Mittwoch, 9. Dezember 2020

Prostitution: Sind belastende Kindheitserfahrungen von Freiern auch eine Ursache dafür?

Bereits im Jahr 2013 schrieb ich in einem Blogbeitrag, der sich auf das Ausmaß von belastenden Kindheitserfahrungen von Prostituierten konzentrierte: „Zudem ist mir keine Untersuchung bekannt, die die Kindheiten von (männlichen) Zuhältern, Bordellbetreibern, Menschenhändler und auch von Freiern unter die Lupe nimmt. Dabei ist diese Gruppe ebenfalls von Interesse und auch die entsprechenden Kindheiten sind vermutlich alles andere als liebevoll verlaufen.“

Vielleicht gibt es dazu mittlerweile Studien (über Hinweise würde ich mich freuen)? Ich habe nicht die Kapazität, große Recherchen dazu zu unternehmen. Allerdings fand ich schon damals eine Studie, die einen Zusammenhang zwischen belastenden Kindheitserfahrungen und Freiertum nahe legt.

Ich schrieb damals am Ende des eingangs verlinkten Beitrags (mit Bezug auf die erwähnte Studie): „Indirekt wurde in einer großen Studie, für die über 10.000 asiatische Männer befragt wurden und die im Kern eigentlich das Verbrechen Vergewaltigung erforschen wollte, ein Zusammenhang zwischen gewaltvollen Kindheiten von Männern und deren Gang zu Prostituierten festgestellt. 64 % der Vergewaltiger und 77 % der Gruppenvergewaltiger waren Freier, dagegen nur 30,8 % der Nicht-Vergewaltiger. Die Nicht-Vergewaltiger hatten allerdings auch die im Vergleich zu den Vergewaltigern deutlich gewaltfreieren Kindheiten. Beispielsweise hatten als Kind 58,7 % der Vergewaltiger und 60,5 % der Gruppenvergewaltiger körperliche Misshandlungen (also schwere Gewalt gegen das Kind) erlebt, dagegen "nur" 31,4 % der Nicht-Vergewaltiger. Ähnliche Zahlenverhältnisse zeigten sich beim sexuellen Missbrauch, emotionaler Misshandlung/Vernachlässigung und dem Beobachten von körperlicher Gewalt in der Familie.“

Ich möchte dieses Thema heute erneut aufgreifen.

Wieder ist es so, dass die Studienlage eher indirekte Hinweise bezogen auf die These liefert, dass belastende Kindheitserfahrungen mit „Sexkauf“ in einem Zusammenhang stehen. Aber diese Hinweise sind ziemlich deutlich und sollten zu weiteren direkten Forschungen führen.

In sogenannten „adverse childhood experiences“-Studien wurde herausgefunden, dass erhöhte Belastungen in der Kindheit (Misshandlungs-/Missbrauchsserfahrungen, Vernachlässigung, suchtkranke Elternteile usw.) mit einem Anstieg von sexuell riskanten Verhalten (z.B. viele Sexualpartner, früher Sex in Jugend, Sex ohne Kondom) in einem Zusammenhang stehen. (z.B. „Adverse childhood experiences andsexual risk behaviors in women: a retrospective cohort study“ + „Early Adversity and Sexual Risk in Adolescence: Externalizing Behaviors as a Mediator“ + „Adverse childhood experiences, gender, and HIV risk behaviors: Results from a population-based sample“) Warum das so ist, ist eine andere Frage. Da der Gang zu Prostituierten auch als „sexuell riskantes Verhalten“ bezeichnet werden kann, nehme ich an, dass diese Ergebnisse auch auf Freier übertragen werden können.

Eine Studie möchte ich dabei besonders hervorheben: Anderson, K. G. (2017): Adverse Childhood Environment: Relationship With Sexual RiskBehaviors and Marital Status in a Large American Sample. Evolutionary Psychology, April-June 2017: 15(2), 1–11.
17.530 Männer and 23.978 Frauen aus 13 US-Staaten im Alter zwischen 18-54 Jahren wurden dafür befragt. Innerhalb der Studie wurden auch diverse andere Studien besprochen, die Zusammenhänge zwischen belastenden Kindheitserfahrungen und sexuell riskantem Verhalten sowie einer frühen geschlechtlichen Reifung fanden. Wichtiger aber noch ist die Fragestellung der Studie. Denn eine Frage beinhaltete bezogen auf eine potentielle AIDS-Erkrankung das riskante Verhalten bezogen auf die letzten 12 Monate vor der Befragung: intravenöser Drogengebrauch, Behandlung auf Grund einer Geschlechtskrankheit, bezahlen oder bezahlt werden für Sex oder Analverkehr ohne Kondom.

Leider wurde der Punkt „für Sex bezahlt oder bezahlt werden“ nicht gesondert aufgestellt, aber er war immerhin enthalten. Das Ergebnis ist recht eindeutig: Für Männer erhöhte jeder einzelne ACE-Wert (insgesamt 7 ACE-Werte) die Wahrscheinlichkeit für sexuell riskantes Verhalten. Für Frauen erhöhten jeweils 5 ACE-Werte (u.a. Misshandlungen und sexueller Missbrauch in der Kindheit) die Wahrscheinlichkeit für sexuell riskantes Verhalten. Insofern lässt sich aus den Ergebnissen der Studie schließen (wenn auch mit einigen Beschränkungen), dass belastenden Kindheitserfahrungen mit dem Bereich Prostitution insgesamt („Sexkauf“ oder für Sex bezahlt werden) in einem Zusammenhang stehen. (ganz ähnlich aufgebaut - mit der gleichen Fragestellung bezogen auf das, was als sexuell riskantes Verhalten definiert wird - war auch die bereits oben verlinkte Studie Adverse childhood experiences, gender, and HIV risk behaviors: Results froma population-based sample“ + die Ergebnisse gehen in die gleiche Richtung!)

Abschließend noch ein Gedanke: Wer sich allgemein mit den Folgen von belastenden Kindheitserfahrungen befasst, wird schnell darauf stoßen, dass diese Erfahrungen die Wahrscheinlichkeit für Täterverhalten (inkl. häuslicher Gewalt gegen Frauen), verminderte Empathie und Moralvorstellungen, selbstschädigendes Verhalten, (Selbst-)Hass usw. erhöhen. Dass diese „Schablone“ auch auf Freier angewendet werden kann, ist mehr als naheliegend! Hat doch ihr Verhalten viel mit dem Ausblenden von Realitäten (dem Leid von Prostituierten), Hass, Bedürfnis nach Macht (oder bzgl. Sado Maso Fantasien auch mit inszenierter Ohnmacht), Kontrolle, Demütigungen von anderen Menschen, fehlender Selbstachtung und fehlender Moral zu tun. Ich bin davon überzeugt, dass das wissenschaftlich erwiesene hohe Ausmaß von leidvollen Kindheitserfahrungen von Prostituierten nur die eine Seite der Medaille ist. Die andere Seite beinhaltet höchst wahrscheinlich kindliche Ohnmachtserfahrungen der Freier, Zuhälter und Menschenhändler. Das soll deren Verhalten nicht entschuldigen, erklärt aber, wie man Prostitution präventiv verhindern kann: Mehr Kinderschutz und mehr Fürsorge und gute Lebensbedingungen für Kinder!

Freitag, 4. Dezember 2020

Kindheit von Robert Mugabe

Simbabwes langjähriger Regierungschef und Diktator Robert Mugabe erfüllt einige Punkte, die mir immer wieder bei Diktatoren aufgefallen sind: 

  1. Er ist männlich, denn eine Diktatur zu führen, war und ist in patriarchalen Gesellschaften stets Männersache. Als Führer verkörperte er nach außen traditionelle Männlichkeitsvorstellungen von absoluter Stärke und Entschlossenheit, sowie Härte im Kampf gegen seine „Feinde“. 
  2. Er war hoch intelligent und verbrachte bereits als Kind die meiste Zeit damit zu lesen, anstatt mit anderen Kindern zu spielen. 
  3. Er hatte eine sehr enge (aber keine gesunde) Mutterbeziehung, die Tendenzen von emotionalem Missbrauch und einer „Muttersöhnchen-Konstellation“ aufweist (siehe dazu auch das Buch „Muttersöhne“ von Volker Elis Pilgrim, dessen These ist, dass dies die entscheidende Gemeinsamkeit von Diktatoren und Massenmördern ist. Meine Recherchen über diverse Diktatoren stützen diese These. Ich halte aber auch weitere Belastungen in der Kindheit von großer Bedeutung und ebenfalls auch die Rolle der Väter). Und: Die Mutter hatte hohe Erfolgserwartungen gegenüber ihrem Sohn. 
  4. Er war als Kind vielfachen Belastungen ausgesetzt, die sich zu einem „Gesamttraumapaket“ kumulierten. 

Alle diese 4 Punkte fand ich oftmals bezogen auf Diktatoren bestätigt (siehe u.a. in meinem Buch)! 


Kommen wir jetzt zu Mugabes Kindheit:

Meine Quelle dafür ist: Holland, Heidi (2009): Dinner With Mugabe: The untold story of a freedom fighter who became a tyrant. Penguin Books, Johannesburg (South Africa). Kindle-E-Book Version. 

Robert erlebte als Kind den Tod zwei seiner älteren Brüder. Einer davon, Michael, war der Liebling der Familie. Nach Michaels Tod verließ der Vater die Familie und heiratete später erneut. Robert war zum Zeitpunkt dieser Trennung 10 Jahre alt und entwickelte in der Folge einen tiefen Hass gegen seinen Vater. Roberts Mutter wurde nach der Trennung von ihrem Mann depressiv (wobei Holland auch eine Quelle zitiert, nach der die Mutter schon VOR der Trennung und dem Verlust von 2 Kindern psychisch angeschlagen war. An einer Stelle im Buch – Seite 5 - spekuliert sie entsprechend auch, ob Robert von seiner belasteten Mutter als Baby vernachlässigt worden sein könnte). 

Robert war ein schüchternes, sensibles Kind, das jetzt zum mütterlichen Favoriten wurde. Er stützte seine Mutter, begleitetet sie täglich zur christlichen Messe und versuchte, seine Mutter glücklich zu machen (diese Geschichte gleicht übrigens fast 1zu1 den Kindheitserlebnissen von Francisco Franco). Gleichzeitig hatte die Mutter hohe (Leistungs-)Erwartungen an ihren Sohn Robert; sie trieb ihn an, viel zu lernen. Aber sie strafte ihren Sohn auch körperlich, wie Roberts Bruder Donato berichtet:
If his mother smacked him, Robert must thank her for correcting him; that's what she believed. (…) She smacked him maybe thrice and he thanked her every time. The other children used to tease him and he became lonely“ (S. 4) Diese mütterliche Gewalt in Kombination mit dem „Bedanken“ dafür durch ihren Sohn ist schon bemerkenswert. Hier wurde offensichtlich erfolgreich die kindliche Wahrnehmung verdreht! Erlittene Schmerzen und Demütigungen wurden „dankend“ entgegengenommen, denn Mutter konnte es ja nur zum „Wohle des Kindes“ tun, damit er seine Lektionen lernt…

Nach außen beschützte seine Mutter ihren Liebling dagegen vor jedem, auch den eigenen Geschwistern. Robert war indes ein Einzelgänger, der sich oft zum Lesen zurückzog. Seine Favoritenrolle bei seiner Mutter und auch dem Geistlichen vor Ort machte ihn zur Zielscheibe von Gleichaltrigen und seinen Geschwistern, die ihn gnadenlos hänselten (vgl. S. 6). 

Auf Seite 11 schreibt die Autorin kurz, dass Robert Mugabe eine „traumatische Jugend“ hatte. Dem ist im Grunde nichts weiter hinzuzufügen. Wie so oft bleibt mir nur anzumerken, dass als Kind wirklich geliebte und umsorgt aufgewachsene Kinder später keine Diktatoren werden.

(Abschließend noch der Hinweis auf den Länderreport über Simbabwe (von der Global Initiative to End All Corporal Punishment of Children) und die dortigen Gesetze zum Thema Gewalt gegen Kinder + Studien zum aktuellen Ausmaß der Gewalt in dem Land. In dem Land sind Körperstrafen gegen Kinder u.a. in der Familie und Schule weiterhin legal!)


Donnerstag, 3. Dezember 2020

Islamistischer Terror - Die Kindheit von Arid Uka

Arid Uka verübte am 02.03.2001 den ersten islamistischen Anschlag in Deutschland (Mordanschlag auf US-Soldaten am Frankfurter Flughafen). Über seine Kindheit liegen mittlerweile einige Erkenntnisse vor: 

Mit seiner Geburt im Kosovo im Jahr 1990 einige Jahre vor dem Ausbruch des Kosovokrieges, nach der Scheidung seiner Eltern und der Auswanderung des Vaters nach Deutschland begann eine schwierige Kindheit. Arid Uka folgte als Säugling dem Vater nach Deutschland und verbrachte die ersten drei Lebensjahre ohne Mutter. Die Lebensverhältnisse normalisierten sich erst nach dem fünften Lebensjahr mit der Wiederheirat der Eltern und der Familienzusammenführung in Deutschland. In relativer Armut lebte die Familie mit drei Kindern in einem Stadtteil von Frankfurt am Main, der jahrelang als sozialer Brennpunkt galt“ (Ben Slama, B. (2020): Die psychologische Dimension von Radikalität, Extremismus und Terrorismus. In: Ben Slama, B. & Kemmesies, U. (Hrsg.): Handbuch Extremismusprävention. Gesamtgesellschaftlich - Phänomenübergreifend. Bundeskriminalamt (Polizei+Forschung, Band Nr. 54), S. 338).
Als Arid 17 Jahre alt war, verschlechterte sich die wirtschaftlich eh nicht einfache Situation der Familie nachdem der Vater schwer erkrankte. Arids Orientierungskrise (auch in der Schule brachen seine Leistungen ein) verschärfte sich dadurch. Im familiären Umfeld gab es kaum Unterstützung. Seine Zuwendung zum Islam begann in dieser Zeit. 

Ein weiteres, schweres Trauma kam in der Kindheit hinzu: „Bezüglich des Vergewaltigungsvideos (Anmerkung Sven Fuchs: Auslöser für seine Morde sei seinen Angaben zu Folge gewesen, dass er zuvor im Internet ein Video über die Vergewaltigung muslimischer Frauen durch US-Soldaten gesehen habe) gab Herr Leyggraf an, die starke persönliche Reaktion des Angeklagten sei durch ein eigenes Missbrauchserlebnis zu erklären. Der Angeklagte habe ihm erzählt, dass er als 6-7jähriger im Park von einem älteren Mann missbraucht worden sei.“ (INTERNATIONAL RESEARCH AND DOCUMENTATION CENTRE WAR CRIMES TRIALS, 19. Dezember 2011: Monitoring Report Nr. 8 Strafverfahren gegen Arid U.)

Das Missbrauchserlebnis im Park war offensichtlich traumatisch. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass ein solches Einzelerlebnis nicht ausreicht, damit ein Mensch zum terroristischen Mörder wird. Ein Kind, das sicher in seiner Familie aufwächst und fürsorglich/gewaltfrei behandelt wird und dem so etwas passiert, wird auch traumatisiert, ja. Aber die (Entwicklungs-)Grundlage wäre eine ganz andere! In der frühen Kindheit von Arid Uka deuten sich dagegen schwere Konflikte der Eltern an. Und er wurde von der Mutter jahrelang getrennt. Wie der Vater mit dem Säugling und Kleinkind umging ist nicht klar. Auch über den mütterlichen Erziehungsstil erfahren wir nichts. Der Mutter war es ja versagt, eine Bindung zum Kind aufzubauen. Auf ihren Sohn traf sie erst, als er 3 Jahre alt war. Ich vermute, dass in den ersten Lebensjahren einiges passiert sein muss. Dieser schwierige Start ins Leben kumulierte mit der sexuellen Missbrauchserfahrung. Häufig findet sich bei Extremisten genau das: Mehrfachbelastungen in Kindheit und Jugend. Ein Kind muss viel erleben und erleiden, damit der Hass wächst. 


Donnerstag, 26. November 2020

89 Maßnahmen der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus und KEIN Wort zum Thema Kinderschutz!

Die Bundesregierung hat am 25.11.2020 den „Maßnahmenkatalog des Kabinettausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus“ veröffentlicht. Insgesamt werden 89 Maßnahmen aufgeführt, die wiederum verschiedenen Ministerien zugeordnet wurden. 1 Milliarde Euro wird zur Verfügung gestellt, um die Maßnahmen umzusetzen. 

Ich ahnte es schon nach den ersten Presseberichten und habe mir heute nun den Maßnahmenkatalog im Detail angeschaut: Es gibt keine einzige Maßnahme, die in Richtung Kinderschutz geht, keine! 

Dazu würde gehören: Prävention von Kindesmisshandlung in all ihren Formen und von häuslicher Gewalt in Verbindung mit „Elternbefähigungsprogrammen“. Dazu würde gehören, dass die Gesellschaft „traumasensibel“ und „traumainformiert“ wird. Das Wissen um Ausmaß und Folgen von belastenden Kindheitserfahrungen (ACEs) muss gesamtgesellschaftlich zum Allgemeinwissen werden. Alle Menschen sollten darüber aufgeklärt werden, dass Psychotherapien helfen können, die Folgen von traumatischen Erlebnissen abzumildern und sie sollten wissen, wie man an solche Therapieplätze kommt. Der „Kreislauf der Gewalt“ gehört besprochen. Eltern (Elternführerschein?) sollten aufgeklärt werden, welche Verhaltensweisen Kinder schädigen und wie sich dies lebenslang auswirken kann. Eltern sollten darüber aufgeklärt werden, dass eigene destruktive Kindheitserfahrungen oft an die nächste Generation weitergebeben werden. Eltern sollten Hilfsangebote aufgezeigt werden. Alle wichtigen Infos zum Thema Kindesmisshandlung müssen standardmäßig in die Ausbildung von Lehrkräften und ErzieherInnen verankert werden. Und und und….! Es gäbe sooo viel zu tun, was Gewalt und Extremismus den Boden entzieht, aber kein Wort in dem Katalog der Bundesregierung! 

Und: Das schöne ist, dass diese Maßnahmen "nette Nebeneffekte" hätten: z.B. weniger Gesundheitsprobleme, weniger Suchtmittelmissbrauch, weniger Kriminalität und letztlich - das wird die Politik besonders interessieren - weniger gesamtgesellschaftliche Kosten. Eine von der WHO finanzierte Studie aus dem Jahr 2019 kalkuliert die jährlichen Kosten, die auf Grund belastender Kindheitserfahrungen (ACEs) entstehen, auf 581 Milliarden $ in Europa und 748 Milliarden $ in Nord Amerika. Was sind dagegen schon 1 Milliarde Euro aus dem aktuellen Maßnahmenkatalog der Bundesregierung?

Leider ist das gesamtgesellschaftliche Ausblenden von Kindheitserfahrungen meine Dauererfahrung bei dem Thema und gleichzeitig auch mein Antrieb für meine Arbeit in dem Bereich. In meinem Buch habe ich dazu bereits ausführlich etwas im Kapitel „Das große Schweigen“ geschrieben. 

Ein Paradebeispiel ist für mich auch das 2020 vom Bundeskriminalamt herausgebrachte „Handbuch Extremismusprävention“.  In dem über 750 Seiten starken Handbuch gibt es keinen Beitrag, der schwerpunktmäßig auf die familiäre Sozialisation und Kindheit von Extremisten schaut. Und nur in einem einzigen Beitrag (von Brahim Ben Slama) wird dieses Thema überhaupt in den Blick genommen und als mögliche Ursache für eine Radikalisierung verortet; allerdings auch nur mit wenigen, knappen Ausführungen, die im Gesamtkontext nicht ins Gewicht fallen. Der Extremismusforscher und Leiter des Institutes für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ), Matthias Quent, hat Ende 2020 das Buch „Rechtsextremismus: 33 Fragen - 33 Antworten“ herausgebracht. Keine dieser 33 Fragen richtet sich auf die Kindheit und Familie. Die Frage, woher eigentlich der Hass kommt, wird in dieser Hinsicht nicht von Quent beantwortet. Die Beispiele ließen sich unzählige Male fortführen. 

Es verwundert daher auch nicht, dass die Bundesregierung das Thema „Kindheit und Rechtsextremismus“ nicht auf dem Zettel hat. Sie wird von WissenschaftlerInnen beraten und leider gibt es da in Deutschland keinen Fokus auf die Kindheitsursprünge von Extremismus. Auch die NS-Zeit wurde bisher nicht wirklich umfassend aufgearbeitet, trotz der Ende der 1930er Jahre beginnenden Arbeiten um Horkheimer und seiner „Studien über Autorität und Familie“ und trotz des „Geschwister-Scholl-Preises“ 2001 für Arno Gruen und sein Buch „Der Fremde in uns“. 

Es ist zum Heulen!

Dabei ist das Ganze paradox! Es gibt mittlerweile etliche Forschungsarbeiten, die zentral die familiäre Sozialisation und Kindheit von RechtsextremistInnen in den Blick genommen und hieraus Schlüsse gezogen haben. Ergänzt wird dieses Bild durch einzelne, autobiografische Buchveröffentlichungen ehemaliger RechtsextremistInnen und mehr noch durch Medienberichte über einzelne rechte GewalttäterInnen (siehe auch meinen Blog). Kriminologische SchülerInnenbefragungen runden das Bild ab. Sie zeigen einen Zusammenhang zwischen destruktiver Erziehung und (rechts-)extremistischen Einstellungen auf.

Destruktive, ja oftmals sogar traumatische Kindheitshintergründe scheinen demnach DIE zentrale Gemeinsamkeit von RechtsextremistInnen zu sein. Ihre Kindheitshintergründe ähneln somit eher denen von (gut erforschten) Risikogruppen wie z.B. allgemeinen/unpolitischen (Gewalt-)StraftäterInnen oder PsychiatriepatientInnen.  

Diese „Sehen-Wollen“ und „Erkenntnisse-Sammeln“ bezogen auf die tieferen Ursachen von Gewalt und Extremismus auf der einen Seite (denn die Einzelarbeiten und Einzelstudien gibt es ja!) und dieses fehlende Sprechen darüber, die fehlende Öffentlichkeit, der fehlende Fokus der Wissenschaft und am Ende eben auch die fehlenden, nachhaltigen Maßnahmen auf der anderen Seite sind paradox, aber wahrscheinlich wiederum mit Kindheitserfahrungen zu erklären. Destruktive Kindheitserfahrungen sind derart weit verbreitet und haben unsere menschliche Geschichte stets dominiert, so dass wir nur Stück für Stück und gut dosiert darauf schauen können. Die Gesellschaft als Ganzes muss erst einmal so weit sein, dass sie es auch erträgt, wirklich hinzuschauen. Ich bin mir sicher, dass wir hier in Deutschland auf dem Weg sind. Es wird noch eine Weile, aber nicht mehr ewig dauern, bis der Damm bricht und das Thema breit auf den Tisch kommt, inkl. der psychohistorischen Aufarbeitung der NS-Zeit. Wir kennen das auch aus der Psychoanalyse: Die Wahrheit will einfach an Licht und sich ausdrücken. Dafür brauchen wir einen stabilen Rahmen und auch den Willen. Da sich in Deutschland Kindheit stetig entwickelt hat, friedlicher, gewaltfreier und demokratischer wurde und wird und seit den 1980er Jahren parallel das psychotherapeutische Angebot massiv ausgebaut wurde (und dadurch immer mehr Menschen ihre traumatischen Erfahrungen verarbeiten konnten), werden wir diesen Weg bald gehen können. Ich bin gespannt, wann es so weit ist. Aber, ich bin und bleibe auch sehr ungeduldig und trage meinen Teil zur Aufklärung bei: Steter Tropfen höhlt den Stein


Montag, 23. November 2020

Terror von Links - Die Kindheit von Peter-Jürgen Boock

Peter-Jürgen Boock war das erste (frühere) RAF-Mitglied, mit dem ich mich befasst habe. Ich wurde am 18.10.2007 auf ihn aufmerksam, als ich in dem Sender N-TV eine Dokumentation über den „Terror der RAF“ sah, in der auch Boock interviewt wurde. Er sagte dort aus, dass der Moment der Schleyer-Entführung und nachdem alles so „glatt gelaufen“ wäre, er sich so „lebendig gefühlt“ habe, wie nie zuvor in seinem Leben. Ich hatte damals bereits viel vom dem Psychoanalytiker Arno Gruen gelesen, der immer wieder beschrieben hat, wie sich einige Mörder im Angesicht des Leids anderer Menschen „lebendig“ fühlen. Gruen sah dabei ursächlich einen Zusammenhang zu destruktiven Kindheitserfahrungen. Insofern spekulierte ich alleine auf Grund der o.g. Aussage von Boock schon früh, dass bei Boock wahrscheinlich traumatische Kindheitshintergründe zu finden sind. 

Erstmals bestätigt fand ich diese Vermutung Anfang 2015, was ich in einem Blog-Beitrag kurz ausgeführt hatte. Allerdings gab es bis dahin nur oberflächliche Infos über seine Kindheit. Vertiefende Infos fand ich während meiner Recherchen für mein Buch. Auf Seite 189 habe ich darin kurz die destruktive Kindheit von Boock beschrieben: von der frühen Trennung von seinen Eltern, dem häufigen Alkoholkonsum des Vaters, der dann nicht selten grob wurde (was vermutlich auch Gewalt bedeutete) und von der - auf Antrag der Eltern – Unterbringung des 17-Jährigen Peter-Jürgen in einem geschlossen Jugendheim in Glückstadt, wo die Erzieher, wann immer sich die Gelegenheit bot, ihre Zöglinge mit Gummiknüppeln verprügelten. 

Nach der Buchveröffentlichung fand ich weitere Informationen. Wuschnik schreibt, dass Boock schon früh versuchte, sich mit Tabletten das Leben zu nehmen (da war er ca. 16 Jahre alt). 1969, nach dem er auf Grund von Drogendelikten in Jugendarrest kam, unternahm er erneut einen Selbstmordversuch (Wunschik, Tobias (1997): Baader-Meinhofs Kinder: Die Zweite Generation der RAF. Westdeutscher Verlag, Opladen, S. 198). Diese Info alleine deutet auf schwere Belastungen hin. Und sie zeigt auch (ganz nach Arno Gruen), wie sehr Hass auf andere Menschen mit Selbsthass zu tun hat. 

Am 19.11.2020 wurde aktuell ein langes und interessantes Interview mit Peter-Jürgen Boock im „ZEIT-Magazin“ (Nr. 48) veröffentlicht. Es tun sich weitere Abgründe bezogen auf die Kindheit von Peter-Jürgen auf. (Ich habe dies, nebenbei bemerkt, schon mehrmals in der Vergangenheit mit Blick auf Massenmörder, Diktatoren oder Terroristen erlebt: Je länger man recherchiert, je mehr man über die Kindheit dieser Leute in Erfahrung bringt, desto schlimmer wird das Gesamtbild, das man erhält. Früher war ich dann immer geradezu platt, weil ich meine Thesen bestätigt fand („Gänsehaut“): „Das gibt es doch gar nicht!“. Heute und beim Fall Boock nehme ich die neuen Infos sehr nüchtern auf: „Natürlich hatte er eine solch schlimme Kindheit! Wie konnte es auch anders sein? Denn als Kind geliebt und geborgen aufgewachsene Menschen werden keine Terroristen!“) 

Hier nun die wesentlichen, neuen Infos aus dem o.g. ZEIT-Magazin-Interview: 

- Seine frühe Kindheit verbrachte Peter-Jürgen auf der Halbinsel Eiderstedt bei seiner Großmutter. Seine Eltern lebten und arbeiteten in Hamburg und kamen nur alle 2-3 Monate mal vorbei. Boock bezeichnet diese Zeit bei der Großmutter als glücklich. Was er im Rückblick übersieht und wohl sicher auch nicht selbst emotional einordnen könnte ist, dass er als kleines Kind einst von den Eltern verlassen wurde. Dies war ganz sicher eine schwere Belastung für das Kind, auch wenn er danach mit der Großmutter eine gute Zeit hatte. 

- Mit 7 Jahren zog er dann zu seinen Eltern nach Hamburg. Dies war wohl ein schwerer Schnitt, nicht nur wegen der Trennung von der Großmutter, denn als Sohn eines Beamten (sein Vater war Berufssoldat) und mit einem von den Eltern aufgezwungenen Anzug, den er tragen musste, wurde er zur Zielscheibe für andere Kinder, die ihn häufig verprügelten oder ihm auflauerten. 

- Mit ca. 10 oder 12 Jahren suchte er sich dann Freunde, die seinen Eltern nicht genehm waren, darunter auch der spätere Chef der Hamburger Hells Angels. Stück für Stück scheint er dann seinen Eltern entglitten zu sein. Auf die Frage, ob er einen brutalen Vater hatte, antwortete Boock: „Ja.“ Ich gehe insofern davon aus, dass der Vater auch Gewalt gegen seinen Sohn anwandte (was sich schon bei meinen vorherigen Recherchen andeutete – siehe oben). 

- Ein extremes Trauma erlebte er im Alter von 12 Jahren. Er besuchte einen Onkel und dessen Bekannter vergewaltigte Peter-Jürgen. Nachdem Peter-Jürgen seinem Onkel alles erzählt hatte, verprügelte dieser den Bekannten. Der Onkel rief auch die Eltern an und erzählte ihnen alles. Seine Eltern, so sagt Boock, reagierten zu Hause im Grunde gar nicht. Die Vergewaltigung und die Folgen daraus wurden totgeschwiegen. Daraufhin wollte Peter-Jürgen nur noch fliehen, was er auch immer wieder tat. 

- Seine Eltern ließen ihn dann zur Fahndung ausschreiben und er kam, nachdem er aufgegriffen worden war, nach Glückstadt in das Jugendheim (wie oben bereits geschildert). Dass in dem Heim Gewalt vorherrschend war, hatte ich ebenfalls bereits berichtet. Neu war für mich noch einmal der blanke Sadismus der Erzieher (laut Boock aggressive, ehemalige Kriegsversehrte und invalide Heringsfischer). Boock bezeichnet die dortigen Methoden als Folter. Die Erzieher stellten sich in zwei Reihen auf und die durchlaufenden Zöglinge wurden dann von beiden Seiten verprügelt. Besonders krass fand ich die Schilderungen über das „Mumienmachen“. Boock dazu: „Man wurde eingewickelt in so Leinenzeug, aus dem Segel gemacht wurde. Das wurde eingepinselt mit so einem Kalkzeug, das wir Zahnpasta nannten. Das zog sich dann langsam zusammen, bis man das Gefühl hatte zu ersticken. Es war grauenhaft. Es ging langsam, 20, 30 Minuten“ (ZEIT-Magazin, 19.11.2020, Nr 48, S. 20) 

- Später kam Peter-Jürgen dann in ein anderes Heim in Rengshausen und wurde auch dort gleich in einen Strafbunker gesteckt. Aus diesem Heim heraus wurde er dann von Baader, Ensslin und Proll quasi "rekrutiert". 

An dieser Stelle wird auch noch einmal die Bedeutung des Zufalls deutlich, etwas, was ich in meinem Buch bei der Genese von Tätern oder auch Terroristen sehr betont habe. Boock selbst sagt in dem Interview, dass er, wenn seine Eltern ihn nicht zur Fahndung ausgeschrieben hätten und er folglich nicht im Heim gelandet wäre, evtl. Konzertveranstalter geworden wäre, wie so viele der jungen Ausreißer, mit denen er damals in Holland in einer Kommune lebte. 

Natürlich wird nicht aus jedem misshandelten und traumatisierten Kind später ein Terrorist! Bei Boock kam der Zufall bzw. die Begegnung mit Baader & Co. dazu, ebenso der Zeitgeist und die damalige Stimmung im Land. Der Fall Boock zeigt aber, wie so viele andere auch (inkl. Boock habe ich mittlerweile die destruktiven Kindheiten von 16 RAF-TerroristInnen skizziert: siehe dazu in Dynamische Psychiatrie, Vol. 53 (2020), Heft 2-3 bzw. in meinem Buch und hier im Blog), dass destruktive Kindheitshintergründe die Wurzeln des Übels sind. Mit Blick auf seinen Fall kann man auch zugespitzt sagen, dass die Gesellschaft erntet, was sie sät. Die Gesellschaft steht in der Verantwortung, Kinder vor Gewalt und Übergriffen zu schützen und Hilfen anzubieten, wenn dieser Schutz nicht gelingen konnte. Wer wundert sich ernsthaft, wenn solch traumatisierte Menschen später Unheil bringen können? 

Boocks Kindheit soll und kann trotz allem nichts entschuldigen! Das werde ich nicht müde zu betonen. Wenn man das ganze Interview im ZEIT-Magazin ließt, wird allerdings auch deutlich, dass dieser Mensch auch durch seine Taten sich selbst und sein Leben bestraft und schwer belastet hat. Eigene Taten können weitere Traumatisierungen auch für die Täter bedeuten. Im Fall Boock wird dies mehr als deutlich. 


Montag, 9. November 2020

Gewalt durch Mütter/Stiefmütter gegen junge Frauen/Jugendliche in der Welt

Männergewalt im privaten Rahmen war und ist erfreulicherweise seit Jahren immer wieder Thema in Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit. Natürlich bleibt das Thema trotz der Öffentlichkeit weiterhin schambeladen und – gerade im privaten Raum – auch oftmals immer noch ein Tabu. Auch Frauengewalt (inkl. sexuellen Missbrauch) ist in den letzten Jahren Stück für Stück mehr in den Fokus gerückt. Allerdings bleibt Frauengewalt nach meinem Eindruck häufig immer noch ein „Tabu im Tabu“.

Beim Thema Frauengewalt gegen Kinder und Jugendliche stört mich vor allem die fehlende öffentliche Klarheit bezogen auf die Daten und Fakten. Bereits im Jahr 2012 hatte ich hier im Blog den Beitrag „Kindesmisshandlung: Mütter als Täterinnen“ verfasst. Und in meinem Buch habe ich dem Thema ein eigenes, kurzes Kapitel gewidmet, weil es einfach wichtig ist, um die Realitäten zu wissen. Die Realität ist, dass nachweisbar in vielen Ländern dieser Welt häusliche, körperliche Gewalt gegen Kinder und Jugendliche mehrheitlich von Frauen ausgeht (in Deutschland ist das Gewaltverhältnis in etwa ausgeglichen). Das soll die Männergewalt nicht gering reden und relativieren! Es ist einfach eine Feststellung, um die Mann und Frau wissen muss, damit Prävention auch greifen kann. 

Gewaltverhalten an sich und Gewalt gegen Kinder insbesondere steht nachweisbar in einem starken Zusammenhang zu eigenen Gewalterfahrungen (vor allem in der Kindheit). Insofern wäre es schon ein Wunder, wenn Frauen, die ja stark von Gewalt in vielen Kontexten betroffen sind, die Gewalt nicht in der einen oder anderen Form an Menschen, über die sie viel Macht haben, weitergeben. Und als Mütter/Stiefmütter verfügen Frauen naturgemäß über viel Macht über Kinder und Jugendliche. 

 Ich möchte den Blick hiermit auf mütterliche Gewalt gegen junge Frauen/Jugendliche im Alter zwischen 15 und 19 Jahren richten. Meine Quelle dafür ist: 
United Nations Children’s Fund (UNICEF) (2014): A Statistical Snapshot of Violence against Adolescent Girls. UNICEF, New York. 

UNICEF hat vergleichbare Daten für insgesamt 33 Länder (keine Industrienationen!) erfasst. Die meiste körperliche Gewalt gegen junge Frauen ging von Intim-Partnern UND Elternteilen aus. Wobei in dieser Lebensphase Gewalt durch Elternteile oftmals häufiger vorkommt, als Gewalt durch Intim-Partner. Von den 33 Ländern erlebten in 27 Ländern die jungen Frauen mehr Gewalt durch die Mutter/Stiefmutter als durch den Vater. In 2 Ländern war das Gewaltverhältnis gleichmäßig verteilt. Nur in 4 Ländern übten die Väter/Stiefväter mehr Gewalt aus, als die Mütter/Stiefmütter.

Bezogen auf die oben erwähnten 27 Länder, habe ich die durchschnittliche TäterInnennennung ausgerechnet. Im Schnitt erlebten 35,5 % der jungen Frauen Gewalt durch Mütter/Stiefmütter und 23 % durch Väter/Stiefväter in den Ländern, in denen mehrheitlich Mütter/Stiefmütter Gewalt ausüben. Ausgeklammert bleibt wohlgemerkt das Gewalterleben vor dem 14. Lebensjahr, das erfahrungsgemäß deutlich höher ausfällt, als im Jugendalter. 

In manchen Ländern sind die Unterschiede im Gewaltverhalten zwischen Müttern/Stiefmüttern und Vätern/Stiefvätern besonders groß. In Kambodscha beispielsweise übten 63% der Mütter/Stiefmütter körperliche Gewalt gegen ihre Töchter aus, dagegen nur 30 % der Väter. In Indien (einem sehr bevölkerungsreichem Land) übten 41% der Mütter/Stiefmütter körperliche Gewalt gegen ihre Töchter aus, dagegen nur 18 % der Väter. In anderen Ländern wiederum waren die Unterschiede nicht ganz so groß: In Uganda übten beispielsweise 26% der Mütter/Stiefmütter körperliche Gewalt gegen ihre Töchter aus, dagegen 21 % der Väter. Auf den Philippinen übten 33% der Mütter/Stiefmütter körperliche Gewalt gegen ihre Töchter aus, dagegen 28 % der Väter. 

Ein Land aus den 4 oben erwähnten Ländern, in denen mehr Gewalt durch Väter/Stiefväter ausgeht, fällt ganz besonders aus der Reihe: Ägypten. In Ägypten übten 48% der Väter/Stiefväter körperliche Gewalt gegen ihre Töchter aus, dagegen nur 26 % der Mütter. Dieser Sachverhalt ist erklärungsbedürftig, da andere Studien ein sehr hohes Ausmaß von Gewalt gegen Kinder in Ägypten an sich feststellten und auch die große Mehrheit der Mütter (ebenso wie die Väter) Gewalt gegen Kinder ausübten. Vermutlich wird den Männern in den (weiterhin stark) patriarchalen Familien Ägyptens mehr Gewalt speziell gegen ältere Kinder zugestanden, als den Müttern. Dies ist aber nur eine Vermutung. 

Die gezeigten Daten machen klar, dass die Welt ein Problem auch mit Frauengewalt hat! Elterliche Gewalt gegen Kinder/Jugendliche ist die häufigste Form zwischenmenschlicher Gewalt überhaupt. Gewalt gegen Kinder ist zudem besonders folgenreich. Und bei dieser Gewaltform machen Frauen kräftig mit. Darum muss die Welt wissen und dagegen muss die Welt gezielt Präventions-Programme auffahren.

Donnerstag, 5. November 2020

Gewalt gegen Kinder in Kanada (und Unterschiede im Vergleich zu den USA)

Die politischen Vorgänge in den USA bis hin zur aktuellen Wahl beschäftigen mich stark. Ja sie belasten mich auch, weil wir aus Europa "Zuschauer" eines offenen, politischen Wahns sind. Viele irrationale Prozesse (inkl. einer Tendenz zur Selbstzerstörung) sind in den USA am Werk, die meiner Auffassung nach auch viel mit dem zu tun haben, wie Kindheit in diesem Land war und ist. Auch am Beispiel der Kindheit von Donald Trump wird dies überdeutlich. Aber auch mit Blick auf Zahlen und Daten zum Thema Kindheit in den USA (siehe "Kindheit in den USA", "Belastende Kindheitserfahrungen in den USA: Neue Daten" und ergänzend ein Hinweis in meinem Twitter-Account auf eine Studie aus dem Jahr 2019 mit 18.845 Befragten). Ebenso wie mit Blick auf sonstige Bedingungen, wie fehlender gesetzlicher Mutterschutz in den USA (was bzgl. Industrienationen nur in den USA so zu finden ist) oder hohe Arbeitsbelastung vieler Eltern, um die eigene Existenz in einem Land mit schlechter sozialer Absicherung zu sichern. 

Ich möchte den Blick einmal vergleichend nach Kanada richten. Kanada steht im Vergleich zu den USA, zumindest nach meinem Kenntnisstand, für deutlich weniger destruktive, politische Prozesse (inkl. nach außen in Form von Kriegseinsätzen) und auch für soziales Engagement. Im GLOBAL PEACE INDEX steht Kanada aktuell auf Platz 6, die USA auf Platz 121... Kanada hat außerdem eine deutlich niedrigere Mordrate als die USA. Der aktuelle Präsident Justin Trudeau steht für Liberalismus und ist bekennender Feminist. Im Vergleich zu Donald Trump könnte der Unterschied kaum größer sein! 

Ich selbst bin im Alter von 21 Jahren (also vor ca. 22 Jahren) 3 Monate durch die gesamte USA und auch Kanada gereist (beginnend in New York von Ost über Süd nach West, dann beginnend über Vancouver durch Kanada und später wieder zurück in den Nord-Osten der USA und zurück nach New York). Ich erinnere mich sehr gut an regionale Unterschiede in den USA, auch was ungute Gefühle und Bedrohungsängste anging. Am unsichersten fühlte ich mich damals in Detroit, Los Angeles und in Teilen des Südens. Am sichersten und auch am lockersten war es in Seattle (wie gesagt, rein subjektiv empfunden). Aber mit dem Übertritt über die Grenze nach Kanada war es grundsätzlich anders. In Gesamtkanada fühlte ich mich sehr sicher und wohl. Im sehr französisch geprägtem Québec merkte ich schließlich, wie sehr ich Europäer bin und Europa vermisse. Auch dort fühlte ich mich sehr sicher. 

Für die Unterschiede in beiden Ländern gibt es sicher einige Erklärungen. Wie immer konzentriere ich mich mehr auf die Kindheit und diese ist in der Tat in Kanada deutlich gewaltfreier, als in den USA. 

Bzgl. der Gesetzgebung sind beide Länder gar nicht so unterschiedlich, wobei Kanada etwas besser dasteht. In beiden Ländern sind Körperstrafen gegen Kinder im Elternhaus legal, wobei Kanada die Gewalt etwas deutlicher beschränkt hat. In den meisten Schulen Kanadas sind Körperstrafen verboten, dagegen gibt es in den USA noch etliche Staaten, die Körperstrafen erlauben und auch praktizieren. 

Den wesentlichsten Unterschied zwischen beiden Ländern und dem Ausmaß von Gewalt gegen Kinder findet man im Elternhaus. Kanada bewegt sich – wie die Daten unten zeigen – deutlich auf das nordeuropäische Niveau zu. Nur noch eine deutliche Minderheit der Kinder wird im Elternhaus geschlagen und dies meist nicht häufig. Wobei zu beachten ist, dass die unten genannten Daten bzgl. der Aktualität auf dem Stand zwischen 2008 und 2013 sind. Es ist bei der Trendlage davon auszugehen, dass sich bis zum Jahr 2020 der Gewaltrückgang gegen Kinder noch weiter verbreitet hat. 

Der Rückgang von Körperstrafen gegen Kinder ist ein sehr bedeutender Faktor, um eine Gesellschaft in ihrem Sein zu bewerten (was ich hier im Blog schon oft betont habe). Eltern, die in der Lage sind, ihre Kinder gewaltfrei zu erziehen, bezeugen durch ihr Handeln bereits einen hohen emotionalen Entwicklungsstand. Gewaltfreiheit gegenüber Kindern bedeutet auf der einen Seite deutlich weniger schädliche Entwicklungsverläufe für die Kinder eines Landes, aber sie bedeutet eben auch, dass die Erwachsenen einen wichtigen Schritt in der psychosozialen Evolution gemacht haben. Dieser Schritt wurde von vielen Eltern und Erwachsenen in den USA noch nicht gemacht! Und dies erklärt meiner Auffassung nach auch ganz wesentlich politisch-soziale Unterschiede an sich zwischen den USA und Kanada. 

Hier nun einige Daten aus Kanada: 

In repräsentativen Befragungen wurden kanadische Eltern im Zeitraum zwischen 1994 und 2008 bzgl. ihres Strafverhaltens gegenüber Kindern erfasst. 1994 schlugen noch ca. 50 % der kanadischen Eltern ihre 2-5jährigen Kinder, bis 2008 sank die Rate auf ca. 30 %. Bei den 6-9jährigen Kindern sank die Rate von etwas unter 40 % im Jahr 1994 auf etwas über 20 % im Jahr 2008. Gleichzeitig nahm die Häufigkeit des Strafverhaltens stetig ab. Die meisten kanadischen Eltern, die ihre Kinder schlagen, tun dies eher selten. (Fréchette, S. & Romano, E. (2015): Change in Corporal Punishment Over Time in a Representative Sample of Canadian Parents. Journal of Family Psychology. Vol. 29, Nr. 4. S. 507-517.)

Speziell für die kanadische Provinz Québec wurden drei große Studien aus den Jahren 1999, 2004 und 2012 miteinander verglichen. Abgefragt wurde jeweils das elterliche Gewaltverhalten innerhalb eines Jahres gegen Kinder zwischen 0 und 18 Jahren. 1999 erlebten 47,7 %, 2004 42,9 % und 2012 34,7 % der Kinder mindestens einmal körperliche Gewalt im Elternhaus. Gleichzeitig sank die Zustimmungsrate zu Körperstrafen. 1999 stimmten beispielsweise noch 29,2 % der Eltern in Québec zu, dass manche Kinder geschlagen werden müssten, um eine Lektion zu lernen, 2004 war der Wert auf 25,7 % und 2012 auf 15 % gesunken. (Clément, M.-E. & Chamberland, C. (2014): Trends in Corporal Punishment and Attitudes in Favour of This Practice: Toward a Change in Societal Norms. Canadian Journal of Community Mental Health. Vol. 33, NO. 2. S. 13-29.)

Im Jahr 2013 wurden 500 Erwachsene in Ontario, die mit einem Kind im Alter von 6 Jahren oder darunter zusammenlebten, befragt. 72 % der Befragten glauben nicht, dass Körperstrafen gegen Kinder eine effektive Methode sind, diesen etwas beizubringen. 26 % glauben an den Nutzen von Körperstrafen. 68 % der Befragten hatten ihr Kind noch nie geschlagen. 27 % der Befragten hatten ihr Kind geschlagen. Nur 4 % hatten ihr Kind häufig geschlagen. (Best Start Resource Centre (2014): Child Discipline: Ontario Parents’ Knowledge, Beliefs and Behaviours, Toronto: Best Start Resource Centre)


Donnerstag, 29. Oktober 2020

"Familienkrieg" - Kindheit und Familie des Neonazis Simon

Bereits vor 18 Jahren habe ich die Doku „Familienkrieg“ von Reinhard Schneider aus dem Jahr 2002 im Fernsehen gesehen und nie vergessen. Seit einigen Monaten ist die Doku nun auch online zu sehen:

Teil 1: Mein Sohn, der Nazi

Teil 2: Entzugserscheinungen

Teil 3: HassLiebe

Dazu gibt es auch noch das Hör-Feature „Mein Sohn der Nazi - Szenen einer Familie aus Niederbayern

(Aus all den oben genannten Quellen beziehe ich meine unten aufgestellten Informationen.) 

Für mich ist die heutige Sicht allerdings eine etwas andere, eine komplexere als vor 18 Jahren. Damals hatte ich zwar sehr wohl den Zusammenhang zwischen der destruktiven Kindheit und Familie von Simon und seinem Weg zum Nazi erkannt (es wäre auch erstaunlich, wenn Zuschauer dies nicht erkennen würden), aber ich hatte noch kein Schema bzgl. der verschiedenen Belastungsfaktoren im Hinterkopf. Heute, 18 Jahre später, habe ich sehr viel mehr Belastungsfaktoren im Fall Simon erkannt, als damals. Es ist schockierend, was dieses Kind alles erlitten hat. 

Simons Vater, ein Seemann, war Alkoholiker. Simons Mutter war bei Simons Geburt nur 19 Jahre alt. Die Mutter wurde von ihrem Mann systematisch schwer gedemütigt, terrorisiert und herabgesetzt, auch schon während der Schwangerschaft. Ihr Mann drohte ihr auch Gewalt an. Als sie mit Simon schwanger war, bekam sie Selbstmordgedanken. Später sagte sie dies auch ihrem Kind Simon: „Ich wollte mich umbringen, als Du in meinem Bauch warst“, berichtet Simons spätere Freundin.  Auch eine Abtreibung stand kurz im Raum. Simon war alles andere als ein Wunschkind. Gezeugt wurde er, in dem sein Vater die Mutter vergewaltigte. Dies habe Simons Mutter ihrem Sohn später auch immer wieder vorgehalten. Die Geburt von Simon war schwierig, das Kind kam zu früh und musste zudem mit der Saugglocke geholt werden. Die finanzielle Lage der Familie war nach Simons Geburt angespannt, der alkoholabhängige Vater oft abwesend. Die Mutter hatte oft nicht genug zu essen und verlor an Gewicht.

Simon fühlt sich grundsätzlich von seiner Mutter abgelehnt. Seine Mutter und sein Vater hätten außerdem seinen jüngeren Bruder bevorzugt. Simon wurde nicht getauft und wurde in seinem katholisch-konservativen Umfeld ausgegrenzt. An sich hatte Simon in seiner frühen Kindheit keinen Kontakt zu anderen Kindern, er hatte nur seinen Hund.

Seine Mutter war Krankschwester und dadurch beruflich (auch im Schichtdienst) sehr ausgelastet. Ihr Sohn warf ihr später vor, dass sie nie da war, wenn sie gebraucht wurde. Sie wendete außerdem auch häufig körperliche Gewalt gegen Simon an, auch Simons Vater schlug seinen Sohn. Der Vater verließ schließlich die Familie, der genaue Zeitpunkt wird nicht klar. Vermisst wurde er nicht. Er starb an Krebs, als Simon noch ein Jugendlicher war. Der Sohn erfuhr nachträglich vom Tod des Vaters und konnte nicht an der Beerdigung teilnehmen. Simons Mutter bedauert dies, weil sie es ihrem Sohn gewünscht hätte, auf das Grab des Vaters spucken zu können, als eine Art Abschluss. Simon selbst meint, dass er gerne auf das offene Grab „gepisst“ hätte. Nur die politisch rechte Einstellung des Vaters wäre in Ordnung gewesen. Ansonsten scheint er ihn einfach nur gehasst zu haben. 

Simons neuer Stiefvater ist ein LKW-Fahrer und meist nur am Wochenende zu Hause. In der textlichen Beschreibung des Hör-Feature wird geschrieben, dass dieser Stiefvater, ein ehemaliger Boxer, Simon eines Tages brutal zusammenschlug und Simon ihn danach anzeigte. Aber auch Simon hätte gedroht, den Stiefvater und die Mutter umzubringen.

Als Jugendlicher wurde Simon zunächst linker Punk und lehnte das politische System in Deutschland ab. Durch Bekanntschaften kam er später mit der rechten Szene in Kontakt und wandelte sich schnell zum Neonazi. Die Kommunikation mit seiner Mutter endet stets im Streit, gegenseitigen Vorwürfen und Beleidigungen. Wobei die Mutter stets sehr kalt wirkt, stichelt und ihren Sohn extrem provoziert. In dieser Familie gab es keine Liebe, sondern immer nur Krieg, das ist der Schlussstrich, den man unter die Doku „Familienkrieg“ ziehen kann. 

Die Destruktivität geht aber noch über die rechte Gesinnung von Simon hinaus. Simon verliebte sich in eine drogenabhängige Frau, die er später heiratete. Die Beziehung der beiden ist von extremer Destruktivität geprägt. Sie wurde außerdem schwanger und verlor das Kind. Außerdem findet Simon keine Arbeit und driftet durch den Tag. 

Die Belastungen in Kindheit und Jugend von Simon sind unfassbar komplex. Im Jahr 2002 konnte ich diese ganzen Belastungen noch nicht deutlich erfassen und sortieren. Würde man für Simon einmal den ACE score erfassen bzw. einen ACE-Fragebogen für ihn ausfüllen, würde er zu einer kleinen Gruppe von besonders stark als Kind belasteten und traumatisierten Menschen gehören. Der ACE-Fragebogen reicht aber in seinem Fall noch nicht einmal aus. Die Belastungen für den Fötus und während der Geburt würden nicht erfasst. Ebenso wenig wie der Sachverhalt, dass er durch eine Vergewaltigung gezeugt wurde. Da seine Mutter von ihrem Mann nicht geschlagen, sondern verbal terrorisiert wurde, würde auch dies wohl nicht erfasst werden. Die Ausgrenzung durch Gleichaltrige käme ebenfalls nicht in die Auswertung. Die Bevorzugung des Bruders wäre kein Thema usw. 

Fragebögen können nur das erfassen und messen, wofür sie gedacht sind. Das Leben eines Kindes ist immer komplexer, als das, was Fragebögen abbilden können. Die Doku „Familienkrieg“ und das dazugehörige Hör-Feature geben uns einen sehr breiten und tiefen Blick in die Abgründe einer Familie, aus der ein gewaltbereiter Neo-Nazi hervorging. Wer wundert sich ernsthaft, dass dieser Junge zu dem werden konnte, wer er ist? Heute wissen wir dank vieler Forschungsarbeiten, dass destruktive Kindheiten bei Rechtsextremisten/rechten Gewalttätern keine Ausnahmen sind, sondern die Regel. 

Der „Familienkrieg“ zeigt aber noch mehr auf. Simons Vater hatte selbst eine sehr unglückliche Kindheit, war also auch Opfer. Die Kindheit von Simons Mutter war kein Thema, ich vermute auch in ihrer Kindheit schwere Belastungen. Sie wirkt auf mich wie eine sehr traumatisierte Person. Auf jeden Fall war sie Opfer ihres Mannes. Aber sie war nicht nur Opfer, sondern auch massive Täterin gegenüber ihrem Sohn. Traumatische Belastungen können an die nächste Generation weitergegeben werden, wenn dieser Teufelskreis nicht – bestenfalls durch Therapien und Unterstützung – unterbrochen werden kann. Sollte Simon mit seiner drogenabhängigen Frau (die ebenfalls sehr traumatische, eigene Kindheitshintergründe angedeutet hat) doch noch Kinder bekommen haben, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch diese Kinder schwer belastet werden. Der ganze Fall zeigt auch auf die „Geschichte der Kindheit“, auf letztlich jahrhundertelange Folgewirkungen von Traumatisierungen und desaströsem Umgang mit Kindern. 


Dienstag, 27. Oktober 2020

Belastende Kindheitserfahrungen und Extremismus in den USA - Neue Studie

Simi und Kollegen hatten bereits im Jahr 2016 eine eindrucksvolle Studie (Narratives of Childhood Adversity and Adolescent Misconduct as Precursors to Violent Extremism: A Life-Course Criminological Approach) veröffentlicht, für die 44 ehemalige Rechtsextremisten bzgl. Kindheitserfahrungen befragt wurden. 

Nun haben die Forschenden noch einmal nachgelegt und Befragungen von 91 (70 männlich, 21 weiblich) ehemaligen U.S. Extremisten/Rassisten (aus den Gruppierungen Ku Klux Klan, Christian Identity, neo-Nazi, racist skinheads) durchgeführt:

Windisch, S., W., Simi, P., Blee, K. & DeMichele, M. (2020): Measuring the Extent and Nature of Adverse Childhood Experiences (ACE) among Former White Supremacists. Terrorism and Political Violence. (Onlineveröffentlichung Juni) 

Die Befragungen wurde als sogenannte ACE-Studie durchgeführt. Die Studie ist somit direkt mit Ergebnisse von allgemeinen ACE-Studien vergleichbar. Die Extremisten sind im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutlich belasteter bzw. ihre ACE-Werte gleichen eher denen von "Hochrisikogruppen", was das Autorenteam auch kommentiert und ausführt. 


Ergebnisse (Misshandlungsformen vor dem 18. Lebensjahr gegen die Befragten durch Elternteile/Erziehungsberechtigte):

48 % wurden körperlich misshandelt

46 % wurden emotional vernachlässigt

46 % wurden emotional misshandelt

23 % wurden sexuell missbraucht

15 % wurden körperlich vernachlässigt

Insgesamt 65 % der Befragten berichteten über eine oder mehr Erfahrungen von Misshandlungen wie oben aufgeführt. 

Ergebnisse für weitere Belastungen in den Familien: 

68 % berichteten davon, von Elternteilen verlassen worden zu sein

66 % berichteten von elterlichem Suchtmittelmissbrauch

47 % wurden Zeugen häuslicher Gewalt

47 % berichteten von psychischen Erkrankungen von Elternteilen/Erziehungsberechtigten

32 % berichteten, dass Elternteile inhaftiert wurden


Verteilung der Belastungen bzw. ACE-Werte:

0 ACE Wert = 10 %

1 ACE Wert = 9 %

2 ACE Werte = 10 %

3 ACE Werte = 9 %

4 ACE Werte = 15 %

5 ACE Werte = 10 %

6 ACE Werte = 10 %

7 ACE Werte = 11 %

8 ACE Werte = 11 %

9 ACE Werte = 5 %

10 ACE Werte = 0 %


Freitag, 9. Oktober 2020

"Sogwirkungen" von Missachtung- und Gewalterfahrungen im Elternhaus


Seit über 18 Jahren befasse ich mich mit den Folgen von Destruktivität und Gewalt gegenüber Kindern. Im folgenden Text möchte ich einige Gedanken (die sich aus meinen persönlichen Beobachtungen, Erfahrungen und Eindrücken sowie meiner vielseitigen Literaturrecherche ergeben haben) darüber zusammenfassen, was destruktive Kindheitserfahrungen im Elternhaus alles anstoßen können. 

Dass Gewalt-, Missbrauchs- und Demütigungserfahrungen im Elternhaus viele schädliche Folgen für Kinder und auch die später Erwachsenen haben können, steht mittlerweile aus wissenschaftlicher Sicht außer Zweifel. Je früher, je massiver und je vielfältiger die destruktiven Erfahrungen in der Kindheit sind, desto schwerwiegender sind die Folgen. Und auch die Nähe zum Täter beeinflusst die Folgen stark, weshalb Destruktivität im Elternhaus besonders schädlich wirkt. 

Bei der Betrachtung der Folgeschäden wird meines Erachtens nach allerdings oftmals etwas ausgeblendet, wofür es mir schwerfällt, einen passenden Namen zu finden. Der beste bildliche Vergleich ist der einer Sogwirkung. Dazu gleich mehr. 

Bei der Erforschung der Folgen von destruktiven Kindheitserfahrungen wird oft geschaut, was „vorne“ alles rein ging und was „hinten“ herauskommt. Die sogenannten ACE-Studien haben bisher am breitesten ausgeleuchtet, was alles „vorne“ rein ging (u.a. körperliche, sexuelle + emotionale Misshandlung, Miterleben von Gewalt in der Familie, Suchtmittelgebrauch in der Familie und psychisch kranke Familienmitglieder) und was „hinten“ rauskam (u.a. diverse Krankheitsbilder, psychische Störungen, Suchtmittelgebrauch, Arbeitslosigkeit, früher Tod, Suizid, Gewaltverhalten).

Dabei fehlen allerdings ein paar Puzzleteile, die aber auch schwer messbar sind. Die oben gennannten möglichen Folgen und die erwähnten destruktiven Kindheitserfahrungen stehen zweifellos in einem deutlichen Zusammenhang. Aber noch etwas wirkt hinein, noch etwas wirkt sich aus. Etwas, dass ich wie gesagt als Sogwirkung bezeichne. 

Ich gebe einige Beispiele: 

Wenn Eltern sich systematisch destruktiv gegen ihr Kind verhalten, so hat dies nicht nur direkte Folgen auf die betroffenen Kinder, sondern nach meinem Eindruck auch auf das Verhältnis zwischen Geschwistern. Es stimmt zwar auch, dass sich nicht selten Geschwister untereinander solidarisieren und sich einen kleinen Schutzraum schaffen, der gegen destruktive Eltern steht. Aber nicht selten ist ebenso (oder auch gleichzeitig), dass das schlechte Vorbild der Eltern bedingt, dass sich auch Geschwister gegenseitig verletzen, ihre Beziehung von einer Hass-Liebe geprägt ist usw. 

Nicht nur einmal ist mir aufgefallen, dass die später Erwachsenen, die aus Misshandlungsfamilien oder grob formuliert „destruktiven Familien“ stammen, kein oder ein sehr schlechtes Verhältnis zu ihren Geschwistern haben. Konstruktive Streitkultur wurde nicht gelernt, gegenseitige Verletzungen der Geschwister untereinander wurden nicht vergessen und ein Wiedersehen mit den Geschwistern droht auch jedes Mal unerträgliche Erinnerungen an die eigene Kindheit wieder hoch kommen zu lassen. Vielleicht ist auch ein Geschwisterkind schlechter von den Eltern behandelt worden, als das andere. Was Neid und Missgunst nach sich zieht. Die Folge aus all dem  ist, dass solch geprägte Menschen auch weniger durchs Leben „getragen“ werden. Geschwister, die sich gut verstehen, „tragen“ sich gegenseitig, bieten emotionale Nähe, Sicherheit und Wohlbefinden und in der Folge auch eine gesündere Psyche. Wenn diese Bindung bedingt durch elterliche Destruktivität gestört oder gar zerstört wurde, dann belastetet auch dies und trägt mit einen Teil zu beobachtbaren schädlichen Folgen im Erwachsenenalter bei. Die beobachtbaren Folgeschäden sind dann also nicht nur eine direkte Folge elterlicher Destruktivität, sondern auch indirekte Folge durch die negativen Prägungen auf Geschwisterebene. Oder anders gesagt: Elterliche Destruktivität kann eine Sogwirkung entfalten; sie stößt an und bedingt weitere negative Dynamiken, die alle Beteiligten sogartig erfasst und immer weiter nach unten reißt. 

Anderes Beispiel: Wenn sich z.B. im Kindergarten oder in der Grundschule zwischen Eltern herumspricht, dass es bei einem Elternteil eines bestimmten Kindes Kinderschutzmaßnahmen/-interventionen gab, dann hat dies u.U. direkte Folgen, die dem betroffenen Kind gar nicht klar sein werden. Das Kind will vielleicht ein anderes Kind zu sich nach Hause einladen oder es lädt zum Geburtstag ein. Nur: Es kommt keiner! Die Eltern der anderen Kinder werden direkte oder indirekte Wege finden, ihr Kind davon zu überzeugen, dass es sich andere Freunde suchen soll. Nicht weil das andere Kind ein Problem ist, sondern weil sie Sorge bezogen auf einen Elternteil oder die Eltern des anderen Kindes haben und ihr eigenes Kind schützen wollen. In der Folge verzweifelt das betroffene Kind und sein Selbstwertgefühl wird erschüttert. Das Kind wird – wie im Beispiel davor – nicht von seinem Umfeld „getragen“, es erlebt weniger oder kaum emotional befriedigende Freundschaften mit anderen Kindern. Es findet dadurch auch kein oder weniger Ausgleich zu den destruktiven Erfahrungen im Elternhaus statt, obwohl diese Ausgleichserfahrungen so unbedingt nötig wären. Das Ausgegrenzt-werden war ursprünglich Folge des destruktiven Verhaltens der eigenen Eltern. Aber das Ausgegrenzt-werden an sich hat wiederum ganz eigene schädliche Folgen für das betroffenen Kind. Auch hier gilt wieder: Elterliche Destruktivität entfaltet eine ganz eigene Sogwirkung nach unten. 

Ähnliches Beispiel wie das zuvor: Erlebte elterliche Destruktivität oder gar traumatische Erfahrungen haben natürlich auch akute Folgen für die betroffenen Kinder. Wenn diese Folgen sich so ausdrücken, dass die entsprechenden Kinder verhaltensauffällig werden, dann kann ihr negatives Verhalten wiederum Ausgrenzungserfahrungen nach sich ziehen. Wenn es nette und konstruktive Kinder in der Schule gibt, dann werden sich viele Kinder nicht unbedingt das verhaltensauffällige Kind als besten Freund aussuchen. Die eigene dunkle Ausstrahlung oder Verhaltensauffälligkeit führt zur Vereinsamung des Kindes, was wiederum noch mehr Verhaltensauffälligkeiten nach sich zieht. Die destruktiven Eltern gaben den Anstoß, das Kind wird in den dunklen Strudel hineingezogen. Auch hier gilt wieder: Das Kind macht weniger oder kaum tragende, positive Erfahrungen, sondern lernt ganz im Gegenteil, dass die Welt nicht nur aus destruktiven Eltern besteht, sondern auch das Umfeld gefühlt „feindselig“ ist. Wer ausgegrenzt wird, der erlebt dies als Angriff auf seine Person und fühlt sich feindselig behandelt. Zu Recht. Damit meine ich nicht, dass das Umfeld im wahrsten Sinne des Wortes real feindselig sein muss. Das betroffene Kind wird vielleicht akzeptiert und auch wahrgenommen. Aber was hilft dies, wenn keine Kinder zum Spielen vorbeikommen und wenn man keinen besten Freund findet? Das Kind fühlt sich dann im „Feindesland“. Alles ist grau, das Leben wird zur Qual. 

Erneut ähnliches Beispiel: Ein stark vernachlässigtes Kind, das in Kindergarten und Schule gut integriert ist und keine Verhaltensprobleme zeigt, nähert sich einem anderen Kind an, baut eine Freundschaft auf und besucht dieses Kind auch. Das andere Kind lebt in einer sehr herzlichen Familie, die tiefe Bindungen hat. Nun kann dies eine Chance für das vernachlässigte Kind sein, positive Ausgleichserfahrungen zu machen. Aber was ist, wenn sich die „Täterintrojekte“ melden? Wenn eine Stimme innerlich ruft: „Du hast es nicht verdient, diese nette Familie zu kennen und zu besuchen. Du bist schlecht und Dreck! Keiner wird Dich mögen!“ (Botschaften also, die ursprünglich in ähnlicher Weise durch destruktive Elternteile in das Kind eingepflanzt wurden)  Oder anders gedacht: Was ist, wenn diese nette Familie zu einer extremen Verunsicherung des vernachlässigten Kindes führt? Denn dieses Kind erlebt quasi bei seinem Besuch live, was es selbst nicht hat und wie sehr es im Grunde Zuhause leidet. Unerträglich! Dieses Kind inszeniert in der Folge plötzlich Streit. Es verhält sich schlecht. Es macht sich unbeliebt. Schließlich wird es von dem einladenden Kind gemieden und verliert den Kontakt. Das vernachlässigte Kind kann jetzt wieder innerlich überleben, weil es nicht mehr sehen muss, was es selbst so gerne hätte. Die Folge: Weniger Sozialkontakt, schlimmstenfalls Vereinsamung mit wiederum ganz eigenen Folgen. Der Sog der destruktiven Eltern wirkt auch hier. 

Noch ein Beispiel: Die oben gemachten Überlegungen führen zu einer weiteren Überlegung. Wenn diese Dinge so passieren, hat dies u.U. zur Folge, dass entsprechende Kinder eher „Ihresgleichen“ suchen. Kinder mit destruktiven Eltern finden sich dann gegenseitig. Sie erkennen sich. Sie verbindet auch etwas. Allerdings kann es, wenn es schlecht läuft, auch dazu führen, dass sie ihre schlechten Seiten gegenseitig verstärken. Sie haben Zuhause keinen konstruktiven, liebevollen Umgang erlebt. Sie haben eine andere innere Moral entwickelt. Sie pflegen jetzt gegenseitig ihre destruktiven Seiten. Sie planen jetzt vielleicht Intrigen gegen ein anderes Kind. Oder sie planen, einen Lehrer fertig zu machen. Wenn diese Kinder Jugendliche werden, sind es genau diese unguten Verbindungen, die zu destruktiven Gruppenbildungen führen: Delinquente Jugendgangs, extremistische Gruppen usw. Wie gesagt, man „erkennt sich“ gegenseitig. Traumatisierte Menschen können einander irgendwie anziehen, das gilt auch für Ehepaare.

Wobei wir beim nächsten Thema wären: Destruktive Kindheitserfahrungen können manches Mal ungute Lebensentscheidungen nach sich ziehen. Man(n) will Soldat werden, um sich stark und zugehörig zu fühlen und seine Kindheit abzuschütteln. In der Folge erlebt man(n) traumatisierende Einsätze und wird psychisch immer weiter beschädigt. Oder man findet einen Ehepartner, der ebenfalls in der Kindheit traumatisiert wurde. Beide Partner verletzten sich vielfach gegenseitig und arbeiten gemeinsam an der Zerstörungen ihrer beider Leben und ihres Glücks. Der Sog, der ursprünglich von den Eltern erzeugt wurde, wird immer größer und zieht weitere belastende Erfahrungen nach sich. Dies könnte man in etliche Richtungen weiterspinnen. Etwa dahingehend, dass als Kind schwer verletzte Menschen später oft kein gutes Gefühl für potentiell bedrohliche Situationen oder bedrohliche Menschen haben. Oder ein innerlicher Druck zwingt sie gar auf eine Weise, sich in riskante Situationen zu begeben. In der Folge erleben sie dann schwere Verletzungen. 

Es gibt im Extrem in der Tat Biografien, wo sich eine schwere Belastung an die nächste reiht. Am Anfang war die elterliche Misshandlung. Wenn man sich dann die Lebensgeschichte dieser Menschen genau anschaut, dann gab es stets nur Schatten, nie Licht. Dann gab es nur Unglück, nie Glück. Dann gab es keinen Schutz, nur Verletzungen. Socher Art Biografien kann man sich gar nicht ausdenken, sie sind unfassbar. 

Mit diesem Beitrag, den man sicher noch weiter ausfeilen könnte, möchte ich unterstreichen, dass elterliche Destruktivität nicht alleine für die beobachtbaren negativen Folgen im Erwachsenenalter (wie z.B. psychische Störungen, massive Gesundheitsprobleme, usw.) verantwortlich sein muss. Die elterliche Destruktivität an sich stößt derart viel an oder bewirkt einen derartigen Sog, dass sich diverse weitere belastenden Erfahrungen daraus ergeben, dass Menschen weniger durchs Leben „getragen“ werden und sie folglich auch psychisch weiter beschädigt werden. Den Grundanstoß gab in der Tat das destruktive Elternhaus! Daraus folgt der Schluss, dass eine Prävention von Leid im Elternhaus der Schlüssel auch von Prävention weiterer belastender Erfahrungen sein kann. Kumulierte Belastungserfahrungen erhöhen massiv den möglichen schädlichen (psychischen) Output.  Leider zeigt uns die Realität, dass im Elternhaus belastetet Kinder oft genau das erleben: Mehrfachbelastungen, die sich gegenseitig verstärken oder auch die nächste Belastung nach sich ziehen. Insofern muss die Präventionsarbeit auch einen geschulten Blick auf diese potenziellen Sogwirkungen haben, die im Elternhaus schlecht behandelte Kinder nicht selten erleben.  


Mittwoch, 30. September 2020

Kindheit von Mustafa Kemal Atatürk

Der Psychiater und Psychoanalytiker Vamik D. Volkan hat in seinem Buch „Das Versagen der Demokratie. Zur Psychoanalyse nationaler, ethischer und religiöser Konflikte“ (2003 im Psychosozial-Verlag erschienen) eine recht ausführliche Beschreibung von Kindheit und Lebensweg von Mustafa Kemal Atatürk geliefert. In meinem Buch habe ich die Kindheit von Atatürk bereits kurz gestreift, indem ich die die Mutter Atatürks idealisierenden Darstellungen des Psychiaters Johann Benos kritisierte. Atatürks Mutter lebte sehr traditionell und religiös, was ihr Sohn ablehnte. Nach kurzen Einlassungen auf seine Kindheit schrieb ich abschließend: „Atatürks Kampf gegen das Alte, gegen religiöse Einflüsse und Traditionen sind symbolisch auch eine Art Kampf gegen seine Mutter, die für eben diese alten Wertvorstellungen stand. Was würde wohl ein Psychoanalytiker dazu sagen?“ 

Die Ausführungen von Volkan sind bei weitem ausführlicher als das, was ich bei meinen damaligen Recherchen fand. Und sie beantworten auch weiter die Frage, die ich in meinem Buch in den Raum stellte. 

Die Mutter von Atatürk stammte aus einer kleinbäuerlichen Familie und wurde bereits als Kind verheiratet. Mustafas Eltern verloren vor seiner Geburt drei ihrer Kinder; das älteste Kind starb, als es 7 Jahre alt war. Die Geburt Mustafas fiel in eine Zeit, in der es der Familie finanziell überaus gut ging und in der Zuversicht herrschte. Eine Amme wurde für Mustafa engagiert, weil die Milch der Mutter nicht ausreichte. 

Zwei weitere Töchter folgten, von denen aber nur eine das Erwachsenenalter erreichte. Wie alt Mustafa beim Tod seiner jüngeren Schwester war und wie ihn das prägte, wird von Volkan nicht beschrieben. Weitere schwere Belastungen folgten: Die Mutter wurde Witwe, als sie 27 Jahre alt war.
Ihr Mann hatte seine Existenz verloren (...). Als Ergebnis dessen war er dann zum Trinker und in die Verzweiflung abgerutscht, bis er schließlich starb, als sein Sohn sieben Jahre alt war. Mustafa wurde somit in einem Haus des Todes geboren und fand sich der Fürsorge einer trauernden Mutter überlassen, deren Leben, abgesehen von einer kurzzeitigen Schonfrist, voller Härten und Schwermut gewesen war. Er trug sogar den Namen eines Onkels väterlicherseits, der als kleines Kind bei einem Unfall, als sein Kinderbettchen umkippte, ums Leben gekommen war, ein Unfall, für den im übrigen Mustafas Vater verantwortlich gewesen war “ (S. 106). 

Nach dem Tod des Vaters zog die kleine Familie zu Verwandten auf einen Bauernhof. „Mustafa wurde jedoch nach Saloniki zurückgeschickt, um bis zu seinem Schulabschluss bei einer Tante zu leben. Er wurde dabei erwischt, wie er mit einem Kind kämpfte, und schlimm von seinem Lehrer geschlagen, der als religiös bekannt war. `Mein ganzer Körper war voller Blut.`“(S. 108). Daraufhin nahm Mustafas Mutter ihren Sohn von der Schule. 

Als Mustafa in die Pubertät kam, heiratete seine Mutter erneut. Er wurde daraufhin derart eifersüchtig, dass er von zu Hause auszog und sich an einer militärischen Internatsschule einschrieb (S. 108). Später verließ seine Mutter den Stiefvater und zog nach Istanbul zu ihrer Tochter und deren Mann. Dort nahm sie einen dreijährigen Waisenjungen auf, den Volkan später ausfindig machte. „Ich interviewte ihn, Abdürrahim Tuncak, als er in den Sechzigern war. (…). Nachdem, was er mir darüber erzählte, wie Atatürks Mutter ihn behandelt hatte, konnte ich einen Eindruck davon bekommen, wie sie als Mutter wohl gewesen war. Seinen Erinnerungen zufolge war sie nicht nur eine herrische Frau, sondern auch eine, die ihn als psychologische Krücke (…) benutzte“ (S. 110f.)

Volkon deutet ergänzend die Wege Atatürks zum Staatsoberhaupt und verbindet diesen Weg auch mit seiner Kindheitsgeschichte. Seine Ausführungen sind zu ausführlich, um sie hier wiederzugeben. Ich verweise bei Interesse daran auf sein Buch. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Atatürk ein schwer belastetes, traumatisiertes Kind war. Die Bezeichnung Volkans „Haus des Todes“ (Tod von insgesamt 4 Kindern + dem Vater) bringt es auf den Punkt. Gleich nach der Geburt gab es die erste Trennung, indem eine Amme sich seiner annahm. Sein Vater wurde zum Trinker, was das Kind ebenfalls sehr geprägt haben wird. Der Tod entriss ihm den Vater. Zwei weitere Trennungen folgten (Unterbringung bei einer Tante und später im Militärinternat). Schwere Gewalt durch einen Lehrer ist überliefert. Mütterlicher emotionaler Missbrauch und mütterliche Härte sind zu vermuten. 


Freitag, 25. September 2020

Kindheitsursprünge von Rechtsextremismus: DIE gesammelten Studien.

(aktualisiert am 19.06.2023, Hinweise zu neuen Aktualisierungen jeweils im Kommentarbereich)


Bisher habe ich 39 Studien und Einzelarbeiten (Befragungen oder Fallbeispiele aus der psychotherapeutischen Praxis) gefunden, innerhalb derer Kindheiten von rechten Gewalttätern bzw. Rechtsextremisten besprochen wurden. Diese Studien stelle ich unten vor. 

Viele dieser Studien habe ich hier im Blog bereits ausführlicher besprochen (siehe entsprechend die Links unten). Dass sich nicht immer in 100 % der untersuchten Fälle destruktive Kindheiten nachweisen lassen, ist logisch und dazu habe ich auch bereits hier und hier deutliche Anmerkungen gemacht. Allerdings lässt sich zusammenfassend eindeutig sagen: Generell zeigt sich, dass rechte Gewalttäter bzw. Rechtsextremisten i.d.R. eine sehr destruktive Kindheit hatten!

Das Bild, das diese 39 Studien aufzeigen, wird noch durch kriminologische Befragungen mit hohen Fallzahlen ergänzt (z.B. "Einflussfaktoren extremistischer Einstellungen unter Jugendlichen in der Schweiz" oder "Einflussfaktoren des politischen Extremismus im Jugendalter — Rechtsextremismus, Linksextremismus und islamischer Extremismus im Vergleich"). Sie zeigen signifikante Zusammenhänge zwischen Gewalterleben (Körperstrafen) in der Kindheit (und auch fehlender elterlicher Zuwendung) und rechtsextremistischen Einstellungen. Es gibt auch andere interessante Ansätze. In den USA (Quest for Significance and Violent Extremism: The Case of Domestic Radicalization. Political Psychology 38(5)) wurden 1496 Akteure (90% männlich), die ideologisch bedingte Straftaten (rechtes, linkes + islamistisches Spektrum) begangen hatten, an Hand öffentlich zugänglicher Daten/Berichte untersucht (keine direkten Befragungen). 62 % der untersuchten Akteure hatten Gewalt ausgeübt. 35 % aller Akteure wurden als Kind misshandelt, 48 % erlitten ein Trauma (nicht nur auf Kindheit bezogen), 29 % hatten stark extremistische Familienmitglieder. Dafür, dass keine direkten Befragungen stattfanden, sind die Ergebnisse bezogen auf Belastungen recht eindrucksvoll. Auch hier wird deutlich, dass traumatische Erfahrungen und belastende Kindheitserfahrungen bedeutsam bei der Genese von Extremismus sind. 
Es gibt auch etwas ältere Forschungsansätze (immer noch aktuell!), die in eine ähnliche Richtung zeigen. So fand eine Forschungsgruppe bei einer Befragung von 695 Jugendlichen heraus, dass negatives Erziehungsverhalten einen direkten Effekt auf Level und Anstieg von fremdenfeindlichen Einstellungen hat (Hefler, G., Boehnke, K.& Butz, P. (1999): Zur Bedeutung der Familie für die Genese von Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen: Eine Längsschnittanalyse. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation (19). S. 72–87). 
Eine große Studie im Auftrag des Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen fand, dass rechtsextrem eingestellte Jugendliche im Vergleich zur allgemeinen Altersgruppe häufiger geschlagen, strenger erzogen und weniger von den Eltern unterstützt wurden. Die rechtsextrem eingestellten Jugendlichen bekamen auch weniger elterliche Aufmerksamkeit und fühlten sich in der Kindheit einsamer als ihre Altersgenossen. Die gleichen Ergebnisse zeigt auch die große Vorgängerstudie ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen. 

Zu diesem Gesamtbild gehören ergänzend auch die vielen „Einzelfälle“, die ich hier im Blog oder in meinem Buch besprochen habe: Diverse NS-Täter (inkl. Adolf Hitler + weitere wichtige Anmerkungen über seine Kindheit hier und hier) sowie Rechtsterroristen wie Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt, Anders Breivik und Stephan Ernst (siehe diese und diverse weitere Fälle aus dem rechtsextremen Spektrum + diverse NS-Täter im Inhaltsverzeichnis). Was sowohl bei den detaillierten Einzelfällen als auch in so machen Studien mit vielen Befragten auffällt sind oftmals Mehrfachbelastungen (!), also z.B. eine autoritäre Erziehung und der Tod eines Elternteils (wie es z.B. bei Adolf Eichmann war). Andere erlebten eine autoritäre Erziehung und ergänzend Mobbingerfahrungen oder wurden Zeuge von häuslicher Gewalt oder hatten suchtkranke Familienmitglieder usw. Bei manchen Tätern kommen gar so viele Belastungen zusammen, dass man sich fragt, wie diese Menschen ihre Kindheit überhaupt überlebt haben (Paradebeispiel dafür ist Adolf Hitler).

Die empirische Datenlage ist geradezu überwältigend! Trotz dieser vielen Einzelarbeiten ist mir bis heute keine Arbeit bekannt, die all diese hier genannten Studien (und ergänzend auch Einzelfälle) zusammengebracht hat. Dieser Beitrag dürfte somit der bisher umfassendste im deutschsprachigen Raum sein, wenn es um die Kindheitsursprünge (und somit um die tieferen Ursachen an sich) von Rechtsextremismus geht.
Diese Feststellungen mache ich mit einem "lachenden" und "weinenden" Auge. „Lachend“ deshalb, weil es mich nach all der Recherchearbeit und Mühen schon ein wenig stolz macht, dass ich als unabhängiger, "nebenberuflicher" Gewaltforscher diese Dinge zusammenführen konnte. „Weinend“ deshalb, weil es mich immer wieder erstaunt und auch ärgert, dass die akademisch eingebundene Fachwelt sowie auch die Medien das Thema „Kindheit und Extremismus“ (und weitergedacht also auch das Thema „Kindheit und NS-Zeit“) einfach viel zu selten zentral in den Blick nehmen. In jede größere Debatte (und auch in entsprechende Fachbuchreihen) über Ursachen und Prävention von Rechtsextremismus gehört das Thema „destruktive Kindheitserfahrungen“ deutlich und zentral auf den Tisch. 

Ich wünsche mir, dass diese meine Arbeit einen Beitrag dazu leisten kann, dass Scheuklappen abgelegt werden und dass die Opfererfahrungen der Täter mehr in den Blick genommen werden. Und ich wünsche mir, dass in der Folge größere Bemühungen für weltweit mehr Kinderschutz unternommen werden: Kinderschutz ist mehr als nur die Verhinderung von individuellem Leid. Kinderschutz ist immer auch Gewalt- und Extremismusprävention (und in der Folge auch Kriegsprävention)!

Meine Grundthesen sind und bleiben: Wer eine wirklich gute Kindheit hatte, wer gewaltfrei aufwachsen durfte und wer mindestens ein Elternteil hatte, von dem er/sie wirklich geliebt wurde, der wird kein Rechtsextremist oder gar Massenmörder. Die gezeigten Studien untermauern meine Thesen einmal mehr. Diese Erkenntnisse bedeuten umgekehrt nicht, dass misshandelte, gedemütigte und traumatisierte Kinder automatisch zu Extremisten werden. Dies wäre empirisch auch gar nicht haltbar. Belastende Kindheitserfahrungen bilden nur das Fundament für Extremismus und Gewaltverhalten. Aber nicht vergessen: Die Kindheit ist politisch!


Hier nun die gesammelten Studien (verlinkte hier im Blog bereits besprochen): 

(Vorweg ein Hinweis für meine Auswahlkriterien und Herangehensweise: Für mich zählte, dass mit den Akteuren gesprochen wurde, was in allen Arbeiten der Fall war. In manchen Arbeiten wurden sehr komplex oder strukturiert die Kindheitshintergründe erfasst; in anderen wurden die Gespräche mit rechten Akteuren zu generellen Aussagen über die Kindheitshintergründe zusammengefasst; wieder andere haben nur Teilaspekte aus der Kindheit aufgeführt. Sofern nur Teilaspekte aufgeführt wurden, war für mich wichtig, dass die Ergebnisse in eine deutliche Richtung bzgl. der Kindheit zeigten und dadurch aussagekräftig waren.)

Aigner (2013): 3 (ehemalige) rechte Skinheads (männlich)

Bannenberg & Rössner (2000): 17 junge, rechtsextreme oder rechts-denkende Gewalttäter in Ostdeutschland

Baron (1997): 14 männliche, gewalttätige Skinheads (uneinheitliches Profil bzgl. politischer Einstellungen, sechs Befragte waren extreme Rassisten) aus Kanada

Bielicki (1993): 1 rechtsextremer junger Mann (aus der psychoanalytischen Praxis)

Bjørgo (2005): 16 jugendliche Mitglieder (mehrheitlich männlich) in Neonazi-Gruppen; 4 ehemalige jugendliche Neonazis (Norwegen)

Böttger (1998): 10 junge Rechtsextremisten (9 männlich, 1 weiblich)

Bohnsack (1995): 3 junge, männliche Hooligans, die vorher Teil der rechten Skinheadszene waren (insgesamt wurden 4 Hooligans befragt)

Ezekiel (1996): zentral: 9 Mitglieder einer Neonazigruppe in Detroit; weniger zentral: 3 Nazi-Führungspersönlichkeiten in den USA

Fachstelle für Rassismusbekämpfung (2007): Insgesamt 26 Schweizer rechtsextreme Jugendliche (6 junge Frauen, 20 junge Männer)

Fahrig (2020): sechs rechte, männliche Jugendliche

Frindte & Neumann (2002):  91 verurteilte rechte Gewalttäter. 

Funke (2001): 3 männliche deutsche Rechtsextremisten 

Hardtmann (2007): 5 männliche, jugendliche Rechtsextremisten

Heitmeyer & Müller (1995): 45 verurteilte, gewalttätige Jugendliche und junge Erwachsene, die von der Justiz als vermutlich oder tatsächlich fremdenfeindlich bzw. rechtsextremistisch eingestuft worden sind

Hopf et al. (1995): 6 als deutlich rechtsextrem eingestufte männliche Jugendliche (von insgesamt 25 Befragten)

Kahl-Popp (1994): 1 rechtsextremer Jugendlicher in psychoanalytischer Behandlung

Köttig (2004) (in meinem Buch besprochen): 32 weibliche Rechtsextremisten 

Krall (2007): 3 rechtsextreme Jugendliche (2 männlich, 1 weiblich), die in betreuten Wohneinrichtungen lebten. 

Leuzinger-Bohleber, M. (2016): 1 Fallbeispiel (männlich) einer rechten Radikalisierung aus der psychoanalytischen Praxis 

Logan et al. (2022): 10 ehemalige Rechtsextremisten und 10 ehemalige Linksextremisten aus den USA

Lützinger (2010): 39 männliche Extremisten (24 rechts, 9 links und 6 islamistisch)

Marneros et al. (2003): 61 männliche, rechtsextreme Gewalttäter, die angeklagt wurden

Mattsson & Johansson (2022): 27 (davon fünf weiblich) ehemalige oder aktive Neo-Nazis/Skinheads aus Schweden und den USA 

Michel & Schiebel (1989): 3 männliche, rechtsextreme Jugendliche

Nölke (1998): 2 rechte Jugendliche

Schmidt (1996): 1 rechtsextremer, gewaltbereiter Jugendlicher mit schwerer Persönlichkeitsstörung, der psychotherapeutisch behandelt wurde

Scrivens et al. (2019): 10 ehemalige Rechtsextremisten (8 männlich, 2 weiblich) aus Kanada 

Sigl (2013): 3 ehemalige, weibliche Rechtsextremisten

Sigl (2018): 7 ehemalige Rechtsextremisten (5 männlich, 2 weiblich)

Simi et al. (2016):  44 (38 männlich, 6 weiblich) ehemalige Mitglieder rechtsextremistischer Gruppen in den USA

Smith & Sullivan (2022): 1 ehemaliges Mitglied (männlich) einer gewalttätigen Neo-Nazi Gruppe (USA); ausführliche Fallstudie

Speckhard & Ellenberg (2021): 32 (2 weiblich) aktive oder ehemalige Extremisten/Rassisten (die meisten aus den USA, 3 aus Kanada, 3 Deutsche, 1 Brite und 1 Neuseeländer) 

Stern (2014): Ein schwedischer Neo-Nazi und Mörder (Fallstudie). 

Streeck-Fischer (1992): ca. 5 rechte Skinheads (psychoanalytische Arbeit)

Streeck-Fischer (1999): 1 rechter, männlicher Skinhead (aus der stationären, psychiatrischen Behandlung)

Sutterlüty (2003): 3 männliche, gewalttätige Rechtsextremisten

Wahl et al. (2003) (in meinem Buch besprochen): 115 verurteilte, rechte Gewalttäter

Windisch et al. (2020): 91 (70 männlich, 21 weiblich) ehemaligen U.S. Extremisten/Rassisten (aus den Gruppierungen Ku Klux Klan, Christian Identity, neo-Nazi, racist skinheads

Wirth (1989): 6 rechte Skinheads (psychoanalytische Arbeit; nur ein Fall exemplarisch dargestellt)


(Siehe ergänzend auch meinen Beitrag: "Verklärt, beschönigt, verdrängt: Kindheiten von Gewalttätern und Extremisten. Eine Mahnung an die Forschung")



Detaillierte Quellen:

Aigner, J. C. (2013): Der ferne Vater. Zur Psychoanalyse von Vatererfahrung, männlicher Entwicklung und negativem Ödipuskomplex. Psychosozial-Verlag, Gießen. (3. Aufl.)

Bannenberg, B. & Rössner, D. (2000): Hallenser Gewaltstudie - Die Innenwelt der Gewalttäter: Lebensgeschichten ostdeutscher jugendlicher Gewalttäter. DVJJ-Journal: Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, 11 (2000) 2, S. 121-134.

Baron, S. W. (1997). Canadian Male Street Skinheads: Street Gang or Street Terrorists? Canadian Review of Sociology and Anthropology. Volume 34, Issue 2, S. 125-154.

Bielicki, J. S. (1993): Der rechtsextreme Gewalttäter. Eine Psycho-Analyse. Rasch und Röhring Verlag, Hamburg.

Bjørgo, T. (2005): Conflict processes between youth groups in a norwegian city: polarisation and revenge. European journal of crime, criminal law and criminal justice, Vol. 13(1), S. 44-74.

Böttger, A. (1998): Gewalt und Biographie. Eine qualitative Analyse rekonstruierter Lebensgeschichten von 100 Jugendlichen. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden.

Bohnsack, R., Loos, P., Schäffer, B., Städtler, K. & Wild, B. (1995): Die Suche nach Gemeinsamkeit und die Gewalt der Gruppe: Hooligans, Musikgruppen und andere Jugendcliquen. Leske + Budrich, Opladen.

Ezekiel, R. S. (1996): The Racist Mind: Portraits of American Neo-Nazis and Klansmen. Penguin Books, New York. 

Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB) (Hrsg.) (2007): Jugendliche und Rechtsextremismus: Opfer, Täter, Aussteiger. Wie erfahren Jugendliche rechtsextreme Gewalt, welche biografischen Faktoren beeinflussen den Einstieg, was motiviert zum Ausstieg? Eidgenössisches Departement des Innern, Bern. 

Fahrig, K. (2020). Rechte Jugendliche und ihre Familien: Eine Perspektiven triangulierende Rekonstruktion biografischer Hintergründe (Studien zur Kindheits- und Jugendforschung, Band 4). Springer VS, Wiesbaden.

Frindte, W. & Neumann, J. (2002): Der biografische Verlauf als Wechselspiel von Ressourcenerweiterung und – einengung. In: Frindte, W. & Neumann J. (Hrsg.): Fremdenfeindliche Gewalttäter. Biografien und Tatverläufe. Westdeutscher Verlag. Wiesbaden. S. 115-153.

Funke, H. (2001): Rechtsextremismus 2001. Eine Zwischenbilanz. Verwahrlosung und rassistisch aufgeladene Gewalt – Zur Bedeutung von Familie, Schule und sozialer Integration. In: Eckert, R. et al. (Hrsg.): Demokratie lernen und leben – Eine Initiative gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. Band 1. Weinheim, Freudenberg Stiftung. S. 59-108.

Hardtmann, G. (2007). 16, männlich, rechtsradikal: Rechtsextremismus - seine gesellschaftlichen und psychologischen Wurzeln. Patmos Verlag, Düsseldorf. 

Heitmeyer, W. & Müller, J. (1995): Fremdenfeindliche Gewalt junger Menschen. Biographische Hintergründe, soziale Situationskontexte und die Bedeutung strafrechtlicher Sanktionen. Bundesministerium der Justiz (Hrsg.). Forum Verlag, Bonn.

Hopf, Christel; Rieker, Peter; Sanden-Marcus, Martina und Schmidt, Christian (1995): Familie und Rechtsextremismus. Familiale Sozialisation und rechtsextreme Orientierung junger Männer. Weinheim und München: Juventa Verlag.

Kahl-Popp, J. (1994): „Ich bin Dr. Deutschland." - Rechtsradikale Phantasien als verschlüsselte Kommunikation in der analytischen Psychotherapie eines Jugendlichen. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 43 (1994) 7, S. 266-272.

Köttig, M. (2004): Lebensgeschichten rechtsextrem orientierter Mädchen und junger Frauen: Biografische Verläufe im Kontext der Familien- und Gruppendynamik. Psychosozial-Verlag, Gießen.

Krall, H. (2007): Aggression und Gewalt bei rechtsextremen Jugendlichen — Perspektiven sozialpädagogischer Jugendarbeit. Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie, Volume 6, S. 99–113.

Leuzinger-Bohleber, M. (2016): Radikalisierungsprozesse in der Adoleszenz – ein Indikator für eine nicht gelungene Integration? In: Leuzinger-Bohleber, M. /Lebiger-Vogel, J. (Hrsg.): Migration, frühe Elternschaft und die Weitergabe von Traumatisierungen. Klett-Cotta, Stuttgart, S. 171–193.

Logan, M. K., Windisch, S. & Simi, P. (2022). Adverse Childhood Experiences (ACE), Adolescent Misconduct, and Violent Extremism: A Comparison of Former Left-Wing and Right-Wing Extremists. Terrorism and Political Violence. https://doi.org/10.1080/09546553.2022.2098725

Lützinger, S. (2010): Die Sicht der Anderen. Eine qualitative Studie zu Biographien von Extremisten und Terroristen (Polizei + Forschung Bd. 40). BKA – Bundeskriminalamt, Kriminalistisches Institut (Hrsg.). Luchterhand Fachverlag, Köln. (Auch in englischer Übersetzung online einsehbar: Saskia Lützinger: The Other Side of the Story. A qualitative study of the biographies of extremists and terrorists: https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/Publikationsreihen/PolizeiUndForschung/1_40_TheOtherSideOfTheStory.html

Marneros, A., Steil, B. & Galvao, A. (2003): Der soziobiographische Hintergrund rechtsextremistischer Gewalttäter. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform. Band 86, Heft 5. S. 364–372. 

Mattsson, C. & Johansson, T. (2022). Radicalization and Disengagement in Neo-Nazi Movements: Social Psychology Perspective (Routledge Studies in Countering Violent Extremism). Routledge, New York. (Kindle E-Book Edition)

Michel, S. & Schiebel, M. (1989): Lebensgeschichten von rechtsextremen Jugendlichen. In: Rosenthal, G. (Hrsg.): Wie erzählen Menschen ihre Lebensgeschichte? Hermeneutische Fallrekonstruktion distinkter Typen. Forschungsbericht des Lehrprojektes: „Biographie“. Universität Bielefeld, Fakultät für Soziologie. S. 212-233.

Nölke, E. (1998): Marginalisierung und Rechtsextremismus. Exemplarische Rekonstruktion der Biographie- und Bildungsverläufe von Jugendlichen aus dem Umfeld der rechten Szene. In: König, H.-D. (Hrsg.): Sozialpsychologie des Rechtsextremismus. Suhrkamp, Frankfurt am Main. S. 257- 278. 

Schmidt, B. (1996): Psychoanalytische Überlegungen zur rechtsextremistischen Orientierung männlicher Jugendlicher. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 45 (1996) 10, S. 370-374.

Scrivens, R., Venkatesh, V.,  Bérubé, M. & Gaudette, T. (2019): Combating Violent Extremism: Voices of Former Right-Wing Extremists. Studies in Conflict & Terrorism. Onlineveröfentlichung 11. Nov. 2019. 

Sigl, J. (2013): Lebensgeschichten von Aussteigerinnen aus der extremen Rechten. Genderspezifische Aspekte und mögliche Ansatzpunkte für eine ausstiegsorientierte Soziale Arbeit. In: Radvan, H. (Hrsg.): Gender und Rechtsextremismusprävention. Metropol Verlag, S.273-289.

Sigl, J. (2018): Biografische Wandlungen ehemals organisierter Rechtsextremer: Eine biografieanalytische und geschlechterreflektierende Untersuchung. Springer VS, Wiesbaden.

Simi, P., Sporer, K. & Bubolz, B. F. (2016): Narratives of Childhood Adversity and Adolescent Misconduct as Precursors to Violent Extremism: A Life-Course Criminological Approach. Journal of Research in Crime and Delinquency. Vol 53, Issue 4. S. 536-563.

Smith, A. F. & Sullivan, C. R. (2022). Exiting far-right extremism: a case study in applying the developmental core need framework. Behavioral Sciences of Terrorism and Political Aggression. Onlineveröffentlichung vom 13.06.2022. https://doi.org/10.1080/19434472.2022.2076718

Speckhard, A. & Ellenberg, M. (2021, 17.05.): White Supremacists Speak: Recruitment, Radicalization & Experiences of Engaging and Disengaging from Hate Groups. ICSVE Research Reports.

Stern, J. E. (2014). X: A Case Study of a Swedish Neo-Nazi and His Reintegration into Swedish Society. Behavioral Sciences and the Law. 32(3), S. 440-453. 

Streeck-Fischer, A. (1992): »Geil auf Gewalt«. Psychoanalytische Bemerkungen zu Adoleszenz und Rechtsextremismus. Psyche, 46(8), S. 745-768.

Streeck-Fischer, A. (1999): Über die Mimikryentwicklung am Beispiel eines jugendlichen Skinheads mit frühen Erfahrungen von Vernachlässigung und Misshandlung. In: Streeck-Fischer (Hrsg.): Adoleszenz und Trauma. Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen. S. 161-173.

Sutterlüty, F. (2003): Gewaltkarrieren: Jugendliche im Kreislauf von Gewalt und Missachtung. Campus Verlag, Frankfurt am Main (2. Auflage). 

Wahl, K., Tramitz, C. & Gaßebner, M. (2003): Fremdenfeindliche Gewalttäter berichten: Interviews und Tests. In: Wahl, K. (Hrsg.): Skinheads, Neonazis, Mitläufer. Täterstudien und Prävention. Leske & Budrich, Opladen.

Windisch, S., W., Simi, P., Blee, K. & DeMichele, M. (2020): Measuring the Extent and Nature of Adverse Childhood Experiences (ACE) among Former White Supremacists. Terrorism and Political Violence. (Onlineveröffentlichung Juni)

Wirth, H.-J. (1989): Sich fühlen wie der letzte Dreck. Zur Sozialpsychologie der Skinheads In: Bock, M., Reimitz, M., Richter, H.-E., Thiel, T. & Wirth, H.-J. (Hrsg.): Zwischen Resignation und Gewalt. Jugendprotest in den achtziger Jahren. S. 187-202.