Ich bin aktuell im Gästebuch auf einen kurzen Redebeitrag von dem Psychiater und Theologen Manfred Lütz in der Sendung von Markus Lanz vom 18.10.2016 hingewiesen worden, der ab ca. Minute 50 sagte: "Woher kommt das Böse? Ich werde dauernd gefragt, im Moment bei den Terroristen: `Dr. Lütz, können Sie mal sagen als Psychiater, was haben die für Störungen oder welche Mechanismen stehen dahinten?` und da kann ich immer nur sagen: Es gibt das Böse. Er ist kein Mechanismus, keine Störung, Hilter war nicht psychisch krank, er war ein Verbrecher (...)" Damit hat der Experte komplett ausgeblendet, was heute alles an Erkenntnissen vorliegt, inkl. der Kindheit von Hitler, der nicht "böse" geboren wurde... Experten (inkl. Historikern und Sozialwissenschaftlern) sind immer so eine Sache, darauf habe ich immer mal wieder hingewiesen. Kindheitshintergründe scheinen ein heißes Eisen, das anzufassen auch heute noch Vielen schwer zu fallen scheint. Insofern war ich - trotz knapper Zeit - noch einmal motiviert, eine andere Expertinnenmeinung ausführlich darzustellen.
Unter dem Titel „Die Amokläufer: Warum wird aus Hass Mord?“
diskutierten am 12.10.2016 bei Maischberger diesmal vor allem Angehörige von
Amokopfern, allerdings auch eine geladene Expertin und zwar die Kriminologin Prof.
Dr. Britta Bannenberg. Alles in Allem wirkte die Expertin auf mich in der Tat
sehr kompetent und strukturiert. Allerdings machte sie einige erstaunliche
Grundsatzaussagen.
Gleich im ersten Teil der Sendung wurde eine bedeutsame Zuschauerfrage
eingeblendet: „Gibt es eine Studie, ob die Amoktäter eher aus behüteten
Familien kommen oder sind sie eher Personen, die in den Familien kaum Zuneigung
genießen?“ (ab ca. Minute 7)
Frau Bannenberg antwortete so: „Das konnten wir sehr gut
beantworten. Also es ist anders als bei typischen Gewalttätern, wo man häufig
die sogenannten `broken home` Verhältnisse findet. Das bedeutet, dass dort
Gewalt im Spiel ist, Verwahrlosung, Vernachlässigung und das ist bei den
Amoktätern nie der Fall. Die Familien sind unauffällig. Sie sind Mittelschichtfamilien
oder sogar gut begütert. (…) Also im Grunde würde ein Polizeibeamter sagen, das
ist eine ganz normale gut situierte Familie.“
Ihre Antwort fand ich recht erstaunlich, denn in seinem Buch
„Amok im Kopf" hat der Psychologe Peter Langman zehn amerikanische
Amokläufer (da Amokläufe eine extrem seltene Tat darstellen ist eine Gruppe von
10 Tätern schon relativ aussagekräftig) portraitiert und drei Tätertypen
ausgemacht: 1. Psychopathen 2. Psychotiker 3. Als Kind Traumatisierte. Bei
letzterer Gruppe finden sich dann auch deutlich Misshandlungsopfer (wobei ich anmerken möchte, dass man in diversen Artikeln über die möglichen Ursachen von Psychopathie oft das Thema Kindheit und Kindesmisshandlung findet, so dass entsprechende Hintergründe - auch wenn sie vom Forscher nicht identifiziert werden konnten - mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch auf den ersten Tätertypus, evtl. auch den zweiten zutreffen. Kindesmisshandlung - in all ihren Ausformungen - ist nun mal ein sehr verstecktes und verdrängtes Verbrechen.). Bannenbergs Aussage, dass bei Amokläufern nie Gewalt in der Familie im Spiel war – dies wird
sie am Ende der Sendung noch mal deutlich wiederholen – ist also schlicht weg
falsch und entspricht nicht dem Stand der Forschung! Alle Amok-Täter hatten, Peter Langman
folgend, schwere psychische Probleme und
fühlten sich einsam und isoliert. Dies wiederum sieht Frau Bannenberg genauso.
Ihrer oben zitierten Aussage schließt sie allerdings gleich
folgende an: „Aber wenn wir hinter die Kulissen geschaut haben, dann konnte man
immer sehen, dass ein Vertrauensverhältnis der Restfamilie, das bezieht auch Geschwister
ein, zu dem späteren Täter niemals da war. Also die Jungen waren auch innerhalb
der Familie in gewisser Weise isoliert, zurückgezogen, schwer zugänglich, haben
an gemeinsamen Mahlzeiten nicht teilgenommen, haben sich also im Grunde
genommen auch als Außenseiter in den Familien dargestellt, nicht aggressiv
auffällig, nicht drogensüchtig oder irgendwie extrem auffällig, aber schwer
zugänglich, Einzelgänger, Außenseiter auch in der Familie, die viel Zeit am
Computer verbringen, in ihrem Zimmer hocken, nicht reden.“
Jetzt kommt es also auf die Definition von Gewalt und Vernachlässigung an, so scheint es mir. Was ich in meiner Arbeit oft wahrgenommen habe ist, dass materieller Wohlstand und eine vollständige Familie oft gleichgesetzt wird mit = Eine intakte Familie, alles normal. Die Expertin widerspricht sich aber im Grunde selbst, wenn sie erst ausführt, dass Amokläufer aus intakten Familienverhältnissen stammen, innerhalb der Familie aber isoliert lebten. Hier ist das Thema: Emotionale Misshandlung und emotionale Vernachlässigung. Warum wird da nicht deutlich der Finger draufgelegt?
Jetzt kommt es also auf die Definition von Gewalt und Vernachlässigung an, so scheint es mir. Was ich in meiner Arbeit oft wahrgenommen habe ist, dass materieller Wohlstand und eine vollständige Familie oft gleichgesetzt wird mit = Eine intakte Familie, alles normal. Die Expertin widerspricht sich aber im Grunde selbst, wenn sie erst ausführt, dass Amokläufer aus intakten Familienverhältnissen stammen, innerhalb der Familie aber isoliert lebten. Hier ist das Thema: Emotionale Misshandlung und emotionale Vernachlässigung. Warum wird da nicht deutlich der Finger draufgelegt?
Ab ca. Minute 46 führt die Expertin aus, dass die Täter persönlichkeitsgestört seien, narzisstisch, egozentrisch,
unempathisch, sie können nicht mit anderen mitfühlen, fühlen sich selbst aber
ständig schlecht behandelt, gedemütigt, gekränkt und zwar von allem und jedem.
Diese Sicht entspricht auch den Ergebnissen von Peter Langman, wie oben bereits
gezeigt.
Ab Minute 55 wird es noch einmal interessant. Frau
Bannenberg sagt zwar: Wenn man sich ein ideales Elternhaus vorstellt, könnte
manches besser laufen.“ Aber: „Diese Eltern misshandeln ihre Kinder nicht, sie
schlagen sie nicht, sie lassen sie nicht verwahrlosen, sie sind auf einer
emotionalen Ebenen nicht mit ihnen verbunden. Und wer daran die Schuld trägt? Vielleicht
ja auch der Junge selbst, der mit seiner unempathischen relativ gefühlskalten
Art und der Persönlichkeitsentwicklung die eben sehr schwierig ist, sehr
verschlossen ist, ja die Eltern vielleicht auch nicht an sich heran lässt.“
Erneut widerspricht sie mit dieser Aussage den Teil-Ergebnissen von Peter Langman. Und sie lenkt den Blick auf das Kind, nicht die Eltern. Dies kann ich nachvollziehen, wenn ich mir die beschriebenen jungen Männer vorstelle, wie sie sind, aber was ist mit der Entwicklung davor? Was passierte in den ersten 6 oder 8 Lebensjahren? Und in wie weit muss für diese Zeit auch der Blick auf die Eltern erlaubt sein, ohne die Amoktäter von ihrer Eigenverantwortung entlasten zu wollen?
Erneut widerspricht sie mit dieser Aussage den Teil-Ergebnissen von Peter Langman. Und sie lenkt den Blick auf das Kind, nicht die Eltern. Dies kann ich nachvollziehen, wenn ich mir die beschriebenen jungen Männer vorstelle, wie sie sind, aber was ist mit der Entwicklung davor? Was passierte in den ersten 6 oder 8 Lebensjahren? Und in wie weit muss für diese Zeit auch der Blick auf die Eltern erlaubt sein, ohne die Amoktäter von ihrer Eigenverantwortung entlasten zu wollen?
Für mich wurde bei diesen Aussagen erneut deutlich, dass
ExpertenInnen bzgl. der Ursachen von Gewalt so manches mal ungeschickt in ihren
Ausführungen sind, um es freundlich zu formulieren.
siehe ergänzend:
- Der Fall Josef Fritzl und die psychiatrische Gutachterin
- Serienmörder Frank Gust und wie Fachmensch an dessen Kindheitsalptraum vorbeisehen kann
- Interview mit "Beinahe-Amokläufer"
- Kindheit von Anders Breivik