z.B. auch einen serbischen Vater und eine kroatische Mutter. Erst im Verlauf des Konfliktes mussten sie sich für eine Identität entscheiden.
In Nordirland, wo Katholiken und Protestanten streiten, sind sich beide Parteien so ähnlich, wie es unterscheidbare Gruppen überhaupt sein können. Selbst in ihren Paraden gleichen sie sich, so Schlee weiter.
Ich finde es wichtig und sehr spannend, wie ein genaues Hinschauen oftmals andere Ergebnisse bringen kann. Sehr schnell wird immer wieder auf den Kriegsgrund Ethnie oder Religion verwiesen. Schlee hat seine Thesen in dem Buch „Wie Feindbilder entstehen: Eine Theorie religiöser und ethnischer Konflikte“ weiter ausgeführt. Bei Zeiten werde ich mir das Buch durchlesen und sicherlich nochmal auf das Thema zurückkommen.
Ich teile seine Ansicht, dass so etwas wie Religion oder Ethnie letztlich nur die Oberfläche kriegerischer Konflikte aufzeigt. Die tieferen Ursachen liegen woanders. Meiner Meinung nach allerdings nicht im Machtstreben von Eliten oder dem Streben nach Ressourcen. Kriege bringen keinen Gewinn, dass lehrt uns die Geschichte. In den beiden Texten über das „Märchen vom Krieg ums Öl“ habe ich auch die „Krieg für Öl“ These widerlegt (Teil 1, Teil 2). (Schlee dazu bzgl. des Irak-Krieges: "Dass für alle Beteiligten Öl eine große Rolle spielte, lässt sich wohl kaum leugnen.") Ich sehe die Ursachen vor allem in den Emotionen und destruktiven Kindheiten. Selbst wenn Machtstreben von Eliten einen wichtigen Hintergrund von Kriegen darstellen würde, erklärt dies nicht, warum sich die Massen so bereitwillig diesem Machtstreben und entsprechenden Manipulationen hingeben, warum sie andere Menschen bereitwillig töten. Und auch das Machtstreben der Eliten wäre emotional zu beleuchten. Ein emotional gesunder und lebendiger Mensch, würde niemals über Leichen gehen, um für sich ökonomische Vorteile zu sichern. Nur Menschen, deren Emotionen gestört sind, können so handeln. Machtstreben (destruktiver Ziele Willens) folgt nicht rationalen Mustern, sondern vor allem emotionalen.
Freitag, 25. Februar 2011
Kurze Anmerkung zu Verteidigungsminister Guttenberg
Wer einmal bei Googel Bilder „guttenberg“ + „afghanistan“ eingibt, wird auf etliche Bilder stoßen, die den Verteidigungsminister zusammen mit Soldaten und/oder im Einsatzgebiet der Bundeswehr in Afghanistan zeigen. Guttenberg ist da mal mit Kampfhelm und Sonnenbrille, mal mit Bundewehrshirt und schusssicherer Weste, mal im Kampfhubschrauber hinter einem Soldaten am Bordmaschinengewehrs usw. zu sehen. Bilder sprechen manchmal eine deutlichere Sprache, als das, was gesagt wird. Guttenberg scheint der Job als Befehlshaber einer sich im Krieg befindenden Bundeswehr zu gefallen, das sagen die Bilder. Guttenberg war schon als junger Mann bei der Bundeswehr und absolvierte einen Unteroffizierslehrgang. Die Bundeswehr liegt ihm also.
Der aktuelle Skandal um seine Doktorarbeit ist ein Thema für sich. Für mich noch erschreckender ist, dass ein deutscher Verteidigungsminister Guttenberg, der sich mit seiner ihm unterstellten Armee in einem Krieg befindet und diesen auch richtig findet, lange Zeit beliebtester Politiker in Deutschland war, laut manchen Medienberichten sogar auch jetzt noch ist.
Der aktuelle Skandal um seine Doktorarbeit ist ein Thema für sich. Für mich noch erschreckender ist, dass ein deutscher Verteidigungsminister Guttenberg, der sich mit seiner ihm unterstellten Armee in einem Krieg befindet und diesen auch richtig findet, lange Zeit beliebtester Politiker in Deutschland war, laut manchen Medienberichten sogar auch jetzt noch ist.
Mittwoch, 23. Februar 2011
"Bruder Gaddafi" und seine "Familie"
"Gaddafi schreit sein Volk nieder", schreibt der SPIEGEL über die aktuelle Fernsehrede des Diktators. "Während das Land im Chaos versinkt, die Luftwaffe auf Demonstranten schießt und mehrere Städte des Landes schon in den Händen der Opposition sein sollen, gerierte sich Gaddafi wie eine Mischung aus realitätsfernem Exzentriker und wutentbranntem Vater, dem die Kinder davonrennen. Emotionale, endlose und stellenweise wirre Reden sind die Libyer von ihrem Diktator gewohnt - aber dieser Auftritt war zu diesem Zeitpunkt eine Kampfansage an das eigene Volk.“
Mir fällt immer wieder auf, dass Führer autoritärer Staaten oder Diktatoren - aber auch andere politische Führer - eine Familienrolle einnehmen; meist die des Vaters, der über sein Volk wacht, alles weiß, allmächtig ist und ggf. Strafen verhängt, wenn es Fehlverhalten in seinem Hause gibt. Ebenfalls gibt es Beispiele dafür, wie Saaten nach Familienrollen aufgeteilt waren (z.B. der „große Bruder Russland“ und die angehängten Länder der UDSSR oder das ehemalige Jugoslawien, in dem sich laut Alenka Puhar das „Familien-Zadruga-System“ der Region in der dortigen Staatenaufteilung und in den entsprechenden Verhaltensweisen widerfand.) Gaddafis aktuelle Rede im Staatsfernsehen kam auch mir wie die eines wutentbranntem, autoritären Vaters vor, dem die Kontrolle über die Kinder verloren zu gehen droht. Gaddafi selbst ließ sich in der Vergangenheit gerne als „Bruder Gaddafi“, „Bruder Führer“, „Bruder Oberst“ oder „Bruder Revolutionsführer“ ansprechen. Auch hier findet sich wieder die Verbindung zur Familie in Sprache und Geste. Ein Anführer des „Clan der Warfala“ (mit rund einer Million Angehörigen) hat jetzt gesagt, Gaddafi sei kein Bruder mehr. Die „Familienbande“ wurde aufgelöst, so scheint es. Gaddafi wird nicht länger als oberstes „Familienoberhaupt“ akzeptiert, sondern bekämpft.
Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass ein offensichtlich Wahnsinniger 40 Jahre lang ein Volk regieren und unterdrücken konnte? Ich bin der festen Überzeugung, dass „Familienmitglieder“, die in der Kindheit Respekt, Geborgenheit und Liebe erfahren durften, nicht plötzlich einen „neuen Vater“ oder „Bruder“ akzeptieren würden, der brutal und autoritär vorgeht. Eben, weil sie es anderes kannten, weil ihr ganzes Denken und Fühlen von Freiheit, Vertrauen, Respekt und innerer Sicherheit geprägt wurde. Wenn dann einer wie Gaddafi käme und die Macht übernehmen möchte, würden sie ihn relativ schnell aus ihrer „Familie“ schmeißen. Wenn aber die Kindheit schon von Anfang an von Gewalt und Demütigungen geprägt war, dann ist auch ein „Vater“ oder „Bruder“ Gaddafi eben etwas, was man gewohnt ist, was man nicht hinterfragt, dem man sich beugt, dessen Anweisungen befolgt werden usw.
In der islamischen Welt ist Gewalt in vielfältiger Form gegen Kinder sehr weit verbreitet. Diese familiäre Gewalt bildet das Fundament für Unrechtsstaaten und destruktive Führer. Würde das Volk zu einem großen Teil aus geliebten Kindern bestehen, hätten Diktatoren keine Chance.
Interessant wäre es allerdings zu untersuchen, in wie weit sich in den letzten drei Jahrzenten die Kindererziehungspraxis in dieser Region ggf. weiterentwickelt und verbessert hat. Wenn sich da eine kontinuierliche Verbesserung feststellen ließe, wäre dies vielleicht eine mögliche Erklärung für den jetzigen Aufruhr. Wie sich Slowenien - das sich bzgl. der Kindererziehungspraxis wesentlich besser entwickelt hatte, als die anderen Balkanstaaten - Anfang der 80er Jahre immer mehr wie eine „befreite Adoleszente“ (siehe Alenka Puhar) zu verhalten begann und gegen den autoritären "Bruder Serbien" aufbegehrte, könnte auch in der islamischen Welt ein ähnlicher Prozess in Gang sein. Allerdings nicht zwischen Staaten, sondern innerhalb der Nationen. Ob die dortigen Staaten sich weiter zu einer „erwachsenen“ Demokratie entwickeln, bleibt abzuwarten. Ähnliche kriegerische Konflikte wie im ehemaligen Jugoslawien bleiben uns hoffentlich erspart.
Mir fällt immer wieder auf, dass Führer autoritärer Staaten oder Diktatoren - aber auch andere politische Führer - eine Familienrolle einnehmen; meist die des Vaters, der über sein Volk wacht, alles weiß, allmächtig ist und ggf. Strafen verhängt, wenn es Fehlverhalten in seinem Hause gibt. Ebenfalls gibt es Beispiele dafür, wie Saaten nach Familienrollen aufgeteilt waren (z.B. der „große Bruder Russland“ und die angehängten Länder der UDSSR oder das ehemalige Jugoslawien, in dem sich laut Alenka Puhar das „Familien-Zadruga-System“ der Region in der dortigen Staatenaufteilung und in den entsprechenden Verhaltensweisen widerfand.) Gaddafis aktuelle Rede im Staatsfernsehen kam auch mir wie die eines wutentbranntem, autoritären Vaters vor, dem die Kontrolle über die Kinder verloren zu gehen droht. Gaddafi selbst ließ sich in der Vergangenheit gerne als „Bruder Gaddafi“, „Bruder Führer“, „Bruder Oberst“ oder „Bruder Revolutionsführer“ ansprechen. Auch hier findet sich wieder die Verbindung zur Familie in Sprache und Geste. Ein Anführer des „Clan der Warfala“ (mit rund einer Million Angehörigen) hat jetzt gesagt, Gaddafi sei kein Bruder mehr. Die „Familienbande“ wurde aufgelöst, so scheint es. Gaddafi wird nicht länger als oberstes „Familienoberhaupt“ akzeptiert, sondern bekämpft.
Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass ein offensichtlich Wahnsinniger 40 Jahre lang ein Volk regieren und unterdrücken konnte? Ich bin der festen Überzeugung, dass „Familienmitglieder“, die in der Kindheit Respekt, Geborgenheit und Liebe erfahren durften, nicht plötzlich einen „neuen Vater“ oder „Bruder“ akzeptieren würden, der brutal und autoritär vorgeht. Eben, weil sie es anderes kannten, weil ihr ganzes Denken und Fühlen von Freiheit, Vertrauen, Respekt und innerer Sicherheit geprägt wurde. Wenn dann einer wie Gaddafi käme und die Macht übernehmen möchte, würden sie ihn relativ schnell aus ihrer „Familie“ schmeißen. Wenn aber die Kindheit schon von Anfang an von Gewalt und Demütigungen geprägt war, dann ist auch ein „Vater“ oder „Bruder“ Gaddafi eben etwas, was man gewohnt ist, was man nicht hinterfragt, dem man sich beugt, dessen Anweisungen befolgt werden usw.
In der islamischen Welt ist Gewalt in vielfältiger Form gegen Kinder sehr weit verbreitet. Diese familiäre Gewalt bildet das Fundament für Unrechtsstaaten und destruktive Führer. Würde das Volk zu einem großen Teil aus geliebten Kindern bestehen, hätten Diktatoren keine Chance.
Interessant wäre es allerdings zu untersuchen, in wie weit sich in den letzten drei Jahrzenten die Kindererziehungspraxis in dieser Region ggf. weiterentwickelt und verbessert hat. Wenn sich da eine kontinuierliche Verbesserung feststellen ließe, wäre dies vielleicht eine mögliche Erklärung für den jetzigen Aufruhr. Wie sich Slowenien - das sich bzgl. der Kindererziehungspraxis wesentlich besser entwickelt hatte, als die anderen Balkanstaaten - Anfang der 80er Jahre immer mehr wie eine „befreite Adoleszente“ (siehe Alenka Puhar) zu verhalten begann und gegen den autoritären "Bruder Serbien" aufbegehrte, könnte auch in der islamischen Welt ein ähnlicher Prozess in Gang sein. Allerdings nicht zwischen Staaten, sondern innerhalb der Nationen. Ob die dortigen Staaten sich weiter zu einer „erwachsenen“ Demokratie entwickeln, bleibt abzuwarten. Ähnliche kriegerische Konflikte wie im ehemaligen Jugoslawien bleiben uns hoffentlich erspart.
Montag, 21. Februar 2011
Wikipedia Analyse über die Darstellungen der Kindheiten von Diktatoren und destruktiven Politikern
Derzeit befasse ich mich - wie im vorherigen Beitrag erwähnt - damit, wie weit psychohistorische Thesen online verbreitet sind. Dazu gehört für mich auch die Sicht auf die jeweilige Kindheitsanalyse von Diktatoren und destruktive Politiker. Wer einen Namen wie „Adolf Hitler“ oder „Stalin“ bei Googel eingibt, erhält als erste Treffer meist die Darstellung der Person bei Wikipedia. Jeder, der sich für diese Person interessiert, erhält erste Informationen also über dieses Webportal. Zudem sind die Texte Gemeinschaftsprojekte und geben somit ein Bild davon ab, wie weit bestimmte Dinge allgemein bekannt sind oder sich auf den Wiki-Seiten überhaupt durchsetzen lassen oder ggf. auf Widerstand stoßen und wieder gelöscht werden. Für mich macht es also Sinn, mal nachzuschauen, wie viel dort über die Kindheit und die entsprechenden Gewalterfahrungen inkl. möglicher Folgen über die Personen berichtet wird, die ich hier in meinem Blog bereits analysiert habe (siehe Grundlagentext und extra Bill Clinton und Tony Blair). Denn nur, wenn die gewaltvollen Kindheiten dieser Personen überhaupt bekannt sind, werden auch psychohistorische Thesen mehr von Interesse.
Von 17 Diktatoren/politischen Führern, bei denen ich erhebliche Gewaltverhältnisse/Vernachlässigung in der Kindheit nachgewiesen habe, wird bei Wikipedia nur bei 6 von ihnen auf die destruktive Kindheit hingewiesen oder diese angedeutet. Von diesen 6 beinhaltet wiederum nur die Wiki-Darstellung von Adolf Hitler auch eine direkte Verknüpfung zu den psychischen Folgeschäden seiner Kindheit und somit auch zu seinem späteren politischen Handeln. Bei den anderen 5 wurden Gewalterfahrungen nur kurz mit einem Satz oder einzelnen Wörtern erwähnt, ohne auf mögliche Auswirkungen einzugehen.
Personen, bei denen Gewalterfahrungen/destruktive Kindheitserfahrungen erwähnt wurden:
Adolf Hitler:
Relativ viel über Herkunft und Familie. Erwähnung der Gewalt durch den Vater: „In Mein Kampf schildert Hitler den Vater als streng, autoritär, mitunter auch jähzornig und gewalttätig.“ Besonders auffällig ist ein relativ langer Absatz über Arno Gruens Analyse der destruktiven Eltern-Kind-Beziehung Hitlers und Thesen über die psychischen Folgeschäden. Diese Darstellungen sind meiner Erinnerung nach relativ neu, auf Wikipedia, noch vor über einem Jahr fand ich dort keine Erwähnung von Gruens Thesen. Diese Wikipedia Darstellung eines Diktators/politischen Führers ist somit die einzige, bezogen auf die hier analysierten Personen, in der direkt auf die Folgen der erlebten Gewalt hingewiesen wird und somit auch ein direkter Bezug zum späteren politischen Handeln hergestellt wird.
Stalin:
Kurzer Bericht über gewalttätigen Vater und dessen Alkoholismus. Kein Bericht über Gewalt durch die Mutter.
Wilhelm II.:
Andeutungen, dass seine Mutter ihn nicht akzeptierte; erwähnt werden kurz und beispielhaft die Maßnahmen, zur Behandlung seines Armes; Erwähnung, dass er seine Kindheit als „unglücklich“ empfand.
Ludwig XIII.:
Einziges Wiki-Zitat: „Das empfindsame Kind litt unter der strengen, durch Schläge geprägten Erziehung und der Trennung vom vergötterten Vater.“
Friedrich II. (Preußen):
Bericht über „strenge, autoritär und religiös geprägte Erziehung“ und über „Brutale körperliche und seelische Züchtigungen“, außerdem extra Kapitel über Konflikte mit dem Vater. Insofern ist diese Darstellung im Vergleich zu den anderen schon etwas herausragend.
Bill Clinton:
Einziges Wiki-Zitat: „Mit 14 Jahren nahm Clinton den Namen seines Stiefvaters an, den er selbst als Spieler und Alkoholiker bezeichnete und dem er überdies unterstellte, regelmäßig seine Mutter und gelegentlich auch seinen Bruder misshandelt zu haben“, kein Hinweis darauf, dass auch Clinton Opfer dieser Gewalt wurde.
Kein Bericht über Gewalterfahrungen und nichts oder fast nichts über Kindheit fand ich bei folgenden Personen:
Benito Mussolini
Francisco Franco
Nicolae Ceaușescu
Napoleon Bonaparte
Mao Zedong
Slobodan Milošević (außer vom Selbstmord des Vaters und Mutter erfährt man nichts über die Kindheit und Gewalt.)
Saddam Hussein (Erwähnung der versuchten Abtreibung durch seine Mutter, ansonsten kein Bericht über Gewalt und fast nichts über Kindheit.)
George W. Bush
George H. W. Bush
Ronald Reagan
Tony Blair
Von 17 Diktatoren/politischen Führern, bei denen ich erhebliche Gewaltverhältnisse/Vernachlässigung in der Kindheit nachgewiesen habe, wird bei Wikipedia nur bei 6 von ihnen auf die destruktive Kindheit hingewiesen oder diese angedeutet. Von diesen 6 beinhaltet wiederum nur die Wiki-Darstellung von Adolf Hitler auch eine direkte Verknüpfung zu den psychischen Folgeschäden seiner Kindheit und somit auch zu seinem späteren politischen Handeln. Bei den anderen 5 wurden Gewalterfahrungen nur kurz mit einem Satz oder einzelnen Wörtern erwähnt, ohne auf mögliche Auswirkungen einzugehen.
Personen, bei denen Gewalterfahrungen/destruktive Kindheitserfahrungen erwähnt wurden:
Adolf Hitler:
Relativ viel über Herkunft und Familie. Erwähnung der Gewalt durch den Vater: „In Mein Kampf schildert Hitler den Vater als streng, autoritär, mitunter auch jähzornig und gewalttätig.“ Besonders auffällig ist ein relativ langer Absatz über Arno Gruens Analyse der destruktiven Eltern-Kind-Beziehung Hitlers und Thesen über die psychischen Folgeschäden. Diese Darstellungen sind meiner Erinnerung nach relativ neu, auf Wikipedia, noch vor über einem Jahr fand ich dort keine Erwähnung von Gruens Thesen. Diese Wikipedia Darstellung eines Diktators/politischen Führers ist somit die einzige, bezogen auf die hier analysierten Personen, in der direkt auf die Folgen der erlebten Gewalt hingewiesen wird und somit auch ein direkter Bezug zum späteren politischen Handeln hergestellt wird.
Stalin:
Kurzer Bericht über gewalttätigen Vater und dessen Alkoholismus. Kein Bericht über Gewalt durch die Mutter.
Wilhelm II.:
Andeutungen, dass seine Mutter ihn nicht akzeptierte; erwähnt werden kurz und beispielhaft die Maßnahmen, zur Behandlung seines Armes; Erwähnung, dass er seine Kindheit als „unglücklich“ empfand.
Ludwig XIII.:
Einziges Wiki-Zitat: „Das empfindsame Kind litt unter der strengen, durch Schläge geprägten Erziehung und der Trennung vom vergötterten Vater.“
Friedrich II. (Preußen):
Bericht über „strenge, autoritär und religiös geprägte Erziehung“ und über „Brutale körperliche und seelische Züchtigungen“, außerdem extra Kapitel über Konflikte mit dem Vater. Insofern ist diese Darstellung im Vergleich zu den anderen schon etwas herausragend.
Bill Clinton:
Einziges Wiki-Zitat: „Mit 14 Jahren nahm Clinton den Namen seines Stiefvaters an, den er selbst als Spieler und Alkoholiker bezeichnete und dem er überdies unterstellte, regelmäßig seine Mutter und gelegentlich auch seinen Bruder misshandelt zu haben“, kein Hinweis darauf, dass auch Clinton Opfer dieser Gewalt wurde.
Kein Bericht über Gewalterfahrungen und nichts oder fast nichts über Kindheit fand ich bei folgenden Personen:
Benito Mussolini
Francisco Franco
Nicolae Ceaușescu
Napoleon Bonaparte
Mao Zedong
Slobodan Milošević (außer vom Selbstmord des Vaters und Mutter erfährt man nichts über die Kindheit und Gewalt.)
Saddam Hussein (Erwähnung der versuchten Abtreibung durch seine Mutter, ansonsten kein Bericht über Gewalt und fast nichts über Kindheit.)
George W. Bush
George H. W. Bush
Ronald Reagan
Tony Blair
Freitag, 18. Februar 2011
Die Kindheits-Ursprünge des Krieges in Jugoslawien werden nicht gesehen
Aktuell treibt mich intensiv die Frage um, warum Thesen, wie sie in diesem Blog vertreten werden (und wie sie durch BestsellerautorInnnen wie Gruen, Miller und deMause in etlichen Büchern nachvollziehbar ausgearbeitet worden sind), im Allgemeinen und in Fachkreisen und Medien im Besonderen i.d.R. gemieden werden wie die Pest. Genauer, eigentlich treibt mich mehr die Frage um, wie man diese Thesen weiter in die Öffentlichkeit bekommt.
Ein Beispiel: Die Slowenin Alenka Puhar hat zwei erschütternde aber sehr klare Beiträge veröffentlicht, die eindrucksvoll und gründlich die „Die Kindheits-Ursprünge des Krieges in Jugoslawien“ und die „Kindheitsalpträume und Rachephantasien“ auf dem Balkan analysieren. Bei aller Gründlichkeit und Nachvollziehbarkeit dieser Beiträge sollte man doch meinen, dass zumindest hier und da diese Texte zitiert oder besprochen wurden (gerade auch, weil die Texte zudem schon seit ein paar Jahren online für alle Interessierten kostenlos zu lesen sind). Vielleicht sogar ein Interview in einer Zeitung mit Puhar zu diesem Thema zu finden ist.
Wenn ich bei Googel "Die Kindheits-Ursprünge des Krieges in Jugoslawien" eingebe, erhalte ich heute ganze 39 Treffer. Für die Suchbegriffe "Alenka Puhar" + Krieg + Jugoslawien erscheinen 89 Treffer. Gibt man "Alenka Puhar" +Kindheit + Jugoslawien ein, erhält man ganze 30 Treffer. Die einzigen paar brauchbaren Treffer, die wirklich in Teilen auf die Texte und Thesen von Puhar eingehen, sind wiederum psychohistorische Texte, vor allem von Winfried Kurt. Natürlich erscheint auch mein Blog in der Trefferliste. Ansonsten erhält man weitegehend Treffer der Personensuchmaschine „yasni“ und ähnliche Registerseiten oder zwei, drei Links auf die Texte. Das war es! Keine einzige deutsche Zeitung scheint – zumindest laut Onlineabfrage – auf diese tieferen Ursachen des Krieges aufmerksam geworden zu sein. Der einzige – außerpsychohistorische – wissenschaftliche Beitrag, der sich kurz und eher in einem Nebensatz auf Puhar bezieht, ist der von Mišković unter dem Titel „Rezension zu Holm Sundhaussen: Geschichte Serbiens. 19.-20. Jahrhundert“.
Gebe ich dagegen als Suchworte „Ursachen + Krieg + Jugoslawien“ ein, dann erhalte ich enorme 297.000 Googel-Treffer. Die Ursachen des Krieges im ehemaligen Jugoslawien waren und sind also von Interesse. Dass die psychohistorische Analyse im Grunde gar keine Aufmerksamkeit bekommt, ist niederschmetternd, leider aber nun mal Realität. Insofern hoffe ich, dass ich durch meinen Blog zukünftig etwas mehr Menschen dazu anrege, sich mit den Texten von Alenka Puhar zu befassen.
Ein Beispiel: Die Slowenin Alenka Puhar hat zwei erschütternde aber sehr klare Beiträge veröffentlicht, die eindrucksvoll und gründlich die „Die Kindheits-Ursprünge des Krieges in Jugoslawien“ und die „Kindheitsalpträume und Rachephantasien“ auf dem Balkan analysieren. Bei aller Gründlichkeit und Nachvollziehbarkeit dieser Beiträge sollte man doch meinen, dass zumindest hier und da diese Texte zitiert oder besprochen wurden (gerade auch, weil die Texte zudem schon seit ein paar Jahren online für alle Interessierten kostenlos zu lesen sind). Vielleicht sogar ein Interview in einer Zeitung mit Puhar zu diesem Thema zu finden ist.
Wenn ich bei Googel "Die Kindheits-Ursprünge des Krieges in Jugoslawien" eingebe, erhalte ich heute ganze 39 Treffer. Für die Suchbegriffe "Alenka Puhar" + Krieg + Jugoslawien erscheinen 89 Treffer. Gibt man "Alenka Puhar" +Kindheit + Jugoslawien ein, erhält man ganze 30 Treffer. Die einzigen paar brauchbaren Treffer, die wirklich in Teilen auf die Texte und Thesen von Puhar eingehen, sind wiederum psychohistorische Texte, vor allem von Winfried Kurt. Natürlich erscheint auch mein Blog in der Trefferliste. Ansonsten erhält man weitegehend Treffer der Personensuchmaschine „yasni“ und ähnliche Registerseiten oder zwei, drei Links auf die Texte. Das war es! Keine einzige deutsche Zeitung scheint – zumindest laut Onlineabfrage – auf diese tieferen Ursachen des Krieges aufmerksam geworden zu sein. Der einzige – außerpsychohistorische – wissenschaftliche Beitrag, der sich kurz und eher in einem Nebensatz auf Puhar bezieht, ist der von Mišković unter dem Titel „Rezension zu Holm Sundhaussen: Geschichte Serbiens. 19.-20. Jahrhundert“.
Gebe ich dagegen als Suchworte „Ursachen + Krieg + Jugoslawien“ ein, dann erhalte ich enorme 297.000 Googel-Treffer. Die Ursachen des Krieges im ehemaligen Jugoslawien waren und sind also von Interesse. Dass die psychohistorische Analyse im Grunde gar keine Aufmerksamkeit bekommt, ist niederschmetternd, leider aber nun mal Realität. Insofern hoffe ich, dass ich durch meinen Blog zukünftig etwas mehr Menschen dazu anrege, sich mit den Texten von Alenka Puhar zu befassen.
Samstag, 5. Februar 2011
Nicht vergessen: Deutschland ist im Krieg!
Fünf deutsche Soldaten berichten, wie sie in Afghanistan verletzt wurden, wie Kameraden starben und wie „Taliban“ getötet wurden: „Die Narben des Krieges“
Dienstag, 1. Februar 2011
Kindheit und Volksaufstand in Ägypten
Erst ein Volksaufstand in Tunesien jetzt auch in Ägypten. Es ist einiges los in Nordafrika, einer Region, die mir nicht wirklich bekannt ist und über die ich politisch wenig beitragen kann. Wir werden sehen, wie sich diese Länder weiter entwickeln.
Mir fällt aktuell allerdings eine Studie ein. In Ägypten sagten bei einer Umfrage 37 % der Kinder, dass sie von ihren Eltern misshandelt oder gefesselt würden. 26 % berichteten über Knochenbrüche, Bewusstlosigkeit oder eine bleibende Behinderung aufgrund der Misshandlungen. (vgl. WHO, 2002, S. 62) Diese Zahlen sind heftig und erschreckend, vor allem auch bzgl. der schwerwiegenden Folgen der Gewalt, die hier berichtet wurden. Die Original Studie heißt: Youssef RM, Attia MS, Kamel MI. 1998: Children experiencing violence: parental use of corporal punishment. Child Abuse & Neglect , 22:959–973. Sie ist also aus dem Jahr 1998. Über 13 Jahre sind seitdem vergangen und diejenigen, die damals Kind waren, sind heute junge Männer und Frauen und viele von ihnen werden heute auf den Straßen sein, ob nun als Demonstrant, Polizist oder Militär. Die ältere Generation, die zukünftig Machtpositionen einnehmen wird, wird vermutlich sogar noch mehr und noch härter von elterlicher Gewalt betroffen sein.
Vor diesem Hintergrund wird es vermutlich ein schwerer Weg für eine echte Demokratiebewegung werden. Heute haben die Ägypter ein gemeinsames Ziel und einen realen Feind: Das autoritäre Regime Mubarak. Doch was kommt danach? Kann eine Nation, die zu über einem Drittel als Kind schwer misshandelt wurde, eine friedliche Revolution schaffen und eine echte Demokratie aufbauen? Grundsätzlich will ich hier nicht Nein sagen. Alles ist möglich. Die dortigen Entwicklungen bleiben spannend und schon jetzt wird deutlich, dass der Sturz autoritärer Regime in islamischen Ländern auch von den Menschen selbst geschafft werden kann. Man braucht dazu keine US-Invasion…
Mir fällt aktuell allerdings eine Studie ein. In Ägypten sagten bei einer Umfrage 37 % der Kinder, dass sie von ihren Eltern misshandelt oder gefesselt würden. 26 % berichteten über Knochenbrüche, Bewusstlosigkeit oder eine bleibende Behinderung aufgrund der Misshandlungen. (vgl. WHO, 2002, S. 62) Diese Zahlen sind heftig und erschreckend, vor allem auch bzgl. der schwerwiegenden Folgen der Gewalt, die hier berichtet wurden. Die Original Studie heißt: Youssef RM, Attia MS, Kamel MI. 1998: Children experiencing violence: parental use of corporal punishment. Child Abuse & Neglect , 22:959–973. Sie ist also aus dem Jahr 1998. Über 13 Jahre sind seitdem vergangen und diejenigen, die damals Kind waren, sind heute junge Männer und Frauen und viele von ihnen werden heute auf den Straßen sein, ob nun als Demonstrant, Polizist oder Militär. Die ältere Generation, die zukünftig Machtpositionen einnehmen wird, wird vermutlich sogar noch mehr und noch härter von elterlicher Gewalt betroffen sein.
Vor diesem Hintergrund wird es vermutlich ein schwerer Weg für eine echte Demokratiebewegung werden. Heute haben die Ägypter ein gemeinsames Ziel und einen realen Feind: Das autoritäre Regime Mubarak. Doch was kommt danach? Kann eine Nation, die zu über einem Drittel als Kind schwer misshandelt wurde, eine friedliche Revolution schaffen und eine echte Demokratie aufbauen? Grundsätzlich will ich hier nicht Nein sagen. Alles ist möglich. Die dortigen Entwicklungen bleiben spannend und schon jetzt wird deutlich, dass der Sturz autoritärer Regime in islamischen Ländern auch von den Menschen selbst geschafft werden kann. Man braucht dazu keine US-Invasion…
Freitag, 21. Januar 2011
11.664 Terroropfer innerhalb der USA seit dem 11. September
Je weiter die Zeit voranschreitet, desto wahrscheinlicher wird es, dass wir hier in Deutschland und/oder anderen europäischen Ländern oder auch in den USA einen Terroranschlag erleben werden, der vor einem islamistisch-fundamentalistischen Hintergrund geschieht und bei dem Menschen sterben. Solange die Welt also noch im Hier und Jetzt rational denken kann und nicht Bilder von Opfern vor Augen hat, sollte so viel wie möglich darüber geschrieben werden, wie wir denn eigentlich mit diesen Anschlägen umgehen wollen.
Ich bin sicher nicht der Einzige, der mit Anschlägen rechnet. Zu sehr wurde der Hass seit 1990 geschürt. Neue Feindbilder mussten her, da der („böse“) Ostblock nicht mehr zur Verfügung stand. Die Globalisierung begünstigte zudem die Globalisierung des Terrors.
Die Ereignisse nach dem 11. September 2001 haben bei mir eine ganze neue Sorge ausgelöst. Diese Sorge habe ich am 05.10.2010 bereits formuliert und mir fällt keine bessere ein:
„Wenn man sich vor Augen führt, dass durch die Anschlagsserie vom 11. September ca. 3000 Menschen auf amerikanischem Boden starben, durch die kriegerische Reaktion der USA allerdings mehrere hunderttausend Menschen außerhalb der USA ihr Leben verloren, dann habe ich erlichgesagt mehr Angst vor eben dieser möglichen Reaktion auf zukünftige Terroranschläge.“
Wenn es um Wahrscheinlichkeitsrechnung geht, dann muss ich mir als in Deutschland lebender Mensch wenig Sorgen machen, Opfer eines Terroranschlages zu werden. Ein Verkehrsunfall und andere Risiken des (lebensgefährlichen) Lebens sind weitaus wahrscheinlicher. Das gilt auch für die USA. Es muss hier auch erlaubt sein, einfach mal 3.000 Opfer des 11. September den ca. 311 Millionen Einwohnern der USA gegenüberzustellen. Diese Zahlen zeigen: Die Wahrscheinlichkeit, Opfer von Terror zu werden, ist sehr sehr gering, zumindest im Westen.
Nun will ich nicht sagen, dass ich den Schock, die Wut und die Angst, die die damalige Anschlagsserie auslöste, nicht nachvollziehen kann. Ich selbst war auch schockiert und traurig. Ich selbst stand ca. ein Jahr vorher noch als Tourist auf dem World Trade Center und bereiste damals die USA zusammen mit zwei Freunden drei Monate von Ost nach Süd, von Süd nach West und von West nach Ost. Nur den Hass, die Rache und den Krieg, kurz die Reaktionen der USA (und ihrer Verbündeten inkl. Deutschland) auf diese Anschläge bleiben für mich unverständlich und irrational. Damals flogen die Herzen und das Mitgefühl den USA zunächst noch zu. Wenn diese Nation fähig gewesen wäre, mit echter öffentlicher Trauer auf die Anschläge zu reagieren, statt mit Krieg und Gewalt, sie hätten die Welt verändert, zum Guten.
Ach ja… sage ich nur, was soll ich noch weiter dazu schreiben…
Also kommen wir zu dem eigentlichen Punkt, auf den ich durch diesen Beitrag hinweisen möchte:
Nach der UNICEF-Vergleichsstudie „Child Maltreatment Deaths in Rich Nations“ aus dem Jahr 2003 sterben in den USA jede Woche 27 Kinder auf Grund von Misshandlung und Vernachlässigung. In Deutschland sterben 2 Kinder die Woche. (Dazu muss erwähnt werden, dass sicher nicht alle Todesfälle von Kindern entsprechend gründlich untersucht werden und diese Zahlen real sicher noch etwas höher liegen.) Da die Gewalt gegen Kinder stetig aber sehr langsam abnimmt, könnten in den Folgejahren diese Zahlen etwas nach unten gegangen sein. Nehmen wir sie trotzdem zur Grundlage. Demnach sterben in den USA jedes Jahr ca. 1.296 Kinder auf Grund von (meist elterlicher) Misshandlung und Vernachlässigung (und das ist nur die Spitze des Eisberges an Terror in Form von Misshandlungen, Missbrauch und Vernachlässigung). Das sind seit dem 11. September (also einfach gerechnet runde 9 Jahre) 11.664 durch meist elterlichen Terror umgebrachte Kinder! Fast vier mal so viele Menschen, wie am 11. September umkamen. In Deutschland kamen demnach im gleichen Zeitraum ca. 864 Kinder um. Diese traurigen Ereignisse führten allerdings nicht dazu, dass die "Special Forces" sich von Kampfhubschraubern aus in die gepflegten Vorstadtgärten der USA abseilten, um Razzien durchzuführen und Geständnisse zu erpressen. Auch wurden keine Bomben über möglicherweise besonders verdächtige (sehr familienreiche) Orte abgeworfen. Letztendlich wurde noch nicht einmal viel über diese Zahlen berichtet und geredet.
Die Ereignisse vom 11. September waren ein Schock. Und die Bilder unglaublich. Einige Billionen Dollar wurden in der Folge für unnütze und brutale Kriege ausgegeben. Tausende Menschen starben. Ist das zu verstehen? Rational nicht. Emotional schon, wenn die tausenden Opfer als "Giftcontainer" für die emotionalen Probleme (abgespaltene traumatische Erfahrungen in der Kindheit) der USA und auch Europa gesehen werden. Die Opfer erfüllten also einen emotionalen Sinn. Keiner gibt dagegen Billionen dafür aus, dass Kinder im eigenen Land geschützt werden, obwohl diese Aktion sehr viel mehr Sinn machen würde und die Bedrohung sehr real und weitaus größer ist. Man hätte dann allerdings auch keinen bösen Feind und keine Opfer und keine Reinszenierung traumatischer Erlebnisse und würde sich nicht selbst zerstören... Die o.g. Zahlen über die unzähligen Terroropfer von (meist) Eltern sollten diese abgehobene und irrationale Reaktion noch einmal etwas in ein anderes Licht rücken. Ich weiß nicht, ob klar wird, um was es mir geht. Ich ahne allerdings, dass ich in Zukunft auf diesen Text verweisen werde müssen, leider.
Ich habe natürlich eine viel bessere Idee, aber auf mich hört ja keiner. Warum nicht einfach Milliarden Dollar in den Kinderschutz (auch international) investieren (und auf Terroranschläge mit Trauer, statt mit Militäraktionen reagieren!)? Das wäre sinnvoll, besser heute als Morgen.
Nochmal mein Fazit in deutlichen Worten: Zukünftig werden bei uns Menschen durch Terroranschläge sterben. Wir sollten unsere Ängste in der Folge relativieren und nicht mit dem Töten anderen Menschen oder dem weiteren Abbau demokratischer Strukturen darauf reagieren.
(Übrigens wurden zwischen 1990 und 2010 in Deutschland 137 Todesopfer rechter Gewalt registriert. Auch dies führte nicht zu abgehobenen Reaktionen und millionenschweren Militäreinsätzen mit unzähligen wahllosen Opfern.)
Ich bin sicher nicht der Einzige, der mit Anschlägen rechnet. Zu sehr wurde der Hass seit 1990 geschürt. Neue Feindbilder mussten her, da der („böse“) Ostblock nicht mehr zur Verfügung stand. Die Globalisierung begünstigte zudem die Globalisierung des Terrors.
Die Ereignisse nach dem 11. September 2001 haben bei mir eine ganze neue Sorge ausgelöst. Diese Sorge habe ich am 05.10.2010 bereits formuliert und mir fällt keine bessere ein:
„Wenn man sich vor Augen führt, dass durch die Anschlagsserie vom 11. September ca. 3000 Menschen auf amerikanischem Boden starben, durch die kriegerische Reaktion der USA allerdings mehrere hunderttausend Menschen außerhalb der USA ihr Leben verloren, dann habe ich erlichgesagt mehr Angst vor eben dieser möglichen Reaktion auf zukünftige Terroranschläge.“
Wenn es um Wahrscheinlichkeitsrechnung geht, dann muss ich mir als in Deutschland lebender Mensch wenig Sorgen machen, Opfer eines Terroranschlages zu werden. Ein Verkehrsunfall und andere Risiken des (lebensgefährlichen) Lebens sind weitaus wahrscheinlicher. Das gilt auch für die USA. Es muss hier auch erlaubt sein, einfach mal 3.000 Opfer des 11. September den ca. 311 Millionen Einwohnern der USA gegenüberzustellen. Diese Zahlen zeigen: Die Wahrscheinlichkeit, Opfer von Terror zu werden, ist sehr sehr gering, zumindest im Westen.
Nun will ich nicht sagen, dass ich den Schock, die Wut und die Angst, die die damalige Anschlagsserie auslöste, nicht nachvollziehen kann. Ich selbst war auch schockiert und traurig. Ich selbst stand ca. ein Jahr vorher noch als Tourist auf dem World Trade Center und bereiste damals die USA zusammen mit zwei Freunden drei Monate von Ost nach Süd, von Süd nach West und von West nach Ost. Nur den Hass, die Rache und den Krieg, kurz die Reaktionen der USA (und ihrer Verbündeten inkl. Deutschland) auf diese Anschläge bleiben für mich unverständlich und irrational. Damals flogen die Herzen und das Mitgefühl den USA zunächst noch zu. Wenn diese Nation fähig gewesen wäre, mit echter öffentlicher Trauer auf die Anschläge zu reagieren, statt mit Krieg und Gewalt, sie hätten die Welt verändert, zum Guten.
Ach ja… sage ich nur, was soll ich noch weiter dazu schreiben…
Also kommen wir zu dem eigentlichen Punkt, auf den ich durch diesen Beitrag hinweisen möchte:
Nach der UNICEF-Vergleichsstudie „Child Maltreatment Deaths in Rich Nations“ aus dem Jahr 2003 sterben in den USA jede Woche 27 Kinder auf Grund von Misshandlung und Vernachlässigung. In Deutschland sterben 2 Kinder die Woche. (Dazu muss erwähnt werden, dass sicher nicht alle Todesfälle von Kindern entsprechend gründlich untersucht werden und diese Zahlen real sicher noch etwas höher liegen.) Da die Gewalt gegen Kinder stetig aber sehr langsam abnimmt, könnten in den Folgejahren diese Zahlen etwas nach unten gegangen sein. Nehmen wir sie trotzdem zur Grundlage. Demnach sterben in den USA jedes Jahr ca. 1.296 Kinder auf Grund von (meist elterlicher) Misshandlung und Vernachlässigung (und das ist nur die Spitze des Eisberges an Terror in Form von Misshandlungen, Missbrauch und Vernachlässigung). Das sind seit dem 11. September (also einfach gerechnet runde 9 Jahre) 11.664 durch meist elterlichen Terror umgebrachte Kinder! Fast vier mal so viele Menschen, wie am 11. September umkamen. In Deutschland kamen demnach im gleichen Zeitraum ca. 864 Kinder um. Diese traurigen Ereignisse führten allerdings nicht dazu, dass die "Special Forces" sich von Kampfhubschraubern aus in die gepflegten Vorstadtgärten der USA abseilten, um Razzien durchzuführen und Geständnisse zu erpressen. Auch wurden keine Bomben über möglicherweise besonders verdächtige (sehr familienreiche) Orte abgeworfen. Letztendlich wurde noch nicht einmal viel über diese Zahlen berichtet und geredet.
Die Ereignisse vom 11. September waren ein Schock. Und die Bilder unglaublich. Einige Billionen Dollar wurden in der Folge für unnütze und brutale Kriege ausgegeben. Tausende Menschen starben. Ist das zu verstehen? Rational nicht. Emotional schon, wenn die tausenden Opfer als "Giftcontainer" für die emotionalen Probleme (abgespaltene traumatische Erfahrungen in der Kindheit) der USA und auch Europa gesehen werden. Die Opfer erfüllten also einen emotionalen Sinn. Keiner gibt dagegen Billionen dafür aus, dass Kinder im eigenen Land geschützt werden, obwohl diese Aktion sehr viel mehr Sinn machen würde und die Bedrohung sehr real und weitaus größer ist. Man hätte dann allerdings auch keinen bösen Feind und keine Opfer und keine Reinszenierung traumatischer Erlebnisse und würde sich nicht selbst zerstören... Die o.g. Zahlen über die unzähligen Terroropfer von (meist) Eltern sollten diese abgehobene und irrationale Reaktion noch einmal etwas in ein anderes Licht rücken. Ich weiß nicht, ob klar wird, um was es mir geht. Ich ahne allerdings, dass ich in Zukunft auf diesen Text verweisen werde müssen, leider.
Ich habe natürlich eine viel bessere Idee, aber auf mich hört ja keiner. Warum nicht einfach Milliarden Dollar in den Kinderschutz (auch international) investieren (und auf Terroranschläge mit Trauer, statt mit Militäraktionen reagieren!)? Das wäre sinnvoll, besser heute als Morgen.
Nochmal mein Fazit in deutlichen Worten: Zukünftig werden bei uns Menschen durch Terroranschläge sterben. Wir sollten unsere Ängste in der Folge relativieren und nicht mit dem Töten anderen Menschen oder dem weiteren Abbau demokratischer Strukturen darauf reagieren.
(Übrigens wurden zwischen 1990 und 2010 in Deutschland 137 Todesopfer rechter Gewalt registriert. Auch dies führte nicht zu abgehobenen Reaktionen und millionenschweren Militäreinsätzen mit unzähligen wahllosen Opfern.)
Sonntag, 16. Januar 2011
Offener und verdeckter Wahn. Oder: Warum Jared Lee Loughner nicht psychisch krank wäre, wenn er doch Soldat geworden wäre
In der ZEIT ist aktuell der Artikel „Loughners Abstieg in den Wahn“ erschienen. Der Autor fasst seine Ansicht zusammen: „Wer die lange Liste durchgeht – in Amerika und Deutschland, in Finnland, Großbritannien und Japan – stößt stets auf das gleiche Muster. Das Verbrechen war nicht dem politischen Klima, der Ideologie oder den Gewaltvideos geschuldet, sondern der gestörten Psyche und entrückten Existenz des Täters.“ (Klassisch ist in dem Artikel, dass der Autor nicht fragt, wie psychische Störungen denn eigentlich entstehen. Aber das nur nebenbei.)
Dem gebe ich grundsätzlich Recht. I.d.R. gilt: Ohne Psychopathologie kein Mord und erst recht kein Amoklauf. Letzeres war die Tat letztlich, da sie sich wahllos gegen Menschen richtete, nachdem die demokratische Abgeordnete getroffen war. Ich glaube auch nicht, dass man führende Köpfe wie Sarah Palin hauptsächlich für die Tat mit in die Verantwortung nehmen kann. Geschossen hat natürlich nur der Täter. Trotzdem muss man auch weiter in die Tiefe gehen und dort Fragen stellen dürfen. Auch ein „Klima des Hasses“ wurde in den USA meiner Meinung nach letztlich nicht von Einzelnen geschaffen. Die Wurzeln des Hasses liegen tief in der amerikanischen Gesellschaft. Politische (emotionale) Delegierte vermögen den Hass – im „heimlichen Auftrag“ des Volkes - durch Reden etwas weiter an die Oberfläche zu spülen. Das Hauptproblem sind aber nicht diese wenigen Köpfe, sondern die vielen „ganz normalen“ Bürger und Bürgerinnen und deren gestörte Emotionen. (siehe auch: "Kindheit in den USA. God save America's children!") Nur diese Vielen erklären, warum der (mediale) Hass so offen in der amerikanischen Öffentlichkeit ausgetragen werden kann. Dieser allgemeine und tief verwurzelte Hass lenkt wiederum – sofern er deutlich in den Medien und der Öffentlichkeit aufgeführt wird - schwer gestörte Psychopathen und verleitet diese ggf. zu Anschlägen. Diesen Zusammenhang sollte man nicht ausblenden, auch wenn Loughner ein Fall für die Psychiatrie ist oder besser ein Fall für ein (therapeutisch begleitendes) Gefängnis.
Für mich stellt dieser Fall mal wieder eine schwierige Frage auf: Wie unterscheiden sich die „offen emotional Gestörten“ von den „verdeckt emotional Gestörten“? Oder besser: Wie geht die Gesellschaft mit den offen Wahnsinnigen um, wie mit den verdeckt Wahnsinnigen? Warum haben wir kein Problem damit, Einzeltäter, die einfache Menschen sind, als psychisch gestört anzusehen, während wir ganze Gruppen oder Gesellschaften oder Eliten, die destruktiv handeln, nicht als gestört ansehen?
Im Grundlagentext zitierte ich deMause. DeMause spricht in Folge kindlicher Gewalterfahrungen von abgespaltenen „Alter Egos“ (mehrere andere Ichs), diese sind letztlich wie (explosive) Koffer, in die die Menschen ihre traumatischen, abgespaltenen und urerträglichen Ängste und ihren Ärger packen. Diese Textstelle fällt mir hier wieder ein: „Mit Ausnahme einiger Psychopathen und Psychotiker bewahren die meisten von uns ihre Koffer im Schrank hinter verschlossener Tür auf, scheinbar abseits unseres täglichen Lebens – aber dann verleihen wir die Schlüssel an emotional Delegierte, von denen wir abhängig sind, um die Inhalte ausagieren zu können und die es uns möglich machen, die Identifikation mit den Handlungen zu verleugnen.“ DeMause bezieht dies vor allem auf die Entstehung von Kriegen.
Das Bild der Koffer bringt es wohl auf den Punkt. Vielleicht könnte man das Bild hier etwas weiter stricken. Menschen wie Loughner packen ihre Koffer aus, dabei achten sie allerdings nicht darauf, wie die Werte- und Normenvorstellungen der Gesellschaft aussehen, was „das Kofferauspacken“ angeht. Deshalb werden sie weggesperrt und als psychisch Kranke behandelt. Andere drücken ihre Koffer zu, sperren sie in den Schrank. Das mag dann ggf. sehr eigenverantwortliches Handeln sein oder auch andere Gründe haben. Aber eigentlich glaube ich, dass die Koffer nie wirklich zu verschließen sind (solange sie nicht therapeutisch entschärft wurden) und sich stets Destruktivität in den normalen Alltag mischt.
Viel wichtiger ist allerdings, dass es viele Menschen gibt, die ihre Koffer ebenfalls auspacken, genau wie Loughner. Sie gehen dabei nur geschickter vor, passen sich dem Werte- und Normenvorstellungen an und wissen sich gut zu verstellen. Z.B. indem sie einfach Soldat werden und legal Gewalt ausüben können. Da kann mensch dann z.B. über 80 Menschen töten und keiner würde einen später wegsperren oder als psychisch krank ansehen, sondern eher als „Opfer“ der Umstände Krieg. Wobei der Fall nicht so einfach ist, denn Loughner wollte ja Soldat werden und wäre heute wahrscheinlich in Afghanistan oder im Irak. Vielleicht wäre er sogar ein besonders guter Soldat geworden. Dass er polizeilich registriert war, brachte ihm eine Ablehnung beim Militär ein. Er wollte also ursprünglich die Spielregeln der legalen Gewalt akzeptieren. Nun steht er als psychisch Kranker da, da er die Regeln gebrochen hat.
Andere handeln destruktiv in der Wirtschaft, unterstützen dabei Prozesse, die etlichen Menschen das Leben kosten (manchmal mehr, als durch Krieg). Das sind dann rationale „Fehlentscheidungen“ usw. usf. Ich denke, man versteht, um was es mir hier geht.
Dazu kommt, dass der Faktor Macht ein guter Schutzschirm ist. Jemand der hoch angesehen ist und/oder über viel Macht verfügt, der kann schon mal seine Koffer auspacken, ohne gleich weggesperrt zu werden. George W. Bush ist da vielleicht ein klassisches Beispiel. Als demokratisch gewählter US-Präsident ist man vielleicht geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie man tausende Menschen umbringen kann, ohne jemals bestraft oder als psychisch Kranker weggesperrt zu werden.
Viele Gesellschaften sind psychisch krank. Die US-Gesellschaft nach meinem Empfinden wesentlich mehr als die deutsche, die afghanische erheblich mehr als die us-amerikanische usw. Heilung kann aber nur wirklich beginnen, wenn sich die Gesellschaft ihr Kranksein überhaupt eingesteht. Ansonsten ist der Weg ein Langsamer, dadurch dass sich die Kindererziehung stetig verbessert und Erwachsene Psychotherapie machen. Ja, ein schwieriges Thema.
Abschließend noch ein Zitat aus o.g. ZEIT Artikel: „Dann ein wütender Streit mit seinem Vater, nach dem der Sohn davon stürmt. Der Rest ist Geschichte, die Amerika noch lange quälen wird.“ Über Loughner hatte ich ja bereits einen Beitrag geschrieben. Es passt ins Bild und hat eine erhebliche Symbolik, dass er direkt nach einem großen Streit mit seinem Vater den Amoklauf begann. „Aber sie wird nicht von politischen Meteorologen geschrieben, sondern von Psychiatern und sorgfältig recherchierenden Reportern. Das "Klima des Hasses" ist eine andere Story, so real sie auch ist.“, schreibt der ZEIT-Autor im nächsten Satz weiter. Letztlich ist es das familiäre Klima des Hasses, das uns bzgl. Loughner und den DurschnittsamerikanerInnen interessieren sollte und das sehr wohl zur selben Story gehört.
Dem gebe ich grundsätzlich Recht. I.d.R. gilt: Ohne Psychopathologie kein Mord und erst recht kein Amoklauf. Letzeres war die Tat letztlich, da sie sich wahllos gegen Menschen richtete, nachdem die demokratische Abgeordnete getroffen war. Ich glaube auch nicht, dass man führende Köpfe wie Sarah Palin hauptsächlich für die Tat mit in die Verantwortung nehmen kann. Geschossen hat natürlich nur der Täter. Trotzdem muss man auch weiter in die Tiefe gehen und dort Fragen stellen dürfen. Auch ein „Klima des Hasses“ wurde in den USA meiner Meinung nach letztlich nicht von Einzelnen geschaffen. Die Wurzeln des Hasses liegen tief in der amerikanischen Gesellschaft. Politische (emotionale) Delegierte vermögen den Hass – im „heimlichen Auftrag“ des Volkes - durch Reden etwas weiter an die Oberfläche zu spülen. Das Hauptproblem sind aber nicht diese wenigen Köpfe, sondern die vielen „ganz normalen“ Bürger und Bürgerinnen und deren gestörte Emotionen. (siehe auch: "Kindheit in den USA. God save America's children!") Nur diese Vielen erklären, warum der (mediale) Hass so offen in der amerikanischen Öffentlichkeit ausgetragen werden kann. Dieser allgemeine und tief verwurzelte Hass lenkt wiederum – sofern er deutlich in den Medien und der Öffentlichkeit aufgeführt wird - schwer gestörte Psychopathen und verleitet diese ggf. zu Anschlägen. Diesen Zusammenhang sollte man nicht ausblenden, auch wenn Loughner ein Fall für die Psychiatrie ist oder besser ein Fall für ein (therapeutisch begleitendes) Gefängnis.
Für mich stellt dieser Fall mal wieder eine schwierige Frage auf: Wie unterscheiden sich die „offen emotional Gestörten“ von den „verdeckt emotional Gestörten“? Oder besser: Wie geht die Gesellschaft mit den offen Wahnsinnigen um, wie mit den verdeckt Wahnsinnigen? Warum haben wir kein Problem damit, Einzeltäter, die einfache Menschen sind, als psychisch gestört anzusehen, während wir ganze Gruppen oder Gesellschaften oder Eliten, die destruktiv handeln, nicht als gestört ansehen?
Im Grundlagentext zitierte ich deMause. DeMause spricht in Folge kindlicher Gewalterfahrungen von abgespaltenen „Alter Egos“ (mehrere andere Ichs), diese sind letztlich wie (explosive) Koffer, in die die Menschen ihre traumatischen, abgespaltenen und urerträglichen Ängste und ihren Ärger packen. Diese Textstelle fällt mir hier wieder ein: „Mit Ausnahme einiger Psychopathen und Psychotiker bewahren die meisten von uns ihre Koffer im Schrank hinter verschlossener Tür auf, scheinbar abseits unseres täglichen Lebens – aber dann verleihen wir die Schlüssel an emotional Delegierte, von denen wir abhängig sind, um die Inhalte ausagieren zu können und die es uns möglich machen, die Identifikation mit den Handlungen zu verleugnen.“ DeMause bezieht dies vor allem auf die Entstehung von Kriegen.
Das Bild der Koffer bringt es wohl auf den Punkt. Vielleicht könnte man das Bild hier etwas weiter stricken. Menschen wie Loughner packen ihre Koffer aus, dabei achten sie allerdings nicht darauf, wie die Werte- und Normenvorstellungen der Gesellschaft aussehen, was „das Kofferauspacken“ angeht. Deshalb werden sie weggesperrt und als psychisch Kranke behandelt. Andere drücken ihre Koffer zu, sperren sie in den Schrank. Das mag dann ggf. sehr eigenverantwortliches Handeln sein oder auch andere Gründe haben. Aber eigentlich glaube ich, dass die Koffer nie wirklich zu verschließen sind (solange sie nicht therapeutisch entschärft wurden) und sich stets Destruktivität in den normalen Alltag mischt.
Viel wichtiger ist allerdings, dass es viele Menschen gibt, die ihre Koffer ebenfalls auspacken, genau wie Loughner. Sie gehen dabei nur geschickter vor, passen sich dem Werte- und Normenvorstellungen an und wissen sich gut zu verstellen. Z.B. indem sie einfach Soldat werden und legal Gewalt ausüben können. Da kann mensch dann z.B. über 80 Menschen töten und keiner würde einen später wegsperren oder als psychisch krank ansehen, sondern eher als „Opfer“ der Umstände Krieg. Wobei der Fall nicht so einfach ist, denn Loughner wollte ja Soldat werden und wäre heute wahrscheinlich in Afghanistan oder im Irak. Vielleicht wäre er sogar ein besonders guter Soldat geworden. Dass er polizeilich registriert war, brachte ihm eine Ablehnung beim Militär ein. Er wollte also ursprünglich die Spielregeln der legalen Gewalt akzeptieren. Nun steht er als psychisch Kranker da, da er die Regeln gebrochen hat.
Andere handeln destruktiv in der Wirtschaft, unterstützen dabei Prozesse, die etlichen Menschen das Leben kosten (manchmal mehr, als durch Krieg). Das sind dann rationale „Fehlentscheidungen“ usw. usf. Ich denke, man versteht, um was es mir hier geht.
Dazu kommt, dass der Faktor Macht ein guter Schutzschirm ist. Jemand der hoch angesehen ist und/oder über viel Macht verfügt, der kann schon mal seine Koffer auspacken, ohne gleich weggesperrt zu werden. George W. Bush ist da vielleicht ein klassisches Beispiel. Als demokratisch gewählter US-Präsident ist man vielleicht geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie man tausende Menschen umbringen kann, ohne jemals bestraft oder als psychisch Kranker weggesperrt zu werden.
Viele Gesellschaften sind psychisch krank. Die US-Gesellschaft nach meinem Empfinden wesentlich mehr als die deutsche, die afghanische erheblich mehr als die us-amerikanische usw. Heilung kann aber nur wirklich beginnen, wenn sich die Gesellschaft ihr Kranksein überhaupt eingesteht. Ansonsten ist der Weg ein Langsamer, dadurch dass sich die Kindererziehung stetig verbessert und Erwachsene Psychotherapie machen. Ja, ein schwieriges Thema.
Abschließend noch ein Zitat aus o.g. ZEIT Artikel: „Dann ein wütender Streit mit seinem Vater, nach dem der Sohn davon stürmt. Der Rest ist Geschichte, die Amerika noch lange quälen wird.“ Über Loughner hatte ich ja bereits einen Beitrag geschrieben. Es passt ins Bild und hat eine erhebliche Symbolik, dass er direkt nach einem großen Streit mit seinem Vater den Amoklauf begann. „Aber sie wird nicht von politischen Meteorologen geschrieben, sondern von Psychiatern und sorgfältig recherchierenden Reportern. Das "Klima des Hasses" ist eine andere Story, so real sie auch ist.“, schreibt der ZEIT-Autor im nächsten Satz weiter. Letztlich ist es das familiäre Klima des Hasses, das uns bzgl. Loughner und den DurschnittsamerikanerInnen interessieren sollte und das sehr wohl zur selben Story gehört.
Dienstag, 11. Januar 2011
Attentat und die mögliche Geschichte dahinter
Jared Lee Loughner, der Attentäter von Arizona, erwähnte in seinem YouTube-Profil nach verschiedenen Medienberichten als seine Lieblingsbücher u.a. Hitlers „Mein Kampf“, "Fahrenheit 451", "Das kommunistische Manifest" und "Peter Pan". Die Zeit berichtet zudem, dass er auch „Alice im Wunderland“ gerne las.
Dies ist erst mal auf den ersten Blick eine verwirrende Auswahl an Büchern und – wäre da nicht „Mein Kampf“ dazwischen – sicherlich auch nichts, was besonderer Erwähnung bedürfte. Ich denke, dass jemand, der „Mein Kampf“ als Lieblingsbuch aufzählt, schon sehr viel über sich und seine Persönlichkeitsstruktur sagt. Allerdings verbinden sich diese Bücher auch. Hitlers Hassbuch, Marx radikale Gesellschaftstheorie, das Bücherhassbuch "Fahrenheit 451" und – für die meisten vielleicht besonders irritierend - die Kinderbücher Peter Pan und Alice im Wunderland, letztere sind die Auslöser für diesen Beitrag hier.
Viele Menschen werden diese beiden Kinderbücher lieben und das sei ihnen auch gelassen. Wenn jemand wie Jared Lee Loughner diese als Lieblingsbücher aufzählt, werde ich allerdings hellhörig. Der Hamburger Sexualwissenschaftler Professor Wolfgang Berner berichtete in einem Interview einmal: „Lewis Carrol, der "Alice im Wunderland" schrieb, war wohl ein Pädophiler. Ebenso James M. Barrie, der Autor von "Peter Pan" - dem Jungen, der nie erwachsen wurde.“ (Michael Jackson war ja auch nicht ohne Grund ein Peter Pan Fan und nannte seine Ranch „Neverland“.) Damit will ich nicht sagen, dass Loughner „pädophil“ ist. Nein, hier geht es um die Faszination, die diese beiden Bücher bei ihm auslösten. In beiden Geschichten finden sich symbolisch und in der Handlung viele Botschaften, die auf destruktive Elternfiguren und leidgeprüfte Kinder hinweisen. „Pädophile“ sind keine Kinderliebhaber, wie das Wort nahe legt, viel mehr sind sie Hasser. Ihren Hass haben sie nur sexualisiert. Hass und Gewalt tauchen hier deutlich auch in beiden Kinderbüchern auf. Dass Loughner beide Bücher liebte, verwundert vor den o.g. Hintergründen insofern nicht. Und natürlich vermute ich auch eine sehr leidvolle Kindheitsgeschichte bei diesem Attentäter, ohne seine Tat entschuldigen zu wollen. (Psychohistorisch wäre es interessant, wie sich dieses Attentat vorher möglicherweise in Bildern und Symbolen in den US-Medien aufbaute.) Der SPIEGEL berichtet: "Über Loughners eher bürgerliches Familienleben mit den Eltern Amy und Randy ist wenig bekannt. Nachbarn bezeichneten die Beziehungen der drei zueinander als "undurchschaubar", das Verhalten des Vaters als bisweilen "unangenehm" oder angriffslustig." Mehr ist wohl bisher nicht bekannt.
Bilder und Geschichten haben oft eine Bedeutung, werden aber von der Öffentlichkeit meist kaum wahrgenommen oder gedeutet. Dies wird auch an Hand eines anderern blutigen Falls deutlich. Der Schauspieler Michael Brea hat kürzlich seiner Mutter mit einem Samurai-Schwert den Kopf abgeschlagen. Er rechtfertigte die Tat so: "Ich habe sie nicht getötet. Ich tötete nur den Dämon in ihr. Es war der Wille Gottes. Gott erschien mir eines nachts über meinem Bett. Ich fühlte mich wie Neo im Film Matrix. Ich hörte Stimmen und fühlte mich stark."
Ludwig Janus hat einen Beitrag zum Film Matrix geschrieben: „Überlegungen zum Film »Matrix« Ich kenne den Beitrag noch nicht, kann mir den Inhalt allerdings gut vorstellen. Der Film ist voll von Verbindungen zu verdrängten/abgespaltenen traumatischen Kindheitserfahrungen. Dies kann ich hier jetzt nicht alles besprechen. Ein Hinweis sagt allerdings schon viel aus. Morpheus sagt im Film zu Neo: „Ich will dir sagen, wieso du hier bist. Du bist hier, weil du etwas weißt. Etwas, das du nicht erklären kannst. Aber du fühlst es. Du fühlst es schon dein ganzes Leben lang, dass mit der Welt etwas nicht stimmt. Du weißt nicht was, aber es ist da. Wie ein Splitter in deinem Kopf, der dich verrückt macht. Dieses Gefühl hat dich zu mir geführt.“
Am besten hat vielleicht Alice Miller in ihren Büchern beschrieben, was hier im Film bildlich ausgedrückt wird. Das verbannte Wissen um den Selbstverrat des Kindes, das sich mit seinen gewalttätigen Eltern identifizieren muss, um zu überleben und später immer mit dem Gefühl durchs Leben geht, dass da "etwas" ist, was sich aber nicht erklären lässt.
Die wenigsten misshandelten Kinder rächen sich allerdings direkt bei ihren Peinigern, so wie Michael Brea dies wohl tat. Sondern sie agieren ihre Rache an anderen Stellen aus, suchen stellvertretende Opfer oder tun sich selbst Gewalt an.
Nochmal zum Abschluss: Bilder und Geschichten haben eine Bedeutung, dies gilt vor allem, wenn es um Attentäter und ähnliche Menschen geht. Wir sollten genauer hinschauen, was diese Bilder uns erzählen.
Dies ist erst mal auf den ersten Blick eine verwirrende Auswahl an Büchern und – wäre da nicht „Mein Kampf“ dazwischen – sicherlich auch nichts, was besonderer Erwähnung bedürfte. Ich denke, dass jemand, der „Mein Kampf“ als Lieblingsbuch aufzählt, schon sehr viel über sich und seine Persönlichkeitsstruktur sagt. Allerdings verbinden sich diese Bücher auch. Hitlers Hassbuch, Marx radikale Gesellschaftstheorie, das Bücherhassbuch "Fahrenheit 451" und – für die meisten vielleicht besonders irritierend - die Kinderbücher Peter Pan und Alice im Wunderland, letztere sind die Auslöser für diesen Beitrag hier.
Viele Menschen werden diese beiden Kinderbücher lieben und das sei ihnen auch gelassen. Wenn jemand wie Jared Lee Loughner diese als Lieblingsbücher aufzählt, werde ich allerdings hellhörig. Der Hamburger Sexualwissenschaftler Professor Wolfgang Berner berichtete in einem Interview einmal: „Lewis Carrol, der "Alice im Wunderland" schrieb, war wohl ein Pädophiler. Ebenso James M. Barrie, der Autor von "Peter Pan" - dem Jungen, der nie erwachsen wurde.“ (Michael Jackson war ja auch nicht ohne Grund ein Peter Pan Fan und nannte seine Ranch „Neverland“.) Damit will ich nicht sagen, dass Loughner „pädophil“ ist. Nein, hier geht es um die Faszination, die diese beiden Bücher bei ihm auslösten. In beiden Geschichten finden sich symbolisch und in der Handlung viele Botschaften, die auf destruktive Elternfiguren und leidgeprüfte Kinder hinweisen. „Pädophile“ sind keine Kinderliebhaber, wie das Wort nahe legt, viel mehr sind sie Hasser. Ihren Hass haben sie nur sexualisiert. Hass und Gewalt tauchen hier deutlich auch in beiden Kinderbüchern auf. Dass Loughner beide Bücher liebte, verwundert vor den o.g. Hintergründen insofern nicht. Und natürlich vermute ich auch eine sehr leidvolle Kindheitsgeschichte bei diesem Attentäter, ohne seine Tat entschuldigen zu wollen. (Psychohistorisch wäre es interessant, wie sich dieses Attentat vorher möglicherweise in Bildern und Symbolen in den US-Medien aufbaute.) Der SPIEGEL berichtet: "Über Loughners eher bürgerliches Familienleben mit den Eltern Amy und Randy ist wenig bekannt. Nachbarn bezeichneten die Beziehungen der drei zueinander als "undurchschaubar", das Verhalten des Vaters als bisweilen "unangenehm" oder angriffslustig." Mehr ist wohl bisher nicht bekannt.
Bilder und Geschichten haben oft eine Bedeutung, werden aber von der Öffentlichkeit meist kaum wahrgenommen oder gedeutet. Dies wird auch an Hand eines anderern blutigen Falls deutlich. Der Schauspieler Michael Brea hat kürzlich seiner Mutter mit einem Samurai-Schwert den Kopf abgeschlagen. Er rechtfertigte die Tat so: "Ich habe sie nicht getötet. Ich tötete nur den Dämon in ihr. Es war der Wille Gottes. Gott erschien mir eines nachts über meinem Bett. Ich fühlte mich wie Neo im Film Matrix. Ich hörte Stimmen und fühlte mich stark."
Ludwig Janus hat einen Beitrag zum Film Matrix geschrieben: „Überlegungen zum Film »Matrix« Ich kenne den Beitrag noch nicht, kann mir den Inhalt allerdings gut vorstellen. Der Film ist voll von Verbindungen zu verdrängten/abgespaltenen traumatischen Kindheitserfahrungen. Dies kann ich hier jetzt nicht alles besprechen. Ein Hinweis sagt allerdings schon viel aus. Morpheus sagt im Film zu Neo: „Ich will dir sagen, wieso du hier bist. Du bist hier, weil du etwas weißt. Etwas, das du nicht erklären kannst. Aber du fühlst es. Du fühlst es schon dein ganzes Leben lang, dass mit der Welt etwas nicht stimmt. Du weißt nicht was, aber es ist da. Wie ein Splitter in deinem Kopf, der dich verrückt macht. Dieses Gefühl hat dich zu mir geführt.“
Am besten hat vielleicht Alice Miller in ihren Büchern beschrieben, was hier im Film bildlich ausgedrückt wird. Das verbannte Wissen um den Selbstverrat des Kindes, das sich mit seinen gewalttätigen Eltern identifizieren muss, um zu überleben und später immer mit dem Gefühl durchs Leben geht, dass da "etwas" ist, was sich aber nicht erklären lässt.
Die wenigsten misshandelten Kinder rächen sich allerdings direkt bei ihren Peinigern, so wie Michael Brea dies wohl tat. Sondern sie agieren ihre Rache an anderen Stellen aus, suchen stellvertretende Opfer oder tun sich selbst Gewalt an.
Nochmal zum Abschluss: Bilder und Geschichten haben eine Bedeutung, dies gilt vor allem, wenn es um Attentäter und ähnliche Menschen geht. Wir sollten genauer hinschauen, was diese Bilder uns erzählen.
Sonntag, 9. Januar 2011
Vergiftete Politikdebatte in Amerika
Der Hass in den USA wächst offensichtlich weiter. Am 05.11.2010 schrieb ich einen Beitrag unter dem Titel: „Barack Obama - Abbruchstimmung und Hass wächst. Wer wird der neue Feind der USA?„
Die emotionale Lage in den USA wird stetig schwieriger. Aktuelle, anschaubare (medienwirksame) äußere Feinde fehlen. Saddam Hussein ist tot. Afghanistan ist weit weg und bringt keine neuen Ängste und Feindbilder mehr auf. Mit Russland und China ist man wirtschaftlich und politisch relativ eng verbandelt. Doch irgendwo müssen die Ängste ausagiert werden. Neue Feinde müssen her. Da Außen nicht auffindbar, richtet sich der Hass jetzt ins Innere, ins eigene Land, sowohl ökonomisch, als auch politisch.
„Vergiftete Politikdebatte in Amerika?“ betitelt SPIEGEL-Online derzeit seine Diskussion im Forum zum Attentat im US-amerikanischen Arizona, das vor allem der demokratischen Abgeordneten Gabrielle Giffords galt. "In diesem "Klima des Gifts" werde bald kaum noch jemand für öffentliche Ämter kandidieren." zitiert die ZEIT einen Sheriff aus Arizona. Parallel erschüttert derzeit Deutschland ein großer Dioxin-Skandal (wieder Gift). Zum Thema Gift hatte ich ja kürzlich schon etwas zur EURO-Krise geschrieben. Hier verbindet sich offensichtlich einiges. Die Zeitpunkte der Geschehnisse könnten merkwürdiger nicht sein. Hier bei uns reales Gift, nachdem im Vorfeld Fantasien über die "vergifteten Staaten von Europa" kursierten. Drüben, in den USA, "politisches Gift".
Die Welt hat offensichtlich ein Problem damit, wenn keine offenen Feinde bereit stehen. Selbstzerstörung scheint die einzige Antwort darauf zu sein.
Die emotionale Lage in den USA wird stetig schwieriger. Aktuelle, anschaubare (medienwirksame) äußere Feinde fehlen. Saddam Hussein ist tot. Afghanistan ist weit weg und bringt keine neuen Ängste und Feindbilder mehr auf. Mit Russland und China ist man wirtschaftlich und politisch relativ eng verbandelt. Doch irgendwo müssen die Ängste ausagiert werden. Neue Feinde müssen her. Da Außen nicht auffindbar, richtet sich der Hass jetzt ins Innere, ins eigene Land, sowohl ökonomisch, als auch politisch.
„Vergiftete Politikdebatte in Amerika?“ betitelt SPIEGEL-Online derzeit seine Diskussion im Forum zum Attentat im US-amerikanischen Arizona, das vor allem der demokratischen Abgeordneten Gabrielle Giffords galt. "In diesem "Klima des Gifts" werde bald kaum noch jemand für öffentliche Ämter kandidieren." zitiert die ZEIT einen Sheriff aus Arizona. Parallel erschüttert derzeit Deutschland ein großer Dioxin-Skandal (wieder Gift). Zum Thema Gift hatte ich ja kürzlich schon etwas zur EURO-Krise geschrieben. Hier verbindet sich offensichtlich einiges. Die Zeitpunkte der Geschehnisse könnten merkwürdiger nicht sein. Hier bei uns reales Gift, nachdem im Vorfeld Fantasien über die "vergifteten Staaten von Europa" kursierten. Drüben, in den USA, "politisches Gift".
Die Welt hat offensichtlich ein Problem damit, wenn keine offenen Feinde bereit stehen. Selbstzerstörung scheint die einzige Antwort darauf zu sein.
Dienstag, 4. Januar 2011
Exkurs: Falschbeschuldigungen bei sexellen Missbrauch und falsche Informationen
Wikipedia ist gut und schön, hat aber auch Schwächen, wie jedem klar sein dürfte. Aktuell wurde ich auf den wikipedia Beitrag „Missbrauch mit dem Missbrauch“ aufmerksam. Dort steht: „Laut Angaben des Präsidenten des Deutschen Familiengerichtstages, Siegfried Willutzki, wird in ca. 40 % aller streitigen Sorgerechtsverfahren durch die um das Sorgerecht kämpfende Mutter ein Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gegen den Vater erhoben.“ Diese Angabe basiert auf einen Artikel in der Rheinische Post vom 26.3.1994, es gibt im Internet etliche Verweise auf diese Textstelle. Vor allem „Väterrechtler“ wie z.B. die paPPas, „Väter für Kinder“, „Väteraufbruch für Kinder“ aber auch Homepages der Maskulistenbewegung etc. verweisen immer wieder auf diese Quelle. Sogar der Focus (Heft Nr. 23) zitiert diese Zahl 1996 wie folgt: "In rund 40 Prozent aller Sorge- und Umgangsrechtsverfahren wird Schätzungen zufolge mittlerweile der Vorwurf des Sexmißbrauchs erhoben (meist von Müttern gegen Väter), oft unterstützt von Gutachtern der „Aufdeckungs“-Fraktion." (dieser Artikel ist immer noch online!)Diese belege das hohe Ausmass von willentlichen Falschbeschuldigungen gegen Väter, um diese zu zerstören und um vor allem den Kontakt zum Kind zu unterbinden, so der Tenor dieser “Männeraktivisten“. Da die Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs im Folgejahr nach 1994 zugenommen hätten, schreiben z.B. die paPPas auf ihrer Homepage: "In der Konsequenz hat also ein Vater, der gerichtlich um Sorge oder Umgang streitet, eine 1:1-Chance, sich den Vorwurf einzuhandeln."
Zu dem Thema an sich lässt sich mittlerweile ein ganzes Buch schreiben, so viel haarsträubendes und richtigzustellendes Material (u.a. auch erzeugt durch seriöse Medien wie den SPIEGEL – durch Gisela Friedrichsen - und die ZEIT – durch Sabine Rückert) liegt da mittlerweile vor. Da mein Blog eine sehr gute Googel Positionierung hat, möchte ich die Gelegenheit nutzen, in meinem bescheidenen Rahmen der Möglichkeiten zu der o.g. Zahl etwas zu schreiben.
Wenn man sich klar macht, dass z.B. 1996 in über 150.000 Fällen in entsprechenden Verfahren über die elterliche Sorge und in über 20.000 Fällen über die Regelung des Umgangs entschieden wurde (vgl. Ruhl, R. 2000: Väter - Opfer bei Trennung und Scheidung? In: Lenz, H.-J. (Hrsg.): Männliche Opfererfahrungen. Problemlagen und Hilfeansätze in der Männerberatung. Juventa, Weinheim. , S. 150) dann wären das bei 40 % 60.000 angezeigte Fälle sexuellen Missbrauch innerhalb von Sorgerechtstreitigkeiten und 8.000 angezeigte Fälle während Umgangsrechtstreitigkeiten. 1996 wurden aber nur 19.522 Fälle von sexuellem Missbrauch polizeilich registriert und diese Fälle beziehen sich wohlgemerkt auf eine Vielzahl von TäterInnengruppen, also nicht nur auf Väter. Die Zahl von 40 % lässt sich also alleine durch diese kleine Rechnung sehr leicht widerlegen. Aber ergänzen wir dies doch noch um eine Studie:
Busse / Steller / Volbert (2000) haben 1.394 Akten Berliner Familiengerichte zur Frage der Umgangsregelung aus den Jahrgängen 1988, 1993 und 1995 wissenschaftlich ausgewertet. In nur 45 Fällen (ca. 3,3 %) kam ein sexueller Missbrauchsverdacht zur Sprache. Eine Auswertung von 1.500 Sorgerechtsakten aus den drei genannten Jahrgängen erbrachte ebenfalls nur 45 Fälle ( 3,0 %), die einen Missbrauchsverdacht beinhalten. (vgl. Bange, D. / Körner, W. 2002: Handwörterbuch Sexueller Mißbrauch. Hogrefe-Verlag, S. 94)
Ein weiteres Rechenbeispiel bringt uns der Realität noch mal näher:
1996 waren nur 1.543 von den 19.526 (mutmaßlichen) Opfern mit dem Täter/der Täterin verwandt. Das entspricht 7,90 % der Fälle. (vgl. Bundesministerium des Inneren / Bundesministerium der Justiz, 2006: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht. S. 101) Ca. 3,5 % der Tatverdächtigen sind zudem weiblich, das zeigen die Statistiken (Dunkelfeldstudien zeigen da etwas anderes, aber das nur nebenbei). Da sich dieser Text auf die (angeblich massenhaften) Falschbeschuldigungsvorwürfe gegen Männer bzw. speziell Väter bezieht, können wir also nochmal 3,5 % von den 1.543 „Verwandtschaftsfällen“ abziehen, das wären Minus 54. Bleiben 1.489 Anzeigen gegen Männer, die mit dem (mutmaßlichen) Opfer verwandt sind. Nun muss mann auch noch wissen, dass z.B. im Jahr 1999 24,5 % aller Tatverdächtigen zwischen 8 und 21 Jahren alt waren, i.d.R. also gar keine eigenen Kinder haben. Und 8,1 % der Tatverdächtigen waren über 60 Jahre alt und fallen somit bzgl. Sorgerechtsstreitigkeiten auch raus. Ich vermute allerdings, dass innerhalb der „Verwandtschaftsfälle“ eher Tatverdächtige über 21 Jahre auftauchen. Insofern ziehe ich nochmal vorsichtige 10 % von den 1.489 Anzeigen gegen männliche Verwandte ab. Übrig bleiben dann noch 1340 Fälle. Innerhalb dieser verbleibenden Fälle werden jetzt nicht nur Väter stecken, sondern auch Onkel, evtl. der Cousin oder auch der angeheiratete Stiefvater, vielleicht auch noch ein paar junge Großväter, die über 60 Jahre alten Tatverdächtigen haben wir oben ja schon etwas rausgerechnet. Wieviele leibliche Väter angezeigt wurden, bleibt also Spekulation. Um eine gerade Zahl zu bekommen, rechne ich einfach mal mit hohen 1.000. Ich glaube dabei ehrlich gesagt, dass es weit weniger sind. Aber bleiben wir einfach bei dieser Zahl.
Kommen wir also zurück zu den 150.000 Sorgerechtsfällen aus dem Jahr 1996 und stellen diesen Fällen einfach alle 1.000 mögliche Anzeigen gegen Väter gegenüber (obwohl Anzeigen gegen Väter ja auch außerhalb von Sorgerechtsstreitigkeiten erfolgen). Das würde dann bedeuten, dass in nur 0,66 % der Sorgerechtsfälle ein Missbrauchsverdacht gegen Väter ausgesprochen wird!
(Die Berliner Studie von Busse / Steller / Volbert (2000) hatte um die 3 % ergeben. Dies legt den Schluss nahe, dass es regional ein unterschiedliches Anzeigeverhalten gibt und vor allem in Großstädten verhältnismäßig viel angezeigt wird.)
Die Polizeiliche Kriminalstatistik der letzten Jahre zeigt außerdem, dass von den angezeigten Fällen nur ca. 10 % zu einer Verurteilung führen. Von den oben berechneten fiktiven 1000 Vätern werden also nur 100 verurteilt (die meisten davon auf Bewährung oder mit einer Geldstrafe, auch das zeigt die Statistik). Die Gerichte agieren hier also sehr sehr vorsichtig und schicken nicht massenhaft Väter in die Gefängnisse, weil ihre durchgeknallten (unter feministischer Hypnose stehenden) EX-Ehefrauen mal „einfach so“ einen Missbrauchsverdacht aussprechen, um sich das Sorgerecht zu sichern.
Trotz dieser leicht herauszufindenden Daten spukt die Zahl von 40 % Anschuldigungen gegen Väter im Internet weiter herum, sogar auf wikipedia. Die entsprechenden (Internet-)Akteure müssen sich meines Erachtens nach fragen lassen, welche Motivation sie haben, eine solche falsche Zahl zu verbreiten? (Eigentlich müsste die Aufklärung über die wahren Zahlenverhältnisse sogar im Interesse der Väteraktivisten sein, alleine schon um ihre eigenen Nerven zu beruhigen.)
Dieses ganze Thema um angeblich massenhafte Falschbeschuldigungen und unzählige „böse Mütter“ und „rachsüchtige Feministinnen“ ist ein Thema mit unzähligen Abgründen. Hier wird all zu oft Realität gemacht, nicht gesehen. (Und ja, es gibt auch Väter, die real Opfer von Falschbeschuldigungen wurden. Aber nicht in dem Ausmass, wie das verbreitet wird.)
Ich möchte alle, die von dem Thema vielleicht das erste mal hören, dazu aufrufen, sehr vorsichtig und sehr kritisch zu sein, was das Thema Falschbeschuldigungen in Missbrauchsfällen angeht. Leider entpuppen sich all zu oft auch gerade angebliche Arbeiter für die Rechte von Vätern und Kinder als sehr destruktive Akteure, die allerleih Unsinn in die Welt setzen. Dem Schutz der Kinder dient es nicht, eine Zahl wie die o.g. von 40 % in der Welt zu verbreiten, sie dient dem Schutz der realen TäterInnen.
(Anmerkung: Dieser Text wurde am 07.01.2011 noch mal um einige Zeilen und Daten ergänzt - vor allem um die Berliner Studie und das anschließende Rechenbeispiel -, insofern beziehen sich die Kommentare unten noch auf die alte Textversion)
Weiterführende Links:
Gibt es einen »Missbrauch mit dem Missbrauch«?
Helfermafia" und "Fürsorgestasi" - Über den Missbrauch mit dem Missbrauch
Zu dem Thema an sich lässt sich mittlerweile ein ganzes Buch schreiben, so viel haarsträubendes und richtigzustellendes Material (u.a. auch erzeugt durch seriöse Medien wie den SPIEGEL – durch Gisela Friedrichsen - und die ZEIT – durch Sabine Rückert) liegt da mittlerweile vor. Da mein Blog eine sehr gute Googel Positionierung hat, möchte ich die Gelegenheit nutzen, in meinem bescheidenen Rahmen der Möglichkeiten zu der o.g. Zahl etwas zu schreiben.
Wenn man sich klar macht, dass z.B. 1996 in über 150.000 Fällen in entsprechenden Verfahren über die elterliche Sorge und in über 20.000 Fällen über die Regelung des Umgangs entschieden wurde (vgl. Ruhl, R. 2000: Väter - Opfer bei Trennung und Scheidung? In: Lenz, H.-J. (Hrsg.): Männliche Opfererfahrungen. Problemlagen und Hilfeansätze in der Männerberatung. Juventa, Weinheim. , S. 150) dann wären das bei 40 % 60.000 angezeigte Fälle sexuellen Missbrauch innerhalb von Sorgerechtstreitigkeiten und 8.000 angezeigte Fälle während Umgangsrechtstreitigkeiten. 1996 wurden aber nur 19.522 Fälle von sexuellem Missbrauch polizeilich registriert und diese Fälle beziehen sich wohlgemerkt auf eine Vielzahl von TäterInnengruppen, also nicht nur auf Väter. Die Zahl von 40 % lässt sich also alleine durch diese kleine Rechnung sehr leicht widerlegen. Aber ergänzen wir dies doch noch um eine Studie:
Busse / Steller / Volbert (2000) haben 1.394 Akten Berliner Familiengerichte zur Frage der Umgangsregelung aus den Jahrgängen 1988, 1993 und 1995 wissenschaftlich ausgewertet. In nur 45 Fällen (ca. 3,3 %) kam ein sexueller Missbrauchsverdacht zur Sprache. Eine Auswertung von 1.500 Sorgerechtsakten aus den drei genannten Jahrgängen erbrachte ebenfalls nur 45 Fälle ( 3,0 %), die einen Missbrauchsverdacht beinhalten. (vgl. Bange, D. / Körner, W. 2002: Handwörterbuch Sexueller Mißbrauch. Hogrefe-Verlag, S. 94)
Ein weiteres Rechenbeispiel bringt uns der Realität noch mal näher:
1996 waren nur 1.543 von den 19.526 (mutmaßlichen) Opfern mit dem Täter/der Täterin verwandt. Das entspricht 7,90 % der Fälle. (vgl. Bundesministerium des Inneren / Bundesministerium der Justiz, 2006: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht. S. 101) Ca. 3,5 % der Tatverdächtigen sind zudem weiblich, das zeigen die Statistiken (Dunkelfeldstudien zeigen da etwas anderes, aber das nur nebenbei). Da sich dieser Text auf die (angeblich massenhaften) Falschbeschuldigungsvorwürfe gegen Männer bzw. speziell Väter bezieht, können wir also nochmal 3,5 % von den 1.543 „Verwandtschaftsfällen“ abziehen, das wären Minus 54. Bleiben 1.489 Anzeigen gegen Männer, die mit dem (mutmaßlichen) Opfer verwandt sind. Nun muss mann auch noch wissen, dass z.B. im Jahr 1999 24,5 % aller Tatverdächtigen zwischen 8 und 21 Jahren alt waren, i.d.R. also gar keine eigenen Kinder haben. Und 8,1 % der Tatverdächtigen waren über 60 Jahre alt und fallen somit bzgl. Sorgerechtsstreitigkeiten auch raus. Ich vermute allerdings, dass innerhalb der „Verwandtschaftsfälle“ eher Tatverdächtige über 21 Jahre auftauchen. Insofern ziehe ich nochmal vorsichtige 10 % von den 1.489 Anzeigen gegen männliche Verwandte ab. Übrig bleiben dann noch 1340 Fälle. Innerhalb dieser verbleibenden Fälle werden jetzt nicht nur Väter stecken, sondern auch Onkel, evtl. der Cousin oder auch der angeheiratete Stiefvater, vielleicht auch noch ein paar junge Großväter, die über 60 Jahre alten Tatverdächtigen haben wir oben ja schon etwas rausgerechnet. Wieviele leibliche Väter angezeigt wurden, bleibt also Spekulation. Um eine gerade Zahl zu bekommen, rechne ich einfach mal mit hohen 1.000. Ich glaube dabei ehrlich gesagt, dass es weit weniger sind. Aber bleiben wir einfach bei dieser Zahl.
Kommen wir also zurück zu den 150.000 Sorgerechtsfällen aus dem Jahr 1996 und stellen diesen Fällen einfach alle 1.000 mögliche Anzeigen gegen Väter gegenüber (obwohl Anzeigen gegen Väter ja auch außerhalb von Sorgerechtsstreitigkeiten erfolgen). Das würde dann bedeuten, dass in nur 0,66 % der Sorgerechtsfälle ein Missbrauchsverdacht gegen Väter ausgesprochen wird!
(Die Berliner Studie von Busse / Steller / Volbert (2000) hatte um die 3 % ergeben. Dies legt den Schluss nahe, dass es regional ein unterschiedliches Anzeigeverhalten gibt und vor allem in Großstädten verhältnismäßig viel angezeigt wird.)
Die Polizeiliche Kriminalstatistik der letzten Jahre zeigt außerdem, dass von den angezeigten Fällen nur ca. 10 % zu einer Verurteilung führen. Von den oben berechneten fiktiven 1000 Vätern werden also nur 100 verurteilt (die meisten davon auf Bewährung oder mit einer Geldstrafe, auch das zeigt die Statistik). Die Gerichte agieren hier also sehr sehr vorsichtig und schicken nicht massenhaft Väter in die Gefängnisse, weil ihre durchgeknallten (unter feministischer Hypnose stehenden) EX-Ehefrauen mal „einfach so“ einen Missbrauchsverdacht aussprechen, um sich das Sorgerecht zu sichern.
Trotz dieser leicht herauszufindenden Daten spukt die Zahl von 40 % Anschuldigungen gegen Väter im Internet weiter herum, sogar auf wikipedia. Die entsprechenden (Internet-)Akteure müssen sich meines Erachtens nach fragen lassen, welche Motivation sie haben, eine solche falsche Zahl zu verbreiten? (Eigentlich müsste die Aufklärung über die wahren Zahlenverhältnisse sogar im Interesse der Väteraktivisten sein, alleine schon um ihre eigenen Nerven zu beruhigen.)
Dieses ganze Thema um angeblich massenhafte Falschbeschuldigungen und unzählige „böse Mütter“ und „rachsüchtige Feministinnen“ ist ein Thema mit unzähligen Abgründen. Hier wird all zu oft Realität gemacht, nicht gesehen. (Und ja, es gibt auch Väter, die real Opfer von Falschbeschuldigungen wurden. Aber nicht in dem Ausmass, wie das verbreitet wird.)
Ich möchte alle, die von dem Thema vielleicht das erste mal hören, dazu aufrufen, sehr vorsichtig und sehr kritisch zu sein, was das Thema Falschbeschuldigungen in Missbrauchsfällen angeht. Leider entpuppen sich all zu oft auch gerade angebliche Arbeiter für die Rechte von Vätern und Kinder als sehr destruktive Akteure, die allerleih Unsinn in die Welt setzen. Dem Schutz der Kinder dient es nicht, eine Zahl wie die o.g. von 40 % in der Welt zu verbreiten, sie dient dem Schutz der realen TäterInnen.
(Anmerkung: Dieser Text wurde am 07.01.2011 noch mal um einige Zeilen und Daten ergänzt - vor allem um die Berliner Studie und das anschließende Rechenbeispiel -, insofern beziehen sich die Kommentare unten noch auf die alte Textversion)
Weiterführende Links:
Gibt es einen »Missbrauch mit dem Missbrauch«?
Helfermafia" und "Fürsorgestasi" - Über den Missbrauch mit dem Missbrauch
Donnerstag, 23. Dezember 2010
Das war 2010 - Ein Jahresrückblick mit Bild
Am 30.12.2009 veröffentlichte der englische Economist diesen Cartoon und leitete damit die Gruppenfantasien für 2010 ein. Im Rückblick trifft dieser „KAL`s Cartoon“ recht gut die großen emotionalen Themen des Jahres 2010. Interessant ist hier besonders die Art der Darstellung. „2009“ wird als monströser alter Großvater dargestellt. „“2010“ als "erwachsenes" Baby. Beides hat mit Familie und Kindheit zu tun. Wobei der Großvater seinen Zorn/Angriff/Schrecken in Richtung Baby lenkt. Die „Feinde“, Gefahren und Ängste werden als böse, giftige Schlangen dargestellt, die aus der runden „Mutter Erde“ herausbrechen und die vom Baby erstaunt angeschaut werden.
Mir liegt es nicht, zu viele Interpretationen in solche Bilder zu legen. Denn jeder Mensch deutet die Dinge individuell. Anregen möchte ich hier also nur dazu, darüber nachzudenken, wie solche medialen Bilder etwas mit der weit verbreiteten Gewalt in der Kindheit zu tun haben könnten und wie diese Gruppenfantasien dann wiederum Realitäten schaffen.
Montag, 20. Dezember 2010
Klara Hitler - Mutter eines Massenmörders. Ein Hörbeitrag
Hinweis: Mutter eines Massenmörders, ein Radiobeitrag von NDR-Info "Frauenforum" (19.12.2010).
Interessante Details über Hitlers Kindheit und Mutter sind in diesem Beitrag zu hören. Ich will den Beitrag nicht komplett kommentieren. Eine Stelle fiel mir allerdings besonders auf. „Ich weiß nicht, wo sie diese Wut gelassen hat“, sagt eine Forscherin im Beitrag, nachdem das Leid von Klara Hitler in ihrer Ehe geschildert wurde. Vorher sagt sie noch, dass Klara ihre Kinder, nach allem was man weiß, gut behandelt habe. Wo blieb die Wut?
Hitlers Mutter hat nach den Beiträgen von Alice Miller und Arno Gruen ihre Wut und ihren Hass in verdeckter Form an ihren Kindern ausgelassen (Stichwort: emotionaler Missbrauch). Niemand sonst stand als Blitzableiter zur Verfügung. Leider wird dies in den Besprechungen von Hitlers Kindheit und Familie immer wieder übersehen.
Interessante Details über Hitlers Kindheit und Mutter sind in diesem Beitrag zu hören. Ich will den Beitrag nicht komplett kommentieren. Eine Stelle fiel mir allerdings besonders auf. „Ich weiß nicht, wo sie diese Wut gelassen hat“, sagt eine Forscherin im Beitrag, nachdem das Leid von Klara Hitler in ihrer Ehe geschildert wurde. Vorher sagt sie noch, dass Klara ihre Kinder, nach allem was man weiß, gut behandelt habe. Wo blieb die Wut?
Hitlers Mutter hat nach den Beiträgen von Alice Miller und Arno Gruen ihre Wut und ihren Hass in verdeckter Form an ihren Kindern ausgelassen (Stichwort: emotionaler Missbrauch). Niemand sonst stand als Blitzableiter zur Verfügung. Leider wird dies in den Besprechungen von Hitlers Kindheit und Familie immer wieder übersehen.
Samstag, 11. Dezember 2010
Vergiftete Staaten von Europa? Der mögliche Sinn hinter dem "letzten Gefecht"
„Vergiftete Staaten von Europa“ betitel SPIEGEL-Online einen aktuellen Artikel. Der Artikel gehört zum SPIEGEL-Titelthema der Printausgabe. „Das letzte Gefecht“ ist da auf dem SPIEGEL Cover groß zu lesen. Abgebildete ist eine zweifach zerschossene EURO-Münze (getroffen wurden Irland und Griechenland) und zwei weitere Pistolenkugeln, die auf den EURO zurasen. „Das «letzte Gefecht» um den Euro“ titelt dann auch in der Folge z.B. die Basler Zeitung. „Führende europäische Zeitschriften wie «Spiegel» und «Economist» überbieten sich bereits mit dramatischen Titeln zum Ausgang der Eurokrise.“, schreiben die Basler. „Der «Economist» zeigt einen Mann im Anzug, der sich eine Pistole an den eigenen Kopf hält, dieser Kopf besteht aus einer Euromünze. Betitelt ist die Seite mit «Don’t do it – what breaking up the Euro would mean».” presseurop übersetzte den Economist Artikel und titelt: „Wenn Euroland Selbstmord begeht“. In dem Artikel ist auch das Cover des Economist zu sehen. „Für die Banken sterben? Nein danke!“ wird ein aktueller Artikel aus das „Freie Rumänien" bei presseurop übersetzt. Ich denke, dass sich derzeit noch mehr Artikel mit derartigen Schlagzeilen finden ließen.
Wenn das Wort „Gift“ oder „vergiftet“ im Zusammenhang mit politischen oder ökonomischen Prozessen auftaucht, dann werde ich mittlerweile sehr aufmerksam. Im vorherigen Beitrag hatte ich auf einen ZEIT-Artikel hingewiesen. Bzgl. der Gewalt gegen Kinder schrieb die Autorin den wahren Satz: „Den Kindern aber, die wie Hauspflanzen keine Wahl haben, zu entscheiden, wo sie leben, bleibt nichts übrig, als das vergiftete Wasser aus der Gießkanne im Elternhaus in sich aufzunehmen.“ Auch Lloyd deMause spricht häufig von „Gift“ und vor allem von „Giftcontainern“ im Zusammenhang mit Gewalt gegen Kinder. „Giftcontainern“ sind die menschlichen Opfer (durch Kriege, Gewaltkriminalität und ökonomische Krisen erzeugt) , die gebracht werden, um bzgl. traumatischer Kindheitserfahrungen (das „Gift“) kurzfristig Erleichterung zu verspüren und sich zu „reinigen“. „Vergiftete Kindheit: Vom Missbrauch elterliche Macht und seinen Folgen “ nannte die Psychotherapeutin Susan Forward ihr Buch, in dem sie in anschaulicher Sprache über die Auswirkungen elterlicher Gewalt berichtet. Das Thema „Gift“ und „Kindheit“ ist also in der Tat etwas, was bildlich die Folgen der Gewalt gut beschreibt. Wenn dieses „Gift“ dann in den Medien und politischen Reden auftaucht, macht es Sinn, hier Zusammenhänge zur (destruktiven) Kindheit zu vermuten.
„Vergiftete Staaten von Europa“? Macht dieses Bild wirklich Sinn in Bezug auf die EURO-Krise? Darüber lässt sich sicher streiten. Ganz rational betrachtet, finde ich nicht, dass Gift und Probleme in der Geldpolitik bildlich wirklich zusammenpassen. Erinnern wir uns an dieser Stelle auch an die letzte Krise im Jahr 2009. Von „toxischen Wertpapieren“ war da häufig die Rede. Wertpapiere können ihren Wert verlieren und Verlust einbringen. Können sie auch giftig sein? Eher nicht. Wertpapierverluste im großen Rahmen können vielleicht einen Dominoeffekt auslösen. Aber können sie auch Gift verbreiten?
„Vergiftete Staaten“ und dann in großen Titelbuchstaben „Das letzte Gefecht“. Was soll das mit dem Gefecht, habe ich mich gefragt? Der EURO-Raum erlebt gerade eine Krise seiner Währung (wohl eher auch eine Krise der Emotionen). Das Bild „letzte Gefecht“ macht nach meiner Meinung auch hier keinen Sinn. Dieses Bild hat doch eher etwas mit Kampf und Krieg zu tun, als mit Problemen in der Geldpolitik und der Überschuldung. Die Eurozone ist eine Solidargemeinschaft, trotz aller aktueller Probleme und Streitigkeiten. Hier geht es so gar nicht um einen Krieg oder ein Gefecht in Europa. Zudem zeigt die Geschichte, dass es immer wieder Währungskrisen gibt. Diese Krise wird also nicht die „letzte“ sein und sie wird sicher auch keine Menschen in Europa töten.
„Das letzte Gefecht“ ist übrigens auch der deutsche Titel von einem Stephen King Buch. Ein biologischer Kampfstoff (Virus, also wieder eine Art „Gift“!) tötet in der Geschichte fast alle Menschen (99,4%) auf der Welt. Die wenigen Überlebenden spalten sich in zwei Gruppen, in „Gut“ und „Böse“. Die Konflikte der Parteien finden ihren Höhepunkt schließlich in der Explosion einer Atombombe im Lager der „Bösen“. Eine apokalyptische Katastrophe wie bei Stephen King ist die EURO-Krise sicher nicht. Warum solche Wortgewalt? Warum Pistolenschüsse auf Europa? Warum Selbstmordgedanken und Angst zu sterben?
Medienbilder, Wirtschaftkrisen und destruktive Kindheitserfahrungen. Diese Dinge zusammen zu betrachten, ist etwas relativ neues, auch für mich. Für mich bleibt die Analyse von solchen Bildern und Worten weiter spannend. Ich kann dem nur lückenhaft nachgehen, finde es aber wichtig, überhaupt auf solche möglichen Zusammenhänge hinzuweisen und gedankliche Anregungen zu geben.
Wenn das Wort „Gift“ oder „vergiftet“ im Zusammenhang mit politischen oder ökonomischen Prozessen auftaucht, dann werde ich mittlerweile sehr aufmerksam. Im vorherigen Beitrag hatte ich auf einen ZEIT-Artikel hingewiesen. Bzgl. der Gewalt gegen Kinder schrieb die Autorin den wahren Satz: „Den Kindern aber, die wie Hauspflanzen keine Wahl haben, zu entscheiden, wo sie leben, bleibt nichts übrig, als das vergiftete Wasser aus der Gießkanne im Elternhaus in sich aufzunehmen.“ Auch Lloyd deMause spricht häufig von „Gift“ und vor allem von „Giftcontainern“ im Zusammenhang mit Gewalt gegen Kinder. „Giftcontainern“ sind die menschlichen Opfer (durch Kriege, Gewaltkriminalität und ökonomische Krisen erzeugt) , die gebracht werden, um bzgl. traumatischer Kindheitserfahrungen (das „Gift“) kurzfristig Erleichterung zu verspüren und sich zu „reinigen“. „Vergiftete Kindheit: Vom Missbrauch elterliche Macht und seinen Folgen “ nannte die Psychotherapeutin Susan Forward ihr Buch, in dem sie in anschaulicher Sprache über die Auswirkungen elterlicher Gewalt berichtet. Das Thema „Gift“ und „Kindheit“ ist also in der Tat etwas, was bildlich die Folgen der Gewalt gut beschreibt. Wenn dieses „Gift“ dann in den Medien und politischen Reden auftaucht, macht es Sinn, hier Zusammenhänge zur (destruktiven) Kindheit zu vermuten.
„Vergiftete Staaten von Europa“? Macht dieses Bild wirklich Sinn in Bezug auf die EURO-Krise? Darüber lässt sich sicher streiten. Ganz rational betrachtet, finde ich nicht, dass Gift und Probleme in der Geldpolitik bildlich wirklich zusammenpassen. Erinnern wir uns an dieser Stelle auch an die letzte Krise im Jahr 2009. Von „toxischen Wertpapieren“ war da häufig die Rede. Wertpapiere können ihren Wert verlieren und Verlust einbringen. Können sie auch giftig sein? Eher nicht. Wertpapierverluste im großen Rahmen können vielleicht einen Dominoeffekt auslösen. Aber können sie auch Gift verbreiten?
„Vergiftete Staaten“ und dann in großen Titelbuchstaben „Das letzte Gefecht“. Was soll das mit dem Gefecht, habe ich mich gefragt? Der EURO-Raum erlebt gerade eine Krise seiner Währung (wohl eher auch eine Krise der Emotionen). Das Bild „letzte Gefecht“ macht nach meiner Meinung auch hier keinen Sinn. Dieses Bild hat doch eher etwas mit Kampf und Krieg zu tun, als mit Problemen in der Geldpolitik und der Überschuldung. Die Eurozone ist eine Solidargemeinschaft, trotz aller aktueller Probleme und Streitigkeiten. Hier geht es so gar nicht um einen Krieg oder ein Gefecht in Europa. Zudem zeigt die Geschichte, dass es immer wieder Währungskrisen gibt. Diese Krise wird also nicht die „letzte“ sein und sie wird sicher auch keine Menschen in Europa töten.
„Das letzte Gefecht“ ist übrigens auch der deutsche Titel von einem Stephen King Buch. Ein biologischer Kampfstoff (Virus, also wieder eine Art „Gift“!) tötet in der Geschichte fast alle Menschen (99,4%) auf der Welt. Die wenigen Überlebenden spalten sich in zwei Gruppen, in „Gut“ und „Böse“. Die Konflikte der Parteien finden ihren Höhepunkt schließlich in der Explosion einer Atombombe im Lager der „Bösen“. Eine apokalyptische Katastrophe wie bei Stephen King ist die EURO-Krise sicher nicht. Warum solche Wortgewalt? Warum Pistolenschüsse auf Europa? Warum Selbstmordgedanken und Angst zu sterben?
Medienbilder, Wirtschaftkrisen und destruktive Kindheitserfahrungen. Diese Dinge zusammen zu betrachten, ist etwas relativ neues, auch für mich. Für mich bleibt die Analyse von solchen Bildern und Worten weiter spannend. Ich kann dem nur lückenhaft nachgehen, finde es aber wichtig, überhaupt auf solche möglichen Zusammenhänge hinzuweisen und gedankliche Anregungen zu geben.
Mittwoch, 8. Dezember 2010
Überraschende Bewegung in den Medien: "Tatort Elternhaus"
Wirklich überrascht hat mich der aktuelle, ausführliche Artikel „Tatort Elternhaus“ von Caroline Fetscher, der in der ZEIT und auch im Tagesspiegel erschienen ist. Solcher Art Artikel sind es, die unsere Gesellschaft braucht, um sich zu bewegen und um Dinge bewusst zu machen! Ich denke, dass wir zukünftig mit mehr in dieser Richtung rechnen können. Jüngere AutorInnen wie die oben benannte machen sich in der Medienlandschaft breit. Diese neue Generation wird ganz anders mit dem Thema umgehen können, als die Generationen davor. Wir dürfen auf die weitere Entwicklung gespannt sein.
Hervorheben möchte ich, dass in dem Artikel auf die Schwedin Ellen Key („Jahrhundert des Kindes“) und auch auf Lloyd de Mause und seine „Evolution von Kindheit“ relativ ausführlich eingegangen wurde. Auch die möglichen politischen Auswirkungen der Gewalt gegen Kinder wurde zumindest in einem Satz erwähnt: „ (…) Einschüchterung, Schuld und Gewalt geprägte Klima, in dem Anfang des 20. Jahrhunderts jene deutschen Kinder heranwuchsen, die später als Täter oder Mitläufer den Faschismus möglich machten.“
Besonders interessant fand ich auch folgende Textstelle: „Keine Frage, gewaltige Residuen aller vergangenen Epochen wirken bis heute nach und weiter. Auffällig offen überwintert die Gewalt in der Sprache, die wir verwenden. Gewaltmetaphern werden täglich und sorglos verwendet: Menschen bei Maischberger fragt, "Warum verprügeln wir Schwarz-Gelb?", der Steuerzahler "muss bluten", die Regierung "plant Grausamkeiten", ein Politiker "wird abgewatscht". Abend für Abend serviert das Fernsehen Schlägereien, Schießereien, Vergewaltigungen, Raub und Mord. Gewalt ist omnipräsent. Überwunden ist die Vorstellung, Konflikte durch Gewalt auszuagieren, noch lange nicht.“ Das ist etwas, was ja auch die psychohistorische Forschung mit ihrer Fantasieanalyse von Medien, politischen Reden und Cartoons darzustellen versucht: Wie führt sich die Kindererziehungspraxis (verdeckt) in Worten und Bildern in den Medien wieder auf?
Wichtig fand ich auch den Hinweis auf psychische Gewalt, darauf wird leider viel zu selten hingewiesen. „Zahllose Kinder hören Tag für Tag abwertende, entmutigende, gebrüllte, lieblose Botschaften. "Du machst mich krank", "du bist dumm", "immer bist du im Weg", "geh mir aus den Augen", "mit dir ist nichts anzufangen", "seit du auf der Welt bist, gibt es nichts als Ärger" – die Litanei ist uferlos. Wer als Kind mit diesem Hagel aufwächst, erfährt weder Selbstwert noch Schutz. Das ist die Entwürdigung, die im Gesetz zur gewaltfreien Erziehung ebenfalls erwähnt wird. Psychische Gewalt. Aber "Entwürdigung" – diese Diagnose werde gar nicht gestellt, bedauert die Kinderärztin Winter. Den Kindern aber, die wie Hauspflanzen keine Wahl haben, zu entscheiden, wo sie leben, bleibt nichts übrig, als das vergiftete Wasser aus der Gießkanne im Elternhaus in sich aufzunehmen.“
Aufschlussreich und – ich muss gestehen - für mich nicht wirklich neu, weil ich solche Aussagen schon zu oft gehört habe, fand ich auch einige Kommentare der LeserInnen. Hier findet man u.a. die "Identifikation mit dem Aggressor" wieder. Besonders erschreckend, aber leider Realität und hoch wirksam, ist die „Dankbarkeit“ für Schläge und „Einsicht“ der Geschlagenen.
Im Tagesspiegel:
„Eine gewisse Züchtigung hatte mir keineswegs geschadet, sondern vor größerem Schaden bewahrt und auch ein klein wenig Gehorsam beigebracht.“
„mein gott, was fuer ein sozialarbeitergewinsel. eine ohrfeige ist keine physische misshandlung. um ein kind von grossem bloedsinn abzuhalten wenn alle noch so gute argumente und strenge worte nichts helfen, kann man auch mal einen klapps auf die finger geben.“
In der Zeit:
„aus persönlicher Erfahrung während meiner eigenen Kindheit weiß ich, dass das vorhandensein von körperlicher Gewalt nicht im Allgemeinfall schädlich für ein Kind sein muss. (…) Aber wenn ich und mein Bruder mal so richtig scheiße gebaut haben, gab es als Bestrafung durchaus Klapse auf den Arsch. Ja, die taten schon weh, auch wenn wir irgendwann merkten, dass sie gar nicht so schlimm waren (der psychologische Effekt war ziemlich groß). Aber ich habe dies nie als Misshandlung empfunden, sondern als ziemlich gerechtfertigte Bestrafung. (…)würde mich persönlich wirklich interessieren, ob hier jeder der Meinung ist, dass eine Erziehung grundsätzlich gewaltfrei sein muss. Das sehe ich ehrlich gesagt nicht so - es gibt nur eben verschiedene Formen von Gewalt.“
„Kinder brauchen Grenzen, Grenzverletzungen erfordern Konsequenzen. Konsequenzen müssen dem Kind in irgendeiner Form "weh" tun, sonst sind es keine. Ein unmittelbarer "Klaps" auf den Hintern ist manchmal für BEIDE Seiten die beste Lösung.“
„Der Klaps auf dem Hinterkopf kann ein probates Mittel sein, um Kindern Grenzen zu setzen. Gewalt ist dem Kind dabei im eigentlichen Sinne nicht widerfahren." Selber Leser an anderer Stelle: „Ich selbst habe mal 10 Ohrfeigen hintereinander bekommen als 12-jähriger. Das war einem Machtkampf geschuldet, ich habe das nie dem Erzieher nachgetragen, im Gegenteil, weil ich verstand, warum dies geschah, habe ich mich schließlich gebeugt und die Angelegenheit als notwendig betrachtet. Bis heute bin ich diesem Erzieher (Internat) dankbar, nicht wegen der Ohrfeigen, die eine Ausnahme darstellten. Aber sie gehörten dazu.“
„Mit einem "Klaps" auf den Po kann ich mit mir noch reden lassen. Ein Schlag auf den Hinterkopf ist eine ganz andere Dimension.“
„einem Kind das sich nach Vorwarnungen weiterhin total daneben benimmt,eine runterzuhauen, finde ich gerechtfertigt. Sonst passiert ihm das als Erwachsener, und dann ist es schlimmer. Wir haben das bei unseren jetzt erwachsenen Kinder praktiziert (weniger als 1 mal pro Jahr und nie mehr ab 6 oder 7) und sie sind uns dankbar dafuer.“
"Zudem sind körperliche Erziehungsmittel (wozu ja beispielsweise auch Festhalten zählt) eher für jüngere Kinder geeignet (...) warum schließlich sollte mich jemand strafen, es sei denn, dass ich aus Mutwillen provoziert habe. Und ich habe gerne provoziert und sehr bewusst die Grenzen ausgetestet. Die Strafe habe ich mutwillig in Kauf genommen. Einmal sagte meine Großmutter mir, es gäbe eine Ohrfeige für jede Minute, die ich zu spät komme (zugegebenermaßen etwas übertrieben). Ich war pünktlich daheim, habe aber 3 Minuten vor der Tür gewartet, nur um zu sehen, ob sie es durchzieht. Hat sie. Aber ich bin bis heute stolz, dass ich es probiert hab und ihr nicht böse. Ich hätte die Strafe ja vermeiden können, wenn ich gewollt hätte."
"Tatsächlich sind Backpfeifen auch eine Art der Zuwendung, sogar positiv zu werten, falls es die einzige ist. In der Not frisst der Teufel Fliegen."
Einen Kommentar anderer Art möchte ich hier abschließend auch zitieren: „Wenn eine Ohrfeige keine körperliche Gewalt ist, dann müsste das ja für alle gelten und jeder jeden ohrfeigen dürfen. Und Sie hätten sicher nichts dagegen, wenn ich davon Gebrauch mache, falls wir uns mal begegnen sollten.“
Hervorheben möchte ich, dass in dem Artikel auf die Schwedin Ellen Key („Jahrhundert des Kindes“) und auch auf Lloyd de Mause und seine „Evolution von Kindheit“ relativ ausführlich eingegangen wurde. Auch die möglichen politischen Auswirkungen der Gewalt gegen Kinder wurde zumindest in einem Satz erwähnt: „ (…) Einschüchterung, Schuld und Gewalt geprägte Klima, in dem Anfang des 20. Jahrhunderts jene deutschen Kinder heranwuchsen, die später als Täter oder Mitläufer den Faschismus möglich machten.“
Besonders interessant fand ich auch folgende Textstelle: „Keine Frage, gewaltige Residuen aller vergangenen Epochen wirken bis heute nach und weiter. Auffällig offen überwintert die Gewalt in der Sprache, die wir verwenden. Gewaltmetaphern werden täglich und sorglos verwendet: Menschen bei Maischberger fragt, "Warum verprügeln wir Schwarz-Gelb?", der Steuerzahler "muss bluten", die Regierung "plant Grausamkeiten", ein Politiker "wird abgewatscht". Abend für Abend serviert das Fernsehen Schlägereien, Schießereien, Vergewaltigungen, Raub und Mord. Gewalt ist omnipräsent. Überwunden ist die Vorstellung, Konflikte durch Gewalt auszuagieren, noch lange nicht.“ Das ist etwas, was ja auch die psychohistorische Forschung mit ihrer Fantasieanalyse von Medien, politischen Reden und Cartoons darzustellen versucht: Wie führt sich die Kindererziehungspraxis (verdeckt) in Worten und Bildern in den Medien wieder auf?
Wichtig fand ich auch den Hinweis auf psychische Gewalt, darauf wird leider viel zu selten hingewiesen. „Zahllose Kinder hören Tag für Tag abwertende, entmutigende, gebrüllte, lieblose Botschaften. "Du machst mich krank", "du bist dumm", "immer bist du im Weg", "geh mir aus den Augen", "mit dir ist nichts anzufangen", "seit du auf der Welt bist, gibt es nichts als Ärger" – die Litanei ist uferlos. Wer als Kind mit diesem Hagel aufwächst, erfährt weder Selbstwert noch Schutz. Das ist die Entwürdigung, die im Gesetz zur gewaltfreien Erziehung ebenfalls erwähnt wird. Psychische Gewalt. Aber "Entwürdigung" – diese Diagnose werde gar nicht gestellt, bedauert die Kinderärztin Winter. Den Kindern aber, die wie Hauspflanzen keine Wahl haben, zu entscheiden, wo sie leben, bleibt nichts übrig, als das vergiftete Wasser aus der Gießkanne im Elternhaus in sich aufzunehmen.“
Aufschlussreich und – ich muss gestehen - für mich nicht wirklich neu, weil ich solche Aussagen schon zu oft gehört habe, fand ich auch einige Kommentare der LeserInnen. Hier findet man u.a. die "Identifikation mit dem Aggressor" wieder. Besonders erschreckend, aber leider Realität und hoch wirksam, ist die „Dankbarkeit“ für Schläge und „Einsicht“ der Geschlagenen.
Im Tagesspiegel:
„Eine gewisse Züchtigung hatte mir keineswegs geschadet, sondern vor größerem Schaden bewahrt und auch ein klein wenig Gehorsam beigebracht.“
„mein gott, was fuer ein sozialarbeitergewinsel. eine ohrfeige ist keine physische misshandlung. um ein kind von grossem bloedsinn abzuhalten wenn alle noch so gute argumente und strenge worte nichts helfen, kann man auch mal einen klapps auf die finger geben.“
In der Zeit:
„aus persönlicher Erfahrung während meiner eigenen Kindheit weiß ich, dass das vorhandensein von körperlicher Gewalt nicht im Allgemeinfall schädlich für ein Kind sein muss. (…) Aber wenn ich und mein Bruder mal so richtig scheiße gebaut haben, gab es als Bestrafung durchaus Klapse auf den Arsch. Ja, die taten schon weh, auch wenn wir irgendwann merkten, dass sie gar nicht so schlimm waren (der psychologische Effekt war ziemlich groß). Aber ich habe dies nie als Misshandlung empfunden, sondern als ziemlich gerechtfertigte Bestrafung. (…)würde mich persönlich wirklich interessieren, ob hier jeder der Meinung ist, dass eine Erziehung grundsätzlich gewaltfrei sein muss. Das sehe ich ehrlich gesagt nicht so - es gibt nur eben verschiedene Formen von Gewalt.“
„Kinder brauchen Grenzen, Grenzverletzungen erfordern Konsequenzen. Konsequenzen müssen dem Kind in irgendeiner Form "weh" tun, sonst sind es keine. Ein unmittelbarer "Klaps" auf den Hintern ist manchmal für BEIDE Seiten die beste Lösung.“
„Der Klaps auf dem Hinterkopf kann ein probates Mittel sein, um Kindern Grenzen zu setzen. Gewalt ist dem Kind dabei im eigentlichen Sinne nicht widerfahren." Selber Leser an anderer Stelle: „Ich selbst habe mal 10 Ohrfeigen hintereinander bekommen als 12-jähriger. Das war einem Machtkampf geschuldet, ich habe das nie dem Erzieher nachgetragen, im Gegenteil, weil ich verstand, warum dies geschah, habe ich mich schließlich gebeugt und die Angelegenheit als notwendig betrachtet. Bis heute bin ich diesem Erzieher (Internat) dankbar, nicht wegen der Ohrfeigen, die eine Ausnahme darstellten. Aber sie gehörten dazu.“
„Mit einem "Klaps" auf den Po kann ich mit mir noch reden lassen. Ein Schlag auf den Hinterkopf ist eine ganz andere Dimension.“
„einem Kind das sich nach Vorwarnungen weiterhin total daneben benimmt,eine runterzuhauen, finde ich gerechtfertigt. Sonst passiert ihm das als Erwachsener, und dann ist es schlimmer. Wir haben das bei unseren jetzt erwachsenen Kinder praktiziert (weniger als 1 mal pro Jahr und nie mehr ab 6 oder 7) und sie sind uns dankbar dafuer.“
"Zudem sind körperliche Erziehungsmittel (wozu ja beispielsweise auch Festhalten zählt) eher für jüngere Kinder geeignet (...) warum schließlich sollte mich jemand strafen, es sei denn, dass ich aus Mutwillen provoziert habe. Und ich habe gerne provoziert und sehr bewusst die Grenzen ausgetestet. Die Strafe habe ich mutwillig in Kauf genommen. Einmal sagte meine Großmutter mir, es gäbe eine Ohrfeige für jede Minute, die ich zu spät komme (zugegebenermaßen etwas übertrieben). Ich war pünktlich daheim, habe aber 3 Minuten vor der Tür gewartet, nur um zu sehen, ob sie es durchzieht. Hat sie. Aber ich bin bis heute stolz, dass ich es probiert hab und ihr nicht böse. Ich hätte die Strafe ja vermeiden können, wenn ich gewollt hätte."
"Tatsächlich sind Backpfeifen auch eine Art der Zuwendung, sogar positiv zu werten, falls es die einzige ist. In der Not frisst der Teufel Fliegen."
Einen Kommentar anderer Art möchte ich hier abschließend auch zitieren: „Wenn eine Ohrfeige keine körperliche Gewalt ist, dann müsste das ja für alle gelten und jeder jeden ohrfeigen dürfen. Und Sie hätten sicher nichts dagegen, wenn ich davon Gebrauch mache, falls wir uns mal begegnen sollten.“
Donnerstag, 2. Dezember 2010
Mütter und "Der Mythos vom türkischen Macho"
Ich möchte auf einen interessanten ZEIT-Artikel aufmerksam machen: "Der Mythos vom türkischen Macho"
Ein Auszug: „Wenn wir die Männer verstehen wollen, müssen wir das Verhältnis zu ihren Müttern verstehen. Wie wurden diese Männer erzogen, welche Stellung nehmen sie wirklich ein? Die Dominanz der Mütter innerhalb des türkischen Familiengefüges ist nicht zu übersehen. Der Mann wird häufig bewusst oder unbewusst herausgedrängt aus einer nahen Beziehung zu den Kindern. Oft nutzt die Frau in der Familie diese Hoheit über die Kinder aus. Der erstickenden Liebesumarmung der Mütter können sich insbesondere die Söhne kaum entziehen. Die Söhne werden häufig sehr verwöhnt und damit emotional gebunden. Sie werden zu einer Art "Ersatzmann" herangezogen und damit sowohl narzisstisch aufgewertet, als auch emotional überfordert. Den Jungen wird das Gefühl gegeben, wichtig und stark zu sein. Dieses Gefühl von Macht und Bedeutsamkeit korrespondiert allerdings in keiner Weise mit der Wirklichkeit, weder draußen, im Kindergarten oder in der Schule (…) Zudem erstickt das ewig besorgte, beschützende, verwöhnende Verhalten türkischer Mütter die Bemühungen des Sohnes, selbstständig zu werden.“
Ja, der Artikel zeigt eine gewisse Einseitigkeit. U.a. wird die Rolle der türkischen Väter außen vor gelassen, die sicherlich auch großen destruktiven Einfluss nehmen und Gewalt ausüben können. (Ein Hinweis an dieser Stelle: Im Grundlagentext hatte ich bereits einige Studien erwähnt, die zeigten, dass Gewalt innerhalb türkisch stämmiger Familien im Verhältnis zu deutschen Familien häufiger (z.T. auch schwerwiegender) ausgeübt wird, u.a. wurden auch türkisch stämmige Frauen verhältnismäßig häufiger Opfer häuslicher Gewalt.).
Dennoch finde ich diesen Artikel wirklich interessant und wichtig. Letztlich zeigt ja auch der historische Rückblick auf Europa, dass in den Familien oftmals Mütter/Frauen in vielen Bereichen viel Macht hatten, insbesondere auch über die Kinder. Während die Männer vor allem außerhalb der Familie herrschten und Macht ausübten. Der deutliche Blick auf „die Mütter“ in den Familien und ihren Einfluss auf die Gesellschaft wird viel zu selten gewagt. Bzgl. der Kindesmisshandlung liegt der Anteil der weiblicher Täterinnnen z.B. bei mindestens 50 %, teils auch mehr, je nach Studie. Dazu kommt emotionaler Missbrauch, so wie in diesem ZEIT-Artikel angesprochen, der sozialisationsbedingt wohl eher von Frauen ausgeübt wird und der auch Folgen hat. Hüten sollte man/frau sich vor einer Aufrechnung des destruktiven Einflusses von Mutter und Vater. Für die psychische Heilung – darum geht es ja der ZEIT-Autorin im Grunde - ist der ungetrübte Blick auf den Einfluss beider Elternteile notwendig.
Zu diesem Artikel fällt mir ansonsten noch ein, dass ich dieses Hinsehen auf den (möglichen, destruktiven ) Einfluss von Frauen innerhalb der Familie in vielen feministischen Veröffentlichungen, aber auch in der sonstigen gesellschaftlichen Debatte sehr vermisse. Mehr noch, ich halte diesen Blick dringend für erforderlich, um gesellschaftliche „Gesundungsprozesse“ weiter in Gang zu bringen. Andererseits mag ich auch nicht die Einseitigkeit, wenn dann mal über Mütter berichtet wird, wie z.B. in diesem ZEIT-Artikel. Da werden dann pauschal „die Mütter“ verurteilt und ihnen die eigentliche Macht zugesprochen (was auch in psychoanalytischen Schriften sehr verbreitet ist, so mein Eindruck).
Eigentlich müsste es also in Bezug auf Männer heißen: „Wenn wir die Männer verstehen wollen, müssen wir das Verhältnis zu ihren Müttern UND Vätern verstehen.“
Ein Auszug: „Wenn wir die Männer verstehen wollen, müssen wir das Verhältnis zu ihren Müttern verstehen. Wie wurden diese Männer erzogen, welche Stellung nehmen sie wirklich ein? Die Dominanz der Mütter innerhalb des türkischen Familiengefüges ist nicht zu übersehen. Der Mann wird häufig bewusst oder unbewusst herausgedrängt aus einer nahen Beziehung zu den Kindern. Oft nutzt die Frau in der Familie diese Hoheit über die Kinder aus. Der erstickenden Liebesumarmung der Mütter können sich insbesondere die Söhne kaum entziehen. Die Söhne werden häufig sehr verwöhnt und damit emotional gebunden. Sie werden zu einer Art "Ersatzmann" herangezogen und damit sowohl narzisstisch aufgewertet, als auch emotional überfordert. Den Jungen wird das Gefühl gegeben, wichtig und stark zu sein. Dieses Gefühl von Macht und Bedeutsamkeit korrespondiert allerdings in keiner Weise mit der Wirklichkeit, weder draußen, im Kindergarten oder in der Schule (…) Zudem erstickt das ewig besorgte, beschützende, verwöhnende Verhalten türkischer Mütter die Bemühungen des Sohnes, selbstständig zu werden.“
Ja, der Artikel zeigt eine gewisse Einseitigkeit. U.a. wird die Rolle der türkischen Väter außen vor gelassen, die sicherlich auch großen destruktiven Einfluss nehmen und Gewalt ausüben können. (Ein Hinweis an dieser Stelle: Im Grundlagentext hatte ich bereits einige Studien erwähnt, die zeigten, dass Gewalt innerhalb türkisch stämmiger Familien im Verhältnis zu deutschen Familien häufiger (z.T. auch schwerwiegender) ausgeübt wird, u.a. wurden auch türkisch stämmige Frauen verhältnismäßig häufiger Opfer häuslicher Gewalt.).
Dennoch finde ich diesen Artikel wirklich interessant und wichtig. Letztlich zeigt ja auch der historische Rückblick auf Europa, dass in den Familien oftmals Mütter/Frauen in vielen Bereichen viel Macht hatten, insbesondere auch über die Kinder. Während die Männer vor allem außerhalb der Familie herrschten und Macht ausübten. Der deutliche Blick auf „die Mütter“ in den Familien und ihren Einfluss auf die Gesellschaft wird viel zu selten gewagt. Bzgl. der Kindesmisshandlung liegt der Anteil der weiblicher Täterinnnen z.B. bei mindestens 50 %, teils auch mehr, je nach Studie. Dazu kommt emotionaler Missbrauch, so wie in diesem ZEIT-Artikel angesprochen, der sozialisationsbedingt wohl eher von Frauen ausgeübt wird und der auch Folgen hat. Hüten sollte man/frau sich vor einer Aufrechnung des destruktiven Einflusses von Mutter und Vater. Für die psychische Heilung – darum geht es ja der ZEIT-Autorin im Grunde - ist der ungetrübte Blick auf den Einfluss beider Elternteile notwendig.
Zu diesem Artikel fällt mir ansonsten noch ein, dass ich dieses Hinsehen auf den (möglichen, destruktiven ) Einfluss von Frauen innerhalb der Familie in vielen feministischen Veröffentlichungen, aber auch in der sonstigen gesellschaftlichen Debatte sehr vermisse. Mehr noch, ich halte diesen Blick dringend für erforderlich, um gesellschaftliche „Gesundungsprozesse“ weiter in Gang zu bringen. Andererseits mag ich auch nicht die Einseitigkeit, wenn dann mal über Mütter berichtet wird, wie z.B. in diesem ZEIT-Artikel. Da werden dann pauschal „die Mütter“ verurteilt und ihnen die eigentliche Macht zugesprochen (was auch in psychoanalytischen Schriften sehr verbreitet ist, so mein Eindruck).
Eigentlich müsste es also in Bezug auf Männer heißen: „Wenn wir die Männer verstehen wollen, müssen wir das Verhältnis zu ihren Müttern UND Vätern verstehen.“
Freitag, 26. November 2010
Hexenjagd in Papua-Neuguinea und Kritik an Arno Gruens Kulturkritik
Im aktuellen Amnesty Journal findet sich ein erschütternder Artikel über die Hexenjagd in Papua-Neuguinea. Siehe den ganzen Artikel "Hexenjagd".
Sanguma nennt man den dort weit verbreiteten Glauben an schwarze Magie, böse Geister und Hexen. „Hunderte Menschen fallen ihm jährlich zum Opfer, meistens Frauen, aber auch Kinder und manchmal Männer, die man der Hexerei beschuldigt. Sanguma ist die Schattenseite des Paradieses.“ (Amnesty Journal, Dez / Jan 2010/2011, S. 41) Meistens trifft es alleinstehende Frauen, die z.B. mit dem „bösen Blick“ einen Nachbarn getötet hätten. Sie werden willkürlich stigmatisiert, gefoltert und getötet. Lokale Zeitungen berichten wöchentlich über Sanguma-Morde. Die Regierung hat inzwischen auch ein Gesetz gegen Hexenverfolgung erlassen. Allerdings ist es ein Kampf „gegen Gleichgültigkeit und Unwissenheit. Niemand fühlt sich verantwortlich, weil die meisten glauben, dass die Opfer ihre gerechte Strafe bekommen.“ (ebd., S. 44) Manchmal kommen zwanzig bis dreißig junge Männer zusammen, um eine „Hexe“ zu töten. In einem Fallbeispiel im Magazin waren es sogar bis zu einhundert. Die Täter kennen oftmals ihre Opfer und umgekehrt. In einem berichteten Fall trugen sogar einige der Täter die Getötete später zusammen mit ihrer Familie zu Grabe…
Die Schwester einer Ermordeten berichtet als Augenzeugin: „Sie schlugen mit Stöcken zu, brachen Rippen, warfen Steine und rammten glühende Drähte unter die Haut der Gefesselten; sechs Stunden lang. Als die Frauen endlich gestanden, holte jemand die Axt aus dem Gebüsch. Waja Loko war sofort tot (…).“ (ebd. S. 42)
Der Bericht ist wirklich erschütternd. Ich dachte beim Lesen des Artikels natürlich sofort auch an die vielen Zeilen von Lloyd deMause. Der Psychohistoriker hat in seinem Buch (vgl. deMause, 2005, S. 194-210) ausführlich die Kindererziehungspraxis in Neuguinea dargestellt und die Idealisierung von Kindheit bei primitiven Gesellschaften kritisiert. Er weist an Hand einer Fülle von Fakten und Berichten für die meisten dortigen Regionen auf ein hohes Ausmaß von Kindestötungen, Inzest, sexuellen Missbrauchs, maternale Ablehnung der Kinder, Unterernährung der Kinder trotz ausreichend vorhandener Lebensmittel, Vergewaltigung der Jungen ab dem 7. Lebensjahr und Folter und Verstümmelung während der Initiationsrituale hin. Durch diese extrem destruktive Kindererziehungspraxis konnte sich die Kultur der dortigen Eingeborenen im historischen Rückblick nicht wirklich entwickeln, sagt deMause. Auch verweist er auf viele Folgen dieser frühen Gewalterfahrungen, dazu gehörte u.a. der damalige Kannibalismus in dieser Region.
Wie wir an Hand des Amnesty Berichtes sehen können, sind die Folgen dieser extremen Gewalt gegen Kinder auch heute noch deutlich zu beobachten bzw. scheint die Kindererziehungspraxis vor Ort weiterhin eher auf dem Niveau der „Schizoiden Psychoklasse“ zu verharren. Ich habe mir vorgenommen, dem Autor des Artikels und dem Amnesty Journal etwas dazu zu schreiben. Denn die Ursachen dieser Gewaltexzesse sind oftmals gar nicht bekannt.
Nebenbei möchte ich die Gelegenheit nutzen, den Psychoanalytiker Arno Gruen zu kritisieren. Vorweg möchte ich betonen, dass ohne die Bücher von Arno Gruen vielleicht dieser Blog nicht in seiner jetzigen Form existieren würde. Seine Bücher haben mir sehr viel klar und verständlich gemacht.
Gruen schreibt viel über die destruktive Kindheit in der westlichen Welt und formt daraus auch eine umfassende Kulturkritik. Allerdings verweist er immer wieder auf das Vorbild von primitiven Gesellschaften, wo Kindheit noch anders und besser wäre, als in unserer modernen Kultur. Sein Lieblingsbeispiel, das er auch in unzähligen Interviews stets wiederholt, ist das einer Mutter aus Neuguinea, die von dem Ethnologen Eibl-Eibesfeldt gefilmt wurde. Ein Auszug:
„Der Junge isst eine Wasserbrotwurzel, das Mädchen greift danach, beide fangen an zu weinen. Die Mutter kommt dazu, beide Kinder lächeln sie an. Der Junge reicht ihr von sich aus die Wurzel, sie bricht sie in zwei Teile und» –, Gruen unterbricht sich: «Was würden wir wohl in einer ähnlichen Situation tun?» Er gibt die Antwort gleich selber: «Jedem Kind ein Stück geben, nicht? Und dabei würden wir uns vorbildlich fühlen, weil wir glauben, den Kindern so das Teilen beizubringen. Nicht so die Eipo-Frau. Sie gab beide Teile dem Jungen zurück. Der betrachtet sie einen Moment und gibt dann eines seiner Schwester.» Diese Eipo-Mutter versetzte sich in ihr Kind hinein, sie respektierte seinen Willen und seine Gefühle.“ (dasmagazin.ch, 16.09.2007, "Du sollst nicht Loben")
Aus diesem Beispiel leitet Gruen unaufhörlich ab, dass wir im Westen dieses Wissen um den richtigen Umgang mit Kindern verlernt hätten. (wobei auch dieses Beispiel an sich seine verschiedenen Seiten haben könnte. Warum reicht die Mutter gerade dem Jungen das ganze Stück? Unterstützt sie hier die patriarchalen Herrschaftsstrukturen? Der Junge, der Mann darf entscheiden, wer etwas bekommt und wer nicht?) Lloyd deMause hat dagegen sehr fundiert genau das Gegenteil nachgewiesen und genau hingeschaut, wie die reale Erziehungspraxis vor Ort in Neuguinea aussah und aussieht. Wir sollten nicht zurück schauen und uns primitive Völker nicht als Vorbild nehmen, wenn es um die Kindererziehung geht. Das lehrt uns deMause und ich finde, er hat recht.
Siehe ergänzend auch: "Aborigines. Gewalt und Missbrauch. Entzauberung eines Urvolkes?"
Sanguma nennt man den dort weit verbreiteten Glauben an schwarze Magie, böse Geister und Hexen. „Hunderte Menschen fallen ihm jährlich zum Opfer, meistens Frauen, aber auch Kinder und manchmal Männer, die man der Hexerei beschuldigt. Sanguma ist die Schattenseite des Paradieses.“ (Amnesty Journal, Dez / Jan 2010/2011, S. 41) Meistens trifft es alleinstehende Frauen, die z.B. mit dem „bösen Blick“ einen Nachbarn getötet hätten. Sie werden willkürlich stigmatisiert, gefoltert und getötet. Lokale Zeitungen berichten wöchentlich über Sanguma-Morde. Die Regierung hat inzwischen auch ein Gesetz gegen Hexenverfolgung erlassen. Allerdings ist es ein Kampf „gegen Gleichgültigkeit und Unwissenheit. Niemand fühlt sich verantwortlich, weil die meisten glauben, dass die Opfer ihre gerechte Strafe bekommen.“ (ebd., S. 44) Manchmal kommen zwanzig bis dreißig junge Männer zusammen, um eine „Hexe“ zu töten. In einem Fallbeispiel im Magazin waren es sogar bis zu einhundert. Die Täter kennen oftmals ihre Opfer und umgekehrt. In einem berichteten Fall trugen sogar einige der Täter die Getötete später zusammen mit ihrer Familie zu Grabe…
Die Schwester einer Ermordeten berichtet als Augenzeugin: „Sie schlugen mit Stöcken zu, brachen Rippen, warfen Steine und rammten glühende Drähte unter die Haut der Gefesselten; sechs Stunden lang. Als die Frauen endlich gestanden, holte jemand die Axt aus dem Gebüsch. Waja Loko war sofort tot (…).“ (ebd. S. 42)
Der Bericht ist wirklich erschütternd. Ich dachte beim Lesen des Artikels natürlich sofort auch an die vielen Zeilen von Lloyd deMause. Der Psychohistoriker hat in seinem Buch (vgl. deMause, 2005, S. 194-210) ausführlich die Kindererziehungspraxis in Neuguinea dargestellt und die Idealisierung von Kindheit bei primitiven Gesellschaften kritisiert. Er weist an Hand einer Fülle von Fakten und Berichten für die meisten dortigen Regionen auf ein hohes Ausmaß von Kindestötungen, Inzest, sexuellen Missbrauchs, maternale Ablehnung der Kinder, Unterernährung der Kinder trotz ausreichend vorhandener Lebensmittel, Vergewaltigung der Jungen ab dem 7. Lebensjahr und Folter und Verstümmelung während der Initiationsrituale hin. Durch diese extrem destruktive Kindererziehungspraxis konnte sich die Kultur der dortigen Eingeborenen im historischen Rückblick nicht wirklich entwickeln, sagt deMause. Auch verweist er auf viele Folgen dieser frühen Gewalterfahrungen, dazu gehörte u.a. der damalige Kannibalismus in dieser Region.
Wie wir an Hand des Amnesty Berichtes sehen können, sind die Folgen dieser extremen Gewalt gegen Kinder auch heute noch deutlich zu beobachten bzw. scheint die Kindererziehungspraxis vor Ort weiterhin eher auf dem Niveau der „Schizoiden Psychoklasse“ zu verharren. Ich habe mir vorgenommen, dem Autor des Artikels und dem Amnesty Journal etwas dazu zu schreiben. Denn die Ursachen dieser Gewaltexzesse sind oftmals gar nicht bekannt.
Nebenbei möchte ich die Gelegenheit nutzen, den Psychoanalytiker Arno Gruen zu kritisieren. Vorweg möchte ich betonen, dass ohne die Bücher von Arno Gruen vielleicht dieser Blog nicht in seiner jetzigen Form existieren würde. Seine Bücher haben mir sehr viel klar und verständlich gemacht.
Gruen schreibt viel über die destruktive Kindheit in der westlichen Welt und formt daraus auch eine umfassende Kulturkritik. Allerdings verweist er immer wieder auf das Vorbild von primitiven Gesellschaften, wo Kindheit noch anders und besser wäre, als in unserer modernen Kultur. Sein Lieblingsbeispiel, das er auch in unzähligen Interviews stets wiederholt, ist das einer Mutter aus Neuguinea, die von dem Ethnologen Eibl-Eibesfeldt gefilmt wurde. Ein Auszug:
„Der Junge isst eine Wasserbrotwurzel, das Mädchen greift danach, beide fangen an zu weinen. Die Mutter kommt dazu, beide Kinder lächeln sie an. Der Junge reicht ihr von sich aus die Wurzel, sie bricht sie in zwei Teile und» –, Gruen unterbricht sich: «Was würden wir wohl in einer ähnlichen Situation tun?» Er gibt die Antwort gleich selber: «Jedem Kind ein Stück geben, nicht? Und dabei würden wir uns vorbildlich fühlen, weil wir glauben, den Kindern so das Teilen beizubringen. Nicht so die Eipo-Frau. Sie gab beide Teile dem Jungen zurück. Der betrachtet sie einen Moment und gibt dann eines seiner Schwester.» Diese Eipo-Mutter versetzte sich in ihr Kind hinein, sie respektierte seinen Willen und seine Gefühle.“ (dasmagazin.ch, 16.09.2007, "Du sollst nicht Loben")
Aus diesem Beispiel leitet Gruen unaufhörlich ab, dass wir im Westen dieses Wissen um den richtigen Umgang mit Kindern verlernt hätten. (wobei auch dieses Beispiel an sich seine verschiedenen Seiten haben könnte. Warum reicht die Mutter gerade dem Jungen das ganze Stück? Unterstützt sie hier die patriarchalen Herrschaftsstrukturen? Der Junge, der Mann darf entscheiden, wer etwas bekommt und wer nicht?) Lloyd deMause hat dagegen sehr fundiert genau das Gegenteil nachgewiesen und genau hingeschaut, wie die reale Erziehungspraxis vor Ort in Neuguinea aussah und aussieht. Wir sollten nicht zurück schauen und uns primitive Völker nicht als Vorbild nehmen, wenn es um die Kindererziehung geht. Das lehrt uns deMause und ich finde, er hat recht.
Siehe ergänzend auch: "Aborigines. Gewalt und Missbrauch. Entzauberung eines Urvolkes?"
Montag, 22. November 2010
Kindheit von Mao Zedong
Über die destruktive Kindheit von Mao Zedong hatte ich bisher nur einen kurzen Auszug im Grundlagentext untergebracht. Diesen habe ich jetzt noch mal erweitert. Der neue Abschnitt sieht jetzt so aus:
Auch auf der anderen Seite der Welt finden sich solche Zusammenhänge. Über den chinesischen Diktator Mao Zedong - chin. = Mao Tse-tung - (der für 70 Millionen Tote in Friedenszeiten verantwortlich war) wird berichtet, dass sein Vater ihn schlug und ihn „faul und nutzlos“ nannte. (vgl. Chang / Halliday, 2005) Der enorme Hass, den Mao als Folge dieser erlittenen Gewalt für seinen Vater empfand, wird durch folgendes Zitat deutlich: „Als er 1968 Rache an seinen politischen Widersachern nahm, sagte er den Kommandanten der Roten Garden, er hätte es gerne gesehen, wenn auch sein Vater so brutal misshandelt worden wäre: «Mein Vater war schlecht. Wenn er noch am Leben wäre, sollte man mit ihm "das Flugzeug" machen» - eine qualvolle Haltung, bei der die Arme des Opfers hinter seinem Rücken verrenkt wurden und der Kopf nach unten gedrückt wurde.“ (ebd., S. 21) An Hand dieses Zitates wird – wie ich finde - erschreckend „lehrbuchartig“ deutlich, wie Mao sein Volk stellvertretend für seinen Vater tyrannisierte.
Maos Vater verlangte offensichtlich – das wird an einer von Mao berichteten Szene deutlich - oftmals als Zeichen der Unterwerfung den Koutou, bei der es heißt, auf beide Knie zu sinken und den Kopf auf die Erde zu schlagen. Mao schildert später eine Szene, wo er vor den Beleidigungen seines Vaters vor Gästen des Hauses wütend nach draußen lief. Der Vater verfolgte ihn. Mao drohte ihm, in einen Teich zu springen, falls er näher kommen würde (also wohl mit Selbstmord). Der Vater verlangte den Koutou. Er, Mao hatte sich dann bereit erklärt, den Koutou nur auf einem Knie zu vollziehen, wenn im Gegenzug der Vater ihn nicht schlage. Wie Mao stolz berichtete, endete somit der Krieg zwischen ihm und seinem Vater durch diese offene Rebellion. Mao selbst sagte im gleichen Atemzug, dass er vorher um so mehr geschlagen wurde, wenn er sich bescheiden und unterwürfig gezeigt hatte. (vgl. Adolphi, 2009, S. 23ff) Hier wird das ganze Ausmaß der väterlichen Gewalt deutlich. Je hilfloser sich Mao zeigte, desto mehr wurde er geschlagen. Dies zeigt, meine ich, deutlich den Sadismus von Maos Vater. Adolphi schreibt auch, dass Mao häufig Prügel bezog und seinen Vater sehr abweisend und feindselig beschrieb. (ebd., S. 26)
Auch zwischen Maos Eltern wird es oftmals erhebliche Konflikte gegeben haben. Seine Mutter war streng gläubige Buddhistin, während sein Vater sich zu den Skeptikern zählte. Mao stand zwischen den beiden, sympathisierte allerdings mehr mit den Ansichten seiner Mutter, die er sehr verehrte und nur positiv von ihr berichtete. (vgl. Spence, 2003, S. 20ff, auch Adolphi, 2009, S. 24ff ) In den verwendeten Quellen finden sich allerdings keinerlei Hinweise darauf, dass seine Mutter ihm in irgendeiner Weise helfend und schützend gegen den gewalttätigen Vater zur Seite stand. In der damaligen chinesischen Kultur war die bedingungslose Unterordnung unter den Vater auch etwas, was allgemein akzeptiert wurde, sicherlich auch von Maos Mutter. Was fühlt ein Kind gegenüber der Mutter, wenn es vor ihren Augen und mit ihrem Wissen vom Vater ständig schwer verprügelt wird, ohne dass eingegriffen wird? Vielleicht Verrat, Hass, Wut, Ohnmacht? Wie passt dies mit Maos späterer Verehrung seiner Mutter zusammen? Mao fand in seiner Mutter ganz offensichtlich keinen helfenden Zeugen, das kann hier festgehalten werden.
Bereits mit sechs Jahren musste Mao auf dem elterlichen Hof mitarbeiten, besuchte aber auch eine Schule, in der „auch der Lehrer reichlich Prügel austeilt“. (Adolphi, 2009, S. 27) Im Alter von dreizehn Jahren verließ Mao - wie die meisten Jungen in China – die Schule und musste fortan die volle Arbeit eines Erwachsenen am Hof seines Vaters tun. Mit vierzehn wurde er zwangsverheiratet, seine Braut war achtzehn. (vgl. Spence, 2003, S. 22) Seine Ehefrau starb allerdings nach ca. zwei oder drei Jahren des Zusammenlebens. Im Alter von ca. siebzehn Jahren besuchte Mao dann wieder eine neue Schule in Xiangxiang. Mao wurde dort allerdings wegen seiner ländlichen Kleidung und seiner ärmlichen Herkunft verachtet und als Außenseiter behandelt. (vgl. ebd., S. 26)
Als junger Mann entwickelte Mao „eine Bewunderung für starke Männer wie Napoleon oder auch den Legalisten Shan Yang, der strenge Gesetze und drakonische Strafen als Form der Regierung befürwortete.“ (vgl. Wemheuer, 2010, S. 23)
Neue Quellen:
Spence, J. 2003: Mao. Classen Verlag, München.
Adolphi, W. 2009: Mao. Eine Chronik. Verlag Neues Leben.
Wemheuer, F. 2010: Mao Zedong. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek.
Auch auf der anderen Seite der Welt finden sich solche Zusammenhänge. Über den chinesischen Diktator Mao Zedong - chin. = Mao Tse-tung - (der für 70 Millionen Tote in Friedenszeiten verantwortlich war) wird berichtet, dass sein Vater ihn schlug und ihn „faul und nutzlos“ nannte. (vgl. Chang / Halliday, 2005) Der enorme Hass, den Mao als Folge dieser erlittenen Gewalt für seinen Vater empfand, wird durch folgendes Zitat deutlich: „Als er 1968 Rache an seinen politischen Widersachern nahm, sagte er den Kommandanten der Roten Garden, er hätte es gerne gesehen, wenn auch sein Vater so brutal misshandelt worden wäre: «Mein Vater war schlecht. Wenn er noch am Leben wäre, sollte man mit ihm "das Flugzeug" machen» - eine qualvolle Haltung, bei der die Arme des Opfers hinter seinem Rücken verrenkt wurden und der Kopf nach unten gedrückt wurde.“ (ebd., S. 21) An Hand dieses Zitates wird – wie ich finde - erschreckend „lehrbuchartig“ deutlich, wie Mao sein Volk stellvertretend für seinen Vater tyrannisierte.
Maos Vater verlangte offensichtlich – das wird an einer von Mao berichteten Szene deutlich - oftmals als Zeichen der Unterwerfung den Koutou, bei der es heißt, auf beide Knie zu sinken und den Kopf auf die Erde zu schlagen. Mao schildert später eine Szene, wo er vor den Beleidigungen seines Vaters vor Gästen des Hauses wütend nach draußen lief. Der Vater verfolgte ihn. Mao drohte ihm, in einen Teich zu springen, falls er näher kommen würde (also wohl mit Selbstmord). Der Vater verlangte den Koutou. Er, Mao hatte sich dann bereit erklärt, den Koutou nur auf einem Knie zu vollziehen, wenn im Gegenzug der Vater ihn nicht schlage. Wie Mao stolz berichtete, endete somit der Krieg zwischen ihm und seinem Vater durch diese offene Rebellion. Mao selbst sagte im gleichen Atemzug, dass er vorher um so mehr geschlagen wurde, wenn er sich bescheiden und unterwürfig gezeigt hatte. (vgl. Adolphi, 2009, S. 23ff) Hier wird das ganze Ausmaß der väterlichen Gewalt deutlich. Je hilfloser sich Mao zeigte, desto mehr wurde er geschlagen. Dies zeigt, meine ich, deutlich den Sadismus von Maos Vater. Adolphi schreibt auch, dass Mao häufig Prügel bezog und seinen Vater sehr abweisend und feindselig beschrieb. (ebd., S. 26)
Auch zwischen Maos Eltern wird es oftmals erhebliche Konflikte gegeben haben. Seine Mutter war streng gläubige Buddhistin, während sein Vater sich zu den Skeptikern zählte. Mao stand zwischen den beiden, sympathisierte allerdings mehr mit den Ansichten seiner Mutter, die er sehr verehrte und nur positiv von ihr berichtete. (vgl. Spence, 2003, S. 20ff, auch Adolphi, 2009, S. 24ff ) In den verwendeten Quellen finden sich allerdings keinerlei Hinweise darauf, dass seine Mutter ihm in irgendeiner Weise helfend und schützend gegen den gewalttätigen Vater zur Seite stand. In der damaligen chinesischen Kultur war die bedingungslose Unterordnung unter den Vater auch etwas, was allgemein akzeptiert wurde, sicherlich auch von Maos Mutter. Was fühlt ein Kind gegenüber der Mutter, wenn es vor ihren Augen und mit ihrem Wissen vom Vater ständig schwer verprügelt wird, ohne dass eingegriffen wird? Vielleicht Verrat, Hass, Wut, Ohnmacht? Wie passt dies mit Maos späterer Verehrung seiner Mutter zusammen? Mao fand in seiner Mutter ganz offensichtlich keinen helfenden Zeugen, das kann hier festgehalten werden.
Bereits mit sechs Jahren musste Mao auf dem elterlichen Hof mitarbeiten, besuchte aber auch eine Schule, in der „auch der Lehrer reichlich Prügel austeilt“. (Adolphi, 2009, S. 27) Im Alter von dreizehn Jahren verließ Mao - wie die meisten Jungen in China – die Schule und musste fortan die volle Arbeit eines Erwachsenen am Hof seines Vaters tun. Mit vierzehn wurde er zwangsverheiratet, seine Braut war achtzehn. (vgl. Spence, 2003, S. 22) Seine Ehefrau starb allerdings nach ca. zwei oder drei Jahren des Zusammenlebens. Im Alter von ca. siebzehn Jahren besuchte Mao dann wieder eine neue Schule in Xiangxiang. Mao wurde dort allerdings wegen seiner ländlichen Kleidung und seiner ärmlichen Herkunft verachtet und als Außenseiter behandelt. (vgl. ebd., S. 26)
Als junger Mann entwickelte Mao „eine Bewunderung für starke Männer wie Napoleon oder auch den Legalisten Shan Yang, der strenge Gesetze und drakonische Strafen als Form der Regierung befürwortete.“ (vgl. Wemheuer, 2010, S. 23)
Neue Quellen:
Spence, J. 2003: Mao. Classen Verlag, München.
Adolphi, W. 2009: Mao. Eine Chronik. Verlag Neues Leben.
Wemheuer, F. 2010: Mao Zedong. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek.
Freitag, 19. November 2010
Steffi Graf, Monica Seles und delegierter Attentäter
Ist die Fantasieanalyse Blödsinn und unseriös?
Lloyd deMause hat am Beispiel des Attentats auf Ronald Reagan deutlich gemacht, wie psychisch Kranke "heimliche Aufträge" (verbreitet in den Medien) des Volkes aufnehmen und ausführen können.
Als Nachtrag zu meinem vorherigen Beitrag möchte ich ein nachvollziehbares Beispiel anbringen: Die Tennisspielerin Steffi Graf. Ab 1987 dominierte sie diesen Sport und errang einen Sieg nach den anderen. 1990 musste sie sich erstmals bei den German Open in Berlin der aufstrebenden Jugoslawin Monica Seles geschlagen geben. Es war Grafs erste Niederlage nach 66 Siegen in Folge. Ab 1991 dominierte dann Seles das Welttennis. Die Jahre zwischen 1989 und 1993 waren von der sportlichen Rivalität zwischen Steffi Graf und Monica Seles geprägt. Ich erinnere mich, dass damals in den deutschen Medien sehr schlecht (um es milde auszudrücken) mit Monica Seles umgegangen wurde. Die Angriffe betrafen dabei sehr häufig die Person Seles, die z.B. als zickig und unsympathisch dargestellt wurde. Diese junge, selbstbewusste Frau durfte „unsere Steffi“ (Die "Königin" des Tennis) doch nicht einfach vom Thron stoßen! Der fairen, sportlichen Rivalität der beiden Spielerinnen stand die unfaire, teils geradezu hasserfüllte Berichterstattung in den Medien gegenüber. Wenn Seles gegen Graf gewann, dann traf das auch „die Deutschen“, dann war das „unsere Niederlage“. (Würde man die damaligen Zeitungsberichte mal systematisch analysieren, würde sich sicher ein roter Faden der Berichterstattung ausmachen lassen.)
Diese Medienschlacht bereitete meiner Meinung nach den Boden für das Attentat auf Monica Seles vom 30. April 1993 in Hamburg durch einen psychisch gestörten Graf-Fan. (Das Tunier in Hamburg wurde danach übrigens ganz normal weitergeführt und Steffi Graf erreichte das Finale, das sie allerdings verlor.)
Hier zeigt sich im Rückblick, wie mediale Bilder und Fantasiewörter etwas in Gang bringen können. Das Volk hasste Seles. Sie war nicht zu besiegen. Sie musste weg. Psychopathen (die Delegierten) haben ein feines Gespür für solche „Aufträge“. Ohne die Medienschlacht um Seles, hätte der Attentäter wahrscheinlich einen anderen Weg gefunden, irgendwo etwas Destruktives zu unternehmen. So fand er allerdings sein Ziel in Seles.
Ich erinnere mich auch noch, dass sich in der Folge des Attentats ein schlechtes Gewissen in den Medien breit machte. Monica Seles wurde alles Beste gewünscht und keiner wagte mehr etwas in der Art über sie zu schreiben, wie dies vorher der Fall gewesen war. Allerdings bestritt Seles nach dem Attentat auch zwei Jahre lang keine professionellen Spiele und Steffi Graf übernahm erneut die Führungsposition der Weltrangliste.
Lloyd deMause hat am Beispiel des Attentats auf Ronald Reagan deutlich gemacht, wie psychisch Kranke "heimliche Aufträge" (verbreitet in den Medien) des Volkes aufnehmen und ausführen können.
Als Nachtrag zu meinem vorherigen Beitrag möchte ich ein nachvollziehbares Beispiel anbringen: Die Tennisspielerin Steffi Graf. Ab 1987 dominierte sie diesen Sport und errang einen Sieg nach den anderen. 1990 musste sie sich erstmals bei den German Open in Berlin der aufstrebenden Jugoslawin Monica Seles geschlagen geben. Es war Grafs erste Niederlage nach 66 Siegen in Folge. Ab 1991 dominierte dann Seles das Welttennis. Die Jahre zwischen 1989 und 1993 waren von der sportlichen Rivalität zwischen Steffi Graf und Monica Seles geprägt. Ich erinnere mich, dass damals in den deutschen Medien sehr schlecht (um es milde auszudrücken) mit Monica Seles umgegangen wurde. Die Angriffe betrafen dabei sehr häufig die Person Seles, die z.B. als zickig und unsympathisch dargestellt wurde. Diese junge, selbstbewusste Frau durfte „unsere Steffi“ (Die "Königin" des Tennis) doch nicht einfach vom Thron stoßen! Der fairen, sportlichen Rivalität der beiden Spielerinnen stand die unfaire, teils geradezu hasserfüllte Berichterstattung in den Medien gegenüber. Wenn Seles gegen Graf gewann, dann traf das auch „die Deutschen“, dann war das „unsere Niederlage“. (Würde man die damaligen Zeitungsberichte mal systematisch analysieren, würde sich sicher ein roter Faden der Berichterstattung ausmachen lassen.)
Diese Medienschlacht bereitete meiner Meinung nach den Boden für das Attentat auf Monica Seles vom 30. April 1993 in Hamburg durch einen psychisch gestörten Graf-Fan. (Das Tunier in Hamburg wurde danach übrigens ganz normal weitergeführt und Steffi Graf erreichte das Finale, das sie allerdings verlor.)
Hier zeigt sich im Rückblick, wie mediale Bilder und Fantasiewörter etwas in Gang bringen können. Das Volk hasste Seles. Sie war nicht zu besiegen. Sie musste weg. Psychopathen (die Delegierten) haben ein feines Gespür für solche „Aufträge“. Ohne die Medienschlacht um Seles, hätte der Attentäter wahrscheinlich einen anderen Weg gefunden, irgendwo etwas Destruktives zu unternehmen. So fand er allerdings sein Ziel in Seles.
Ich erinnere mich auch noch, dass sich in der Folge des Attentats ein schlechtes Gewissen in den Medien breit machte. Monica Seles wurde alles Beste gewünscht und keiner wagte mehr etwas in der Art über sie zu schreiben, wie dies vorher der Fall gewesen war. Allerdings bestritt Seles nach dem Attentat auch zwei Jahre lang keine professionellen Spiele und Steffi Graf übernahm erneut die Führungsposition der Weltrangliste.
Welche Gruppenfantasien hat derzeit Deutschland?
Als ich das erste mal „Das emotionale Leben der Nationen“ von Lloyd deMause las (seine Zusammenfassung psychohistorischer Forschung der letzten Jahrzehnte) war die Fantasieanalyse der Teil, den ich einfach erst mal merkwürdig fand. Psychoanalytiker arbeiten mit ihren PatientInnen ja routinemäßig mit der Deutung von Träumen, Bildern, Fantasien usw., um unbewusste Vorgänge deutlich zu machen. Dieses Verfahren ist anerkannt und verwundert heute keinen Menschen mehr.
Die PsychohistorikerInnen wenden im Prinzip in ganz ähnlicher Weise dieses Verfahren auf Nationen an. Stellvertretend für die vorherrschenden Gruppenfantasien werden Zeitungen, (politische) Comics, Zeitungstitel- und bilder, Reden von PolitikerInnen usw. analysiert. DeMause machte mir deutlich, dass dieses ungewöhnliche Verfahren recht brauchbare Erkenntnisse zu Tage führen kann. Das Verfahren hat für mich immer mehr an Merkwürdigkeit verloren. Es macht Sinn, auch wenn es im ersten Moment geradezu dazu verleitet, sich über die Psychohistorie lustig zu machen, die „sich ja mit Comics beschäftigt“. Wenn man sich darauf einlässt, wird einem allerdings der Ernst der Sache deutlich. DeMause versucht durch dieses Verfahren z.B. Kriege oder auch Anschläge auf Staatschefs vorherzusehen (ohne Anspruch auf Perfektion und Eindeutigkeit der Methode). In seinem Buch machte er z.B. deutlich, wie sich das Attentat vom 30. März 1981 auf Ronald Reagan vorher in Medienbildern andeutete.
Ich selbst habe meinen Blick auf Nachrichten und Bilder nach der Lektüre von deMause verändert. (Mit einer Redeanalyse von Angela Merkel hatte ich schon ganz gute erste Erfahrungen gesammelt) Ob das brauchbar ist, wird sich zeigen. Ich komme ehrlich gesagt da ich beruflichen und familiär sehr eingebunden bin nicht dazu, jeden Tag ausführlich in den Medien zu lesen. Mein Blickfeld ist also sehr beschränkt und lückenhaft.
Am Montag, den 01.11.2010 fiel mir bei SPIEGEL Online ein hohes Ausmaß von emotionalen Kraftwörtern (möglichen Fantasiewörtern) in den Titeln und kurzen Unterschriften auf der Eingangsseite auf. Ich machte mir also die Mühe und schrieb diese einfach mal zusammenfassend auf:
Tödliche Erdrisse, verschluckt, unheimlicher, Untergrund, Bomben, Terror, Blutbad, Kämpfe, Terror, Angriff, Herz, verzweifelt, Trauer, Alleinsein, Einsamkeit, Trauer, Generalabrechnung, Watsche, attackiert, Wutanfall, Autoritär, Verletzung, großer Gier, Himmel und Hölle, Kämpfer, Heiliger, Held, Zombiejagd, Prügelkönig, vermöbelt, Gegner, Zombies, Werwölfe, Tod, Helden, Geburt, attackiert, Anorexie, hungert, Essstörung, Frauen, erschießt, Riesen, abgekippt, Terror, Terror, Sticheln, schimpfen, schelten, Wutanfälle, Himmel und Hölle, Finanzkrise, Armut, schlimm, Drogen, Alkohol, Heroin, Leichen, Prostituierte, schützen, Baby, vertuscht, heulen, verdammt, gefährliche, Gruseln, Kriege, Revolution, Bordell, stirbt, schlägt, Bösen, Terror.
Danach beobachtete ich die Folgetage und fand ähnliche Kraftwörter. Insofern dachte ich, Sven, vergiss das, Tagesnachrichten sind nun mal voll von negativen Kraftwörtern. Mach Deinen Blog nicht scheinbar „unseriös“, wenn Du auf solche Beobachtungen hinweist… Am 05.11. schrieb ich dann einen Beitrag: „Nachdenkliches zu Deutschland“. Denn mir fielen z.B. auch sehr emotionale Fernsehfilme, die über Kindesmisshandlung gingen auf (übrigens auch in der Folgezeit, nach diesem Beitrag). Ich beobachtete in diesem Monat vor allem die Onlinenachrichten vom SPIEGEL, DER ZEIT und der FAZ.
Am 15.11. fielen mir drei Titelsätze besonders auf:
„Mein Gott, wir müssen alle, alle sterben!“ FAZ 1511.2010
„Frau Merkel spaltet die Gesellschaft“ ZEIT 15.11.
„Auf der Suche nach dem Feind“ ZEIT 15.11.2010
Angst zu sterben, Angst vor Spaltung, auf der Suche nach dem Feind. Alles ganz normale Tagesnachrichten? Ich dachte, ja, wahrscheinlich. Vielleicht übertreibe ich ja auch?
Am 17.11. folgten dann die Medienmeldungen für eine konkrete Terrorwarnung für Deutschland von Thomas de Maizière. Seit dem verschwanden die vielen Kraftwörter, wie ich sie oben dargestellt habe aus den Nachrichten. Natürlich fanden sich weiter Wörter wie „Terror“, „Bedrohung“ usw. Aber nicht dieses Wirrwarr an diversen Kraftausdrücken, wie ich es oben z.B. für den SPIEGEL beschrieben habe. Dieser Wegfall machte mich dann doch stutzig und deshalb schreibe ich jetzt doch etwas in Form diesen Beitrages dazu.
Deckelt ein konkreter möglicher Feind von außen also in der Tat angsterfüllte Fantasien, die mit destruktiven Kindheitserfahrungen zusammenhängen?
Ich will hier nicht sagen so und so ist es. Dafür bin ich zu sehr Laie und Neuling bzgl. der psychohistorischen Fantasieanalyse. Ich möchte hiermit also erst mal meinen aktuellen Stand der Dinge festhalten, so wie ich gerade die emotionalen Entwicklungen beobachte. Vielleicht kann ich das noch in einigen Wochen ausweiten. Für mich ist das ganze ein persönliches Experiment und ein Ausprobieren. Es kann alles Quatsch sein, es kann vielleicht auch etwas aussagen. Mal sehen, wie sich die Medienbilder weiter entwickeln.
Die PsychohistorikerInnen wenden im Prinzip in ganz ähnlicher Weise dieses Verfahren auf Nationen an. Stellvertretend für die vorherrschenden Gruppenfantasien werden Zeitungen, (politische) Comics, Zeitungstitel- und bilder, Reden von PolitikerInnen usw. analysiert. DeMause machte mir deutlich, dass dieses ungewöhnliche Verfahren recht brauchbare Erkenntnisse zu Tage führen kann. Das Verfahren hat für mich immer mehr an Merkwürdigkeit verloren. Es macht Sinn, auch wenn es im ersten Moment geradezu dazu verleitet, sich über die Psychohistorie lustig zu machen, die „sich ja mit Comics beschäftigt“. Wenn man sich darauf einlässt, wird einem allerdings der Ernst der Sache deutlich. DeMause versucht durch dieses Verfahren z.B. Kriege oder auch Anschläge auf Staatschefs vorherzusehen (ohne Anspruch auf Perfektion und Eindeutigkeit der Methode). In seinem Buch machte er z.B. deutlich, wie sich das Attentat vom 30. März 1981 auf Ronald Reagan vorher in Medienbildern andeutete.
Ich selbst habe meinen Blick auf Nachrichten und Bilder nach der Lektüre von deMause verändert. (Mit einer Redeanalyse von Angela Merkel hatte ich schon ganz gute erste Erfahrungen gesammelt) Ob das brauchbar ist, wird sich zeigen. Ich komme ehrlich gesagt da ich beruflichen und familiär sehr eingebunden bin nicht dazu, jeden Tag ausführlich in den Medien zu lesen. Mein Blickfeld ist also sehr beschränkt und lückenhaft.
Am Montag, den 01.11.2010 fiel mir bei SPIEGEL Online ein hohes Ausmaß von emotionalen Kraftwörtern (möglichen Fantasiewörtern) in den Titeln und kurzen Unterschriften auf der Eingangsseite auf. Ich machte mir also die Mühe und schrieb diese einfach mal zusammenfassend auf:
Tödliche Erdrisse, verschluckt, unheimlicher, Untergrund, Bomben, Terror, Blutbad, Kämpfe, Terror, Angriff, Herz, verzweifelt, Trauer, Alleinsein, Einsamkeit, Trauer, Generalabrechnung, Watsche, attackiert, Wutanfall, Autoritär, Verletzung, großer Gier, Himmel und Hölle, Kämpfer, Heiliger, Held, Zombiejagd, Prügelkönig, vermöbelt, Gegner, Zombies, Werwölfe, Tod, Helden, Geburt, attackiert, Anorexie, hungert, Essstörung, Frauen, erschießt, Riesen, abgekippt, Terror, Terror, Sticheln, schimpfen, schelten, Wutanfälle, Himmel und Hölle, Finanzkrise, Armut, schlimm, Drogen, Alkohol, Heroin, Leichen, Prostituierte, schützen, Baby, vertuscht, heulen, verdammt, gefährliche, Gruseln, Kriege, Revolution, Bordell, stirbt, schlägt, Bösen, Terror.
Danach beobachtete ich die Folgetage und fand ähnliche Kraftwörter. Insofern dachte ich, Sven, vergiss das, Tagesnachrichten sind nun mal voll von negativen Kraftwörtern. Mach Deinen Blog nicht scheinbar „unseriös“, wenn Du auf solche Beobachtungen hinweist… Am 05.11. schrieb ich dann einen Beitrag: „Nachdenkliches zu Deutschland“. Denn mir fielen z.B. auch sehr emotionale Fernsehfilme, die über Kindesmisshandlung gingen auf (übrigens auch in der Folgezeit, nach diesem Beitrag). Ich beobachtete in diesem Monat vor allem die Onlinenachrichten vom SPIEGEL, DER ZEIT und der FAZ.
Am 15.11. fielen mir drei Titelsätze besonders auf:
„Mein Gott, wir müssen alle, alle sterben!“ FAZ 1511.2010
„Frau Merkel spaltet die Gesellschaft“ ZEIT 15.11.
„Auf der Suche nach dem Feind“ ZEIT 15.11.2010
Angst zu sterben, Angst vor Spaltung, auf der Suche nach dem Feind. Alles ganz normale Tagesnachrichten? Ich dachte, ja, wahrscheinlich. Vielleicht übertreibe ich ja auch?
Am 17.11. folgten dann die Medienmeldungen für eine konkrete Terrorwarnung für Deutschland von Thomas de Maizière. Seit dem verschwanden die vielen Kraftwörter, wie ich sie oben dargestellt habe aus den Nachrichten. Natürlich fanden sich weiter Wörter wie „Terror“, „Bedrohung“ usw. Aber nicht dieses Wirrwarr an diversen Kraftausdrücken, wie ich es oben z.B. für den SPIEGEL beschrieben habe. Dieser Wegfall machte mich dann doch stutzig und deshalb schreibe ich jetzt doch etwas in Form diesen Beitrages dazu.
Deckelt ein konkreter möglicher Feind von außen also in der Tat angsterfüllte Fantasien, die mit destruktiven Kindheitserfahrungen zusammenhängen?
Ich will hier nicht sagen so und so ist es. Dafür bin ich zu sehr Laie und Neuling bzgl. der psychohistorischen Fantasieanalyse. Ich möchte hiermit also erst mal meinen aktuellen Stand der Dinge festhalten, so wie ich gerade die emotionalen Entwicklungen beobachte. Vielleicht kann ich das noch in einigen Wochen ausweiten. Für mich ist das ganze ein persönliches Experiment und ein Ausprobieren. Es kann alles Quatsch sein, es kann vielleicht auch etwas aussagen. Mal sehen, wie sich die Medienbilder weiter entwickeln.
Mittwoch, 10. November 2010
George W. Bush - Zur Psychoanalyse von Macht und Gewalt
Zufällig habe ich einen interessanten Text über George W. Bush gefunden. "Die Angst vor George W. Bush und die Angst von George W. Bush. Zur Psychoanalyse von Macht und Gewalt" von Thomas Auchter.
Für mich waren viele Details über die Kindheit von George W. Bush nichts neues. Allerdings gibt es online nur sehr wenig zu diesem Thema. Insofern verweise ich gerne für alle Interessierten auf den Text von Auchter.
Meinen Text über George W. habe ich an Hand obiger Quelle leicht um eine Passage zur Krankheit von Robin ergänzt. Neu war für mich, dass Babara Bush ihre Kinder für Monate verließ, um Robin in New York bei ihrer Krebstherapie zur Seite zu stehen.
Die veränderte Textstelle sieht jetzt so aus:
"Im Alter von sechs Jahren erlebte George W. ein weiteres Trauma, nämlich Krankheit und Tod seiner kleinen Schwester Robin. Im Jahr 1953 wurde Leukämie bei Robin festgestellt. Barbara Bush blieb daraufhin monatelang in New York, um Robin bei ihrer Krebstherapie zu unterstützen. George und das Baby Jeb wurden zunächst bei Nachbarn untergebracht, später wurde dann eine Haushälterin eingestellt und die Kinder kehrten zumindest ins vertraute eigene Haus zurück. (vgl. Auchter, 2007, S. 8ff) George musste sich verlassen gefühlt haben (Wir erinnern uns, der Vater war eh stets abwesend). Er wurde außerdem nicht über die Krankheit seiner Schwester aufgeklärt. Als die Schwester schließlich starb, fuhren die Eltern einen Tag später zu Babara Bushs Vater und spielten Golf. (ebd.) Eine Trauerfeier für Robin fand nicht statt."
Auchter fragt am Ende seines Textes: "Warum wählt jemand, so jemand? Das bleibt die psychodynamisch vordringliche Frage. Warum haben die Hälfte der Amerikaner, die an der Wahl teilnahmen, diesen George W. Bush wiedergewählt? Kann die Psychoanalyse hierfür irgendwelche Verständnis- und Erklärungsmuster anbieten?"
Ich denke, dass ich mit meinem letzten Beitrag "Kindheit in den USA" eine Antwort darauf gegeben habe.
Für mich waren viele Details über die Kindheit von George W. Bush nichts neues. Allerdings gibt es online nur sehr wenig zu diesem Thema. Insofern verweise ich gerne für alle Interessierten auf den Text von Auchter.
Meinen Text über George W. habe ich an Hand obiger Quelle leicht um eine Passage zur Krankheit von Robin ergänzt. Neu war für mich, dass Babara Bush ihre Kinder für Monate verließ, um Robin in New York bei ihrer Krebstherapie zur Seite zu stehen.
Die veränderte Textstelle sieht jetzt so aus:
"Im Alter von sechs Jahren erlebte George W. ein weiteres Trauma, nämlich Krankheit und Tod seiner kleinen Schwester Robin. Im Jahr 1953 wurde Leukämie bei Robin festgestellt. Barbara Bush blieb daraufhin monatelang in New York, um Robin bei ihrer Krebstherapie zu unterstützen. George und das Baby Jeb wurden zunächst bei Nachbarn untergebracht, später wurde dann eine Haushälterin eingestellt und die Kinder kehrten zumindest ins vertraute eigene Haus zurück. (vgl. Auchter, 2007, S. 8ff) George musste sich verlassen gefühlt haben (Wir erinnern uns, der Vater war eh stets abwesend). Er wurde außerdem nicht über die Krankheit seiner Schwester aufgeklärt. Als die Schwester schließlich starb, fuhren die Eltern einen Tag später zu Babara Bushs Vater und spielten Golf. (ebd.) Eine Trauerfeier für Robin fand nicht statt."
Auchter fragt am Ende seines Textes: "Warum wählt jemand, so jemand? Das bleibt die psychodynamisch vordringliche Frage. Warum haben die Hälfte der Amerikaner, die an der Wahl teilnahmen, diesen George W. Bush wiedergewählt? Kann die Psychoanalyse hierfür irgendwelche Verständnis- und Erklärungsmuster anbieten?"
Ich denke, dass ich mit meinem letzten Beitrag "Kindheit in den USA" eine Antwort darauf gegeben habe.
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