Bedingungslose Solidarität mit den USA hatte Tony Blair zu Beginn des Afghanistan Krieges gezeigt, indem er dorthin Truppen entsandte. Tony Blair ließ zusätzlich mit Beginn des folgenden Irakkrieges 46.000 britische Soldaten im Irak einmarschieren – das größte ausländische Truppenkontingent nach den US-Streitkräften. Ziemlich viele Truppen für einen reinen Bündnispartner, der keinen 11. September erlebt hatte und rationaler hätte agieren können. "Ich wollte Krieg, es war das Richtige", wird er später zitiert. (vgl. SPIEGEL-Online, 17.11.2007, "Ich wollte Krieg, es war das Richtige")
Blair gab auch zu, dass er die Ratschläge seiner Berater und Minister in den Wind schlug, weil er glaubte, dass die USA das Richtige täten. „Sein Glauben ging dabei so weit, dass er sogar ein Angebot von US-Präsident George W. Bush ausschlug, Großbritannien aus dem Krieg herauszuhalten. Der Labour-Politiker (…) gibt sogar unumwunden zu, seinen Einfluss als stärkster Partner der USA niemals genutzt zu haben, um eine diplomatische Lösung im Irak zu befördern. Er habe nie nach einem Ausweg gesucht (…).“ (ebd.)
Das "Monster" Hussein wurde für Blair zum Kriegsgrund, Blair würde "die gleichen Entscheidungen wieder treffen" und der Irak-Krieg "hat die Welt sicherer gemacht". schreibt derStandard.at
. Auch während der Kosovo Krise war ein militärisches Vorgehen für Blair der einzig erdenkliche und “richtige” Weg: “Just as I believe there was no alternative to military action, now it has started I am convinced there is no alternative to continuing until we succeed.” (THE BLAIR DOCTRINE, 22.04.1999)
Es macht für mich auf Grund dieser kriegerischen Abläufe durchaus Sinn, sich die Kindheit und Jugend von Tony Blair einmal genauer anzusehen. Tonys Vater, Leo Blair, hatte Kriegserfahrungen. Von 1942 bis 1947 diente er in der britischen Armee und brachte es bis zum Rang eines Majors. (vgl. Mischler, 2005, S. 18) Wie ihn diese Kriegsjahre prägten, wird in der Quelle nicht erwähnt. Zu vermuten ist, dass er, wie die meisten Soldaten des 2. Weltkrieges, traumatische Erfahrungen machte, über die er sich später ausschwieg. Später wurde Leo Blair dann zum „eingefleischten Konservativen“, der mit „Leib und Seele die Politik Margaret Thatchers verteidigte“. (ebd., S. 19) Über Tonys Mutter erfährt man nur wenig in den hier für diesen Text verwendeten Quellen. Die Biografen konzentrieren sich eher auf den beruflich erfolgreichen Vater. Fest steht, dass sie hauptsächlich für die Kinder da war und – so wird gesagt – auch Freude daran hatte. Leo Blair war dagegen häufig abwesend und ging seiner Karriere nach. (vgl. Sopel, 1996, S. 15) Gesellschaftlicher Aufstieg und Erfolg sind für den Vater von zentraler Bedeutung, insofern scheint er auch viel von seinen beiden Söhnen Bill und Tony erwartet zu haben und sorgte für eine entsprechende Schullaufbahn. Über die emotionale Beziehung zu seinen Söhnen erfährt man nichts in den Quellen. Als Tony zehn Jahre alt ist, erleidet der Vater einen Schlaganfall. Tony Blair bezeichnet diesen Tag später als den Tag, als seine Kindheit endete. (vgl. Collins, 2005, S. 17) „Mit der Geborgenheit und der finanziellen Sicherheit der Familie ist es vorbei“, schreibt Mischler (2005, S. 20) Es dauert drei Jahre, bis Leo Blair wieder sprechen kann. Ebenso ist er in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt. Der Vater ist arbeitsunfähig und frustriert. Wie Tonys Bruder Bill berichtet, entwickelt Blair in diesen Jahren ein starkes Pflichtgefühl. Er will seinen Eltern gefallen.
Zusätzlich erkrankte auch noch seine Schwester Sarah im Alter von acht Jahren an einer Form von Arthritis und verbrachte daraufhin zwei Jahre im Krankenhaus. (vgl. Collins, 2005, S. 17)
Wie die Familie emotional mit dieser Situation umging, erfährt man in keiner der Quellen. Viel Zeit und Aufmerksamkeit für Tony wird von Seiten der Mutter sicherlich nicht mehr da gewesen sein.
Schauen wir nun, was Tony Blair selbst über seine Eltern berichtet. In seinen Memoiren beschreibt er seine Mutter als sehr gegensätzlich zu seinem Vater, der eher ihm gleichen würde und den er als „motiviert, entschlossen, mit einem konzentrierten Ehrgeiz, der sich, wie ich fürchte, bei uns beiden leicht in Selbstsucht verwandelt.“ beschreibt (Blair, 2010, S. 9) „Mum dagegen war eine freundliche, liebenswerte, fast heilige Frau. Sie war schüchtern und in Gesellschaft ziemlich still.“ (ebd.) Als Tony Blair ca. 17 Jahre alt war, erfuhr er, dass seine Mutter an Schilddrüsenkrebs erkrankt war. Er war gerade 22 Jahre alt, da starb sie an dieser Krankheit. Mit Rückblick auf ihren Tod beschreibt Blair, dass seine Mutter immer für ihn dagewesen wäre und ihn geliebt hätte. Viel mehr erfährt man - nach allem was ich sehen konnte - nicht über seine Eltern in Blairs Memoiren. Vor allem die Beziehung zum Vater wird von ihm nicht beschrieben, sondern eher auf die Anerkennung dessen beruflicher Karriere beschränkt. Das deutet vielleicht schon auf die Art der Beziehung der beiden und die hohen Erwartungen des Vaters hin. Aufmerksam macht mich noch die Bemerkung, dass Blair seine Mutter als „fast heilige Frau“ bezeichnet. Das ist schon ungewöhnlich und etwas überhöht, wie ich finde. Mehr Anmerkungen möchte ich mir hier nicht weiter erlauben.
Im Alter von dreizehn Jahren wird Tony schließlich auf das renommierte Fettes College in Edinburgh geschickt (eine Privatschule), darauf besteht vor allem der Vater, seine Söhne sollen die bestmögliche Ausbildung bekommen. Tony findet dagegen Fettes schrecklich. In vielen Privatschulen ging es Mitte der 60er Jahre rau zu, Fettes war dabei rückständiger als die meisten anderen, wird berichtet. Für alles gibt es Regeln und von den Schülern wird strickte Disziplin erwartet. Die Schule gleicht in vielem einem Militärlager und hat auch ein Kadettenkorps, in dem Tony seine ersten beiden Jahre in Fettes Dienst tut. Und: „Schüler werden in Fettes geschlagen. (…) Blairs Klassenkamerad Nick Rydon beschreibt Fettes als Gefangenlager: Offen gesagt, zu unserer Zeit Ende der sechziger Jahre war es für einen Westler einfacher, ungehindert durch die Sowjetunion zu reisen, als für einen Fettes-Schüler ins Zentrum Edinburghs zu kommen.“ (Mischler, 2005, S. 20f)
Am schlimmsten für Tony war allerdings das „Fagging System“ der Schule. Die Schüler aus den unteren Klassen wurden ca. 4 Jahre älteren Schülern als „Fag“ (Burschen) zugeteilt und mussten sich für diese abrackern (vom Putzen, Wäsche zurechtlegen bis Toast machen etc.), alles tun, was diese sagen. Die Älteren hatten das Recht, Schlafsäle und Studienräume zu betreten und „Fag“, also Bursche zu rufen, der sich dann schleunigst in ihre Richtung zu begeben hatte. Ebenso duften sie ihre Diener nach Belieben durchprügeln. Tony Blair bekam mehrfach den Rohrstock eines Älteren zu spüren. (vgl. Sopel, 1996, S. 32) (Mich erinnert dieses System unweigerlich an die militärische Grundausbildung, wie sie in vielen Ländern praktiziert wird. Gehorsamseinübung, Unterwerfung und die potentielle Abspaltung von Gefühlen sind hier die Ziele, damit die Kadetten danach so wieder aufgebaut werden können, wie man sie haben möchte. Bis sie dann selbst an die Reihe kommen und andere quälen dürfen. Ob Tony später auch einen „Burschen“ zugeteilt bekam, an dem er sich auslassen konnte, wird in den Quellen allerdings nicht berichtet. Es ist in Anbetracht des damaligen Schulsystems wohl sehr wahrscheinlich, dass dem so war.)
Tony ist unglücklich und „sieht sich außer Stande, etwas gegen das Schreckensregime an der Privatschule zu unternehmen“. (vgl. Mischler, 2005, S. 22) Schließlich läuft er davon. Seine Lehrer fangen ihn allerdings wieder ein, schreibt Mischler. Collins (2005) berichtet ebenfalls von einem Fluchtversuch (vgl. S. 23). Tony will auf die Bahamas fliegen und wird in der Tat erst an Bord eines Flugzeuges am Newcastle Airport ohne Flugticket aufgegriffen. Ob dies der zweite oder derselbe Fluchtversuch ist, erschließt sich in den beiden Texten nicht. Collins schreibt jedenfalls, dass Tony höchstpersönlich von seinen Eltern zurück in die Schule gebracht wurde und eine Menge Ärger mit ihnen und der Schulleitung hatte.
Diese Information finde ich schon bemerkenswert. Tony Blairs Eltern scheinen hier wenig Rücksicht auf die verzweifelte Situation ihres Sohnes genommen zu haben. Er sollte zurück an die Schule, die Erwartungen waren hoch, aus ihm sollte etwas werden. Um jeden Preis, so scheint es. Viel erfährt man nicht in den Quellen über die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern. In dieser Situation zeigt sich allerdings eine ganz erhebliche Härte und Rücksichtslosigkeit gegenüber Tony. Tony verbrachte jedenfalls bis zu seinem ca. achtzehnten Lebensjahr seine Zeit in Fettes, insgesamt ca. fünf Jahre; er lernte fleißig und machte seinen Abschluss. Eine lange Zeit innerhalb eines „Schreckensregimes“. Das Fettes College erwähnt Blair in seinen Memoiren an fünf Stellen im Buch. Mit keinem Wort erwähnt er dabei die demütigenden und strengen Regeln und sein Unglück während dieser Zeit. (vgl. Blair, 2010, S. 43, 67, 460, 613, 632) Auch dies spricht für sich.
In den Quellen findet sich keine Info darüber, ob Tony Blair auch von seinen Eltern als Kind geschlagen wurde. Die Regierung Blair hatte Anfang 2006 ein totales Verbot von körperlicher Gewalt in der Kindererziehung abgelehnt. In einem Bericht der BBC-News wird erwähnt, dass Tony Blair seine eigenen Kinder geschlagen hat. („Prime Minister Tony Blair has admitted smacking his older children.”) (BBC-News, 22.01.2006: “Calls for smacking ban rejected“,) SPIEGEL-Online zitiert Blair aus dem BBC Interview: "(...) ich glaube, sehen Sie, diese Ohrfeigen... ich meine, Sie haben ganz Recht mit dem, was Sie gerade gesagt haben, ich glaube, jeder kennt den Unterschied zwischen dem Ohrfeigen eines Kindes und dem Missbrauch eines Kindes." Hier rechtfertigt und verharmlost er die Gewalt gegen seine Kinder, in dem er den Vergleich zum Kindesmissbrauch heranzieht.
Ich sehe diese Information als Indiz dafür, dass Tony auch von seinen eigenen Eltern Gewalt erfahren haben könnte. Denn sehr häufig sind schlagende Eltern als Kind selbst von ihren Eltern geschlagen worden. (Zusätzlich sagt dieses Erziehungsverhalten etwas zu Blairs Verhältnis zur Gewalt an sich aus.)
Alles in allem finden sich in Kindheit und Jugend von Tony Blair einige Ereignisse, die für ein Verschütten von Gefühlen und Empathie verantwortlich sein könnten. Blair löste jedenfalls Konflikte all zu oft mit Gewalt. Entsprechend war eine liebevolle, wirklich geborgene Kindheit und Jugend bei ihm nicht zu erwarten. Sehr erstaunt hat mich allerdings seine Antwort auf eine Frage eines Interview Partners im Jahr 1990. „Welchen Teil ihres Lebens würden sie mit in ein anderes Leben nehmen?“, wurde er gefragt. „Kindheit“, antwortete Tony Blair (vgl. Mischler, 2005, S. 18) In Anbetracht all der Probleme und destruktiven Erlebnisse, die ich oben beschrieben habe, ist dies eine erstaunliche Antwort. Hat der ehemalige Premier Minister Tony Blair seine Gefühle von damals verdrängt oder abgespalten? Wenn dem so war, würde dies einige von seinen politischen Entscheidungen rund um die Kriegsführung erklären. Übrigens: Auf der Rückseite seiner Memoiren ist Tony Blair von Hinten auf der linken Seite des Covers zu sehen, wie er am 02.05.1997 als frisch gebackener Premierminister vor der Tür der Downing Street Nr. 10 steht. Auf der rechten Seite spiegelt sich verschwommen seine Vorderansicht in der Tür wider. Vielleicht gibt kein Bild so gut die sehr wahrscheinliche psychische Spaltung von Tony Blair wider, wie dieses doppelte Abbild auf seinen eigenen Memoiren.
biografische Quellen:
Blair, T. 2010: Mein Weg. Bertelsmann Verlag, München.
Collins, T. M. 2005: Tony Blair (Biography) , Lerner Pub Group, Minneapolis USA.
Mischler, G. 2005: Tony Blair. Reformer – Premierminister – Glaubenskrieger. Parthas Verlag, Berlin.
Sopel, J. 1996: Tony Blair: der Herausforderer. Quell Verlag, Stuttgart.
Montag, 18. Oktober 2010
Freitag, 15. Oktober 2010
Gewalt gegen Kinder geht weiter zurück - Deutschland ist auf dem Weg
Ein gelegentlicher Besuch der Homepage des Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen lohnt sich immer. Dort fand ich jetzt die relativ aktuelle repräsentative Studie: „Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt“, die 2009 herausgegeben wurde.
Bezogen auf die Kindheit berichteten 42,1 % der Befragten über keinerlei gewalttätige, körperliche Übergriffe der Eltern. 42,7 % erlebten leichte körperliche Gewalt (eine runtergehauen, hart angepackt oder gestoßen und/oder mit einem Gegenstand geworfen). Insgesamt 15,3 % der Befragten geben an, vor ihrem zwölften Lebensjahr schwerer Gewalt (mit einem Gegenstand geschlagen, mit der Faust geschlagen/ getreten und/oder geprügelt, zusammengeschlagen) durch Elternteile ausgesetzt gewesen zu sein; von diesen können – laut Definition der Studie - 9 % als Opfer elterlicher Misshandlung in der Kindheit bezeichnet werden (S. 51ff)
Verglichen mit den etwas älteren Zahlen, die ich im Grundlagentext zur körperlichen Gewalt gegen Kinder in Deutschland zusammengestellt habe, sehen wir hier weiterhin einen deutlichen Fortschritt in der Kindererziehungspraxis. Bei Wetzels (1997) Befragung von Erwachsenen hatten nur 25,1 % keine Gewalt erlebt. Drei zitierte repräsentative Jugendstudien (jeweils 1992, 2002 und 2005) zeigten, dass ca. 30 % keine Gewalt erlebt hatten. Die obige aktuelle Studie zeigt nun, dass 42,1 % keine Gewalt erlebt haben. Damit ist Deutschland ganz weit vorne, wenn es um eine gewaltfreie Erziehung geht. Nur die Nordlicher (z.B. Schweden) dürften noch besser dastehen.
Die Studie zeigt auch: je mehr und je schwerere Formen elterlicher Gewalt in Kindheit und Jugend erlitten wurden, desto höher sind die Gewalttäterraten unter den Jugendlichen. (S. 80)
Umgekehrt betrachtet dürfen wir also von einem Rückgang von Kriminalität in Deutschland ausgehen, da immer weniger Kinder geschlagen werden. Wenn man die psychohistorische Analyse mit einbezieht, birgt dieser Fortschritt in der Kindererziehungspraxis allerdings auch erheblichen Zündstoff. Die Gesellschaft wird sich immer schneller und komplexer entwickeln und weiter individualisieren, da die Kindheiten immer freier und friedlicher werden. Diejenigen Bevölkerungsteile, die weiterhin massive und häufige Gewalt oder auch häufig „leichte Gewalt“ erfahren haben, kommen - im Schnitt - durch den allgemeinen psychischen und gesellschaftlichen Fortschritt nicht mehr mit und die alten Ängste aus der Kindheit drohen zu erwachen. Wachstumspanik“ entsteht und muss durch das Finden von Feinden und Opferritualen eingedämmt werden.
Interessant finde ich in diesem Zusammenhang z.B. folgende Info: „Nach dem Bericht "Entwicklung der Gewaltkriminalität junger Menschen mit einem Schwerpunkt auf städtischen Ballungsräumen" der Bund-Länder-AG für die Innenministerkonferenz ist zwischen 1997 und 2006 zwar die Gesamtkriminalität der Jugendlichen um 4,3 Prozent trotz eines leichten Bevölkerungsanstiegs zurückgegangen, die Gewaltkriminalität ist hingegen um 15,6 Prozent gestiegen. Dabei stieg vor allem die Zahl der gefährlichen und schweren Körperverletzungen an.“ (Heise-Bericht „Kriminalität geht zurück, Gewaltkriminalität von Jugendlichen steigt“)
Das nur als gedankliche Anregung.
Interessant finde ich auch, dass in Deutschland kontinuierlich die Anzahl von Selbstmorden abnimmt. siehe dazu hier: http://www.uke.de/extern/tzs/daten/Suizide1980_2005.html Da wohl gerade auch die häufigen und schweren Formen von Gewalt in der Kindheit kontinuierlich abnahmen, könnte man hier einen Zusammenhang herstellen.
Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Deutschland ist offensichtlich auf einem guten Weg, wenn auch dieser langsamer von statten geht, als es wünschenswert wäre. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in Deutschland noch 89 % aller Kinder geschlagen, über die Hälfte mit Ruten, Peitschen oder Stöcken. Entsprechend erlebten wir extreme politische Gewalt und zwei Weltkriege. Das wahre Wunder ist, wie sich in Deutschland Stück für Stück die gewaltfreie Erziehung ausbreiten konnte und letztlich dies zu einer sicheren Demokratie führte.
Kürzlich hatte ich etwas über Kambodscha und den Massenmörder Dutch geschrieben. Einen Bericht aus dem Jahr 2007 der Kinderhilfsorganisation Plan Deutschland hatte ich wie folgt zitiert: „Leider ist Gewalt gegen Kinder in Kambodscha alltäglich, (…) In vielen Städten oder Gemeinden wird die Hälfte der Jungen und ein Drittel der Mädchen von ihren Eltern täglich verprügelt. (…) Männer fühlen sich verpflichtet, für Ordnung in der Familie zu sorgen, und glauben, sie haben das Recht, ihre Frauen und Kinder zu verprügeln. Erschreckend viele Frauen teilen diesen Standpunkt.“ und hatte angemerkt: „Das ist ein erschreckend hohes Ausmass von alltäglicher Gewalt! Wir können gewiss davon ausgehen, dass die Kindererziehung in den 4oer und 50er Jahren in Kambodscha sogar noch um einiges schlimmer aussah.“
Wenn in Gesellschaften ein Übermaß an schwerer Gewalt gegen Kinder herrscht, droht ein Umkippen in Chaos, Mord und Krieg. Das ist die Lektion, die wir hier aus den Zahlen und aus der Geschichte lernen können. Wenn wir Fortschritte in der Kindererziehungspraxis gezielt fördern, gerade auch in den Konfliktregionen dieser Zeit, dann werden wir viel erreichen können. Dann werden wir sehen, wie sich diese Konfliktherde Stück für Stück abkühlen und zur Ruhe kommen werden. Das entsprechende Kapital dafür wäre da (leider wurde es vom Westen für unnütze Kriege verschwendet). Was fehlt ist das Bewusstsein und der Wille diese Zusammenhänge zu sehen und anzugehen. Dabei ist es nur eine Frage von Zeit, bis beides sich entwickeln wird. Ich denke, dass die Thesen dieses Blogs und der Psychohistorie in 10 oder 20 Jahren ein ganz anderes Gewicht haben werden, als dies heute der Fall ist. Insofern bin ich gespannt auf die Zukunft!
Bezogen auf die Kindheit berichteten 42,1 % der Befragten über keinerlei gewalttätige, körperliche Übergriffe der Eltern. 42,7 % erlebten leichte körperliche Gewalt (eine runtergehauen, hart angepackt oder gestoßen und/oder mit einem Gegenstand geworfen). Insgesamt 15,3 % der Befragten geben an, vor ihrem zwölften Lebensjahr schwerer Gewalt (mit einem Gegenstand geschlagen, mit der Faust geschlagen/ getreten und/oder geprügelt, zusammengeschlagen) durch Elternteile ausgesetzt gewesen zu sein; von diesen können – laut Definition der Studie - 9 % als Opfer elterlicher Misshandlung in der Kindheit bezeichnet werden (S. 51ff)
Verglichen mit den etwas älteren Zahlen, die ich im Grundlagentext zur körperlichen Gewalt gegen Kinder in Deutschland zusammengestellt habe, sehen wir hier weiterhin einen deutlichen Fortschritt in der Kindererziehungspraxis. Bei Wetzels (1997) Befragung von Erwachsenen hatten nur 25,1 % keine Gewalt erlebt. Drei zitierte repräsentative Jugendstudien (jeweils 1992, 2002 und 2005) zeigten, dass ca. 30 % keine Gewalt erlebt hatten. Die obige aktuelle Studie zeigt nun, dass 42,1 % keine Gewalt erlebt haben. Damit ist Deutschland ganz weit vorne, wenn es um eine gewaltfreie Erziehung geht. Nur die Nordlicher (z.B. Schweden) dürften noch besser dastehen.
Die Studie zeigt auch: je mehr und je schwerere Formen elterlicher Gewalt in Kindheit und Jugend erlitten wurden, desto höher sind die Gewalttäterraten unter den Jugendlichen. (S. 80)
Umgekehrt betrachtet dürfen wir also von einem Rückgang von Kriminalität in Deutschland ausgehen, da immer weniger Kinder geschlagen werden. Wenn man die psychohistorische Analyse mit einbezieht, birgt dieser Fortschritt in der Kindererziehungspraxis allerdings auch erheblichen Zündstoff. Die Gesellschaft wird sich immer schneller und komplexer entwickeln und weiter individualisieren, da die Kindheiten immer freier und friedlicher werden. Diejenigen Bevölkerungsteile, die weiterhin massive und häufige Gewalt oder auch häufig „leichte Gewalt“ erfahren haben, kommen - im Schnitt - durch den allgemeinen psychischen und gesellschaftlichen Fortschritt nicht mehr mit und die alten Ängste aus der Kindheit drohen zu erwachen. Wachstumspanik“ entsteht und muss durch das Finden von Feinden und Opferritualen eingedämmt werden.
Interessant finde ich in diesem Zusammenhang z.B. folgende Info: „Nach dem Bericht "Entwicklung der Gewaltkriminalität junger Menschen mit einem Schwerpunkt auf städtischen Ballungsräumen" der Bund-Länder-AG für die Innenministerkonferenz ist zwischen 1997 und 2006 zwar die Gesamtkriminalität der Jugendlichen um 4,3 Prozent trotz eines leichten Bevölkerungsanstiegs zurückgegangen, die Gewaltkriminalität ist hingegen um 15,6 Prozent gestiegen. Dabei stieg vor allem die Zahl der gefährlichen und schweren Körperverletzungen an.“ (Heise-Bericht „Kriminalität geht zurück, Gewaltkriminalität von Jugendlichen steigt“)
Das nur als gedankliche Anregung.
Interessant finde ich auch, dass in Deutschland kontinuierlich die Anzahl von Selbstmorden abnimmt. siehe dazu hier: http://www.uke.de/extern/tzs/daten/Suizide1980_2005.html Da wohl gerade auch die häufigen und schweren Formen von Gewalt in der Kindheit kontinuierlich abnahmen, könnte man hier einen Zusammenhang herstellen.
Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Deutschland ist offensichtlich auf einem guten Weg, wenn auch dieser langsamer von statten geht, als es wünschenswert wäre. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in Deutschland noch 89 % aller Kinder geschlagen, über die Hälfte mit Ruten, Peitschen oder Stöcken. Entsprechend erlebten wir extreme politische Gewalt und zwei Weltkriege. Das wahre Wunder ist, wie sich in Deutschland Stück für Stück die gewaltfreie Erziehung ausbreiten konnte und letztlich dies zu einer sicheren Demokratie führte.
Kürzlich hatte ich etwas über Kambodscha und den Massenmörder Dutch geschrieben. Einen Bericht aus dem Jahr 2007 der Kinderhilfsorganisation Plan Deutschland hatte ich wie folgt zitiert: „Leider ist Gewalt gegen Kinder in Kambodscha alltäglich, (…) In vielen Städten oder Gemeinden wird die Hälfte der Jungen und ein Drittel der Mädchen von ihren Eltern täglich verprügelt. (…) Männer fühlen sich verpflichtet, für Ordnung in der Familie zu sorgen, und glauben, sie haben das Recht, ihre Frauen und Kinder zu verprügeln. Erschreckend viele Frauen teilen diesen Standpunkt.“ und hatte angemerkt: „Das ist ein erschreckend hohes Ausmass von alltäglicher Gewalt! Wir können gewiss davon ausgehen, dass die Kindererziehung in den 4oer und 50er Jahren in Kambodscha sogar noch um einiges schlimmer aussah.“
Wenn in Gesellschaften ein Übermaß an schwerer Gewalt gegen Kinder herrscht, droht ein Umkippen in Chaos, Mord und Krieg. Das ist die Lektion, die wir hier aus den Zahlen und aus der Geschichte lernen können. Wenn wir Fortschritte in der Kindererziehungspraxis gezielt fördern, gerade auch in den Konfliktregionen dieser Zeit, dann werden wir viel erreichen können. Dann werden wir sehen, wie sich diese Konfliktherde Stück für Stück abkühlen und zur Ruhe kommen werden. Das entsprechende Kapital dafür wäre da (leider wurde es vom Westen für unnütze Kriege verschwendet). Was fehlt ist das Bewusstsein und der Wille diese Zusammenhänge zu sehen und anzugehen. Dabei ist es nur eine Frage von Zeit, bis beides sich entwickeln wird. Ich denke, dass die Thesen dieses Blogs und der Psychohistorie in 10 oder 20 Jahren ein ganz anderes Gewicht haben werden, als dies heute der Fall ist. Insofern bin ich gespannt auf die Zukunft!
Montag, 11. Oktober 2010
80 tote Iraker wurden nicht ermordet!
„Ein Soldat wird zum Mörder“ betitelt ein ZEIT Autor seinen aktuellen Artikel über den amerikanischen Unteroffizier John Hatley. Zu 40 Jahren Haftstrafe ist der Soldat verurteilt worden, weil er vier gefangene, wehrlose Iraker (mutmaßliche Schützen) hat erschießen lassen bzw. auch selbst mit schoss:
„Die Patrouille fährt mit den Gefangenen an einen abgelegenen Kanal, es ist bereits dunkel. Von 13 Soldaten steigen nur Hatley und die beiden anderen Unteroffiziere aus den Fahrzeugen. Sie zerren die Iraker heraus und lassen sie niederknien. Hatley schießt zwei der Männer mit seiner Dienstwaffe in den Hinterkopf. Die beiden anderen Unteroffiziere feuern auf die anderen. Weil einer nicht sofort tot ist, schießt Hatley ihm zweimal in die Brust. Er lässt die Leichen in den Kanal werfen.“
Hatley hat vor seiner Tat, so ist zu lesen, bereits über 80 Iraker „legitim“ getötet. Vielleicht hätte er dafür eine Auszeichnung bekommen, wäre da nicht dieser kleine „Zwischenfall“ gewesen. Menschen, die im zivilen Leben 10, 20 oder 30 Menschen umbringen, werden von uns als Soziopathen bezeichnet, als Wahnsinnige. Ein normaler Soldat kann 80 und mehr Menschen umbringen, danach wird er mit offenen Armen zu Hause willkommen geheißen: „Good Job!“ Ein US-Präsident kann als oberster Führer für den Tod von hundertausenden Menschen verantwortlich sein. Er wird seine Pension bekommen und niemand wird ihn von offizieller Seite aus als geisteskrank bezeichnen oder gar ins Gefängnis bringen.
„und 80 tote Iraker wurden nicht ermordet.“ hätte der Untertitel des Artikels lauten können. Wie auch die mehreren hundertausend anderen Iraker und Irakerinnen wohl nicht ermordet wurden… Man muss zu Recht fragen, wenn man dem Verlauf und der „Logik“ des Irakkrieges folgt, warum nun gerade John Hatley abgeurteilt wurde? Unzählige Menschen starben und sterben in diesem Land, Unschuldige und „Schuldige“. Unzählige US-SodatenInnen waren und sind für das Töten verantwortlich. Keiner wird dafür zur Verantwortung gezogen.
Mindestens 250.000 Irakis starben Anfang der 90er Jahre im zweiten Golfkrieg auf Grund der US-Bombardements. Rund 1,5 Millionen Iraker, darunter über 550 000 Kinder unter fünf Jahren, sind danach den Folgen der Wirtschaftssanktionen zum Opfer gefallen. Wer in den 90er Jahren Kind oder Jugendlicher war, wer seine Geschwister, seine Eltern, seine Tanten und Onkels, seine Nachbarn und Schulfreunde hat sterben sehen, der ist heute Erwachsen und in der Lage, eine Waffe in der Hand zu halten. Ich frage mich, wie konnte die US-Führung in Anbetracht dieser Vorgeschichte davon ausgehen, dass sie jemals als Befreier gefeiert werden würde? Sie wussten es besser. Sie wussten, dass der Irak ein großes Schlachtfeld werden würde. Sie wussten, dass sie sich mit ihrer Armee in ein Wespennest setzen würden. Und sie wussten, dass sie viele „gute Feinde“ finden und viele Irakis töten würden. Das große Opferritual war geplant und gewollt, wenn wohl auch nicht auf den Strategieplänen der US-Planer, so wohl eher im kollektiven Unbewussten der psychisch gespaltenen Akteure. Irakis mussten sterben, weil unzähligen US-Amerikanern als Kind erhebliche Gewalt durch ihre Eltern angetan wurde. Das ist kein Wahn, sondern das ist die Realität. Wahnsinnig ist, wenn jemand, der über 80 Menschen tötet, dafür weder bestraft, noch als emotional gestört angesehen werden kann.
„Die Patrouille fährt mit den Gefangenen an einen abgelegenen Kanal, es ist bereits dunkel. Von 13 Soldaten steigen nur Hatley und die beiden anderen Unteroffiziere aus den Fahrzeugen. Sie zerren die Iraker heraus und lassen sie niederknien. Hatley schießt zwei der Männer mit seiner Dienstwaffe in den Hinterkopf. Die beiden anderen Unteroffiziere feuern auf die anderen. Weil einer nicht sofort tot ist, schießt Hatley ihm zweimal in die Brust. Er lässt die Leichen in den Kanal werfen.“
Hatley hat vor seiner Tat, so ist zu lesen, bereits über 80 Iraker „legitim“ getötet. Vielleicht hätte er dafür eine Auszeichnung bekommen, wäre da nicht dieser kleine „Zwischenfall“ gewesen. Menschen, die im zivilen Leben 10, 20 oder 30 Menschen umbringen, werden von uns als Soziopathen bezeichnet, als Wahnsinnige. Ein normaler Soldat kann 80 und mehr Menschen umbringen, danach wird er mit offenen Armen zu Hause willkommen geheißen: „Good Job!“ Ein US-Präsident kann als oberster Führer für den Tod von hundertausenden Menschen verantwortlich sein. Er wird seine Pension bekommen und niemand wird ihn von offizieller Seite aus als geisteskrank bezeichnen oder gar ins Gefängnis bringen.
„und 80 tote Iraker wurden nicht ermordet.“ hätte der Untertitel des Artikels lauten können. Wie auch die mehreren hundertausend anderen Iraker und Irakerinnen wohl nicht ermordet wurden… Man muss zu Recht fragen, wenn man dem Verlauf und der „Logik“ des Irakkrieges folgt, warum nun gerade John Hatley abgeurteilt wurde? Unzählige Menschen starben und sterben in diesem Land, Unschuldige und „Schuldige“. Unzählige US-SodatenInnen waren und sind für das Töten verantwortlich. Keiner wird dafür zur Verantwortung gezogen.
Mindestens 250.000 Irakis starben Anfang der 90er Jahre im zweiten Golfkrieg auf Grund der US-Bombardements. Rund 1,5 Millionen Iraker, darunter über 550 000 Kinder unter fünf Jahren, sind danach den Folgen der Wirtschaftssanktionen zum Opfer gefallen. Wer in den 90er Jahren Kind oder Jugendlicher war, wer seine Geschwister, seine Eltern, seine Tanten und Onkels, seine Nachbarn und Schulfreunde hat sterben sehen, der ist heute Erwachsen und in der Lage, eine Waffe in der Hand zu halten. Ich frage mich, wie konnte die US-Führung in Anbetracht dieser Vorgeschichte davon ausgehen, dass sie jemals als Befreier gefeiert werden würde? Sie wussten es besser. Sie wussten, dass der Irak ein großes Schlachtfeld werden würde. Sie wussten, dass sie sich mit ihrer Armee in ein Wespennest setzen würden. Und sie wussten, dass sie viele „gute Feinde“ finden und viele Irakis töten würden. Das große Opferritual war geplant und gewollt, wenn wohl auch nicht auf den Strategieplänen der US-Planer, so wohl eher im kollektiven Unbewussten der psychisch gespaltenen Akteure. Irakis mussten sterben, weil unzähligen US-Amerikanern als Kind erhebliche Gewalt durch ihre Eltern angetan wurde. Das ist kein Wahn, sondern das ist die Realität. Wahnsinnig ist, wenn jemand, der über 80 Menschen tötet, dafür weder bestraft, noch als emotional gestört angesehen werden kann.
Samstag, 9. Oktober 2010
Kindheit von Stalin - eine erstaunliche Biographie
Kürzlich las ich etwas in einer weiteren Stalin Biographie: Kellmann, K. 2005: Stalin. Eine Biographie. Primus Verlag, Darmstadt.
Zu meinem Erstaunen lauteten die ersten Sätze dieser Biographie wie folgt:
„Nicht nur der Vater, auch die Mutter schlug ihn. Körperliche Misshandlungen, Jähzorn und Gewalt müssen zu den ersten Wahrnehmungen im Leben jenes Menschen gehört haben, der sich später Stalin nannte.“ (Kellmann, 2005, S. 9)
Ich habe so einige Biographien über Diktatoren und politische Führer in den Händen gehalten. Alle fingen mit großen Ausschweifungen über den Geburtsort, Herkunft, Geschwister, Großeltern, Schulausbildung usw. usf an. Erst im Laufe des Textes fand ich dann ggf. hier und da vereinzelte Hinweise zur familiären Gewalt. Dass ein Biograph gleich mit der Misshandlungsgeschichte eines Diktators beginnt, ist ganz und gar außergewöhnlich! Dadurch betont er ganz klar, wie wichtig er diese Erfahrungen offensichtlich für das Leben von Stalin empfindet. Aber, jetzt kommt mein zweites Erstaunen: Im weiteren Textverlauf zur Herkunft und Kindheit von Stalin kommt kein Wort mehr zu dieser Gewalt im Elternhaus dazu. Auch keine Anmerkungen oder Gedanken, wie diese Erfahrungen Stalin geprägt haben könnten. Da reiht sich der Biograph Kellmann dann wieder ein in die Reihe der Anderen. Ganz erstaunlich, wirklich. Einen solchen krassen Widerspruch habe ich bisher in keinem anderen Text gefunden. Zumindest werde ich Kellmann im Grundlagentext über Stalin aufnehmen, da diese Biographie eine weitere Quelle für Stalins gewaltvolle Kindheit darstellt.
Zu meinem Erstaunen lauteten die ersten Sätze dieser Biographie wie folgt:
„Nicht nur der Vater, auch die Mutter schlug ihn. Körperliche Misshandlungen, Jähzorn und Gewalt müssen zu den ersten Wahrnehmungen im Leben jenes Menschen gehört haben, der sich später Stalin nannte.“ (Kellmann, 2005, S. 9)
Ich habe so einige Biographien über Diktatoren und politische Führer in den Händen gehalten. Alle fingen mit großen Ausschweifungen über den Geburtsort, Herkunft, Geschwister, Großeltern, Schulausbildung usw. usf an. Erst im Laufe des Textes fand ich dann ggf. hier und da vereinzelte Hinweise zur familiären Gewalt. Dass ein Biograph gleich mit der Misshandlungsgeschichte eines Diktators beginnt, ist ganz und gar außergewöhnlich! Dadurch betont er ganz klar, wie wichtig er diese Erfahrungen offensichtlich für das Leben von Stalin empfindet. Aber, jetzt kommt mein zweites Erstaunen: Im weiteren Textverlauf zur Herkunft und Kindheit von Stalin kommt kein Wort mehr zu dieser Gewalt im Elternhaus dazu. Auch keine Anmerkungen oder Gedanken, wie diese Erfahrungen Stalin geprägt haben könnten. Da reiht sich der Biograph Kellmann dann wieder ein in die Reihe der Anderen. Ganz erstaunlich, wirklich. Einen solchen krassen Widerspruch habe ich bisher in keinem anderen Text gefunden. Zumindest werde ich Kellmann im Grundlagentext über Stalin aufnehmen, da diese Biographie eine weitere Quelle für Stalins gewaltvolle Kindheit darstellt.
Dienstag, 5. Oktober 2010
Terrorwarnungen. Vor wem müssen wir Angst haben?
Die USA warnen derzeit vor Reisen nach Europa. Es gäbe Hinweise auf geplante Terroranschläge.
Mein erster Gedanke dazu: Merkwürdig, dass diese Nachricht gerade jetzt kommt. Der Afghanistan Krieg zeigt sich immer mehr als eine Sackgasse in Richtung Eskalation und mehr Toter auf beiden Seiten. Die politische Führung steht unter Druck. Macht es da nicht „strategisch“ Sinn, mal wieder lautstark über das Schüren von Angst daran zu erinnern, dass unsere Freiheit in diesem fernen Land verteidigt würde und es um den Schutz vor Terroranschlägen ginge? Und dann wird gleich die Nachricht hinterhergeschossen, man habe in Nord-Waziristan per Mausklick äh Drohnenangriff mehrere deutsche Islamisten getötet und dadurch Anschlagsplanungen vereitelt.
Fest steht, dass es eine ständige, unkonkrete Gefahr von Anschlägen in Deutschland gibt. Genauso wie dies weiterhin natürlich auch für die USA und andere an derzeitigen Kriegen beteiligten westlichen Staaten gilt. Fest steht auch, dass diese aktuellen, durch westliche Länder verantworteten Kriege die Gefahr von Terroranschlägen wesentlich erhöht haben dürften. Fest steht ferner, dass der Westen bisher wirklich sehr viel Glück hatte! Insbesondere die USA haben sich ja als immenses Feindbild für alle möglichen Fanatiker aufgebaut. Trotzdem gab es seit 2001 keine islamistischen Anschläge (bis auf den Versuch am Times Square) mehr in den USA. Eigentlich fast ein Wunder. Müssen wir jetzt Angst haben? Und wenn vor wem?
Wenn man sich vor Augen führt, dass durch die Anschlagsserie vom 11. September ca. 3000 Menschen auf amerikanischem Boden starben, durch die kriegerische Reaktion der USA allerdings mehrere hunderttausend Menschen außerhalb der USA ihr Leben verloren, dann habe ich erlichgesagt mehr Angst vor eben dieser möglichen Reaktion auf zukünftige Terroranschläge.
Mein erster Gedanke dazu: Merkwürdig, dass diese Nachricht gerade jetzt kommt. Der Afghanistan Krieg zeigt sich immer mehr als eine Sackgasse in Richtung Eskalation und mehr Toter auf beiden Seiten. Die politische Führung steht unter Druck. Macht es da nicht „strategisch“ Sinn, mal wieder lautstark über das Schüren von Angst daran zu erinnern, dass unsere Freiheit in diesem fernen Land verteidigt würde und es um den Schutz vor Terroranschlägen ginge? Und dann wird gleich die Nachricht hinterhergeschossen, man habe in Nord-Waziristan per Mausklick äh Drohnenangriff mehrere deutsche Islamisten getötet und dadurch Anschlagsplanungen vereitelt.
Fest steht, dass es eine ständige, unkonkrete Gefahr von Anschlägen in Deutschland gibt. Genauso wie dies weiterhin natürlich auch für die USA und andere an derzeitigen Kriegen beteiligten westlichen Staaten gilt. Fest steht auch, dass diese aktuellen, durch westliche Länder verantworteten Kriege die Gefahr von Terroranschlägen wesentlich erhöht haben dürften. Fest steht ferner, dass der Westen bisher wirklich sehr viel Glück hatte! Insbesondere die USA haben sich ja als immenses Feindbild für alle möglichen Fanatiker aufgebaut. Trotzdem gab es seit 2001 keine islamistischen Anschläge (bis auf den Versuch am Times Square) mehr in den USA. Eigentlich fast ein Wunder. Müssen wir jetzt Angst haben? Und wenn vor wem?
Wenn man sich vor Augen führt, dass durch die Anschlagsserie vom 11. September ca. 3000 Menschen auf amerikanischem Boden starben, durch die kriegerische Reaktion der USA allerdings mehrere hunderttausend Menschen außerhalb der USA ihr Leben verloren, dann habe ich erlichgesagt mehr Angst vor eben dieser möglichen Reaktion auf zukünftige Terroranschläge.
Freitag, 1. Oktober 2010
2 Jahre kriegsursachen.blogspot.com - Zwischengedanken
Seit Oktober 2008 ist dieser Blog mittlerweile online. Mein Hauptanliegen war damals wie heute der Erhalt und die Verbreitung meines Grundlagentextes. Dort steht im Grunde alles, was für mich wichtig zu dem Thema ist. So richtig zur Ruhe bin ich allerdings nicht gekommen. Vor allem die Arbeiten von Lloyd deMause haben noch mehr Fragen aufgeworfen, die ich mir beantworten möchte. Mein Grundlagentext entstand ursprünglich, ohne dass ich deMause groß zur Kenntnis genommen hätte. Sein Buch „Das emotionale Leben der Nationen“ war für mich später noch mal in vielem ein Aha-Erlebnis. Und so werden wir alle sehen, wo mich die Reise hinführt. Ich habe noch einige große Themen als Ziel im Hinterkopf, auf die ich zugehe. Ich vermute aber auch, dass ich irgendwann an einen Punkt kommen werde, wo es nicht mehr groß weitergeht. Schließlich habe ich heute nicht mehr die Möglichkeiten und die Zeit, die ich früher noch als Student hatte. Ich kann mich nicht mehr auf etliche Bücher und Studien stürzen. Insofern sehe ich zukünftig diesen Blog eher als gedankliche Anregung für andere am Thema Interessierte und als Anregung zur weiteren Forschung.
Ein klares Ziel habe ich erreicht. Jeder, der sich per Googel mit Krieg und seinen Ursachen beschäftigen will, hat eine gute Chance, auf meinen Blog zu stoßen :-).
Aktuelle Googelabfrage nach folgenden Suchwörtern, auf die mein Blog angezeigt wird:
Kriegsursachen: Platz 5
Krieg Ursachen Afghanistan: Platz 3
Krieg Ursachen Irak: Platz 11 und 12
Kindheit Krieg: Platz 10
Kriegsursachenforschung: Platz 18
Kindheit George w. Bush: Platz 10
Momentan pendelt die tägliche Besucherzahl zwischen 35 und 50. Die häufigsten Suchanfragen kommen durch Abfragen zu den Ursachen des Afghanistankrieges. Viele Rückmeldungen bekomme ich nicht. Ich hoffe allerdings, dass ich mit diesem Blog einiges bewegen kann und die Menschen auch mal in diese Ecke der Kriegsursachenforschung schauen.
Ein klares Ziel habe ich erreicht. Jeder, der sich per Googel mit Krieg und seinen Ursachen beschäftigen will, hat eine gute Chance, auf meinen Blog zu stoßen :-).
Aktuelle Googelabfrage nach folgenden Suchwörtern, auf die mein Blog angezeigt wird:
Kriegsursachen: Platz 5
Krieg Ursachen Afghanistan: Platz 3
Krieg Ursachen Irak: Platz 11 und 12
Kindheit Krieg: Platz 10
Kriegsursachenforschung: Platz 18
Kindheit George w. Bush: Platz 10
Momentan pendelt die tägliche Besucherzahl zwischen 35 und 50. Die häufigsten Suchanfragen kommen durch Abfragen zu den Ursachen des Afghanistankrieges. Viele Rückmeldungen bekomme ich nicht. Ich hoffe allerdings, dass ich mit diesem Blog einiges bewegen kann und die Menschen auch mal in diese Ecke der Kriegsursachenforschung schauen.
gewaltvolle Kindheiten in den USA - Beispiel "Paddeln" von SchülerInnen
In Anbetracht unzähliger aktueller und auch vergangener Kriege (sowohl direkter, als auch stellvertretend geführter), in denen die USA verwickelt war, möchte ich jetzt im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten einen kurzen Blick auf die Kinderziehungspraxis in diesem Land werfen. Es ist eine schwierige Angelegenheit, etwas in dieser Hinsicht über dieses Land zu schreiben, das so unendlich groß und vielschichtig und das darüberhinaus ein Einwanderungsland ist. Dem Thema gerecht werden kann ich hier nur bedingt.
Kürzlich stieß ich allerdings auf zwei Artikel auf SPIEGEL-Online, die mich wirklich erschreckt haben. Mir war bereits bekannt, dass in den USA die Prügelstrafe an Schulen in vielen Bundesstaaten nicht verboten ist. Ich hatte in dieser Hinsicht allerdings bisher nicht weiter recherchiert. Ich muss gestehen, dass ich davon ausgegangen bin, dass dieses „fehlende Verbot“ in dieser westlichen Demokratie heute kaum oder keine Konsequenzen für die amerikanischen SchülerInnen haben würde. Gerade die US-AmerikanerInnen sind ja bekanntlich auch recht klagefreudig und verteidigen ihre Rechte vor Gericht um alles Erdenkliche (manchmal auch Übertriebene und Absurde). Ich wurde eines besseren belehrt…
In fast der Hälfte der US-Staaten dürfen LehrerInnen ihre SchülerInnen schlagen. Und sie tun es auch, am liebsten mit Holzpaddeln aufs Gesäß. Eine Studie verzeichnet 200.000 Fälle jährlich, meist in den Südstaaten, berichtet SPIEGEL-Online in einem Artikel aus dem Jahr 2008. Die geschlagenen Schüler waren zwischen 3 und 19 Jahren alt. Schwarze Mädchen traf es doppelt so häufig wie weiße Mädchen. Jungs werden dreimal so häufig geschlagen wie Mädchen; bei Kindern indianischer Herkunft langten LehrerInnen ebenfalls besonders häufig zu. Begründungen für die Körperstrafe sind z.B. heimliches Rauchen, sich geküsst haben, während des Unterrichts unerlaubt im Gang herum stehen, Kaugummi gekaut oder den Unterricht gestört haben. Führend im Schlagen ist der Staat Mississippi. Dort werden etwa 7.5 % der SchülerInnen von ihren LehrerInnen geschlagen! Aber auch Texas hat einen führenden Negativplatz mit ca. 50.000 Fällen pro Jahr.
In einem anderen SPIEGEL Artikel wird das "Paddeln" beschrieben: „Das gefürchtete Instrument ist rund einen Meter lang, aus Holz und ähnelt einem Paddel. Mit Wucht auf den Hintern geschlagen, hinterlässt es Striemen oder sogar Blutergüsse. Zur Züchtigung müssen sich Schüler nach vorne beugen - eine ebenso schmerzhafte wie erniedrigende Prozedur.“ Und DER SPIEGEL zitiert Zahlen aus dem Jahr 2000. In Mississippi wurden damals noch 9,8 % der SchülerInnen geschlagen. Auf den weiteren Plätzen folgen Arkansas mit 9,1 %, Alabama mit 5,4 % und Tennessee mit 4,2 %. Hier zeigt sich am Beispiel von Mississippi, dass die Rate ansteigt, wenn man weiter zurückschaut.
Dass die Gewalt im historischen Rückblick ansteigt, zeigt auch ein weiterer Bericht: 1980 wurden nach Angaben des US-Bildungsministeriums landesweit 1.415.540 Schüler geprügelt. 1990 waren es noch 613.514 und im Jahr 2000 342.038. (vgl. Stern.de, 13.08.2004: "Prügelstrafe für US-Schüler")
Es ist unglaublich, was in den USA heute noch an offener institutioneller Gewalt stattfindet. Dies an einem Ort, an dem die neue Generation sozialisiert und auf das Leben vorbereitet werden soll. Die Lektion ist Gewalt. Auch die nicht-geschlagenen Schülerinnen werden diese Lektion verinnerlichen. Indem sie z.B. ein besonders angepasstes Verhalten an den Tag legen, um nicht Ziel des „Paddelns“ zu werden. Und natürlich lernen sie, dass Gewalt ein toleriertes Mittel der Konfliktlösung ist. Auf einem Bild im SPIEGEL Artikel ist auch ein Lehrer zu sehen, der einen Schüler vor der Klasse „paddelt“. Im Hintergrund lachen einige Schüler darüber. Hier ist die Lektion: „Der Schmerz des Anderen macht mich glücklich, denn nicht ich, sondern er ist das Opfer.“ Dazu kommt, dass auch die Zeugen von Misshandlungen mittelbar Opfer werden. Das zeigt die Forschung über häusliche Gewalt. Es hinterlässt tiefe Spuren bei Kindern, wenn Andere vor den eigenen Augen gequält und in ihrer Würde verletzt werden. Im o.g. Stern-Bericht wird ein ehemaliger Schüler, der verprügelt wurde, zitiert: "Das Schlimmste ist nicht der Schmerz, sondern die Erniedrigung. Es ist ganz einfach ein unmenschlicher Akt."
Für mich sind diese Berichte Motivation genug, die Gewalt gegen Kinder in den USA weiter zu beleuchten. Ich werde zukünftig Stück für Stück die Infos über dieses Land zusammentragen, die ich finden kann. Anfangen möchte ich mit folgender Info:
Die internationale UNICEF-Vergleichsstudie „Child Maltreatment Deaths in Rich Nations“ (2003) zeigt, dass in den USA im Vergleich zu den meisten anderen Industrienationen mehr Kinder auf Grund von Misshandlungen/Vernachlässigung sterben. Insgesamt wurden 26 Nationen ausgewertet. Die USA kommen in einer bereinigten Tabelle auf Platz 23 mit 2,4 Todesfällen auf 100.000 Kinder. In Deutschland sind es zum Vergleich 0,8 Todesfälle. In Norwegen, Irland, Italien, Griechenland und Spanien liegen die Raten sogar alle unter 0,3. „Hängt das Risiko von Misshandlungen mit dem allgemeinen Ausmaß von Gewalt in der Gesellschaft zusammen?“ wird in einer Zusammenfassung der o.g. Studie in deutscher Sprache gefragt. „Diese Frage beantwortet die Studie mit ja. So haben die Länder, mit den wenigsten Todesfällen bei Kindern aufgrund von Misshandlungen und Vernachlässigung auch die wenigsten Mordfälle unter Erwachsenen. Umgekehrt weisen die drei Länder mit den meisten Kindestötungen – USA, Mexiko und Portugal – auch die höchsten Mordraten an Erwachsenen auf.“
Ich kann mir hier natürlich nicht verkneifen, die obige Frage auch umzudrehen: Hängt das Risiko von Gewalt in der Gesellschaft (wie z.B. hohe Mordraten und häufige Kriege) mit dem allgemeinen Ausmaß von Kindesmisshandlungen zusammen? Die Frage würde ich natürlich mit Ja beantworten.
Siehe ergänzend auch: UNICEF Bericht zum Wohlergehen der Kinder in Industrieländern Hier landeten die USA auf den vorletzten Platz im Ranking!
Kürzlich stieß ich allerdings auf zwei Artikel auf SPIEGEL-Online, die mich wirklich erschreckt haben. Mir war bereits bekannt, dass in den USA die Prügelstrafe an Schulen in vielen Bundesstaaten nicht verboten ist. Ich hatte in dieser Hinsicht allerdings bisher nicht weiter recherchiert. Ich muss gestehen, dass ich davon ausgegangen bin, dass dieses „fehlende Verbot“ in dieser westlichen Demokratie heute kaum oder keine Konsequenzen für die amerikanischen SchülerInnen haben würde. Gerade die US-AmerikanerInnen sind ja bekanntlich auch recht klagefreudig und verteidigen ihre Rechte vor Gericht um alles Erdenkliche (manchmal auch Übertriebene und Absurde). Ich wurde eines besseren belehrt…
In fast der Hälfte der US-Staaten dürfen LehrerInnen ihre SchülerInnen schlagen. Und sie tun es auch, am liebsten mit Holzpaddeln aufs Gesäß. Eine Studie verzeichnet 200.000 Fälle jährlich, meist in den Südstaaten, berichtet SPIEGEL-Online in einem Artikel aus dem Jahr 2008. Die geschlagenen Schüler waren zwischen 3 und 19 Jahren alt. Schwarze Mädchen traf es doppelt so häufig wie weiße Mädchen. Jungs werden dreimal so häufig geschlagen wie Mädchen; bei Kindern indianischer Herkunft langten LehrerInnen ebenfalls besonders häufig zu. Begründungen für die Körperstrafe sind z.B. heimliches Rauchen, sich geküsst haben, während des Unterrichts unerlaubt im Gang herum stehen, Kaugummi gekaut oder den Unterricht gestört haben. Führend im Schlagen ist der Staat Mississippi. Dort werden etwa 7.5 % der SchülerInnen von ihren LehrerInnen geschlagen! Aber auch Texas hat einen führenden Negativplatz mit ca. 50.000 Fällen pro Jahr.
In einem anderen SPIEGEL Artikel wird das "Paddeln" beschrieben: „Das gefürchtete Instrument ist rund einen Meter lang, aus Holz und ähnelt einem Paddel. Mit Wucht auf den Hintern geschlagen, hinterlässt es Striemen oder sogar Blutergüsse. Zur Züchtigung müssen sich Schüler nach vorne beugen - eine ebenso schmerzhafte wie erniedrigende Prozedur.“ Und DER SPIEGEL zitiert Zahlen aus dem Jahr 2000. In Mississippi wurden damals noch 9,8 % der SchülerInnen geschlagen. Auf den weiteren Plätzen folgen Arkansas mit 9,1 %, Alabama mit 5,4 % und Tennessee mit 4,2 %. Hier zeigt sich am Beispiel von Mississippi, dass die Rate ansteigt, wenn man weiter zurückschaut.
Dass die Gewalt im historischen Rückblick ansteigt, zeigt auch ein weiterer Bericht: 1980 wurden nach Angaben des US-Bildungsministeriums landesweit 1.415.540 Schüler geprügelt. 1990 waren es noch 613.514 und im Jahr 2000 342.038. (vgl. Stern.de, 13.08.2004: "Prügelstrafe für US-Schüler")
Es ist unglaublich, was in den USA heute noch an offener institutioneller Gewalt stattfindet. Dies an einem Ort, an dem die neue Generation sozialisiert und auf das Leben vorbereitet werden soll. Die Lektion ist Gewalt. Auch die nicht-geschlagenen Schülerinnen werden diese Lektion verinnerlichen. Indem sie z.B. ein besonders angepasstes Verhalten an den Tag legen, um nicht Ziel des „Paddelns“ zu werden. Und natürlich lernen sie, dass Gewalt ein toleriertes Mittel der Konfliktlösung ist. Auf einem Bild im SPIEGEL Artikel ist auch ein Lehrer zu sehen, der einen Schüler vor der Klasse „paddelt“. Im Hintergrund lachen einige Schüler darüber. Hier ist die Lektion: „Der Schmerz des Anderen macht mich glücklich, denn nicht ich, sondern er ist das Opfer.“ Dazu kommt, dass auch die Zeugen von Misshandlungen mittelbar Opfer werden. Das zeigt die Forschung über häusliche Gewalt. Es hinterlässt tiefe Spuren bei Kindern, wenn Andere vor den eigenen Augen gequält und in ihrer Würde verletzt werden. Im o.g. Stern-Bericht wird ein ehemaliger Schüler, der verprügelt wurde, zitiert: "Das Schlimmste ist nicht der Schmerz, sondern die Erniedrigung. Es ist ganz einfach ein unmenschlicher Akt."
Für mich sind diese Berichte Motivation genug, die Gewalt gegen Kinder in den USA weiter zu beleuchten. Ich werde zukünftig Stück für Stück die Infos über dieses Land zusammentragen, die ich finden kann. Anfangen möchte ich mit folgender Info:
Die internationale UNICEF-Vergleichsstudie „Child Maltreatment Deaths in Rich Nations“ (2003) zeigt, dass in den USA im Vergleich zu den meisten anderen Industrienationen mehr Kinder auf Grund von Misshandlungen/Vernachlässigung sterben. Insgesamt wurden 26 Nationen ausgewertet. Die USA kommen in einer bereinigten Tabelle auf Platz 23 mit 2,4 Todesfällen auf 100.000 Kinder. In Deutschland sind es zum Vergleich 0,8 Todesfälle. In Norwegen, Irland, Italien, Griechenland und Spanien liegen die Raten sogar alle unter 0,3. „Hängt das Risiko von Misshandlungen mit dem allgemeinen Ausmaß von Gewalt in der Gesellschaft zusammen?“ wird in einer Zusammenfassung der o.g. Studie in deutscher Sprache gefragt. „Diese Frage beantwortet die Studie mit ja. So haben die Länder, mit den wenigsten Todesfällen bei Kindern aufgrund von Misshandlungen und Vernachlässigung auch die wenigsten Mordfälle unter Erwachsenen. Umgekehrt weisen die drei Länder mit den meisten Kindestötungen – USA, Mexiko und Portugal – auch die höchsten Mordraten an Erwachsenen auf.“
Ich kann mir hier natürlich nicht verkneifen, die obige Frage auch umzudrehen: Hängt das Risiko von Gewalt in der Gesellschaft (wie z.B. hohe Mordraten und häufige Kriege) mit dem allgemeinen Ausmaß von Kindesmisshandlungen zusammen? Die Frage würde ich natürlich mit Ja beantworten.
Siehe ergänzend auch: UNICEF Bericht zum Wohlergehen der Kinder in Industrieländern Hier landeten die USA auf den vorletzten Platz im Ranking!
Freitag, 24. September 2010
Astrid Lindgren. Verlinkung ihrer Dankesrede "Niemals Gewalt!"
Astrid Lindgrens Dankesrede „Niemals Gewalt!“ bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Jahr 1978 habe ich ab sofort in die Linkliste aufgenommen (das hätte ich schon viel früher machen sollen). Ein Jahr bevor die bedeutenden Bücher von der Kindheitsforscherin Alice Miller „Das Drama des begabten Kindes“ (1979) und zwei Jahre bevor „Am Anfang war Erziehung“ (1980) herauskamen, nannte die Kinderbuchautorin Lindgren all die Dinge beim Namen, mit denen sich später Miller und andere intensiv und forschend befassten. Ihre Rede ist heute noch so aktuell wie 1978 und ein großer Wink in eine mögliche, friedlichere Zukunft durch eine friedlichere, liebevolle Erziehung. Man muss kein Psychoanalytiker oder Psychohistoriker sein, um die tieferen Ursachen von Gewalt und Krieg klar und deutlich erkennen zu können. Es genügt manchmal auch, eine einfühlsame Kinderbuchautorin zu sein, die sich mit Kindern auskennt und die ohne Angst auf ihre eigene Kindheit zurückblicken kann.
Lindgrens Rede bewegt mich immer wieder, wenn ich sie lese. Ich würde mir wünschen, dass ihre Rede weiterhin oft und von vielen Menschen gelesen wird.
Siehe ergänzend auch:
Kindheit von Astrid Lindgren
Astrid Lindgrens Position: Niemals Gewalt!
Lindgrens Rede bewegt mich immer wieder, wenn ich sie lese. Ich würde mir wünschen, dass ihre Rede weiterhin oft und von vielen Menschen gelesen wird.
Siehe ergänzend auch:
Kindheit von Astrid Lindgren
Astrid Lindgrens Position: Niemals Gewalt!
Donnerstag, 23. September 2010
Kambodscha. Als Massenmörder wird man nicht geboren
Im aktuellen Amnesty Journal (10/11 2010) wird über den Massenmörder Kaing Guek Eav alias "Duch" berichtet. "Duch" führte während der Gewaltherrschaft der Roten Khmer in Kambodscha das Gefangenenlager S 21, wo über 15 000 Menschen brutal ermordet wurden. Er ist bereits zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die Psychologin Françoise Sironi erstellte ein psychologisches Gutachten über diesen Verbrecher und gab dem Amnesty Journal unter dem viel vielversprechenden Titel „Im Kopf eines Massenmörders“ (online zu sehen auf der österreichischen AI Homepage) ein Interview. Vielversprechend deshalb, weil ich mich schon länger frage, warum eine Organisation wie Amnesty International nicht auch über tiefere, psychologische Ursachen von Terror, Folter und Krieg im Zusammenhang mit Kindheitserfahrungen etwas veröffentlicht. Ist es doch in ihrem Interesse, den Menschenrechtsverletzungen entgegenzutreten. Leider wurde ich enttäuscht, was den Inhalt des Interviews angeht.
„Wie ist es zu erklären, dass ein einfacher Familienvater solche Bluttaten beging?“, fragt das Amnesty Journal.
Antwort der Psychologin: „Wie bei den anderen Verbrechern gegen die Menschlichkeit befinden wir uns nicht in einer normalen Dimension der Pathologie. Wir müssen über die normale, individuelle Psychologie hinausgehen, um zu verstehen, welche Ereignisse des kollektiven Lebens diese Leute geprägt haben. Bei Duch waren mehrere solche Ereignisse ausschlaggebend. Er hat eine ganze Reihe von Akkulturationsphasen durchlaufen, die oft mit erniedrigenden Erfahrungen verbunden waren. Während seiner Jugend fühlte er sich wegen seiner chinesischen Herkunft abgewertet, danach prägte ihn die Konfrontation mit der französischen Kultur und schliesslich der Kommunismus. Als Zweites berücksichtigten wir seine Laufbahn im politischen Apparat der Khmer. Denn man kommt nicht als Pei¬niger zur Welt, man wird zu einem solchen gemacht.“
Was sagt uns diese Antwort? Im Grunde nichts halbes und nichts ganzes. Was meint sie mit „erniedrigenden Erfahrungen“? Im nächsten Satz wird ausgeführt, dass er sich auf Grund seiner chinesischen Herkunft abgewertet fühlte. Wird man deshalb gleich zum Massenmörder? Ach ja, da kommt noch die Überforderung mit der französischen Kultur, sein Weg in den Kommunismus und sein „beruflicher“ Aufstieg. Ich denke, wir müssen uns Kaing Guek Eav und seine Taten an dieser Stelle noch mal etwas genauer anschauen.
"Wir sahen überall Feinde, Feinde, Feinde", wird er vom SPIEGEL zitiert. Wie viele Menschen alleine in seinem Lager ermordet wurden, habe ich oben bereits erwähnt. „Und es kam so weit, dass er sich als Gott des Bösen sah“ , sagte Youk Chhang, der Direktor des Documentation Center of Cambodia, über „Dutch“. „In Choeung Ek, den Killing Fields nahe Phnom Penh, in denen Henker aus S-21 die Gefangenen zu Tausenden mit der Hacke erschlugen, pflegte Duch im schwarzen Pyjama am Rand zu sitzen und die Massenhinrichtungen zu beobachten.“ (der Freitag, „Gott des Bösen“)
In einem Memo fragte ein Wärter an, was mit sechs Jungen und vier Mädchen geschehen solle, die als Verräter verdächtigt wurden. „Töten bis zum letzten Mann“, vermerkte der Gefängnischef auf dem Blatt. (vgl. focus, „35 Jahre Haft für Folterchef“)
Kleinkinder wurden in dem Lager mit dem Kopf voran gegen einen Baum (genannt „Todesbaum“) geschleudert, die Erwachsenen mit Eisenstangen totgeschlagen; Duch wollte Kugeln sparen, berichtet der SPIEGEL unter dem Titel „HOLOCAUST ALS KARRIERE“. Die Unfähigkeit zur Mitmenschlichkeit, das Fehlen jeder Empathie und der Bruch jeder moralischen Norm wird ihm laut dem Bericht attestiert. Der SPIEGEL vergleicht außerdem "Duch" und Eichmann und fragt: „Was lässt einen Menschen so verrohen wie diesen Duch, der in seinem Tagebuch sieben Zeilen Bedauern über den ungewollten Tod einiger Hühner zu Papier bringt, aber das durch Folter forcierte Ende von 14 Gefangenen nur mit zwei Zeilen würdigt? Was hat einen Eichmann so unempfindlich gegenüber dem Leid seiner Mitmenschen gemacht? Gängige Erklärungsmuster greifen bei den beiden nicht. Sie wuchsen weder verwahrlost auf, noch hat sie die Gesellschaft in Jugendjahren mit Ungerechtigkeiten gebrandmarkt, die ihre Moralvorstellungen zusammenbrechen lassen mussten. Eichmann erhielt eine christliche Erziehung in einer Mittelklasseumgebung, Duch wurden von seinen einfachen, aber rechtschaffenen Eltern buddhistische Ideale wie Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe eingeimpft.“
Für mich sind diese Ausführungen des SPIEGEL absolut unverständlich. Glaubt jemand ernsthaft, dass ein Kind, das liebevoll erzogen und dem zusätzlich „buddhistische Ideale wie Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe eingeimpft“ wurden, später zu einem Menschen a la „Dutch“ werden kann? Immer wieder tauchen solche Gedankengänge auf, bei uns zu letzt auch über den Amokläufer Tim K. Für mich ist das so, als ob jemand behauptet, wenn ich einen Stein fallen lasse, würde die Schwerkraft außer Kraft gesetzt und er würde über dem Boden schweben. Wer eine wirklich gute Kindheit hatte, wird kein Folterknecht, der Menschen wie Fliegen sadistisch umbringt. Eine traumatische Kindheit muss auch bei „Dutch“ das Fundament gewesen sein, auf dem seine „Karriere“ aufbaute.
Oftmals werden heutigen Folterern durch gezielte Traumatisierung in der Grundausbildung mögliche restliche Gefühle bzw. ihr Mitgefühl gänzlich abtrainiert. Dazu hat die Sonderabteilung „ai-Aktionsnetz für Heilberufe“ von Amnesty International zwei sehr informative Texte auf ihrer Homepage veröffentlicht, die ich schon im Grundlagentext z.T. zitiert habe: Traumatisierungsvorgänge bei der Foltererausbildung.
und Demütigung und Destruktivität: Folterer- und Spezialsoldatenausbildung in psychopolitischer Perspektive.
Auch hier wird klar, dass ein Folterer über eine stark gespaltene Persönlichkeitsstruktur verfügen muss, damit er überhaupt zu seinen Taten fähig wird. Auch "Duch" wurde unter der früheren Regierung auf Grund seiner Mitgliedschaft in einer Guerillagruppe verhaftet und gefoltert, wie der Focus berichtet. Diese eigenen Ohnmachts-/Traumatisierungserfahrungen während der Folter kumulieren sich dann zu einer explosiven Masse. (Wobei ich davon ausgehe, dass nicht jeder Folterer auch selbst in Haft oder Ausbildung gefoltert wurde. Das, was Kinder in ihren Familien erleben, kann leider oftmals ohne weiteres auch als Folter bezeichnet werden. Diese "Grundausbildung" kann dann schon ausreichen, um voller Hass auf andere Menschen zu sein.)
„Dutch“ sprach auch von einem "reinigende Blutbad", so der o.g. SPIEGEL Bericht. Die Psychologin Françoise Sironi sprach im AI Interview davon, dass „Duch“ die getöteten Menschen als quasi „rituelle Opfer“ ansah. Diese Sprache verrät etwas über die emotionalen Ursachen. Dass Kriege eine Art Reinigungsritual oder Opferritual darstellen, darauf verweist ja vor allem die psychohistorische Analyse immer wieder. DeMause schrieb z.B. „Krieg ist ein Opferritual, dazu bestimmt, Angst vor Individuation und Verlassenwerden abzuwehren, indem unsere frühen Traumata an Sündenböcken wiederaufgeführt werden.“
In einem Bericht aus dem Jahr 2007 der Kinderhilfsorganisation Plan Deutschland steht: „Leider ist Gewalt gegen Kinder in Kambodscha alltäglich, (…) In vielen Städten oder Gemeinden wird die Hälfte der Jungen und ein Drittel der Mädchen von ihren Eltern täglich verprügelt. (…) Männer fühlen sich verpflichtet, für Ordnung in der Familie zu sorgen, und glauben, sie haben das Recht, ihre Frauen und Kinder zu verprügeln. Erschreckend viele Frauen teilen diesen Standpunkt.“
Das ist ein erschreckend hohes Ausmass von alltäglicher Gewalt! Wir können gewiss davon ausgehen, dass die Kindererziehung in den 4oer und 50er Jahren in Kambodscha sogar noch um einiges schlimmer aussah. („Duch“ wurde im Jahr 1942 geboren)
Als Pol Pots Truppen 1975 die Macht übernahmen, begann die schlimmste Zeit in der Geschichte Kambodschas, in der zwischen 20 und 30 Prozent der Bevölkerung direkt oder indirekt durch die Roten Khmer umgebracht wurden - die Schätzungen schwanken zwischen einer und zwei Millionen Opfern. (vgl. planet-wissen.de, 01.06.2009, ) „Duch“ war dabei letztlich nur einer unter vielen brutalen Mördern. Wie sagte er noch: "Wir sahen überall Feinde, Feinde, Feinde!“ „Kriege sind klinische emotionale Störungen, kollektiv psychotische Episoden von wahnhaft erzeugter Schlächterei“ zitierte ich deMause bei der Definition von Kriegen. In Kambodscha führten die Menschen in den 70er Jahren ganz offensichtlich ihre frühen Traumata wieder auf. Die ganzen bekannten Ereignisse von damals kann man nur mit dem Wort Wahnsinn bezeichnen.
„Wie ist es zu erklären, dass ein einfacher Familienvater solche Bluttaten beging?“, fragt das Amnesty Journal.
Antwort der Psychologin: „Wie bei den anderen Verbrechern gegen die Menschlichkeit befinden wir uns nicht in einer normalen Dimension der Pathologie. Wir müssen über die normale, individuelle Psychologie hinausgehen, um zu verstehen, welche Ereignisse des kollektiven Lebens diese Leute geprägt haben. Bei Duch waren mehrere solche Ereignisse ausschlaggebend. Er hat eine ganze Reihe von Akkulturationsphasen durchlaufen, die oft mit erniedrigenden Erfahrungen verbunden waren. Während seiner Jugend fühlte er sich wegen seiner chinesischen Herkunft abgewertet, danach prägte ihn die Konfrontation mit der französischen Kultur und schliesslich der Kommunismus. Als Zweites berücksichtigten wir seine Laufbahn im politischen Apparat der Khmer. Denn man kommt nicht als Pei¬niger zur Welt, man wird zu einem solchen gemacht.“
Was sagt uns diese Antwort? Im Grunde nichts halbes und nichts ganzes. Was meint sie mit „erniedrigenden Erfahrungen“? Im nächsten Satz wird ausgeführt, dass er sich auf Grund seiner chinesischen Herkunft abgewertet fühlte. Wird man deshalb gleich zum Massenmörder? Ach ja, da kommt noch die Überforderung mit der französischen Kultur, sein Weg in den Kommunismus und sein „beruflicher“ Aufstieg. Ich denke, wir müssen uns Kaing Guek Eav und seine Taten an dieser Stelle noch mal etwas genauer anschauen.
"Wir sahen überall Feinde, Feinde, Feinde", wird er vom SPIEGEL zitiert. Wie viele Menschen alleine in seinem Lager ermordet wurden, habe ich oben bereits erwähnt. „Und es kam so weit, dass er sich als Gott des Bösen sah“ , sagte Youk Chhang, der Direktor des Documentation Center of Cambodia, über „Dutch“. „In Choeung Ek, den Killing Fields nahe Phnom Penh, in denen Henker aus S-21 die Gefangenen zu Tausenden mit der Hacke erschlugen, pflegte Duch im schwarzen Pyjama am Rand zu sitzen und die Massenhinrichtungen zu beobachten.“ (der Freitag, „Gott des Bösen“)
In einem Memo fragte ein Wärter an, was mit sechs Jungen und vier Mädchen geschehen solle, die als Verräter verdächtigt wurden. „Töten bis zum letzten Mann“, vermerkte der Gefängnischef auf dem Blatt. (vgl. focus, „35 Jahre Haft für Folterchef“)
Kleinkinder wurden in dem Lager mit dem Kopf voran gegen einen Baum (genannt „Todesbaum“) geschleudert, die Erwachsenen mit Eisenstangen totgeschlagen; Duch wollte Kugeln sparen, berichtet der SPIEGEL unter dem Titel „HOLOCAUST ALS KARRIERE“. Die Unfähigkeit zur Mitmenschlichkeit, das Fehlen jeder Empathie und der Bruch jeder moralischen Norm wird ihm laut dem Bericht attestiert. Der SPIEGEL vergleicht außerdem "Duch" und Eichmann und fragt: „Was lässt einen Menschen so verrohen wie diesen Duch, der in seinem Tagebuch sieben Zeilen Bedauern über den ungewollten Tod einiger Hühner zu Papier bringt, aber das durch Folter forcierte Ende von 14 Gefangenen nur mit zwei Zeilen würdigt? Was hat einen Eichmann so unempfindlich gegenüber dem Leid seiner Mitmenschen gemacht? Gängige Erklärungsmuster greifen bei den beiden nicht. Sie wuchsen weder verwahrlost auf, noch hat sie die Gesellschaft in Jugendjahren mit Ungerechtigkeiten gebrandmarkt, die ihre Moralvorstellungen zusammenbrechen lassen mussten. Eichmann erhielt eine christliche Erziehung in einer Mittelklasseumgebung, Duch wurden von seinen einfachen, aber rechtschaffenen Eltern buddhistische Ideale wie Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe eingeimpft.“
Für mich sind diese Ausführungen des SPIEGEL absolut unverständlich. Glaubt jemand ernsthaft, dass ein Kind, das liebevoll erzogen und dem zusätzlich „buddhistische Ideale wie Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe eingeimpft“ wurden, später zu einem Menschen a la „Dutch“ werden kann? Immer wieder tauchen solche Gedankengänge auf, bei uns zu letzt auch über den Amokläufer Tim K. Für mich ist das so, als ob jemand behauptet, wenn ich einen Stein fallen lasse, würde die Schwerkraft außer Kraft gesetzt und er würde über dem Boden schweben. Wer eine wirklich gute Kindheit hatte, wird kein Folterknecht, der Menschen wie Fliegen sadistisch umbringt. Eine traumatische Kindheit muss auch bei „Dutch“ das Fundament gewesen sein, auf dem seine „Karriere“ aufbaute.
Oftmals werden heutigen Folterern durch gezielte Traumatisierung in der Grundausbildung mögliche restliche Gefühle bzw. ihr Mitgefühl gänzlich abtrainiert. Dazu hat die Sonderabteilung „ai-Aktionsnetz für Heilberufe“ von Amnesty International zwei sehr informative Texte auf ihrer Homepage veröffentlicht, die ich schon im Grundlagentext z.T. zitiert habe: Traumatisierungsvorgänge bei der Foltererausbildung.
und Demütigung und Destruktivität: Folterer- und Spezialsoldatenausbildung in psychopolitischer Perspektive.
Auch hier wird klar, dass ein Folterer über eine stark gespaltene Persönlichkeitsstruktur verfügen muss, damit er überhaupt zu seinen Taten fähig wird. Auch "Duch" wurde unter der früheren Regierung auf Grund seiner Mitgliedschaft in einer Guerillagruppe verhaftet und gefoltert, wie der Focus berichtet. Diese eigenen Ohnmachts-/Traumatisierungserfahrungen während der Folter kumulieren sich dann zu einer explosiven Masse. (Wobei ich davon ausgehe, dass nicht jeder Folterer auch selbst in Haft oder Ausbildung gefoltert wurde. Das, was Kinder in ihren Familien erleben, kann leider oftmals ohne weiteres auch als Folter bezeichnet werden. Diese "Grundausbildung" kann dann schon ausreichen, um voller Hass auf andere Menschen zu sein.)
„Dutch“ sprach auch von einem "reinigende Blutbad", so der o.g. SPIEGEL Bericht. Die Psychologin Françoise Sironi sprach im AI Interview davon, dass „Duch“ die getöteten Menschen als quasi „rituelle Opfer“ ansah. Diese Sprache verrät etwas über die emotionalen Ursachen. Dass Kriege eine Art Reinigungsritual oder Opferritual darstellen, darauf verweist ja vor allem die psychohistorische Analyse immer wieder. DeMause schrieb z.B. „Krieg ist ein Opferritual, dazu bestimmt, Angst vor Individuation und Verlassenwerden abzuwehren, indem unsere frühen Traumata an Sündenböcken wiederaufgeführt werden.“
In einem Bericht aus dem Jahr 2007 der Kinderhilfsorganisation Plan Deutschland steht: „Leider ist Gewalt gegen Kinder in Kambodscha alltäglich, (…) In vielen Städten oder Gemeinden wird die Hälfte der Jungen und ein Drittel der Mädchen von ihren Eltern täglich verprügelt. (…) Männer fühlen sich verpflichtet, für Ordnung in der Familie zu sorgen, und glauben, sie haben das Recht, ihre Frauen und Kinder zu verprügeln. Erschreckend viele Frauen teilen diesen Standpunkt.“
Das ist ein erschreckend hohes Ausmass von alltäglicher Gewalt! Wir können gewiss davon ausgehen, dass die Kindererziehung in den 4oer und 50er Jahren in Kambodscha sogar noch um einiges schlimmer aussah. („Duch“ wurde im Jahr 1942 geboren)
Als Pol Pots Truppen 1975 die Macht übernahmen, begann die schlimmste Zeit in der Geschichte Kambodschas, in der zwischen 20 und 30 Prozent der Bevölkerung direkt oder indirekt durch die Roten Khmer umgebracht wurden - die Schätzungen schwanken zwischen einer und zwei Millionen Opfern. (vgl. planet-wissen.de, 01.06.2009, ) „Duch“ war dabei letztlich nur einer unter vielen brutalen Mördern. Wie sagte er noch: "Wir sahen überall Feinde, Feinde, Feinde!“ „Kriege sind klinische emotionale Störungen, kollektiv psychotische Episoden von wahnhaft erzeugter Schlächterei“ zitierte ich deMause bei der Definition von Kriegen. In Kambodscha führten die Menschen in den 70er Jahren ganz offensichtlich ihre frühen Traumata wieder auf. Die ganzen bekannten Ereignisse von damals kann man nur mit dem Wort Wahnsinn bezeichnen.
Freitag, 10. September 2010
George W. Bush: war "feels good"
19. März 2003, 22.15 Uhr, Washington:
„Bush ballt Hand zur Siegesfaust, sagt "feels good!". Dann verkündet er der Nation, dass der Krieg begonnen hat. Amerika ist am Ziel. Die ersten Bomben fallen auf Bagdad.“ Das sind die Schlussworte aus dem Stern Artikel „Die Kriegslüge“ vom 11.03.2004, einer der besten Artikel, den ich bisher zu dem Thema gelesen habe. Der Krieg war das feste Ziel, der Weg dahin wird im Artikel haarklein aufgezeigt. Er bestand aus gezielten Lügen, Druckausübung auf Mitarbeiter, Wegesehen, Umdichten, Schaffung von „Realitäten“ usw. (was ja vielen schon bekannt sein dürfte) und vor allem aus einer Eskalationsstrategie in der Sprache über den Irak gegenüber dem eigenen amerikanischen Volk. Saddam Hussein musste als böses Monster aufgebaut werden, damit die AmerikanerInnen dem Krieg folgen würden. Dies gelang, wie wir alle wissen, in Perfektion.
Im Stern Artikel kam auch immer wieder auf dem Weg zum Krieg zur Sprache, dass einzelne interne Mitarbeiter aus Beraterkreisen, Geheimdiensten usw. es kaum glauben konnten, was die Führungsspitze da aufbaute und von sich gab. Vielen war klar, dass der Irak keine Gefahr für die USA darstellte. Viele schwiegen, obwohl sie den Wahnsinn kommen sahen. Als Deutsche wissen wir nur zu gut um diese Prozesse. (Ich erinnere an dieser Stelle auch an das Kapitel "Das einst misshandelte Volk identifiziert sich mit dem Aggressor" im Grundlagentext)
Je mehr ich mich mit dem Irakkrieg und George W. Bush beschäftige, desto mehr wird mir klar, dass dieser Weg zum Krieg in der Tat sehr viel etwas mit totalem Realitätsverlust und Wahnvorstellungen zu tun hatte. Die amerikanische Führung war kriegslüstern und das Volk folgte ihnen bereitwillig, ohne irgendetwas von dem, was da vor sich ging, kritisch zu hinterfragen.
Für Krieg und Wohlstandsreduzierung war George W. Bush auch gewählt worden. Kurz nach seinem Wahlsieg sagte er am 14. Juni 2001 zum schwedischen Premierminister Göran Perrson: „Irre, dass ich gewonnen habe. Ich trat an gegen Frieden, Wohlstand und gegen den Amtsinhaber.“ (Original: „It was amazing I won. I was running against peace and prosperity and incumbency.“) Bush hatte nicht bemerkt, dass eine Fernsehkamera noch lief. Deutlicher kann man nicht werden.
Für mich persönlich ist die Rückschau auf diesen Krieg immer noch auch ein Stück weit Aufarbeitung und Verarbeitung. Dass dieser Wahnsinn im 21. Jahrhundert möglich war, hat mich zutiefst schockiert. Dass ein ähnlicher Wahnsinn weiterhin in Afghanistan stattfindet, schockiert mich weiterhin.
Ich bin mir sicher, dass ein geschickter Analytiker, der sich mit den Ereignissen und Reden dieser Zeit beschäftigen würde, sehr klar den emotionalen Gehalt des Krieges und dessen Vorbereitung herausstellen könnte. Überall finden sich Hinweise darauf. Man könnte wahrscheinlich ein ganzes Buch dazu schreiben.
Auf zwei Dinge möchte ich in diesem Zusammenhang hier noch hinweisen. Bush besuchte am 11. September 2001 eine Grundschule in Florida - als er von dem zweiten Flugzeug erfuhr, das im World Trade Center eingeschlagen war. „Ein zweites Flugzeug hat den zweiten Turm getroffen. Amerika wird angegriffen.“, flüsterte ihm ein Mitarbeiter zu. Wie versteinert saß er ca. 7 Minuten da und tat gar nichts. Dies brachte ihm viel Spott ein. Viele fragten sich: Was dachte er in diesen Minuten?
Viele scheinen nichts über die traumatische Kindheit von George W. Bush zu wissen. Wenn man darum weiß, dann könnte man diese „7 Minuten Starre“ auch als eine Retraumatisierung deuten, während der Bush wieder in die alte Ohnmacht und Schockstarre aus seiner Kindheit zurückfiel. Ein extremer Angriff von Außen fand statt, gleichzeitig wiederholten Kinderstimmen eintönig die Vorgaben der Lehrerin in der Grundschulklasse. (auf youtube kann sich jeder das Video ansehen). Es hat etwas sehr symbolisches, dass Bush gerade zu diesem Zeitpunkt in Mitten von Kindern saß...
„feels good!" sagte George W. Bush, als er den Beginn des Krieges verkündete (siehe oben). Das alleine sagt im Grunde schon alles. Mit emotionaler Freude wurde in der Geschichte immer und immer wieder auf den Beginn von Krieg von Menschen reagiert. Kaum ein Forschender hat sich bisher wirklich gefragt, was das auf sich hat. Warum sich Menschen auf das Töten anderer Menschen freuen und auch auf den evtl. eigenen Tod. (siehe dazu z.B. auch den Beitrag „Krieg der Kindergangs“ ) Vielmehr folgt die Rationalisierung von Kriegen in der späteren Analyse (siehe meine vorherigen Beiträge zum vermeintlichen Ölkrieg, der aber gar keiner war). Da muss dringend ein Umdenken stattfinden. Es muss klar werden, dass einzelne Menschen wie z.B. Bush aber auch Nationen sich auf Grund traumatischer Kindheitserfahrungen „schlecht fühlen“, dass ein gesellschaftlicher und ökonomischer Fortschritt dieses „sich schlecht fühlen“ noch (bis ins unerträgliche) verstärkt und sie sich dann endlich „gut fühlen“, wenn sie etwas großes zerstören können, wenn ein deutlicher Feind gefunden wurde, wenn Menschen sterben und die Wirtschaftskraft zurückfällt.
„Bush ballt Hand zur Siegesfaust, sagt "feels good!". Dann verkündet er der Nation, dass der Krieg begonnen hat. Amerika ist am Ziel. Die ersten Bomben fallen auf Bagdad.“ Das sind die Schlussworte aus dem Stern Artikel „Die Kriegslüge“ vom 11.03.2004, einer der besten Artikel, den ich bisher zu dem Thema gelesen habe. Der Krieg war das feste Ziel, der Weg dahin wird im Artikel haarklein aufgezeigt. Er bestand aus gezielten Lügen, Druckausübung auf Mitarbeiter, Wegesehen, Umdichten, Schaffung von „Realitäten“ usw. (was ja vielen schon bekannt sein dürfte) und vor allem aus einer Eskalationsstrategie in der Sprache über den Irak gegenüber dem eigenen amerikanischen Volk. Saddam Hussein musste als böses Monster aufgebaut werden, damit die AmerikanerInnen dem Krieg folgen würden. Dies gelang, wie wir alle wissen, in Perfektion.
Im Stern Artikel kam auch immer wieder auf dem Weg zum Krieg zur Sprache, dass einzelne interne Mitarbeiter aus Beraterkreisen, Geheimdiensten usw. es kaum glauben konnten, was die Führungsspitze da aufbaute und von sich gab. Vielen war klar, dass der Irak keine Gefahr für die USA darstellte. Viele schwiegen, obwohl sie den Wahnsinn kommen sahen. Als Deutsche wissen wir nur zu gut um diese Prozesse. (Ich erinnere an dieser Stelle auch an das Kapitel "Das einst misshandelte Volk identifiziert sich mit dem Aggressor" im Grundlagentext)
Je mehr ich mich mit dem Irakkrieg und George W. Bush beschäftige, desto mehr wird mir klar, dass dieser Weg zum Krieg in der Tat sehr viel etwas mit totalem Realitätsverlust und Wahnvorstellungen zu tun hatte. Die amerikanische Führung war kriegslüstern und das Volk folgte ihnen bereitwillig, ohne irgendetwas von dem, was da vor sich ging, kritisch zu hinterfragen.
Für Krieg und Wohlstandsreduzierung war George W. Bush auch gewählt worden. Kurz nach seinem Wahlsieg sagte er am 14. Juni 2001 zum schwedischen Premierminister Göran Perrson: „Irre, dass ich gewonnen habe. Ich trat an gegen Frieden, Wohlstand und gegen den Amtsinhaber.“ (Original: „It was amazing I won. I was running against peace and prosperity and incumbency.“) Bush hatte nicht bemerkt, dass eine Fernsehkamera noch lief. Deutlicher kann man nicht werden.
Für mich persönlich ist die Rückschau auf diesen Krieg immer noch auch ein Stück weit Aufarbeitung und Verarbeitung. Dass dieser Wahnsinn im 21. Jahrhundert möglich war, hat mich zutiefst schockiert. Dass ein ähnlicher Wahnsinn weiterhin in Afghanistan stattfindet, schockiert mich weiterhin.
Ich bin mir sicher, dass ein geschickter Analytiker, der sich mit den Ereignissen und Reden dieser Zeit beschäftigen würde, sehr klar den emotionalen Gehalt des Krieges und dessen Vorbereitung herausstellen könnte. Überall finden sich Hinweise darauf. Man könnte wahrscheinlich ein ganzes Buch dazu schreiben.
Auf zwei Dinge möchte ich in diesem Zusammenhang hier noch hinweisen. Bush besuchte am 11. September 2001 eine Grundschule in Florida - als er von dem zweiten Flugzeug erfuhr, das im World Trade Center eingeschlagen war. „Ein zweites Flugzeug hat den zweiten Turm getroffen. Amerika wird angegriffen.“, flüsterte ihm ein Mitarbeiter zu. Wie versteinert saß er ca. 7 Minuten da und tat gar nichts. Dies brachte ihm viel Spott ein. Viele fragten sich: Was dachte er in diesen Minuten?
Viele scheinen nichts über die traumatische Kindheit von George W. Bush zu wissen. Wenn man darum weiß, dann könnte man diese „7 Minuten Starre“ auch als eine Retraumatisierung deuten, während der Bush wieder in die alte Ohnmacht und Schockstarre aus seiner Kindheit zurückfiel. Ein extremer Angriff von Außen fand statt, gleichzeitig wiederholten Kinderstimmen eintönig die Vorgaben der Lehrerin in der Grundschulklasse. (auf youtube kann sich jeder das Video ansehen). Es hat etwas sehr symbolisches, dass Bush gerade zu diesem Zeitpunkt in Mitten von Kindern saß...
„feels good!" sagte George W. Bush, als er den Beginn des Krieges verkündete (siehe oben). Das alleine sagt im Grunde schon alles. Mit emotionaler Freude wurde in der Geschichte immer und immer wieder auf den Beginn von Krieg von Menschen reagiert. Kaum ein Forschender hat sich bisher wirklich gefragt, was das auf sich hat. Warum sich Menschen auf das Töten anderer Menschen freuen und auch auf den evtl. eigenen Tod. (siehe dazu z.B. auch den Beitrag „Krieg der Kindergangs“ ) Vielmehr folgt die Rationalisierung von Kriegen in der späteren Analyse (siehe meine vorherigen Beiträge zum vermeintlichen Ölkrieg, der aber gar keiner war). Da muss dringend ein Umdenken stattfinden. Es muss klar werden, dass einzelne Menschen wie z.B. Bush aber auch Nationen sich auf Grund traumatischer Kindheitserfahrungen „schlecht fühlen“, dass ein gesellschaftlicher und ökonomischer Fortschritt dieses „sich schlecht fühlen“ noch (bis ins unerträgliche) verstärkt und sie sich dann endlich „gut fühlen“, wenn sie etwas großes zerstören können, wenn ein deutlicher Feind gefunden wurde, wenn Menschen sterben und die Wirtschaftskraft zurückfällt.
Freitag, 3. September 2010
"Blut für Öl These" als Scheuklappe
Der Friedensforscher Daniele Ganser spricht aktuell im FOCUS-Online-Interview („Der Kampf ums Erdöl hat schon begonnen“) „über den Erdölrausch der Nachkriegszeit und Kriege um Rohstoffe“:
„Meiner Meinung nach hat der Kampf ums Erdöl schon begonnen, obschon nicht öffentlich von „Peak Oil Kriegen“ gesprochen wird, das ist tabu. (…) nehmen Sie den Angriff auf den Irak durch die USA und Großbritannien im März 2003, das ist für mich ein klarer Erdölbeutezug. Der Irak besitzt die drittgrößten Erdölreserven der Welt. Die Produktion in den USA und Großbritannien bricht ein. Gegenüber der Öffentlichkeit hat man als Kriegsgrund von Massenvernichtungswaffen gesprochen, aber das waren alles Lügen, wie man heute weiß. (..) Als Historiker halte ich es für dringend notwendig, dass der Terror vom 11. September im Kontext von Ressourcenkriegen und Peak Oil analysiert wird.“
Überall finden sich solche Thesen und Aussagen, in Medien, Büchern, auf Homepages der Friedensbewegung und in Kommentaren. Dabei kann sich jeder, der etwas Zeit investiert, vom genauen Gegenteil überzeugen. Die Informationen sind allen im Internet frei zugänglich. Aktuell habe ich dazu ja einen Beitrag geschrieben und die These vom Krieg ums Öl widerlegt.
Wir brauchen scheinbar einen Grund für Krieg. Es wäre für uns Menschen schwer zu ertragen, wenn ein so einschneidendes Ereignis wie Krieg keinen Grund, keine Ursachen hätte. Wenn der Krieg „einfach so“ stattfindet, weil er unweigerlich zu unserer Spezies gehört, wie das Atmen von Luft. Das wäre unerträglich, übrigens auch für mich. Die Forschenden suchen nach Gründen, im Irak vor allem am Beispiel vom Öl. Dabei ist es so offensichtlich, dass es hier eben nicht um Öl ging. Doch was wäre der nächste Schritt? Was wenn die Forschenden auch zu dieser Einsicht kämen? Dann müsste nach anderen Ursachen gesucht werden. Massenvernichtungswaffen? Eine Lüge von Anfang an! Der 11. September? Da hatte der Irak schier gar nichts mit zu tun! Die Luft würde dann immer dünner. Bliebe noch eine Analyse von sicherheitspolitischen Interessen der USA. Doch der Krieg scheint die zukünftige Sicherheit der USA eher gefährdet zu haben, da spätestens jetzt wirklich jeder muslimische Fanatiker die USA als Feindbild lieb gewonnen hat.
Eine der wenigen übrig bleibenden Gründe, wäre dann die psychohistorische Sicht. Doch diese Sicht an sich birgt unheimlich viele Ängste, da man unweigerlich auch auf sich selbst zurückfallen wird. Schließlich sind nicht-misshandelte, geliebte Kinder eher die Ausnahme in dieser Welt. Darum suchen die Menschen weiter fleißig nach rationalen Erklärungen für Krieg, dabei liegt die Antwort in den Emotionen der Menschen. Die Blindheit bzgl. der Ursachen von Krieg wird am Irakkrieg fast idealtypisch rein deutlich. Wenn selbst ausgewiesene Fachleute diese These einfach so aussprechen, ohne die Fakten nachzuprüfen, dann spricht das Bände. Die These vom Krieg ums Öl ist die unbewusst gewollte Scheuklappe für viele Menschen, damit wir nicht links und rechts mögliche andere Abgründe entdecken könnten, die uns weniger lieb wären.
„Meiner Meinung nach hat der Kampf ums Erdöl schon begonnen, obschon nicht öffentlich von „Peak Oil Kriegen“ gesprochen wird, das ist tabu. (…) nehmen Sie den Angriff auf den Irak durch die USA und Großbritannien im März 2003, das ist für mich ein klarer Erdölbeutezug. Der Irak besitzt die drittgrößten Erdölreserven der Welt. Die Produktion in den USA und Großbritannien bricht ein. Gegenüber der Öffentlichkeit hat man als Kriegsgrund von Massenvernichtungswaffen gesprochen, aber das waren alles Lügen, wie man heute weiß. (..) Als Historiker halte ich es für dringend notwendig, dass der Terror vom 11. September im Kontext von Ressourcenkriegen und Peak Oil analysiert wird.“
Überall finden sich solche Thesen und Aussagen, in Medien, Büchern, auf Homepages der Friedensbewegung und in Kommentaren. Dabei kann sich jeder, der etwas Zeit investiert, vom genauen Gegenteil überzeugen. Die Informationen sind allen im Internet frei zugänglich. Aktuell habe ich dazu ja einen Beitrag geschrieben und die These vom Krieg ums Öl widerlegt.
Wir brauchen scheinbar einen Grund für Krieg. Es wäre für uns Menschen schwer zu ertragen, wenn ein so einschneidendes Ereignis wie Krieg keinen Grund, keine Ursachen hätte. Wenn der Krieg „einfach so“ stattfindet, weil er unweigerlich zu unserer Spezies gehört, wie das Atmen von Luft. Das wäre unerträglich, übrigens auch für mich. Die Forschenden suchen nach Gründen, im Irak vor allem am Beispiel vom Öl. Dabei ist es so offensichtlich, dass es hier eben nicht um Öl ging. Doch was wäre der nächste Schritt? Was wenn die Forschenden auch zu dieser Einsicht kämen? Dann müsste nach anderen Ursachen gesucht werden. Massenvernichtungswaffen? Eine Lüge von Anfang an! Der 11. September? Da hatte der Irak schier gar nichts mit zu tun! Die Luft würde dann immer dünner. Bliebe noch eine Analyse von sicherheitspolitischen Interessen der USA. Doch der Krieg scheint die zukünftige Sicherheit der USA eher gefährdet zu haben, da spätestens jetzt wirklich jeder muslimische Fanatiker die USA als Feindbild lieb gewonnen hat.
Eine der wenigen übrig bleibenden Gründe, wäre dann die psychohistorische Sicht. Doch diese Sicht an sich birgt unheimlich viele Ängste, da man unweigerlich auch auf sich selbst zurückfallen wird. Schließlich sind nicht-misshandelte, geliebte Kinder eher die Ausnahme in dieser Welt. Darum suchen die Menschen weiter fleißig nach rationalen Erklärungen für Krieg, dabei liegt die Antwort in den Emotionen der Menschen. Die Blindheit bzgl. der Ursachen von Krieg wird am Irakkrieg fast idealtypisch rein deutlich. Wenn selbst ausgewiesene Fachleute diese These einfach so aussprechen, ohne die Fakten nachzuprüfen, dann spricht das Bände. Die These vom Krieg ums Öl ist die unbewusst gewollte Scheuklappe für viele Menschen, damit wir nicht links und rechts mögliche andere Abgründe entdecken könnten, die uns weniger lieb wären.
Freitag, 27. August 2010
Irakkrieg:Das Märchen vom Krieg ums Öl - Teil 2
In der Überleitung vom Magazin "Monitor" (Sendung vom 19.08.10) zu den Tagesthemen hat Sonia Mikich ganz selbstverständlich darauf hingewiesen, dass der Irakkrieg bekanntlich um Öl geführt wurde. „Blood for oil? Wie die US-amerikanische Öl-Industrie den Irak erobert“ hieß auch eine "Monitor" Sendung vom 25.09.2008, was diese Sichtweise noch mal erklärt.
Dass die „Blut-für-Öl-These“ so selbstverständlich vor einem Millionenpublikum als quasi allgemein bekannte Realität benannt wird, hat mich nochmal motiviert, etwas weiter zu dem Thema zu recherchieren. Den folgenden Beitrag sehe ich als eine Ergänzung von dem Text „Irakkrieg: Das Märchen vom Krieg ums Öl“ vom 21.04.2010.
Nebenbei bemerkt war ich zu Beginn des zweiten Golfkrieges Anfang der 90er Jahre Schüler. Unsere LehrerInnen motivierten uns damals zu einer Demo gegen den Krieg vor unserem Rathaus. Fleißig bastelten wir Transparente „Kein Blut für Öl!“. Nun, bekanntlich marschierten damals die USA nicht im Irak ein und ließen Saddam an der Macht. Kein Tropfen irakisches Öl floss als „Kriegsgewinn“ in die USA (und der Anteil der Ölförderung in Kuwait an der weltweiten Förderung hatte kaum Gewicht). Schon damals war diese These gründlich falsch (siehe auch den Beitrag "Der Golfkrieg als emotionale Störung") und ich selbst arbeite gerne die Dinge auf, alleine schon, weil ich einst selbst an die o.g. These glaubte.
Zum Thema: Ab 1972 hatte Saddam Hussein die irakische Ölförderung verstaatlicht, westlichen Konzernen wurde somit der Einfluss entzogen. Insofern ist dies ein Punkt, wo man auf den Gedanken kommen könnte, dass der Sturz Saddams zum Ziel hatte, die Rückkehr der (vor allem amerikanischen) Ölmultis zu ermöglichen.
Aufschlussreich fand ich folgendes: „Entgegen einer verbreiteten Vermutung lässt sich empirisch kaum erhärten, dass die USA ihre politische Macht nutzen, um den internationalen Wettbewerb zugunsten amerikanischer Ölfirmen außer Kraft zu setzen. In der Regel werden große Projekte ohnehin von multinationalen Konsortien durchgeführt. (…) An allen sind amerikanische Firmen beteiligt, aber in keinem sind sie Konsortialführer oder im Besitz der Mehrheitsanteile. Vielmehr zeigt gerade diese Region, dass politische Interessen der USA und die Interessen der Ölunternehmen auseinanderklaffen können und Washington auf die Unternehmensinteressen wenig Rücksicht nimmt. Im Übrigen würde eine drastische Bevorzugung amerikanischer Unternehmen, die den üblichen Spielregeln zuwiderliefe, in dem Geflecht multinationaler Unternehmen große Unruhe auslösen. Und dies würde den USA vermutlich mehr Schaden als Nutzen eintragen.(…) Dass die USA die Intervention aus wirtschaftlichen Interessen suchen, ist ganz unwahrscheinlich. Es lässt sich kein Szenario vorstellen, bei dem amerikanische Firmen oder speziell die amerikanische Ölversorgung aus einem Regimewechsel im Irak übermäßig profitieren sollte.“ (Stiftung Wissenschaft und Politik, September 2002: Das Öl des Irak. (Von Friedemann Müller) ) Natürlich gilt, dass in einem einigermaßen rechtsstaatlich geführten Irak von ausländischen Unternehmen lukrative Geschäfte gemacht werden können. Dass die amerikanischen Konzerne dabei nur einige Akteure unter vielen anderen sind, wurde oben bereits angedeutet. Die Welt (20.01.2010, "Im Irak blasen die Konzerne zur letzten Bonanza") berichtet, welche Firmen u.a. im Irak aktiv sein wollen: Shell aus Holland, Petronas aus Malaysia, Japex aus Japan, Eni aus Italien, Sonangol aus Angola, Gazprom-Neft aus Russland, Lukoil aus Russland und Statoil aus Norwegen. Daneben sind vier Unternehmen aus China an Verträgen interessiert, darunter die China National Petroleum Corporation (CNPC) (vgl. ZEIT-Online, 22.3.2010, "Das Öl-Monopoly", von Frank Sieren), die – neben BP aus Großbritannien - bereit zu Abschlüssen kam. Zusätzlich fand ich die Namen von weiteren im Irak aktiven Firmen: OMV aus Österreich, Repsol YPF aus Spanien, TotalFinaElf aus Frankreich und SK Energy aus Südkorea. Sicherlich sind dort auch noch weitere Unternehmen aktiv oder warten auf ihre Chance.
Friedemann Müller – der seinen Text im Jahr 2002 schrieb – lag insofern richtig, die US-Unternehmen geben nicht den Ton an, wenn es um das irakische Öl geht, sie müssen sich das Geschäft aufteilen, sofern sie überhaupt zum Zug kommen. Die US-Politik scheint keinen Einfluss auf die Ölgeschäfte zu nehmen oder gar Verträge für US-Firmen zu diktieren.
Die „Blut-für-Öl-These“ lässt auch außen vor, dass einer Produktionssteigerung erhebliche Investitionen vorausgehen müssen. Interessantes zu dem Thema fand ich in einem Bericht vom 18.04.2009 von Gunnar Maul auf der Homepage der „WPI Wirtschaftsplattform Irak“. Internationalen Organisationen schätzen, dass 30 Milliarden US-Dollar in den Wiederaufbau der Öl-, Gas- und Elektrizitätsinfrastruktur fließen müssen, um das Niveau der Ölförderung vor der US-Invasion wieder zu erreichen. Angestrebt sind vom Ölministerium Förderquoten von sechs Millionen Barrel. 25 bis 75 Milliarden US-Dollar werden benötigt werden, um diese Kapazitäten überhaupt erreichen zu können. Ohne technische Hilfe von ausländischen Firmen, wird dieses Ziel nicht zu erreichen sein, heißt es weiter.
Die Weltbank schätzt – laut einem Focus-Bericht- , dass die Modernisierung der irakischen Ölindustrie 100 Milliarden Dollar kosten wird. Kriege, Vernachlässigung und UN-Embargos gegen Diktator Saddam Hussein versetzten die Ölfelder und Raffinierien in einen miserablen Zustand.
Das Ergebnis einer der „Presse“ vorliegenden Studie der amerikanischen Beratungsfirma IHS Cera zeigt: Die tägliche Fördermenge werde bis 2020 bestenfalls auf 6,5 Millionen Barrel ansteigen. Das sind weitere 10 Jahre! Wer weiß schon, was dann sein wird.
Wir sehen hier also, dass eine Produktionssteigerung sehr viel Geld kostet und auch nicht von heute auf Morgen umzusetzen ist. Auch der Regierung Bush musste dies im Jahr 2003 klar gewesen sein. Ein „Ölraubbeutefeldzug“ macht unter diesen Umständen wenig Sinn und birgt unkalkulierbare Risiken.
„Mit den Planungen für den Irak-Krieg wurde genau sechs Tage nach den Anschlägen von New York und Washington begonnen. Glaubt jemand ernsthaft, dass damals ein Rohstoff-Krieg in Aussicht genommen wurde?“ schrieb DIE ZEIT 2003 im Artikel „Die Mär vom Ölkrieg“. „In Wahrheit würde der Irak-Krieg nicht wegen, sondern trotz des Öls geführt. Schon jetzt lastet auf dem Barrel-Preis eine beträchtliche „Angstprämie“. Ein Krieg, wäre er kurz, kostete konjunkturdämpfende 100 Milliarden Dollar. Zöge er sich hin, gäbe es im Irak nichts mehr zu verteilen, und eine globale Rezession wäre unausweichlich. Die ökonomischen Risiken des Krieges sind unabsehbar und auch die Meriten schwer kalkulierbar. Ginge es nur darum, den Ölpreis niedrig zu halten, wäre es risikoloser, das Ölembargo aufzuheben und Saddam zu rehabilitieren. Im auskömmlichen Umgang mit Diktatoren hat Amerika ja Erfahrung.“, so der Artikel weiter.
Auch eine drastische Produktionssteigerung – sofern diese gelingt - birgt Risiken. Denn wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt, fällt der Rohölpreis. „Geht alles so, wie die Iraker es sich vorstellen, dann werden über 400 neue Ölförderstellen erschlossen und die Tagesproduktion steigt von heute 2,4 Millionen auf bis zu zwölf Millionen Fass. Spezialisten halten allerdings die Hälfte für realistisch. Schon eine solche Steigerung könnte den Ölpreis aber stark senken, sagt James Williams vom Energiefachdienst WTRG: „Wenn es dem Irak gelingt, seine Produktion innerhalb von zwei Jahren auf fünf Millionen Fass zu steigern, würde das Angebot die Nachfrage übersteigen und der Ölpreis von den jetzt knapp 80 auf unter 50 Dollar fallen.“ „ (http://www.welt.de/wirtschaft/article5922622/Im-Irak-blasen-die-Konzerne-zur-letzten-Bonanza.html) Zudem ist der Irak Mitglied der OPEC. Diese legt maximale Förderquoten fest, um eben den Preis stabil zu halten.
Da alte Ölfelder bereits stark ausgebeutet sind, hat die Ölindustrie (vor allem auch die amerikanische welche) ihre Bohrungen auf den Meeren erheblich ausgeweitet. Die aktuelle Ölpest im Golf von Mexico brachte dies uns allen nochmal stark ins Gedächtnis... Die Förderkosten liegen hier aber sehr viel höher, als bei einfacheren Landbohrungen. Um dabei rentabel arbeiten zu können, braucht es ein einigermaßen hohes Ölpreisniveau. Matthias Reich, Professor für Bohrtechnik an der Technischen Universität Bergakademie im sächsischen Freiberg, meint, dass ein Preis von über 50 US-Dollar pro Barrel nötig sei, damit die Weiterentwicklung aufwendiger Bohr- und Fördertechniken für tiefe Bohrungen Sinn mache. (vgl. Welt-Online, 11.06.2010, "Bessere Bohrtechniken hängen vom Ölpreis ab") Ein zu starkes Abfallen des Ölpreises liegt hier nicht im Interesse der US-Ölkonzerne.
Das Geschäft auf dem Meer ist auf Grund der hohen Investitionen vor allem in der Hand großer Konzerne wie es z.B. ExxonMobil und Chevron sind, berichtet DIE ZEIT ("Im Rausch der Tiefe"). Im klassischen Raffineriegeschäft (die Weiterverarbeitung von Rohöl etwa zu Benzin) seien nur noch geringe Margen zu verdienen, weshalb die Fördergeschäfte immer interessanter werden. „Der Mineral Management Service, eine Fachbehörde der US-Regierung, schätzte allein im Jahr 2006 die Offshore-Ölvorkommen in bislang unentdeckten Feldern vor der amerikanischen Küste auf 86 Milliarden Barrel. Das wäre mehr als an Land.“ (vgl. DIE ZEIT) Derzeit erfolgt 5 % der weltweiten Rohölförderung auf den Meeren. Bis 2012 soll sich diese Zahl auf 10 % verdoppeln. (vgl. Greenpeace-Magazin, 5.2010,„Die Party geht weiter“) Bedenkt man dabei, dass weltweit Staatskonzerne 80 Prozent der Ölvorkommen kontrollieren und alle privaten Unternehmen um nur ein Fünftel der Reserven konkurrieren (vgl. ebd.), dann wird zusätzlich deutlich welche enorme Bedeutung die Tiefsee für die Konzerne spielt. Nochmal: Ein durch den Irakkrieg (vermeintlich) angestrebter niedriger Ölpreis durch rasche Ausbeutung der irakischen Quellen konnte von Anfang an nicht im Sinne der US-Ölindustrie sein.
Die Iraker lassen sich bei der Vergabe von Förderrechten übrigens alles andere als übers Ohr hauen und agieren sehr autonom. „Als gewiefte Händler boten die Iraker den Ölkonzernen eine Gewinnbeteiligung von maximal zwei Dollar pro Fass Öl an – bei einem Weltmarktpreis von heute knapp 80 Dollar. Eine erste Versteigerung Ende Juni 2009 wurde zum Fiasko: Von acht Feldern wurde nur ein Ölfeld an British Petroleum (BP) und die China National Petroleum Company (CNPC) vergeben. Vier andere Ölfelder wurden ebenfalls zu irakischen Vorstellungen vergeben.“ (siehe "Welt" Artikel oben) Auch hier ist keine diktierende Einflussnahme durch die USA festzustellen.
In einem relativ aktuellen Artikel in der Welt-Online vom 15.06.2010 („US-Amerikaner profitieren nicht vom Irak-Öl“) wird berichtet, dass am 7. März der vorerst letzte der Ölverträge mit ausländischen Firmen unter Dach und Fach gebracht wurde. „Russlands Lukoil zusammen mit der norwegischen Statoil bekam den Zuschlag für die Erschließung eines der größten Ölfelder im Süden des Irak – West Qurna. Damit sind insgesamt 15 ausländische Firmen mit der Entwicklung künftiger Ölquellen betraut worden. Amerikanische Unternehmen sind dabei klar in der Minderheit.“ Die schon erschlossenen Quellen im Irak werden sämtlich von zwei Staatsfirmen bewirtschaftet, so der Artikel weiter. Von neuen Verträgen profitieren bisher vor allem Asiaten im Irak, die malaysische Gesellschaft Petronas führt mit drei Lizenzen die Liste der ausländischen Firmen im irakischen Ölgeschäft an. Lediglich zwei amerikanische Firmen sind bisher involviert: Exxon Mobil hat den Zuschlag für ein Projekt bekommen, Occidental ist innerhalb eines Konsortiums an der Entwicklung eines anderen Feldes beteiligt, schreibt die Welt-Online. „Dass die US-Konzerne nicht umfangreicher einsteigen, liegt an der Natur der Verträge. Der irakische Staat bietet Dienstleistungsverträge, keine Gewinnbeteiligungen. Für jedes gepumpte Fass gibt es einen Bonus zwischen 1,9 und sechs Dollar, je nach Förderkosten. US-Vertreter werteten dies als Affront und blieben den Auktionen meist fern.“
Im Irak werden ca. 10-11 % der weltweiten Ölreserven vermutet. Das ist das Fundament der „Blut-für-Öl-These“. Die Rohölversorgung aus dem Irak ist also langfristig von Interesse. So weit kann allerdings niemand (auch die USA nicht) vorausplanen. Erst recht nicht, wenn im Irak Krieg und Terror herrschen. (Nebenbei bemerkt besteht das reale Risiko, dass langfristig das ÖL von den regenerativen Energien abgelöst wird und an Bedeutung verliert) Und: Die USA haben bisher keinen sichtbaren Vorteil durch die Invasion bzgl. dieser Reserven erreicht, wohl eher das Gegenteil dürfte der Fall sein. Bildlich gleicht die Situation folgender Lage: Da ist eine Gruppe (deren Führer früher in der Diamentenbranche gearbeitet haben), die die Besitzer einer Diamantmine unter einem Vorwand überfällt und viele von ihnen tötet, inkl. ihrem bösen Anführer und vieler Kinder. Die Diamanten liegen nicht einfach abholbereit da, sondern sind im Stollen verborgen. Dann setzt diese Gruppe Wahlen und eine junge Demokratie durch und zieht sich langsam wieder zurück. Die Diamanten werden nun über Jahre und Jahrzehnte von der neuen Führung gefördert und in alle Welt verkauft. Draußen vor der Mine stehen dabei die Demonstranten und rufen: „Kein Blut für Diamanten!“, „Ihr habt die Leute nur überfallen, weil ihr sie ausbeuten wolltet!“
Die damalige Außenministerin Condoleezza Rice war vor ihrer Politkarriere 10 Jahre Direktorin von Chevron, einer der größten Ölfirmen der Welt. Dick Cheney, Vizepräsident unter George W. Bush, war vor seiner Amtszeit Präsident eines anderen großen Unternehmens: Halliburton - eines der größten Ölexplorationsunternehmen. Handelsminister Donald Evans war Präsident der Energie- und Erdölgesellschaft Tom Brown. Auch die Familie Bush hatte geschäftlich mit Öl zu tun. Diese Verbindungen heizten die „Blut-für-Öl-These“ kräftig an. Ein aktueller Artikel im Greenpeace-Magazin 5.2010 („Die Party geht weiter“) stellte heraus: „Einen guten Ölkonzern gibt es nicht.“ Bei etlichen Unternehmen der Branche finden sich Verwicklungen in Menschenrechtsverletzungen, Handel mit Militärregierungen usw. und vor allem schwere Umweltverschmutzungen. Das Ölgeschäft scheint ein schmutziges Geschäft zu sein. Dass sich darin Menschen wie George W. Bush & Co. tummelten, passt einfach zu ihrem destruktiven Charakter. (Oder könnte sich jemand George W. Bush als Besitzer mehrerer Biobauernhöfe oder von Solaranlagen in seinem früheren Leben vorstellen?) Daraus gleich eine direkte Verbindung zum Krieg ziehen zu wollen, halte ich für fragwürdig. Mehr noch, ich möchte sogar behaupten, dass gerade die US-Führungsriege, die sich fachlich mit dem Ölhandel auskannte, um die Fakten, die ich in diesem Text zusammengetragen habe (und die sich sicher noch ausweiten ließen), hätte wissen müssen bzw. diese hätte voraussehen können. Rein von der Faktenlage her machte der Irakfeldzug ums Öl herum allerdings überhaupt keinen Sinn.
(Der steigende Öldurst der USA könnte außerdem voraussichtlich gleich von ihrem Nachbarn Kanada gedeckt werden, Kanada steht heute dank enormer Ölsand-Vorkommen auf Platz 2 der ölreichsten Länder der Erde und verfügt über 15 Prozent der Weltreserven. Ein hoher Ölpreis würde diese Art der Förderung weiter rentabel machen und die Transportkosten wären gering.)
Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass US-Ölunternehmen nicht die einzigen Unternehmen sind, die einflussreiche Lobbyarbeit leisten und Druck bzgl. ihrer Interessen auf die US-Politik ausüben können. Der Irakkrieg war – neben anderen Gründen - ein bedeutender Grund dafür, dass der Rohölpreis explodierte. Die energieintensive Industrie in den USA dürfte darüber wenig erfreut gewesen sein. Ebensowenig wie die autofahrenden WählerInnen und die Autoindustrie. Im Jahr 2002 lag der Benzinpreis in den USA etwas über 100 Cent/Gallone. Ab 2003 – dem Jahr, in dem der Krieg gegen den Irak begann – stieg der Preis stetig. Den Höhepunkt erreichte er ca. Mitte 2008 mit etwas über 400 Cent/Gallone. Danach sank der Preis wieder ab. (vgl. http://www.markt-daten.de/chartbook/oel-benzin.htm) Diese Steigerung hing eng mit der Rohölpreisentwicklung zusammen. Der Irakkonflikt war sicher nicht der einzige Grund für Preissprünge, aber er lastete schwer auf dem Rohölpreis. Niemand wusste damals auch, ob sich der Konflikt ggf. ausweiten und Nachbarländer einbezogen würden.
Darüberhinaus gibt es Hinweise dafür, dass die enormen Kosten des Krieges und die entsprechende Kreditaufnahme durch die USA die nachfolgende Weltwirtschaftskrise mit verursacht hat. (vgl. heise.de, „Der Billionen-Krieg im Irak als Ursache für die Wirtschaftskrise?„) Die US-amerikanische Zentralbank (FED) hatte versucht, die enormen Kriegskosten mit Hilfe billiger Kredite zu kompensieren, „die schließlich zur Subprime-Krise und einen Konsumboom geführt haben. Das habe die USA nun eine Rezession und die höchste Verschuldung beschert.“ (heise.de) Der Leitzins wurde von der FED ab 2001 (also nach dem „11. September“, ab dem die Kriegsplanung begann) stetig gesenkt, von ca. 6,5 % auf unter 2 % im Jahr 2002 und ca. 1 % zwischen 2003 und 2004. (vgl. http://www.leitzinsen.info/charts/funds.htm) „Sollte der Irak-Krieg tatsächlich ein Grund für Kredit- und Bankenkrise sein, die sich von den USA ausbreitet, dann würden die tatsächlichen weltweiten Kosten noch weitaus höher als einige Billionen Dollar sein.“ (heise.de)
Wo ist der Gewinn aus diesem angeblichen Ölkrieg? Ich kann ihn einfach nicht finden! (Auch sicherheitspolitisch kann ich keinen Vorteil feststellen, das "Feindbild USA" ist durch die Kriege aktueller denn jeh, das wäre nochmal ein Thema für sich.) Der Krieg scheint vor allem emotionale Ursachen zu haben. Diese Sicht wird leichter verständlich, wenn man den fehlenden "Nutzen" von Kriegen klar aufdecken kann wie oben geschehen. Dieses Ursachenverständnis würde im Übrigen aber auch dann noch Bestand haben, wenn Kriege wirklich ökonomische Vorteile hätten. Denn auch dann wäre es das Handeln von emotional leblosen, tief psychisch gespaltenen Menschen, die für das Erreichen ihrer Nutzen- und Machtmaximierung über Leichen gehen und die letztlich wie Maschinen handeln. Thesen und Antworten in diese Richtung findet man in diesem Blog. Mir scheint es, als ob wir die These "Blut für Öl" umformulieren müssen in "Krieg für Blut" oder "Krieg als Opferritual", das Leid von Menschen und die Reduzierung von Wirtschaftskraft und ökonomischem Wachstum sind die immer wieder beobachteten Folgen und wohl auch Ziele von Krieg. Wenn diese Folgen von Krieg als eigentliche Ziele erkannt und analysiert würden, würden wir auch ein ganz anderes Bild und Verständnis vom Krieg bekommen und die Chance, etwas an den tieferen Ursachen zu rütteln.
Dass die „Blut-für-Öl-These“ so selbstverständlich vor einem Millionenpublikum als quasi allgemein bekannte Realität benannt wird, hat mich nochmal motiviert, etwas weiter zu dem Thema zu recherchieren. Den folgenden Beitrag sehe ich als eine Ergänzung von dem Text „Irakkrieg: Das Märchen vom Krieg ums Öl“ vom 21.04.2010.
Nebenbei bemerkt war ich zu Beginn des zweiten Golfkrieges Anfang der 90er Jahre Schüler. Unsere LehrerInnen motivierten uns damals zu einer Demo gegen den Krieg vor unserem Rathaus. Fleißig bastelten wir Transparente „Kein Blut für Öl!“. Nun, bekanntlich marschierten damals die USA nicht im Irak ein und ließen Saddam an der Macht. Kein Tropfen irakisches Öl floss als „Kriegsgewinn“ in die USA (und der Anteil der Ölförderung in Kuwait an der weltweiten Förderung hatte kaum Gewicht). Schon damals war diese These gründlich falsch (siehe auch den Beitrag "Der Golfkrieg als emotionale Störung") und ich selbst arbeite gerne die Dinge auf, alleine schon, weil ich einst selbst an die o.g. These glaubte.
Zum Thema: Ab 1972 hatte Saddam Hussein die irakische Ölförderung verstaatlicht, westlichen Konzernen wurde somit der Einfluss entzogen. Insofern ist dies ein Punkt, wo man auf den Gedanken kommen könnte, dass der Sturz Saddams zum Ziel hatte, die Rückkehr der (vor allem amerikanischen) Ölmultis zu ermöglichen.
Aufschlussreich fand ich folgendes: „Entgegen einer verbreiteten Vermutung lässt sich empirisch kaum erhärten, dass die USA ihre politische Macht nutzen, um den internationalen Wettbewerb zugunsten amerikanischer Ölfirmen außer Kraft zu setzen. In der Regel werden große Projekte ohnehin von multinationalen Konsortien durchgeführt. (…) An allen sind amerikanische Firmen beteiligt, aber in keinem sind sie Konsortialführer oder im Besitz der Mehrheitsanteile. Vielmehr zeigt gerade diese Region, dass politische Interessen der USA und die Interessen der Ölunternehmen auseinanderklaffen können und Washington auf die Unternehmensinteressen wenig Rücksicht nimmt. Im Übrigen würde eine drastische Bevorzugung amerikanischer Unternehmen, die den üblichen Spielregeln zuwiderliefe, in dem Geflecht multinationaler Unternehmen große Unruhe auslösen. Und dies würde den USA vermutlich mehr Schaden als Nutzen eintragen.(…) Dass die USA die Intervention aus wirtschaftlichen Interessen suchen, ist ganz unwahrscheinlich. Es lässt sich kein Szenario vorstellen, bei dem amerikanische Firmen oder speziell die amerikanische Ölversorgung aus einem Regimewechsel im Irak übermäßig profitieren sollte.“ (Stiftung Wissenschaft und Politik, September 2002: Das Öl des Irak. (Von Friedemann Müller) ) Natürlich gilt, dass in einem einigermaßen rechtsstaatlich geführten Irak von ausländischen Unternehmen lukrative Geschäfte gemacht werden können. Dass die amerikanischen Konzerne dabei nur einige Akteure unter vielen anderen sind, wurde oben bereits angedeutet. Die Welt (20.01.2010, "Im Irak blasen die Konzerne zur letzten Bonanza") berichtet, welche Firmen u.a. im Irak aktiv sein wollen: Shell aus Holland, Petronas aus Malaysia, Japex aus Japan, Eni aus Italien, Sonangol aus Angola, Gazprom-Neft aus Russland, Lukoil aus Russland und Statoil aus Norwegen. Daneben sind vier Unternehmen aus China an Verträgen interessiert, darunter die China National Petroleum Corporation (CNPC) (vgl. ZEIT-Online, 22.3.2010, "Das Öl-Monopoly", von Frank Sieren), die – neben BP aus Großbritannien - bereit zu Abschlüssen kam. Zusätzlich fand ich die Namen von weiteren im Irak aktiven Firmen: OMV aus Österreich, Repsol YPF aus Spanien, TotalFinaElf aus Frankreich und SK Energy aus Südkorea. Sicherlich sind dort auch noch weitere Unternehmen aktiv oder warten auf ihre Chance.
Friedemann Müller – der seinen Text im Jahr 2002 schrieb – lag insofern richtig, die US-Unternehmen geben nicht den Ton an, wenn es um das irakische Öl geht, sie müssen sich das Geschäft aufteilen, sofern sie überhaupt zum Zug kommen. Die US-Politik scheint keinen Einfluss auf die Ölgeschäfte zu nehmen oder gar Verträge für US-Firmen zu diktieren.
Die „Blut-für-Öl-These“ lässt auch außen vor, dass einer Produktionssteigerung erhebliche Investitionen vorausgehen müssen. Interessantes zu dem Thema fand ich in einem Bericht vom 18.04.2009 von Gunnar Maul auf der Homepage der „WPI Wirtschaftsplattform Irak“. Internationalen Organisationen schätzen, dass 30 Milliarden US-Dollar in den Wiederaufbau der Öl-, Gas- und Elektrizitätsinfrastruktur fließen müssen, um das Niveau der Ölförderung vor der US-Invasion wieder zu erreichen. Angestrebt sind vom Ölministerium Förderquoten von sechs Millionen Barrel. 25 bis 75 Milliarden US-Dollar werden benötigt werden, um diese Kapazitäten überhaupt erreichen zu können. Ohne technische Hilfe von ausländischen Firmen, wird dieses Ziel nicht zu erreichen sein, heißt es weiter.
Die Weltbank schätzt – laut einem Focus-Bericht- , dass die Modernisierung der irakischen Ölindustrie 100 Milliarden Dollar kosten wird. Kriege, Vernachlässigung und UN-Embargos gegen Diktator Saddam Hussein versetzten die Ölfelder und Raffinierien in einen miserablen Zustand.
Das Ergebnis einer der „Presse“ vorliegenden Studie der amerikanischen Beratungsfirma IHS Cera zeigt: Die tägliche Fördermenge werde bis 2020 bestenfalls auf 6,5 Millionen Barrel ansteigen. Das sind weitere 10 Jahre! Wer weiß schon, was dann sein wird.
Wir sehen hier also, dass eine Produktionssteigerung sehr viel Geld kostet und auch nicht von heute auf Morgen umzusetzen ist. Auch der Regierung Bush musste dies im Jahr 2003 klar gewesen sein. Ein „Ölraubbeutefeldzug“ macht unter diesen Umständen wenig Sinn und birgt unkalkulierbare Risiken.
„Mit den Planungen für den Irak-Krieg wurde genau sechs Tage nach den Anschlägen von New York und Washington begonnen. Glaubt jemand ernsthaft, dass damals ein Rohstoff-Krieg in Aussicht genommen wurde?“ schrieb DIE ZEIT 2003 im Artikel „Die Mär vom Ölkrieg“. „In Wahrheit würde der Irak-Krieg nicht wegen, sondern trotz des Öls geführt. Schon jetzt lastet auf dem Barrel-Preis eine beträchtliche „Angstprämie“. Ein Krieg, wäre er kurz, kostete konjunkturdämpfende 100 Milliarden Dollar. Zöge er sich hin, gäbe es im Irak nichts mehr zu verteilen, und eine globale Rezession wäre unausweichlich. Die ökonomischen Risiken des Krieges sind unabsehbar und auch die Meriten schwer kalkulierbar. Ginge es nur darum, den Ölpreis niedrig zu halten, wäre es risikoloser, das Ölembargo aufzuheben und Saddam zu rehabilitieren. Im auskömmlichen Umgang mit Diktatoren hat Amerika ja Erfahrung.“, so der Artikel weiter.
Auch eine drastische Produktionssteigerung – sofern diese gelingt - birgt Risiken. Denn wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt, fällt der Rohölpreis. „Geht alles so, wie die Iraker es sich vorstellen, dann werden über 400 neue Ölförderstellen erschlossen und die Tagesproduktion steigt von heute 2,4 Millionen auf bis zu zwölf Millionen Fass. Spezialisten halten allerdings die Hälfte für realistisch. Schon eine solche Steigerung könnte den Ölpreis aber stark senken, sagt James Williams vom Energiefachdienst WTRG: „Wenn es dem Irak gelingt, seine Produktion innerhalb von zwei Jahren auf fünf Millionen Fass zu steigern, würde das Angebot die Nachfrage übersteigen und der Ölpreis von den jetzt knapp 80 auf unter 50 Dollar fallen.“ „ (http://www.welt.de/wirtschaft/article5922622/Im-Irak-blasen-die-Konzerne-zur-letzten-Bonanza.html) Zudem ist der Irak Mitglied der OPEC. Diese legt maximale Förderquoten fest, um eben den Preis stabil zu halten.
Da alte Ölfelder bereits stark ausgebeutet sind, hat die Ölindustrie (vor allem auch die amerikanische welche) ihre Bohrungen auf den Meeren erheblich ausgeweitet. Die aktuelle Ölpest im Golf von Mexico brachte dies uns allen nochmal stark ins Gedächtnis... Die Förderkosten liegen hier aber sehr viel höher, als bei einfacheren Landbohrungen. Um dabei rentabel arbeiten zu können, braucht es ein einigermaßen hohes Ölpreisniveau. Matthias Reich, Professor für Bohrtechnik an der Technischen Universität Bergakademie im sächsischen Freiberg, meint, dass ein Preis von über 50 US-Dollar pro Barrel nötig sei, damit die Weiterentwicklung aufwendiger Bohr- und Fördertechniken für tiefe Bohrungen Sinn mache. (vgl. Welt-Online, 11.06.2010, "Bessere Bohrtechniken hängen vom Ölpreis ab") Ein zu starkes Abfallen des Ölpreises liegt hier nicht im Interesse der US-Ölkonzerne.
Das Geschäft auf dem Meer ist auf Grund der hohen Investitionen vor allem in der Hand großer Konzerne wie es z.B. ExxonMobil und Chevron sind, berichtet DIE ZEIT ("Im Rausch der Tiefe"). Im klassischen Raffineriegeschäft (die Weiterverarbeitung von Rohöl etwa zu Benzin) seien nur noch geringe Margen zu verdienen, weshalb die Fördergeschäfte immer interessanter werden. „Der Mineral Management Service, eine Fachbehörde der US-Regierung, schätzte allein im Jahr 2006 die Offshore-Ölvorkommen in bislang unentdeckten Feldern vor der amerikanischen Küste auf 86 Milliarden Barrel. Das wäre mehr als an Land.“ (vgl. DIE ZEIT) Derzeit erfolgt 5 % der weltweiten Rohölförderung auf den Meeren. Bis 2012 soll sich diese Zahl auf 10 % verdoppeln. (vgl. Greenpeace-Magazin, 5.2010,„Die Party geht weiter“) Bedenkt man dabei, dass weltweit Staatskonzerne 80 Prozent der Ölvorkommen kontrollieren und alle privaten Unternehmen um nur ein Fünftel der Reserven konkurrieren (vgl. ebd.), dann wird zusätzlich deutlich welche enorme Bedeutung die Tiefsee für die Konzerne spielt. Nochmal: Ein durch den Irakkrieg (vermeintlich) angestrebter niedriger Ölpreis durch rasche Ausbeutung der irakischen Quellen konnte von Anfang an nicht im Sinne der US-Ölindustrie sein.
Die Iraker lassen sich bei der Vergabe von Förderrechten übrigens alles andere als übers Ohr hauen und agieren sehr autonom. „Als gewiefte Händler boten die Iraker den Ölkonzernen eine Gewinnbeteiligung von maximal zwei Dollar pro Fass Öl an – bei einem Weltmarktpreis von heute knapp 80 Dollar. Eine erste Versteigerung Ende Juni 2009 wurde zum Fiasko: Von acht Feldern wurde nur ein Ölfeld an British Petroleum (BP) und die China National Petroleum Company (CNPC) vergeben. Vier andere Ölfelder wurden ebenfalls zu irakischen Vorstellungen vergeben.“ (siehe "Welt" Artikel oben) Auch hier ist keine diktierende Einflussnahme durch die USA festzustellen.
In einem relativ aktuellen Artikel in der Welt-Online vom 15.06.2010 („US-Amerikaner profitieren nicht vom Irak-Öl“) wird berichtet, dass am 7. März der vorerst letzte der Ölverträge mit ausländischen Firmen unter Dach und Fach gebracht wurde. „Russlands Lukoil zusammen mit der norwegischen Statoil bekam den Zuschlag für die Erschließung eines der größten Ölfelder im Süden des Irak – West Qurna. Damit sind insgesamt 15 ausländische Firmen mit der Entwicklung künftiger Ölquellen betraut worden. Amerikanische Unternehmen sind dabei klar in der Minderheit.“ Die schon erschlossenen Quellen im Irak werden sämtlich von zwei Staatsfirmen bewirtschaftet, so der Artikel weiter. Von neuen Verträgen profitieren bisher vor allem Asiaten im Irak, die malaysische Gesellschaft Petronas führt mit drei Lizenzen die Liste der ausländischen Firmen im irakischen Ölgeschäft an. Lediglich zwei amerikanische Firmen sind bisher involviert: Exxon Mobil hat den Zuschlag für ein Projekt bekommen, Occidental ist innerhalb eines Konsortiums an der Entwicklung eines anderen Feldes beteiligt, schreibt die Welt-Online. „Dass die US-Konzerne nicht umfangreicher einsteigen, liegt an der Natur der Verträge. Der irakische Staat bietet Dienstleistungsverträge, keine Gewinnbeteiligungen. Für jedes gepumpte Fass gibt es einen Bonus zwischen 1,9 und sechs Dollar, je nach Förderkosten. US-Vertreter werteten dies als Affront und blieben den Auktionen meist fern.“
Im Irak werden ca. 10-11 % der weltweiten Ölreserven vermutet. Das ist das Fundament der „Blut-für-Öl-These“. Die Rohölversorgung aus dem Irak ist also langfristig von Interesse. So weit kann allerdings niemand (auch die USA nicht) vorausplanen. Erst recht nicht, wenn im Irak Krieg und Terror herrschen. (Nebenbei bemerkt besteht das reale Risiko, dass langfristig das ÖL von den regenerativen Energien abgelöst wird und an Bedeutung verliert) Und: Die USA haben bisher keinen sichtbaren Vorteil durch die Invasion bzgl. dieser Reserven erreicht, wohl eher das Gegenteil dürfte der Fall sein. Bildlich gleicht die Situation folgender Lage: Da ist eine Gruppe (deren Führer früher in der Diamentenbranche gearbeitet haben), die die Besitzer einer Diamantmine unter einem Vorwand überfällt und viele von ihnen tötet, inkl. ihrem bösen Anführer und vieler Kinder. Die Diamanten liegen nicht einfach abholbereit da, sondern sind im Stollen verborgen. Dann setzt diese Gruppe Wahlen und eine junge Demokratie durch und zieht sich langsam wieder zurück. Die Diamanten werden nun über Jahre und Jahrzehnte von der neuen Führung gefördert und in alle Welt verkauft. Draußen vor der Mine stehen dabei die Demonstranten und rufen: „Kein Blut für Diamanten!“, „Ihr habt die Leute nur überfallen, weil ihr sie ausbeuten wolltet!“
Die damalige Außenministerin Condoleezza Rice war vor ihrer Politkarriere 10 Jahre Direktorin von Chevron, einer der größten Ölfirmen der Welt. Dick Cheney, Vizepräsident unter George W. Bush, war vor seiner Amtszeit Präsident eines anderen großen Unternehmens: Halliburton - eines der größten Ölexplorationsunternehmen. Handelsminister Donald Evans war Präsident der Energie- und Erdölgesellschaft Tom Brown. Auch die Familie Bush hatte geschäftlich mit Öl zu tun. Diese Verbindungen heizten die „Blut-für-Öl-These“ kräftig an. Ein aktueller Artikel im Greenpeace-Magazin 5.2010 („Die Party geht weiter“) stellte heraus: „Einen guten Ölkonzern gibt es nicht.“ Bei etlichen Unternehmen der Branche finden sich Verwicklungen in Menschenrechtsverletzungen, Handel mit Militärregierungen usw. und vor allem schwere Umweltverschmutzungen. Das Ölgeschäft scheint ein schmutziges Geschäft zu sein. Dass sich darin Menschen wie George W. Bush & Co. tummelten, passt einfach zu ihrem destruktiven Charakter. (Oder könnte sich jemand George W. Bush als Besitzer mehrerer Biobauernhöfe oder von Solaranlagen in seinem früheren Leben vorstellen?) Daraus gleich eine direkte Verbindung zum Krieg ziehen zu wollen, halte ich für fragwürdig. Mehr noch, ich möchte sogar behaupten, dass gerade die US-Führungsriege, die sich fachlich mit dem Ölhandel auskannte, um die Fakten, die ich in diesem Text zusammengetragen habe (und die sich sicher noch ausweiten ließen), hätte wissen müssen bzw. diese hätte voraussehen können. Rein von der Faktenlage her machte der Irakfeldzug ums Öl herum allerdings überhaupt keinen Sinn.
(Der steigende Öldurst der USA könnte außerdem voraussichtlich gleich von ihrem Nachbarn Kanada gedeckt werden, Kanada steht heute dank enormer Ölsand-Vorkommen auf Platz 2 der ölreichsten Länder der Erde und verfügt über 15 Prozent der Weltreserven. Ein hoher Ölpreis würde diese Art der Förderung weiter rentabel machen und die Transportkosten wären gering.)
Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass US-Ölunternehmen nicht die einzigen Unternehmen sind, die einflussreiche Lobbyarbeit leisten und Druck bzgl. ihrer Interessen auf die US-Politik ausüben können. Der Irakkrieg war – neben anderen Gründen - ein bedeutender Grund dafür, dass der Rohölpreis explodierte. Die energieintensive Industrie in den USA dürfte darüber wenig erfreut gewesen sein. Ebensowenig wie die autofahrenden WählerInnen und die Autoindustrie. Im Jahr 2002 lag der Benzinpreis in den USA etwas über 100 Cent/Gallone. Ab 2003 – dem Jahr, in dem der Krieg gegen den Irak begann – stieg der Preis stetig. Den Höhepunkt erreichte er ca. Mitte 2008 mit etwas über 400 Cent/Gallone. Danach sank der Preis wieder ab. (vgl. http://www.markt-daten.de/chartbook/oel-benzin.htm) Diese Steigerung hing eng mit der Rohölpreisentwicklung zusammen. Der Irakkonflikt war sicher nicht der einzige Grund für Preissprünge, aber er lastete schwer auf dem Rohölpreis. Niemand wusste damals auch, ob sich der Konflikt ggf. ausweiten und Nachbarländer einbezogen würden.
Darüberhinaus gibt es Hinweise dafür, dass die enormen Kosten des Krieges und die entsprechende Kreditaufnahme durch die USA die nachfolgende Weltwirtschaftskrise mit verursacht hat. (vgl. heise.de, „Der Billionen-Krieg im Irak als Ursache für die Wirtschaftskrise?„) Die US-amerikanische Zentralbank (FED) hatte versucht, die enormen Kriegskosten mit Hilfe billiger Kredite zu kompensieren, „die schließlich zur Subprime-Krise und einen Konsumboom geführt haben. Das habe die USA nun eine Rezession und die höchste Verschuldung beschert.“ (heise.de) Der Leitzins wurde von der FED ab 2001 (also nach dem „11. September“, ab dem die Kriegsplanung begann) stetig gesenkt, von ca. 6,5 % auf unter 2 % im Jahr 2002 und ca. 1 % zwischen 2003 und 2004. (vgl. http://www.leitzinsen.info/charts/funds.htm) „Sollte der Irak-Krieg tatsächlich ein Grund für Kredit- und Bankenkrise sein, die sich von den USA ausbreitet, dann würden die tatsächlichen weltweiten Kosten noch weitaus höher als einige Billionen Dollar sein.“ (heise.de)
Wo ist der Gewinn aus diesem angeblichen Ölkrieg? Ich kann ihn einfach nicht finden! (Auch sicherheitspolitisch kann ich keinen Vorteil feststellen, das "Feindbild USA" ist durch die Kriege aktueller denn jeh, das wäre nochmal ein Thema für sich.) Der Krieg scheint vor allem emotionale Ursachen zu haben. Diese Sicht wird leichter verständlich, wenn man den fehlenden "Nutzen" von Kriegen klar aufdecken kann wie oben geschehen. Dieses Ursachenverständnis würde im Übrigen aber auch dann noch Bestand haben, wenn Kriege wirklich ökonomische Vorteile hätten. Denn auch dann wäre es das Handeln von emotional leblosen, tief psychisch gespaltenen Menschen, die für das Erreichen ihrer Nutzen- und Machtmaximierung über Leichen gehen und die letztlich wie Maschinen handeln. Thesen und Antworten in diese Richtung findet man in diesem Blog. Mir scheint es, als ob wir die These "Blut für Öl" umformulieren müssen in "Krieg für Blut" oder "Krieg als Opferritual", das Leid von Menschen und die Reduzierung von Wirtschaftskraft und ökonomischem Wachstum sind die immer wieder beobachteten Folgen und wohl auch Ziele von Krieg. Wenn diese Folgen von Krieg als eigentliche Ziele erkannt und analysiert würden, würden wir auch ein ganz anderes Bild und Verständnis vom Krieg bekommen und die Chance, etwas an den tieferen Ursachen zu rütteln.
Donnerstag, 12. August 2010
Bill Clinton. "Dämonen" im Kopf und sanktionierter Massenmord
Meinen Beitrag "Bill Clinton. Kindheit und Kriegsführungspersönlichkeit" möchte ich noch mit ein paar Zeilen ergänzen:
Bill Clinton wurde 1999 der deutsche Medienpreis verliehen. „In der Begründung der Jury wird Clinton als Präsident beschrieben, der die globale Macht seines Landes und den Einfluss seines Amtes genutzt habe, um Unterdrückung und Missachtung von Menschenrechten als Unrecht aufzuzeigen. Als 42. Präsident der USA habe er, mehr als seine Vorgänger, die Welt als globale Gemeinschaft gesehen mit einer kollektiven Verantwortung kriegerische Konflikte zu beenden.“ http://www.deutscher-medienpreis.de/index.php?id=1999|content|index (Die prominente Jury bestand aus 20 Chefredakteuren deutscher Zeitungen, Zeitschriften und TV-Sendern)
Im Angesicht der unzähligen militärischen Operationen (siehe meinen o.g. Beitrag) während seiner Amtszeit ist diese Verleihung höchst fragwürdig. Bill Clinton führte auch das gegen den Irak verhängte Embargo nach seinem Amtsantritt strickt weiter. Das Embargo begann kurz nach Ende des Krieges im Jahr 1991. Anfang 2003 wurde Bill Clinton US-Präsident. Er ist somit hauptsächlich für den durch die Sanktionen bedingten Tod von unzähligen Menschen im Irak (darunter sehr viele Kinder) verantwortlich.
In einem Jahresbericht 2001 stellte UNCEF fest, dass zwischen 1990 und 2000 die Kindersterblichkeit im Irak um 160% anstieg, die höchste Steigerungsrate unter allen Ländern der Welt. Im Jahre 1998 war fast jedes vierte Baby, wegen Unterernährung der Mutter, auch untergewichtig. 2001 waren 22.1% der Kinder, jedes fünfte Kind, körperlich zurückgeblieben, was auf chronische Mangelernährung oder akute Unterernährung zurückzuführen ist. (AlSammawi, Faris 2006: (Dissertation) "Die UN-Sanktionen gegen Irak und deren Auswirkungen auf die Bevölkerung von 1990 bis 2003". Köln.)
Seit 1991 (per. Anmerkung: bis 2003) sind nach Schätzungen internationaler humanitärer Organisationen rund 1,5 Millionen Iraker, darunter über 550 000 Kinder unter fünf Jahren, den Folgen dieser Wirtschaftssanktionen zum Opfer gefallen - durch Mangelernährung und unzureichende medizinische Versorgung. Das entspricht rund sieben Prozent der irakischen Bevölkerung.“ (http://www.km.bayern.de/blz/web/irak/golfkriege.html) Ander Schätzungen gehen von bis zu 1,5 Million toter Kinder aus. (vgl. Büttner, C. 2004: Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten: Lebensumstände und Bewältigungsstrategien. Campus Verlag, Frankfurt/Main, S. 234) Siehe ergänzend auch: Untersuchungsberichte von UN- und anderen Hilfsorganisationen über die Auswirkungen des Embargos
Als Madeleine Albright (erste Frau im Amt der Außenministerin in den USA 1997-2001 unter Bill Clinton) am 20.05.1996 gefragt wurde, ob der Tod der vielen irakischen Kinder durch die Sanktionen, die eigentlich Saddam Hussein schwächen sollten, nötig wäre, antwortete sie: „Ich denke, es ist eine sehr schwere Wahl, aber der Preis, wir denken, es ist den Preis wert.“ (zit. nach deMause, 2005, S. 38) (Original: "This is a very hard choice, but we think the price is worth it.”) Zu diesem Zeitpunkt war sie noch US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen. Die Regierung Clinton befand sich derzeit im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl am 05.11.2006 und ihr möglicher Posten als Außenministerin wird sicherlich schon fest eingeplant gewesen sein. Sie gehörte also zum engsten Führunsstab der Regierung Clinton. Mit "wir" wird Albright vor allem auch Clinton gemeint haben. (nebenbei entlastet das "wir" von der Verantwortung...)
Ich habe bisher keine Äußerungen von Bill Clinton finden können, in denen er sein Bedauern zum Ausdruck brachte und die Iraker um Entschuldigung bat. Dieses Embargo, schrieben die US-Wissenschaftler Noam Chomsky und Edward Said, sei „keine Außenpolitik“, sondern „sanktionierter Massenmord“. (vgl. Büttner, 2004, S. 234) Und in der Tat war Bill Clinton für den massenhaften Tod von Menschen verantwortlich.
Vor den US-Präsidentschaftswahlen im Jahre 2000 führte Amy Goodman ein interessantes spontanes Interview mit Bill Clinton. Clinton wies darin alle Verantwortung bzgl. des Embargos von sich:
AMY GOODMAN: President Clinton, UN figures show that up to 5,000 children a month die in Iraq because of the sanctions against Iraq.
PRESIDENT CLINTON: (Overlap) That’s not true. That’s not true. And that’s not what they show. (…)
Anschließend gibt er Saddam Hussein die Schuld am Leid der irakischen Bevölkerung und sagt, dass Hussein mehr Geld zur Verfügung gestanden hätte, als vor dem Krieg und den Sanktionen. „He has more money today than he did before the embargo, and if they’re hungry or they are not getting medicine, it is his own fault.“
Ein Artikel in ”der Freitag” macht deutlich, dass Clinton hier nicht die Wahrheit sagte.
Hans Graf von Sponeck, der ab 1998 das Programm Oil for Food leitete und im Februar 2000 aus Protest von seinem Amt zurücktrat, hat mit detaillierten Aussagen aufgedeckt, dass die USA und Großbritannien die Weltöffentlichkeit bzgl. der Sanktionspraxis manipulierten. In der Weltöffentlichkeit wurde die Darstellung lanciert, „der irakische Diktator behindere das Oil for Food-Programm und beschaffe sich mit den entsprechenden Einnahmen neue Waffen und Paläste. Wie Hans von Sponeck belegt, wurde diese Version 1999 in einer Studie des US-Außenministeriums vertreten und dank einflussreicher US-Medien weltweit kolportiert. Gegenteilige Erklärungen, etwa von Caritas, Care und anderen NGO, wonach nicht Saddam, sondern allein die Praxis der Sanktionen die entscheidende Ursache für das Leiden der Iraker seien, wurden ebenso ignoriert wie die Reports des Beauftragten von Sponeck an den UN-Generalsekretär.“ Und „Jahrelang haben westliche Regierungen und Medien, ebenso die Öffentlichkeit (auch wir selbst), an das Märchen geglaubt, es sei Saddam Hussein, der die Gelder aus dem Programm Oil for Food für die Rüstung abzweige und dafür vorsätzlich den Tod Hunderttausender Iraker in Kauf nehme. Tatsächlich jedoch war sein Regime dank der strengen UN-Kontrollen zu einer solchen Zweckentfremdung der Gelder nie in der Lage.“
Madeleine Albright hat dagegen deutlich gemacht, dass der Tod der zivilen Bevölkerung bewusst durch die US-Regierung in Kauf genommen wurde. Bei dieser Gelegenheit krampte ich das Buch „Stupid White Men“ von Michael Moore (2002) aus dem Keller. Dessen Sprache liegt mir nicht mehr, aber folgende Passage bzgl. Clintons destruktiver Umweltpolitik möchte ich hier zitieren: Bill Clinton „hat festgestellt, dass etwas sagen praktisch das Gleiche ist wie etwas tun. Wenn man sagt, man sei für eine saubere Umwelt, dann reicht das völlig aus – man brauchte nichts weiter zu tun für eine saubere Umwelt. Man könnte sie sogar ungestraft noch stärker verschmutzen, und die meisten Menschen würden das gar nicht merken.“ (S. 266)
Und so ähnlich verhielt es sich wohl auch mit dem Irak (und auch Jugoslawien). Clinton sagte: „Ich tue das für das Volk der Iraker, für die Menschen auf dem Balkan. Wir sind die Guten. Wir sind für Frieden und Freiheit. Deshalb bombardieren wir Euch und deshalb bekommt ihr nichts zu essen.“ Bill Clinton, so scheint es, hat eine Scheinpersönlichkeit aufgebaut (siehe auch Anmerkungen zu seiner Kindheit im vorherigen Beitrag). Und die Menschen wollten es ihm glauben. Das ist das absurde Zusammenspiel vom emotional Delegierten und dem Volk. Letztlich hat er auch seit Kindheit an lernen müssen, die Augen vor Realitäten, vor eigenem Schmerz und Qualen zu verschließen. Für das Leid Anderer scheint er ebenfalls blind zu sein.
Die Auszeichnungen (davon einige in Deutschland), die Clinton erhielt, sind ein Skandal. Ebenso unverstänlich ist, dass er weiterhin salonfähig ist, diverse Ämter inne hatte und weiterhin als Redner international gefragt und hoch bezahlt ist.
Bill Clinton wurde 1999 der deutsche Medienpreis verliehen. „In der Begründung der Jury wird Clinton als Präsident beschrieben, der die globale Macht seines Landes und den Einfluss seines Amtes genutzt habe, um Unterdrückung und Missachtung von Menschenrechten als Unrecht aufzuzeigen. Als 42. Präsident der USA habe er, mehr als seine Vorgänger, die Welt als globale Gemeinschaft gesehen mit einer kollektiven Verantwortung kriegerische Konflikte zu beenden.“ http://www.deutscher-medienpreis.de/index.php?id=1999|content|index (Die prominente Jury bestand aus 20 Chefredakteuren deutscher Zeitungen, Zeitschriften und TV-Sendern)
Im Angesicht der unzähligen militärischen Operationen (siehe meinen o.g. Beitrag) während seiner Amtszeit ist diese Verleihung höchst fragwürdig. Bill Clinton führte auch das gegen den Irak verhängte Embargo nach seinem Amtsantritt strickt weiter. Das Embargo begann kurz nach Ende des Krieges im Jahr 1991. Anfang 2003 wurde Bill Clinton US-Präsident. Er ist somit hauptsächlich für den durch die Sanktionen bedingten Tod von unzähligen Menschen im Irak (darunter sehr viele Kinder) verantwortlich.
In einem Jahresbericht 2001 stellte UNCEF fest, dass zwischen 1990 und 2000 die Kindersterblichkeit im Irak um 160% anstieg, die höchste Steigerungsrate unter allen Ländern der Welt. Im Jahre 1998 war fast jedes vierte Baby, wegen Unterernährung der Mutter, auch untergewichtig. 2001 waren 22.1% der Kinder, jedes fünfte Kind, körperlich zurückgeblieben, was auf chronische Mangelernährung oder akute Unterernährung zurückzuführen ist. (AlSammawi, Faris 2006: (Dissertation) "Die UN-Sanktionen gegen Irak und deren Auswirkungen auf die Bevölkerung von 1990 bis 2003". Köln.)
Seit 1991 (per. Anmerkung: bis 2003) sind nach Schätzungen internationaler humanitärer Organisationen rund 1,5 Millionen Iraker, darunter über 550 000 Kinder unter fünf Jahren, den Folgen dieser Wirtschaftssanktionen zum Opfer gefallen - durch Mangelernährung und unzureichende medizinische Versorgung. Das entspricht rund sieben Prozent der irakischen Bevölkerung.“ (http://www.km.bayern.de/blz/web/irak/golfkriege.html) Ander Schätzungen gehen von bis zu 1,5 Million toter Kinder aus. (vgl. Büttner, C. 2004: Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten: Lebensumstände und Bewältigungsstrategien. Campus Verlag, Frankfurt/Main, S. 234) Siehe ergänzend auch: Untersuchungsberichte von UN- und anderen Hilfsorganisationen über die Auswirkungen des Embargos
Als Madeleine Albright (erste Frau im Amt der Außenministerin in den USA 1997-2001 unter Bill Clinton) am 20.05.1996 gefragt wurde, ob der Tod der vielen irakischen Kinder durch die Sanktionen, die eigentlich Saddam Hussein schwächen sollten, nötig wäre, antwortete sie: „Ich denke, es ist eine sehr schwere Wahl, aber der Preis, wir denken, es ist den Preis wert.“ (zit. nach deMause, 2005, S. 38) (Original: "This is a very hard choice, but we think the price is worth it.”) Zu diesem Zeitpunkt war sie noch US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen. Die Regierung Clinton befand sich derzeit im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl am 05.11.2006 und ihr möglicher Posten als Außenministerin wird sicherlich schon fest eingeplant gewesen sein. Sie gehörte also zum engsten Führunsstab der Regierung Clinton. Mit "wir" wird Albright vor allem auch Clinton gemeint haben. (nebenbei entlastet das "wir" von der Verantwortung...)
Ich habe bisher keine Äußerungen von Bill Clinton finden können, in denen er sein Bedauern zum Ausdruck brachte und die Iraker um Entschuldigung bat. Dieses Embargo, schrieben die US-Wissenschaftler Noam Chomsky und Edward Said, sei „keine Außenpolitik“, sondern „sanktionierter Massenmord“. (vgl. Büttner, 2004, S. 234) Und in der Tat war Bill Clinton für den massenhaften Tod von Menschen verantwortlich.
Vor den US-Präsidentschaftswahlen im Jahre 2000 führte Amy Goodman ein interessantes spontanes Interview mit Bill Clinton. Clinton wies darin alle Verantwortung bzgl. des Embargos von sich:
AMY GOODMAN: President Clinton, UN figures show that up to 5,000 children a month die in Iraq because of the sanctions against Iraq.
PRESIDENT CLINTON: (Overlap) That’s not true. That’s not true. And that’s not what they show. (…)
Anschließend gibt er Saddam Hussein die Schuld am Leid der irakischen Bevölkerung und sagt, dass Hussein mehr Geld zur Verfügung gestanden hätte, als vor dem Krieg und den Sanktionen. „He has more money today than he did before the embargo, and if they’re hungry or they are not getting medicine, it is his own fault.“
Ein Artikel in ”der Freitag” macht deutlich, dass Clinton hier nicht die Wahrheit sagte.
Hans Graf von Sponeck, der ab 1998 das Programm Oil for Food leitete und im Februar 2000 aus Protest von seinem Amt zurücktrat, hat mit detaillierten Aussagen aufgedeckt, dass die USA und Großbritannien die Weltöffentlichkeit bzgl. der Sanktionspraxis manipulierten. In der Weltöffentlichkeit wurde die Darstellung lanciert, „der irakische Diktator behindere das Oil for Food-Programm und beschaffe sich mit den entsprechenden Einnahmen neue Waffen und Paläste. Wie Hans von Sponeck belegt, wurde diese Version 1999 in einer Studie des US-Außenministeriums vertreten und dank einflussreicher US-Medien weltweit kolportiert. Gegenteilige Erklärungen, etwa von Caritas, Care und anderen NGO, wonach nicht Saddam, sondern allein die Praxis der Sanktionen die entscheidende Ursache für das Leiden der Iraker seien, wurden ebenso ignoriert wie die Reports des Beauftragten von Sponeck an den UN-Generalsekretär.“ Und „Jahrelang haben westliche Regierungen und Medien, ebenso die Öffentlichkeit (auch wir selbst), an das Märchen geglaubt, es sei Saddam Hussein, der die Gelder aus dem Programm Oil for Food für die Rüstung abzweige und dafür vorsätzlich den Tod Hunderttausender Iraker in Kauf nehme. Tatsächlich jedoch war sein Regime dank der strengen UN-Kontrollen zu einer solchen Zweckentfremdung der Gelder nie in der Lage.“
Madeleine Albright hat dagegen deutlich gemacht, dass der Tod der zivilen Bevölkerung bewusst durch die US-Regierung in Kauf genommen wurde. Bei dieser Gelegenheit krampte ich das Buch „Stupid White Men“ von Michael Moore (2002) aus dem Keller. Dessen Sprache liegt mir nicht mehr, aber folgende Passage bzgl. Clintons destruktiver Umweltpolitik möchte ich hier zitieren: Bill Clinton „hat festgestellt, dass etwas sagen praktisch das Gleiche ist wie etwas tun. Wenn man sagt, man sei für eine saubere Umwelt, dann reicht das völlig aus – man brauchte nichts weiter zu tun für eine saubere Umwelt. Man könnte sie sogar ungestraft noch stärker verschmutzen, und die meisten Menschen würden das gar nicht merken.“ (S. 266)
Und so ähnlich verhielt es sich wohl auch mit dem Irak (und auch Jugoslawien). Clinton sagte: „Ich tue das für das Volk der Iraker, für die Menschen auf dem Balkan. Wir sind die Guten. Wir sind für Frieden und Freiheit. Deshalb bombardieren wir Euch und deshalb bekommt ihr nichts zu essen.“ Bill Clinton, so scheint es, hat eine Scheinpersönlichkeit aufgebaut (siehe auch Anmerkungen zu seiner Kindheit im vorherigen Beitrag). Und die Menschen wollten es ihm glauben. Das ist das absurde Zusammenspiel vom emotional Delegierten und dem Volk. Letztlich hat er auch seit Kindheit an lernen müssen, die Augen vor Realitäten, vor eigenem Schmerz und Qualen zu verschließen. Für das Leid Anderer scheint er ebenfalls blind zu sein.
Die Auszeichnungen (davon einige in Deutschland), die Clinton erhielt, sind ein Skandal. Ebenso unverstänlich ist, dass er weiterhin salonfähig ist, diverse Ämter inne hatte und weiterhin als Redner international gefragt und hoch bezahlt ist.
Montag, 9. August 2010
Bill Clinton: Kindheit und Kriegsführungspersönlichkeit
Kürzlich bin ich auf eine Chronologie aller US-Militäreinsätze und Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg bis Ende 1999 gestoßen. Ich erinnerte mich dabei an einen Satz von Lloyd deMause: Bill Clinton "hat es in seiner Amtszeit übrigens fertiggebracht, mehr Nationen zu bombardieren als jeder andere Präsident in der US-Geschichte vor ihm." ("Entschärft die menschlichen Zeitbomben", Interview mit Lloyd deMause)
Hier nun die Einsätze und Kriege während Clintons Amtszeit (wobei ihm auch ein paar wenige „vererbt“ wurden, er war vom 20. Januar 1993 bis Anfang 2001 im Amt, militärische Konflikte/Einsätze, die mit einem Datum vor dem 20. Januar 1993 aufgeführt werden, wurden von Clinton weitergeführt):
Operation "Distant Runner": Ruanda, 9. April 1994 bis 15. April 1994
Operationen "Quiet Resolve"/"Support Hope": Ruanda, 22. Juli 1994 bis 30. September 1994
Operation "Uphold/Restore Democracy": Haiti, 19. September 1994 bis 31. März 1995
Operation "United Shield": Somalia, 22. Januar 1995 bis 25. März 1995
Operation "Assured Response": Liberia, April 1996 bis August 1996
Operation "Quick Response": Zentralafrikanische Republik, Mai 1996 bis August 1996
Operation "Guardian Assistance": Zaire/Ruanda/Uganda, 15. November 1996 bis 27. Dezember 1996
Operation "Pacific Haven/Quick Transit": Irak - Guam, 15. September 1996 bis 16. Dezember 1996
Operation "Guardian Retrieval": Kongo, März 1997 bis Juni 1997
Operation "Noble Obelisk": Sierra Leone, Mai 1997 bis Juni 1997
Operation "Bevel Edge": Kambodscha, Juli 1997
Operation "Noble Response": Kenia, 21. Januar 1998 bis 25. März 1998
Operation "Shepherd Venture": Guinea-Bissau, 10. Juni 1998 bis 17. Juni 1998
Operation "Infinite Reach": Sudan/Afghanistan, 20. bis 30. August 1998
Operation "Golden Pheasant": Honduras, ab März 1988
Operation "Safe Border": Peru/Ekuador, ab 1995
Operation "Laser Strike": Südafrika, ab 1. April 1996
Operation "Steady State": Südamerika, 1994 bis April 1996
Operation "Support Justice": Südamerika, 1991 bis 1994
Operation "Wipeout": Hawaii, ab 1990
Operation "Coronet Oak": Zentral- und Südamerika, Oktober 1977 bis 17. Februar 1999
Operation "Coronet Nighthawk": Zentral- und Südamerika, ab 1991
Operation "Desert Falcon": Saudi Arabien, ab 31. März 1991
Operation "Northern Watch": Kurdistan, ab 31. Dezember 1996
Operation "Provide Comfort": Kurdistan, 5. April 1991 bis Dezember 1994
Operation "Provide Comfort II": Kurdistan, 24. Juli 1991 bis 31. Dezember 1996
Operation "Vigilant Sentine I": Kuwait, ab August 1995
Operation "Vigilant Warrior": Kuwait, Oktober 1994 bis November 1994
Operation "Desert Focus": Saudi Arabien, ab Juli 1996
Operation "Phoenix Scorpion I": Irak, ab November 1997
Operation "Phoenix Scorpion II": Irak, ab Februar 1998
Operation "Phoenix Scorpion III": Irak, ab November 1998
Operation "Phoenix Scorpion IV": Irak, ab Dezember 1998
Operation "Desert Strike": Irak, 3. September 1996; Cruise Missile-Angriffe: Irak, 26. Juni 1993, 17. Januar 1993, Bombardements: Irak, 13. Januar 1993
Operation "Desert Fox": Irak, 16. Dezember 1998 bis 20. Dezember 1998
Operation "Provide Promise": Bosnien, 3. Juli 1992 bis 31. März 1996
Operation "Decisive Enhancement": Adria, 1. Dezember 1995 bis 19. Juni 1996
Operation "Sharp Guard": Adria, 15. Juni 1993 bis Dezember 1995
Operation "Maritime Guard": Adria, 22. November 1992 bis 15. Juni 1993
Operation "Maritime Monitor": Adria, 16. Juli 1992 bis 22. November 1992
Operation "Sky Monitor": Bosnien-Herzegowina, ab 16. Oktober 1992
Operation "Deliberate Forke": Bosnien-Herzegowina, ab 20. Juni 1998
Operation "Decisive Edeavor/Decisive Edge": Bosnien-Herzegowina, Januar 1996 bis Dezember 1996
Operation "Deny Flight": Bosnien, 12. April 1993 bis 20. Dezember 1995
Operation "Able Sentry": Serbien-Mazedonien, ab 5. Juli 1994
Operation "Nomad Edeavor": Taszar, Ungarn, ab März 1996
Operation "Nomad Vigil": Albanien, 1. Juli 1995 bis 5. November 1996
Operation "Quick Lift": Kroatien, Juli 1995
Operation "Deliberate Force": Republika Srpska, 29. August 1995 bis 21. September 1995
Operation "Joint Forge": ab 20. Juni 1998
Operation "Joint Guard": Bosnien-Herzegowina, 20. Juni 1998
Operation "Joint Edeavor": Bosnien-Herzegowina, Dezember 1995 bis Dezember 1996
Operation "Determined Effort": Bosnien, Juli 1995 bis Dezember 1995
Operation "Determined Falcon": Kosovo/Albanien, 15. Juni 1998 bis 16. Juni 1998
Operation "Eagle Eye": Kosovo, 16. Oktober 1998 bis 24. März 1999
Operation "Sustain Hope/Allied Harbour": Kosovo, ab 5. April 1999
Operation "Shining Hope": Kosovo, ab 5. April 1999
Operation "Cobalt Flash": Kosovo, ab 23. März 1999
Operation "Determined Force": Kosovo, 8. Oktober 1998 bis 23. März 1999
Der größte Kampfeinsatz war dabei bekanntlich der auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens, der vor allem Folgen für die Zivilbevölkerung hatte: "In den 79 Tagen und Nächten vom 24. März bis 10. Juni 1999 flogen die NATO-Luftstreitkräfte mit zunächst 420 und schließlich 1.200 Flugzeugen insgesamt 37.465 Einsätze, bei denen sie 20.000 Raketen und Bomben auf das gesamte Territorium der Bundesrepublik Jugoslawien abfeuerten. Allein schon diese Tatsache macht deutlich, wie falsch und irreführend der Propaganda-Begriff vom ‚Kosovo-Krieg‘ ist. Bei diesem ersten Krieg gegen eine entwickelte Industrielandschaft in Europa wurden mindestens 200 Fabriken und Kraftwerke, 300 Schulen, 50 Krankenhäuser und 50 Brücken zerstört, womit die Wirtschaft Jugoslawiens etwa auf den Stand von 1900 zurückgeworfen wurde. Durch das systematische Bombardement von Betrieben der chemischen und pharmazeutischen Industrie, von Öl-Raffinerien und -Depots wurde in Jugoslawien und seinen Nachbarstaaten die größte Umwelt-Schädigung seit dem Krieg der USA gegen Vietnam verursacht." ("Kollateralschäden" oder Kriegsverbrechen? Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien und das Kriegsvölkerrecht von Ernst Woit) Darüberhinaus gibt es viele Hinweise darauf, dass große Flüchtlingsströme überhaupt erst durch die NATO-Bombardements ausgelöst wurden. (Hier sei nochmal wiederholt, dass die NATO 37.465 Kampfeinsätze flog!)
Über Bill Clintons Kindheit und seine Kriegsführungspersönlichkeit hatte ich kurz etwas hier geschrieben. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch mal deMause in seiner Schilderung über Bill Clintons Kindheit ausführlich zitieren:
„Folgt man seinem Biographen, war Clintons Familienrolle ebenfalls die eines sich aufopfernden Helden, der der "Umsorger und Beschützer der Familie" und seiner Mutter Virginia war.4 Sein alkoholischer Stiefvater war so gewalttätig seiner Mutter gegenüber, daß Clinton sich daran erinnert, wie dieser mit einem Gewehr auf seine Mutter geschossen hat, als er selber fünf Jahre alt war, und der kleine Billy "mußte zweimal echte Gewalttätigkeiten stoppen, als Roger drohte, Virginia umzubringen".5 Clintons Rolle des Familienhelden" war es natürlich, die ihn zu so einem meisterhaften Politiker machte, der fähig ist, die unbewußten emotionalen Bedürfnisse anderer zu spüren und seine eigenen Werte für die Verherrlichung, die er dadurch gewann, zu opfern. Es gab wenig Liebe in seiner Familie. Sein Stiefvater mißhandelte ihn physisch während seiner Trunkenheits-Wutanfälle, und seine Großmutter, die sich in den ersten Jahren, als die Mutter abwesend war, hauptsächlich um ihn kümmerte, hatte ein "grimmiges Wesen" und verwendete zweifellos "eine Peitsche" gegen ihn, wie sie es auch bei seiner Mutter getan hatte, als diese klein war.6
Zusätzlich zu diesem körperlichen Mißbrauch war Bill Clinton auch ein ungewünschtes Kind, dessen Mutter ihn als Kleinkind zwei Jahre lang bei ihrer Mutter ließ, während sie in eine andere Stadt zog, um eine Krankenschwestern-Ausbildung zu absolvieren, und die ihn später, während er aufwuchs, regelmaßig allein ließ und sich dem Glücksspiel widmete. "Ich wurde erzogen in der Art von Kultur, wo du ein glückliches Gesicht machst und deine Schmerzen und Qualen nicht zu erkennen gibst", sagte er.7 Der Psychotherapeut Jerome Levin verbindet Clintons suchthaften Sex mit Hunderten von Frauen unmittelbar mit seiner einsamen Kindheit.“
http://www.mattes.de/buecher/psychohistorie/978-3-930978-44-1_demause.pdf
Bill Clinton wörtlich über seinen Stiefvater: "Er war ein guter Kerl, aber er hatte dieses Alkoholproblem. Er konnte seine Dämonen nicht kontrollieren - daraus entstanden Hass und Zerstörung. Ich habe sein Handeln gehasst, ihn habe ich nicht gehasst. Die Gewalt nahm kein Ende. Irgendwann haben meine Mutter und ich erkannt, das wir uns entscheiden mussten. Wir entschieden, dies alles zu ertragen, und unser Leben so normal wie möglich fortzusetzen." (Zitiert nach einer Rezension von Clintons Biografie "Mein Leben" im Deutschlandradio)
Bill Clinton spricht - so die Rezension weiter - nach eigener Aussage über "Dämonen", die er mit ins Weiße Haus trug und auch von einem Doppelleben. Auch der stern schreibt in seiner Buchbesprechung etwas von Dämonen: "Nach einem Jahr intensiver Eheberatung und seinem Freispruch im Amtsenthebungsverfahren habe er sich dann am Ende "befreit" (von seinen "Dämonen") gefühlt." Dies sind klassische Hinweise auf abgespaltene emotionale Anteile, wie sie fast immer bei Menschen vorkommen, die solch extreme Gewalt in der Kindheit erfahren haben. Das an sich ist etwas, was nun einmal Realität im Leben von Clinton war. Wenn diese Realität nicht aufgearbeitet wird - und Clinton selbst sagt ja einiges zum Thema "Wegsehen" und Verdrängen -, dann besteht die Gefahr, dass einen die "Dämonen" von einst wieder einholen, erst recht gilt dies, wenn man der mächtigste Mann der Welt wird inkl. einer großen Militärmaschinerie hinter sich...
Wenn man sich diese o.g. Informationen vor Augen führt, hätte ich den "Demokraten" Bill Clinton auch gut im Grundlagentext unter Kapitel 3. aufführen können…
siehe ergänzend: "Bill Clinton. "Dämonen" im Kopf und sanktionierter Massenmord"
Hier nun die Einsätze und Kriege während Clintons Amtszeit (wobei ihm auch ein paar wenige „vererbt“ wurden, er war vom 20. Januar 1993 bis Anfang 2001 im Amt, militärische Konflikte/Einsätze, die mit einem Datum vor dem 20. Januar 1993 aufgeführt werden, wurden von Clinton weitergeführt):
Operation "Distant Runner": Ruanda, 9. April 1994 bis 15. April 1994
Operationen "Quiet Resolve"/"Support Hope": Ruanda, 22. Juli 1994 bis 30. September 1994
Operation "Uphold/Restore Democracy": Haiti, 19. September 1994 bis 31. März 1995
Operation "United Shield": Somalia, 22. Januar 1995 bis 25. März 1995
Operation "Assured Response": Liberia, April 1996 bis August 1996
Operation "Quick Response": Zentralafrikanische Republik, Mai 1996 bis August 1996
Operation "Guardian Assistance": Zaire/Ruanda/Uganda, 15. November 1996 bis 27. Dezember 1996
Operation "Pacific Haven/Quick Transit": Irak - Guam, 15. September 1996 bis 16. Dezember 1996
Operation "Guardian Retrieval": Kongo, März 1997 bis Juni 1997
Operation "Noble Obelisk": Sierra Leone, Mai 1997 bis Juni 1997
Operation "Bevel Edge": Kambodscha, Juli 1997
Operation "Noble Response": Kenia, 21. Januar 1998 bis 25. März 1998
Operation "Shepherd Venture": Guinea-Bissau, 10. Juni 1998 bis 17. Juni 1998
Operation "Infinite Reach": Sudan/Afghanistan, 20. bis 30. August 1998
Operation "Golden Pheasant": Honduras, ab März 1988
Operation "Safe Border": Peru/Ekuador, ab 1995
Operation "Laser Strike": Südafrika, ab 1. April 1996
Operation "Steady State": Südamerika, 1994 bis April 1996
Operation "Support Justice": Südamerika, 1991 bis 1994
Operation "Wipeout": Hawaii, ab 1990
Operation "Coronet Oak": Zentral- und Südamerika, Oktober 1977 bis 17. Februar 1999
Operation "Coronet Nighthawk": Zentral- und Südamerika, ab 1991
Operation "Desert Falcon": Saudi Arabien, ab 31. März 1991
Operation "Northern Watch": Kurdistan, ab 31. Dezember 1996
Operation "Provide Comfort": Kurdistan, 5. April 1991 bis Dezember 1994
Operation "Provide Comfort II": Kurdistan, 24. Juli 1991 bis 31. Dezember 1996
Operation "Vigilant Sentine I": Kuwait, ab August 1995
Operation "Vigilant Warrior": Kuwait, Oktober 1994 bis November 1994
Operation "Desert Focus": Saudi Arabien, ab Juli 1996
Operation "Phoenix Scorpion I": Irak, ab November 1997
Operation "Phoenix Scorpion II": Irak, ab Februar 1998
Operation "Phoenix Scorpion III": Irak, ab November 1998
Operation "Phoenix Scorpion IV": Irak, ab Dezember 1998
Operation "Desert Strike": Irak, 3. September 1996; Cruise Missile-Angriffe: Irak, 26. Juni 1993, 17. Januar 1993, Bombardements: Irak, 13. Januar 1993
Operation "Desert Fox": Irak, 16. Dezember 1998 bis 20. Dezember 1998
Operation "Provide Promise": Bosnien, 3. Juli 1992 bis 31. März 1996
Operation "Decisive Enhancement": Adria, 1. Dezember 1995 bis 19. Juni 1996
Operation "Sharp Guard": Adria, 15. Juni 1993 bis Dezember 1995
Operation "Maritime Guard": Adria, 22. November 1992 bis 15. Juni 1993
Operation "Maritime Monitor": Adria, 16. Juli 1992 bis 22. November 1992
Operation "Sky Monitor": Bosnien-Herzegowina, ab 16. Oktober 1992
Operation "Deliberate Forke": Bosnien-Herzegowina, ab 20. Juni 1998
Operation "Decisive Edeavor/Decisive Edge": Bosnien-Herzegowina, Januar 1996 bis Dezember 1996
Operation "Deny Flight": Bosnien, 12. April 1993 bis 20. Dezember 1995
Operation "Able Sentry": Serbien-Mazedonien, ab 5. Juli 1994
Operation "Nomad Edeavor": Taszar, Ungarn, ab März 1996
Operation "Nomad Vigil": Albanien, 1. Juli 1995 bis 5. November 1996
Operation "Quick Lift": Kroatien, Juli 1995
Operation "Deliberate Force": Republika Srpska, 29. August 1995 bis 21. September 1995
Operation "Joint Forge": ab 20. Juni 1998
Operation "Joint Guard": Bosnien-Herzegowina, 20. Juni 1998
Operation "Joint Edeavor": Bosnien-Herzegowina, Dezember 1995 bis Dezember 1996
Operation "Determined Effort": Bosnien, Juli 1995 bis Dezember 1995
Operation "Determined Falcon": Kosovo/Albanien, 15. Juni 1998 bis 16. Juni 1998
Operation "Eagle Eye": Kosovo, 16. Oktober 1998 bis 24. März 1999
Operation "Sustain Hope/Allied Harbour": Kosovo, ab 5. April 1999
Operation "Shining Hope": Kosovo, ab 5. April 1999
Operation "Cobalt Flash": Kosovo, ab 23. März 1999
Operation "Determined Force": Kosovo, 8. Oktober 1998 bis 23. März 1999
Der größte Kampfeinsatz war dabei bekanntlich der auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens, der vor allem Folgen für die Zivilbevölkerung hatte: "In den 79 Tagen und Nächten vom 24. März bis 10. Juni 1999 flogen die NATO-Luftstreitkräfte mit zunächst 420 und schließlich 1.200 Flugzeugen insgesamt 37.465 Einsätze, bei denen sie 20.000 Raketen und Bomben auf das gesamte Territorium der Bundesrepublik Jugoslawien abfeuerten. Allein schon diese Tatsache macht deutlich, wie falsch und irreführend der Propaganda-Begriff vom ‚Kosovo-Krieg‘ ist. Bei diesem ersten Krieg gegen eine entwickelte Industrielandschaft in Europa wurden mindestens 200 Fabriken und Kraftwerke, 300 Schulen, 50 Krankenhäuser und 50 Brücken zerstört, womit die Wirtschaft Jugoslawiens etwa auf den Stand von 1900 zurückgeworfen wurde. Durch das systematische Bombardement von Betrieben der chemischen und pharmazeutischen Industrie, von Öl-Raffinerien und -Depots wurde in Jugoslawien und seinen Nachbarstaaten die größte Umwelt-Schädigung seit dem Krieg der USA gegen Vietnam verursacht." ("Kollateralschäden" oder Kriegsverbrechen? Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien und das Kriegsvölkerrecht von Ernst Woit) Darüberhinaus gibt es viele Hinweise darauf, dass große Flüchtlingsströme überhaupt erst durch die NATO-Bombardements ausgelöst wurden. (Hier sei nochmal wiederholt, dass die NATO 37.465 Kampfeinsätze flog!)
Über Bill Clintons Kindheit und seine Kriegsführungspersönlichkeit hatte ich kurz etwas hier geschrieben. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch mal deMause in seiner Schilderung über Bill Clintons Kindheit ausführlich zitieren:
„Folgt man seinem Biographen, war Clintons Familienrolle ebenfalls die eines sich aufopfernden Helden, der der "Umsorger und Beschützer der Familie" und seiner Mutter Virginia war.4 Sein alkoholischer Stiefvater war so gewalttätig seiner Mutter gegenüber, daß Clinton sich daran erinnert, wie dieser mit einem Gewehr auf seine Mutter geschossen hat, als er selber fünf Jahre alt war, und der kleine Billy "mußte zweimal echte Gewalttätigkeiten stoppen, als Roger drohte, Virginia umzubringen".5 Clintons Rolle des Familienhelden" war es natürlich, die ihn zu so einem meisterhaften Politiker machte, der fähig ist, die unbewußten emotionalen Bedürfnisse anderer zu spüren und seine eigenen Werte für die Verherrlichung, die er dadurch gewann, zu opfern. Es gab wenig Liebe in seiner Familie. Sein Stiefvater mißhandelte ihn physisch während seiner Trunkenheits-Wutanfälle, und seine Großmutter, die sich in den ersten Jahren, als die Mutter abwesend war, hauptsächlich um ihn kümmerte, hatte ein "grimmiges Wesen" und verwendete zweifellos "eine Peitsche" gegen ihn, wie sie es auch bei seiner Mutter getan hatte, als diese klein war.6
Zusätzlich zu diesem körperlichen Mißbrauch war Bill Clinton auch ein ungewünschtes Kind, dessen Mutter ihn als Kleinkind zwei Jahre lang bei ihrer Mutter ließ, während sie in eine andere Stadt zog, um eine Krankenschwestern-Ausbildung zu absolvieren, und die ihn später, während er aufwuchs, regelmaßig allein ließ und sich dem Glücksspiel widmete. "Ich wurde erzogen in der Art von Kultur, wo du ein glückliches Gesicht machst und deine Schmerzen und Qualen nicht zu erkennen gibst", sagte er.7 Der Psychotherapeut Jerome Levin verbindet Clintons suchthaften Sex mit Hunderten von Frauen unmittelbar mit seiner einsamen Kindheit.“
http://www.mattes.de/buecher/psychohistorie/978-3-930978-44-1_demause.pdf
Bill Clinton wörtlich über seinen Stiefvater: "Er war ein guter Kerl, aber er hatte dieses Alkoholproblem. Er konnte seine Dämonen nicht kontrollieren - daraus entstanden Hass und Zerstörung. Ich habe sein Handeln gehasst, ihn habe ich nicht gehasst. Die Gewalt nahm kein Ende. Irgendwann haben meine Mutter und ich erkannt, das wir uns entscheiden mussten. Wir entschieden, dies alles zu ertragen, und unser Leben so normal wie möglich fortzusetzen." (Zitiert nach einer Rezension von Clintons Biografie "Mein Leben" im Deutschlandradio)
Bill Clinton spricht - so die Rezension weiter - nach eigener Aussage über "Dämonen", die er mit ins Weiße Haus trug und auch von einem Doppelleben. Auch der stern schreibt in seiner Buchbesprechung etwas von Dämonen: "Nach einem Jahr intensiver Eheberatung und seinem Freispruch im Amtsenthebungsverfahren habe er sich dann am Ende "befreit" (von seinen "Dämonen") gefühlt." Dies sind klassische Hinweise auf abgespaltene emotionale Anteile, wie sie fast immer bei Menschen vorkommen, die solch extreme Gewalt in der Kindheit erfahren haben. Das an sich ist etwas, was nun einmal Realität im Leben von Clinton war. Wenn diese Realität nicht aufgearbeitet wird - und Clinton selbst sagt ja einiges zum Thema "Wegsehen" und Verdrängen -, dann besteht die Gefahr, dass einen die "Dämonen" von einst wieder einholen, erst recht gilt dies, wenn man der mächtigste Mann der Welt wird inkl. einer großen Militärmaschinerie hinter sich...
Wenn man sich diese o.g. Informationen vor Augen führt, hätte ich den "Demokraten" Bill Clinton auch gut im Grundlagentext unter Kapitel 3. aufführen können…
siehe ergänzend: "Bill Clinton. "Dämonen" im Kopf und sanktionierter Massenmord"
Freitag, 6. August 2010
Afghanistan: Gewalt gegen Kinder und der (un)mögliche Frieden
„Afghanistan braucht vor allem mehr Kinderschutz und nicht mehr deutsche Soldaten!“, schrieb ich im September 2009 in dem Beitrag „Lösungen für Afghanistan“
Damals wie heute ist es schwierig, genaue Zahlen zur Gewalt gegen Kinder in diesem Land zu finden. Klassisch sind z.B. Berichte wie dieser von Amnesty International aus dem Jahr 2003. Im Kapitel 5.1 „Gewalt gegen Frauen und Mädchen innerhalb der Familie“ wird auf Grund allgemeiner Berichte und Erfahrungen von der Alltäglichkeit der häuslichen Gewalt und auch öffentlichen Gewalt berichtet, konkrete Studien fehlen aber. Ein anderes Beispiel: Die Caritas ließ 3600 Frauen in Kabul zu ihrer Lebenssituation befragen. (Studie "Women in Kabul"). Erfahrungen von Gewalt in der Kindheit und zu häuslicher Gewalt durch Ehemänner wurden bei dieser Gelegenheit nicht abgefragt.
Um so erstaunter war ich, als ich kürzlich die Diplomarbeit (Fachbereich Psychologie der Universität Konstanz) von JeanPaul Leo François Bette (2006) mit dem Titel „PTBS, häusliche Gewalt und Kinderarbeit – eine epidemiologische Untersuchung von Schulkindern in Kabul, Afghanistan“ fand.
In den Einleitungen zum Thema schreibt Bette: „700.000 Witwen und 200.000 durch Bomben und Minen verkrüppelte Väter haben keine andere Überlebensmöglichkeit als ihre Kinder. Viele arbeiten in Fabriken, in Läden oder in der Teppichindustrie. In Kabul arbeiten schätzungsweise 60.000 Kinder unter meist sehr schwierigen und unsicheren Bedingungen. Viele von ihnen werden nicht nur zur Arbeit gezwungen, sondern auch sexuell ausgebeutet.“
287 afghanische Schulkinder aus dem Dashti Barchi Distrikt in Kabul im Alter von 7 bis 14 Jahren wurden in Interviews befragt. Die Ergebnisse sind wie erwartet erschütternd:
31% der Kinder gaben an, dass ihre Mutter von ihrem Vater geschlagen würde und 4,3% der Kinder gaben an, dass auch die Mutter ihren Vater schlagen würde. 41,6% der Kinder berichteten, von ihrem Vater geschlagen zu werden und 59,9% berichteten, von ihrer Mutter geschlagen zu werden. 37,8% der Kinder wurden von ihren älteren Geschwistern geschlagen.
Fast ein Drittel aller Kinder berichtete von mehr als fünf Typen häuslicher Gewalterfahrungen. Die Typen häuslicher Gewalterfahrung, die am häufigsten berichtet wurden waren Schläge auf den Körper, die Arme oder die Beine und angeschrien, oder beleidigt zu werden.
11,4% der Kinde, gaben an, aufgrund familiärer Gewalt verletzt worden zu sein. 8,6% so schlimm, dass sie daraufhin medizinisch versorgt werden mussten. Häufig berichtet wurden dabei „blaue Augen“, Verletzungen an Kopf und Gesicht, Platzwunden und gebrochene Gliedmaßen.
58,8% der Jungen und 40,2% der Mädchen berichteten zudem über mindestens ein kriegerisches Ereignis in ihrem Leben. 20% der Jungen und 13% der Mädchen berichteten über mehr als drei kriegerische Ereignisse in ihrem Leben.
„Insgesamt erfahren Jungen nicht nur signifikant mehr verschiedene Typen häuslicher Gewalt als Mädchen, sondern geben auch signifikant mehr verschiedene Typen kriegsbedingter Gewalterfahrungen an.“, schreibt Bette in der Nachbesprechung der Arbeit.
Bette stellt in dieser Arbeit richtigerweise einen Zusammenhang zwischen erlebter kriegerischer Gewalt und häuslicher Gewalt fest. Leider wird über den umgekehrten Zusammenhang nicht diskutiert, nämlich dass häusliche Gewalt bzw. Gewalterfahrungen in der Kindheit wiederum zu kriegerischer Gewalt führen können. Aber das nur nebenbei.
Diese Arbeit zeigt neben den anderen Infos zwei interessante Aspekte, die in der westlichen Öffentlichkeit kaum besprochen wurden. Erstens die hohe Gewaltrate von weiblicher bzw. mütterlicher Gewalt gegen Kinder von 59,9 %. Hier ist zu vermuten, dass die Frauen, die in der afghanischen Gesellschaft als „Giftcontainer“ für männliche Niederlagen, Ohnmachtserfahrungen und Verletzungen herhalten müssen, wiederum ihre Kinder als „Giftcontainer“ benutzen. Niemand sonst steht unter ihnen und über niemanden sonst verfügen sie über Macht. Der Kreis der Gewalt ist somit geschlossen. In der islamischen Welt ist die Erziehung der Kinder hauptsächlich Frauensache. Wenn fast 60 % der afghanischen Kinder von ihren Müttern geschlagen werden, dann sagt das auch etwas über die sonstigen Umgangsformen mit Säuglingen, Kleinkindern und Kindern aus. Und wenn dann noch 41,6% von ihren Väter - soweit sie anwesend sind - Schläge bekommen, dann lässt sich erahnen, warum die afghanische Gesellschaft auch im Politischen so im Chaos und in Gewalt versinkt.
Zweitens sind auch Jungen vielfachen Gewalterfahrungen ausgesetzt. Trotzdem gilt im Westen hauptsächlich das Argument „Mädchenschulen“, „häusliche Gewalt gegen Mädchen“, „Mädchenunterdrückung“ usw. Diese Jungen werden irgendwann erwachsene Männer sein. Neben den Mädchen muss auch den Jungen gezielt geholfen werden, aus humanitären Gründen, aber auch, damit sie die Gewalt später nicht weitergeben und für eine demokratische Gesellschaft arbeiten. Werden ihre Ohnmachtserfahrungen ausgeblendet, wird ihnen nicht geholfen wird es auch langfristig keinen Frieden in Afghanistan geben.
Damals wie heute ist es schwierig, genaue Zahlen zur Gewalt gegen Kinder in diesem Land zu finden. Klassisch sind z.B. Berichte wie dieser von Amnesty International aus dem Jahr 2003. Im Kapitel 5.1 „Gewalt gegen Frauen und Mädchen innerhalb der Familie“ wird auf Grund allgemeiner Berichte und Erfahrungen von der Alltäglichkeit der häuslichen Gewalt und auch öffentlichen Gewalt berichtet, konkrete Studien fehlen aber. Ein anderes Beispiel: Die Caritas ließ 3600 Frauen in Kabul zu ihrer Lebenssituation befragen. (Studie "Women in Kabul"). Erfahrungen von Gewalt in der Kindheit und zu häuslicher Gewalt durch Ehemänner wurden bei dieser Gelegenheit nicht abgefragt.
Um so erstaunter war ich, als ich kürzlich die Diplomarbeit (Fachbereich Psychologie der Universität Konstanz) von JeanPaul Leo François Bette (2006) mit dem Titel „PTBS, häusliche Gewalt und Kinderarbeit – eine epidemiologische Untersuchung von Schulkindern in Kabul, Afghanistan“ fand.
In den Einleitungen zum Thema schreibt Bette: „700.000 Witwen und 200.000 durch Bomben und Minen verkrüppelte Väter haben keine andere Überlebensmöglichkeit als ihre Kinder. Viele arbeiten in Fabriken, in Läden oder in der Teppichindustrie. In Kabul arbeiten schätzungsweise 60.000 Kinder unter meist sehr schwierigen und unsicheren Bedingungen. Viele von ihnen werden nicht nur zur Arbeit gezwungen, sondern auch sexuell ausgebeutet.“
287 afghanische Schulkinder aus dem Dashti Barchi Distrikt in Kabul im Alter von 7 bis 14 Jahren wurden in Interviews befragt. Die Ergebnisse sind wie erwartet erschütternd:
31% der Kinder gaben an, dass ihre Mutter von ihrem Vater geschlagen würde und 4,3% der Kinder gaben an, dass auch die Mutter ihren Vater schlagen würde. 41,6% der Kinder berichteten, von ihrem Vater geschlagen zu werden und 59,9% berichteten, von ihrer Mutter geschlagen zu werden. 37,8% der Kinder wurden von ihren älteren Geschwistern geschlagen.
Fast ein Drittel aller Kinder berichtete von mehr als fünf Typen häuslicher Gewalterfahrungen. Die Typen häuslicher Gewalterfahrung, die am häufigsten berichtet wurden waren Schläge auf den Körper, die Arme oder die Beine und angeschrien, oder beleidigt zu werden.
11,4% der Kinde, gaben an, aufgrund familiärer Gewalt verletzt worden zu sein. 8,6% so schlimm, dass sie daraufhin medizinisch versorgt werden mussten. Häufig berichtet wurden dabei „blaue Augen“, Verletzungen an Kopf und Gesicht, Platzwunden und gebrochene Gliedmaßen.
58,8% der Jungen und 40,2% der Mädchen berichteten zudem über mindestens ein kriegerisches Ereignis in ihrem Leben. 20% der Jungen und 13% der Mädchen berichteten über mehr als drei kriegerische Ereignisse in ihrem Leben.
„Insgesamt erfahren Jungen nicht nur signifikant mehr verschiedene Typen häuslicher Gewalt als Mädchen, sondern geben auch signifikant mehr verschiedene Typen kriegsbedingter Gewalterfahrungen an.“, schreibt Bette in der Nachbesprechung der Arbeit.
Bette stellt in dieser Arbeit richtigerweise einen Zusammenhang zwischen erlebter kriegerischer Gewalt und häuslicher Gewalt fest. Leider wird über den umgekehrten Zusammenhang nicht diskutiert, nämlich dass häusliche Gewalt bzw. Gewalterfahrungen in der Kindheit wiederum zu kriegerischer Gewalt führen können. Aber das nur nebenbei.
Diese Arbeit zeigt neben den anderen Infos zwei interessante Aspekte, die in der westlichen Öffentlichkeit kaum besprochen wurden. Erstens die hohe Gewaltrate von weiblicher bzw. mütterlicher Gewalt gegen Kinder von 59,9 %. Hier ist zu vermuten, dass die Frauen, die in der afghanischen Gesellschaft als „Giftcontainer“ für männliche Niederlagen, Ohnmachtserfahrungen und Verletzungen herhalten müssen, wiederum ihre Kinder als „Giftcontainer“ benutzen. Niemand sonst steht unter ihnen und über niemanden sonst verfügen sie über Macht. Der Kreis der Gewalt ist somit geschlossen. In der islamischen Welt ist die Erziehung der Kinder hauptsächlich Frauensache. Wenn fast 60 % der afghanischen Kinder von ihren Müttern geschlagen werden, dann sagt das auch etwas über die sonstigen Umgangsformen mit Säuglingen, Kleinkindern und Kindern aus. Und wenn dann noch 41,6% von ihren Väter - soweit sie anwesend sind - Schläge bekommen, dann lässt sich erahnen, warum die afghanische Gesellschaft auch im Politischen so im Chaos und in Gewalt versinkt.
Zweitens sind auch Jungen vielfachen Gewalterfahrungen ausgesetzt. Trotzdem gilt im Westen hauptsächlich das Argument „Mädchenschulen“, „häusliche Gewalt gegen Mädchen“, „Mädchenunterdrückung“ usw. Diese Jungen werden irgendwann erwachsene Männer sein. Neben den Mädchen muss auch den Jungen gezielt geholfen werden, aus humanitären Gründen, aber auch, damit sie die Gewalt später nicht weitergeben und für eine demokratische Gesellschaft arbeiten. Werden ihre Ohnmachtserfahrungen ausgeblendet, wird ihnen nicht geholfen wird es auch langfristig keinen Frieden in Afghanistan geben.
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