


1. Bild: Vietnam Cartoon von Gib Crockett, veröffentlicht im Washington Star am 27.04.1965 während des Vietnam Krieges. Der Kopf des Kraken ist der von Ho Chi Minh.
2. Bild: Veröffentlicht in "Palestinian daily Al Hayat Al Jadida" auf Grund des Todes der Söhne von Saddam Hussein Uday and Qusay, die durch US-Truppen getötet wurden.
3. Bild: John Bull and his Friends - A Serio-Comic Map of Europe (1900)
4. Bild: Der chinesische Kommunismus als Krake. Veröffentlicht im November 1950 im New Zealand Herald
Die Darstellung von gefährlichen Frauen ist im Zusammenhang von Krieg - so Lloyd deMause - derart häufig, „(…) dass ein Außerirdischer bei einem Besuch auf unserem Planeten fälschlicherweise daraus schließen könnte, das Weibliche wäre das kriegslüsterne Geschlecht. Von Athene bis Freyja, von Marianne bis Britannia sind furchterregende Frauen als Kriegsgöttinnen dargestellt worden, verschlingend, vergewaltigend und ihre Kinder zerfetzend.“ (deMause, 2005, S. 50) Lloyd deMause fand bei seinen Sammlungen von Cartoons und anderen Bildern über Kriegsfeinde heraus, dass ein Bild noch verbreiteter war, als dass von einer gefährlichen Frau/Mutter. „Es war das einer Meeresbestie, oftmals mit vielen Köpfen und Armen dargestellt, ein Drache, eine Hydra, eine große und giftige Schlange oder ein Oktopus, der der Nation drohte, ihr Blut zu vergiften.“ (ebd., S. 54; siehe auch in englisch online hier) Die tieferen Ursprünge für dieses Bild sieht deMause in dem, was er „fötales Drama“ nennt. Wenn die Mutter, raucht, Drogen nimmt, verletzt ist (eigene Anmerkung: Oder auch Gewalt durch den Partner erlebt) oder starke Ängste hat, entfernt die Plazenta die Giftstoffe nicht aus dem fötalen Blut, das folglich verunreinigt und ohne Sauerstoff ist. „Unter diesen stressvollen Bedingungen erlebt der hilflose Fötus eine erstickende Giftige Plazenta, das Urbild für alle späteren Hassbeziehungen, inklusive der mordenden Mutter, des kastrierenden Vaters und der gefährlichen Feinde.“ (ebd., S. 55) Die Darstellungen von Feinden als Meeresbestien und Kraken etc. sind für deMause Ausdruck des fötalen Kampfes gegen die giftige Plazenta.
So ungewohnt solche Überlegungen für viele sein mögen, es ist wahrscheinlich und wissenschaftlich immer mehr im Blickpunkt (deMause beschreibt ab Seite 56 auch Ergebnisse aus der Fötalpsychologie), dass sich entsprechende belastende Faktoren während der Schwangerschaft sowohl auf den Fötus als auch auf das spätere Kind und den Erwachsenen auswirken können. Dass diese frühen Erfahrungen eher im Symbolischen und Bildlichen ihren Ausdruck finden, ist ebenso naheliegend, da sie natürlich nicht konkret erinnert werden können.
Trotzdem teile ich die Auffassung von deMause nur bedingt. Zunächst einmal glaube ich, dass Kinder grundsätzlich in der Lage sind, entsprechende Belastungen im Mutterleib später auszugleichen und sich trotzdem gut entwickeln können. Werden sie liebevoll empfangen und versorgt, werden sie später kaum das Bedürfnis haben, andere Menschen zu opfern und Angstszenarien vor Vergiftungen durch Fremde und Feinde zu entwerfen. Mütter können nicht immer auch dem Fötus ein optimales Aufwachsen ermöglichen, auch wenn sie dies eigentlich wollen. Kriegs- und Gewalterfahrungen kommen von außen, ebenso Umweltgifte, Hunger, Schicksalsschläge oder Unfälle etc. Solche Mütter können dem geborenen Kind trotzdem Liebe und Geborgenheit schenken und seine Entwicklung fördern, wenn sie dem Kind gegenüber positiv eingestellt sind. Handlungen wie Rauchen, Alkohol- und Drogenkonsum während der Schwangerschaft, ggf. auch die Beziehung zu einem misshandelnden Ehemann sprechen dagegen bereits dafür, dass die Mutter entsprechend destruktiv strukturiert ist. Es ist insofern wahrscheinlicher, dass auch das geborene Kind in entsprechend destruktiven Verhältnissen aufwächst. Die späteren Angstbilder kommen dann eben nicht nur auf Grund des „fötalen Dramas“ zu Tage, sondern auch auf Grund realer Gewalt- und/oder Vernachlässigungserfahrungen.
Ein Beispiel: Die Mutter von Saddam Hussein versuchte diesen während der Schwangerschaft abzutreiben und lehnte ihr ungeborenes Kind ab. Der Fötus erlebte entsprechend das „fötale Drama“. Doch auch die Kindheit des geborenen Saddam war von extremer Destruktivität und Gewalt geprägt und das über Jahre (siehe ausführlich hier). Solche Menschen entwickeln ihren Hass auf Feinde und ihre Ängste auf Grund einer Vielzahl von gewaltvollen Erfahrungen, die sich dann auch symbolisch ausdrücken (Stichwort z.B. Saddams bildlicher Ausspruch „Mutter aller Schlachten“). Im Grunde weiß deMause ja auch darum und beschreibt an anderen Stellen immer wieder deutlich den Einfluss kindlicher Gewalterfahrungen auf das spätere Verhalten des Erwachsenen. Doch mir geht es in diesem Text eben besonders um symbolische Angstbilder. Diese beschreibt deMause leider zu einseitig im Zusammenhang mit fötalen Erfahrungen, wie ich finde.
Meine These ist, dass die hier behandelnden Angstbilder vor allem mit der klassischen Kombination „abwesender und wenn anwesend destruktiver und strafender Vater“ auf der einen Seite und einer „anwesenden, das Kind vereinnahmenden, emotional missbrauchenden, vor allem auch die Söhne als Partnerersatz und als Hoffnungsträger/Delegierter für eigene Entbehrungen und geschlechtsspezifische, kulturell determinierte Grenzen der eigenen Entfaltungsmöglichkeiten gebrauchende , ggf. auch offen gewalttätigen Mutter“ (Nachtrag: Bzgl. Letzterem zeigen Studien, dass Mütter sehr oft auch körperlich gewalttätig gegen Kinder sind) zusammenhängen. Destruktive Väter tragen ihre Gewalt oftmals und „traditionell“ offen aus, brüllen, schlagen, sind abwesend. Destruktive Mütter agieren oftmals und „traditionell“ verdeckter, schleichender, psychologischer, eben wie eine Schlange oder eine Krake, die langsam ihr Opfer umschlingt. Die Bilder von kriegerischen Frauen/Müttern und vor allem die verschlingenden, umschlingenden, vergiftenden Kraken- und Schlangenwesen in Kriegs- und Vorkriegszeiten oder grundsätzlich in Bezug auf Gefahren und Feinde sprechen dafür, dass hier bildlich vor allem der (meist) emotionale mütterliche Missbrauch seinen Ausdruck findet, (gepaart natürlich mit dem abwesenden Vater, der seinen wesentlichen Teil beiträgt) Zu diesen Belastungen mag dann auch das „fötale Drama“ seine ergänzende Wirkung entfalten und so eine kritische Masse bilden. In früheren Zeiten wie auch in der heutigen Zeit waren und sind zudem Karikaturisten meist Männer. Es sind vor allem männliche (Angst)Fantasiebilder, die wir im historischen Rückblick sehen können. Wenn in diesen Bildern verschlingende, gefährliche Frauen und Meeresbestien auftauchen, dann spricht dies einmal mehr dafür, dass eine destruktive, missbrauchende Mutter eine wichtige Rolle bei der Entstehung dieser Bilder spielt.
Ich habe in diesem Blog bereits zwei Beiträge zu solchen möglichen Zusammenhängen geschrieben: „Medusas Söhne“ und „Medusas Kinder in der Antike“. Das Schlangenmoster Medusa, deren Blick zu Stein werden lässt und die in der Psychoanalyse eindeutig als Mutterfigur ausgemacht wurde, sprach früher, wie auch heute noch vor allem Männer an, die wohl in der o.g. Konstellation aufgewachsen sind.
Ein Paradebespiel für entsprechende Angstbilder ist auch Russland, das in der Geschichte häufig als eine gefährliche Krake dargestellt wurde. Russland wird historisch sowohl von sich selbst als auch von anderen Nationen als „Mütterchen Russland“ personifiziert und hat in der Fantasie der Menschen somit eine feste Familienrolle eingenommen. In einem englischen Blog habe ich eine Auflistung einiger solcher Bilder von Russland gefunden, die für sich spricht: http://bigthink.com/ideas/39146?page=all
Aber der gefährliche Krake taucht auch in vielen anderen Kontexten auf. Wenn man im Internet recherchiert, findet man bei entsprechenden Stichwörtern schnell Bilder, die z.B. die Juden/Israel als verschlingende Krake darstellen oder man findet den Iran als Krake, der seine Nachbarn umschlingt. Ebenso findet man Unternehmen wie z.B. Goldman Sachs als Krake dargestellt. Aber auch die EURO-Krise ließ den Kraken wieder auftauchen, er findet sich die Welt umschlingend zusammen mit Euro Zeichen und Griechenlandfahne wieder. Eine arabische Karikatur zeigt den Terrorismus als Krake, der die Welt umschlingt. Usw. usf. Darstellungen von Feinden und Bedrohungen als Krakenmonster findet man letztlich in allen möglichen Kontexten. Eine eindrucksvolle Sammlung von entsprechenden historischen Bildern fand ich hier: http://vulgararmy.com/. (Man kann dort auch nach Jahreszahlen entsprechende Bilder suchen)
Derzeit tauchen gar Schlangen und Kraken in Zusammenhang mit der EURO Krise in der SZ auf. Siehe hier und hier.
Kommentiert wurden beide Karikaturen unter der Rubrik „Nachrichten vom Niedergang der politischen Karikatur“ (hier und hier) von zwei Bloggern, von denen einer u.a. Kinderpsychiater ist. Ja, einen Kinderpsychiater wie wohl auch viele andere Menschen werden solche Bilder heute in Deutschland kaum noch ansprechen. Missbrauch und Gewalt gegen Kinder gehen hierzulande immer mehr zurück. Wahrscheinlich werden auch die Karikaturen von Bestien zukünftig ins Reich der Märchen und Fabeln zurückkehren müssen und kaum noch einen Platz in den modernen Medien finden.
Historisch bleiben die Meeresbestien weiterhin interessant, ebenso aktuell, wenn es um Nationen geht, in denen weiterhin eine große Mehrheit der Kinder missbraucht und misshandelt wird. Die ganzen bekannten psychohistorischen Analysemethoden von Bildern und Cartoons stellen den Teil dieser Forschungen dar, der mich persönlich beim erstmaligen Durchlesen am meisten irritiert hat. Ich war zwar offen für neues, dachte aber im ersten Moment: „Was soll der Quatsch denn jetzt? „ Da werden haufenweise Cartoons und politische Bilder gesammelt und die emotionale Lage der Nation analysiert, teils sogar Zukunftsprognosen daraus abgeleitet. Je mehr ich allerdings dazu gelesen habe und vor allem je mehr ich selbst den Blick offen habe, für emotionale Aussagen von Bildern und Mediendarstellungen und je mehr ich auch historische Bilder angesehen habe, desto mehr bestätigt sich für mich, dass diese Methoden durchaus kein Quatsch sind, sondern Sinn machen. Bzgl. einzelnen Patienten ist es heute durchaus anerkannt, wenn Träume und Bilder therapeutisch analysiert und durchgearbeitet werden, um der Person zu helfen und Prozesse bewusst zu machen. Eine Gesellschaft besteht logischerweise auch aus Menschen, alle haben ihre Emotionen und ihre Psyche. Und natürlich landen auch hier Bilder, Träume und Fantasien auf der gesellschaftlichen Bühne. Dieser Beitrag soll die hier Lesenden mit diesem ganzen „Quatsch“ konfrontieren. Und vielleicht wird der ein oder andere auch zukünftig feststellen, dass ungewohnte Ideen und Methoden manchmal auch neue Erkenntnisse bringen.
