Dienstag, 4. Oktober 2016

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Mittwoch, 14. September 2016

Ursachen des Zorns junger Männer

Im SWR, 08.09.2016, lief die Dokumentation „Der Zorn junger Männer“ (von Uli Kick) (leider ist nur noch der Trailer online), in der wegen schwerer Körperverletzung angeklagte junge Männer während eines Anti-Aggressions-Trainings begleitet werden. Das Training müssen sie durchziehen, wenn sie nicht ins Gefängnis wollen.
Ein junger Mann berichtet über das Verhältnis zu seinen Eltern. Die Beziehung zu seiner Mutter sei „o.k.“, wie er lapidar sagt.  Sein Stiefvater habe ihn mit der Faust geschlagen. (ca. ab Minute 18 in der Doku) Diese Schläge seien „ein paar Mal“ vorgekommen. Danach stockt er und ergänzt: „Hab aufgehört zu zählen“. Der junge Mann ist dabei gänzlich teilnahmslos, zeigt keine Emotionen.

Das Selbe gilt für den nächsten jungen Mann, der ohne jegliche Regung aussagt, er hätte schon manchmal von seinem Vater „eine bekommen, das ist ja völlig normal“. Auf Nachfrage wird er dann konkreter: „Mal ne Ohrfeige oder mit dem Gürtel, ne Schelle oder ne Faust“. Er hätte zwar Schmerzen gehabt, hätte aber nicht geblutet oder bleibende Spuren gehabt. Er habe halt verstanden, was er falsch gemacht hatte. Auf Nachfrage sagt er bzgl. der Häufigkeit der Schläge pro Situation: „10 bis 15 Schläge“. Mit 11 Jahren, als er beim Rauchen erwischt wurde, habe er so viele Schläge bekommen, dass er ab dem 15. Schlag aufgehört habe zu zählen. 
Der Pädagoge fragt: „Und das ist normal?“.
Antwort: „Ich finde es gut, dass er das gemacht hat.
Frage des Pädagogen: „Warum?“.
Antwort: „Weil mir das gezeigt hat, dass ich einfach manche Sachen nicht mache. Ok ich rauche zwar immer noch, aber bei manchen Sachen hat es was gebracht, bei den meisten“.
Der Pädagoge fragt erneut, ob es ok sei, dass ein Vater seinen Gürtel auszieht und zuschlägt.
Antwort: „Bei uns in Russland ist das halt so, ich würde mein Kind genauso erziehen. Ich würde es gar nicht anders machen.


Diese Aussage hört man oft von als Kind schwer misshandelten Menschen, sie ist jedes Mal erneut schwer zu ertragen. Alle diese jungen Männer in der Doku wirken auf mich emotional erkaltet. Sogar die Gesichtszüge sind bei vielen komplett erstarrt. Lachen tun sie nur, wenn es um blöde Sprüche geht, wenn sie über Gewalt reden oder wenn sie unsicher sind. Klassisch ist also auch, dass – sofern es konkrete Erinnerungen an Misshandlungen gibt, was nicht selbstverständlich ist – eigene Schilderungen über dieses Erleben teilnahmslos daherkommt. Keine Emotion. Keine Traurigkeit. Keine Tränen. Kein Mitgefühl für das Kind, das diese Täter einst selbst waren. Manches Mal sogar Zustimmung zu der Gewalt, wie oben beschrieben. Was alle diese Männer haben ist allerdings ihr Hass und ihr Zorn. 
Laut Doku ist die Rückfallquote nach dem Training relativ gering. Ich habe da meine Zweifel. Zunächst müssten diese jungen Männer emotional "reanimiert"werden und das dauert in Therapie sicher Monate, manchmal Jahre. Sie müssten aus der emotionalen Starre zurückgeholt werden. Dafür müssten sie sich aber auch an das verletzte Kind herantrauen, das sie einst waren. Mit all den schmerzlichen Gefühlen. Und natürlich müssen sie sich auch emotional mit ihrem Tätersein befassen. Ob diese jungen Männer dies schaffen? Ich bin mir nicht sicher....



Dienstag, 13. September 2016

Extremismus-Studie. Belastende Kindheitserfahrungen bedeutsamer als Ideologie

Nachträglicher Hinweis: Ursprünglich hatte ich hier die Ergebnisse aus einer Vorabveröffentlichung (Trauma as a Precursor to Violent Extremism: How non-ideological factors can influence joining an extremist group) aufgeführt. Diese Ergebnisse weichen leicht von denen ab, die in der Endauswertung bzw. eigentlichen Veröffentlichung der Studie zu finden sind. Unten nun die Daten aus der Endauswertung: 

Quelle: Simi, P., Sporer, K. & Bubolz, B. F. (2016): Narratives of Childhood Adversity and Adolescent Misconduct as Precursors to Violent Extremism: A Life-Course Criminological Approach. Journal of Research in Crime and Delinquency. Vol 53, Issue 4. S. 536-563. (download hier!)

Für die Studie wurden 44 ehemalige Mitglieder (6 weiblich) von gewalttätigen, rechtsextremistischen Gruppen (aus verschiedenen Regionen in den USA) mit Hilfe von Interviews befragt.

Entgegen der Vorstellung, Mitgliedschaften in extremistischen Gruppen seien ideologisch bedingt, ist das zentrale Ergebnis dieser Studie, dass es eine Reihe von nicht-ideologischen Faktoren gibt, die Menschen motivieren, solchen Gruppen beizutreten. 

Belastende Kindheitserfahrungen (Adverse Childhood Experiences, ACEs):

43 % wurden als Kind körperlich misshandelt
23 % erlebten in Kindheit/Jugend sexuellen Missbrauch
41 % wurden emotional/körperlich vernachlässigt
27 % hatten Elternteile, die inhaftiert wurden
36 % wurden von Elternteilen verlassen
64 % wurden als Kind Zeugen schwerer Gewalt (in Familie und/oder Nachbarschaft)
59 % der Befragten hatten Familienmitglieder mit einem Suchtproblem
48 % hatten Familienmitglieder mit psychischen Problemen 

Gesundheitsprobleme / Risikoverhalten:

57 % berichteten über Selbstmordgedanken
41 % berichteten über weitere psychische Probleme
73 % hatten ein Drogen- und/oder Alkoholproblem
59 % waren Schulschwänzer
55 % waren Schulversager

Dienstag, 6. September 2016

Zwischengedanken. In eigener Sache.

Der Blog läuft langsam aber sicher auf den 400. Beitrag zu und auf Besucher bzw. Seitenaufruf Nr. 400.000. Seit 8 Jahren besteht der Blog, seit fast 14 Jahren befasse ich mich mit Gewaltursachen und Kindesmisshandlung. Vielleicht ist es jemandem aufgefallen, aber ich hatte und habe es eilig. Zum Einen, weil das Thema extrem wichtig ist und mehr Öffentlichkeit braucht, zum Anderen weil ich seit meiner Zeit als Student im Grunde (voraussehbar) stetig weniger Zeit habe, mich intensiv in neue Bücher einzuarbeiten oder Texte auszuformulieren. Trotz dieses Zeitmangels habe ich so einiges geschafft. Mir wird allerdings immer klarer, dass diese fast 400 Beiträge dringend zusammengefügt werden müssen. Erst ein Gesamttext erhöht die Wirkungskraft. Für mich wäre eine solche Zusammenfassung auch eine Art Abschluss oder der Beginn einer längeren Pause, wir werden sehen... Die Zeit der Entdeckungen ist für mich im Grunde vorbei. Ich glaube nicht, dass es weitere 100 Beiträge braucht.

Ich weiß nicht, wie es den Lesenden hier geht, aber mir haben die Erkenntnisse aus dem Blog auch ein Stück weit inneren Frieden gegeben. Klingt vielleicht komisch, ist aber so. U.a. weil menschliche Gewalt und Terror für mich erklärbar ist (was nicht mit entschuldigen zu verwechseln ist). Und: Gewalt nimmt stetig ab, Gewalt gegen Kinder nimmt ab, in Europa sogar bahnbrechend schnell. Wenn die Menschheit es schafft, sich nicht selbst in den nächsten 50-100 Jahren auszulöschen, dann werden sich viele Dinge quasi "von alleine" lösen. Ich glaube an das Gute, das durch eine stetig verbesserte Kindererziehung und - fürsorge in die Welt kommt. Und ich glaube an das Gute, das durch gelungene Psychotherapie und Hilfen für die einst Gedemütigten wieder entstehen kann.

Für die Zusammenfassung der Beiträge oder sagen wir eine buchähnliche Variante des Textes "Als Kind geliebte Menschen fangen keine Kriege an" werde ich mich aus dem Blog weiter zurückziehen müssen. Irgendwoher muss ich die Zeit ja nehmen. Diesen Gesamttext werde ich dann online stellen und hier und da aktualisieren (und diese Aktualisierungen kenntlich machen), das ist der Plan.

Mittelfristig plane ich noch einige Texte. U.a. eine Aktualisierung des Textes über die Kindheit von Bill Clinton, dann eine kritische wie auch verbindende Besprechung der Thesen von Prof. Gunnar Heinsohn und vor allem einen ausführlichen Text über die Menschen, die als Kind misshandelt wurden, aber nicht zu Gewalttätern und Terroristen wurden, aber dennoch durch die "vergiftete" Kindheit schwer beeinflusst sind. Letzterer Text soll vor allem auf die häufige Kritik reagieren, dass Kindheit kein Faktor bzgl. Gewaltursachen sei, weil sonst die Welt voller Gewalttäter wäre. Dieser Einwand übersieht die vielfältigen Ausdrucksformen einer "vergifteten" Kindheit. Das umfassend darzustellen, wird nicht leicht.

Was ich nicht vorhabe ist, mich bis ans Ende meines Lebens mit den Themen des Blogs herumzuschlagen. Ich stelle leider aber auch immer wieder fest, wie ich täglich (ohne es zu wollen) mit dem Thema konfrontiert werde, durch Äußerungen und Verhalten von Menschen, durch Berichte in Medien, durch Lieder von Musikern (die auf eine verstörende Kindheit hinweisen) usw. usf. Ich kann da die Augen nicht mehr schließen, sie sind nun mal auf.

Bisher brachte mir der Blog mehr, als er mir genommen hat. Er war nie Arbeit für mich, sondern einfach Notwendigkeit und half mir auch, mich zu sortieren. Ich glaube, dass ich mittlerweile auf einen Punkt zu gehe, wo es Arbeit wird. Insofern muss ich etwas ändern.

Samstag, 13. August 2016

Kindheit von Hillary Clinton (oder Kindheit der Clintons)

(aktualisiert am 09.11.2016)

Vor über einem Jahr recherchierte ich etwas im Internet und versuchte etwas über die Kindheit von Hillary Clinton herauszufinden. Ich fand nicht viel. Vor allem aber fiel mir auf, dass Frau Clinton routinemäßig schwärmerisch über ihre Mutter berichtete. Ich beließ es zunächst bei diesen Erkenntnissen.
Ich plante nun vor Kurzem einen Text, in dem ich den Bogen zu einem Thema spannen wollte, das ich im Blog bisher nicht explizit besprochen habe. Und zwar ist mir immer wieder (sowohl im Leben/Alltagserfahrungen, als auch in Büchern und Berichten, aber auch durch die Arbeit von Lloyd deMause) aufgefallen, dass sich Menschen oftmals gruppieren, die ähnliche Kindheiten durchgemacht haben (meist ohne bewusst darum zu wissen). Das gilt natürlich für extremistische Gruppen etc. oder Führungsapparate, teils vielleicht auch für Unternehmen, besonders auffällig aber auch bei Paaren.

Mein geplanter Text sollte die Frage enthalten, was es denn wohl ist, das Hillary Clinton und ihren Mann Bill Clinton verbindet? Bill Clinton ist als Kind nachweisbar schwer misshandelt und vernachlässigt worden, zudem erlebte er schwere häusliche Gewalt gegen seine Mutter mit, bis hin zu Tötungsversuchen (und es sieht so aus, als ob er dies nie aufgearbeitet hätte). Seine Kindheit war derart destruktiv, dass er auch in den USA zu einem kleinen Prozentsatz von Menschen gehört, die so einen Kindheitsalptraum erlebt haben. Meine nächste Frage hätte gelautet: Kann es sein, dass die Kindheit von Hillary wirklich so rosig war, wie es nach ersten Recherchen und ihren eigenen Aussagen nach erscheint? Oder gibt es da nicht doch eine dunkle Seite? Ich hätte wohl auch spekuliert, dass ich es für sehr unwahrscheinlich halte, dass jemand, der als Kind Glück, Liebe und Geborgenheit erlebt hat, sich in einen als Kind schwer traumatisierten Mann verliebt und diese Ehe Jahre hält. Dieser Satz klingt vielleicht hart, soll aber keine Abwertung von traumatisierten Menschen sein, sondern einfach die Dinge beschreiben, wie sie nun mal nach meiner Wahrnehmung wahrscheinlich oder entsprechend unwahrscheinlich sind. Ergänzend hätte ich angefügt, dass Hillary Clinton auf mich nicht gerade echt und menschlich wirkt und sie in der Vergangenheit durch destruktive Entscheidungen wie u.a. ihrem Ja zum Irakkrieg oder ihren Einsatz für den Krieg in Libyen und die Tötung von Gaddafi (was sie lachend mit den Worten "We came, we saw, he died" kommentierte) aufgefallen ist.

Nun, einen ausführlichen Text zum Thema „Menschen mit ähnlichen Kindheiten gruppieren sich“ muss ich noch mal nach hinten schieben. Wobei, im Fall des Paares Clinton bestätigt sich diese These nach einem neuen Rechercheansatz von mir nun doch. Einem Bericht der New York Times (19.07.2015) nach, herrschte in Hillarys Kindheit ein rauer Ton, Strenge und straffe Regeln in der Familie. Ihr Vater weckte seine Tochter auf, wenn sie schlecht in Mathe war und nahm sie in die Mangel, in dem er sie rechnen ließ. Und zu gute Leistungen kommentierte er mit „You must go to a pretty easy school.“ (ebd.) Wenn Hillary vergaß, den Deckel auf die Zahnpastatube zu schrauben, warf ihr Vater die Tube aus dem Fenster, auch im Winter und Hillary musste sie suchen. Gegenüber seiner Frau und den Kindern war der Vater zudem beißend sarkastisch. Und er war gewalttätig und schlug seine Kinder. „He hurled biting sarcasm at his wife and his only daughter and spanked, at times excessively, his three children to keep them in line, according to interviews with friends and a review of documents, Mrs. Clinton’s writings and former President Bill Clinton’s memoir.“ (ebd.) In deutscher Sprache hat meines Wissens nach nur die BILD (20.07.2015) diese Dinge aufgegriffen.

In der amerikanischen Dokumentation "Amerika hat die Wahl - Clinton gegen Trump" (von Michael Kirk, ausgestrahlt auf ARTE TV am 01.11.2016) wurde gesagt, dass die Mutter von Hillary unter ihrem Mann litt. Er beleidigte sie und ging respektlos mit ihr um. Es gab oft Streit im Hause der Familie. Carl Bernstein, Autor von  „ Hillary Clinton - Die Macht einer Frau“, sagt in der Doku: „Wenn er ihre Mutter in einem lauten Streit demütigte, lief Hillary in ihr Zimmer, hielt sich die Ohren zu und sagte: `Ich ertrag das nicht.`“ In der Dokumentation "Macht, Geld, Lügen. Clinton gegen Trump" (von Daniel Pontzen - ausgestrahlt im ZDF am 08.11.2016) kommt wieder Carl Bernstein zu Wort. Er sagt: "Hillarys Vater war ein schwieriger und sturer Mann, ein Menschenfeind, der die Mutter körperlich misshandelte." (Ebenso erlebte es Bill Clinton in seiner Familie bzgl. seines Stiefvaters, der seine Mutter misshandelte.)
Das zuvor erwähnte Buch von Bernstein gibt weitere vertiefende Einblicke oder besser gesagt: es legt Abgründe offen. „Hugh Rodham war ein bitterer, unerfülter Mann, dessen Kinder seinen unablässigen, herabsetzenden Sarkasmus und seiner misanthropischen Neigungen ertragen, seinen peinlichen Hang zur Sparsamkeit erdulden und schweigend hinnehmen mussten, wie er ihre Mutter demütigte und erniedrigte.“ (Bernstein  2007, S. 23) Die Beziehung der Eltern habe „geradezu krankhaft zerstörerische Züge“ gehabt, so Bernstein. (ebd., S. 24) Die destruktiven Verhaltensweisen von Hugh scheinen beständig zugenommen zu haben. Bernstein schreibt: „Als Hillary ins Teenageralter kam, schienen die schlechten Charakterzüge ihres Vaters endgültig die Oberhand gewonnen zu haben: Er konnte sich für fast nichts mehr begeistern und verlor jede Heiterkeit, während seine tyrannischen Ausfälle, seine schlechte Laune, die Klagelitaneien und seine Niedergeschlagenheit immer mehr zunahmen und er sich immer tiefer darin verstrickte.“ (ebd., S. 25) und „Das Leben im Hause Rodham hatte gewisse Ähnlichkeit mit einem militärischen Ausbildungslager, über das ein Spieß herrschte, der seine Schützlinge ständig heruntermachte und den man unmöglich zufriedenstellen konnte.“ (ebd., S. 27) Hugh „putzte jeden herunter, redete vollbrachte Leistungen klein, ignorierte Erfolge und legte die Latte für seine frustrierten Kinder immer höher, eine Methode, die er als `Charakterbildung` bezeichnete.“ (ebd., S. 27+28)

War seine Wut einmal geweckt, so war er furchterregend, und manchmal hatte es den Anschein, als könnte der ganze Haushalt jeden Augenblick bersten. Betsy und die wenigen Freundinnen, die Hillary mit nach Hause brachte, konnten sehen, wie schmerzlich erniedrigend das Leben mit Hugh Rodham für die Mutter war und dass Hillary unter den Wutausbrüchen ihres Vaters zusammenzuckte und unter seinem Geiz litt.“ (ebd., S. 29) Hillary, berichtet Bernstein, strengte sich furchtbar an, um einmal Anerkennung aus dem Munde ihres Vaters zu bekommen, wohl vergebens. (Mir kommt es so vor, als ob Hillary Clinton dies während ihrer politischen Karriere wiederholte. Sie war oft „nicht geliebt“, so sehr sie auch leistete, sich einbrachte und an Macht gewann. Zugespitzt zeigt sich dies im aktuellen Wahlkampf. Selbst wenn sie gewinnen sollte, sie scheint einfach ungemein unbeliebt in den USA zu sein.)
Die Wut des Vaters konnte auch handfester werden. Bernstein zitiert Hillary wörtlich bzgl. gewaltsamen Übergriffen auf die Kinder. Ihr Vater habe nicht mit der Rute gespart und an anderer Stelle sagte sie: „Gelegentlich ging es mit ihm durch, wenn er uns bestrafte. Dann brüllte er lauter oder griff insbesondere gegenüber meinen Brüdern zu härteren körperlichen Strafen (…). Doch selbst wenn er wütend war, zweifelte ich nie daran, dass er mich liebte.“ (ebd., S. 36+37) (Ihr Ehemann Bill Clinton idealisierte seinen gewalttätigen Vater genauso, wenn er über  (mit-)erlebte Misshandlungen berichtete, wieder eine Parallele.)

Ergänzend nahm ich die Autobiografie „Gelebte Geschichte“ von Hillary Rodham Clinton (2003) zur Hand. Hillary selbst beschreibt ihre Eltern wie folgt: „Hugh und Dorothy waren überzeugt davon, dass wir Härte brauchen würden, damit wir uns später auch unter widrigen Bedingungen behaupten könnten.“ (Rodham Clinton 2003, S. 28)
Bei all ihren Schilderungen über ihre Eltern fiel mir immer wieder auf, dass sie diesem Satzkonstrukt sinngemäß wie folgt treu blieb: „Härte? Ja. Aber nur zu meinem Besten! Meine Eltern lieben mich.“ Kritik gegenüber ihren Eltern und deren Erziehungsmaßnahmen findest man nicht in ihrer Autobiografie. Diese Sichtweise ist nicht ungewöhnlich, sondern ganz im Gegenteil geradezu klassisch für Kinder (und die später Erwachsenen), die destruktive Erziehungsmaßnahmen erlitten haben. Oft habe ich im Blog darüber berichtet. (Am Besten hat diesen Prozess der Identifikation mit dem Aggressor Arno Gruen beschrieben.)

Hillary gibt ein Beispiel über ihre Mutter Dorothy. Hillary wurde oft von einem Nachbarsmädchen gehänselt und belästigt, kam manches Mal weinend nach Hause. Sie war gerade mal vier Jahre alt. Ihre Mutter versperrte ihr eines Tages, an dem Hillary wieder einmal nach Hause geflüchtet war, den Weg und schickte sie raus. Sie gab ihr die Erlaubnis, sich gegen das Mädchen zu verteidigen, auch mit Gewalt. „Du musst lernen, dich zu verteidigen. In diesem Haus ist kein Platz für Feiglinge“, sagte sie. (ebd., S. 28)
Diese Szene wird von Hillary idealisiert. Sie nahm sie als Lehre dafür, Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg zu gehen und Stärke zu zeigen. Und sie verbucht sie als Erfolg, denn ab dem Tag – denn das vier Jahre alte Mädchen ging kämpferisch zu der Peinigerin zurück - wurde sie nicht mehr gehänselt und sogar Freundin des Mädchens. Ihre Mutter habe sich nach diesem Rausschicken der Tochter eigenen Angaben zu Folge schrecklich gefühlt und aus dem Fenster heraus beobachtet, wie die Tochter nach Gegenüber marschierte.
In diesem Bericht ist alles enthalten, um was es mir geht. Eine Mutter, die als mitfühlend dargestellt wird und ihre Härte nur zum Wohle des Kindes einsetzen würde. Um es gleich klarzustellen: Mich freut es für Hillary, dass das Ganze damals gut ausging. Zudem bin ich ganz dafür, Mädchen wie Jungen auch Wehrhaftigkeit mit auf dem Weg zu geben. (Ich als Elternteil von einem vier Jahre alten Mädchen hätte die Situation allerdings anders gelöst und wäre als Erwachsener zu den Nachbarn gegangen, um dort zu reden und ggf. auch auf den Tisch zu hauen. Wie auch immer.) Mir geht es um den Satz: „In diesem Haus ist kein Platz für Feiglinge.“ Mit dem Wissen um weitere (teils oben angerissene) Details aus der Familie und ihren Erziehungsvorstellungen, wird hier zentral deutlich, dass dem Mädchen keine Wahl gelassen wurde: Friss oder stirb; Leistung oder wir lassen Dich fallen; Härte bewundern wir, ansonsten gehörst Du nicht zu uns, Feigling...

Sehr ausführlich beschreibt Hillary übrigens die Kindheit ihrer Mutter. Diese wurde schon sehr früh von ihren Eltern sich selbst überlassen. Sie bekam im Alter von drei oder vier Jahren Essensmarken für ein Restaurant in der Nähe, statt Mahlzeiten zu Hause. Zusammen mit ihrer Schwester wurde sie in der Verwandtschaft herumgereicht und war oft alleine. Als sich die Eltern scheiden ließen, wurde die achtjährige Dorothy zusammen mit der dreijährigen Schwester in einen Zug gesetzt und beide reisten alleine quer durch die USA zu den Großeltern nach Kalifornien.
Meine Mutter blieb zehn Jahre in Kalifornien. Ihren Vater sah sie selten, die Mutter nie. Der Großvater Edwin senior (…) überließ die Mädchen seiner Frau Emma, einer strengen Person (…). Sie hegte eine tiefe Abneigung gegen meine Mutter und ließ ihr nur dann Aufmerksamkeit zuteil werden, wenn es darum ging, ihre strikten Hausregeln durchzusetzen. (…) Als das Mädchen sich einmal an Halloween über die strengen Regeln hinwegsetzte und mit den anderen Mädchen von Tür zu Tür ging, um Süßigkeiten zu erbitten, wurde sie hart bestraft. Sie sollte ein Jahr lang auf ihrem Zimmer bleiben, das sie nur verlassen durfte, um zur Schule zu gehen. Sie durfte ihre Mahlzeiten nicht am Küchentisch einnehmen und auf dem Heimweg von der Schule nicht trödeln oder im Vorgarten verweilen.“ (ebd., S. 15, 16) Mehrere Monate musste Dorothy dies ertragen, bis eine Verwandte, die zu Besuch kam, das Ganze beendete. Im Alter von vierzehn Jahren verließ Dorothy ihre Großeltern und fand Unterschlupf bei einer Familie, die sie als Hausmädchen anheuerte.

Heute wissen wir viel über die unbewusste Weitergabe von Traumatisierungen an die folgende Generation. Dorothy gehört zu einer Generation, für die Therapie noch ein Fremdwort war. Es ist im Grunde unmöglich, dass eine so heftige (unbearbeitete) Kindheitsgeschichte nicht destruktiv auf ihre Kinder gewirkt hat. Woher sollen Empathie und Wärme kommen, wenn mensch als Kind so alleine gelassen wurde? Sicher erkennt man auch einen Fortschritt, denn sie schaffte es, ihre Kinder nicht alleine zu lassen, Die Ängste vor dem Leben hat sie meiner Meinung nach ganz sicher auf ihre Kinder übertragen. "Werde hart, denn das Leben ist hart", scheint mir die zentrale Botschaft zu sein, die diese Mutter ihren Kindern mit auf dem Weg gab. Ich bin nach den geschilderten Details sehr skeptisch, was schwärmerische Schilderungen von Hillary über ihre Mutter angeht. Ich denke, dass meine Skepsis nachvollziehbar ist.

Auch bzgl. ihrem Vater fallen Idealisierungen ins Auge. Die oben beschriebene körperliche Gewalt gegen die Kinder erwähnt Hillary nicht in ihrer Autobiografie, was schon einmal an sich Einiges aussagt. (Nebenbei bemerkt hat Hillary an einer Stelle auch verraten, dass ihr Vater wohl selbst als Kind Prügel erhielt. Sie berichtet von seinen Erzählungen. Er hatte während eines Ausflugs mit einem Freund einen Unfall mit einem Lastwagen. Seine Beine wurden eingequetscht und die Ärzte wollten sie amputieren. Seine Mutter verhinderte dies, die Beine konnten gerettet werden. Im Krankenhaus verlor er das Bewusstsein. "Als er wieder zu sich kam, hielt seine Mutter an seinem Bett Wache. Sie versicherte ihm, dass seine Beine gerettet seien und dass er eine ordentliche Tracht Prügel beziehen würde, sobald er wieder nach Hause käme." (ebd., S. 18) Unfassbar, einem Kind in einer solchen Situation mit Prügel zu drohen! Offensichtlich hat er später diese körperliche Gewalt an seinen Kindern wiederaufgeführt.)
Hillary schreibt: „Mein Vater war strikt in seinen Auffassungen und ausgesprochen starrköpfig. Sein Wort war in unserem Haus Gesetz, gleich wie extrem (…) seine Ansichten auch sein mochten.“ (ebd., S. 26,27) Oder: „Mein Vater war ein Mann mit Überzeugungen, die er vehement vertrat. In den angeregten und manchmal hitzigen Diskussionen beim Abendbrot ertrug die Familie seine Vorträge, in deren Mittelpunkt meist Kommunisten, dubiose Geschäftsleute oder korrupte Politiker standen – in seinen Augen die drei niedrigsten Lebensformen.“ (ebd., S. 28)

Was ich mit Idealisierung meine, wird an Hand folgenden Zitates deutlich (in dem es um die bereits erwähnte Situation mit der Zahnpastatube geht): „Vergaß eines von uns Kindern, die Verschlusskappe auf die Zahnpastatube zu schrauben, warf mein Vater diese aus dem Fenster, und wir mussten hinausgehen, und sei es bei Schnee, um in den Büschen vor dem Haus danach zu suchen. Auf diese Weise rief er uns immer wieder ins Gedächtnis, dass wir nichts vergeuden sollten, und sei es nur Zahnpasta, die aus einer unverschlossenen Tube quoll. Ich lernte diese Lektion gut. Bis heute gebe ich nicht gegessene Oliven in das Glas zurück, wickle auch den winzigsten Käserest noch in Frischhaltefolie und fühle mich schuldig, wenn ich irgendetwas wegwerfe. Er war ein harter Lehrmeister, aber wir wussten, dass er sich um uns sorgte und alles für uns tun würde.“ (ebd., S. 27)  Es macht mich fast etwas fassungslos, wie deutlich in diesem Zitat die Unterwerfung des Kindes wird, das seine eigene Sicht aufgibt und den (harten, strafenden) Vater idealisiert. Solche Art Sätze habe ich hunderte gelesen im Laufe meiner Beschäftigung mit den Folgen von Kindesmisshandlung und destruktiver Erziehung. Es ist immer das gleiche Muster. Doch wir reden hier über eine der mächtigsten Frauen der Welt und demnächst vielleicht sogar der Mächtigsten, die als Erwachsene immer noch in dieser Zwickmühle zu stecken scheint.  Diese Zwickmühle gilt für alle Kinder von destruktiven Eltern, weil natürlich sind sie auf die Liebe und den Schutz angewiesen. Werden sie von den Eltern verletzt oder bedroht, müssen die Eltern zum eigenen Schutz idealisiert werden. Leider geht dies oftmals auf Kosten der emotionalen Welt. Vielleicht ist genau das die Kälte, die viele Beobachter, wie auch ich, bei Hillary Clinton wahrnehmen?

Einen Tag vor dem Tod ihres Vaters (dieser hatte einen Schlaganfall erlitten und all ihre Gedanken kreisten um ihn in dieser Zeit) hielt Hillary Clinton eine Rede vor 14.000 Menschen. Sie zitierte darin den Politikberater Lee Atwater, der kurz vor seinem Krebstod einen Artikel  über das „spirituelle Vakuum im Herzen der amerikanischen Gesellschaft“ geschrieben hatte, was Hillary hervorhebt. (ebd., S. 214) In ihrer Rede zitierte sie ihn u.a. wie folgt: „Ich erwarb mehr Reichtum, Macht und Prestige als die meisten. Aber man kann alles erwerben, was man sich wünscht, und sich immer noch leer fühlen.“ (ebd., S. 214) Meinte sie damit auch sich selbst?

Insgesamt betrachtet würde ich sagen, dass die Kindheit von Hillary Clinton im Vergleich zu der ihres Mannes weniger destruktiv war. Allerdings wird klar, dass diese beiden Menschen nicht zufällig zusammengefunden haben. Beide verbinden ähnliche Kindheitserfahrungen. Zudem: Ein ähnliches Traumaniveau wie das von Bill vermute ich nach den o.g. Schilderungen auch bei der Mutter von Hillary. Menschen suchen manches mal Partner aus, die der Struktur der Eltern oder eines Elternteils  ähneln und reinszenieren auf die Art die Familiengeschichte.



Verwendete Quellen:

Bernstein, Carl (2007): Hillary Clinton. Die Macht einer Frau. Droemer Verlag, München.

BILD.de, 20.07.2015, "Warum Clinton ungern über ihren Vater spricht"

Pontzen, Daniel: Dokumentation "Macht, Geld, Lügen. Clinton gegen Trump" (ausgestrahlt im ZDF am 08.11.2016)

Kirk, Michael: Dokumentation: Amerika hat die Wahl - Clinton gegen Trump" (ausgestrahlt auf ARTE TV am 01.11.2016)

Rodham Clinton, Hillary (2003): Gelebte GeschichteEcon Verlag, München.

The New York Times, 19.07.2015, "Hillary Clinton Draws Scrappy Determination From a Tough, Combative Father" (von Amy Chozick)

Dienstag, 19. Juli 2016

Opferrituale. Ereignisse in der Türkei bestätigen psychohistorische Annahmen

Es ist ganz und gar erstaunlich…. Die Ereignisse in der Türkei bestätigen derzeit fast in Reinform psychohistorische Annahmen. Vorweg möchte ich noch einmal Details über die Kindheit von Recep Tayyip Erdoğan ergänzen (ich hatte hier im Blog seine Kindheit ja bereits besprochen.) Quelle für diese Ergänzung ist folgendes Buch: Akyol, Cigdem (2016): Erdogan: Die Biografie. Verlag Herder: Freiburg im Breisgau. (Kindle-EBook Version.)

Im Hause Erdoğan verhängte der Vater harte Strafen. Er habe, so die Biografin Cigdem Akyol, die strengen Regeln der Seefahrt mit nach Hause gebracht. Erdoğan sagte folgendes über seinen Vater: „Wir respektierten die Autorität. Wir hätten sonst auch gewusst, dass unser Vater uns andernfalls schwer dafür würde büßen lassen.“ Und „Wenn man fluchte, war die Rechnung dafür teuer. Deswegen hat unser Vater von Zeit zu Zeit mit uns abgerechnet.“ Erdoğan erzählte einst eine Anekdote aus seiner Kindheit. Er habe eine Nachbarin beschimpft. „Da hat sie sich mir vorgenommen. Je mehr ich fluchte, desto mehr gefiel ihr das, und sie schlug mich auf den Po. Sie schlug mich, und ich fluchte. Sobald mein Vater kam, der im Stadtteil sehr beliebt war, hat sie sich über mich beschwert. Davon wusste ich natürlich nichts. Mein Vater kam herein … möge er in Frieden ruhen … Er packte mich und hängte mich unter die Decke. Ob er mich dafür an den Händen oder unter den Achseln gefesselt hat, weiß ich nicht mehr. Ich blieb fünfzehn oder zwanzig Minuten hängen, bis mein Onkel kam und mich rettete. Danach war die Zeit des Fluchens für mich vorbei.“ (Akyol 2016, Kapitel „Ein strenges Elternhaus“, Position 731-737) Solche Maßnahmen, sagte er der Autorin folgend lächelnd, seien aber auch „sinnvoll gewesen“.  Erdogan würde seine strengen Eltern bis heute verehren und habe nie ein schlechtes Wort über sie gesagt. Vieles habe er schöngeredet oder romantisiert. (Akyol 2016, Kapitel „Ein strenges Elternhaus“, Position 720)

In meiner anderen Quelle über seine Kindheit (siehe Link oben) wurde gesagt, er sei kopfüber von seinem Vater aufgehängt worden. Sofern der Vater nicht vorhatte, ihn zu befreien (und das sieht so aus) und der Onkel ihn quasi gerettet hat ist die Frage, ob dies nicht auch an eine versuchte Kindestötung grenzte? Der kleine Junge scheint sich, das zeigen Erdoğans eigene Worte, in der Folge gefügt und unterworfen zu haben. Mehr noch, alles deutet auf eine starke Identifikation mit dem Aggressor hin. Heute ist er aber kein Kind mehr, sondern der Präsident der Türkei! Nichts deutet darauf hin, dass er diesen Kindheitsalptraum aufgearbeitet hat.

Ich habe vor Kurzem schon in einzelnen Radiobeiträgen gehört, dass Erdoğan nach dem aktuellen Putschversuch von einem „Geschenk Gottes“ sprach und nun das Militär „säubern“ wolle. Da klingelten bei mir bereits die Alarmglocken! Dann kamen noch Berichte über seine Wortwahl von einem „Virus“ hinzu und schließlich von einem „Krebsgeschwür“. Die "Säuberung aller staatlichen Institutionen von diesem Geschwür" werde weitergehen, sagte er und  "Denn dieser Körper, meine Brüder, hat Metastasen produziert. Leider haben sie wie ein Krebsvirus den ganzen Staat befallen." (Tagesspiegel, 17.07.2016, „Erdogan will Staat von Gülen-"Geschwür" säubern“) Das sind genau die Art von Fantasiewörtern, die Lloyd deMause in seinen Werken hervorhebt. Sie stehen für eine Wiederaufführung von Kindestraumata, aber auch für fötale Belastungen ("Fötales Drama“). Bzgl. Erdoğan ist erwiesen, dass er als Kind misshandelt wurde und das schwer. Derzeit werden die Stimmen in der Türkei lauter, die die Wiedereinführung der Todesstrafe fordern. Auch Erdoğan würde sich diesem Wunsch des Volkes nicht in den Weg stellen, wie er sagte. Es geht jetzt also auch noch um Menschenopfer...

Erdoğan ist nicht denkbar ohne große Teiles des türkischen Volkes, die ihn verehren und bewundern. Über die Türkei gibt es meines Wissens nach bisher wenig repräsentative Daten über die Verbreitung von Kindesmisshandlung. Gewalt gegen Kinder durch Eltern ist in dem Land weiterhin legal, ebenso gibt es keine expliziten Verbote von Körperstrafen an Schulen. Wir können bzgl. der Kindererziehung in diesem Land nicht von fortschrittlichen Standards ausgehen. Insofern spielt auch die Identifikation mit dem Aggressor im Volk eine Rolle. Die aktuellen Ereignisse in der Türkei machen mir wirklich Sorgen.

Der Theorie von Lloyd deMause nach sind Kriege, kollektive Paranoia und Opferrituale Antworten auf Wachstum, Fortschritt und schnelle gesellschaftliche Veränderungen. (Oder anders gesagt: Wachstum und Veränderungen wecken das Opfer in den Menschen und dessen unerträgliche Gefühle.) Auch dies trifft auf die Türkei zu, die vor allem unter Erdoğan in den letzten Jahren einen starken (nie dagewesenen) Modernisierungsschub erlebt hat (bei einer gleichzeitigen Rück-Traditionalisierung bzw. Islamisierung des Landes). Dieser Fortschritt des Landes ist in diversen Artikeln und Beiträgen nachlesbar. Ein Beispiel dafür ist z.B. ein Artikel auf WELT-Online: http://www.welt.de/wirtschaft/article131115977/Das-Meisterwerk-des-Sultans-Erdogan.html
Der türkische Aktienmarkt ist nach den Ereignissen eingebrochen, Touristen werden nach den aktuellen Aktionen die Türkei meiden, Investoren werden sich andere Länder suchen, politisch treibt die Türkei in die Isolation und moderne Vordenker und Reformer werden noch extremer mundtot gemacht. Insofern scheint das unbewusste kollektive Ziel, das allgemeine soziale und ökonomische Wachstum zu reduzieren, erreichbar; zu einem hohen Preis, wohlgemerkt.

Freitag, 24. Juni 2016

Brexit - "Warum nicht auch mal im Kollektiv Amok laufen?" Oder: Die Identitätskrisen von Nationen

Unter dem Titel "Wenn Länder Amok laufen" hat der ZEIT-Kolumnist Michael Thuman einige Sätze geschrieben, die die Sache auf den Punkt bringen:
"Warum nicht auch mal im Kollektiv Amok laufen? Die Briten machen es vor. (...) Die schreiende Irrationalität hat gesiegt. (...) Es ist die Identitätsfrage. (...) "Wer sind wir?" und "Was wird aus uns?" Es sind dieselben Fragen, die die Pegida-Demonstranten auf die Straßen treiben. Daraus sprechen Unsicherheit, Angst – und ein rabiater Nationalismus. Im Umkehrschluss wächst die Forderung nach Abschottung, Erlösung in der Gemeinschaft der Gleichgesinnten und Gleichgeborenen. Die ganze britische Kampagne ist wie Trumps Propaganda von der Identitätsfrage vergiftet."

Es geht um Identität bzw. um die Krise der eigenen Identität, um Erlösungswünsche, um Vergiftung, um Emotionen, um Irrationalität. Ja.

Die psychohistorische Theorie kann die aktuellen Prozesse gut in der Tiefe erklären, wie ich meine. Die ungefestigten, unsicheren Identitäten (auf Grund destruktiver Erziehungspraktiken und Ohnmachtserfahrungen) sind es, die derzeit emotional aufbegehren. Das liegt vor allem an der enormen Entwicklung in der Welt, am Fortschritt, Wachstum, Veränderungen, Flexibilisierung der Lebenswelten, Digitalisierung, am Abschütteln von alten Traditionen (dabei vor allem auch die Geschlechtsrollen), um Flüchtlinge, die Gesellschaften verändern usw. Menschen, die nicht frei, liberal, liebevoll und geborgen aufwachsen durften, werden dadurch besonders erschüttert. Der feste Halt und Rahmen fehlt, die eigene Identität droht gefühlt zu zerfallen (innerlich gefestigte Identitäten sind dagegen nicht so leicht durch äußere Einflüsse umzuhauen), man muss sich wehren und verteidigen, man muss „etwas“ tun. Vor 100 Jahren wäre es jetzt Zeit für einen Weltkrieg, da die gesellschaftlichen Prozesse (und lange Friedenszeiten + mehr an Freiheiten) enormen Druck aufgebaut haben, der sich entladen muss in "Rückschrittsprozssen", Selbstzerstörung und dem Kampf gegen Wachstum und Veränderung, sowie in der Suche nach Feinden und Sündenböcken.

Der Weltkrieg wird aber ausbleiben! Dafür hat sich die Kindererziehungspraxis bei einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung bereits zu sehr modernisiert. Entsprechend entlädt sich der Druck gedämpft und symptomartig in Einzeltaten wie auch der Verrohung von Sprache und Reden usw. Eben all die Dinge, die wir seit Monaten in den Medien verfolgen. Oder eben jetzt im Brexit, was schon eine größere Sache ist (aber immerhin hat fast jeder zweite Brite für den Verbleib in der EU gestimmt!). In den Regionen (Syrien, Afghanistan, Irak, Elfenbeinküste, Jemen usw.) , in denen immer noch die große Mehrheit der Menschen als Kind (vor allem durch Elternfiguren) routinemäßig geschlagen und gedemütigt wurde und wird, entlädt sich der gesellschaftliche Wachstums- und Veränderungsdruck weiterhin in Bürgerkriegen und Terror. Bei uns sind die Symptome Pegida, AFD, rechtsextreme Angriffe & Co., was im Vergleich eine deutlich mildere Reaktion ist, wenn auch trotzdem enorm destruktiv wirkend.

Große Konzerne wie Googel bzw. Alphabet, Apple & Co. haben angekündigt, die Welt in den nächsten 20 Jahren stark zu verändern. Im Westen werden die Menschen diese Revolution emotional aushalten (Einzeltaten, diverse Irrationalitäten und Krisen werden dabei nicht ausbleiben, aber es wird nicht zu vernichtenden Krisen oder gar Kriegen kommen), denn in 20 Jahren bestimmen weitgehend die Menschen das Leben, die relativ modern und liberal erzogen wurden. Um andere Regionen mache ich mir da mehr Sorgen, vor allem Indien, Afrika und den Nahen Osten, evtl. auch China. Wir werden sehen. 

Um nicht missverstanden zu werden. Es gibt diverse Einflüsse, die Krisen und Irrationalität hervorbringen. Das versteht sich für mich von selbst und ich merke dies i.d.R. nicht an. Aber Kindheitseinflüsse werden in den Analysen im Grunde immer ausgeblendet. Deswegen muss ich jetzt etwas dazu schreiben. Dabei ließe sich das Ganze sogar sozialwissenschaftlich nachweisen. Man müsste repräsentativ Brexit-Befürworter und Gegner nach ihren Kindheiten befragen, (Oder die Kindheit von z.B. Pegida-Anhängern mit der der Durchschnittsbevölkerung vergleichen.) Ich bin sicher, dass man signifikante Ergebnisse erhalten würde. Schon jetzt steht fest, dass der Brexit nicht ohne die Generation 50+ (noch deutlicher bei der Generation 65+) stattgefunden hätte ("Brexit-Referendum: Wer hat eigentlich wie gewählt"). Je jünger die Briten, desto mehrheitlicher waren sie für einen Verbleib in der EU. Und fest steht auch: Je jünger die Menschen in der EU, desto weniger elterliche Gewalt und Demütigungen und desto mehr Fürsorge und Liebe haben sie erlebt. Die Alten haben den Jungen die EU-Gemeinschaft geklaut. Zeit für einen Generationswechsel!

Mittwoch, 15. Juni 2016

Omar Mateen - Erste Spuren zu einer destruktiven Kindheit

Omar Mateen war ein gewalttätiger Mann. Das erlebte z.B. seine Ex-Frau schon Jahre vor dem aktuellen Massaker in Orlando. Omar misshandelte sie. Seine Ex-Frau sagte.„He would just come home and start beating me up because the laundry wasn’t finished or something like that.” (washingtonpost.com, 13.06.2016, „Gunman who killed 49 in Orlando nightclub had pledged allegiance to ISIS“)
Es ist erstaunlich, dass in der kurzen Zeit nach dem Massemord bereits zwei wesentliche Informationen über das Familienleben und die Kindheit von Omar vorliegen. Eine ehemalige Nachbarin sagte in einem Interview, dass Omar ein sehr rastloses und schwer zu kontrollierendes Kind gewesen sei. Seine Mutter schlug ihn häufig. „She said that Mateen’s mother `used to slap him a lot` when he got too rambunctious.“ (New YorK Daily News, 13.06.2016, „Former Long Island neighbor of Orlando gay club shooter recalls him as ‘restless’ kid“) Die Nachbarin hatte offensichtlich wenig Mitleid mit dem Kind, sondern eher mit den Eltern, denn sie fügte an:
Poor parents. You can tell when children behave like that, they bring it up with them.“ (ebd.)

Ebenso ist häusliche Gewalt im Hause Mateen belegt. Omars Mutter wurde 2002 inhaftiert, weil sie gewalttätig gegen ihren Ehemann wurde. (radaronline, 13.06.2016, „Violent Past exposed! Orlando Shooter`s Mom Arrested After Attack“ ) In einem anderen Bericht wurde ebenfalls über die Inhaftierung der Mutter geschrieben. Omars Mutter habe allerdings ausgesagt, ihr Mann hätte gedroht, sie zu töten. (TCPalm, 14.06.2016, „Domestic battery charge dropped against Omar Mateen’s mother“) Demnach hätte sie sich nur verteidigt.  Ob die Mutter von sich aus häusliche Gewalt ausübte oder der Vater der eigentliche Aggressor war, so oder so, beide Möglichkeiten bedeuten für die Kinder der Familie ein Aufwachsen in einer Atmosphäre der Gewalt.

Omars Vater hat nach der Tat seines Sohnes über Facebook verlauten lassen: „Es ist Sache Gottes, Homosexuelle zu bestrafen. Nicht die seiner Diener.“ (welt.de, 13.06.2016, „Vater des Täters verstört mit schwulenfeindlichem Video“) Das spricht nicht gerade für emotionalen Feinsinn, um es milde auszudrücken. Der Vater sei außerdem in der afghanischen Gemeinde für seine „ultrakonservativen Ansichten“ bekannt und in einem Video nannte er die radialislamischen Taliban „Kriegsbrüder“. (ebd.) Ein anderer Bericht geht ausführlich auf das teils bizarre politische Verhalten von Omars Vater ein: „Doch wo sieht sich Seddique Mateen selber? Nicht nur als Politiker, sondern gar als der nächste afghanische Präsident, wie er auf seinem Youtube-Kanal und auf Facebook proklamiert. Sogar als «Übergangsregierung» betitelt er sich. Seine Organisation, deren Grösse nicht eruiert werden kann, glaubt er als einzig möglicher Vermittler zwischen Taliban und den USA (…)“ (tagesanzeiger, 13.06.2016, „Der bizarre Vater“)

Dies alles sind erste wenn auch überdeutliche Oberflächeninformationen. Es ist zu vermuten, dass unter dieser Oberfläche Abgründe lauern. Die unvorstellbar grausame Hass-Tat von Omar Mateen erzählt ja an sich bereits etwas über den Täter. Wieder einmal bestätigt sich, dass geliebte und gewaltfrei erzogene Kinder nicht zu Massenmördern werden. Diese Täter kommen von genau der anderen Seite. Darüber sollten wir reden.


Mittwoch, 8. Juni 2016

DER SPIEGEL über die Kindheit von Friedrich II. und wiederum auch nicht....

Immer wieder kritisiere ich hier im Blog, wenn Experten oder Medien Kindheitshintergründe ausblenden. Jetzt ist mir ein Fall untergekommen, den ich so noch nicht erlebt habe! Das ist glatt einen Beitrag wert. Man könnte fast lachen, wenn es nicht im Grunde so ungeheuer nachlässig wäre. Der Fall ist einmalig, weil die Kindheitshintergründe ausführlich gesehen werden. Es geht um den Artikel "Mutters Söhnchen" im SPIEGEL (Nr. 16 / 16.04.2016, ab Seite 128). Der Autor beschreibt umfassend die extrem destruktive Kindheit von Friedrich II. (Preußen), teils mit Details, die mir neu waren. (Ich selbst habe die Kindheit von Friedrich II. hier umfassend beleuchtet). Der Artikel beginnt wie folgt:

"Wäre aus dem kleinen Friedrich ein Schwerverbrecher geworden, hätte die Nachwelt ihm sicher mildernde Umstände zugebilligt – der Junge hatte wahrlich eine schlimme Kindheit. Sein Vater verhöhnte und verprügelte ihn, ließ ihn einkerkern und beinahe exekutieren. Doch aus dem Kronprinzen wurde kein Mörder, sondern ein Monarch – und was für einer."

Das ist in der Tat neu! Die extrem schlimme Kindheit wird gesehen, ebenso das mörderische Potential, was daraus erwachsen kann. Friedrich II. (der fast ständig Krieg führte!) wird aber einfach als Staatsmann verehrt, seine kriegerische/mörderische Seite gleich in der Einleitung einfach verleugnet. Unglaublich, so etwas ist mir noch nicht untergekommen...


Freitag, 3. Juni 2016

Serienmörder Frank Gust und wie Fachmensch an dessen Kindheitsalptraum vorbeisehen kann

In der Sendung „Markus Lanz“ vom 26.05.2016  habe ich aufmerksam und mit Interesse die Redebeiträge des geladenen Experten und Polizeipsychologen Adolf Gallwitz verfolgt. Ich empfand Herrn Gallwitz als sehr informierten und fundierten Fachmann bzgl. des Themas Mord bzw. Serienmord. An einer Stelle allerdings fragte Herr Lanz, wann der Wunsch in einem Menschen entstehen würde, andere zu quälen und umzubringen und er fügte an: „Woher kommt das, dieser Wille jemand anderen zu vernichten?

Der Experte antwortete an Hand des Fallbeispiels „Frank Gust“, der inhaftiert ist und diverse grausame Morde begangen und auch Tiere gequält hat (der Fall war mir persönlich vor dieser Sendung gar nicht bekannt). Er berichtete von Schlüsselerlebnissen in der Kindheit des Täters. Gust habe Tiere grausam getötet und dabei quasi sein Interesse und (sexuelle) Lust am Töten gefunden. Bzgl. der Frage des „Warum?“ sagte Gallwitz, es ginge oft auch um Geborgenheit. Die Sadisten hätten die Liebe der Mutter, wie sie sich es gewünscht hätten, nie bekommen und würden sie erzwingen wollen. Er ergänzte: „Sie wollten die Mutter daran hindern, dass sie aufhören kann, ihn lieb zu haben, weil er sich vielleicht subjektiv nie lieb gehabt gefühlt (kurze Pause) und deswegen dominieren sie Menschen, manchmal vielleicht bevorzugt Frauen.“ Nun, der Satz an sich ist etwas durcheinandergeraten und in sich verwirrend. In so einer Sendung kann das passieren, aber der Gehalt dessen, was Gallwitz bzgl. des Falls „Frank Gust“ rüberbringen wollte, kam durchaus an und ließ letztlich Fragezeichen im Raum. Braucht es also nicht viel, damit ein Mensch zum Mörder gar Serienmörder wird?

Ich muss gestehen, dass ich richtig ärgerlich wurde, als ich nach der Sendung kurz bei Googel „Frank Gust Kindheit“ eingab und gleich durch den ersten Treffer (http://www.peta.de/frankgust#.V1AH5Ltf3VI ) ein erstes erschütterndes Bild bekam.  Die Pädagogin und Kriminologin Petra Klages schrieb dem vorgenannten Link folgendes: „Gust erlebte in seiner Kindheit das, was viele Mörder und Serienmörder erleiden – er wuchs in einer lieblosen, kalten Familie auf und wurde außerhalb der Familie sexuell missbraucht, gefoltert, immer wieder vergewaltigt. Er veränderte sich, wurde zum notorischen Lügner, isolierte sich von seiner Umgebung und begann Tiere zu quälen und zu töten.“ Den Text kann man auch auf der Homepage von Petra Klages nachlesen: http://www.petra-klages.de/frank-gust.html

In dem Text schreibt die Fachfrau auch allgemein: „Mit ihren grausamen Taten reinszenieren sie häufig selbst erlittene Verletzungen ihrer kindlichen Psyche. Serienmörder und auch Mörder wachsen überproportional häufig innerhalb einer zerstörerisch wirkenden Familie auf. Häufig ist der Vater gewalttätig, es werden Drogen konsumiert, die Kinder werden vernachlässigt, körperlich und teilweise sexuell missbraucht. Aus Gewalttätigkeit entsteht verständlicherweise nur selten Positives, sondern produziert wiederum Gewalt.“

Auf der Seite hat Frau Klages auch einen Link zu einem Interview mit ihr und Frank Gust gesetzt. In dem Auszug fasst sie am Anfang zusammen, dass Frank Gust als Kind sexuell missbraucht wurde, in diversen, oft gewalttätigen Formen. Herr Gust gehe davon aus, dass seine Mutter und sein Stiefvater von dem Missbrauch wussten und davon profitierten. Fast täglich wurde Frank als Kind sexuell missbraucht, sein Hintern war aufgerissen und blutete oft „wie Sau“, sagte Gust. O-Ton Gust zu dem Missbrauch: „Das war für mich genauso normal, wie für andere Gleichaltrige Fußballspielen“.

Herr Gallwitz ist Experte (u.a. auch für Kindesmissbrauch), Gutachter, Psychologe, Profiler, Buchautor. Er arbeitet für die Polizei. Er war Dozent an der Hochschule für Polizei in Baden-Württemberg usw. Und er war bei Markus Lanz vor einem großen Publikum und wurden nach dem „Warum?“ bzgl. grausamer Taten gefragt. Dabei hat er sich bewusst für seine Antwort den Fall Gust gewählt und ist mit keinem Wort auf seine unglaublich schlimme Kindheit eingegangen. Etwas von zu wenig mütterlicher Liebe hat er erwähnt, aber „keine Liebe“ reicht nicht, um einen Menschen in einen Serienmörder zu verwandeln. Ich habe in den letzten Jahren unzählige andere Experten wahrgenommen, die in der Öffentlichkeit um das Thema Kindheit herum oder öfter noch ganz daran vorbeireden, wenn es um das „Warum?“ geht. Dieses Agieren von Expertenseite ist mit ein Grund dafür, warum die im Grunde längst erforschten Fundamente, aus denen heraus Mörder und Gewalttäter erwachsen können, nicht in der Gesellschaft zum Allgemeinwissen gehören.

Die Aussagen von Hern Gallwitz haben mich besonders geärgert, weil die Kindheitshintergründe des erwähnten Falles längst aufgedeckt wurden. Es sei denn, man glaubt den Angaben von Gust nicht, so wie offensichtlich der Psychiater Michael Osterheider, der mit Gust etliche Gespräche geführt hat. „`Gust hat alle möglichen Angaben gemacht, um darstellen zu können, wie schwer seine Kindheit gewesen ist. Nirgendwo konnten diese Hinweise objektiviert werden`´, sagt Osterheider. `Er hat einen Bruder, der in der gleichen Umgebung groß geworden ist, und der ist nicht straffällig geworden.` “ (faz.net, 11.07.2011, „Der böse Wolf“)

Die Mutter von Frank Gust ist nach eigenen Angaben als Kind selbst „ständig sexuell missbraucht“ worden. Sie sei gerade deswegen total fertig gewesen, als vor Gericht Berichte über den sexuellen Missbrauch an ihren Sohn in dessen Kindheit auftauchten. Sie habe ihren Sohn dann angeschrieben und ihr Sohn habe in seiner Antwort den Missbrauchsvorwurf widerrufen. (ZDF, „Mein Sohn, der Mörder“, ab ca. 20. Minute  ). Dies sei für sie als Mutter sehr wichtig gewesen, „dass das so nicht stehen bleibt.“.
Puh, als ich diese Aussage der Mutter gehört habe, musste ich erst einmal durchatmen. Der gesamte Bericht der Mutter ist sehr interessant, nicht so sehr bzgl. der Inhalte, sondern eher wie sie auf mich wirkt, vor allem in Situationen, wo sie emotional wirken möchte. Bei mir persönlich kommt nichts an Emotionen an, wenn diese Frau etwas sagt. Es ist mein persönlicher Eindruck. Sie wirkt auf mich sehr kalt. Dass sie selbst als Kind ständig sexuell missbraucht wurde, macht für mich die Aussagen ihres Sohnes noch einmal glaubhafter. Es ist fast schon klassisch, dass Mütter, die selbst sexuell missbraucht worden sind, oftmals keine Warnsignale wahrnehmen, wenn dies ihrem eigenen Kind passiert, gerade weil ihre eigenen Grenzen einst eingetreten wurden. Und natürlich neigen Menschen mit so einer Geschichte leider auch manches mal dazu, sich Partner zu suchen, die eine dunkle Seite haben, was wiederum die Aussagen von Frank bzgl. seines von ihm als kalt und streng erlebten Stiefvaters stützen würde. Deutlich gemacht hat die Mutter in ihrer oben zitierten Aussage, dass sie ihren Sohn unter Druck gesetzt hat. Ich knüpfe dies jetzt gedanklich weiter: Einen sexuellen Missbrauch darf es nicht geben, das ist nicht passiert, alles ist gut. Sind das nicht genau die Sätze, die man in der Fachliteratur über sexuellen Missbrauch immer wieder findet, wenn es um das familiäre Umfeld geht, das das Kind nicht schützen konnte oder wollte? Und wie oft kommt es vor, dass (auch erwachsene) Kinder ihre Vorwürfe zurückziehen, wenn sie Druck aus der Familie bekommen?

Ich verweise allerdings noch mal auf den oben zitierten Audioauszug, in dem Frank Gust über den Missbrauch eindeutig berichtet. Das klingt für mich sehr authentisch. Und es macht vor allem auch Sinn, denn er ist nun mal ein Serienmörder geworden und kein Ladendieb! Petra Klages schreibt an anderer Stelle: „Je stärker das Trauma, dem ein Täter in seiner Kindheit ausgesetzt war, desto fürchterlicher können seine Wut und seine eigenen Taten werden. Das hört sich fürchterlich banal an. Ist es aber nicht, denn es gibt sehr viele Arten, ein Kind zu zerstören. Manche wurden leider erst in der Neuzeit verstanden.“ (Klages, Petra (Hrsg.) (2011). Serienmord und Kannibalismus in Deutschland. Graz: Sammler Verlag. Kindle E-Book Edition, Position 190)
Die Taten deuten also an sich bereits auf Kindheitshintergründe hin, je nachdem wie grausam und in welchem Rahmen die Taten ausgeführt wurden. Dazu gibt es in der Kriminalpsychologie auch bereits explorative Forschungsansätze.

Ich habe noch etwas weiter recherchiert. Petra Klages hat in dem Buch "Brieffreundschaft“ mit einem Serienmörder (http://www.petra-klages.de/serienmord.html) Axel F. (Pseudonym, das sie für viele Mörder in ihren Arbeiten nutzt) ausführlich zu Wort kommen lassen. Hinter „Axel F.“ verbirgt sich sehr wahrscheinlich Frank Gust. Das Buch habe ich nicht gelesen, aber alle Berichte über das Buch stellen klar, dass die Kindheit des Serienmörders ein Alptraum war.
Als Buchbeschreibung steht unter vorgenannten Link: „Am Anfang ist da ein kleiner Junge, offensichtlich weich, liebebedürftig, meist  ausgeschlossen aus dem Kreis der Spielkameraden seines Bruders. Als der neue Stiefvater aber der Mutter Zärtlichkeit zu dem Sohn untersagt und ihm nur mit Härte begegnet, wird das Kind zum geeigneten Zielobjekt eines pädophilen Nachbarn. Auf perverse Weise nutzt dieser die Sehnsucht des Jungen aus,  groß und stark zu werden und all den Kränkungen seiner Umgebung zu entgehen. Was dann folgt,  ist die Hölle, ist Inferno. Es sind derart unglaubliche Geschichten, dass man immer wieder an ihnen zweifeln möchte - und doch zu dem Schluss kommt: Wenn auch nur die Hälfte stimmen mag, ist es des  Bösen immer noch zu viel.“
Es gibt auch eine private Rezension zu dem Buch, die es in sich hat: http://thanatischemanifestationen.blogspot.de/2014/04/review-brieffreundschaft-mit-einem.html

Demnach waren beide Eltern grausam zu „Axel. F“, später wurde er neben den Missbrauch durch einen Nachbarn auch an andere „Pädophile“ verkauft.

Nachdem, was ich oben dargestellt habe, hätten Herr Gallwitz bei Lanz antworten müssen:
Wissen Sie, nehmen wir den Fall Frank Gust. Frank erlebte als Kind nach eigenen Angaben einen Alptraum aus Gewalt, Kälte, Vernachlässigung und fast täglichem, schwerem sexuellen Missbrauch. Es gab keine Hilfe, keinen Trost. Das entschuldigt natürlich nichts und natürlich werden nicht alle missbrauchten Kinder später Serienmörder, aber es beantwortet vielleicht dennoch ihre Frage, lieber Herr Lanz.

(Einen Hinweis auf diesen Text habe ich Herrn Gallwitz zukommen lassen.)


Mehr zum Thema hier im Blog:

- James Gilligan: Gewalt 

- Jonathan H. Pincus: Was Menschen zu Mördern macht
 
- Stephen Harbort: Das Serien-Mörder-Prinzip.

- Basiswissen für die Kriminologie direkt aus dem Gefängnis: Das Kindheitsleid der Täter 

+ rechts in der Leiste diverse Massenmörder, deren Kindheit ich analysiert habe.




Montag, 23. Mai 2016

Kindheit von Lenin

Lenin (eigentlich Wladimir Iljitsch Uljanow, im Text bleibe ich aber bei "Lenin") wird von verschiedenen Autoren als Diktator bezeichnet, teils auch als Massenmörder und natürlich als Wegbereiter zur stalinistischen Diktatur und Schreckensherrschaft. Vor allem seine Beteiligung am sogenannten „Roten Terror“  sprechen Bände.  Ebenso gilt das – von Lenin befohlene - Massaker an der Zarenfamilie im Jahr 1918 „als Symbol für die Grausamkeit des bolschewistischen Regimes“. (von Flocken 2015)

Ich hatte schon vor einiger Zeit vier Biografien über Lenin durchgearbeitet. Dabei sind mir vor allem Widersprüche bzgl. der Schilderungen über seine Kindheit aufgefallen. Die Autoren zeichnen oberflächlich ein scheinbar normales Bild einer „sorglosen Kindheit“ (Ruge 2010, S. 25) Doch stimmt dies so? Meine Grundthese lautet bekanntlich, dass als Kind geliebte Menschen keine Massenmörder und/oder Diktatoren werden. Bei der jetzt erneuten Durchsicht der vier Arbeiten zeigt sich mir, dass es auch in Lenis Kindheit nicht wirklich heiter zuging.

Der Biograf David Shub (1958) beschreibt wenig Erhellendes über Lenis Kindheit. Allerdings erwähnt der Autor beiläufig einiges, was mich aufhorchen ließ. Lenis Vater wird dem Urteil eines Freundes nach als „starker, charakterfester Mensch, der sehr streng gegen seine Untergebenen war“ beschrieben. (Shub 1958, S. 29) In einem Empfehlungsschreiben für die Universität schrieb der Direktor des Gymnasiums und (nach dem Tod des Vaters per Testament bestimmten) Vormund Lenins – Fedor Kerenskij – u.a. „Sowohl in geistiger wie in sittlicher Beziehung wurde er aus sorgfältigste erzogen (…) zuerst von beiden Eltern und nach dem Tod des Vaters von der Mutter, die ihre ganze Fürsorge und Aufmerksamkeit der Erziehung ihrer Kinder widmete. Religion und strenge Zucht bildeten die Grundpfeiler dieser Erziehung, ihnen verdankt Uljanow sein vorbildliches Betragen.“ (ebd., S. 32) Der Biograf Stefan T. Possony beschreibt Lenins Vater allgemein als einen „auf strenge Zucht bedachten Mann“. (Possony 1965, S. 19) Ein paar Seiten weiter schreibt der gleiche Autor widersprüchlicher Weise, Lenis Vater schien gegenüber den Kindern „nicht streng gewesen“ zu sein, „wenn er auch, was keinem Zweifel unterliegt, zurückhaltend und ohne Wärme war.“ (ebd., S. 25)
Was bedeutet in diesen Zitaten das Wort „streng“ oder „Zucht“? Der Vater war streng, die Mutter war streng, gut, aber was für ein Verhalten gegenüber den Kindern und was für Strafen beinhaltete dies? Diese Frage bleibt im Raum, gibt aber begründeten Anlass für Spekulationen (zumal Lenin im Jahr 1870 geboren wurde und wir heute wissen, was sich hinter Worten wie „streng“ und „Zucht“ bzgl. der damaligen Kindererziehung oftmals verbarg.)

Wolfgang Ruge schreibt, dass wenig über das Verhältnis Lenins zu seinem Vater bekannt sei, zu seiner Mutter habe Lenin allerdings stets ein gutes Verhältnis gehabt. (Ruge 2010, S. 26+27) Ebenfalls beschreibt Possony Lenis Mutter als „allen ihren Kindern eine zärtliche Mutter“. (Possony 1965, S. 19) Ob dieses Bild der Mutter der Realität entspricht, werden wir im Textverlauf vielleicht noch klären.

Eindeutig war das eheliche Verhältnis von Lenis Eltern sehr belastet. Lenins Mutter – Maria – bereute bald nach der Eheschließung ihre Wahl, da ihr Mann „außer seiner Arbeit im Institut für Adlige noch mehrere andere Ämter innehatte und nur selten zu Hause war. Er hatte Schwierigkeiten mit einigen seiner Schüler, war übellaunig und fühlte sich von seiner Frau gelangweilt. Die Schwester Anna ging auf Marias Klagen ein und tadelte Ilja wegen der Vernachlässigung seiner Frau und wegen seines mangelnden Interesses an einem Familienleben; aber Maria erkannte, dass es das Los vieler Ehefrauen wäre, einsam zu sein.“ (Possony 1965, S. 21) In der Folge scheint es erhebliche Spannungen in der Familie gegeben zu haben. „Maria war eine Zeitlang ohne Grund eifersüchtig und wurde immer reizbarer und launischer. Sie gab die Musik auf, stand spät auf und vernachlässigte ihren Haushalt. Seit ihrem Umzug nach Nishni-Nowgorod teilte das Ehepaar Uljanow nicht mehr das Schlafzimmer. Ilja schlief in seinem Arbeitszimmer und Maria im Schlafzimmer mit ihrem Kind.“ (Possony 1965, S. 22) In der Folge war Maria zukünftig froh, wenn ihr Mann das Haus verließ, schreibt Possony weiter. Wie mag sich diese Atmosphäre zwischen den Eheleuten auf die Kinder ausgewirkt haben?
Nichts desto trotz bekam das Paar acht Kinder, wovon allerdings zwei im Säuglingsalter verstarben. (Service 2000, S. 49) Da der Vater oft abwesend war und die Mutter so viele Kinder zu versorgen hatte, ist zu vermuten, dass die Kinder auch alleine auf Grund der Rahmenbedingungen vernachlässigt wurden.

Dass die Mutter sehr gefordert war zeigt auch ein weiterer Sachverhalt. Um die Zeit der Geburt Lenins nahm die Familie eine Bäuerin bei sich auf und in ihre Dienste. Sie zog den kleinen Lenin auf, schreibt Passony. (Possony 1965, S. 25) Über die Art und Weise des Umgangs mit dem Kind erfährt man leider nichts von dem Biografen, obwohl der Einfluss dieser Frau sicher bedeutsam war. Sie blieb bis zu ihrem Tod im Jahr 1890 in der Familie.

Über den Stand des Vaters in der Familie gibt es eine weitere, sehr aufschlussreiche Textstelle. Am 12.01.1886 starb Lenis Vater unerwartet während des Mittagsessens; Lenin war zu der Zeit 16 Jahre alt. „Die Hinterbliebenen waren nur wenig betroffen, da Iljas Tod keine bedeutenden Veränderungen im Leben seiner Familie zur Folge hatte.“ (Passony 1965, S. 26)

Auch der Biograf Robert Service berichtet widersprüchliches: „Die warme Geborgenheit in der Familie hielt Vladimir nicht davon ab, sich asozial gegen seine Geschwister zu verhalten. Es gab immer eine Spur von Bosheit in seinem Charakter.“ (Service 2000, S. 62) Ebenso passt nicht wirklich zu einer „warmen Geborgenheit“, dass die Erfolgserwartungen der Eltern „gewaltig waren“, wie Service schreibt. (ebd., S. 63) Der junge Lenin wurde einige Jahre lang von diversen Privatlehrern auf die Schule vorbereitet. (ebd., S. 64) Die Zeit auf dem Gymnasium wird für Lenin prägend gewesen sein. „Disziplin wurde rigoros durchgesetzt. Wie andere Schuldirektoren jener Zeit arbeitete Kerenskij mit Prügel, Arrest, Strafaufgaben und vielen Moralpredigten, auch wurden die Schüler am Simbirsker Gymnasium – wie an allen übrigen zaristischen Schulen – von den Lehrern zur Denunziation ihrer straffällig gewordenen Kameraden angehalten. Eine solche Schule war für die meisten Schüler unerfreulich. Die Disziplin war lästig, mitunter brutal, die Arbeitsbelastung enorm, der Stoff ohne jeden Bezug zum täglichen Leben.  Zwar blieben Vladimir die schlimmsten disziplinarischen Maßnahmen erspart, doch ist kaum anzunehmen, dass das Schulerlebnis keine negativen Spuren in seinem Bewusstsein hinterlassen haben sollte.“ (Service 2000, S. 66)

Wie ich oben im Text beschrieben habe, wurde dieser strenge Schuldirektor später - nach dem Tod des Vaters – der Vormund von Lenin. Lenins Eltern hielten offensichtlich sehr viel von diesem Mann und seinen Methoden. Vielleicht erzählt dieser Sachverhalt auch ein wenig davon, was im Hause Lenin unter „Strenge“ und „Zucht“ verstanden wurde. Dies bleibt natürlich Spekulation. Anders als bei anderen Diktatoren und Massenmördern finden sich keine genauen Informationen über elterliche (körperliche) Gewalt gegen die Kinder. Aber es finden sich auch – trotz mancher Deutungsausbrüche der Biografen -  keine Hinweise darauf, dass in Lenins Familie liebevoll und gewaltfrei erzogen wurde. Die oben zusammengetragenen Informationen sind eindeutige Indizien für eine wenig freiheitliche und emotional eng verbundene Familie.

Eine Textstelle ist für mich ganz besonders zentral! Sie beginnt erneut mit einem Widerspruch seitens des Biografen. Service schreibt zunächst bzgl. der Erziehung in Lenis Familie: „Strafen wurden selten für nötig erachtet.“ (ebd., S. 60) Um dann anzuschließen, Lenis Vater hatte „ein aufbrausendes Temperament, und seine Kinder fürchteten seine Missbilligung auch dann, wenn sein Beruf ihn zu langen Reisen durch das Gouvernement Simbirsk entführte. In solchen Zeiten bestrafte Maria Alexandrovna ein unartiges Kind damit, dass sie es auf einen Stuhl im Arbeitszimmer des Vaters verbannte, wo es mucksmäuschenstill sitzen musste. Dieser Stuhl hieß ´der schwarze Stuhl`. In Erinnerung blieb der Familie die Episode, wie Volodja (Anmerkung: Rufname für den kleinen Lenin), nachdem er irgend etwas angestellt hatte, auf den schwarzen Stuhl geschickt wurde, wo ihn die Mutter dann stundenlang vergaß. Bei allem Mutwillen wagte er nicht, aufzustehen oder sich zu rühren, bis die Mutter ihn wiederholte.“ (Service 2000, S. 60)
Ein Kind, das so viel Angst davor hat, sich vom angewiesen Platz stundenlang nicht zu rühren, muss vorher „etwas“ erlebt haben. Es muss Strafen, Drohungen oder anderes in der Familie erlebt haben, ansonsten ist diese enorme Angst nicht erklärbar. Das vorgenannte Zitat zeigt auch, dass Lenins Mutter eine für das Kind bedrohliche Rolle eingenommen hat und psychische Gewalt ausübte, entgegen den idealisierenden Schilderungen der Biografen.

Außer den oben genannten Kernereignissen ist ein weiteres Ereignis in Lenins Jugend von Bedeutung. Nachdem Lenis Bruder Alexander ein Attentat auf den Zaren geplant hatte, wurde er am 08.05.1887 hingerichtet. Dies traf den jungen Lenin nachhaltig und er schwur Rache. Nachdem Lenin die Nachricht vom Tod seines Bruders erhalten hatte, schrie er: „Das sollen sie büßen, das schwöre ich.“ (Shub 1958, S. 10) Später sollte er – wie oben bereits erwähnt – die Ermordung von Zar Nikolai II. und dessen Familie befehlen. Dieser war der Sohn von Alexander III., auf den Lenins Bruder Alexander ein Attentat geplant hatte. Nachdem ihr Sohn hingerichtet worden war, dachte Lenins Mutter zunächst an Selbstmord. (Service 2000, S. 90) Für die Familie war dies Ereignis offensichtlich traumatisch.

Die Kindheit und Jugend von Lenin ist nicht so gut beleuchtet wie die anderer Diktatoren. Ich denke allerdings, dass ich oben herausstellen konnte, dass der junge Lenin schwer belastet war, in mehrfacher Hinsicht. Am Ende dieses Textes stelle ich dies noch mal zusammenfassend dar:

- Strenge Eltern, die hohe Ziele für ihre Kinder hatten und entsprechenden Leistungsdruck ausübten
- Ein emotional enorm gespanntes Verhältnis zwischen beiden Eltern
- Ein abwesender und desinteressierter Vater, der zudem früh verstarb. (Wobei unklar ist, ob und wie sein Tod Lenin belastete)
- Eine Art Weggabe des Säuglings Lenin an eine Bäuerin, die im Haus wohnte und ihn großzog.
- Psychische Gewalt und Strafen
- Miterleben einer kalten und strafenden Schule
- Traumatisches Ereignis: Hinrichtung des Bruders

Dazu kommt, dass ich persönlich vermute, dass es auch Körperstrafen gab (vor allem seitens des Vaters, der als streng und aufbrausend beschrieben wurde, ggf. auch durch die Bäuerin, die Lenin  aufzog) und dass psychische Drohungen und Gewalt keine Seltenheit in der Familie waren, ansonsten wäre die starke Verängstigung des jungen Lenin wie oben beschrieben auf dem „schwarzen Stuhl“ nicht zu erklären. Auch spricht das grausame Verhalten von dem erwachsenen Lenin dafür, dass die Belastungen als Kind enorm waren und entsprechend folgenreich.


Quellen:

Possony, Stefan T. (1965). Lenin. Eine Biographie. Köln: Verlag Wissenschaft und Politik.

Ruge, Wolfgang (2010). Lenin. Vorgänger Stalins. Berlin: Matthes & Seitz Verlag.

Service, Robert (2000). Lenin. Eine Biographie. München: Deutscher Taschenbuchverlag.

Shub, David (1958). Lenin. Wiesbaden: Limes Verlag.

von Flocken, Jan (2015, 17.07.). Grausamkeit trieb Lenin zur Ermordung des Zaren. welt.de